Himmel aus Blut (Überarbeitung) von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: ----------- So, ich hoffe, das hier liest überhaupt jemand... Wäre schön, weil es meiner Meinung nach ziemlich anders ist als die erste Version und auch besser und überhaupt schließt sich der zweite Teil besser an das hier an... Also, ich hoffe ihr habt Spaß, wenn irh das hier lest und ich hoffe, ich schreibe gut genug. Aleksiel ---------------------------- 1990, Japan Das kleine Mädchen lief lachend durch das glitzernde Weiß der verschneiten Winterlandschaft. Seine Mutter winkte ihm zu, während die hellen Locken des Kindes wie eine Flagge im Wind wehten. Übermütig drehte es sich im Kreis und fiel dann jauchzend in den weichen Schnee. Breitete die Arme aus und sah in den grauen Dezemberhimmel, an dem helle und dunkle Wolken entlang zogen, auf dem Weg ins Nirgendwo. Dann ertönte ein Schuss, ein zweiter und es sprang auf. Zwei glühende Augen starrten es an, dann verschwand eine Gestalt. Ein Kind. Ein Junge, der sich auflöste. Mit einer Träne im grinsenden Gesicht. "Wir sind quitt", flüsterte er. Das Mädchen rannte los. "Mama!" Vor dem leblosen Körper fiel es auf die Knie und rüttelte seine Mutter am Arm. "Mama, steh doch auf! Es ist kalt!" Es merkte gar nicht, wie ihm Tränen übers Gesicht liefen. Kalte Tränen, die sofort gefroren. Aber Schnee knirschte und das Kind horchte auf. Langsam drehte es sich um. "Papa!" Wollte aufspringen, zu ihm laufen, doch er hielt es zurück. "Bleib stehen." Seine Stimme war Eis und seine Augen wirkten leer. Kaltes Metall glänzte in seiner Hand, die Wolken und den Himmel widerspiegelnd, und selbst das Kind von fünf Jahren wusste, was nun kommen würde. "Ich gebe dir ein Rätsel auf..." - "Papa, was soll das?!", fragte es ängstlich. Er schien gar nicht zu hören. "...und wenn du es löst, lasse ich dich gehen." Nicht einmal eifriges Nicken registrierte er. Sein ausgestreckter Arm, in der Hand die Waffe, senkte sich zu dem kleinen Kopf herab. "Was ist weicher als Daunen?" Der Abzug klickte unheimlich laut. "Was ist süßer als Honig?" Sein Finger krümmte sich unaufhaltsam. "Was ist härter als Stein?" Eine Explosion. Durchscheinender Rauch stieg in die Luft. Vögel flüchteten mit lautem Kreischen in alle Richtungen. Lärm wie tausend Schlachten. Dann Stille. Im Schnee, wie ein Engel mit ausgestreckten Armen, lag das Kind, das Haar wirr um den Kopf. Die dunklen Augen anklagend gen Himmel gerichtet. "Warum... Papa?", fragte es mit brüchiger Stimme. Dann zuckten seine Wimpern und verschlossen den Blick auf ersterbendes Leben... 1999, England Zaghaftes Klopfen ließ einige Schüler von ihren Heften aufsehen. Die, die weiter schrieben, hörten nur das auffordernde "Herein!" der Lehrerin und das leise Öffnen und Schließen der Tür, bevor durch ein Raunen in der Klasse schließlich alle aufsahen. Mit halb gesenktem Kopf trat ein Mädchen neben den Lehrertisch und gab einen Brief ab. Ein Mädchen... Vierzehn wie sie? Älter? Jünger...? Man sah es nicht. Ihre merkwürdige, anziehende Schönheit fesselte jeden im Raum, die Jungen, die Mädchen, jeden und jeder starrte sie an, wie sie da vor ihnen stand. Ihr Haar war eine Flut wirrer Locken in unvergesslichem hellblond und golden und von einem wunderschönen Himmelblau, mit einer Schleife in dunklem Purpurrot zusammengehalten. Es fiel herab bis über ihre Taille und einige Strähnen hingen ihr ins Gesicht. Das Rot strahlte auch von der sehr viel kleineren Schleife an ihrer weißen Bluse hervor und als Streifen auf ihren weißen Kniestrümpfen. Ihr Rock war schwarz, genau wie die Schuhe mit den kurzen Absätzen. Wenn sie sich bewegte und ihr Haar leicht hinter ihr her wehte, glaubt man Engelsflügel auf ihrem Rücken schimmern zu sehen und bis auf ihren leichten Anschein von Alter, von... Weisheit wirkte sie durch und durch wie ein... wie ein Mensch. Ihr Blick berührte jeden, versank in den Augen aller in diesem Raum, für eine Sekunde oder eine Ewigkeit. Setzt jeden in Flammen. Flammen des Verlangens oder Flammen des Hasses. Verlangen und Hass - zwei Dinge, die nur ausgelöst werden konnten durch die vollendete, vollkommene Schönheit eines Engels. Ihre Augen waren rot und orange und schwarz, brannten förmlich aus diesem hellen zarten Gesicht hervor, wie die roten, blutig glänzenden Lippen vor der weißen Haut. Sie hatte etwas an sich, dass die biedere Schuluniform wie Hohn wirken ließ. "Hallo", sagte sie mit einer unglaublich weichen, sanften Stimme, in der sich leichte Rauheit verlor, wie ein schnurrendes Kätzchen. "Ich bin Ritzuko Kusanagi", sagte sie und schrieb es mich fließender Schrift an die Tafel, wobei die Haut ihres schlanken Armes so weiß schien wie die Kreide. Noch immer schwieg jeder und sah sie an. "Ich komme aus Japan", fuhr sie ruhig fort. Einen Moment lang noch herrschte Stille, dann erinnerte sich die Lehrerin daran, wo sie war, sagte mit leiser Hektik: "Setzt dich doch bitte", und wies auf einen freien Platz. Das Mädchen - Ritzuko - nickte nicht einmal. Ging nur ruhig durch die Reihen, schwebte fast!, und setzte sich dann. Stellte ihre Tasche auf dem Boden ab und sah zur Tafel. Die Ruhe selbst. Wie der Ozean, bevor ihn ein Sturm in die Hölle verwandelte. "Ist die nicht wirklich süß?" Lance Ashton, Klassensprecher und seines Zeichens Macho, starrte fasziniert zu dem blonden Mädchen auf der Mauer, die die Schule umgab, und leckte sich dabei unbewusst die Lippen. "So ein schnuckeliges Püppchen hab ich ja schon lange nicht mehr gesehen." Die Mädchen, die ihn umgaben, konnten ihn nur entgeistert anstarren, während die Jungen ganz seiner Meinung zu sein schienen. "Sie ist eine Hexe", fauchte Alicia Malloy -Katholikin und seine Stellvertreterin dazu - wütend. Als er ihr einen amüsierten Blick zuwarf, versuchte sie zaghaft, Selbstbewusstsein vorzutäuschen, musste aber leider passen. Durchsetzungsvermögen hatte ihr schon immer gefehlt. "Eine Hexe also." Lance grinste sie unverschämt an. "Bist du etwa eifersüchtig?" - "Blödmann." Sie schmollte leise. Und sah wieder zu dem Mädchen. Zu der blonden, hübschen, anziehenden Ritzuko, der alles und jeder verfallen war. Alle Männer zumindest. Und die Frauen... Wer nicht lesbisch war, hasste sie. War das nicht merkwürdig...? Ritzuko saß einsam auf der Mauer, umgeben vom Lärm der Pause. In ihren Hände hielt sie ein dünnes schwarzes Buch, dessen Seiten in der Sonne glänzten, obwohl sie so dünn waren, dass man fast hindurch sehen konnte. Wind säuselte in den Blättern der Bäume und schien ihren Kopf anzuheben, als sie zum Himmel aufsah. Ihr Haar gleißte im Licht wie Schnee, versehen mit einem Schimmer von Goldstaub und Azur. Ihre Augen wirkten wie Feuer, während sie unablässig die ziehenden Wolken verfolgte, auf der Suche nach... Ja, wonach denn? Es frischte auf. Kälte zog heran. Erst langsam, dann immer schneller. Die Wolken wechselten von weiß zu grau und dann wurde der Himmel schwarz. Wie auf ein Zeichen hoben alle die Köpfe und Besorgnis in Erwartung eines plötzlichen Regenschauers leuchtete aus ihren Augen, aber noch bewegte sich niemand. Ein Blitz zerriss die Stille, zerriss die Wolkendecke, die bis dahin schwarze, eisige Finsternis verborgen hatte, und inmitten dieser Dunkelheit leuchtete ein blutroter Mond vor der brennenden Korona der Sonnenscheibe. Nicht einmal das Rauschen des Windes war zu hören, trotz dem er einem Sturm gleich durch die Bäume raste und alles von den Füßen zu reißen drohte. Kein Ton, kein Wort, nur noch Stille. Oder solcher Lärm, dass man nichts mehr hörte. Wieder blitzte es und diesmal schlug die Entladung direkt im Schulhof ein. Schüler wie Lehrer flohen gleichermaßen entsetzt in alle Richtungen, doch so plötzlich in Bewegung, als wären sie aus einem langen Schlaf erwacht. Helle Panik brach aus, als ein wahres Blitzgewitter das Gelände erschütterte. Nur eine stand inmitten dieser Hölle, als würde es sie nichts angehen... Eine Gestalt wie ein schwarzer Teufel tauchte aus der Finsternis der Schatten in den Lichtschein der zuckenden Blitze und schwebte durch einen Vorhang aus Staub und Rauch auf das Mädchen zu. "Engelchen...", flüsterte eine Stimme wie Honig und spitze Zähne blitzten. Ihre Hand streckte sich aus, als wollte sie es allein damit abhalten, näher zu kommen. "Bleib stehen!", so erklang ihre Stimme. Ruhig und kalt. Ein Befehl. Emotionslos. Nur für einen Moment zögerte die Gestalt, dann näherte das Wesen sich weiter dem Mädchen. "Komm süßer Engel, ich will dich fressen." Ihre Stimme klang wie Donner, als Ritzuko ihn abermals warnte: "Bleib stehen, wenn du das Leben liebst." Aber das Monster grinste. "Kleiner Leckerbissen." Es war fast ein Lächeln, das diese Worte auf ihr Gesicht zauberten. "Ared menom doriem patrem nostri", flüsterte sie weich und das Monster blieb stehen. Zögerte, als wäre es sich nicht sicher, ob hier das richtige passierte. "Versor gaium gladium ignis delete." - "Hör auf!", fauchte das Monster und man konnte fast sagen, dass es zitterte. "Hör auf, verfluchter Engel!" Doch nichts beirrte die unschuldige Gestalt. Dieses eine Wort war es, das den Hohn ihrer Miene zu einer fast ebenso scheußlichen Fratze machte wie sein Gesicht und ihn zurück trieb. "Tia mi aven Moridin isainde vadin!" - "Nein, nein, NEIN!" Eine hässliche Dämonenfratze fauchte ihr entgegen, verzerrte Züge, Augen wie geschmolzenes Gold, glühend vor Mordlust. Und Angst. Krallen schlugen nach dem Mädchen, entfachten einen Wirbelsturm, der sie in Stücke zu reißen drohte. Steine, Holzstückchen und Sandkörner ritzten schmerzhaft weiche, weiße Haut, zerfetzten Stück für Stück den Stoff ihrer Kleidung. "Ared menom...", Anstrengung zeichnete ihr Gesicht, "...doriem partrem nostri!" Klauen, wie Messer, streckten sich nach ihr aus, bedrohlich nahe. Blut wurde vom Wind mitgerissen. Das Monster war bei ihr, ein Dämon, in seinem Antlitz der pure Hass und die Mordlust, die sie so gut kannte. Aber er schreckte zurück, als er noch einen letzten Blick in ihre Augen warf, die auf einmal so kalt waren wie Eis, wie der Südpol, und ihre Stimme erklang so tödlich sanft wie ein geschliffenes Messer: "Carpe noctem...." Der Dämon kreischte auf, als er sich langsam aufzulösen begann, als Rauch seine Kleider, ihn selbst durchdrang. "Ich töte dich!", fauchte in letzter Kraft und man hörte seinen ganzen Schmerz, der kaum noch durch den apokalyptischen Sturm übertroffen wurde. Dann verschwand er. Als wäre er niemals da gewesen... Der Sturm legte sich, so schnell wie er gekommen war. Ruhe kehrte ein auf dem Hof. Eine zerzauste Gestalt, blutig, starrte auf den dunklen Fleck, der noch übrig war, die Asche, die er zurückgelassen hatte. Ihre Lippen formten ein Wort, das man nicht einmal gehört hätte, wenn man direkt neben ihr stehen würde: "Abbadon." Sie spürte, wie sie fiel und alles wurde dunkel... Ein Schatten regte sich in einem Baum, als eine Gestalt herunter sprang, mit wehendem schwarzen Mantel, neben eine zweite, deren weißes Haar einen alten Mann vermuten ließ. "Was sagst du?" - "Noch ist sie nicht, was sie werden soll. Gut, aber nicht gut genug." - "Sie ist ein Kind, Israfel. Was erwartest du?" Der Jüngere und doch nicht jüngere lachte leise, aber dann richtete sich sein Blick misstrauisch auf die leblose Gestalt. "Kann sie uns gefährlich werden?" - "Oh Ramiel, du unwissendes Kind." Der Ältere schlug einen Ton an, der seinen Gefährten trotzig aufsehen ließ. "Noch ist ihre Kraft nicht ausgereift. Hier war es einfach. Gegen Abbadon zu siegen..." - "Oh ja", höhnte Ramiel ironisch, während seine Finger durch sein braunes Haar strichen. "Was ist es schon, den Engel des Abgrunds in seine eigene Hölle zu stoßen?" Dennoch lachte er wieder. "Sollten wir ihr Hilfe schicken?" Israfel beobachtete stumm die weibliche Gestalt, die sich wieder zu regen begann, sich umsah und mit fast eisigem Blick plötzlich die Augen auf die beiden Männer richtete. Aufstand, sich flüchtig den Staub von den Sachen klopfte und mit deutlicher Abneigung ging. "Wir können warten", sagte der Mann, bevor er mit wehendem Mantel, gefolgt von seinem Kumpanen, im Nichts verschwand. "Ein Neuer!" Ein Satz, der die Klasse durchzog wie eine Hiobsbotschaft. Es war nur ein Gerücht, aber man sollte es ernst nehmen. Viele Blicke richteten sich verstohlen auf Ritzuko. Zwei Wochen war sie hier und unheimlich, wie nicht einmal der Teufel selbst es wäre. Meist saß sie einfach nur da, auf ihrem Platz, ohne den Trubel um sich herum zu beachten, und las ein seltsames Buch. Klein und schwarz, mit fast durchsichtigen Seiten, das sie niemals aus der Hand zu legen schien. Und obwohl sie nie lächelte, geschweige denn lachte, hat man immer das Gefühl, sie würde sich amüsieren. Über die ganze Welt. Lance schlenderte langsam auf sie zu. Er wusste nicht genau, wie er sie ansprechen sollte, aber er fand, sie hätte ihm nicht die Ehre erwiesen, die er verdiente. Und außerdem fand er sie, trotz der seltsamen Aura, die sie umgab, wirklich verdammt süß. "Hey du..." Eigentlich hatte er vor, ihr auf die Schulter zu tippen, aber noch bevor er das erste Wort ausgesprochen hatte, blitzten ihn schon ihre merkwürdigen Augen wartend an. Ließen ihm nur genügend Zeit, sie befremdet anzustarren, bevor sie sich wieder in ihr Buch vertiefte. "Ich rede mit dir!", sagte er energisch, doch diesmal sah sie ihn nicht einmal mehr an. Leicht genervt und wütend griff er nach dem Buch, aber es war ihre Hand, die seine in einem beinahe Knochenbrechend festen Griff davon abhielt, es zu nehmen. Schmerzerfüllt keuchte er, aber sie schenkte ihm wieder nur einen Blick, diesmal warnend, und als sie dann endlich seine Hand los ließ, schluckte er nur und entfernte sich vorsichtig von ihr. Einige Schüler lachten, aber auch nur, um ihre Nervosität zu überspielen. "Kinder, auf eure Plätze!" Die Stimme der Lehrerin rief alle zur Ordnung. Die Schüler setzten sich, fingen wieder an zu lachen und zu scherzen, um diesen beinahe furchterregenden Vorfall zu überspielen, doch als sie zur Tafel sahen, verstummte nach und nach jedes Gespräch. Es war ein Junge, der sie schweigen ließ. Ein Junge, der jedes Mädchen auf der Stelle zum Erröten brachte und jeden Jungen dazu, wütend mit den Zähnen zu knirschen. Reaktionen, die sehr mit denen bei Ritzukos Auftauchen zu vergleichen waren. Schwarzes Haar, das, hinten kurz, vorn bis zur Nasenspitze, über glitzernde braune Augen hing, die so sehr brannten wie die Hölle und dunkel umrandet waren. Haut wie dunkles Elfenbein, die an heiße Sonne und Meer erinnerte, seltsamer Weise. Schwarze Lederjeans, ein hautenges schwarzes Shirt, darüber eine Lederjacke. Ein goldener Ring, der an seinem Ohr hervor blitzte. Ein Neuer. Eindeutig ein Neuer. Niemand könnte ihn übersehen. Allein sein Blick war unvergesslich, wie er durch die Reihen schweifte, jeden ganz allein anzusehen schien. Feurig wie Ritzukos Augen. Tief wie die Hölle. So, wie man sich die Hölle vorstellte. Aber es waren nicht nur die Augen, die jeden sich umdrehen ließen. Die jeden zu Ritzuko blicken ließen, die auf ihrem Platz saß und ihn anstarrte wie ihren Todfeind. So wie er sie musterte, als wäre sie ein Stück Kuchen auf einem Teller. Da war auch diese Aura von Alter und Jugend, als wäre er nicht ganz menschlich. Selbst der Blick der Lehrerin verriet etwas von den Gefühlen eines Mädchens gegenüber ihrem Schwarm als sie, die Wangen gerötet wie ein schüchternes Schulmädchen, ihn fragte: "Würdest du dich bitte vorstellen?" - "Angelo Martinéz", antwortete er seltsam vertraut mit tiefer, sanfter Stimme. Sanft, aber trotzdem leicht rauh, als würde er sich nur um diese Sanftheit bemühen. Dann ging er lässig durch die Reihen, wobei ihm alle Mädchen schmachtend, die Jungen hingegen feindselig hinterher starrten. Ausschließlich Lance und Alicia, die sich seltsam fragend anblickten. Und Ritzuko, die, jetzt wo er sich auf den einzigen freien Platz - neben ihr - setzte, ihn ignorierte. So, als wäre er nur ein weiteres Möbelstück im Raum. "Hi." Eine warme, rauhe, leicht herausfordernde Stimme, die Ritzuko gelangweilt aufsehen ließ. Ihr Gesicht war unbewegt wie immer, wie jeden Tag, jedem gegenüber, so dass man sich fühlte, als betrachte sie jeden als Insekt, dessen man sich mit einer Handbewegung entwehren könne. Das Grinsen des Jungen ihr gegenüber war derart unverschämt, dass jedes andere Mädchen ärgerlich errötet wäre, auch wenn dieser Junge noch so gut aussah. Aber sie nicht. Eher schien sie zu wissen, dass sie dieses Grinsen von seinem Gesicht verbannen konnte, indem sie ihn ignorierte. Und irgendwann, nach einigen hartnäckigen Minuten voller Schweigen und Ignoranz wich es schließlich gespielter Resignation, da sie nicht weiter reagierte. "Eisklotz", murmelte er leise, während er sich neben sie setzte. Als würde er das nicht schon den ganzen Tag tun. "Angelo Martinéz", sagte er nach einer Weile, als nichts weiter kam und hielt ihr auffordernd seine Hand hin. Diesmal sah sie ihn wieder an. Zögert prüfend, bis sich schließlich ihre schlanken weißen Finger in seine legten. "Ritzuko Kusanagi", sagte sie in dem Moment, als sich ihre Hände berührten und er wollte eigentlich lächeln, triumphierend, dass ihren Eispanzer etwas gebrochen hatte, doch es war, als würde ein kleiner Blitz in ihm einschlagen, von ihrem Finger an, und er fluchte leise, als er seine Hand zurück zog. Es brannte wie Feuer, der kleine etwas gerötete Fleck auf seiner Fingerspitze, da wo sich ihre Hände berührt hatten. Beide starrten auf die kleine Wunde, aus der jetzt ein Blutstropfen austrat. Er sah sie an und sah, wie sie sich leicht über die Lippen leckte, auf seine Hand blickte und er fragte: "Was sollte das?" Das schreckte sie auf und sie verwandelte sich wieder in die Eiskönigin, der sie vorher geglichen hatte. "Was weiß ich", sagte sie dann, widmete sich wieder ihrer Lektüre. "Elektromagnetische Felder... positive und negative Elektronen... Oder auch..." Der Rest des Satzes schien in vorbeiziehendem Schülerlärm unterzugehen, doch wahrscheinlicher war, dass sie ihn nicht beendet hatte. "Oder?" Angelo wartete, aber er hätte genauso gut die Mauer fragen können. Irgendwann griffen seine Finger beinahe unbewusst nach einer ihrer langen Haarsträhnen, die in ihr schönes Gesicht hingen und er betrachtete sie aufmerksam. Ein Gemisch aus Gold und Weiß und Silber und Hellblau. Beinahe unwirklich, aber bevor er genauer hinsehen konnte, entzog sie sich ihm, indem sie ein Stück zur Seite rutschte, eine Kopfbewegung, in der ihr Haar aus seinen Fingern glitt. Er zögert nur einen Moment, bis er sich wieder direkt neben sie setzte, erneut ihr Haar berühren wollte, doch sie strich sich wie zufällig die störende Strähne hinters Ohr, wobei sie erneut seine Hand mit ihrer streifte. Angelo konnte ein leises Grollen nicht unterdrücken, als er aufstand. Ein paar Schritte weit ging, während er seine Hand vor ihr versteckte. Ein neue roter Fleck. Wieder ein kleiner Blutstropfen. Aber er hatte noch nicht vor, aufzugeben. Jetzt erst recht nicht. "Wir sind, was wir sind, davor können wir uns nicht verstecken." Als würde er spüren, dass sie aufhorchte, drehte er sich um. "Abbadon war ein guter Anfang." Sie erstarrte. Es