Wolfswege von Scarla ================================================================================ Kapitel 11: Bei Nikolai ----------------------- Es war ein langer, verwirrender Weg bis zu Nikolai. Der Meister der Zauberergilde bewohnte das höchste Zimmer im Turm und es gab keinen Weg, der direkt dorthin führte, aber das war Nea egal. Sie waren im Turm, hier herrschten andere Zeitverhältnisse. Sie klopfte zaghaft an die Tür, obwohl sie wusste, dass Nikolai sie bereits erwartete. Der jedoch ging auf ihr Spiel ein und bat sie mit einem höflichen >Herein< das Zimmer zu betreten. »Guten Abend, Nikolai«, grüßte sie ihn förmlich. »Nea, ich freu mich, dich einmal wieder zu sehen«, grüßte auch der Mann, der an einem Fenster hinter einem wuchtigen Schreibtisch stand. Er war nicht auffällig groß, auch nicht auffällig klein. Er besaß den Bart, den man sich so gerne bei Zauberern vorstellte, darunter jedoch war ein zeitloses Gesicht zu sehen. Er wirkte nicht jung, aber auch nicht alt. Nur seine Augen verrieten, dass er schon sehr alt sein musste, denn sie waren von einer Weisheit erfüllt, die man bei sonst keinem Wesen zu sehen vermochte. »Die Freude liegt ganz bei mir«, lachte das Mädchen auf und stürzte um den Tisch herum in die Arme des Mannes. Dass sie dabei einen Stapel Bücher umstieß schien niemanden zu interessieren. Die nächsten Minuten dachte auch keiner daran, auf das eigentliche Thema zu sprechen zu kommen, denn Nea erzählte von ihrer Reise und der Mann hörte aufmerksam zu. Tariq bedachte Nikolai mit neugierigen, dennoch aber irgendwie verhalten wirkenden Blicken, während Lugh Akhtar wie so oft schon schnell das Interesse verlor und auf eine Bank sprang, die an einem weiteren Fenster stand. Von hier aus betrachtete er die Stadt, bis Nea bei ihrem ersten Zusammentreffen mit dem Wolf angelangt war. »Er bat mich um Hilfe, also half ich ihm. Er erinnert sich an nichts, was vorher war, nur ab und zu weiß er etwas. Er muss aber mit einem Zauberer zu tun gehabt haben, er stellt nur selten Fragen und er weiß viel über uns«, erklärte sie und der Gildenmeister nickte ermutigend. Als sie geendet hatte, kümmerte er sich aber nicht gleich um den weißen Wolf, sondern lächelte erst einmal Tariq an. »Und wer bist du? Hast du auch solche Probleme?«, fragte er freundlich. Der Junge schüttelte jedoch den Kopf. »Nein, ich will einfach nur nach Hause, nach Lanta. Nea hat versprochen, mich hin zubringen, wenn wir hier waren«, erklärte er und lächelte. »Wie ist dein Name?«, fragte Nikolai weiter und deutete dem Jungen, sich auf einen der Hocker zu setzen, die zwar überall im Raum standen, jedoch ausnahmslos voll gestellt waren. Nachdem er einen frei geräumt und sich gesetzt hatte, antwortete der Junge: »Mein Name ist Tariq.« »Tariq aus Lanta. Magst du mir erzählen, wie du hierher gekommen bist?« Der Mann lächelte so einnehmend, dass der Junge nur einen Moment zögerte, bevor er antwortete. »Das ist eine lange Geschichte und auch keine wirklich interessante. Eigentlich ist sie auch unwichtig, ich komme ja bald nach Hause«, antwortete er. »Es ist also ein Geheimnis, ja?«, hakte der Gildenmeister nach und nach kurzem Zögern nickte Tariq schüchtern. »Nun, dann wollen wir dir dein Geheimnis nicht entreißen. Was wäre denn das Leben auch schon ohne Geheimnisse?« Er lachte und stand dann auf um zu dem Wolf zu gehen. Lugh Akhtar bemerkte ihn zwar, beachtete ihn aber nicht. So standen sie für einige Augenblicke da, die sich zu einer Ewigkeit dehnten. »Was siehst du, weißer Wolf?«, fragte Nikolai so leise, dass niemand anderes ihn verstand. »Eine Stadt, die ich bis zum Grunde meiner Seele hasse. Und ich weiß nicht einmal, wieso«, antwortete der Wolf teilnahmslos. »Gibt es irgendetwas, an das du dich erinnern kannst?« »Natürlich. Ich war klein und alle die mir etwas bedeuteten, den ich vertraute, haben mich hier allein gelassen. Ich durfte nicht gehen, denn niemand hat sich dafür interessiert, was ich wollte. Ich musste tun, was sie wollten«, erzählte er ohne den Blick von der Stadt zu wenden. Sein Ton war bitter. »Nicht mehr? Etwas, das nichts mit dieser Stadt zu tun hat?« »Nein.