The distance von Nullstelle (Reita + Ruki) ================================================================================ Kapitel 1: The distance ----------------------- Story Title: The Distance Chapter: 1/1 Author: Nullstelle/ Fandom: The GazettE / ガゼット Genre: Drama Rating: PG13 Warning: Iam crazy. Head desk all the day Devotement: David Idea: June 2008 Erected: Monday, ‎08. December ‎2008, ‏‎00:13:26 Completed: Monday, 08. December 2008, 05:00:16 Disclaimer: No slavery. Music: Hirbod – Leise Frage Comment: Another Reita x Ruki Story. Hope ya‘ll 'enjoy'. […] Vorwort Dies hier wird meine bisher größte Herausforderung. Vor ein paar Monaten hatte ich diese Geschichte bereits schon geschrieben, und mit dem ‚Ende‘ ist meine Festplatte implodiert. Alles weg. Ich hatte nicht einmal die Chance etwas abzuspeichern, geschweige denn zu sichern. Niemand kann sich den Schmerz vorstellen, der in mir herrschte, als mir ausgerechnet diese Geschichte verloren ging. - („Hässlich verkümmern in einer grausamen Wirklichkeit.“) [-The Distance-] [Das ist eine kranke Welt, und ich versuche in Worten zu beschreiben, was mir dazu einfällt. Ich blicke zurück, es war eine große Schlagzeile, Stiefvater und der kleine Junge und ich frag mich leise, ob das wirklich alles real ist, träume ich oder passiert das alles wirklich. Es ist schwer zu verstehen, wie kann sowas krankes, auf der Welt nur passieren?] Der Raum war stickig. Graue Jalousien verdeckten die Fensterscheiben, auf dessen Fensterbänken drei Kakteen verteilt standen. Die Wand erschien ihm gelblich, wahrscheinlich durch Zigarettenqualm, aber viel konnte man von dieser sowieso nicht erkennen, da sie fast komplett von riesigen Schränken verdeckt wurde, die vollständig mit Büchern besetzt waren. Ein imposanter Schreibtisch aus Eiche füllte das meiste des übrig gebliebenen Platzes, und außer seinem eigenen Sessel, gab es nur noch den, noch, leeren ihm gegenüber. Und bevor er noch einen weiteren Gedanken fassen konnte, öffnete sich die Tür in seinem Rücken und Jemand trat ein. Hinter der Person wurde die Tür fest verschlossen, und es dauerte, bis dieser Jemand endlich an ihm vorbei zu dem anderen Sessel ging. An den Schritten erkannte er sofort, mit wem er es zu tun haben würde, und seine Lippen bogen sich zu einem amüsierten Grinsen nach oben, als er den jungen, brünetten Mann vor sich schließlich entdeckte. Unsicher wirkend ließ er sich auf dem Sessel nieder, räusperte sich und zog einen Satz Unterlagen vom Schreibtisch zu sich, schlug eine Mappe auf und nahm ein Blatt an sich. „Akira Suzuki, richtig?“, wollte er schließlich wissen, und musterte sein Gegenüber zum ersten Mal. Es herrschte gespannte Stille, bevor der Blonde überrascht den Finger hob und auf sich deutete. „Ich? Nun, wollen wir doch einfach mal hoffen, denn es wär sicher doof, wenn du in den falschen Raum gelatscht wärest, nicht?“ Zufrieden über den verdatterten Gesichtsausdruck des Jungen ihm gegenüber lehnte er sich zurück und seufzte leise. „Welches Jahr bist du? Im Ersten?“ „Im Zweiten“, murmelte sein Gegenüber und befeuchtete seine Lippen mit seiner Zunge. „Okay, Neuling. Dann stell dich doch zum Beispiel mal vor. Und dann kannst du mir erklären, warum sie mir hier so inkompetentes Fachpersonal rein schicken.“ Sie tauschten einen langen Blick aus. „Ich bin Herr Takashima und ich bin kein inkompetentes Fachpersonal, sondern aus bestimmten Gründen hier. Nun, also Akira, es ist-“ „Reita“, unterbrach der Blonde ihn erneut. „Was?“ „Ich heiße Reita.“ Irritiert zogen sich die Augenbrauen des Brünetten zusammen und er senkte den Blick erneut auf das Stück Papier in seiner Hand. „Aber hier steht-“ „Mir ist egal was da steht und was nicht“, unterbrach Reita ihn erneut recht ruppig, ihn lauernd taxierend. „Mein Name ist Reita, und wenn du das nicht akzeptieren willst, kannst du ja wen Andres holen.“ Mit solchem Zunder schien Herr Takashima wohl nicht gerechnet zu haben, jedenfalls dachte er kurz nach, bevor er seine Brille zurecht rückte und das Blatt seufzend zurück in die Mappe legte, um es gegen ein Notizblock einzutauschen, auf dem er sofort etwas notierte. Reita versuchte gar nicht erst zu lesen, was er dort schrieb. „Okay, dann eben Reita“, zeigte sein Gegenüber sich einverstanden, zögerte allerdings, als er sah, dass Dieser offensichtlich nur darauf wartete, um ihn erneut unterbrechen zu können. „Und du? Ich will wissen mit wem ich hier rede. Du bist nicht Älter als ich.“ „Mein Name ist hier nicht von Bedeutung.