war nicht gleich zu erkennen, wie ihre Augen auf einem bestimmten Punkt verharrten, wie ihre Finger das Buch ein wenig fester hielten. "Was meinst du?" - "Ich würde es nicht sagen, wenn du es nicht wissen würdest. Ich weiß, dass du es verstehst." Er trat vor und wollte ihre Hände greifen. "Wir müssen..." Wind trieb ihn zurück. Wind, der stark genug war, ihn aufzuhalten. Wind, der sie nicht einmal streifte, als wäre er nicht wirklich, nur eine Einbildung, aber es musste etwas sein, denn ihre Augen brannten. Wie an dem Tag, als Abbadon auftauchte. "Break." Eine männliche Stimme hallte über den Platz, der jetzt leerer schien, als je zuvor. Sie war leise und angenehm und erinnerte an den Wind, der sich jetzt legte, auf dieses eine Wort hin, und man erkannte zwei Männer, die ihnen gegenüber standen, nur ein paar Meter entfernt. So nah, dass Angelo sich fragte, warum er sie nicht bemerkt hatte. Sie könnten Zwillinge sein, wenn ihre Haarfarbe nicht verschieden wäre. Eine schwarze Hose, schwarze Schuhe, ein weißes Hemd, ein langer schwarzer Mantel, eine Sonnenbrille, deren verspiegelte Gläser undurchdringlich schienen, ein Ohrring, der silbrig im Sonnenlicht glitzerte. Beide trugen das gleiche, wie Brüder, doch der eine war weißhaarig, der andere brünett. "Ihr schon wieder", seufzte Ritzuko gelangweilt. "Wir tun dir nichts, Kleine", erwiderte der Brünette freundlich, aber mit leiser Distanz. "Es wäre lächerlich, wenn ihr es nur versucht", konterte sie mit gewisser Schärfe und argwöhnischem Blick. "Wir sind friedlich", lachte der junge Mann, als hätte sie einen gelungenen Scherz gemacht. "Das hoffe ich für euch." Auf einmal war sie gar nicht mehr das sanfte liebe brave Mädchen, auch wenn ihre leise Wut ihr dennoch Überlegenheit gab. Haushohe sogar, aber das bemerkten die Männer nicht. "Hör zu, Kind", begann der zweite. "Wir sind keinen Spielzeugmarionetten, die von einem Unfähigen geführt werden. Wir sind besser als Abbadon." - "Das ist jeder", gab sie mit hörbarem Fauchen zurück. "Und nenn mich nicht Kind. Ich habe einen Namen." Ein spöttisches Lachen folgte. Es klang, als wäre sie sicher nicht Ritzuko Kusanagi. "Wärt ihr so gütig", sagte sie ohne auch nur die Spur von Respekt, "mir wenigstens eure Namen zu nennen?" Der zweite, weißhaarige verbeugte sich tatsächlich spöttisch. "Israfel. Siebenter Erzengel unter der Gnade des Herrn." Spöttisch, ja, aber es war doch mehr Wut. "Ramiel. Engel", sagte der andere, der seinen Kumpanen besorgt beobachtete. Eine ihrer Brauen zuckte nach oben, während sie das Paar musterte. "Ich hätte nicht erwartet, dass er tatsächlich jemanden schickt...", murmelte sie und aus ihren Worten klang Überraschung, die aber nicht davon rührte, dass die beiden sich als Engel vorstellten. "Kennst du die etwa?", wagte Angelo zu fragen und die Männer sahen ihn an, als wäre er verrückt geworden. "Spielt das eine Rolle?", fragte Ritzuko, die darüber nicht die geringste Verwunderung zeigte, bevor die beiden ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich lenken. Ramiel setzte sich in Bewegung und kam langsam näher. Seine Hand war nach ihr ausgestreckt, sollte beruhigend wirken, und er sagte: "Komm, Kleines. Gib mir deine Hand. Ich verspreche auch, dass es nicht weh tut." Sie wich zurück und ein Katzenhaftes Fauchen verzerrte ihre Stimme: "Fragt sich, für wen. Ich weiß, wie ich mit euch fertig werde." - "Wohl kaum", spottete Israfel. "Deine Künste nützen dir wenig gegen Engel." - "Spar dir das dumme Geschwätz!", herrschte sie ihn an, während sie eher floh, als bedrohlich wirkte, wie sie es wollte. "Das glaubst du doch selbst nicht!" Dann stellte sich Angelo schützend vor sie. "Verschwindet sofort." Sein Ton war drohend genug, einen Moment der verwunderten Ratlosigkeit zu erzeugen, doch dann holte Ramiel zum Schlag aus. Aber umsonst. Der Junge fing seine Hand ab, als wäre sie nichts. Als wäre keine Kraft dahinter. Hielt sie so fest, dass dem Mann Schweiß auf die Stirn trat. "Kleiner Schwächeanfall?" - "Geh zur Seite!", donnerte Israfel. "Geh, oder es wird weh tun!" Beschwörend richteten sich seine Augen auf Angelo. Hypnotisierend. Zu hypnotisierend, denn der Junge stolperte unter Zwang zur Seite. "Gib mir deine Hand", forderte der Engel Ritzuko auf, die sich genauso wenig bewegen konnte wie Angelo. Aber Israfel war erschöpft, als sie schließlich ihre Hände in die der Männer legte. Widerwillig. "Hab keine Angst." Zwei völlig synchrone Stimmen. "Es wird nicht weh tun..." Immer, wenn Gott einen Sünder strafen will, als Mahnung oder Abschreckung, oder wenn er einen Sünder töten lässt, schickt er einen Engel. Ich frage dich, was für ein Geschöpf mag das wohl sein? Denn einerseits lobt und preist er seinen Herrn, aber andererseits badet er einen seiner Flügel in Blut. Verspürst du da noch den Wunsch, einen Engel zu sehen? Alles war dunkel. Sterne glitzerten an einem düsteren Himmel und der Stern ihrer Kindheit leuchtete über allen. ,Papa!...' Ritzuko fing lautlos an zu weinen. ,Wie konntest du nur...?' Eine Tür öffnete sich geräuschlos und jemand trat ins dunkle Zimmer. "Wer ist da?", fragte sie ängstlich. Eine Hand tastete nach dem Lichtschalter und ein leises Klicken ließ sie geblendet die Augen schließen, als der Raum in Helligkeit getaucht wurde. "Gut geschlafen?", fragte eine bekannte Stimme. "Schön, dass du endlich auf bist. Dann kriege ich vielleicht auch noch ein bisschen Ruhe." Angelo grinste sie hellwach an. "Wie spät?" Ritzuko rieb sich die Augen und suchte nach einer Uhr. Mitternacht. Ächzend schlug sie die Decke zurück und stand auf. Dann fiel ihr Blick auf einen Stuhl neben dem Bett, auf dessen Polsterung ihre Schuluniform lag. Angelo drehte ihr den Rücken zu, nachdem sein Blick ein paar mal begehrlich über ihren Körper gestrichen war, und er machte sich nicht die Mühe, verlegen zu wirken. "Ich dachte, das wäre bequemer für dich." - "Spanner", konterte nur und es klang nicht einmal vorwurfsvoll. Er wagte noch einen Blick in ihre Richtung und sah sie ihre Bluse anziehen, zumindest fast, denn mitten in der Bewegung stoppte sie und sah ihn an. "Natürlich!" Ihre Stimme war so fassungslos, als hätte sie gerade entdeckt, dass die Erde eine Kugel wäre. "Warum hab ich das nicht gleich gemerkt?" Die Bluse segelte zu Boden und sie stemmte die Hände in ihre schön geschwungenen Hüften. "Also verarschen kann ich mich auch allein." - "Was meinst du?", fragte er so unwissend wie möglich und ihr Anblick trug nicht gerade dazu bei, seine Konzentration zu stärken. "Also DAS Spiel hatten wir schon." Sie war sich ihrer Sache ziemlich sicher. "Ich weiß wirklich nicht, was du meinst", versuchte er die Situation zu retten, aber sie winkte ab. "Das würde dir nicht mal deine Großmutter glauben." Dann zeigte ihr Finger so plötzlich auf ihn, dass er zurück sprang, wie vor einem Messer. "Du bist ein Dämon." Sie schüttelte den Kopf nach diesem Satz und er fragte sich ernsthaft, wie sie in ihrer schwarzen, knappen Spitzenunterwäsche so überlegen wirken konnte. "Warum hab ich nicht gleich daran gedacht? Aber wer..." Ihre Worte klangen leicht gedämpft, als sie eine Hand nachdenklich vor den Mund legte. "Es kommt mir so vor, als wärst du jemand, den ich kennen sollte." Er wusste nicht, ob sie scherzte und es kam ihm auch ein bisschen blöd vor. "Wenn ich dir helfen darf..." Sie hob die Hand. "Warte, Angel, ich hab's gleich..." Sie stutzte, dann lachte sie. "Angel." Natürlich hatte sie es gewusst. "Tut mir leid, eigentlich habe ich ein gutes Namengedächtnis..." Dann schüttelte sie abwertend den Kopf und sagte: "Wie kann man nur Angel heißen? Ich meine, soll das ein Scherz sein, oder was?" Er lachte leise und etwas lauter, als er merkte, wie sich ihr Gesicht sekundenlang rötet. "Ist doch ein passender Name, oder?" - "Ironie des Schicksals", bemerkte sie beiläufig. "Jedenfalls - entschuldige. Unwichtige Leute vergisst man doch schon mal." Sie lächelte in sein entrüstetes Gesicht. Sie sah wirklich hübsch aus, wenn sie lächelte. Genau, wie wenn sie ruhig war. Oder wütend. Oder... "Sei nicht böse, ja? Ist doch nur ein kleiner Scherz." Er wartete nicht, ab was sie noch sagen will, sondern sah ihr so direkt in die Augen, dass sie verstummte. "Engel", sagte er und wartete auf ihre Reaktion. Sie erstarrte. Diesmal wirklich und so echt, als wäre sie eine Statue. Sah ihn entgeistert an, als hätte er gebeten, dass man ihm den Kopf abschlüge und irgendwann brachte sie mit einem Würgen hervor: "Engel?" Legte die Hand vor den Mund, presste die Lippen zusammen, als würde sie sich davon abhalten müssen, zu schreien und fauchte dann wütend: "Niemals!", bevor sie sich hektisch anzuziehen begann. "Engel", ertönte das Wort erneut, von der sanften Stimme Ramiels ausgesprochen, die den ganzen Raum erfüllte. "Dabris. Sechster Erzengel im Namen des Herrn. Willkommen auf der Erde." Noch immer hatte sie es nicht geschafft, sich anzuziehen. Die Bluse war offen, zeigte ihren BH und das, was von ihrem Busen noch frei war. "Das ist doch idiotisch!", schrie sie in den Raum. Zitternd. "Komm schon, Kind, wir haben nicht ewig Zeit." Israfel stand plötzlich neben ihr, aber sie zeigte keine Überraschung und nach einem Moment des Schweigens lachte er. "Es ist Zeit. Wir müssen gehen." - "Nein." Trotzig setzte sie sich aufs Bett zurück, wie ein schmollendes Kind. Dunkle Augen funkelten sie an, während Angelo die Szene fasziniert beobachtete. "Dann bleib doch", flüsterte Israfel ihr zu. "Und warte. Aber wenn du allein auch nur einen Fuß aus diesem Zimmer setzt, wirst du es bereuen." - "Warum?" Ihre Stimme war spöttisch. Seine noch mehr. "Ich trag dich auch hier weg. Und ich kann warten. Bis die Sterne verglühen. Es ist deine Entscheidung." Sein Gesicht war so nah vor ihrem, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als ihm in die Augen zu sehen. Schließlich stand sie auf, mit versteinerter Miene, und griff nach dem Rest ihrer Sachen. Die Engel lächelten. "Brav. Niemand wird dir etwas tun." Doch in diesem Moment zersprang eine Vase auf dem Fensterbrett in tausend glühende Scherben. Ritzuko sah Israfel an, mit glühenden Augen, als würde sie innerlich brennen. "Du weiß nicht wie sehr ich leiden muss..." Alle Blicke im Raum waren auf Ritzuko gerichtet. Alles schienen den Atem anzuhalten, während jeder sie anstarrte. "Was soll das heißen?", fragte Angelo - Angel - und trat drohend auf sie zu. Noch mehr Misstrauen als vorher, trotz ihrer plötzlichen Stärke überflutete das Angesicht des Mädchens. "Ich bin nicht, was ihr denkt. Ich will und werde es niemals mehr sein. Ich lasse mich nicht herabwürdigen auf die Stufe eines niederen, verfluchten Engels. Eines schwachen, nutzlosen Sklaven!" Die Engel schienen selbst zu Dämonen zu werden in ihrer Wut. "Damit verletzt du den Willen Gottes!" - "Der Wille Gottes", ahmte sie die Worte nach. "Der Wille Gottes! Ich scheiß auf den Willen Gottes! Er ist nicht mein Herr und ich werde mich ihm nie beugen." Und noch ehe Angel seine Gedanken in Worte fassen konnte, fauchte sie ihn an: "Niemals werde ich wie ihr ein Diener sein!" Die Verachtung in ihrer Stimme war echt. "Engel sind nutzlos, aber Dämonen sind ekelhaft. Widerwärtiges Ungeziefer." Aber als würde sie wissen, dass das ein Fehler war, wandte sie sich mit schockiertem Gesichtsausdruck ab. Angel sah sie nur an. Sein Gesicht war völlig emotionslos, als wäre in ihm nur noch Eis, das selbst aus seinen brennenden Augen strahlte. Dann schüttelte er den Kopf und trat einen Schritt vor. Einen Schritt nur, aber in dieser winzigen Sekunde veränderte sich alles. Es war, als würde auf einmal alles Licht aus der Luft in diesem Zimmer gesogen. Die Lampen strahlten noch schwache Helligkeit ab, aber nichts konnte der dunklen Gestalt, die jetzt erschienen war, ein wenig Licht geben. Wie ein Schatten, ein alles verschlingendes dunkles Licht, wuchs die Gestalt Angels, bis sie drohend über ihnen aufragte. Ein fast zwei Meter großer Schatten in tiefstem Schwarz, in dessen Augen ein rotes Feuer glühte, ein Fenster zur Hölle, durch das man die gepeinigten Seelen zu sehen glaubte. Eine goldene Aura, durchsetzt von Dunkelheit, umstrahlte sein ganzes Selbst, die schlanke männliche Gestalt mit Flügeln, die das Licht verschlangen. Wildes Haar in tiefem, dunklem, blutigem Violett und Purpur, wie der Himmel der Nachtdämmerung nach einer großen Schlacht, das ihm über die Stirn fiel, sein Gesicht halb verdeckt. Haut wie Elfenbein. Ein arrogantes Lächeln, das spitze Zähne zeigte, schneeweiß und glitzernd. Ohren, die spitz zuliefen, wie es bei Dämonen üblich war, und an einem hing das Zeichen des Satans. Hände in schwarzen Handschuhen, die seine Fingerspitzen freiließen, und Nägel wie Krallen. Ein dämonischer Schriftzug auf seiner Stirn, der ihn als den auswies, der er war: "Arael, Prinz der Hölle. Zukünftiger Satan." Eine leichte, spöttische Verbeugung folgte. "Nennt mich Angel." Ritzuko stand nur weiterhin mit dem Rücken zu ihm da, versuchte vergeblich die Knöpfe ihrer Bluse zu schließen und sah ihn nicht an. "Ich weiß, wer du bist", fauchte sie fassungslos. "Ich weiß, wie Dämonen aussehen." - "Sei nicht so feige!", fauchte Israfel ihr zu. "Du bist ein Erzengel, stell dich deiner Verantwortung! Oder hast du etwa Angst?!" Er packte das Mädchen an der Schulter und riss sie herum, versuchte ihr in die Augen zu sehen, die sie fest zu gekniffen hatte. "Du hast in Zehntausenden von Schlachten gegen die Dämonen gekämpft, willst du jetzt Angst haben?" - "Angst?", klang es gequält zu ihnen herüber und jetzt öffnete Ritzuko die Augen. "Als wüsstest gerade du, was Angst ist..." Sie presste die Worte hervor, aber es schien nur so gesagt zu sein, als etwas unwichtiges, nebensächliches, denn jetzt sah sie Angel an und in ihrem Blick lag etwas völlig Unbekanntes. "Sieh ihn an", hauchte sie schwach. "Die Verführung. Der Sohn Satans. Glaubst du nicht, er wäre der schlimmste unter ihnen, wenn er von seinem Vater all die Schönheit des Himmels und all die Bosheit der Hölle geerbt hat?" Ihr Blick in Angels Augen war auf eine merkwürdige Weise bittend. "Es wäre doch eine Verschwendung, etwas hässliches ,Engel' zu nennen... Hätten sie es sonst getan? Nein, sie wussten, was sie taten... Und sie taten es schon vor Milliarden von Jahren..." Dann schlug sie die Hände vor die Augen und seufzte leise. "Ich hasse dich so sehr... Angelus..." Stille war eingekehrt. Ritzuko stand mitten im Raum, halb angezogen, halb nackt, aber das interessierte im Moment keinen von den Männern, die sie verwirrt anstarrten. "Also... folgst du uns... Dabris?", fragte Ramiel ratlos. Das Mädchen sah ihn an und beinahe glaubte man, ihre Zustimmung zu hören. Aber Israfel zerstörte alles wieder. "Als wäre das die Frage... ER hat es bestimmt. Du musst uns folgen." Ritzuko sah ihn an, bis ihre Augen nichts mehr ausstrahlen, als Gleichgültigkeit und Eis. "Fahr doch zur Hölle." - "Du bist mir was schuldig", fauchte der Erzengel mit Wut verzerrtem Gesicht. "Ich habe dich erweckt. Ich kenne dich. Ich weiß, was du bist. Und du wirst mir helfen." Keine Reaktion erfolgte. Nicht einmal die leiseste. Nur ein kleines, herablassendes Lächeln. Der Erzengel spuckte verächtlich vor ihr aus. "Als stünde es nicht sogar in deiner geliebten Bibel: ,Und die Engel waren voller Zorn, denn Gott hatte sie den Menschen untergeordnet. Da folgten sie dem Beispiel Luzifers und rebellierten gegen die Heerscharen des Erzengels Michael. Und im Himmel ertönte zum zweiten mal der Lärm einer gewaltigen Schlacht.' Offenbarung des Johannes, Kapitel dreiundzwanzig." Sie lächelte ein bisschen mehr und diesmal fast mit ein wenig Wärme darin. "Du weißt, dass ich die Wahrheit kenne." Er wirkte ein bisschen traurig, als er sie jetzt ansah. "Er liebte uns am meisten." Ritzuko strich ihm über die Wange. "Oh Israfel, warum hast du seine Gnade nicht erkannt?" Er erstarrte, unfähig, das zu begreifen. "Du bist dumm. Kein Engel sollte gegen IHN rebellieren. Keiner sollte sich erheben über Gott." Er keuchte entsetzt bei dem Ton, in dem sie dieses Wort sagte. "Noch ist es nicht zu spät! Hör auf die Marionetten. Sie wissen, was wahr ist. Er liebte uns am meisten und seine Gnade reicht weit." Dann schreckte er zurück vor dem perfekten Ausdruck des Spotts in ihrem Gesicht. "Doch du bist nicht der einzige, der sie verschmähte. Aus Hochmut." Dann lächelte sie und beginnt sich aufzulösen. "Suche und du wirst finden. Ich hab eine Überraschung für dich..." Vom Himmel stürzte ein Schatten wie der Habicht auf die Maus. Ein Schrei, Blut floss, dann ließ er von seiner Beute ab. "So sieht man sich wieder, Simon." Keuchen, dann gepresstes Lachen. "Freut mich, Gabriel." - "Wo ist sie?" - "Ich weiß es nicht." Blitzschnell presste er seinem Opfer die Kehle zu. "Spiel keine Spielchen mit mir. Du weißt es und ich will sie." Der, der Simon hieß, bleibt völlig ruhig. "Such sie doch", krächzte er, "such unter allen Marionetten dieser Welt. Du wirst sie nicht finden." Gabriel ließ von ihm ab. "Du willst also nicht antworten. Aber ich finde sie auch allein. Egal, was du sagst..." Er hockte sich noch einmal hin. "Warum bist du gegangen? Wir hätten es geschafft!" - "Ich habe genug von diesem Krieg." - "Erkenne die Lüge! Du gehörst zu uns! Wir werden die Vergangenheit zurückholen! Ohne Marionetten. Denk daran: wir haben Luzifers Armee geschlagen! DU und ICH. Und vom Himmel stürzten wir seinen verfluchten Thron!" Simon richtete sich geschwächt auf. "Manchmal sollten wir tun, was ER uns sagt. Dieser Krieg ist schlecht!" Gabriel starrte ihn verwirrt an, mit dem Blick eines... Menschen, der den Rand des Wahnsinns schon überschritten hatte, aber alle anderen für verrückt hielt. "Gut, gut. Ähm... Verabschiede dich von diesem Leben." Er lächelte fast freundlich und richtete sich dann auf, bis er, einem drohenden Felsen glich, den anderen überragte. "Ich brauchte dich nicht, um zu siegen." Eisige Stille herrschte, als das ungleiche Paar den Klassenraum betritt. Ein Mädchen in einer braven Schuluniform, dessen Aussehen dieses ,brav' zur Ironie wandelte, und ein Junge in schwarzem Leder. Alle starrten sie an, alle Schüler, die jetzt einen Kreis um die beiden schlossen, als dürften sie nicht entkommen. Aber das wollten sie anscheinend auch nicht, denn beide blieben ruhig stehen und sahen Lance und Alicia, die sich ganz vorn vor sie gestellt hatten, fest in die Augen. "Alle raus", befahl Lance und anscheinend hatte sich die Klasse abgesprochen, denn außer ihren Sprechern verschwanden alle aus dem Zimmer. Merkwürdiger Weise lächelte Ritzuko zufrieden, so als wäre es das, was sie gewollt hatte. Und vielleicht hatte sie auch etwas geplant gehabt, doch Alicia kam ihr zuvor, als sie ihre Vermutung, die ihr schon fast ins Gesicht geschrieben stand, endlich aussprach: "Du bist ein Engel, nicht wahr?" Es erfolgte kein Widerspruch. Keine Zusage. Nur ein langer Blick, der Alicia in fast panischer Angst erstarren ließ. "Du weißt ja nicht, was du verlangst..." Alles an ihrem Körper strahlte Verlangen aus, nach mehr von ihr, erweckte den Wunsch, sie zu berühren. Sie zu besitzen. Ein Kleid, blutiges Rot, darüber durchsichtiges