Strange World von MissBloodyEnd ================================================================================ Kapitel 36: Der Hund und das Prinzesschen ----------------------------------------- Das Chaos in meinem Leben hätte nicht größer sein können. Noch immer benommen von meinem Treffen mit Tai, lag ich nun auf meinem Bett, in meine Decke eingehüllt, und starrte auf meinen Wecker. Worauf wartete ich? Vielleicht auf die Antwort, auf die Frage, was der ganze Schwachsinn sollte. Draußen klopften die Regentropfen unerlässlich an die Scheibe. Taichi hatte mich zur U-Bahn gebracht, seine Jacke über unseren Köpfen haltend. Wir hatten gelacht. Und das tat sehr gut. Nach all dem Mist der seit unserer gemeinsamen Nacht passiert war ihn so neben mir zu haben, mit ihm zu reden, war wunderbar. Niemals hätte ich gedacht, dass Taichi reagieren würde, wie er es nun mal getan hatte. Ich hätte es ihm nicht übel genommen, wenn er sich einfach losgerissen hätte und gegangen wäre. Wer hätte es ihm verdenken können? Ich verstand mich ja selbst nicht mehr. Hoch und heilig hatte ich Tai versprochen, ich würde endlich einen Schlussstrich unter die Beziehung mit Koushiro ziehen. Und das hatte ich auch felsenfest vorgehabt. Doch ich musste dafür nochmal mit Izzy reden. Abzuschließen. Vor allem aber wollte ich Frieden. Doch mein Plan, den ich mir schon am Mittag fest vorgenommen hatte, schien schon noch während der Party an meinem Hormonen zu scheitern. Ich hatte sprichwörtlich nichts besseres zu tun gehabt, als ihn den ganzen Abend an zu schmachten. Natürlich wusste ich, dass Sayachi anwesend war. Und natürlich wusste ich, dass mein Verhalten unter aller Kanone war. Nicht nur, dass aus Koushiro und mir eh nie wieder etwas werden würde – ich hatte Tai ja schließlich auch meine Gefühle gestanden. Gefühle, von denen ich nicht wusste, ob sie existierten. Und es wäre nicht verkehrt gewesen, wenigstens mit ihm über vorher über mein Vorgehen zu sprechen. Auch wenn wir heute, nachdem ich mit Tai heute gesprochen hatte, beide feststellten, dass wir etwas übereilt gehandelt hatten. Und das wir beide bescheuert waren. Keiner eine Antwort hatte, für das, was zwischen uns abging. An dem Abend, an dem ich Izzy sprechen wollte, wusste ich es noch ganz genau. Der Nerd ging mir nicht aus dem Kopf, nicht aus dem Herzen. Aber unser Gespräch endete irgendwie anders als geplant. In einem Rausch der Gefühle taten wir das, was man niemals machen sollte: Sex mit dem Ex. Doch so blöd es klingen mochte, wir schienen genau das irgendwie gebraucht zu haben. Auch wenn es aus den falschesten Gründen überhaupt passierte: Sayachi hatte nicht wenige Stunden zuvor mit Izzy Schluss gemacht, und ich hatte die Geschichte mit Tai hinter mir. Das sollten wir nicht tun, hatte nicht nur Izzy gesagt, als wir taten, was wir taten. Ich hatte das auch gesagt. Vor allem hinterher, als wir beide schweigend nebeneinander gelegen hatten. Als wir im Dunklen meines Zimmers beide an die Decke starrten und sich keiner traute, sich zu rühren. Meine sonst so impulsive Art war kompletter Unsicherheit gewichen. Es war, als hätten Koushiro und ich die Persönlichkeiten getauscht. Er war viel selbstbewusster, sicherer und offener geworden. Das hatte er bestimmt Sayachi zu verdanken. Ich freute mich wirklich sehr für ihn. Auch wenn es bis dahin nur wehtat, zu sehen, wie glücklich er ohne mich war. Wie wichtig einem jemand war, schien man erst richtig zu begreifen, wenn dieser Mensch fort war. Und genau deswegen war ich ihm so lange hinterher gerannt. Nicht unbedingt weil ich noch starke Gefühle hatte. Ja die hatte ich auch. Aber ich vermisste seine Aufmerksamkeit, seine verschrobene Art und Weise mir zu zeigen, dass er mich mochte. Es