“ Reita schnaubte leise auf und beugte sich in seinem Stuhl wieder ein Stück nach vorn. „Meiner ebenfalls nicht. Aber du nennst ihn doch dennoch. Dein Name. Oder auch dann kannst du da wieder rausgehen.“ Er deutete mit dem Kopf ein Nicken in Richtung der Tür an. Er genoss es, wie der Brünette vor ihm innerlich kämpfte, bevor er ergeben nickte. „Uruha.“ „Uruha?“, wiederholte Reita und musterte den Anderen eindringlich. „Jaah, können wir nun also fortfahren?“ Er wartete einen Moment, doch als Reita keinen Einwurf mehr hatte, fuhr Uruha endlich ungestört fort. „Ich denke, du weißt warum du hier bist. Das ganze läuft folgendermaßen ab: Ich werde dir Fragen stellen, und auf die wirst du mir antworten. Im Prinzip möchte ich von dir die ganze Geschichte hören, gebe dir also nur Anstöße dazu, einen Schubs in die richtige Richtung. Wenn du eine Pause brauchst, geb dir selbst ein paar Momente um wieder zu dir zu kommen. Leider haben wir nicht unbegrenzt Zeit, aber wenn wir zusammen arbeiten, schaffen wir das schon. Einverstanden?“ Reita starrte den Jungen vor sich eine ganze Weile an, bevor er kurz die Augen niederschlug und undeutlich nickte. Natürlich wusste er, warum er hier war. Wochenlang hatte er auf diesen Tag gewartet. Darüber nachgedacht, was er sagen würde. Was er sagen würde können. Er war kein sehr gesprächsfreudiger Mensch. Probleme als seine eigenen ließ er nicht zu. War unnahbar. Zumindest hatte er sich bis vor ein paar Wochen dafür gehalten, bis er sich plötzlich eingemischt hatte. Und jetzt saß er hier. Auf einem braunen Ledersessel. In einem vergilbten, düsteren Büro, in dem die Jalousien bis zum Anschlag hinunter gezogen waren und die Tür hinter ihm abgeschlossen. Er nickte kräftiger. „Wann hast du Ruki das erste Mal getroffen?“ Das erste Mal. Langsam hob er seinen Kopf wieder, fixierte nachdenklich eine der Kakteen. „In der High-School. Er war in meiner Parallelklasse und wir hatten einige Wahlpflichtkurse zusammen.“ „Habt ihr euch schnell angefreundet?“ Uruhas Stimme erreichte Reita zwar, aber er fühlte sich nun nicht mehr anwesend. Trance. „Eigentlich nicht. Er war klein und unscheinbar. Ich habe ein Jahr gebraucht um ihn zu bemerken. Danach hing er an mir wie eine Klette. Aber es hat mich eigentlich nie gestört.“ „Wann hast du das erste Mal gemerkt, dass mit ihm etwas nicht stimmte?“ Verwirrt blinzelte Reita, drehte seinen Kopf und befand sich wieder bei Uruha, starrte in fragend an. „Was mit Ruki nicht stimmt? Ruki war völlig in Ordnung. Ein wenig chaotisch vielleicht.“ Uruha blickte von seinem Notizblock auf, bemerkte Reitas verwirrten Gesichtsausdruck. „Okay, dann drücken wir es anders auf. Wann hast du das erste Mal von Rukis Problemen etwas mitbekommen?“ „Jeder hat Probleme“, blockte Reita intuitiv ab. „Natürlich“, bestätigte Uruha und machte sich weitere Notizen. „Aber was für Probleme hatte Ruki speziell?“ Reita starrte ihn nur an. [Doch die Signale waren da, das Jugendamt hat kontrolliert, doch immer wieder gingen sie weg ohne was zu unternehmen, das Leben eines kleinen Jungen liegt in Händen von blinden Menschen, zu blind und viel zu dumm, um die Wahrheit zu erkennen. Und es kommt so wie es kommen muss, die Sache eskaliert so stark, erst die Mutter, dann das Kind, missbraucht werden sie jeden Tag. Es kommt Hart auf Hart, Schlag auf Schlag.] „Ich geh‘ essen.“ Reita stand auf und packte seine Sachen in seine Tasche, rückte dann seinen Stuhl zurecht und warf seinem Freund einen kurzen Blick zu. Der Junge hatte sich noch immer nicht von seinem Pult wegbewegt, und das, seit er heute Morgen gekommen- und zwar zu spät gekommen- war. Keine Begrüßung, nichts. Es war zwar unfreundlich, aber darum machte Reita sich keinen Kopf. Er fragte nicht, warum Ruki zu spät gekommen war. Jeder kam mal zu spät. Und solange es nicht er war, konnte es ihm egal sein. „Du hast Klassendienst“, fiel dem Älteren noch ein, während er durch die Sitzreihen hindurch zur Tür ging. „Wenn du nicht noch mehr Stress willst, mach die Tafel sauber.