Schwarz, dass dem den Schimmer von Seide verlieh. Schwarze, hohe Stiefel. Ein dünner Mantel, schwarz, nur ein Knopf geschlossen, der bis zu ihren Knöcheln hing. Das lange Haar offen, in Tausende von Locken. Schwarze, lange Fingernägel wie Krallen. Augen wie Vulkane strahlten schwarz umrandet aus einem weißen Gesicht mit blutig roten Lippen hervor. Ein Lächeln auf dem Gesicht, das dem Tod glich. Und doch die verruchte Versuchung selbst. "Ich, der Engel, töte vor den Augen der Mutter das erstgeborene Kind. Ich verwandle die Städte der Menschen ist Salz. Und ich sage euch, dies Königreich ist mein!" Ihr Blick richtete sich auf Alicia, die sich vor Angst nicht mehr rühren konnte. "Du sagst, du hast mich erkannt? Du maßt dir an, den Himmel zu durchschauen?" Ihre Stimme war der reine Hohn. "Die einzige Konstante in euer verschwendeten Existenz ist eure lächerliche Unwissenheit. Ihr seid Marionetten! Gottes Ruf hört ihr nicht. Sein Wort erreicht nicht euer Ohr." Die letzten Worte besaßen nur noch Verachtung. "Doch was brächte es? Ihr seid nichts und werdet nie mehr sein." - "Ritzuko?" Lance' Stimme war nicht mal mehr ein Flüstern, aber sie hatte es trotzdem verstanden. "Namen sind Schall und Rauch. Meiner auch. Glaubt ihr, ich will Satan auf meine Fährte locken? Obwohl er an einigen Marionetten sicherlich Geschmack finden könnte." Sie fixierte das Mädchen. "Alicia Malloy. Du bist ein hübsches Kind. Pass nur gut auf, geh nicht allein nach Haus. Es könnte Tod bringen." - "Du bist ja verrückt", murmelte Lance und tippte sich an die Stirn. "Spinnerin." Es folgte nur ihr Lachen. "Du bist dir der Gefahr gar nicht bewusst, oder? Aber ich denke, du würdest dich recht gut auf seiner Speisekarte machen..." ,Es könnte Tod bringen...' Alicia lächelte, während sie nach Hause ging. ,Dass er an einigen Marionetten sicherlich Geschmack finden könnte...' Das fand sie lächerlich. Es war zwar unbegreiflich, wie Ritzuko sich verwandeln konnte, aber dieses Gerede vom Teufel war doch schon etwas paranoid. Sie blickte zum Himmel. Es war schon fast dunkel und sie fing an zu rennen, denn jetzt machte ihr das alles schon ein bisschen Angst. Doch sie stolperte und fiel. Alicia unterdrückte einen Fluch. Gott würde es missfallen. Sie stand auf, klopfte sich den Staub von den Sachen und wollte nach ihrer Tasche greifen, hielt aber inne. Sie richtete sich auf und drehte sich um. Und da war er. Seine Hose, sein Mantel, die Schuhe, alles war schwarz. Ein schwarz, das selbst die finstersten Schatten noch verhöhnte. Das Hemd leuchtete weiß zwischen den Sachen. Seine blonden Haare waren nach hinten gekämmt. An einem seiner Ohren glitzerte etwas, das ihr allein durch seine Anwesenheit Furcht einflößte, weil es ihre innerste Angst bestätigte. "Was willst du?" Ihre Stimme klang heiser. "Ich bin hier und befreie dich von deinen Sorgen", antwortete er schmeichelnd. "Wie rührend." Zum ersten mal klang Ironie aus ihrer Stimme. Er lachte rauh. Sie zuckte zusammen, als ihr der Grund ihrer Angst endlich bewusst wurde: "Du bist einer von ihnen." - "Was?" - "Ich sehe einen Engel." - "Ich bin sogar der erste Engel. Ich wurde mehr geliebt als jeder andere Engel. Es war eine Zeit voller Glück." Er begann zu singen: "Das Glück ist nicht von Dauer & auch die Liebe ist dir niemals treu." Dann lachte er. "Warum hast du sie hergebracht?" - "Oh Alicia, Anhängerin des Allmächtigen." Seine Stimme triefte nur so vor Sarkasmus. "Du müsstest wissen, dass ich sie nicht brachte. Sie kamen von allein. Und meinen Ruf würden sie niemals folgen." - "Wer ist es?" - "Das weißt du nicht? Die Erzengel tummeln sich hier in Scharen und du weißt es nicht. Kann ich dir glauben?" - "Kann ich DIR glauben?", fragte sie zurück. Er zog die Luft ein, als würde er etwas riechen. "Der geflügelte Partylöwe sucht ein Opfer. Er begehrt unsere liebliche Ritzuko." - "Und du begehrst sie auch!" - "Nein. Andere Engel haben diesen Krieg begonnen, weil sie euch alle hassen. Dich und auch die Menschen. Gott beglückte euch mit seiner Gnade. Und demütigte die Engel. Sie rebellierten, aber konnten die Engel, die Gott gehorchten, nicht bezwingen. So tobt denn dieser Krieg seit Jahrtausenden ohne Sieger und Besiegte. Und während dieser finsteren Zeit des Krieges steigt keine Seele empor zu Gott. Das bedeutet, dass deine Eltern bis hin zu den Vorfahren deiner Vorfahren nur Futter für die Würmer waren. Natürlich haben nicht wenige an meine Tür geklopft. Mag der Himmel ruhig geschlossen sein - ich hab immer offen. Sogar an Weihnachten." Ihre Stimme war tonlos: "Das ist nicht wahr." Sie schloss die Augen und schlug die Hände vors Gesicht. "Teufel... Du lügst..." - "Du weißt, dass es die Wahrheit ist. Schau tief in dein Herz..." Er lachte. - "Aber Gabriel kann nicht gewinnen!" - "Oh!" Er hob den Kopf. "Ich sagte nichts von Gabriel." - "Du sagtest Erzengel. Das genügt doch..." - "Derer sind sieben im Himmel. Du hast gut geraten." - "Er kann nicht gewinnen." - "Ihr Menschen - ich leugne nicht meine Schwäche für sprechende Marionetten - beherrscht die Kunst der Bosheit und des Krieges geschickter als ein Engel. Er wird sich das verruchteste, mieseste Miststück suchen, das eure kleine, verdorbene Welt zu bieten hat, und damit in dem Himmel ziehen. Das wird sein Trumpf im Zug gegen Gott." - "Das kann dich ja nicht stören." - "Wenn er gewinnt, gehört ihm der Himmel. Dieser Himmel wäre dann nur eine weitere Hölle. Hör zu, ich bin nicht hier um dir & dem kleinen Miststück zu helfen oder weil ich Gefallen an dir gefunden habe, sondern weil zwei Höllen eine Hölle zuviel wären. Das kann ich einfach nicht zulassen." "Du machst es dir viel zu einfach." Die Silhouette eines geflügelten Wesens tauchte aus dem Schatten und bewegte sich geschmeidig auf sie zu, ohne dass man erkennen konnte, wer oder was es war. "Dieser Krieg ist eine Lüge und er könnte ewig dauern. Aber du wirst nichts daran ändern, Luzi." - "Wieder zu Scherzen aufgelegt, nicht wahr?" Die Stimme Satans hatte einen beinahe zärtlichen Klang angenommen. "Lass sie gehen." - "Für dich tue ich alles." - Das Flügelwesen sah zu Alicia. "Husch, husch, ab ins Bettchen. Der Herr beschützt dich schon. Marionette..." Das Mädchen verschwand wortlos. Luzifer sah das Wesen an. "Lange nicht gesehen..." - "Ich bin nicht süchtig nach deinem Anblick." - "Würde mich wundern." - "Hast du es dir inzwischen gutgehen lassen?" - "Es war langweilig ohne dich." - "Es war die halbe Ewigkeit, die uns trennte. Die Zeit, die ich dir voraus habe." Lachen verhallte in der Finsternis. "Wie lang ist die Ewigkeit, wenn du unsterblich bist? Ich will mein Leben mit dir verbringen." - "Werd' nicht romantisch. Das passt nicht zu dir. Vergiss nicht - der Gedanke an mich ist das einzige, was du noch von mir hast." - "Ich werde dich noch ganz besitzen." - "Ich könnte deine Mutter sein." - "Es wäre übertrieben, dir das zu glauben. Dann müsste ich mich vor Scham ins Höllenfeuer stürzen." - "Einer weniger auf der Welt, der mir einflüstern will, er würde mich lieben." - "Bist du geheilt von Rociel?" - "Ich reiße ihm das Herz heraus", erwiderte das Flügelwesen, als wäre es die natürlichste Sache der Welt. "Nicht nur die Engel wollen die Welt zerstören." Während die Gestalt davon schlenderte, verklang ihr Lachen in der Nacht. "Ich liebe das Chaos... Es wird niemals enden..." Winter hatte die Stadt in eine Eiswüste verwandelt. Die Wiesen in den Parks, die Seen, zugefroren mit Schnee und Eis. Ein einsamer Schatten schlich über die leeren Wege. Alicia. Sie zuckte zusammen, als etwas an ihr vorbei huschte und blieb stehen. "Was suchst du hier?", fragte eine tiefe Stimme. Eine viel zu bekannte Stimme. "Angelo", flüsterte sie, mehr oder weniger daran glaubend, aber sie hatte ihn erkannt. Als sie sich dann zu ihm umdrehte, war sie nicht überrascht, einen Dämonen, vor sich zu sehen, der selbst in dieser Kälte nur ein ärmelloses Shirt trug, so eng, dass er auch hätte nackt sein können. "Ich habe den Teufel gesehen...", flüsterte sie erschöpft, als er sich wunderte, dass sie nicht erschrak. "Habt ihr mich als neues Opfer auserwählt?" - "Komm mit mir", forderte er sie auf. "Ich brauche dich." - "Warum?", wagte sie zu fragen. "Das Weltall braucht alles, sogar eine sprechende Marionette." Er lacht. "Marionetten, kapiert?" Sie reagierte kaum, senkte nur den Kopf. "Das hat sie auch gesagt. Marionetten..." "Ich sage viel, wenn der Tag lang ist", flötete ihnen eine kühle Stimme entgegen und die schwarz gekleidete Gestalt Ritzukos trat hinter einem Baum hervor. "Traute Zweisamkeit", lächelte sie. "Mich wundert immer wieder, wie leicht du sie von deinem Vorhaben überzeugen kannst." - "Willst du dich jetzt als Moralapostel einsetzten?" Der Dämon schüttelte den Kopf. "Das würde mich wundern." Sie ignorierte ihn, als wäre er diesmal wirklich nicht da, und wandte sich Alicia zu. "Du hast Satan getroffen, oder?" Ein Schauder durchzuckte das Mädchen. "Also habe ich recht", sagte die andere. Nur ein unglückliches Nicken folgte. Ein unglückliches Nicken, das ein Lächeln auslöste, das man beinahe glückselig nennen könnte. "Luzi ist hier..." "Eigentlich Luzifer, aber wenn du das sagst..." Alicia brach zusammen bei diesen Worten. Ihre Knie knickten ein und Angel fing sie auf, bevor sie auf den Boden glitt. Nur angstvoll die Gestalt in wunderschönen, tiefem Schwarz anstarrte, die neben Ritzuko auftauchte, eine Hand um ihre schmale Taille. "Hast du dich entschieden?", fragte der Mann, der fast einen Kopf größer war als das schlanke Mädchen. "Hatte ich das nicht schon?", erwiderte sie lächelnd. "Du kennst meine Antwort." Sie blickte ihn ruhig an. "Was willst du noch hören?" - "Du hast es mir versprochen! Vor langer Zeit schon. Ich bin sicher..." - "Nein." Sie legte einen Finger auf seine Lippen und er schwieg. "Nichts ist sicher. Wir existieren nicht. Niemand tut es. Man kann nie sicher sein. Man kann nie wissen. Und Versprechen gelten nichts." Luzifer starrte sie entsetzt an. "Wie kannst du...?" Aber er sagte nichts weiter. Schien sich sogar zu fügen. "Ich bin die Ewigkeit und der Moment. Ich bin das Nichts und Alles. Du weißt, dass ich niemandem gehören kann, der meiner nicht würdig ist." Sie zog seinen Kopf zu sich herunter und küsste ihn lange und tief, bevor sie weiter sprach: "Hast du erwartet, ich würde dir zur Begrüßung in die Arme fallen? Es kann niemals mehr wie früher werden." Angel starrte die beiden vor sich nur ungläubig an. Luzifer, der Fürst der Hölle, sein Vater, und dann dieses kleine, schwache Engelsmädchen. Er wusste, dass er sie kannte. Irgend etwas löste sie aus in seinem Kopf. Vielleicht einer der vielen tausend Engel, die er verführt hatte? Aber deshalb hatte sie nicht das Recht... "Schwächling", fauchte er seinen Vater abwertend an. "Wie kannst du dich von ihr so behandeln lassen?" Zwei Blicke trafen ihn und er wusste nicht, vor welchem er mehr erschrecken sollte: vor dem ungläubig entsetzten Luzifers oder dem hasserfüllten des Mädchens, das mal Ritzuko hieß. "Du bist ein Idiot", kam irgendwann endlich eine Antwort und diesmal war er es, der ungläubig guckte. "Du weißt nicht das geringste." Luzifer schüttelte verächtlich den Kopf und dann... kniete er nieder, fast unterwürfig vor dem Mädchen, das ihm ihre Hand hin hielt, die er beinahe freudig küsste. "Willkommen in der Welt der Marionetten. Fürstin der dämonischen Heerscharen. Herrscherin des Universums. Mutter Gottes. Ewigkeitsengel Aleksiel." Die Luft war erfüllt von eisigem Schweigen. Luzifer sah wartend zu seinem Sohn, Alicia starrte mit rot geweinten Augen zu den anderen hinauf. Angel beachtete keinen von beiden, sah nur die junge Frau vor sich, die sich soeben als sein leibhaftiger Alptraum herausgestellt zu haben schien. "Du bist also wieder da", sagte Angel ruhig, nachdem er sie lange gemustert hatte. "Du auf der Erde... Was ist passiert? Brennt der Himmel?" Aleksiel sah ihm stumm in die Augen. Es war nicht Überheblichkeit oder Arroganz, das sie ausstrahlte, nein, sie schien etwas Höheres einfach in sich selbst zu tragen. Etwas, das unmissverständlich zeigte, wer sie war. Jetzt, wo man sie enttarnt hatte. "Ich brauche deine Hilfe", sagte sie ohne Umschweife und sah Angel fragend an. "Meine Hilfe? Die Großmeisterin der Bosheit braucht mich?" Angel lächelte arrogant. "Das Weltall braucht alles", zitierte sie ihn herablassend. "Sogar einen dummen kleinen Dämonen wie dich. Bring mir seinen Kopf und du bekommst alles, was du willst." Angels Lächeln erweiterte sich noch ein wenig, bis es eindeutig an einem schmutzigen Grinsen grenzte. "Wirklich alles?" Sie reagierte nicht auf seine Anspielung. "Gabriel ist ein Verräter. Er verdient meine Gnade nicht. Wenn er tot ist, könnte ich den Alten bitten, ein paar Klauseln dieses dummen Friedensvertrags zu ändern." - "Und wenn nicht?" Abwartend fixierte der junge Dämon das Mädchen. Ihr Lächeln, ihr Blick - von Sekunde zu Sekunde erschien sie ihm teuflischer als der Teufel selbst. "Wenn wir Gegner sind, wenn dieser Krieg kein Ende nimmt, würde es mich nur einen Fingerzeig kosten und nicht einmal den Hauch von Reue, die Erde zu zerstören." Mit einem Schrei wachte Alicia auf, sah sich ängstlich um und erkannte ihr Zimmer, bevor sie mit erleichtertem Seufzen in die Kissen zurück sank. Ein Traum... ,Die Erde zerstören...' ein dummer Gedanke. "Findest du?" Alicia zuckte zusammen. Für einen Moment fühlte sie sich, als hätte man ihr die Luft abgedrückt, doch es war nur ihr Vater, der im Zimmer stand. Oder... Etwas klickte und sie sah sich dem metallisch glänzenden Lauf einer Waffe gegenüber. "Ich gebe dir ein Rätsel auf...", erklang erneut die Stimme, die diesmal eindeutig fremd war, doch die Person wurde vom aufflackernden Licht überrascht, als jemand die Tür eintrat und in den Raum stürmte. Drei Personen und allen voran eine blonde junge Frau in einem knielangen rotschwarzen Kleid, einem schwarzen Mantel und hohen, schwarzen Stiefeln. Sie blieb stehen, als sie den Mann mitten im Zimmer erblickte. "Also kannst du es nicht lassen", bemerkte sie ruhig, als er sie anlächelte. "Gib mir die Waffe." Distanzierte, tödliche Freundlichkeit. "Sonst muss ich dir weh tun..." Der Mann saß auf dem Boden, die glitzernde Klinge eines Messers an seiner Kehle, aber trotzdem noch lächelte er das junge Mädchen an, das sich über ihn gebeugt hatte. "Hübscher Ausschnitt. Sie sind ziemlich gewachsen seit dem letzten Mal." Das Mädchen sah ihm noch eine Weile fest in die Augen, dann richtete sie sich mit leicht verzogenem Mund auf und schüttelte sich einige Haarsträhnen aus dem Gesicht. "Genauso verdorben wie eh und je." Er lächelte weiter, "Wir sind uns eben in vielem ähnlich, Kleines", dann wollte er aufstehen, aber es brauchte nur eine Sekunde, bis sie vor ihm kniete, die Hand noch am Griff des Messers, das ungünstig nahe bei einem wichtigen Teil seines Körpers im Boden steckte. "Nicht so stürmisch", presste er mit Mühe hervor und starrte sie an. "Glaub nicht, ich habe so lange gelebt, um jetzt zu versagen", zischte sie fast unhörbar leise, aber er verstand sie. "Ich werde dir nicht folgen." - "Das verlange ich doch gar nicht", sagte er beinahe verwundert. "Ich will nur in Frieden weiterleben." Sekundenlang herrscht Stille, dann lächelte er sie an, freundlich und überheblich. Sie schüttelte nur den Kopf, steckte das Messer wieder weg, in ihren Gürtel, wo es silbrig unter dem schwarzen Mantel hervor blitzte, und richtete sich auf. "Amüsant wie immer. Ich hätte nicht gedacht, dass du dich so wenig verändern würdest. Immer noch ein verkommener kleiner Bastard." Dann war sie es, die lächelte, und es sah nicht weniger verkommen aus, als die Art, mit der sie es gesagt hatte. Der Mann richtete sich auf und sah ihr in die Augen, auch wenn er dazu den Kopf senken musste. "Oh, meine süße Al..." - "Halt den Mund!" Ihre Stimme wie schneidend kalter Stahl. So kalt, dass er verstummte. "Wenn du vorher auch nur das kleinste Recht hattest, zu sprechen, hast du das jetzt verloren." Der Mann saß gefesselt in der Ecke. Rociel hatte sie ihn genannt, während sie ihn verhöhnend gemustert hatte, als die anderen ihn fesselten. Verhöhnend... Vielleicht auch traurig, obwohl sie es verstecken wollte. Jetzt saß sie in einem Sessel und starrte ins Leere, während um sie herum die anderen sich stritten. Rociel. Und Angel, Luzifer und auch die beiden Engel hatten ausgesehen, als würde es Blut regnen. Einzig und allein Angel - Arael - stand auf der anderen Seite des Zimmers und beobachtete sie. Einfach nur ruhig, nichts anderes. Bis er sich irgendwann lässig von der Wand abstieß und, von den anderen unbeachtet, zu ihr ging, sie antippte und mit sich winkte, bis sie in der Küche standen und die anderen nicht mehr hören mussten. Die anderen, die sie gar nicht mehr beachteten, obwohl das Mädchen ihnen vorher wie ein Weltwunder vorzukommen schien. Es dauerte noch einen Moment, dann brach Angel die Stille. "Du bist also wieder da", sagte er leise. "Du bist... Aleksiel." Er hörte sich ungläubig an. Sie blickte ihm eine Weile lang in die Augen, drehte sich dann zum Fenster und starrte hinaus und er sah ihr hübsches Profil und ihre traurigen Augen. "Ja, ich bin Aleksiel. Willst du ein Autogramm?" Ihre Stimme war bitter. "Ich bin der verschollene, wieder aufgetauchte, wiedergeborene, immer neue Wunder erzeugende verdammte blutige Ewigkeitsengel dieses verdammten blutigen Himmels, ALSO WAS WILLST DU NOCH WISSEN???" Das letzte hatte sie geschrien. Angel hatte das Gefühl, dass sie weinen wollte, aber sie tat es nicht. Er wünschte sich, sie könnte es, aber er wusste, dass sie nicht durfte. Sie musste stark sein... Es klingelte und sie lief an ihm vorbei, sichtlich erleichtert, und öffnete die Tür. Doch dann musste sie sich unter einem Schlag weg ducken, wollte sich kampfbereit machen, doch ihr Gegner lachte. "Hallo Liebes." Sie keuchte überrascht und starrte den rothaarigen Mann mit den blitzenden grünen Augen offen an. "Simon?" Dann umarmte sie ihn, ließ ihn aber gleich wieder los, als er schmerzhaft das Gesicht verzog. "Was machst du hier?" - "Ich wollte dich wiedersehen", lächelte er und folgte ihr. "Ich..." Im Wohnzimmer blieb er überrascht stehen. Sah jeden finster an, bis auf Alicia, und drehte sich dann zu Aleksiel. "Friedensverhandlungen sind das nicht, oder?" Sie schüttelte bedauernd den Kopf und er sagte leise: "Hätte mich auch gewundert..." Nach der ersten Überraschung, nach einer kleinen Begrüßung für den fünften Erzengel widmeten sich die andern schon wieder ihrem Gespräch - ihrem Streit - und beachteten ihn nicht mehr, aber das Mädchen, Aleksiel, konzentrierte sich mehr auf ihren Gast als auf die anderen. "Simon, was ist los?" Sie hörte sich besorgt an. "Was ist los, du hast irgendwas?" Er lächelte schwach, bevor er seinen Mantel zurückschlug und ihr ein entsetztes Keuchen entlockte: "Hab Gabriel getroffen." Vorsichtig inspizierte sie die Wunde, die sich blutig rot über seine Brust zog. "Was wollte er denn?" - "Mich töten?", fragte Simon leicht ironisch. "Was weiß ich. Ich glaub, er hat ein bisschen die Nerven verloren." Aleksiel grinste schwach, während sie ihm