« Nikolais Blick wurde nachdenklich. Er hob die Hand, wie um den Wolf zu berühren, doch als seine Finger dem weißen Fell schon sehr nahe waren, da schloss Lugh Akhtar seine Augen in Erwartung an den Schmerz, der unweigerlich kommen musste, doch der Zauberer wagte es nicht, seine Bewegung zu Ende zu führen. Stattdessen schaute er verwundert seine Finger an und den weißen Wolf. »Schau mich bitte an. Nur ein einziges Mal«, bat er flüsternd und voller nicht verstandener Sehnsucht. Er konnte nicht glauben, was seine Sinne ihm sagten und er verstand dieses unbändige Verlangen nicht. Es schien ihm, als verzerrte sich sein Herz nach einem Blick in die Augen des Wolfs. Erst schien es so, als wollte der gar nicht reagieren, doch dann blickte er in die grünen Augen des Zauberermeisters. »Ich weiß nicht, wer du bist, weißer Wolf. Aber ich weiß, was du bist«, flüsterte er atemlos, bevor er sich zu Nea umwandte. Nikolai schaute nachdenklich zu ihr hinüber, während er sprach. »Ich kann versuchen, ihm seine Gestalt wieder zu geben, aber ich denke nicht, dass es gelingen wird. Da bedarf es schon einer Macht, die mindestens so groß ist, wie jene, die mein bester Schüler in sich trug.« Nea blinzelte verwundert, nickte dann aber. Nikolai sollte es ruhig versuchen, vielleicht irrte er sich ja, auch wenn es unwahrscheinlich war. Die Konsequenz daraus jedoch war, dass irgendein Zauberer, der ungleich mächtiger war, als Nikolai selbst den Wolf verwandelt haben musste. Und das war wohl bloß ein einziger. Der Zauberer nickte und wandte sich wieder Lugh Akhtar zu. »Darf ich dich berühren?«, fragte er. »Tun Sie es doch einfach. Ich kann Sie nicht davon abhalten«, antwortete der desinteressiert. »Oh doch, das kannst du wohl. Es gibt keinen Zauberer auf dieser Welt, der dich berühren kann, ohne dass du es wolltest«, antwortete Nikolai. Nea blinzelte darauf verwirrt und runzelte nachdenklich die Stirn, sagte jedoch nichts. »Es haben mich aber schon so viele Menschen berührt, warum sollte ein Zauberer es nicht können?« Nun schaute der Wolf doch fragend zu ihm auf. »Weil es zwischen Menschen und Zauberern einen Unterschied gibt, der nicht zu unterschätzen ist. Du musst es mir erlauben, sonst kann ich es nicht versuchen«, antwortete er und lächelte nachsichtig. Lugh Akhtar dachte einen Moment darüber nach. Er hatte nicht vergessen, was es für ihn hieß, berührt zu werden, doch damals waren es Menschen gewesen. Und wer wusste es schon, vielleicht bekam er dadurch ja seine Gestalt und seine Erinnerung wieder. Er nickte. »Danke.« Der Zauberer lächelte und nahm die Wangen des Wolfs in beide Hände. Er schaute unverwandt in die Polarlichtaugen, während er vor sich hin murmelte. Eine ganze Weile geschah gar nichts, dann war es Nea so, als würde die Wirklichkeit sich verschieben. Es fiel ihr einfach nichts Besseres ein, um es zu beschreiben. Es war, als würde es mit einem Mal zwei Wirklichkeiten geben, die sich so verschoben, dass sie übereinander lagen. Sie sah nach wie vor das große, chaotische Zimmer, Tariq, den Zauberer und ihren weißen Wolf, doch sah sie gleichzeitig auch einen vollkommen leeren Raum und an jener Stelle, wo in der einen Wirklichkeit Lugh Akhtar saß, saß in der anderen ein junger Mann. Er hatte langes pechschwarzes Haar und wunderschöne kastanienfarbene Augen, die jedoch von einem unbändigen Schmerz erfüllt voller Trauer den Zauberer anblickten. Es war Nea, als würde ihr Herz zerspringen, wenn sie diese Trauer nicht von dem jungen Mann nehmen konnte. Dann schoben sich beide Teile des Seins wieder ineinander und zurück blieb der weiße Wolf, der sanft seinen Kopf aus dem Griff löste um wieder den gebührenden Abstand zu wahren. »Nichts. Nicht einmal der Schatten deiner wahren Gestalt. Ich hatte es befürchtet«, seufzte Nikolai und ließ sich erschöpft neben dem Wolf auf die Bank sinken. »Aber...«, begann Nea, besann sich dann jedoch eines Besseren. Sie war offensichtlich die Einzige, die den jungen Mann gesehen hatte, was nicht sein konnte. Nikolai war viel mächtiger, als sie, also musste sie es sich eingebildet haben, eine andere Erklärung gab es nicht. »Nun, ich würde euch vorschlagen, meinem Musterschüler einen Besuch abzustatten, vielleicht ist er ja wieder zu Hause. Er kann diesen Bann gewiss brechen, ich bin nicht stark genug dafür«, seufzte er, dann schaute er Nea nachdenklich an. »Du solltest dich übrigens eng an ihn halten, es könnte dir von nutzen sein«, sagte er, erklärte aber nicht, was er meinte, und ganz nach Art der Zauberer wunderte sich Nea zwar, fragte aber nicht. »Ihr könnt gern so lange bleiben, wie ihr wollt. Und jetzt geht bitte, ich muss noch etwas erledigen«, bat Nikolai und warf sie damit regelrecht raus, doch das war ihnen nur recht. Tariq fand das Geschehen langweilig, denn er verstand nicht, was vor sich ging. Nea musste über gewisse Dinge nachdenken, und Lugh Akhtar wollte einfach nur fort von dem Zaubermeister. So verließen sie das Turmzimmer um sich zur Ruhe zu legen. Na, schon eine Ahnung, wer Lugh Akhtar sein könnte? :D Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)