“ Er erhielt keine Antwort. Doch das bemerkte er nicht einmal. Fast zwanzig Minuten später schob Reita seinen Teller von sich, blickte nur kurz auf, als Ruki sich zeitgleich neben ihm auf der Bank nieder ließ. Sie unterhielten sich nicht. Verstanden sich nicht blind. Stattdessen packte Reita seine Musikmappe aus und schob dem Jüngeren ein paar Blätter zu. Noten, die er geschrieben hatte, und zu denen Ruki nun Worte finden würde. Es hatte fast genauso gedauert, wie es gedauert hatte, sich wahrzunehmen. Aber irgendwann hatte Reita bemerkt, dass Ruki singen konnte- und auch wollte. Also hatte er ihm das Mikrofon in die Hand gedrückt und sich umgedreht. Das Ruki eigentlich nicht vor den Anderen, sondern nur allein singen wollte, hatte ihn schlichtweg nicht interessiert. Entweder sollte er es durchziehen oder für sein Leben einen kompletten Rückzieher machen. Letzteres gab es bei ihm nicht. Während Ruki die Noten las, kramte Reita einen Stift aus seiner Tasche, um an seinen Neusten etwas zu verändern. Der Stift war genauso blau wie der Kreis um Rukis Auge, als dieser ihn anblickte. Reita fragte nicht nach. Ruki würde seine Gründe haben. Es ging ihn nichts an, solange Ruki es ihm nicht erzählte. „Ist das häufiger vorgekommen?“, wollte Uruha wissen und wartete, bis Reita sich wieder gefangen zu haben schien. „Häufiger vorgekommen?“ „Das Ruki verprügelt wurde.“ „Woher willst du das wissen? Er hätte auch gestürzt sein können. Ruki war ein Tollpatsch. Er ist selbst über seine eigenen Füße gestolpert. Ständig waren seine Hände, Arme und Beine grün und blau, weil er sich entweder nicht rechtzeitig, oder gar nicht abfangen konnte.“ Reita deutete auf seine Arme und zuckte dann mit den Schultern. „Du glaubst also, Ruki hatte diese Verletzungen durch einen Sturz?“ Uruha hatte nun seinen Stift zur Seite gelegt und blickte ihn ernst und aufmerksam an. Reita nickte knapp. „Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass dahinter etwas anderes stecken könnte?“ Stur schüttelte Reita den Kopf. „Ruki hat nie etwas erwähnt.“ Uruha seufzte leise und strich sein brünettes Haar aus seiner Stirn, nickte schließlich. „In Ordnung. Aber das führt mich unweigerlich zu der Frage, wie gut ihr befreundet ward.“ „Wir waren befreundet. Reicht das nicht?“ Ärgerlich starrte er den Anderen an. „Ich differenziere nicht zwischen gut und schlecht. Er war mein Freund. Zumindest habe ich versucht seiner zu sein.“ „Was heißt das, du hast es versucht?“ Reita zuckte mit den Schultern. „Er hat es mir nicht gerade leicht gemacht.“ „Warum? Weil er im Gegensatz zu dir Interesse gezeigt und erwartet hat?“, warf Uruha spöttisch ein, was Reita dazu veranlasste, ihn wütend anzustarren. „Nur weil ich mich in keine Probleme von anderen Menschen einmische und distanzierter bin, heißt das noch lange nicht, dass ich für meine Freunde nicht da bin! Wenn er mit mir reden hätte wollen, hätte ich ihm jederzeit zugehört!“ „Wusste er das?“ Sprachlos saß Reita da. Ob Ruki das wusste?! [Mir stockt der Atem, ich muss Luft holen, kann diesen Scheiß nicht mehr ertragen, es ist heftig zu sehen, was mit dem Kleinen geschieht, dass die Mutter ihren Sohn fast verhungern ließ! Das ist dein Fleisch und Blut, dein eigener Sohn, es ist unverständlich, wie kann eine Mutter sowas tun? Der neue Macker ist ihr wichtiger als das eigene Kind, das Leiden und die Schreie haben leider nicht sehr viel bewirkt. Doch bemerkt haben es viele und sie haben was unternommen, das Amt meint alles scheint okay zu sein, die Akte wird geschlossen.] Es hatte draußen wie aus Eimern gegossen, als Ruki zu Reita in den Musikraum gekommen war. Reitas Mathelehrer war krank gewesen, deshalb hatte er bereits zwei Stunden hier verbringen und an seinen Projekten weiter arbeiten können. Sein Bass hing neben ihm, in seiner Halterung, der Verstärker daneben geschoben. Das Kabel hatte einen Wackelkontakt und Reita nahm gerade das Gehäuse auseinander, als Ruki sich neben ihn setzte und ihm nun dabei zuguckte. Es dauerte lange, bis Reita die Kontakte wieder hergestellt und das Gehäuse wieder zusammen geschraubt hatte. Und als er das Kabel zurück in seinen Bass schob, funktionierte alles wieder. Zufrieden hob der Blonde also sein Instrument wieder aus der Gabel und positionierte es auf seinem Schoß um ein wenig darauf spielen zu können. „Was spielst du?“, fragte Ruki leise und Reita deutete wortlos auf eines der Notenblätter vor sich. Kurz musterte Ruki den Älteren, dann beugte er sich vor um den Titel zu lesen. Er nickte nur und stand auf, trat auf den Schrank zu und baute sein Instrument auf. Solange sie niemanden hatten, der den Gitarrenpart für ihre Lieder übernahm, begleitete Ruki Reita. Noch fiel es ihm schwer Gitarre zu spielen und gleichzeitig zu singen, aber Reita sagte dazu nichts. Sie spielten das Lied vier Mal durch, bevor Ruki dazu mitsang. Der Text war noch nicht komplett fertig, einige Passagen zwischendurch fehlten immer noch, dennoch hörte es sich nicht schlecht an, und Reita war zufrieden. So etwas sagte er Ruki nie. Also klimperte Reita noch ein wenig auf seinem Bass herum, während Rukis Gitarre auf dem Tisch lag und er wieder an dem Text saß, um ihn zu Ende zu schreiben. Doch statt zu schreiben, hing sein Blick an dem Jungen ihm gegenüber, der Stift unbenutzt in seiner Hand. „Reita?