half, Mantel, Jacke und Hemd auszuziehen - genau wie die anderen Engel es trugen - und dann die Wunde verband. "Merkwürdig, nicht wahr?" Beunruhigt registrierte Angel, dass Aleksiel zusammenzuckte, als er sie das fragte. "Simon und mein Vater..." Die beiden Männer saßen zusammen und unterhielten sich wie alte Freunde. "Ein bisschen", antwortete sie leise. "Ich kenne sie schon ewig. Sie haben sich immer gut verstanden. Dieser Ausnahmezustand ist sicher eine gute Gelegenheit für sie." - "Da hast du wohl recht..." Angel sah auf Aleksiel herunter. Sie sieht so klein und zierlich aus neben ihm... Ein Engel... Er wusste nicht mehr, wann er das letzte mal anders über einen Engel gedacht hatte als ,lecker'. Als daran zu denken, nur mit ihr ins Bett zu gehen. Sie wirkte so zerbrechlich... "Du musst stark sein", flüsterte er ihr nach, als sie weg ging, Alicia, die verhalten gähnte, in ein Zimmer wies. "Willst die Welt retten... oder?" Als die Tür leise aufging, von draußen schwacher Lichtschein ins Zimmer fiel, schreckte Alicia beunruhigt hoch, doch es war nur eine junge Frau, die zu ihr kam und sich auf die Bettkante setzte. "Wie geht's dir?", fragte die merkwürdige junge Frau, die gar nicht wie ein Engel wirkte, eher... wie ein trauriges Kind, das niemals ein Kind sein durfte... "Mir ist ein bisschen schwindelig, sonst ist alles okay." Sie lächelte und überlegte dabei, warum sie sich plötzlich so erwachsen fühlte gegenüber der sicherlich viel älteren. Aleksiel nickte mechanisch und war mit den Gedanken sicherlich ganz wo anders, aber Alicia sah es ihr nach. Traurig... Einsam wirkte sie. Und schwach. ,Darf nicht schwach sein...' Das vierzehnjährige Mädchen zuckte zusammen, als ihr diese Worte durch den Kopf hallten, aber sie sagte nichts. Lächelte nur leise. Damit sie nicht weinen musste... Stimmengewirr fiel ins dunkle Zimmer, als er herein kam, dann wurde die Tür wieder verschlossen. "Schläft sie?", fragte Angels sanfte Stimme aus der Dunkelheit, aber der Engel drehte sich nicht um. "Wie geht es ihr?" - "Warum fragst du?", tönte es leise zurück und man sah die schlanke Gestalt sich erheben. "Du bist ein Dämon." Es klang, als würde das alles erklären. "Man kann sich doch Sorgen machen", erwiderte er, als sie vor ihm stand. Müde geradeaus sah, auf seine Brust, weil sie so viel kleiner war als er. So zierlich und zerbrechlich, dass sogar er den Wunsch verspürte, sie in den Arm zu nehmen und zu beschützen. Aber er tat es nicht. "Komm mit." Sie sah auf, als er das sagte. Musste den Kopf ein Stück heben, um ihm in die Augen zu sehen, weil sie so nah beieinander standen. "Wohin?" Hatte sie keine Angst? Er lächelte sie an. "Ich glaube, du könntest ein bisschen Spaß vertragen." Es war mitten in der Nacht, als die anderen in die Küche kamen und sich ihnen ein wenig begeisterndes Bild zeigte: Eine leicht zerzauste Aleksiel, die mehr oder weniger betrunken auf dem Boden saß und ein grinsender Angel, der es sich, wie eine Beilage zum zerschneiden bereit, auf der Ablage des Küchenschrankes bequem gemacht hatte. "Was machst du hier?", fragte ein völlig entgeisterter Simon. "Ich spiele Schach", kam Aleksiels ironische Antwort. "Wonach sieht's 'n aus?" - "Du bist ja total betrunken?!", fauchte der Erzengel sie an. "Wozu soll das gut sein?" - "Mir ist schlecht...", jammerte sie nur, nachdem sie ihn ignoriert und die leere Whiskeyflasche angestarrt hatte, die neben ihr auf dem Boden lag. "Am besten du gehst ins Bett", schlug Ramiel vor und reichte ihr die Hand, um ihr aufzuhelfen. "Ich mach das schon", sagte Angel, schwang sich von der Ablage und hockte sich neben die am Boden sitzende Aleksiel. "Ich bring dich ins Bett, ,meine Süße'." Simon war nicht der einzige, der Angel fragend ansah. Luzifer gestattete sich ein Lächeln, ,Kommt ganz nach dem Vater', als er Angel nachsah, wie dieser mit Aleksiel im Schlafzimmer verschwand. Alicia musterte ihn mit gemischten Gefühlen, bevor sie ihn und Simon fragte: "Geht das denn überhaupt, dass er sie betrunken macht?" Simon wollte eigentlich etwas anderes sagen, doch dann lachte er und antwortet: "Sie spielen nur. Ich weiß nicht, was sie vorhaben, aber sie wollen dazu allein sein." Aus seiner Stimme klang eindeutig Eifersucht. "Ist sie dazu nicht zu jung?" Alicia dachte an das unschuldige, kleine Mädchen, dass ihr auf der Bettkante gegenüber gesessen hatte. "Wenn du zweihundert Milliarden Jahre für zu jung hältst...", bemerkte Simon nüchtern. "Und Arael ist auch immerhin schon zwanzig." - "Milliarden?" Sie riss ungläubig die Augen auf. "Exakt." Luzifer ließ sich neben ihr nieder. "Und kommt ganz nach dem Vater." Man brauchte nicht zu fragen, um die Bedeutung dieser Worte aus der Zweideutigkeit seiner Stimme heraus zu hören. Alicia wurde rot und stand auf. "Das ist ja widerlich." - "So ist nun mal der Lauf der Welt. Was glaubst du, wie du entstanden bist?" - "Ich will es nicht wissen!", fauchte sie, aber Luzifer hatte seinen Spaß daran und Simon hinderte ihn nicht. "Dann haben sie eben Sex! Lass ihnen doch den Spaß. Die kommen ja sonst zu nichts!" - "Als hätte sie den nicht mit jedem gehabt...", murmelte Ramiel und wandte sich ab. Die anderen sahen ihn überrascht an. Überrascht, dass er diese Worte wagte. "Und sie wird sich jeden nehmen, den sie will. Und sie wird jeden töten, den sie will, wie sie es immer getan hat." Er atmete tief durch und er klang, als wüsste er, wovon er sprach. Als er sich zu ihnen umdrehte, wirkte er mehr wie ein alter Mann als wie der junge Engel, der er war. "Es sind so viele tausend Engel und Dämonen gestorben durch ihre Hand. Ohne dass sie ihr Ziel verlor. Ohne dass man es sah, bemerkte, wenn sie es nicht wollte. Sie hält sich für so viel besser als wir... Und sie will es uns leider beweisen..." Es war schon später Morgen, als die Tür aufging und Aleksiel, nur mit dem Oberteil eines Pyjamas bekleidet, aus dem Schlafzimmer trat. Sie rieb sich unbekümmert die Augen, streckte sich, dass man ihren Slip blitzen sah und erstarrte nach dem freundlichen "Morgen" der anderen sekundenlang in dieser Pose, während vier Augenpaare sie musterten; Alicia war in der Schule. Sie ließ ihre Arme herab sinken und sagte, während sie sich hinter vorgehaltener Hand gähnend das Haar hinter die Ohren strich: "Du hast es ihnen erzählt, oder?" Die Frage galt, auch wenn sie ihn nicht ansah, Luzifer. Angel stolzierte, in der passenden Hose zum Pyjama, ins Wohnzimmer. "Du kennst ja meinen Vater." - "Hatte Zeit genug, ihn zu studieren", murmelte sie kopfschüttelnd und ignorierte noch immer die Blicke, von denen einige sie teilweise förmlich aufspießten. "Wenn auch nur einer von euch Idioten glaubt, was Luzi euch hier so vorgeschwärmt hat..." Sie führte den Satz nicht zu Ende, sondern knöpfte seelenruhig die Jacke auf. "Vielleicht bin ich nicht Mutter Theresa, aber ich bin auch kein Flittchen." Seltsamer Weise schien ihr das niemand zu glauben. "Ich hatte immer gute Beziehungen. Ich habe nie jemanden betrogen." Ein fünffaches, bedauerndes Seufzen war zu hören, als unter dem Oberteil ein BH hervorkam. "Hier und in irgend einer Zeit zwischen morgen und vorgestern ist absolut nichts passiert, was man Sex nennen könnte." Sie stieg in ihr Kleid und ließ sich von Angel den Reißverschluss schließen. Luzifer und Simon warfen sich belustigte Blicke zu und erklärten gleichzeitig mit spöttischer Stimme: "Natürlich nicht." Aber Aleksiel beachtete sie nicht, da sie mit etwas wichtigerem beschäftigt war: "Da ist etwas..." Ihre Augen waren geschlossen und ihre Miene verkniffen. "Tod..." Ein Schatten stürzte aus der Dunkelheit, doch Satan war schneller als Aleksiel und nagelte den Angreifer auf den Boden. "Hallo Gabriel," lächelte er zufrieden. "Hallo Luzifer." Ein kurzer Kampf, dann standen sich die beiden schwer atmend gegenüber. Gabriel, schwarzhaarig, schwarzäugig, mit blasser Haut, gekleidet wie Israfel und Simon, wie ein Racheengel mit tödlichem, fast wahnsinnigem Blick, ihm gegenüber Luzifer, der ihn musterte wie eine Zwischenmahlzeit. Und irgendwann lag der oberste Erzengel keuchend am Boden. "Du gehörst mir", knurrte der Höllenfürst. "Der Himmel gehört mir!", gab der Erzengel fauchend zurück. "Der Hochmut gehört dir! Er macht dich sehr, sehr böse. Du bist mein!" Die Miene des Erzengels wurde weich, ganz im Gegensatz zu seinen verhöhnenden Worten: "Luzifer, du verfaulst in deinem Keller. Dich quält immer noch der Bruch mit Gott." Er grinste. "Du kleines Nichts." Dann stieß er Satan von sich. "Glaubst du wirklich, du könntest mich besiegen?" Er wollte sich auf den verblüfften Höllenfürst stürzen, doch Aleksiel trat in sein Blickfeld. Musterte ihn ruhig, ohne Lächeln, ohne Hass. Sah ihn nur an. Und er gab seine Deckung auf. Ein Lachen folgte, das nicht an Wahnsinn zweifeln ließ. "Ewigkeitsengel..." Er kicherte verhalten. "Ich wusste, dass der Tod nahe ist..." Luzifer fauchte unterdrückt und stürzte sich auf Gabriel. Seine Finger gruben sich in dessen Brust. "Ich bringe dich Heim..." In seinen letzten Atemzügen lachte der Erzengel und es klang irrer als zuvor. "Sag auf Wiedersehen, Aleksiel!" - "Auf Wiedersehen", antwortete sie leise und sah ihm tief in die Augen. So tief, dass er erschrak. Erschrak und fauchte: "Der Krieg ist noch lange nicht vorbei!" Zitternd. Fast ängstlich. "Er fängt gerade erst an!" Aber Aleksiel drehte um und ging. Die anderen sahen ihr Lächeln, als sie an ihnen vorüber zog wie ein Geist, das grausiger war als alles, was sie jemals gesehen hatten. "Du weißt gar nicht wie recht du hast...", sagte sie und ging entschlossen auf den Wohnblock zu. "Der Tod kennt keine Eile. Jeder wird seine Strafe erhalten..." Angel trat neben Aleksiel hinaus auf den Balkon und sah wie sie in den Sternenhimmel. "Stört es dich gar nicht?" Sie starrte nur hinaus, ohne eine Antwort, aber in ihre Augen trat ein harter Glanz und sie legte den Kopf leicht schief, als würde sie ihn fragend ansehen wollen. "Du bist so kalt. Ist es dir der Tod so egal?" Sie schwiegen eine lange Zeit und als er schon fast glaubte, sie würde nicht mehr antworten, sagte sie: "Seit Jahrtausenden wütet der Krieg. Ich habe jede einzelne Sekunde so bewusst erlebt, als wären die Millionen, die Milliarden Opfer mein eigen Fleisch und Blut. Ob nun einer mehr oder weniger, das ist nicht relevant." Angel sah auf ihre Finger hinunter, die an einer Kette spielten. "Er war ein Engel. Wie du." Die Nacht gefror zu Eis und das schon, bevor sie ihn mit diesem unerklärlich eiskalten Blick ansah. "Ich war niemals ein Engel", sagte sie tonlos. "Niemals. Und sie haben niemals geglaubt, ich würde einer sein." - "Ist schon okay", sagte er leise. "Ich hätte das nicht sagen sollen." Eine Weile herrschte Stille, dann tönte es großspurig aus der Ecke: "Engel", und Rociel grinste spöttisch zu ihnen herüber. "Widerlicher kleiner Engel. Dummes nutzloses Etwas." Fast hörte sich sein Lachen irr an, doch dazu war er zu ruhig. "Dämon. Hässlicher boshafter neidvoller Dämon. Hybrid bedeutet gemischt. Engel-Dämon-Hybrid." Er grinste in das ausdruckslose Gesicht Aleksiels. Ausdruckslos und traurig war sie, dann wandte sie sich ab und sah weiter hinaus. "Ich lebe seit dem Anbeginn der Zeiten, seit die Welt entstanden ist. Seit Gott das Licht schuf und nicht wusste, was er für einen Fehler machte. Und Rociel... war immer bei mir. Mein Gegenstück. Meine zweite Hälfte, die ich aus der Ferne liebte, wie er mich." Jetzt lief sie unruhig im Zimmer auf und ab, als wüsste sie nicht, ob sie weiterreden sollte. "Und es war nicht so lange, bis es zwei neue Wesen gab, die Gott niemals gewollt hätte..." Der Satz war unvollständig, unverständlich, aber sie ignorierte einige Blicke, alle Blicke, bevor sie mit geschlossenen Augen fortfuhr. "Man sieht es mir nicht an, dass ich Mutter bin. Mutter zweier Kinder." Ironisch. "Ein so junges Mädchen... Und doch, es ist wahr. Der Himmel und die Erde und das Universum, alles entstand nach mir. Genauso wie Gott... und Luzifer..." Die Welt schwieg. Wartete auf die Antwort. Bis sie seufzte, die Augen öffnete und alle ansah. Eiskalt. Erbarmungslos. Vor allem Luzifer. "Hallo mein Junge. Gib deiner Mama einen Begrüßungskuss." Alicia musste mehrmals klingeln, bevor ihr geöffnet wurde, aber trotzdem stürmte sie fröhlich in die Wohnung, vorbei an einer kalt blickenden Aleksiel. "Hey, wie geht's? Wie war dein Tag?" Ganz ungeniert ging sie an ihr vorbei und verschwand im Wohnzimmer. Es kam keine Antwort, aber das hatte sie ja auch nicht erwartet. Statt dessen sah Aleksiel nur den Jungen an, der mit Alicia vor der Tür gestanden hatte. "Hallo Lance", murmelte sie und legte den Kopf schief, bevor sie eine auffordernde Handbewegung machte und die Tür hinter ihm schloss. Lance blieb in dem dämmrigen Flur stehen, wusste nicht, was er tun sollte, und sie sah ihn nur abwartend an. Auf einmal hatte er das Gefühl, in einem überfüllten Fahrstuhl zu stehen, ohne Ausweg, keine Luft mehr zu bekommen... Es vergingen einige Sekunden, dann gab sie sich einen Ruck und ging voran. Mit den Locken, die lang über ihren Rücken wallten, und dem süßen Gesicht schien sie auf den ersten Blick wie ein Rauschgoldengel, doch das enge Kleid, das mit seinem samtigen Touch jede Linie ihres Körpers zeigte, die hohen schwarzen Lederstiefel und das düstere Make up gaben ihr einen leisen Hauch von... Hölle. Besser konnte er es nicht ausdrücken. "Engel", murmelte er leise und wie zur Bestätigung blieb sie stehen. Sie schien zu zittern, Sekundenlang, bis sie sich mit allzu beherrschtem Zorn zu ihm umdrehte und ihn so eisig betrachtete, als wolle sie ihn auf der Stelle gefrieren. "Ich warne meine Opfer immer nur einmal", sagte sie gefährlich leise. "Ich war niemals ein Engel." - "Wie wahr", tönte eine rauchige Stimme aus dem dämmrigen Flur und als sich alle Blicke - manche wie erstarrt - auf die aus Schatten tretende Gestalt richteten, zeigte diese sich wie im Rampenlicht einer Bühne. "Hallo ihr süßen." Ein satanisches Lächeln erfolgte. Diesmal war es fast wirkliche Kälte und trotz ihrer Färbung schienen Aleksiels Augen eisblau, als sie die mehr oder weniger junge rothaarige Frau in knappstem Leder musterte. "Hallo Lilly", sagte sie dann irgendwann mit sardonischem Lächeln. Beinahe... unheimlich sah sie aus. "Hallo...", einen winzigen Moment lang herrschte eisiges Schweigen, ein Gefühl, als würden sich tausend Nadelstiche in dein Gehirn bohren, dann das zweite Wort, das noch im Raum nachhallte, lange nachdem es gesagt wurde: "...Engel." Und es schien Ewigkeiten zu dauern, ellenlange Momente, sich unendlich dehnende Sekundenbruchteile, in denen niemand zu atmen wagte, dann - ohne eine wirklich sichtbare nennenswerte Bewegung - stand Aleksiel vor der Frau, die sie Lilly genannt hatte, und ihre zarten Finger schlossen sich um deren Hals, ihr schlanker Arm war angespannt, als die Frau - die Dämonin - Zentimeter über dem Boden hing. Röchelnd. "Manchmal mache ich auch Ausnahmen", sagte das süße Geschöpf mit einer Stimme wie Rauch. "Aber dich hatte ich ja schon vorgewarnt, oder?" Dann lächelte sie wie der lebendig gewordene Tod, der dir mit seiner Sense gegenüberstand, um dich im Moment des größten Glückes zu holen. "Ich bin kein Engel." Ihre Finger krümmten sich, als wäre der Hals der Dämonin aus Wachs, das sie beliebig verformen konnte. "Lass sie los", sagte irgendwann nach unendlicher Zeit, als das Gesicht der Dämonin schon langsam von rot ins blau überging, eine ruhige Stimme. "Lass sie los. Damit wirst du sie nur quälen, aber niemals töten." Aleksiel ließ das gepeinigt verzogene Gesicht der Frau nicht aus den Augen, obwohl sie trotzdem auch Angel anzusehen schien. "Das ist Sinn und Zweck der Übung", murmelte sie, desinteressiert an seiner Meinung. "Ich habe sie gewarnt. Ich habe jeden gewarnt. Meine Geduld ist nicht endlos." Jetzt sah sie doch aus wie ein Engel, mit dem weichen, nachgiebigen Gesicht, das gar nicht zu der harten Strenge in ihrer Stimme passte. Angel schüttelte den Kopf, als wäre sie ein ungehorsames Kind, das man belehren musste, und trat neben sie. "Ich will dir nicht weh tun, Süße." - "Ich dir auch nicht", gab sie zurück, leise und fast zärtlich, aber irgendwie gleichgültig. "Ich werde sie nicht loslassen." Jetzt war sie hart wie Stahl. Unnachgiebig. Und er wusste, dass er keine andere Wahl hatte. "Dann tut es mir leid", sagte er jetzt, nachdem er noch eine Weile gewartet hatte. Er umfasste Aleksiels Handgelenk. "Lass sie los." Keine Bitte. Nur ein sanfter, aber bestimmter Befehl. Sie wollte noch etwas erwidern, vielleicht widersprechen, aber er ließ sie nicht. Der Schmerz in ihrem Handgelenk benebelte ihr die Sinne. Er verdrehte es nicht, versuchte nicht einmal, ihre Hand weg zu ziehen, drückte einfach nur zu. Und ihre Finger sprangen vom Hals der Dämonin. Die Frau fiel zu Boden wie tot. Zog irgendwann endlich keuchend die Luft ein, als hätte sie seit tausend Jahren nicht mehr geatmet und stand auf. Angel hielt noch immer Aleksiels Handgelenk, nicht mehr so schmerzhaft fest, aber immer noch fest genug, dass sie das Gesicht verzog und ihn aus den Augenwinkeln wütend ansah, während sie vorgab, es nicht zu tun. "Du bist stark", sagte die Dämonin anerkennend, musterte Aleksiel von oben bis unten, wobei ihr Blick am Dekolleté des schwarzen engen Kleides hängen blieb. "Ich bin Lilith, die Dämonenprinzessin", sagte sie heiser, was wohl nicht nur davon kam, dass ihr jemand bis vor einer Minute noch die Kehle zerquetschen wollte. Mit einem Blick, der zeigte, dass sie eher auf Männer UND Frauen stand, als auf nur eines davon. Aleksiels Blick versank weiterhin eiskalt in Angels rotglühenden Augen, während er noch ihr Handgelenk hielt. "Angels Schätzchen", sagte das sie ruhig, bevor sie mit einer sanft anmutenden Berührung ihrer anderen Hand Angels Umklammerung löste, sich umdrehte und ging. "Überrascht mich das?" Sie hätte es wissen müssten... Das hätte sie wirklich! Hatte sie das nicht auch? Ja, das hatte sie. Es wäre ja auch völlig unsinnig gewesen, wenn jemand wie er... Sie schlang die Arme um ihre angezogenen Knie und starrte trübsinnig in die Dunkelheit ihres leeren Zimmers. "So traurig?", kam irgendwann der erwartete Satz. Sie spürte doch, dass jemand im Zimmer war. "Hübscher Engel...?" Verärgert hob sie den Kopf. Doch verärgert, obwohl sie zuerst überlegt hatte, ob sie den fremden Eindringling in ihre Privatsphäre akzeptierte. "Ich bin kein..." ,Engel' wollte sie sagen, doch die Stumme unterbrach sie. "Doch, hübscher Engel", sagte das Wesen schmeichlerisch, "aber spielt das eine Rolle?" Sie legte den Kopf auf die Knie und atmete ihre angehaltene Luft aus. "Wer bist du?" Keine Antwort erfolgte und resigniert murmelte Aleksiel: "Eine Frau." - "Ich bin Arakune", schienen die zwei rubinfarbenen Punkte aus der Dunkelheit zu sagen, aber es war ein Paar voller Lippen, das im Mondlicht schimmerte, als eine weibliche, wohlgeformte Gestalt aus dem finstersten Schatten schlich. "Ein Nichts, da wo ich herkomme." - "Du bist... eins dieser Prinzesschen", murmelte der Ewigkeitsengel verächtlich. "Eine dieser verwöhnten hochnäsigen..." Sie kam nicht dazu, weiter zu sprechen. "Du bist