war einfach einzigartig. Koushiro war einzigartig. Und das wollte ich zurück. Lange Zeit. Und er schien mich zumindest für diese Nacht auch für sich zurück zu wollen. Doch es sollte bei dieser einen Nacht bleiben. Das wussten wir beide, als er sich schweigend anzog ich mir meinen Bademantel überwarf und ihn zur Tür brachte. In der Nacht hatte es auch angefangen zu regnen, genau wie heute. Unsere Eingangstür war nicht überdacht, und Koushiro hatte keinen Schirm. Die Stimmung in dieser Nacht zwischen uns hatte sich von explosivem Hass in Resignation umgewandelt. In gegenseitigem Respekt, den wir uns lange Zeit nicht mehr entgegengebracht hatten. Es schien als hätten wir uns schon ausgesprochen, nur hatten wir keine Worte benutzt sondern unsere Gefühle die in unseren Herzen herumkreisten an unseren Körpern ausgelebt. Wut. Enttäuschung. Liebe. Trauer. Schmerz. Alles war dabei gewesen. Einen Schirm wollte er nicht, er würde eben nass werden. Alles, was ich dann noch von ihm sah, war sein trauriges Lächeln und das „Bis bald“ das er tonlos in die Nacht sprach. Ein Abschied von den gescheiterten Liebhabern. Aber ein Funken Hoffnung hallte zwischen uns hin und her, dass die alten Freunde wiederkehren würden. Die, die ich einst zusammen in der Digiwelt gewesen waren. Noch einmal strich ich ihm damals über die schon klitschnasse Haut seines Gesichts, denn er war schon nach draußen gegangen. „Bis bald“. Ein letzter Kuss. Dann war es wirklich vorbei. Jeder von uns beiden schien endlich seinen Frieden geschlossen zu haben. Und aus irgendeinem verrückten Grund ging ich in mein Zimmer zurück um die ganze Nacht zu Adele´s „hello“, dass durch die Kopfhörer meines Handys in meine Ohren drang, zu weinen bis ich einschlief. [] Hello, it's me I was wondering if after all these years You'd like to meet, to go over everything They say that time's supposed to heal ya But I ain't done much healing Hello, can you hear me? I'm in California dreaming about who we used to be When we were younger and free I've forgotten how it felt before the world fell at our feet There's such a difference between us And a million miles Hello from the other side I must've called a thousand times to tell you I'm sorry for everything that I've done But when I call you never seem to be home Hello from the outside At least I can say that I've tried to tell you I'm sorry for breaking your heart But it don't matter, it clearly doesn't tear you apart anymore Hello, how are you? It's so typical of me to talk about myself I'm sorry I hope that you're well Did you ever make it out of that town Where nothing ever happened? It's no secret That the both of us are running out of time Hello from the other side I must've called a thousand times to tell you I'm sorry for everything that I've done But when I call you never seem to be home Hello from the outside At least I can say that I've tried to tell you I'm sorry for breaking your heart But it don't matter, it clearly doesn't tear you apart anymore Ooooohh, anymore Ooooohh, anymore Ooooohh, anymore Anymore Hello from the other side I must've called a thousand times to tell you I'm sorry for everything that I've done But when I call you never seem to be home Hello from the outside At least I can say that I've tried to tell you I'm sorry for breaking your heart But it don't matter, it clearly doesn't tear you apart anymore [] Als ich am nächsten Tag aufwachte war ich wie ausgewechselt. Es war als hätte man die Ketten, die ich um die Gefühle für Koushiro gelegt hatte, gelöst. Sie waren frei. Ich war frei. Es war nicht so, als wäre mir mein Ex-Freund urplötzlich egal. Keineswegs. Er würde wohl immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben. Dieser