“, sprach er ihn schließlich leise an und der Ältere warf ihm einen kurzen Blick zu, blätterte dann um und begann damit, andere Passagen zu spielen. „Hmhm“, sicherte er ihm allerdings noch seine Aufmerksamkeit zu, was diesen aufatmen ließ. Er brauchte eine Weile um wieder etwas zu sagen, und schließlich verging soviel Zeit, dass Reita schon fast vergessen hatte, dass Ruki ihm etwas sagen wollte. „Reita, ich… ich habe mich in dich verliebt.“ Die Finger des Blonden stoppten und der letzte Ton fiel hallend von der Saite. Sein Blick fixierte den Verstärker, während er darüber nachdachte, was genau ihm Ruki gerade mitgeteilt hatte. Einen Moment lang überlegte er, ob er sich verhört haben konnte, aber dann gestand er sich ein, dass er die Worte klar und deutlich vernommen hatte. Noch einmal brauchte und wollte er die Worte nicht hören. Schließlich nickte er langsam. „Okay“, sagte er nur und nickte erneut, bevor er weiter spielte. Mehr sagte er nicht. Und als Ruki aufstand und, nicht wie sonst, ohne ihn nach Hause ging, lief er ihm nicht nach. Ihm wäre kein Grund dazu eingefallen. „Hat sich in eurer Beziehung zueinander etwas verändert?“ Nachdrücklich schüttelte Reita den Kopf. „Nein. Er war immer noch mein Freund.“ Uruha nickte, bevor ihm etwas einzufallen schien. „Du hattest keine solchen Gefühle für den Jungen?“ Damit traf er Reita scheinbar unvorbereitet, denn dieser zuckte heftig zusammen. „Was?!“ „Er war in dich verliebt. Du nicht in ihn?“, formulierte Uruha die Frage anders und beobachtete die Reaktionen des Anderen genau, der ihn offenbar nun nicht mehr anschauen wollte. „Ich habe nie gesagt dass ich nicht… dass ich ihn… Ich weiß es nicht, und nein! Nein! Das geht dich auch überhaupt nichts an!“, brachte Reita schließlich hervor und biss auf seiner Unterlippe herum. „Er war mein Freund. Über so etwas habe ich überhaupt nicht nachgedacht.“ „Mir scheint, du hast über so einiges nicht nachgedacht. Hat er dich nie um Hilfe gebeten?“ Nachdenklich fixierte Reita erneut eine der Kakteen. „Natürlich hat er das. Aber es gibt viele Arten von Hilfe. Hausaufgaben. Instrumente. Texte. Noten. Manchmal hilft es schon, Jemanden um sich zu haben.“ „Nichts anderes? Wirklich nicht?“ [Dass der Typ vorbestraft war, das interessiert sie nicht, die letzte Chance, der Junge schaut dem Schicksal ins Gesicht. Der Stiefvater wird irre und misshandelt das Kind. Er schlägt immer wieder auf ihn ein, ich leide mit dem Kind. Es kommt Hart auf Hart, Schlag auf Schlag.] Es war fast in der Nacht als es an der Haustür klingelte. Reita saß noch immer an seinem Computer und unterhielt sich per Messenger mit seiner Schwester, die am anderen Ende Japans bei seiner Mutter lebte. Seine Eltern hatten sich schon vor sechs Jahren getrennt, und seine kleine Schwester war ihr einziges Bindeglied zueinander. Mit seiner Mutter hatte Reita nie eine innige Beziehung gehabt. Zu seinem Vater ebenfalls nicht. Nur seine Schwester war ihm immer wichtig gewesen, bereits der Tag ihrer Geburt hatte sein Leben verändert. Der Grund, warum er nun nicht bei ihr war, war der richterliche Beschluss, das Sorgerecht aufzuteilen und sein Leben zu spalten. Sein Vater war wieder einmal nicht da, so wie sonst eigentlich auch, als Reita sich von seinem Stuhl erhob und durch den Flur zur Haustür wanderte. Schweigend starrte er den völlig durchnässten Jungen an, der in seinem Türrahmen stand, und nach einer Weile trat er beiseite und ließ ihn eintreten. In seinem Zimmer trat er sofort an seinen Schrank und suchte einen Satz Klamotten heraus, legte sie Ruki hin, während dieser langsam begann, sich aus den nassen Sachen zu schälen. Schweigend verließ Reita den Raum erneut, suchte in der Küche in der Kühltruhe nach Eis, kramte ein Geschirrtuch heraus und warf die Würfel hinein, wickelte das Tuch darum und brachte es zurück in sein Zimmer, schloss die Tür hinter sich. Ruki stand in Unterwäsche vor ihm, die nassen Sachen lagen um ihn herum auf dem Boden, mit dem T-Shirt von Reita in der Hand. Ausdruckslos starrte er den blassen, dürren Oberkörper seines Freundes an, registrierte die blauen Flecke und die lila Quetschungen, während beständig Blut von seiner Nase über seine Lippen und sein Kinn tropfte. Reitas Herz beschleunigte sich um ein paar Grade bei diesem Anblick und er trat auf ihn zu, blickte hohl in die Augen des deutlich Kleineren, der vorsichtig zu ihm aufblickte, das T-Shirt wie schützend an seine Brust ziehend. Nur