Aleksiel, hab ich recht?" Die Frau hockte sich so nah neben sie, dass Aleksiel ihr Parfum riechen konnte, dass sie sich fühlen ließ wie in Watte gepackt... "Hat mir ein Vögelchen gezwitschert." - "In der Hölle?" Langsam verschwamm alles, obwohl es dunkel um sie herum war. "Na gut, eine Fledermaus. Eine ziemlich schäbige." Lachen, das wie durch Nebel drang. "Dein geliebter Arael." Wenn möglich lag in diesem Namen noch mehr Verachtung, als Aleksiel jemals hineinlegen konnte. "Hübscher Engel..." Eine Hand strich ihr zärtlich übers Haar. Aleksiel verzog das Gesicht und bewegte ihren Kopf zur Seite. "Ich bin nicht hübsch." - "Oh doch! Du bist wunderschön!" Die Dämonin nahm ihren Kopf in die Hände und küsste sie zärtlich auf die Stirn. "Etwas so Schönes wie dich habe ich noch nie gesehen!" Eine Weile herrschte Stille, leere Stille, die auf Antwort wartete. Dann: "Ich bin nicht hübsch." - "Doch, das bist du." Das Lachen der Dämonin erklang leise und verführerisch. "Und eifersüchtig, nicht wahr? Weil er sie gewählt hat. Lilith, diese kleine Schlampe." Heftig wollte Aleksiel etwas erwidern, doch die Dämonin drückte ihr einen Kuss auf den Mund. "Vergiss ihn. Vergiss mein Brüderchen, er macht dir nur Kummer." - "Du bist seine Schwester?", flüsterte Aleksiel nach einer weiteren Minute des Schweigens und es war eher der Kuss, der sie schockte als diese Tatsache. "Und ich habe deine Mutter..." - "Na und?" Die Dämon winkte lässig ab. "Ich hasste sie. Sie war zu arrogant." Dann wurde die Tür weit aufgerissen und eine männliche Silhouette zeichnete sich gegen das hereinfallende Licht ab. "Wer ist da?" fragte eine ahnungsvolle Stimme. "Niemand." Aleksiel erhob sich zitternd, mit leicht benebeltem Gefühl, und stolzierte aus dem Zimmer. Arakune folgte ihr in einigem Abstand, so dass der Engel Angels wütend erstaunten Gesichtsausdruck nicht sehen konnte. Es dauerte Stunden, bis Aleksiel und Arakune sich wieder in der Wohnung sehen ließen. Beide ruhig gefasst und kalt genug, den Südpol wie die Hölle erscheinen zu lassen. Beide würdigten Angel, der die Zeit damit verbracht hatte, den anderen - außer Luzifer und Lilith, die ihm ständig nachlief - zu erklären, dass Arakune seine ältere Schwester und Dämonenprinzessin war, keines Blickes. Aleksiel ging sogar soweit, ihn einmal beinahe umzurennen, wäre er nicht zur Seite gegangen. Jetzt lehnte er an der Wand, die Augen geschlossen, und hoffte inständig, dass dieses Chaos, dieser Alptraum, bald vorbei wäre. Er kannte seine Schwester und ihre Wirkung. Er kannte ihr Verhalten, wenn sie ein neues Opfer entdeckt hatte und er war ihr nahe genug gewesen, um das merkwürdige schwere Parfum zu riechen. Er wusste, dass es Pheromone enthielt. Wie wollte sie sonst... Der weiche Körper einer Frau lehnte sich an ihn und er sah beinahe schon, bevor er die Augen geöffnet hatte, Lilith an ihm hängen. "Lilly, ich...", wollte er sagen, aber es war doch nicht die Dämonin, die er sah. "Ich helfe dir, sie zurück zu bekommen", sagte Alicia. "Ich weiß doch, dass du ganz vernarrt in sie bist." Er blickte verwirrt auf sie herunter. Gespielt verwirrt, denn in ihrem Blick sah er, dass sie wusste, dass er Aleksiel... liebte. Mehr als alles andere. Keiner von beiden saht die bösen Blicke der grünäugigen Lilith, die sie lauernd aus der dunklen Küche beobachtete. "Das werdet ihr bereuen...", murmelte sie mit wütend verzerrtem Gesicht. "Oh ja, das werdet ihr noch bereuen, das schwöre ich euch..." Arakunes Blick blieb an Arael und diesem kleinen Flittchen Alicia hängen, die sich so eng an ihn drückte. Aleksiel saß stumm und teilnahmslos auf einem Stuhl in der dunklen Küche. Eine weitere Gestalt löste sich jetzt auf, die vorher im Türrahmen gestanden hatte. Arakune schnaubte verächtlich. "Dummes Kind." Sie meinte Lilith. "Will sich rächen..." Sie lachte leise und drehte sich um. Aleksiel reagierte nicht. Merkwürdiger Weise... Sonst reagierte sie auf alles, was ,Lilly' betraf, mit unnachahmlichem Fauchen. "Was ist los?", fragte die Dämonin besorgt. Es sah verdächtig aus. Verdächtig nach... Arakune schnippte mit dem Finger vor Aleksiels Gesicht und der Engel schreckte hoch. Sah sie fragend an, wartete, aber nicht lange, dann schweifte ihr Blick in die Ferne, zur Küchentür, als würde sie erwarten, dass jemand herein trat. "Du träumst ja", murmelte Arakune, mehr zu sich selbst als zu der jungen Frau. "Wovon nur...?" Sie wünschte, sie wüsste es. Sie wünschte, sie könnte das Wesen sein, das jetzt durch Aleksiels Träume geisterte. Sie wünschte, sie könnte alles für den jungen Engel sein - den alten, ewig alten und doch so kindlichen Engel - aber sie konnte nicht. Also setzte sie sich nur an den Tisch und weinte leise ein bisschen. Nur ein bisschen, bis sie merkte, was sie da tat und sich wunderte, weil sie seit Tausenden von Jahren nicht mehr geweint hatte. Weil sie noch nie geweint hatte, nur vielleicht als Kind, vor Wut oder vor Lachen, aber niemals... aus Trauer. Und sie war traurig. "Hübscher Engel", murmelte Arakune leise und zum ersten mal verstand sie, was an diesem Wesen, an dieser Aleksiel so anziehend war, dass alle Männer - Dämonen und Engel und sogar Menschen - sie haben wollten, auch wenn sie sie nur ein mal gesehen hatten. "Warum kannst du nicht mir gehören?" Sie hatte leise gesprochen, so leise, dass sie es selbst nicht einmal gehört hatte, nur wusste, was sie gesagt hatte, aber trotzdem hob Aleksiel den Kopf. Lächelte sie an. So schwermütig und süß... Als würde man in Honig baden. Dann verlor sich ihr Blick wieder ziellos in die Ferne. Wie verhext. Wie... hypnotisiert. Warmer Sonnenschein weckte sie und Arakune rekelte sich wie eine Katze auf den weichen, weißen Seidenlacken, die jetzt ein wenig zerwühlt, genau wie die Decke und das Kissen, auf dem großen, runden Bett lagen. Sogar ihr allmorgendlicher Seufzer klang wie das leise Schnurren eines der verspielten Stubentiger. Als sie den Kopf drehte, sah sie neben sich die weichen Rundungen eines weiblichen Körpers, eines Arms, um den sich goldblaue Locken geschlungen hatten. Ein knappes Hemdchen bedeckte das nötigste. "Aleksiel...", flüsterte sie sehnsüchtig und ließ ihre Hand über das Bett auf die warme Haut zu gleiten. "Ally..." Ihre Stimme bebte vor Zärtlichkeit. "Mein süßer... hübscher Engel..." Und irgendwann zog sie sich doch zurück, stand auf und trat auf den Balkon, in die Morgensonne. Weinte leise, weil sie wusste, dass sie niemals bekommen konnte, was sie gerne haben würde. Weil sie niemals diesen wunderschönen, zarten Körper besitzen konnte. Dass sie niemals Aleksiel besitzen konnte. Diesen Engel, der keiner war und doch wieder das sanfteste, unschuldigste Wesen, was sie jemals gesehen hatte. Das man am liebsten verschlingen wollte, mit Haut und Haaren. Verführen und genießen wie ein zartes, schmelzendes Stück der köstlichsten Schokolade, dessen Geschmack man niemals mehr vergaß. Und das man niemals kosten wollte, weil man wusste - wenn man es einmal genossen hatte, bekam man es niemals wieder. Sie trat zurück in den zwielichtigen Schatten des Raumes, wagte sich noch einmal an das Bett heran und küsste Aleksiel zärtlich auf die glatte, weiße Stirn. "Ich liebe dich, hübscher Engel", flüsterte sie mit rauher Stimme und zwang sich, zwang sich wirklich, wegzugehen. An der Tür blieb sie noch stehen. Sah sich um, sah in dieses süße Gesicht. "Ich liebe dich...", formten ihre Lippen noch einmal. "Ich liebe dich auch...", sagte plötzlich die müde, verschlafene Stimme, sagten die halb offenen Augen, die noch verschleiert waren, noch gar nichts richtig sahen und Arakune riss die ihren weit auf. "Ich liebe dich auch...", sagten die süßen roten Lippen Aleksiels noch einmal, "Angel..." Angel hob den Kopf und wollte eigentlich lächeln - ein kleines, fieses Grinsen - aber er ließ es, als er die merkwürdige Miene seiner großen Schwester sah: die Augen weit aufgerissen, als könnte sie etwas nicht glauben, die Lippen fest zusammen gepresst, damit sie nicht zitterten, und fast den Tränen nahe. Sie setzte sich auf einen der Sessel und starrte eine Weile ins Leere. Ihre Hände spielten unablässig mit einem der Bänder, das von ihrem allzu knappen Oberteil herab hing. Manchmal schweifte ihr Blick zur Schlafzimmertür, hinter der Aleksiel schlief. "Liebst du sie?", fragte er leise, so dass die anderen es nicht mitbekamen, die, noch halb verschlafen zu dieser frühen Stunde - es war gerade erst halb zehn - im Zimmer Platz genommen hatten und frühstückten. Er wusste schon lange, dass sie Frauen liebte. Nur Frauen, niemals Männer. Sie blickte ihn an, starr und fast abwesend, dann schien sie ihn erst zu registrieren und ihre Miene wurde zu Eis und Wut. Riesiger, unmenschlicher, unerklärlicher Wut. "Du...", murmelte sie zischend. Fast fauchend wie die Katze, die sie manchmal war. "Du... Nur du!" Ihre Worte wurden lauter, so dass die anderen aufsehen. "Es ist alles deine Schuld!" Jetzt schrie sie. "DU HAST SIE BENUTZ! WARUM KONNTEST DU SIE NICHT IN RUHE LASSEN?!" Das Lächeln auf seinem Gesicht schwand ganz allmählich, während sie sprach, so dass man sich nicht sicher sein konnte, ob es überhaupt da war. Er wusste, wovon sie sprach und die anderen wussten es auch. Die Blicke, die heißen sehnsüchtigen Blicke, die Arakune Aleksiel jedes mal zugeworfen hatte, wenn sie glaubte, der Engel würde es nicht sehen, waren unmissverständlich deutbar. "Ich hab sie nicht gefickt", sagte Angel ruhig. Alicia, Lance und Ramiel erröteten verärgert über seine ordinäre Wortwahl. Luzifer und auch Rociel schmunzelten amüsiert, sogar Simon und Israfel. "Und das weißt du so gut wie ich", fuhr der Dämon fort. "Ich glaub dir keine von deinen Lügen", fauchte sie zurück, aber es reichte, als seine linke Braue hoch zuckte und sie verstummte eingeschüchtert. Aber nur kurz, bis sie trotzig murmelte: "Das nehme ich dir nicht ab." - "Dann frag sie doch. Frag deine kleine Süße, ob sie sich jemals mit mir einlassen würde." Er klang sekundenlang verärgert und wütend. Zurückgewiesen. Aber nur sekundenlang, dann war er wieder der ruhige, distanzierte Angel und Arakune wünschte sich, ihm diese so verflucht überlegen blickenden Augen auskratzen zu können. Sie verschränkte die Arme unter dem Busen und funkelte ihn an. "Ändere das. Sofort! Ändere diese ganze verfluchte Situation, oder du wirst es bereuen, dass du jemals ihre Nähe gesucht hast!" Jetzt lächelte er breit. "Ich soll die Situation ändern? Aber gerne! Ich hab nichts gegen ein bisschen schmutzigen Sex mit einem Engel. Absolut nicht, wenn du das wissen willst. Aber glaubst du, dass sie dadurch aufgeschlossener im Bezug auf deine lesbischen Phantasien ist?" Die vier Männer, die vorhin schon gelächelt hatten, lachten jetzt verhalten über seine mit einem mehr als nur herausfordernden Grinsen hervorgebrachten Worte, was Arakune dazu veranlasste, beinahe hysterisch zu schreien: "Mach, dass sie dich nicht mehr liebt! Und wisch dir dieses verfluchte dreckige Grinsen vom Gesicht, ehe ich dir die Haut von deinem hohlen Schädel kratze!" Ob nun absichtlich oder nicht - mit fast donnernd lautem Knall stellte Angel seine Tasse auf den spiegelnden Wohnzimmertisch, so dass etwas von dem Kaffee darin überschwappte und Risse in der Glasplatte entstanden. Wer auch immer noch etwas gesagt hatte - jetzt hörten alle lieber auf zu atmen. "Und wenn ich nicht will?" Seine Stimme war die ruhige, mörderische Kühle, die der Tod mit sich brachte, wenn er dich als Wahnsinniger mit einer Waffe in der Hand überraschte. Angel schien zwar der jüngere zu sein, aber in Größe, Stärke und Macht war er seiner Schwester haushoch überlegen. Noch eine Weile lang schwieg alles, dann fragte Arakune erschöpft und leise: "Nur drei Gründe. Kannst du mir nur drei Gründe nennen... warum... nicht?" Sie wusste genauso gut wie er, dass alle zuhörten, doch sie waren beide keine Menschen, sie hatten beide nicht die Moral, die Menschen hatten, und so störte es sie nicht, so offen zu sprechen. Angel nickte nur, einfach so, ganz leicht, starrte ins Leere, trank Schlückchen Weise seinen Kaffee und sagte nichts. Eine ganze Weile nicht, bis er selbst wieder sprechen wollte. "Sie liebt mich. Das stimmt doch, oder?" Alle sahen ihn an, doch er nur Arakune. "Du weiß es. Sie hat es dir gesagt." - "Sie hat im Traum gesprochen", versuchte seine Schwester diese Worte zu rechtfertigen. "Träume sind nicht..." - "Träume sind wahr. In Träumen sagen wir, was wir in der Wirklichkeit verschweigen. Nicht sagen wollen. In Träumen machen wir das, was wir nur zu gerne in der Wirklichkeit tun würden." Angel lachte leise, und ließ sie nicht zu Wort kommen. "Zweitens: Wenn sie es so will?" - "Sie ist unzurechnungsfähig!" Ehrliche Verzweiflung schwang in ihrem Ton mit. Angst. Furcht. Bewusste Unterlegenheit, aber er ignorierte ihren Einwurf, der sowieso weder relevant noch bewiesen war. "Drittens: Warum sollte ich auf dich hören?" - "Ich..." - "Nur meine große Schwester zu sein hat dir noch nie etwas gebracht", benannte und verwarf er ihren Gedanken, beides auf einmal, bevor sie ihn aussprechen konnte. Dann wollte er aufstehen und gehen, doch als er sich umdrehte, als alle sich mit ihm mit drehen, erstarrte jeder. Ein langes, schwarzes Kleid, dünne Träger, von denen einer ihr von der Schulter gerutscht war, der andere fast. Ein tiefes Dekolleté. Schwarz geschminkte Lippen und Augen, schwarze Fingernägel, lang wie Krallen. Das Haar offen über den Rücken wallend, ein paar Strähnen, die ins Gesicht hingen, und durch die glühende, blutige rote Augen sie anstarrten. Der belustigte, arrogante Ausdruck auf ihrem Gesicht zeigte deutlich, dass sie jedes einzelne Wort gehört hatte. "Was soll das Geschrei?", fragte sie eiskalt und spöttisch. Niemand sagte etwas, noch lange niemand und sie lächelte weiter in dieser merkwürdigen, Blut gefrierenden Weise. "Was ist denn so wichtig?" Aleksiel stieß sich vom Türrahmen ab und schlenderte auf sie zu, wobei man den von der Hüfte anfangenden Schlitz genau sah, der viel von ihren schlanken Beinen zeigte. Angel lächelte sie an. Verlangend und sehnsuchtsvoll. Er machte sich nicht die Mühe, seine Gefühle zu verstecken. "Arakune hat mir deine Liebe gestanden", fasste er das Gespräch zusammen, obwohl sie es wusste und dann ging er auf sie zu, um sie herum und betrachtete sie. Jede seiner Bewegungen drückte Verlangen aus. Verlangen danach, sie zu berühren. Ihr Haar, ihre samtig weiche Haut. Ihr in die Augen zu sehen, so tief wie nur möglich. Sie zu spüren, auf jede Weise, die man nur kannte. Sich selbst in ihr zu spüren, ihre Wärme und sie selbst... Dann schlang er seine Arme um sie, vergrub sein Gesicht in ihrem Haar und atmete ihren Duft ein. Tief, so tief... Ihre schwere Süße, die ihn an Rosen und Sonne erinnerte, an Schönheit und Wärme. Und Engel. "Interessant..." Ihre Stimme war leise und rauh, als sie sich sanft aus seinen Armen befreite, ihn ansah, fragend und unwissend wie ein Kind. Ein Kind, das nur spielte und gar nicht recht wuste, was es tat. Und sie entfernte sich von ihm, immer ein Stück, einen Schritt, als würde sie schweben. Und dann drehte sie sich um. Mit einer einzigen, fließenden Bewegung. Einmal herum, als würde sie gehen wollen, von ihm weg, um dann doch zu bleiben. Aber als er sie wieder ansah, war sie anders. Anders, ganz anders. Unschuldig war nichts mehr an ihr. Er sah nur, wie sie sich sanft wiegte in jeder Bewegung, als würde sie ihn locken wollen. Ließ sich niedersinken auf den Tisch und schlug die Beine übereinander, dass der schwarze Stoff des Kleides auseinander klaffte und man noch mehr von ihrer zarten Haut sah. Fast so viel, dass man erahnen konnte, was sie darunter trug. Wenn sie denn etwas trug... "Ich will euch nicht stören", sagte sie sanft und leise, dennoch mit leichter Rauheit, doch jetzt mit anderem Unterton. Wie das Schnurren eines Kätzchens, das gleich beißen würde. "Tut so, als wäre ich gar nicht da." Jeder starrte sie an. Und jeder starrte ihn an. Angel schluckte und merkte es. Aber es war nicht deshalb, weil er die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hatte. Er genoss es jedes mal. "Aleksiel...", murmelte er zärtlich. "Meine Süße..." Dann seufzte er und lachte leise. Lehnte sich an die Wand, neben den gefesselten Rociel, der ihn wutschnaubend anstarrte. "Hast du gehabt, was du wolltest?", fauchte er ihn leise an, leise und so hasserfüllt wie niemand sonst es konnte. Aber Angel lächelte nur weiter. "Ich kann jede haben. Wann immer ich will." Dann sahen alle auf, als ein markerschütternder, trotziger Schrei die Wände erzittern ließ. "NIEMALS!!!" Es war Arakune und sie hatte die Hände so fest geballt, dass man sogar unter ihrer dunklen Haut die weißen Knöchel ihrer Hand sah. "NIEMALS! Niemals wirst du sie bekommen! Sie ist mein, nur mein, verstehst du?!" Und sie sah Angel an. "Sie ist mein, verstehst du? Einmal im Leben wird etwas mir gehören! Einmal nur lass mir, was ich habe!" Sie schien ein ,Bitte' hinzufügen zu wollen, aber sie tat es nicht. Doch ihre Stimme sagte genug aus, um zu merken, dass sie flehte. "Oh kleines...süßes Ding..." Aleksiel trat neben sie, drehte ihr Gesicht zu sich und streichelte zärtlich die vor Zorn und Wut geröteten Wangen der Dämonin. "Süßes kleines Ding, keine Angst." Sie brauchte sich nicht zu strecken, oder zu bücken, um der jungen Frau einen Kuss auf die Stirn zu drücken. "Niemand wird mich bekommen. Niemand. Er nicht. Er nicht und nicht andere." Dann lächelte sie so süß und so rein wie ein wahrer Engel und mit diesem Lächeln sah man fast die leuchtenden weißen Schwingen über ihren Schultern. "Dann...?" Über Arakunes Gesicht zog sich langsam ein Strahlen, als würde die Sonne am Himmel aufgehen wollen, doch der Engel lächelte nur gütig und lieb, dann trat sie zurück und ihr Lächeln wurde kalt wie der Tod. "Niemand. Niemals. Ich gehöre nur mir. Mir allein. Ich bin nur für mich da, für niemanden sonst. Und niemand, niemand jemals, wird mich bekommen." Stille trat ein. Stille, die nach Worten lechzte, doch niemand sagte etwas. Alle schwiegen nur, sehen betreten zu Boden oder in Aleksiels ausdrucksloses, gefühlloses Gesicht, das nicht einmal dadurch seine Schönheit verlor. Dann erhob Ramiel sich, trat auf sie zu und als seine Hand auf ihre Wange auftraf, war es so hart, dass ihr Kopf herum ruckte und ihre Locken flogen. Seine Stimme war unterdrückte, verächtliche Wut, als er sagte: "Ihr liebt niemanden, als Euch selbst. Ihr seid so... widerlich." Niemand wagte es, ihn zu unterbrechen, obwohl sie alle wussten oder ahnten, dass dies ein Sakrileg war. "Es steht Euch nicht zu, Euch ENGEL der Ewigkeit zu nennen. Ihr seid nur eine armselige, wertlose Hure. Ihr habt nicht das Recht, das Wort Engel überhaupt auszusprechen." - "Ramiel..." Israfel verstummte verzweifelt und schlug die Hände vors Gesicht, als Aleksiel den Engel ansah. "Du glaubst also, ich wäre wertlos?" Sie lächelte ruhig. So ruhig, dass der junge Mann unbehaglich von einem Fuß auf den anderen trat. "Eine Hure, ja? Aber ihr Männer seid so tugendhaft, nicht wahr?" Jetzt lachte sie, ganz leise und schüttelte etwas ungläubig den Kopf. "Als wärt ihr mir nicht wie