schüchterne Nerd war meine erste große Liebe gewesen, konnte man sagen. Aber ich hatte nicht mehr diesen unglaublich mich auffressenden Herzschmerz in mir. Diesen Drang ihm nahe sein zu wollen, ihm unterschwellig das Leben schwer zu machen, weil er mich nicht mehr beachtete. Ihm nachzurennen wie ein kleines Kind den Süßigkeiten. Es war fort. Zurückblieb ein gutes Gefühl endlich nach vorne schauen zu können. Abgeschlossen zu haben. Auch wenn ich nach wie vor verwirrt davon war, dass es nur eine Nacht brauchte, was Wochen nicht geschafft hatten. Was in Tais Armen ausweinen nicht geschafft hatte. Ich wandte mich von meinem Wecker ab und rollte mich auf die andere Seite meines Bettes. Die letzten Stunden hatte ich nur an Tai und unser Gespräch gedacht. Daran, dass ich ihm die volle Wahrheit gesagt hatte. Und es ihn überraschend tief getroffen hatte. Er war sehr wütend gewesen. Aber wie konnte ich auch glauben, dass ihm das rein gar nichts ausmachte. Gefühle hin oder her – wenn jemand erst mit einem selbst schlief und dann mit wem anders, da konnte man sich ja nur scheiße fühlen. Wie ausgetauscht. Dabei wollte ich ihm keineswegs weh tun. Taichi war in letzter Zeit der wohl einzige Mensch gewesen, der mich nicht hasste. Der mein Gejammer tapfer ertragen hatte und mich immer in den Arm nahm, aufmunternde Worte fand. Und ich hatte nichts besseres zu tun als auch ihm nur zu verletzen. Mit meinen Worten. Mit meinem Taten. Gut, er hatte auch zugegeben, dass seine Gefühle übereilt waren. Trotzdem. Für jemanden, der nichts fühlte, sah ich zu viel Schmerz in seinen Augen. Auch wenn er diese gekonnt zu überspielen versucht hatte. Allein sein Kuss auf meiner Wange hatte mir gezeigt, dass da nicht nichts sein konnte. Dass er irgendetwas für mich fühlte. Schließlich war ich eine Frau, und wir spürten so etwas. „Mimi, willst du nicht mit uns Essen?“, hörte ich die Stimme meiner Mutter sagen und ich blickte herüber zur Tür. Essen. Durch den ganzen Trubel hatte ich wieder nichts gegessen. „Was gibt’s denn?“, harkte ich nach, denn eines war sicher: Meine Mutter konnte mich nur mit etwas unfassbar Gutem aus meiner Kuscheloase locken. Und es musste etwas sein, dass mich für einen Moment vergessen ließ, was für eine dumme Ziege ist war. „Es gibt Sandwiches. Unser Ofen ist doch kaputt.“, sagte sie und lugte rein. Ich hasste es, wenn man einfach in mein Zimmer kam, und so schenkte ich ihr einen bösen Blick. „Wegen Sandwichs nervst du mich?“, zischte ich und meine Mutter sah mich erschrocken an. Sofort tat mir meine Wort- und Tonwahl leid. Meine Mama konnte ja wohl mal überhaupt nichts für ihr missratenes Prinzesschen. „`Tschuldige Mama... Sandwiches klingen toll...“, murmelte ich kleinlaut und kletterte aus meinem Bett. Sandwiches klangen nicht toll, aber ich wusste, dass sie sich alle Mühe gegeben hatte. „Schon gut, mein Schatz... geht’s dir nicht gut, willst du dass ich dir ein paar bringe?“, fragte sie besorgt und schob mich ohne eine Antwort abzuwarten zurück auf mein Bett. Wie damals, als ich noch klein war, packte sie mich zurück unter meine Decke und lächelte. „Mir geht’s gut Mama...“, antwortete ich, doch einer Mutter widersprach man nicht. Und anlügen konnte man Mütter schon gar nicht. Mit der Geburt eines Kindes schien jede Frau so eine Art Mutter-Gen zu bekommen, dass einem immer sagte, wenn es dem Kind nicht gut ging. „Du bleibst liegen.“ Wenige Minuten später kam sie zurück, mit einem Teller voller Mini-Sandwiches. Vor einigen Tagen war unser Herd und Ofen kaputt gegangen, und meine Mutter improvisierte, damit mein Vater und ich trotzdem gut essen konnten. Mit einem Lächeln servierte sie mir ihr Werk. „Wahnsinn Mama, die sehen gut aus.