kurz widerstand Reita dem Drang, Ruki zu berühren. Er hob langsam die Hand, schob das T-Shirt beiseite und tastete mit den Fingerspitzen über Rukis Brustkorb, deutlich die einzelnen Rippen unter seinen Fingern spürend. Er hatte das Verlangen sie abzuzählen, wollte wissen, wie viele Ruki besaß, und ob man tatsächlich alle ertasten würde können, doch im nächsten Moment hatte er sich wieder unter Kontrolle, zog seine Finger weg und hob stattdessen den selbst angefertigten Eisbeutel und drückte ihn gegen Rukis Nase. Dessen Augen weiteten sich überrascht, bevor er eilig den Kopf senkte und eine Hand hob, um den Beutel selbst halten zu können. Noch immer sagte keiner ein Wort, und als Reita sich dabei ertappte, dass er noch immer damit kämpfte, Ruki darauf aufmerksam zu machen, dass er in seinen Augen etwas zu dünn war, selbst für seine Größe, trat er endlich zurück und schritt zurück zu seinem Computer. Seine Schwester wartete auf ihn. Allerdings verabschiedete er sich schon bald von ihr, denn seine Konzentration war dahin. Er verstand die Wut in sich nicht, die plötzlich ohne Ankündigung in ihm aufgeflammt war, und er wusste nicht, gegen wen sie sich richtete. Jetzt hatte er nicht nur mehr das Verlangen, Ruki auf seine offensichtliche Magersucht aufmerksam zu machen, er hatte viel mehr das Gefühl, ihn anschreien zu wollen. Verwirrt warf er dem Jüngeren einen Blick zu, doch dieser hatte sich mittlerweile angezogen und von seinem mageren Körper war unter den zu weiten Sachen kaum noch etwas zu sehen. So fiel es Reita leicht sich zur Ordnung zu rufen und sich einzureden, dass er sich verguckt haben musste, dass Ruki einfach nur dünn war. Viele Menschen waren dünn. Bei vielen Menschen könnte man die Rippen nur durchs angucken zählen. Nur die blutende Nase und die Flecken konnte er sich diesmal nicht wegdenken. Reita schlief in dieser Nacht auf der Couch. „Ich verstehe das nicht.“ Verwirrt hob Reita den Blick und ihm war mittlerweile fühlbar anzumerken, wie sehr ihn dieses Gespräch mitnahm. Uruha blickte den Anderen aus seiner Brille heraus verärgert an. „Du hast das alles gewusst, du hast ihn gesehen, warum zum Teufel hast du nichts gesagt? Er war doch dein Freund! Warum hast du all das einfach ignoriert? Du konntest doch gar nicht mehr glauben, dass Ruki die Verletzungen durch irgendwelche Stürze haben könnte! Es war so offensichtlich, was passiert ist, warum hast du nichts getan?“ Sprachlos blickte er Uruha an, der seine Finger fest in seinen Notizblock gekrallt hatte. Langsam schüttelte er den Kopf, zuckte fast hilflos mit den Schultern. „Es ist- Er hat nie was gesagt, also hätte doch-“ „Warum hast du nicht gefragt?!“ „Wenn er gewollt hätte, dass ich weiß was los ist, hätte er mir gesagt was-“ „Vielleicht hättest du einfach mal Interesse zeigen sollen, vielleicht hätte er dann mit dir darüber geredet!“, fuhr ihm Uruha wieder dazwischen, mittlerweile angespannt nach vorn gelehnt. „So bin ich eben nicht, ich habe darauf gewartet dass er von sich aus-“ „Das hast du jetzt schon zum hundertsten Mal gesagt, aber das ist doch völlig bescheuert! Dein Freund ist misshandelt worden und du hast nichts gesagt!“ „SCHIEB MIR GEFÄLLIGST NICHT DIE SCHULD DAFÜR IN DIE SCHUHE! ICH WEISS GANZ GENAU DASS DAS JUGENDAMT MEHRMALS BEI IHM UND IN DER SCHULE WAR! VERSUCH MIR NICHT DEN FEHLER DES AMTES ZUZUWEISEN, NUR WEIL LEUTE WIE IHR VERSAGT HABT!“ Reita hatte seinen Satz nicht einmal zu Ende geschrien, da wurde von außen ein Schlüssel in das Schloss gesteckt und aufgeschlossen, die Tür aufgerissen. Mehrere Beamte kamen hinein gestürzt, redeten auf Uruha ein und versuchten ihn dazu zu bewegen, das Gespräch abzubrechen. Reita bekam kaum etwas davon mit, er schnappte lautstark nach Luft und sein Brustkorb hob und senkte sich angestrengt unter seinen Versuchen, seine Lungen wieder mit Sauerstoff zu füllen. Es fiel ihm schwer sich zu beherrschen, denn ihm war direkt klar geworden, was er gerade zugegeben hatte. Er hatte von dem Jugendamt gewusst. Von den Besuchen bei Ruki zuhause und bei ihnen in der Schule. Beamte hatten mit den Lehrern besprochen. Darüber, dass Rukis Stiefvater ihn misshandelte. Er hatte es gewusst. Dieser kleine, unscheinbare Junge. Die Wunden, die ständigen Krankheiten. Seine Texte. Sein zittriges Lächeln. [Es ist der Tag an dem der Schmerz den höchsten Punkt erreicht, der Schmerz der kurze Zeit die Qualen, des Jungen erleichtert. Es hätte nicht passieren müssen, ich geb dem Staat die Schuld. Sie hätten es verhindern können, doch sie standen rum. Und der Arsch, der noch in der Lage ist, ein Kind zu schlagen, die dreckige Mutter die so was zulässt ohne was zu sagen.] „Das ist das dritte Mal diese Woche, dass du zu spät bist. Ich möchte, dass das aufhört, Takanori! Hörst du? Wenn du nur noch einmal zu spät kommst, werde ich bei deinen Eltern anrufen und sie über dein wiederholtes Fehlverhalten informieren!