läufige Hunde hinterher gerannt, hättet jede Gelegenheit genutzt, mich ins Bett zu zerren oder nur in eine dunkle Ecke. Wer war es denn, der mich zu dem machte, was ich bin? Ich allein? Nein. Ihr wart es. Schon als ich nur ein Engel war, nur eine junge, unerfahrene Novizin, fingt ihr mich. Mal mit schmeichelnden Worten, mal mich süßen Verlockungen, mal mit brutaler Gewalt, als wäre ich ein Stück Vieh, das ihr nehmen könntet, wann ihr es wollt. Und dann beschwert ihr euch?" Ihr Lachen wurde lauter und brach dann schließlich ab und jetzt war sie es, die Ramiel schlug. "Als wärst du nicht dabei gewesen! Als wärst du unschuldig! Auf nichts habt ihr geachtet, wenn ihr wolltet, was ich euch geben sollte. Nicht einmal, als ich das wurde, was ich bin. Ich..." Plötzlich stoppte sie. Schluckte und wurde sich der Augen bewusst, die sie anstarrten. Alle taten es. Alle, die sie verwundert, entsetzt und betroffen ansahen. Luzifer und Simon. Israfel. Arakune. Lance und Alicia. Ramiel. Rociel lächelte nur still und wissend, genau wie Angel. Angel... der es jetzt wusste? "Ihr seid alle gleich...", fauchte sie zitternd und lief dann zur Tür. Den anderen war, als müsste sie Tränen unterdrücken, die schon in ihren Augen glitzerten. "Engel...", flüsterte Angel wissend, als die Tür hinter ihr zu schlug und lachte leise. Schließlich lauter und dann blinzelte er Rociel zu, als hätten sie eine Verschwörung, doch der gefesselte Dämon schnaubte nur verächtlich. Arakune hatte die ganze Zeit in einem Sessel gehockt, einsam und traurig. Zitternd. Und jeder ihrer Blicke drückte ihren Hass aus. Gegen Arael. Gegen Aleksiel. Jetzt schüttelte sie den Kopf und musterte alle im Raum kühl. "Ich hoffe, ihr seid nicht zu enttäuscht, wenn eure Bemühungen umsonst waren." Alle sahen sie fragend an. "Sie hat schon immer jedem einen Strich durch die Rechnung gemacht." Sie lachte. "Sag auf Wiedersehen, Aleksiel." Dann war sie verschwunden. "Arakune ist gegangen", sagte Angel, als Aleksiel zurück kam, aber sie reagierte kaum. "Wir brauchen hier keine Schwäche", murmelte sie erschöpft und erst jetzt sah er, dass ihre Sachen zerissen waren, ihr Haar zerzaust und sie selbst verschrammt und blutig war. "Was ist passier?", fragte er mit einer Besorgnis, die ihm im nächsten Moment fremd war und sie sank gegen die Wand. Rutschte daran herunter und hinterließ eine blutig rote Spur. "Kennst du Uriel?" - "Der Erzengel?" - "Er war einer." Sie schlug die Hände vors Gesicht und strich sich nach einer Weile das Haar zurück. "Ich hätte nicht gedacht, dass sie so gut sind..." - "Liebes, was ist passiert?" Simon tauchte in ihr Blickfeld und kniete sich besorgt vor den Engel. "Was ist los?" Seine Hände strichen behutsam über ihr Gesicht, berührten vorsichtig die Schrammen, dann hob er sie hoch, als wäre sie leicht wie eine Feder, was vielleicht auch stimmte, und trug sie aus dem Flur ins Wohnzimmer. Die anderen sahen auf, besorgt, aber auch spöttisch - Ramiel - und wollten Fragen stellen, aber sie verhinderte jedes Wort. "Die Heerscharen haben sich versammelt", war ihr Kommentar, der Antwort auf alles zu sein schien. "Sie werden bald angreifen. Damals, als Luzifer Gottes Thron erobern wollte, waren sie schon einmal im Einsatz. Ein grausamer Kampf... Michael führt sie an. Der Heerführer. Uriel war sein Vorbote." - "Machst du dir deshalb Sorgen?", fragte Israfel spöttisch. "Du bist Aleksiel, der Engel der Ewigkeit, die Fürstin der Himmlischen Heerscharen, die Göttin des Untergangs. Niemand hat so viele Schlachten geschlagen wie du!" - Ihr Blick war mitleidig auf ihn gerichtet. "Dummkopf. Es ist eine Sache, einen Engel zu köpfen, wenn er demütig vor dir kniet, im Glauben, du wärst ein Verbündeter, aber es ist etwas anderes, gegen einen Erzengel anzutreten, der weiß, was du bist. Wer du bist. Und was dein Ziel ist." - "Und das weiß er?" - "Er..." Aleksiel schwieg. Dachte nach, dann kicherte sie freudlos. "Niemand kennt meine Ziele." Es hörte sich beunruhigend düster an, dann sah sie auf, allen fest in die Augen. "Draußen wartet ,God's Army', Gabriels Schöpfung, und sie wollen durch unsere Niederlage beweisen, dass Sein Heer keine Chance hat. Also los. Treten wir in ein paar Ärsche." - "Du willst tatsächlich noch gegen sie antreten?!" Jeder schien das gesagt zu haben, denn alle starrten sie schockiert an. Aleksiels roten Augen glühten. "Ich werde sie vernichten." Sie leckte sich genüsslich die Lippen. "Darauf könnt ihr euch verlassen." "Ich habe dich erwartet." Das heisere Lachen des Erzengels tönte laut über den Platz. "Ich wusste, dass du kommst." Ihm gegenüber stand ein rotäugiges Monster, das sich genüsslich die Lippen leckte, eine Geste der Provokation, die ihn nicht im Mindesten bewegte. "Ich hoffe, du hast dein Ende mit einbezogen?", stellte es die leise, herausfordernde Frage, gefolgt von einem finsteren, höllischen Grinsen. "Ich war schon immer besser als du." - "In deinen Träumen", erwiderte der Erzengel besorgniserregend ruhig und wich einem Tritt seines Gegners aus, doch als er triumphierend lächeln wollte, tropfte schwarzes Blut von seiner Wange. Verwundert wischte er es ab und sagte dann anerkennend "Du bist gut." Wieder keine Antwort, nur ein erneuter Angriff, der sie wie zwei Blitze aufeinander zu jagen ließ, die sich in der Mitte trafen und Donner schien die Erde zu erschüttern, bevor sie wieder - auf gegenüberliegenden Seiten ihrer Kampfarena - Atem holten. "Das war wirklich nicht schlecht, Angel", fauchte der Erzengel leicht pikiert und wischte sich weiteres Blut vom Gesicht. "Auch wenn mir die süße Aleksiel lieber wäre." - "Du warst noch nie besonders schnell", erwiderte der Dämon, diesmal zu einer Antwort bereit. Eine Gestalt taumelte auf ihn zu, doch er stieß sie mit einer Handbewegung zur Seite, so dass der verletzte Engel zu Boden stürzte und dort von seinem Gegner - einem Dämon - brutal zerfleischt wurde. Um die beiden Männer herum tobte ein Massaker. Ein fast unmenschlich anmutender Kampf auf den wie ausgestorben wirkenden Straßen. Ausgestorben, wenn man nach Menschen suchte. Unmenschlich, wenn man die Gestalt der Gegner betrachtete und ihre Ähnlichkeit mit den "Marionetten". Die Heere des Himmels und der Hölle lieferten sich in der verlassenen, verwüsteten Stadt einen dunklen, blutigen Kampf. Verlassen... Die Menschen saßen in ihren Häusern, während für ihre Augen der Weltuntergang vor den verschlossenen Türen in Form eines Orkans tobte. Der Weltuntergang, wie das jüngste Gericht. Sie sahen nicht die Engel und Dämonen, sahen nicht ihr schwarzes, stinkendes Blut, dass das Gras an Straßenrändern und auf Gehwegen tränkte, hörten nicht die gequälten oder triumphierenden Schreie der beiden Gruppen, die sich hier und jetzt in nichts zu unterscheiden schienen. Engel wie Dämonen gleichermaßen brutal und hasserfüllt. Man konnte nicht glauben, dass sie sich jemals unterschieden hatten...? "Willst du reden oder kämpfen?", fragte jetzt Angel, Prinz der finsteren Hölle, die dennoch wenig anders war als der Himmel. Michael grinste ihn an. "Nur noch eins, damit du auch bei der Sache bist, kleiner dreckiger Bastard." Der Erzengel grinste und es war ein fast animalisches, finsteres Grinsen, das einem Schauder über den Rücken jagte, während in seinen Augen ein Funkeln glitzerte, das seine Bereitschaft zum Mord mehr als nur unterstrich. "Hast du jemals wirklich geglaubt, DU hättest das süße Engelchen in den Wahnsinn getrieben? Sie liebte diesen Mann und diese Frau, ihren ,Vater' und ihre ,Mutter'." Er hörte sich an, als wäre er stolz darauf! "ICH war es, der sie dazu gebracht hat, euch alle zu hassen. Ich war ihr Vater, der sie tötete und ihr das Herz brach. Und du konntest nichts dagegen unternehmen." Michael hob den Kopf und lachte lauthals, als wäre es der größte Witz der Welt. Und plötzlich risst eine Erschütterung den Körper des Erzengels und sein Gesicht in entsetzte, panische Starre. Seine Augen waren weit aufgerissen, so weit, dass sie hervorquollen, und blickten Angel ungläubig, ja beinahe fassungslos an. Ein erneuter Ruck und Blut lief ihm aus Mund und Nase. Dann beugte er sich vor und schwarzer, zäher Schleim tropfte auf den matschigen Boden. Um ihn herum war jeder Kampf zum Stillstand gekommen und alle starrten nur den keuchenden Erzengel an. Und die schlanke hübsche Gestalt hinter ihm, die mit tödlich desinteressiertem Gesicht auf ihn herunter blickte. Hinter ihm stand Aleksiel, der wunderschöne, sanfte, zarte Engel der Ewigkeit und ihre Hand steckte in einem zerfransten, blutigen Loch in Michaels Rücken, die sie jetzt heraus zog, ja fast riss. Er stürzte zu Boden und wand sich in Schmerzen, versuchte sie anzusehen, während sie ihre blutige Hand hob, ihren Blick noch immer so furchteinflößend gleichgültig auf ihn gerichtet. Zwischen ihren Fingern pulsierte ein schwarzes, nasses, fleischiges Etwas, das sie achtlos neben ihm fallen ließ. Als sie aufsah, zu Angel, der sie anstarrte wie ein Wesen von einem andern Stern, lächelte sie leidenschaftslos. "Sein Herz", war ihre ruhige, kühle Antwort und er verstand nicht, wie sie so völlig gefühllos sein konnte. "Er ist tot", sagte sie jetzt, noch immer mit diesem Ton in der Stimme und sie sagte es nicht zu ihm, sondern zu allen anderen. "Der Krieg ist so gut wie Ende. Also verpisst euch." In der Mitte entstand eine Gasse, als sie die Straße entlang ging, die Stimme nicht erhoben, aber trotzdem verstand man jedes Wort in dieser toten Stille. "Niemand mehr fürchtet die Himmlischen Heerscharen. Ihr seid so traurig." Die Engel durchbohrten sie fast mit Blicken, die Dämonen ebenfalls, aber dem hübschen Engel machte es nichts aus. Nicht das geringste, dass ihre Gegner wie auch ihre Verbündeten sie hassten. Sie hassten, obwohl in jedem einzelnen dieser finsteren, mörderischen Blicke Verlangen und Sehnsucht glühten. In Jedem, der ihr hinterher sah, dem wiegenden Schritt, dem wehenden Haar, der fast jungfräulichen, kindlichen Figur, die doch so viel Weibliches an sich hatte. Und das Rauschen von Millionen dämonischer und engelhafter Schwingen erfüllte die Luft, als sich ein jeder erhob und mit deutlicher Verachtung das Schlachtfeld verließ. Glitzernde Sterne übersäten das nachtschwarze Firmament wie Diamanten auf schwarzen Samt und der große runde Vollmond verstrahlte einen sanften, himmlischen Glanz über die erleuchtete Stadt, von der man nicht glauben konnte, dass sie von ein paar Stunden noch der Schauplatz eines blutigen, zerstörerischen Kampfes war. Auf einem Balkon stand die schlanke Gestalt eines Mädchens, dessen lockiges Haar im kühlen Wind vor ihrem Gesicht spielte und sie strich es hin und wieder zur Seite, ohne es wirklich zu bemerken. Sie ignorierte es auch, als ein junger Mann hinter sie trat, beinahe seine Arme um sie legte, es aber dann doch ließ. "Was erwartest du noch?", fragte er nach schier unendlichem Schweigen, als würde er sie beruhigen wollen. Sie starrte weiter in das Dunkel, doch ihre Hände krampften sich um das Geländer des Balkons. "Als wäre es so einfach..." Dann drehte sie sich zu ihm um und er sah die dünne Silberkette im Mondlicht glitzern. Sechs kleine Anhänger lagen auf ihrer blassen Haut. Sechs kleine Zeichen, die er kannte. Die ihm bekannt vorkamen. Drei davon hatten Michael, Gabriel und Uriel gehörte, den Erzengeln. Ein anderer erinnerte ihn an die Hölle, noch einer war auch irgendwie bekannt, doch der dritte... doch nicht. Sie hatte sich wieder umgedreht und starrte hinunter auf die Straße. Wartete auf Simon und Israfel, die noch weg gegangen waren und jetzt irgendwann wiederkommen mussten. "Und was sollen wir deiner Meinung nach tun?", fragte er gereizt, als sie ihn nicht weiter beachtete. Aber dann spürte er eine Bewegung hinter sich und ehe er sich umdrehen konnte, wirbelte etwas Kleines, Silbriges an ihm vorbei und Aleksiel fingt es auf, ohne sich umzudrehen. "Du kommst allein", sagte sie leise. Es war keine Frage, nur eine einfache Feststellung und als Angel sich umdrehte, sah er den Erzengel vor sich mit Blut im Mundwinkel, zerzaustem Haar und zerrissenen Sachen. "Eine Kette aus Toten?", fragte er leise. Trat neben sie und strich über ihr Gesicht. "Gabriel und Raphael, Michael..." - "...und jetzt Israfel", beendete sie den Satz. Brauchte sich nicht umzudrehen, damit sie die in ihre Einzelteile zerlegte, leblose Gestalt auf dem Teppich sah, vor der Ramiel mit verkniffener Miene kniete, während man aus dem Bad würgende Laute hörte, von Alicia; Lance war bei ihr. ,Besser da, als hier', dachte sie. "Du hast ihn getötet", unterbrach Simon ihren Gedankengang und sie spürte seine Hand, die über ihre Haut strich, ihren Hals, und die Anhänger beobachtete, von denen jeder der sechs einen Toten verkörperte. "Gabriel", murmelte sie kaum verständlich. "Er schenkte ihn mir. Legte mir seine Leiche zu Füßen... Ich dachte nie, dass es so beginnen würde..." Dann lachte sie humorlos. "Und jetzt hängt er selbst. Wie er es verdient hat... Wie jeder von ihnen..." Hinter ihnen ging Israfels Leiche in Flammen auf... Wind wehte über die Ebene, bog die goldenen Ähren der Weizenfelder sanft wie Wellen, streichelte die wogenden Wipfel der Bäume, schüttete sein flüsterndes Säuseln aus über die Nacht. Schlafende Blumenköpfe schwankten voll schwerer Leichtigkeit in smaragdgrünen, ruhenden Wiesen und süßer Duft, wie von Rosen und Vergissmeinnicht hüllte den menschenleeren Ort in Märchenhauch. Eine schlanke Mädchengestalt stand mit geschlossenen Augen auf einer Anhöhe, genoss den Wind, der ihr langes Haar lodernd wie eine goldblaue Flamme in den Himmel streckte. Stand nur da, wie eine weiße Marmorstatue und heller Lichtschein, wie weiße Engelsschwingen, wie zarte glitzernde Flügel, wehten hinter ihr her. Ein sanfter zarter Engel, mit blassem Gesicht, aus dem rote, blutrote Lippen leuchteten und Augen wie Feuer. Mit einem Gewand, wie nichts, wie weiche weiße Seidentücher, durchscheinend und zart, die Konturen ihres Körpers nachzeichnend wie ein Maler seine Liebste. Streichelnde Berührungen, wie die Finger Gottes, der seine schönste, einzigartigste Schöpfung bewunderte und hoffte, man spüre seine Liebe zu ihr nicht allzusehr. Doch es war nicht der Wind, den sie genoss, nicht die Nacht, die sie auskostete, ihre Kühle, ihre Kraft. Nein. Wartend wie ein Jäger. Lauernd. Bereit zum Sprung wie eine Raubkatze. Ein Tiger, dessen Sinne geschärft waren, die Nerven zum Zerreißen gespannt. Und sie wartete. Auf das Opfer. Sie wartete nur. Auf dessen Verderben. Ein dunkler Schatten glitt über die Ebene, verdeckte die Sichel des hellen Mondes, wie ein großer Raubvogel, ein Ungeheuer hockte eine Gestalt auf dem verkohlten Rest eines vom Blitz zerstörten Baumes. Sekundenlang erstarrte die Nacht, die Geräusche der Zikaden, die sirrend in den Büschen saßen, brachen ab, der Wind verstummte und drückende Hitze, wie die Hölle, legte sich wie eine schwere Decke über alles. Dann überzog sanfte Röte das mitternächtliche Firmament, als würde die Morgendämmerung ihr mildes Leuchten am Himmel ausbreiten, oder ein Feuer, dass am Himmel brannte. Wolken nahten, von unsichtbarer Hand getrieben, Tropfen fielen, erst leise und kaum spürbar, dann schneller und schneller, bis sie, einem Wasserfall gleich, die Erde tränkten. Wie Musik zum Rauschen des Sturms, der sich jetzt erhob, stärker wird und immer stärker, um einen wahren Orkan zu entfachen. Die weibliche Gestalt auf dem Hügel glättete ihr widerspenstiges Haar, das im Regen als schwere Strähnen durch den Sturm wirbelte, halb nass und halb trocken, immer wieder getroffen von Tropfen, die es erschwerten und doch wieder vom Wind davon gerissen wurden. Davon gerissen wie das zarte Gold und blau zwischen ihren Fingern. Und dann gab sie es auf und sah in die Ferne, wo silberne Blitze die Erde zum Beben bringen, sich in ihren Augen spiegelten, die glitzern wie geschmolzenes Metall und Vulkane voller flüssiger Lava. "Du bist früh", sagte sie leise zu dem großen Vogel auf dem Baum, der Gestalt mit schwarzen Flügeln, die sie musterte, als wäre sie nur ein Würmchen oder etwas das man mit Genuss verspeisen konnte. Verschlingen wie ein Leckerbissen... Der Sturm riss ihr die Worte von den roten Lippen, aber er verstand sie trotzdem. Sprang von dem Baum herab und ging auf sie zu, wie sie zu ihm ging und seine finstere Gestalt ragte drohend vor ihr auf. "Du nicht?", antwortete er und strich über ihr Gesicht, über ihre Lippen, und seine Finger verirrten sich über die sanfte Linie ihres Halses zum Ansatz ihres Busens, bevor sie seine Hand nahm und leise lachte, wie ein Glockenspiel. "Scherze nicht mit mir, ich habe keine Zeit." Aber er lächelte nur und dirigierte mit sanfter Gewalt ihr Gesicht vor seines, um sie zu küssen, doch eine Stimme, wie Eis, so dass sie erschauerten, durchdrang sie schneidend scharf: "Wie süß. Zwei verliebte Monster." Und sie drehten sich um, doch nicht furchtsam, nicht ängstlich. Mehr spöttisch, mehr überrascht. Mehr... erfreut. Als würde der Jäger spotten, dessen Beute glaubte, sie wäre er. "Wie süß. Ein Kind, das sich trotz seiner Angst in den Sturm wagte. "Was hast du angestellt, dass sie dich wie einen reudigen Hund hinaus in den Regen schicken?" - "Ach komm schon, wen interessiert dein Gelaber? Lass uns anfangen, dann hab ich's hinter mir." Der Erzengel, der weibliche Erzengel, stellte sich in Position, als würde sie einen Faustkampf beginnen wollen, doch Aleksiel lächelte nur teuflisch und ihre Augen begannen zu glitzern wie Eis. "Du hast ja so recht..." Und wie ein Pfeil schoss sie vor, traf die Frau mitten in den Magen und diese schnappte nach Luft wie eine Ertrinkende. Krallte ihre Finger in den Körper vor sich, doch da war nichts mehr außer Luft. Sie hustete und ein dünnes Rinnsal Blut floss aus ihrem Mundwinkel, als sie zusammenzubrechen drohte. Aber sie blieb stehen und wischte es ab. "Ich bin noch nicht... Schach matt...", fauchte sie unterdrückt, während Aleksiel von ihr weg ging, schlenderte, während das weiße Kleid, der Stoff, feucht an ihrem Körper klebte und noch mehr zeigte als vorher. "Kehr mir nicht den Rücken zu, du verdorbenes kleines Flittchen!" Keine Reaktion erfolgte. Keine, die sie erwartete. Der süße Ewigkeitsengel begab sich nur interesselos, gleichgültig zu den Worten der anderen Frau zu Angel, der mit lüsternen Blicken das zu verschlingen schien, was unter nassem, klebrigem Stoff zu sehen war. Streichelte über ihren Rücken, über ihre Schultern und zog sie näher. Küsste sanft jeden Zentimeter der fein geschwungenen Linie ihres Halses, während sie blicklos, wortlos auf ihn herab sah und seine Augen höhnisch belächelnd im tiefen Blick des Erzengels badeten. "VERFLUCHTE SCHLAMPE!" Der Hass schrie förmlich über die wogenden Kornfelder, über die Bäume, umhüllte alles mit seinem eisigen Hauch. Und alles aus dem Mund eines Engels. "Nimm es endlich ernst! Das ist kein Spiel mehr, wie du vielleicht geglaubt hast! Ich werde dich töten, hörst du mich, du kleine Hure?!" Tränen der Wut und des Hasses glitzerten in den Augen des weiblichen Erzengels und sie hatte die Hände zu Fäusten geballt. "Verflucht noch mal, nimm es wenigstens einmal, wenigstens