“ Reita blickte seinen Freund an, der hastig nickte und demütig den Kopf senkte, bis ihr Klassenlehrer sich schließlich umdrehte und aus dem Raum marschierte. Er benahm sich merkwürdig, dass fiel sogar, oder gerade, Reita auf. Die Frage lag ihm auf der Zunge, er war kurz davor sie über seine Lippen dringen zu lassen, als eine Scharr kichernder Mädchen den bis gerade eben noch leeren Klassenraum stürmten und sich um Reitas Pult drängten. Erst mit einem Blick auf die Verpackungen und Kärtchen in ihren Händen erinnerte er sich daran, was heute für ein Tag war. Valentinstag. Er nickte nur, bedankte sich oberflächlich bei den Mädchen, während sie ihm Schokoladenschachteln in die Hände drückten, und nach, ihm eine endlos erscheinende Weile, endlich wieder verschwanden. Nun hatte er vergessen was er sagen wollte. Das was auf seiner Zunge gelegen hatte, war verschluckt worden. Stattdessen starrte er nun auf die Geschenke herab, bevor er sich zu Ruki drehte und mehr als die Hälfte auf seinen Pult legte. „Ich mag keine Schokolade“, knurrte er nur zur Erklärung, als der Jüngere fragend aufblickte. „Und du hast es ehrlich mehr verdient als ich.“ Es war über seinen eigenen Satz wohl verwirrter, als Ruki selbst. Innerlich redete er sich mit der Tatsache heraus, dass er damit wohl eher meinte, dass Ruki es mehr gebrauchen könnte. „Lass uns runter gehen, ich habe hunger.“ Sie erhoben sich, gingen durch die Gänge hinunter zur Kantine. Aufmerksam starrte Reita Ruki eine ganze Weile lang auf die Beine. Er bildete sich nicht nur ein, dass der andere komisch ging. Eine weitere Traube von Mädchen ließ ihn seinen Gedanken erneut vergessen, bevor er ihn aussprechen konnte. Als sie später schließlich an einem Tisch saßen und Reita sich über seinen Teller hermachte, fiel es ihm zum ersten Mal wirklich auf. Ruki saß ihm gegenüber und… und was eigentlich? Reita hielt inne und starrte Ruki eine Weile lang an. Er war blass. Hatte tiefe Augenränder. Er sah unheimlich erschöpft aus. Krank. Reita war sich sicher, dass er Rukis Wangenknochen noch nie als so markant empfunden hatte. Seine Lippen waren so spröde und schmal. Es waren alles Dinge, auf die Reita sonst nie achtete. Er konnte nicht einmal sagen, ob er sich all das nicht wieder nur einbildete, denn bisher hatte ihn Rukis Gesicht noch nie so interessiert. Aber plötzlich, jetzt hier, wusste er instinktiv, dass er sich irrte. So hatte Ruki nie ausgesehen. Und der Gedanke, wann genau es passiert war, dass Ruki angefangen hatte sich so drastisch zu verändern, machte ihm fast schon Angst. Er hatte es nicht bemerkt. Oder aber er hatte es nicht bemerken wollen? Langsam hob er seine Gabel zu seinen Lippen und schob sie in seinen Mund, während er kauend Rukis dürre Finger betrachtete. Wenn Rukis Finger früher über die Gitarrensaiten gestrichen hatten- waren sie da auch so dünn und knochig gewesen? Wann hatte Ruki das letzte Mal mit ihm zusammen in der Kantine gegessen? Sein Hals war wie zugeknotet, weshalb er sich räusperte und schließlich seine Gabel zur Seite legte. Ruki blickte ihn nun fragend an, vorher hatte sein Blick in die Leere in Richtung des Fensters hinter Reita gestarrt. Es fiel Reita schwer etwas zu sagen. Mit der Hand fuhr er sich durch sein blondiertes Haar, er holte tief Luft, leckte sich die Lippen und sein Blick huschte von links nach rechts. Und als ihm schließlich die Wörter einfielen, war er sich nicht mehr sicher, ob es klug war, sie auszusprechen. Ein weiterer Blick in Rukis bittende Augen, ließ ihn schließlich den Zwist in sich vergessen. „Brauchst du Hilfe?“ Das Kratzen des Stiftes auf dem Papier machte ihn jetzt fast wahnsinnig. Er wusste nicht warum, es hatte ihn vorher nie gestört, und bisher hatte er nie den Drang verspürt, wissen zu wollen, was Uruha auf seinem Block notierte. Warum es plötzlich so war, konnte Reita nicht sagen. Er wollte hier nur noch raus und hätte es alles andere als schlecht gefunden, wenn die Beamten die Sitzung sofort abgebrochen hätten. Aber sie waren wieder gegangen, ohne ihn, hatten Uruha die Chance gegeben, sich noch weiter mit ihm zu unterhalten. Dieser sah ebenfalls erschöpft, aber deutlich entschlossen aus, dem allem hier ein Ende zu setzen. Ein Ende, welches er sich vorstellte. Und Reita war nicht mehr sicher, ob er diese Vorstellung teilte. „Wir haben noch zwanzig Minuten, Reita“, erklärte Uruha ruhig, suchte den Blick des Anderen. Reita hatte sich wieder beruhigt, er hatte die Kontrolle über sich zurück erobert, aber er war noch immer aufgekratzt, und er war sich sicher, weitere Vorwürfe würde er nicht schreiend über sich ergehen lassen können. Aber stattdessen verlangte Uruha etwas anderes von ihm. Er wollte keinen Einzelheiten mehr wissen, nicht weiter in Reitas Wunden bohren. „Erzähl mir von dem Tag, Reita.“ Er nickte, aber lange Zeit brachte er kein Wort heraus, bevor er anfing zu lachen. [Es geht nicht so, man kann Kinder doch nicht schlagen, hilflos weinend, schwach vor Hunger schlägt er ihm in seinen Magen, die Mutter wartet, und wartet, schweigt und starrt nur rum, die Qualen des Jungen ziehen sich um weitere Sekunden, und der kleine Körper, fast nur Haut und Knochen kann nicht schalten, innerlich blutet er stark, der Stiefvater weiterschlagend. Es kommt Hart auf Hart, Schlag auf Schlag.] Es war einfach nicht Reitas Art. Die Einzige, für die er je eingestanden war und würde, zumindest hatte er das gedacht, war seine Schwester gewesen und bisher hatte er nicht einmal gegen seine Prinzipien verstoßen. In die Angelegenheiten von anderen Menschen einzugreifen war tabu, er kümmerte sich nur um seine eigenen Probleme, denn er selbst hatte nicht wenige davon. Seine Kindheit war auch nicht gerade das Gelbe vom Ei gewesen, und damals hatte man ihm beigebracht, dass nur Einzelkämpfer weiter kamen, und dass es belastbar war, sich in die Probleme Anderer einzumischen. Es kam ihm einfach falsch vor. Er fühlte sich dabei verdammt schlecht. Das Paradoxe nur war, dass er sich genauso schlecht fühlte, wenn er es nun nicht tun würde. Und obwohl all dies in seinem Kopf herum spukte, und es schlichtweg nicht Reitas Art war, befand er sich nun auf dem Weg zu Ruki nach Hause. Natürlich wusste er, wo sein Freund wohnte. Schon des Öfteren hatte er ihn hier abgeliefert. Nur mit oben gewesen, das war er noch nie. Dementsprechend merkwürdig fühlte er sich nun, als er die Stufen des Treppenhauses hinauf stieg. Das Haus hatte genau drei Etagen, und Ruki wohnte ganz oben- soviel wusste er. Ohne darüber nachzudenken begann er die Stufen zu zählen, dachte sich nichts dabei, als er die Flecken auf der grauen Fliese entdeckte, bis er an der letzten Stufe nach oben stehen blieb. Langsam hob er seinen Blick und stand einen Moment lang versteinert da, bevor er seine Beine dazu überreden konnte, auch die letzte Hürde zu springen. Entweder sollte er es durchziehen oder für sein Leben einen kompletten Rückzieher machen. Letzteres gab es bei ihm nicht. Langsam schritt er weiter, blieb vor Ruki stehen, der in sich zusammengesunken an der Wand lehnte. Seine Knie zitterten, und erst, als Reita ihm stützend unter die Arme griff, ließ sich der Junge langsam auf den Boden rutschen. Reita ließ sich zeitgleich auf dem Boden nieder, betrachtete den Jüngeren schweigend, hob schließlich sein Kinn, um ihm ins Gesicht blicken zu können. Er war ich nicht sicher, ob es das Richtige gewesen war. Ruki weinte. Sein Gesicht war vollkommen verunstaltet, seine Nase schien gebrochen, seine Lippen waren zur jeden Seite aufgeplatzt, beide Wangen angeschwollen und seine Augen konnte Ruki kaum noch öffnen. Durch das Blut, welches nicht nur aus seinem Gesicht kam, zogen sich helle Streifen seiner Tränen. Aber nichts bestürzte Reita mehr, als der Ausdruck in Rukis Augen. Der tiefe Schmerz wurde mittlerweile von unendlicher Müdigkeit überragt. Ohne, dass Reita näher darüber hätte nachdenken können, schlang er die Arme um Ruki und zog ihn dicht an sich heran. Ihm war egal, dass er in einer Blutlache saß, in Rukis Blut, dass es ein Junge war, den er hier umarmte, und er interessierte sich nicht dafür, dass dies wohl Rukis letzten Momente mit ihm gemeinsam waren. Stattdessen schloss er die Augen und lauschte dem flachen Atem des Jüngeren. Aber so sehr er es auch versuchte- diesmal konnte er sich nicht einreden, dass alles in Ordnung war. Nicht, wenn er das leise Klatschen des Blutes auf die Fliesen hörte. Nicht, wenn der Körper in seinen Armen wie ein Sack nach unten hing. Nicht, wenn die warmen Tränen auf seine Schulter tropften. Nicht das Rot des Blutes, welches aus Rukis aufgeschlitzten Handgelenken floss. Die Leere die sich in Reita ausbreitete war unerträglicher als sämtliche Gefühlsausbrüche, die er sich plötzlich wünschte. Aber stattdessen saß er einfach nur da, seinen besten Freund in den