ein verdammtes, verfluchtes, blutiges mal ernst!" Und dann weinte sie. Sah aus als wenn sie weinte. Vielleicht aus Verzweiflung. Aleksiels Blick klärte sich. Endlich kehrte Leben in diese brennenden, blutroten Augen zurück, in diesen Körper, der vorher einer Puppe ähnlicher war als einem lebenden Wesen. Sie stieß Angel von sich, nicht plötzlich und abwehrend, nur einfach so, nahm seine Hände von ihrem Körper, schob seinen Kopf zur Seite und trat von ihm weg wie aus einem Bannkreis, aus einer Trance. "Habe ich jemals belächelt, was hier passierte?", fragte sie ruhig und ohne Wut oder irgend ein anderes Gefühl, aber das war es, was den Erzengel zurückweichen ließ. "Dabris, süße kleine Dabris", murmelte sie. "Kleiner Engel. Du hast mich schon immer gehasst, nicht wahr? Wie alle anderen. So sehr gehasst, dass du mich geliebt hast..." - "Du verfluchtes arrogantes..." Dabris, der Erzengel, fand keine Worte mehr, keine Beleidigung, die sie noch sagen konnte, und so spuckte sie nur Aleksiel ins Gesicht, aber der Ewigkeitsengel wischte es nur unbeeindruckt weg. "Du bist es nicht wert, zu leben." Ein Fauchen, fast selbst wie eine Raubkatze, doch ohne die nötige Kraft, ohne die Energie. Und das wusste sie. "Du warst es nie wert, Mörderin. Du verfluchter Dämon! Hast dich in den Himmel eingenistet wie ein Geschwür, ein Schmarotzer! Du bist eine Schande, du bist..." Ein Schlag schleuderte den Körper zu Boden, hart und erbarmungslos. Benommen hob Dabris ihren Kopf, einen hübschen Kopf mit roten Löckchen und großen braunen Augen, doch es war nicht Schönheit, das rettete. "Schönheit rettet niemals", flüsterte Aleksiel und ihre Hände sanken herab. "Also muss es sein, nicht wahr? Willst du es so? MUSSTEST DU ES UNBEDINGT HERAUSFORDERN, DU VERFLUCHTES HIMMELSKIND?! WAR ES DENN SO WICHTIG MICH ZU DEMÜTIGEN UND ZU BESCHIMPFEN?" Sie schrie. Wütend und Hasserfüllt, aber nicht Hass auf diesen Erzengel, der sie nur mit leeren, verständnislosen Augen musterte. "Jeder von euch versucht es. Eine Ewigkeitsengel ins Bett zu bekommen. Das schönste, süßeste Wesen des Himmels. Habe ich mir das ausgesucht? VERFLUCHT DOCH EUREN GOTT, DER DAS SO WOLLTE! ICH ERSCHUF MICH NICHT SELBST!" Doch dann brach sie mitten drin ab. Wurde blass und still und sah zu Boden. "Aber du willst es wohl nicht anders und so geht es auch nicht anders." Dann drehte sie sich leicht, halb, so dass sie weder Dabris aus den Augen verlor aber trotzdem die anderen sah, die sich hinter ihr aufgereiht hatten wie Puppen in einem Puppenspiel. "Rociel", sagte sie leise und alle blickten verwundert zu ihm. Deshalb verwundert, weil ihre Stimme voller Zärtlichkeit war. Dem ersten wirklichen Gefühl außer Wut und Hass, dass sie bisher bei ihr gesehen hatten. Und Trauer, die sie immer ausstrahlte. Und er lächelte zurück mit der selben Zärtlichkeit und der selben Liebe in den Augen, die in den ihren lag. "Mein kleines Schwesterchen", sagte er und lächelte sie an. Seine Stimme, so säuselnd wie der Wind, und dennoch schneidend und scharf ließ sie alle schlimmes ahnen. Schlimmer, als es jemals werden konnte und sie wünschten sich, sie könnten etwas unternehmen. "Aleksiel." Es war das erste mal, dass er ihren Namen genannt hatte. Ein Zucken ließ den schlanken Mädchenkörper erbeben und als sie den Kopf zu ihnen umwandte, erschraken sie vor ihrem eiskalten Blick, wie ein Stein, wie ein Gletscher. So eisig und so blau. So tot. "Aleksiel", wiederholte der Dämon & sie neigte ihren Kopf zur Erde, wie eine Sklavin. "Töte sie." Tausend raunende Stimmen erfüllten die Ebene, den leeren einsamen Ort, der umgeben war von wispernden Bäumen und wogenden Kornfeldern in einem Sturm, der schon lange kein Sturm mehr war, nur noch heißer Wind, Wind wie von einem Vulkan, von einem Feuer, der sie berührte, sie verbrannte, die Gestalten, die mit einer Mischung aus Angst, Entsetzen und Faszination auf das in ihrer Mitte starrten, die junge Frau, in deren eisigem, blauem Blick ein kaltes Feuer wütete. Ihre Seelen durchdrang und mit Furcht erfüllte, mit einer Angst, wie sie sie noch niemals gespürt hatten. Sie stand einfach nur da, hoch aufgerichtet wie eine wunderschöne Statue, aber auch wie eine Puppe, eine Marionette an unsichtbaren Fäden, geführt von dem Dämon Rociel, in dessen Augen ihr starr fixierter Blick lag. Ihr Arm bot ihm das dar, dessen ehemaliger Platz ein zerfranstet, blutiges Loch in der Brust des leblosen Körpers neben ihr war. Als würde sie ihrem Meister ein Opfer bringen und sein "gut gemacht" ließ es auch so scheinen. Ihrem Meister, der trotz seiner Fesseln fast königlich wirkte, genauso wie sie trotz ihrer Aura von Reinheit und Unschuld, die sie manchmal noch ausstrahlte, manchmal und manchmal auch oft, einem Mörder glich. Gewissenhaft und skrupellos, der alle Aufträge erfüllte, egal welcher Natur und wie grausam sie auch sein mochten. Jetzt hob sie ihre Hand, diesen schönen weißen Arm, in dessen Fingern das lag, was einmal ein schlagendes Herz war, und presste den Lebenssaft heraus, das schwarze Blut des Erzengels Dabris und trank. Tropfen fielen auf ihre helle Haut, auf ihren Hals und daran herunter liefen. Dann ließ sie den breiigen Rest Fleisch achtlos auf den Boden fallen, als wäre es nichts, nur Abfall und mehr war es auch nicht. Und sah zu den anderen, deren Mienen teils erregt, teils angewidert waren. Und die jetzt zurückschreckten, als das Gesicht, das sich ihnen zuwandte, wieder das mit den schönen brennenden Augen war. Aleksiels Gesicht. "Was?", fragte sie leise und ruhig. Keiner antwortete ihr, jeder sah nur auf das Blut an ihrem Arm, in ihrem Gesicht, an ihrem Hals. Es tropfte von ihren Fingern auf den Boden, von ihrem Kinn auf das weiße Tuch ihres Gewandes und sie wischte es ab. Ruhig. Desinteressiert. Als wäre es nicht ihr Körper. Die anderen schluckten nur, außer Rociel, und Angel fragte mit mühsam beherrschter, krächzender Stimme: "Was war das?" Sie sah ihn an, so dass er den Blick abwandte von ihrem Gesicht, das trotz den Merkmalen eines Engels doch teuflisch wirkte. "Das war sie", antwortete sie und breitete ihre Flügel aus, die schwarz waren wie die Nacht. "Es gibt Dinge, die Gott nicht erschaffen sollte." Heiße Wassertropfen perlten von weißer Haut, fielen aus nassen Haarsträhnen, trafen immer und immer wieder das Gesicht der jungen Frau, die unter der Dusche stand. Reglos mit geschlossenen Augen der Wirklichkeit entronnen. Für dieses mal, doch für wie lange? Ein Kleid lag, achtlos beiseite geworfen auf dem Boden. Ein Kleid, das eher aus Tüchern bestand, mit Blutflecken die nicht rot waren oder braun sondern schwarz wie Teufelsblut. Sie bemerkte es nicht, als sie daran vorbei ging, nur in ein Handtuch gewickelt, wie sie auch nicht bemerkte, dass es halb herunter gerutscht war und den Ansatz ihres Busens zeigte. Ihre Augen, wieder feurig wie die Hölle, waren dennoch leer und wie von Schatten überzogen, als sie ins Wohnzimmer kam, zu den anderen, die aufsahen oder nicht, als sie ihre Schritte hörten und der Klang ihres Namens schreckte sie, als Angel seinen Arm um sie legte, einmal nicht ihren Körper anstarrte, ihre Brüste, ihre schlanken, sich wiegenden Hüften, sondern mit Sorge über die Ereignisse nachdachte, die er nicht verstehen konnte. Sie bemerkte nicht die Blicke, die auf ihr ruhten oder die, die sich zu Rociel verirrten, der selbstvergessen und in ähnlicher Trance, in ähnlichem tranceartigem Zustand, in seine Ecke saß, an Händen und Füßen gefesselt und nicht versuchte sich zu befreien. "Knebelt ihn", sagte sie irgendwann und es war wie eine Flucht aus der Wirklichkeit. Eine Flucht vor dem, was passiert war und was sie nicht verhindern konnte oder gekonnt hatte. Irgend jemand ging, holte ein Tuch, um Rociel den Mund zu verschließen, doch der Dämon konnte es lange genug abwehren um zu sagen: "ICH bin es nicht, der sie ruft, Schwesterchen." Dann brachen seine Worte ab zu unverständlichem Gemurmel, halb wütenden Lauten, halb voll Genugtuung, dass sie wohl Angst vor ihm hatte. Sein Blick sagte es deutlich. "Ich glaube, du schuldest uns eine Erklärung", sagte irgend jemand, aber sie bekam nicht mit, wer es war. "Ich tötete einen Engel", erwiderte sie leise. "Reicht euch das nicht?" Sie sah auf, sah stumm in die Gesichter aller im Zimmer, doch jeder wich ihrem Blick aus. Luzifer verächtlich. Simon starrte nur auf den Boden. Ramiel vergrub sein Gesicht in den Händen. Und Lance und Alicia schienen eher am Rande... des Wahnsinns zu schweben, als dass man noch mit ihnen reden konnte. Aber war es vielleicht doch etwas zu viel für sie? Hätte sie... nicht auf... die andere hören sollen? Dann fiel ihr Blick auf Angel und diesmal senkte sie den Kopf, als er fragte: "War das nötig? Hättest du es nicht anders geschafft?" - "Sie war meine beste Freundin...", flüsterte sie, so leise, dass es kaum zu verstehen war. "Ich musste es tun..." Sie merkte selbst, wie unlogisch sich das anhörte. Und sie wusste selbst, dass sich auch alles andere unlogisch anhören würde, aber sie redete trotzdem weiter: "Das war ich nicht... Ich war das nicht, wisst ihr? Das war die andere... Sie ist immer da... Und sie wird immer wieder auftauchen. Immer, immer wieder. Und ich kann sie nicht davon abhalten..." Und dann sah sie auf, sah alle, an die den Blick von ihr abwenden und flehte förmlich: "Ich war es nicht! Das war sie! Sie hat sie getötet! Ich war das nicht! Ich habe noch nie jemanden getötet!" Aber niemand sah auf. Niemand sah auch nur aus, als würde er ihr glauben. Nur Luzifer schenkte ihr noch einen letzten, verächtlichen Blick, bevor er sich auflöste mit den Worten "Dein Pech." Aleksiel starrte ihm nach, soweit man das konnte und dann lächelte sie. Selbst verächtlich. "Aber du liebst mich trotzdem..." Es war schon weit nach Mitternacht, der Mond war hinter einem Mantel tiefschwarzer Wolken verschwunden und die Sterne verblassten langsam. Bald würden Streifen von Rosa und rot die Sonne ankündigen und den neuen Morgen, aber bis dahin war es noch ein Weilchen hin. Alicia und Lance schliefen auf der Couch. Schon lange, seit das Mädchen einen hysterischen Anfall bekommen und sich beinahe mit einem Messer die Pulsadern aufgeschnitten hatte. Aleksiel war die einzige, die sich in das Schlafzimmer verzogen und sich ein bisschen Ruhe gegönnt hatte, obwohl ihr Blick auf das Messer noch hoffnungsvoller und sehnsüchtiger war als Alicias, nachdem man es dem Mädchen weggenommen hatte. Die drei Männer, die noch übrig und wach waren - Angel, Simon und Ramiel - saßen schweigend und übermüdet in dem Wohnzimmer. Eine einzige Lampe spendete müdes Dämmerlicht und nur der sich ab und zu regende Schatten Rociels ließ sie wach bleiben. Sie wussten, dass der Dämon nicht losgebunden werden musste, um Chaos anzurichten. Dann wurde die Tür des Schlafzimmers schwungvoll aufgerissen und zerrte sie aus ihren Träumen. Eine alles andere als deprimierte Aleksiel stolzierte gelassen ins Wohnzimmer und musterte alle. "Gut geschlafen?", fragte Angel finster. Finster und Müde. Sie grinste ihn nur an und ging dann zu Rociel, um ihm einen Kuss auf die Stirn zu drücken. Angel knurrte leise und mit einem Stich der Eifersucht. Aleksiel grinste belustigt. "Wer wird denn neidisch sein?" Er wollte etwas erwidern, eine verletzende Bemerkung, eine kleine Beleidigung, doch er ließ es, senkte den Kopf und murmelte: "Ich bin zu müde." Dann hielt er ihre Antwort mit einer Handbewegung ab. "Sag nichts. Ich weiß, dass das wieder... Ach, lassen wir das..." Langsam ging er an ihr vorbei, ins Schlafzimmer, um dort vielleicht doch etwas Ruhe zu bekommen. ,Die letzten Tage waren zu...' Resigniert gab er es auf. ,Denken strengt zu sehr an...' Es war ja nicht so, dass er niemals über den Weltuntergang nachgedacht hatte. Aber so plötzlich? Angel vergrub den Kopf in den Händen und starrte eine Weile lang in das schwarze Nichts, das sich mit flackernden rötlichen Blitzen hinter seinen geschlossenen Lidern verbarg. Er wusste, dass die Straßen wie ausgestorben sein würden, wenn er hinaus blickte und dass nicht ein einziger Mensch dort anzutreffen sein würde. Wie vor dem Kampf der Armeen. Und es kam ihm wie ein grandioser Witz vor, dass das bisschen, was sie geschafft hatten, schon das Ende des Kriegs gewesen sein sollte. Sechs tote Erzengel. Fünf durch die Hand voll wissender Akteure, die sich hier versammelt hatten. Einer durch Gabriel, um ihn seiner Liebsten - damaligen Liebsten - Aleksiel zum Geschenk zu machen. "Und das soll es jetzt gewesen sein?", murmelte er leicht fassungslos. "Das war es", antwortete ihm ein zartes Schnurren, noch immer sanft und lieblich, aber eine gewisse, nicht zu übersehende, lauernde Schärfe steckte darin und er hob den Kopf und sah Aleksiel an. "Machst du es dir nicht zu einfach?" Sie lächelte nur auf seine Worte. Beinahe so, dass er sie für unschuldig, für unwissend hielt, aber das war sie nicht. War es niemals gewesen. Inzwischen wusste er, dass er sich hatte an der Nase herumführen lassen von einem kleinen Mädchen und er wäre gern aufgestanden und hätte ihr eine Ohrfeige verpasst, und zwar eine heftige, aber das Messerchen, mit dem sie gerade spielte, hatte schon einmal neben seinem Kopf in der Wand gesteckt und er konnte sich noch ganz genau an ihre hoffnungsvollen, gefährlichen Worte erinnern: "Versuch es noch mal, und ich treffe." Wollte sie ihn treffen? Sie hatte sich so angehört... Aber es konnte ihr ja egal sein. Es war eine Ironie, dass gerade der Engel der Ewigkeit, der über alles herrschen sollte, dass gerade sie, die Mutter Gottes... diesen kleinen perfiden Plan ausgearbeitet hatte. Warum war es nur so wichtig, dass Frieden herrschte, wenn sie doch trotzdem die Welt vernichten wollte? Aber er wusste, dass sie ihm nur unverständliches - für ihn unverständlich - antworten würde, also fragte er doch nicht. "Ich weiß, dass ihr es nicht kapiert habt", sagte sie jetzt und ließ das Messer hinter dem Bund ihrer wirklich viel zu engen Lederhose verschwinden. Viel zu eng, weil er auch jetzt noch den Drang verspürte, sie in die nächste Ecke zu zerren und... "Keine Ahnung, wie lange ihr noch brauchen werdet, aber wie wäre es mit einem kleinen Exempel?" Eigentlich war niemand besonders scharf auf was auch immer sie meinte, doch sie lächelte nur vergnügt und handelte trotz den winzigen, eigentlich kaum hörbaren Protesten. Hob ihre Hand, wie ein Zauberer, der einen Kartentrick vorzeigen wollte und Angel war sich sicher, dass das alles nur Getue war und sie keine Gestik, kein Wort brauchte, weil sie stark genug war, das auch durch ihre Gedanken zu schaffen und sie tat es nur, um alles zu unterstreichen. Lichtblitze bildeten sich zwischen ihren schlanken Fingern, zuckten hin und her, formten sich zu einer Kugel und er machte sich bereit auf das Licht, das ihn gleich blenden würde, um keine Schwäche zu zeigen, aber dann riss er doch den Arm hoch, erschrocken durch die Kraft, die in dieser kleinen Kugel steckte, als sie explodierte, und schützte seine Augen. Er wusste nicht, ob es eine Illusion war, als er sie wieder öffnete und auch die anderen waren verwirrt. Kein Ton war zu hören gewesen und deshalb... Als er sich umsah, war das erste, was ihm auffiel, nicht die Umgebung sondern, dass Rociel nicht da war. Der gefesselte Dämon saß also immer noch in der Wohnung? Aber dann konzentrierte er sich doch auf das, den Ort, an dem er gelandet war und war ehrlich erstaunt. Um ihn herum herrschte völlige Schwärze. Völlige Stille. Völliges Nichtvorhandensein von Leben. Er spürte nichts, rein gar nichts. Keine Aura von Licht oder Schatten, keinen Atemzug, keinen einzigen Herzschlag. Nicht mal den geringsten und ein Blick auf Ramiel und Simon sagte ihm, dass es bei ihnen genauso war. Das, was er sah, sind nur winzige Lichtpunkte. Einige waren - schienen - größer, aber er glaubte nicht, dass sie es waren. Er sah sich um, versuchte die Lichtpunkte zu zählen... Zwanzig, vielleicht ein paar mehr, die er auf den ersten Blick sah. Es waren nicht viele. Eher viel zu wenige. Und man konnte sie zählen. Nicht wie auf der Erde, wo der Himmel unendlich weit bedeckt war mit Sternen, mit Monden und Planeten, mit flackernden Sonnen und... Angel drehte sich zu Aleksiel. "Ist es das, was du uns zeigen wolltest? Eine öde Wüste?" Sie legte den Kopf ein wenig schief und sah ihn wartend an. Ihre Flügel verbreiteten ein blasses, feines Licht, auch wenn sie schwarz waren, aber sie war ja auch kein völliger Dämon. "Was erwartest du?", fragte sie zurück. "Das Paradies? Gottes Himmelreich? Du würdest zu Staub zerfallen, wenn du auch nur versuchen würdest, es zu betreten." - "Aber was soll das? Was bringt es dir, uns das hier zu zeigen?" Sie lächelte nur. Lächelte weiter, so verflucht ruhig und unnahbar, dass er sie am liebsten schlagen würde, aber er wagte es nicht. Wagte es nicht! Er wusste, dass er sie nicht einschätzen konnte. Vielleicht war sie genauso verrückt, wie Gabriel? Oder vielleicht war das nur ein Spiel? "Menschen", sagte sie so voller Verachtung, dass Lance und Alicia sie ängstlich anstarren. "Menschen sind so nutzlos und dumm. Marionetten in einem Schachspiel und der Schöpfer zieht die Fäden. Und hier hat er sie so gründlich gezogen, dass das Gefüge wankte und schließlich zerfiel wie ein Kartenhaus. Kriege haben es zerstört. Kriege. Mord. Raub. Bestialität. Grausamkeit. Hass hat es zerstört, weil die Götter dieser Welt dachten, sie könnten das Spiel weiter treiben und die Regeln brechen, ohne bestraft zu werden. Sie haben sich selbst zerstört und alles mit sich. Und es wird immer wieder passieren." Schweigen. Schweigen, dass so gut zu dieser Stille passte. Und dann sprach Simon: "Und was willst du tun? Willst du diejenige sein, die ihnen die Strafe für den Regelbruch aufbürdet?" - "Nein. Ich bin es nicht, die straft. Dazu ist es schon zu spät. Sie haben es hinter sich. Keiner von ihnen muss mehr leiden. Sieh dich doch um! Sie sind tot! Sie haben sich selbst zerstört. Und alles mit sich. Das, was du siehst sind nicht etwa Überbleibsel, nein. Das ist es, was neu entstanden ist. Hier war nichts, als ich es fand. Nichts mehr, was man noch retten konnte und als alles zu Ende ging, war ich hier und sah es. Eine Explosion und eine Feuerwelle, die so gewaltig war, dass nicht einmal das Vakuum sie aufhielt. Und alles Leben war tot. Ist tot. Und hat Jahrtausende gebraucht, neu zu entstehen." Sie schüttelte leicht den Kopf, sah zu Boden, zumindest dort hin, wo Boden sein sollte und dann standen sie auf dem Dach eines Hochhauses und unter ihnen erstreckte sich die beleuchtete Stadt wie ein eigener Sternenhimmel. "Gedanken...", murmelte Angel und lächelte dann, als sie ihn ansah. Es war nicht für sie bestimmt und sie erwiderte es auch nicht. Aleksiel blickte hinab auf die Stadt, auf die wie Ameisen wirkenden Wagen, die sich behende durch den Straßenverkehr schlängeln sollten, doch alles war ruhig und still und nur der Wind wehte. Er wusste, wo die Menschen waren. Sie warteten. Auf den Tod? Aleksiels Blick war weder mitleidig noch sonst durch irgend eine Emotion getrübt. Einfach nur ruhig und gelassen und entschlossen. "Hier wird es nicht anders sein. Es