Armen, während er ihn auf seinem letzten Gang begleitete. Ihm machte nicht einmal das Husten des Jüngeren Angst, es erschreckte ihn nur mäßig, als es erst leise, dann immer lauter wurde, welches den dürren Körper in seinen Armen erbeben ließ. Auf die Idee, einen Krankenwagen zu rufen, kam er nicht. Er wusste, dass es bereits zu spät war. Und die Zeit, die er mit einem Anruf vergeuden würde, verbrachte er lieber hier, denn wenigstens jetzt wollte er nichts mehr falsch machen. Er spürte, wie das Leben aus Ruki wich, fast körperlich, und er hatte das Gefühl, es sogar schmecken zu können, hörte, wie der Atem des Jungen immer langsamer und flacher wurde, sein Körper immer schwerer. Und genau weil er sich dessen bewusst war, dass dieser Junge in seinen Armen gerade am sterben war, entgeisterte es ihn geradezu, als eben dieser Junge mit letzter Kraft den Kopf zu heben schien, um ihn mühsam anzusehen. Sein Blick war unfokussiert und Reita war sich nicht einmal sicher, ob er ihn überhaupt noch erkannte, und auch seine Worte erahnte er mehr, als dass er sie wirklich verstand. „Bitte…“, hauchte Ruki leiser, als Reita je etwas in der Form vernommen hatte. „Ich kann nicht mehr…“ Sein Kopf sackte zurück an Reitas Brust, und er spürte sich selbst nicken, bevor er ohne zu zögern seine Hand zu seinem Gesicht hob und sie auf Rukis Mund und Nase legte, und zudrückte. Ruki kämpfte nicht. Nur seine Arme zuckten zwei-drei Mal, bevor er körperlich spürte, dass sein Freund nicht mehr bei ihm war. Aber er blieb einfach sitzen. Unbegreifend, dass er diesmal nicht die Augen schließen und alles wegdenken konnte. Er blickte erst wieder auf, als Uruha seinen Namen geradezu schrie. Die rote Farbe ließ sich nur schwer verbannen, doch spätestens, als Uruha ihm in den Arm kniff, wusste er wieder, wo er war. Schweigend blickte er den Anderen an, der zu seiner milden Verwunderung weinte. Das Schweigen hielt an, es war ein Bestandteil in Reitas Leben, welches auch niemals verschwinden würde. „Danke“, wisperte Uruha schließlich und legte seinen Notizblock zur Seite. „Das war alles. Mehr… wollte ich nicht wissen.“ Mehr, hätte Reita auch nicht zu erzählen gewusst. Er musterte den Anderen, bevor er sich erneut umblickte. Der Raum erschien ihm plötzlich nicht mehr so dunkel, wie zu Anfang. „Wer bist du eigentlich?“, wollte Reita schließlich wissen, nein, es war eher eine Formfrage. Wirkliches Interesse daran hatte er eigentlich keines. „Ich bin mit Ruki zusammen aufgewachsen“, erklärte Uruha nach einer Weile. „Als er mit seiner Mutter schließlich weggezogen ist, ist unser Kontakt sehr unregelmäßig gewesen. Das letzte Jahr über, war er komplett weg. Und dann bekomme ich plötzlich die Nachricht, dass der Junge, der mein Leben mit beeinflusst hat, tot ist.“ Er atmete tief durch und legte seine Brille zur Seite, wischte sich über die Augen. „Ich studiere wirklich Psychologie. Ich bin hergezogen und habe mich versetzen lassen, gekämpft, um alles selber zu hören. Ich musste es wissen. Warum. Wenn es mir Jemand anders erzählt hätte, wäre mir das nicht genug gewesen. Jetzt kann ich es verstehen. Nicht nachvollziehen, aber verstehen. Dafür muss ich dir danken.“ Reita nickte nur wie betäubt. Eigentlich war es ihm egal. Aber irgendwas in ihm wusste, dass es das nicht war. Er nickte einfach nur. „Okay“, sagte er schließlich und senkte den Kopf. „Okay.“ Erneut kamen Beamte herein, diesmal mit einem Polizisten, welcher die Handschellen von dem Sessel löste und Reita zum aufstehen zwang. Seine Hände wurden hinter ihm wieder eingefangen, dann wurde er abgeführt. [Ich frag mich leise, wie kann nur sowas passieren? Dass die Welt nur zuguckt, und dass niemand hilft. Ich frag mich leise, wie kann nur sowas passieren? So darf es nicht weiter gehen, dass wir die Augen verschließen, und sowas ignorieren.] Er war wie betäubt. Nichts war mehr wichtig. Es war vorbei. Alles vorbei. Nur die Hand, die sich um seinen Oberarm schloss, hielt ihn zurück. Uruha. „Ich wünsche dir viel Glück. Wenn du nächsten Monat draußen bist, komme ich dich besuchen. Du wirst auf jeden Fall freigesprochen, denn du bist Unschuldig.“ Reita erwiderte nichts. Woher wollte Uruha wissen, dass es überhaupt einen nächsten Monat gab? Und er war alles andere als unschuldig. Dieser kleine, unscheinbare Junge. Die Wunden, die ständigen Krankheiten. Seine Texte. Sein zittriges Lächeln, welches er nicht beschützt hatte. [„I want to stay here, till the dead voice ends…“] -おわり。 Danke fürs lesen... Und danke für die Kommentare... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)