wird niemals anders sein. Und ehe sie sich selbst zerstören, mache ich ihrer armseligen Existenz ein Ende." Alicia, die bis jetzt geschwiegen hatte, wie alle anderen, blickte auf. "Du bist so erbärmlich", murmelte sie und man hörte beinahe ein bisschen Hass. "Wie kannst du es nur wagen, dich als Göttin aufspielen zu wollen?! Hast du kein bisschen Mitleid?" Aleksiel lächelte nur sardonisch. "Mitleid? Was ist das? Kann man das essen?" Angel musste grinsen und dann lachte er schließlich. Trat an den Rand des Hochhauses, wo ihn nur noch ein dünnes, niedriges Geländer vom Abgrund trennte und sein Lachen schallte wütend und humorlos in die Dunkelheit. "Du bist erbärmlich, Engel. Du bist nicht mal in der Lage, auch nur ein einziges Leben zu opfern, um diese Welt zu retten. Kein einziges Leben, um den Krieg zu beenden. Engel und Dämonen? Hirngespinste! Blödsinn! Niemand glaubt mehr daran, wenn er sie nicht gesehen hat." Jetzt drehte er sich zu ihr um und sah ihr in die Augen. "Was ist? Was willst du? Dein Ego befriedigen? Deinen kleinen perfiden Hass auf diese Welt, die dich schon lange vergessen hat, endlich stillen? Willst du die Genugtuung haben, wenn sich Tausende von wehrlosen Opfern in Schmerzen winden?" Sie musterte ihn nur ausdruckslos und ließ sich dann zu einem winzigen, spöttischen Lächeln herab. "Ja, das wäre doch schön, nicht wahr? Eine so einfache Erklärung dafür zu haben, wie es ist. Aber glaubst du wirklich, es wäre so leicht?" Sie lachte auf und drückte ihm dann in vielleicht Hilfe suchender Verzweiflung einen Kuss auf die Lippen. Hilfe suchend für eine Sekunde, doch dann war der Moment vorbei und er wusste, er hätte handeln und alles verhindern können, wenn er nur etwas unternommen hätte. Doch es war zu spät. "Ich werde es zerstören. & ihr werdet mich nicht daran hindern." Donner ließ die Erde erbeben und riesige Schluchten klafften auf. Faustgroße Hagelkörner zerstörten Fensterscheiben von Autos und rissen Löcher in die Straßen. Blitze zuckten, schlugen ein und ließen Erde und Asphalt hoch spritzen wie Wasser, wenn man einen Stein hinein schmeißt. Ohrenbetäubender Donner verhinderte jeden Kontakt. Schreiend flüchtete Alicia sich in Lances Arme, aber er hatte genauso viel Angst wie sie, auch wenn er es nicht zeigen wollte und irgendwann hockten sie nur noch eng aneinander gepresst auf dem Boden, unter einem Hauseingang, und starrten mit mehr Wahnsinn als Klarheit in das Inferno aus Eis und Feuer. Alle waren sie hier, draußen mitten auf der Straße, und völlig Schutzlos den Naturgewalten ausgeliefert. Rociel zerrte wieder an seinen Fesseln, vergeblich und sicherlich hätte er seine Wut hinaus geschrien, wenn er nur gekonnt hätte, wenn der Knebel ihn nicht hindern würde. Ramiel schütze mit den Händen seinen Kopf und machte sich nicht mal mehr die Mühe, Aleksiel hasserfüllt anzustarren, achtete egoistisch nur noch auf sich selbst. Und nur Simon und Angel versuchten, Aleksiel aufzuhalten, die Welt zu retten, doch das war wohl nebensächlich und auch egal, denn beide sorgte schließlich etwas anderes. Zuerst hatte der hübsche, kalte Ewigkeitsengel nur dagestanden, während langsam die Erde zu beben begann und der Himmel sich in tiefe Schwärze hüllte. Dann jedoch, als die ersten Eiskörner vom Himmel prasselten, schon zu Anfang so groß, dass sie verletzten, und einen ihrer Flügel verletzten, war doch Panik in ihr Gesicht getreten. So große Panik, dass beide, der Dämon und der Erzengel, merkten, dass etwas nicht stimmte. Dass das anscheinend nicht das war, was sie gewollt hatte und dass es jetzt vielleicht zu spät war, um es aufzuhalten. Beide Männer stürmten los um das Mädchen zu retten, dass sie liebten, aber Angel war schneller und riss sie von einem tiefen, dunklen Abgrund zurück, in den sie gestarrt hatte, verzaubert, wie ein potentieller Selbstmörder auf sein baldiges Grab. Doch dann tat sich auch hinter ihnen ein Abgrund auf und er wusste, er würde nicht fliegen können, weil auch ihm das Eis die Flügel zerstören würde, und so konnte er nur noch beten, als sich der riss immer mehr erweiterte, der auf sie zu kam, ihnen den Fluchtweg schon lange abgeschnitten hatte, und er betete, dass das Jenseits für Engel und Dämonen wenigstens halb so schön war wie Eden. Er schloss die Augen, presste seine süße Aleksiel an sich und glaubte beinahe, dass er auch noch anfangen würde zu beten, da... stoppte es. ,Glaubst du, DAS würde ich zulassen?', lachte eine Stimme aus dem Nichts. Um sie herum hatte sich der Eishagel in kalten Regen verwandelt und die Erdbeben wurden zu leichten Vibrationen, die schließlich aufhörten. Die riesigen Schluchten schlossen sich wie von allein und alles, auf den Straßen, an den Häusern, das zerstört worden war, begann sich fast von selbst wieder aufzubauen. Angel sah Ramiel, Lance und Alicia, denen fast überhaupt nichts passiert zu sein schien außer ein paar lächerlichen Kratzern und er wunderte sich tatsächlich, was hier eigentlich los war. ,Dann musst du ziemlich naiv sein', fuhr die Stimme jetzt fort und Aleksiel keuchte erleichtert: "Du bist das?!", und löste sich schwankend aus Angels Armen. ,Da habt ihr euch aber was geleistet...', erklärte die Stimme voller Spott. ,Das war die beste Idee, die du je hattest.' Dann schien eine unsichtbare Hand auf Rociel zu zeigen. ,Und jetzt mach ihn los.' Ein Befehl, nichts anderes, ein wirklicher Befehl, und obwohl Aleksiel sonst auf niemanden hörte, lief sie jetzt los und befreite den Dämonen von seinen Fesseln. Dieser grinste sie an, als er endlich den Knebel los war, und alles artete eher in eine Begrüßungszeremonie aus, als dass er Aleksiel das antat, was er vorher immer in drohendem Ton vorgebracht hatte. "Was verdammt noch mal ist hier eigentlich los?!", fauchte Angel schließlich, als er merkte, dass alles zu einem Familientreffen ausartete und nicht zu dem, was es eigentlich war: dem Augenblick nach dem drohenden Weltuntergang. Deshalb schwiegen jetzt endlich die Geschwister - wenn sie das denn waren - betreten und sahen ihn an, bevor Aleksiel bestimmte: "Du sagst es ihm", und auf Rociel zeigte. "Vergiss es", erklärte er mit verzerrtem Grinsen. "Das ist schließlich auf deinem Mist gewachsen. Wieso sollte ich deine Spinnereien, deine FEHLER ausbaden?" Sie starrte ihn an, als hätte er ihr gerade erklärt, die Erde sei eine Kugel, dann murmelte sie ein unverständliches Wort, das aber trotzdem als Beleidigung zu verstehen war und sah Angel mehr als nur schuldbewusst an. "Tut mir leid. Das war alles nur ein Scherz. Verzeih mir." Sie sagte das einfach so und hörte sich nicht mal an, als würde sie es bereuen. Und sie drehte sich auch von ihm weg und wollte weiter mit Rociel reden, nachdem sie es gesagt hatte, aber er verlor langsam wirklich die Geduld. "So nicht mit mir", murmelte Angel finster und trat mit ein paar schnellen Schritten zu ihr, bevor er sie an der Schulter packte und herum riss. "SO NICHT MIT MIR, SÜSSE!" Er merkte erst, dass er geschrien hatte, als es schon vorbei war uns sie ihn überrascht, aber nicht ängstlich, anstarrte. "So nicht mit mir", wiederholte er leiser und sah sie finster an, während er ihre Oberarme umklammert hielt. "Ich weiß viel, Süße, und ich weiß, dass du ganz schön viel Blödsinn erzählt hast, aber so nicht mit mir. DU SAGST MIR JETZT SOFORT, WAS SACHE IST ODER DU WIRST ES BEREUEN, VERSTANDEN?!" Schweigen folgte und dann ein Klatschen, dass von nirgendwo zu kommen schien und er wusste, dass es... nun ja, Gott war, der da klatschte. ,Beeindruckend. Sehr beeindrucken, wirklich. Ich hab nie erreicht, dass sie mich so schockiert anstarrt.' Das tat sie wirklich. Wirklich und wahrhaftig waren Aleksiels Augen schockiert und beinahe entsetzt auf Angel gerichtet und sie schien den Atem angehalten zu haben. "Bitte", fügte der Dämon jetzt mit leichter Ironie hinzu und sie schluckte und atmete aus, bevor sie sich - wohl wissend, dass er ernst machen würde - vor ihm zurück zog. "Ist ja schon gut", murmelte sie dabei und als sie genügend Abstand hatte, trat auch wieder der harte, kalte Glanz in ihre Augen, der zeigte, das sie sich ihm überlegen fühlte. "Flipp doch nicht gleich aus...", murmelte Aleksiel. Sie wusste, dass er das doch tun würde, wenn sie nichts sagte, ganz egal ob der Spinner von oben sich nun einmischte und ihr den Spaß verdarb oder nicht. Und er würde auch ausrasten, WENN sie ihm sagte, was los war, obwohl sie wusste, dass sie sich doch schon ein paar mal verplappert hatte. Nur wegen ihm! Weil dieser verfluchte Dämon Arael sie so aus der Fassung bringen konnte! Wenigstens musste sie ihn nicht ansehen, wenn sie alles erzählte, sonst hätte sie wohl noch jemandem die Augen ausgekratzt - warum nur fühlte sie sich, als wäre sie Arakune? -, bevor sie ihr Selbstbeherrschung wiedererlangte. Einen winzigen Moment lang glaubte sie sogar, dass ,die andere' sich einmischen würde, aber das war ja lächerlich. "Ich bin nicht mal halb so alt, wie ihr alle glaubt", sagte sie jetzt, um endlich die Gedanken der anderen davon abzulenken, auf wie viele verschiedene Arten man einem Ewigkeitsengel wohl die Haut abziehen konnte. Sie spürte die mörderischen Blicke doch deutlich auf ihrem Rücken. "Weder hundert Millionen Jahren, noch fünfzig. Nicht mal fünfundzwanzig. Gerade mal... zwanzig vielleicht oder so..." Oh, das war ja so erniedrigend! "ER" - oh nein, sie würde ihn niemals GOTT nennen oder DER HERR, nein... - "hat uns kurz nach Luzi... nach Luzifer erschaffen. Mich und Rociel. Und ja, er ist mein Bruder!" Sie brauchte sich nicht umzudrehen, um die Blicke zu sehen, die sich auf den Dämonen richteten. Wenn man sie genau ansah, waren sie sich ja auch ähnlich. Zwillinge eben. Fast die gleichen Gesichter, beide schön, zu schön vielleicht, obwohl sie selbst natürlich femininer war als er. Beide diese durchdringenden Augen, für die ER immer so geschwärmt hatte und beide das schöne Haar... Sie musste lächeln, als sie daran dachte. Ihres war golden, blau, silbern und weiß, genau wie seine Augen. Genau die selben Farben. Dafür war sein Haar rot, golden und schwarz und vielleicht etwas Braun und orange, dass es im Wind wie Feuer wirkte. Wie ihre Augen. "Ihr werdet niemanden treffen", fuhr sie fort, "der euch bestätigen könnte, dass wir nach dem Lichtbringer geboren wurden und nach Armisael und Gabriel, aber es war so. Und ich war noch niemals Mutter. Ich hatte niemals ein Kind. Ich war auch niemals... irgend jemandes verfluchtes Eigentum!" Sie merkte, dass sie sich zurückhalten musste. Sehr zurückhalten. "Ich bin, was ich bin. Ich bin... der Engel der Ewigkeit" - es fiel ihr noch immer schwer, DAS auszusprechen, und sie konnte SEIN mieses Grinsen von oben förmlich spüren - "und das wird nie anders sein. Ich bin die höchste Instanz im Himmel. Ich bin das, vor dem sich alle fürchteten und so lange ich noch keinen miesen Ruf hatte, war es so verflucht einfach, sie zu überzeugen..." Sie spürte, wie ihr die Tränen kamen. Vielleicht aus Wut, vielleicht war es auch Verzweiflung oder... diese Trauer, die sie schon lange nicht mehr losließ. "Ich wollte auch mal anders da stehen, als von allen immer ,Gottes kleines Flittchen' genannt zu werden. Aber das war wohl ein schöner Traum..." Angel saß still und schweigsam im Schatten eines Baumes. Er weigerte sich noch immer standhaft, darüber nachzudenken, was alles passiert war in den letzten Tagen. Tagen... mehr war es eigentlich nicht als ein paar Tage. Vielleicht vier Wochen, er hatte vergessen alle zu zählen. Und als er dann die leisen Schritte sich nähern hörte, versuchte er auch das zu verdrängen, bis sich die Gestalt in Schwarz und samtigem Rot neben ihn setzte. Noch eine ganze Weile weiter herrschte nur Stille um sie, bis auf das sanfte Rauschen der Blätter an den wenigen Bäumen und den leisen Stimmen der anderen, die abseits von ihnen saßen und hin und wieder etwas wie eine zaghafte Unterhaltung führten. Und jeder betrachtete misstrauisch jeden, als könnte sich gleich ein neuer Gott des Untergangs erheben und das zu Ende bringen, was Aleksiel so genussvoll begonnen hatte, ohne sich überhaupt über die wahren Folgen im Klaren zu sein. Er wusste, dass sie niemals alles wirklich hatte zerstören wollen - zumindest behauptete sie das - und er glaubte auch kaum, dass sie genug Macht dazu besaß, aber hier und jetzt und in diesem Moment hielt er alles für möglich. "Verschwinde", sagte er jetzt resigniert, als sie sich nicht bewegte sondern nur neben ihm saß und wartete, dass er etwas zu ihr sagte. Und das hatte er ja gerade auch getan. "Alles in Ordnung?", fragte sie leise und er schnauzte sie wütend an: "Alles in Ordnung?! Was verdammt noch mal sollte schon sein?!" Sie senkte den Kopf, so dass er ihren Gesichtsausdruck nicht sehen konnte, aber ihr Ton sagte deutlich, wie sie sich fühlte. "Es war doch nur ein Scherz...", murmelte sie zerknirscht und fast ängstlich. "Nur ein Scherz?", fragte er beinahe überlaut und fand selbst, dass er sich leicht hysterisch anhörte. "Was war noch ein Scherz?! Bist du vielleicht noch ein Kerl oder Gott selbst oder was?!" Als sie jetzt den Kopf hob und ihn ansah, glitzerten ihre Augen verdächtig nass und sie sagte mit gezwungener Ruhe: "Ich muss nicht hier sein. Ich merke, wenn ich unerwünscht bin. Guten Tag." Dann sprang sie auf und lief davon, wie ein kleines Mädchen und er sah ihre winzigen silbernen Tränen, die ihr die Wangen herunter liefen und wollte sie schon aufhalten und zurückholen, wollte sie so gerne festhalten und trösten und alles verschwinden lassen, was auch immer sie so traurig machte, aber dann sah er, wie sie ihre schönen Flügel ausbreitete, die trotz ihrer Schwärze so sanft schimmerten, und die Strafe Gottes traf sie. Ein Blitz aus heiterem Himmel streckte sie nieder und schwarze Federn stoben in alle Himmelsrichtungen. Gaben den Blick auf das frei, was dieses sanfte licht ausgelöst hatte: weiße Engelsschwingen, die noch immer da waren und vielleicht niemals verschwinden würden, egal wie sehr sie es sich wünschen würde. Egal, wie sehr sie Gott auf verfluchen, hassen und verletzen würde - der Alte konnte nicht anders, als sie mehr als alles andere zu lieben und Angel wusste das. Jetzt herrschte Totenstille um sie herum, bis die Worte des Alten weit über die leeren Straßen hallten, so dass es unmöglich war, sie zu überhören: ,Wenn du nicht willst, dass das noch mal passiert, solltest du dich lieber vorsehen. Halt mich nicht für etwas, das ich nicht bin. Halt mich nicht für einen netten, gutherzigen alten Mann. Gerade du solltest es besser wissen. Wenn du also noch einmal denken solltest, du könntest meine Befehle ignorieren...' Heiseres Lachen unterbrach die Worte. Es war nicht das Lachen eines alten Mannes, mehr das... rauhe Krächzen eines Rauchers, das aus einer langsam in sich verfaulenden Lunge kam. ,Ich denke, wir haben uns verstanden, meine Hübsche.' - "Klar", murmelte sie kaum hörbar. "Ich werd mich hüten." Es klang nicht überzeugend... Aleksiel lag noch eine Weile einfach auf dem Boden, atmete einfach nur keuchend ein und aus, bevor sie sich schwerfällig erhob und überdeutlich Angels dargebotene Hand missachtete, so dass er sie schließlich in leichtem Trotz hochhob, trotz seiner harten Worte an sie. Trotzdem ignorierte sie ihn fast vollständig. "Verdient", lachte sie leise, als wäre die Drohung Gottes, DES Gottes, völlig irrelevant. "WOMIT HABE ICH DAS DEINER MEINUNG NACH VERDIENT?!" Wütendes, schrilles Fauchen. Als wäre sie hysterisch und leicht durchgedreht. "Du bist ja irre, wenn du glaubst, auch nur einer deiner dämlichen scheiß Engelsuntergebenen wird die Geschichte weiterverbreiten. Oder willst du es jedem selbst sagen?! Ich werde noch lange, verflucht lange das sein was ich bin! ICH LASSE MIR MEINEN STATUS NICHT NEHMEN!" Gottes höhnisches, ganz und gar nicht humorvolles Lachen verwies sie in ihre Schranken, so dass sie eingeschüchtert schwieg. ,Glaubst du wirklich, ich hätte nichts dazu gelernt? Glaub mir, meine Hübsche, jeder in deinem verfluchten Himmel wird es erfahren, wenn ich das will, und wenn es sein muss, sagst du es ihnen persönlich.' Stille herrschte eine Weile lang, dann hob sie trotzig den Kopf. "Du bist ein Arschloch. Ein richtig mieses, verfluchtes, blutiges..." - ,Halt dich zurück, kleiner Engel", unterbrach sie einen schneidend kalte, unbarmherzige Stimme. ,Ich brauche nur mit dem Finger zu schnippen, dann bist du wieder eine winzige kleine, völlig nutzlose, schwache Novizin und jeder wird wieder das mit dir machen können was er will. Und was du immer so sehr gehasst hast. Mal sehen, ob du dann noch Kraft genug hast, dich zu wehren...' Aleksiel zitterte in Angels Armen wie ein ganze Haufen Espenlaub. Er wusste nicht, an WAS sie sich erinnerte, aber es musste so schrecklich sein, dass es sie die Nerven verlieren ließ. Und das hatte sie, die Nerven verloren, auch wenn man das jetzt nicht so sah. Sie starrte nur blicklos ins Leere, mit weit aufgerissenen Augen, fassungslos und stumm. Er hatte sie schon vor einer Weile auf den Boden zurück gelassen und musterte sie jetzt, während seine Arme noch fest um sie lagen. Gottes Stimme war schon eine Weile nicht mehr erklungen und er bezweifelte auch, dass sie das noch einmal würde. Zumindest weder jetzt noch heute. Er spürte die Anwesenheit des Alten nicht mehr, also war er wohl wieder zurück gekehrt in seinen Himmelspalast und lachte sich da was ins Fäustchen. Angel sah sich nach den anderen um. Lance und Alicia waren nicht mehr zu sehen. Er konnte sich denken, dass sie so schnell wie möglich das Weite gesucht hatten. Und dass er sie sobald nicht wiedersehen würde. Vielleicht nie wieder... Simon stand da und redete mit Rociel und Ramiel. Alle drei hatten schon ihre Flügel ausgebreitet, da noch keine Menschen auf den Straßen zu sehen waren, um bald zu verschwinden. Er blickte auf eine Uhr, die in der Nähe hing, an einem Juweliergeschäft, die anscheinend stehen geblieben war. Einige andere, die er hier und da noch ausmachen konnte, wohl auch. Angel lächelte vor sich hin. Das verstand man also unter göttlicher Macht... die Zeit anzuhalten und sie doch weiter laufen zu lassen... Auf der ganzen Welt... Er wusste, dass es so war. Er seufzte leise und wollte von Aleksiel zurücktreten, doch sie brach zusammen, als er seine Arme von ihr nehmen wollte und er konnte nicht umhin zu vermuten, dass sie vor Angst ohnmächtig geworden war. Er schüttelte leicht den Kopf, als er sie hoch hob und in die Wohnung zurück trug, überlegte zwischendurch kurz, ob er die Situation ausnutzen könnte - allein mit ihr im Aufzug -, ließ es dann aber doch und brachte sie in ihr Schlafzimmer. Ein großer, heller Raum, den er so noch nie gesehen hatte, noch nie in diesem schönen, goldenen Tageslicht... Dann gab er ihr einen Kuss. Er wusste nicht, dass es für lange, lange Zeit der letzte sein sollte... So, das war meine "kleine" Geschichte. Ich hoffe, sie hat euch gefallen. Es war schwer, sie zu schreiben, auch wenn ich schon die Vorlage hierfür hatte und ich hoffe, sie hat euch gut genug gefallen, dass ihr auch den zweiten Teil lest. Aleksiel ^-^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)