“, lobte ich sie und sah mit klopfenden Herzen, dass sie sogar einige mit meiner heißgeliebten Thunfischmayonaise belegt hatte. Ich strahlte sie an. „Man muss das Beste aus jeder noch so misslichen Lage machen, nicht wahr?“, entgegnete sie und strich mir sanft über die Wange. Ich nickte. Und ich spürte, dass sie mir unterschwellig einen Rat geben wollte. Mich aufbauen wollte. Meine Sandwiches essend starrte ich erneut ins Leere und verfiel wieder meinen Gedanken. Das die Dinge mit Tai gelaufen waren, wie sie es waren, machte mir das Atmen immer schwerer. Abgesehen davon das Tai und ich wahrscheinlich erstmal eine doch eher merkwürdige Freundschaft führen würden, und ich mich somit auch irgendwie so gut wie von all meinen Lasten befreien konnte, spürte ich, dass das noch nicht das Ende der Geschichte zwischen mir und Tai war. Das da noch mehr war. An Tai hatte ich es ja eh schon bemerkt, dass er wohl möglich doch mehr empfand, als er zugeben würde. Aber was war mit mir? Hatten bei mir die drei berühmten Worte von neulich vielleicht doch auch eine Bedeutung? Tai trieb sich schon vor unserer gemeinsamen Nacht des öfteren in meinen Gedanken herum. Ich hatte das immer als willkommene Ablenkung von meinen mich auffressenden Gefühlen für Izzy gesehen. Er war ja nun auch nicht gerade zu verachten. Groß gewachsen, sehr sportliche Figur. Und die Muskeln, die er immer unter den lässigen Klamotten verbarg, hatte ich ja nun auch schon live und in Aktion gesehen. Die waren nicht aufgemalt. Und fühlten sich wahnsinnig gut unter meinen Fingern an, sofern ich mich erinnern konnte. Ich grinste. Tai sah nicht nur gut aus, er war auch unfassbar witzig, hatte das loseste Mundwerk weit und breit. Seine leichte Begriffsstutzigkeit waren wirklich niedlich, und ich wusste schon immer, dass er nicht so dämlich in der Birne war, wie alle immer dachten. Ich glaubte fest daran, dass er das mittlerweile einfach nur noch als running-gag benutzte. Mein Herz schlug schneller, je intensiver ich an ihn dachte. Was war denn nur los mit mir? Ich konnte doch nicht auf einmal in wen anderes verliebt sein. Das ging niemals so schnell. Mir wurde schwindelig, und ich stellte den Teller auf den Nachttisch neben mir, rollte mich in der Embryo-Stellung zusammen und kaute auf meiner Lippe herum. Nein, dass was ich da spürte konnte doch nur wieder meine unglaubliche Gier nach Aufmerksamkeit sein. Traurig aber immerhin gestand ich es mir ein: Ich war sehr egoistisch, wenn ich in einer Beziehung war. Oder generell. Meine Welt drehte sich viel zu oft um mich selbst. Ich dachte nur an mich, selten an andere, wenn es um Wertschätzung und Liebe ging. Immer nur ich, ich, ich. Deswegen war Koushiro gegangen. Weil ich es liebte, wenn ich im Mittelpunkt stand, und oft alles um mich herum vergaß. So musste es sein. Ich wollte nur Tais Aufmerksamkeit. Damit ich wieder das Gefühl bekam, gemocht zu werden. Damit ich mich wieder besser fühlte. Ich verzerrte mich förmlich danach. Das war wohl auch der Grund, warum ich von Izzy zu Tai und wieder zurück gerannt war. Ich hatte sie von beiden bekommen. Und ich hatte wie so oft nur genommen. Nie gegeben. Kein Wunder, dass beide total verwirrt und verletzt waren, nach dem ich „mit ihnen fertig war“. „Mein Körper und Seele sind durch die vielen Bälle, die ich schon abgekriegt habe, so abgehärtet, da kommt keine Gefühle der Welt mehr durch.“, hatte Tai mal im Scherz gesagt, als wir uns darüber lustig machten, dass er Dauersingle war. Mittlerweile wusste ich, dass das natürlich nicht stimmte. Ich hatte eine Lücke gefunden. Die fand ich immer. Bei jedem. Ich war wohl pures Gift für Männer. Wie eine Gottesanbeterin, die ihre Partner nach dem Sex auffraßen. Diese widerliche Erkenntnis traf mich tief in meiner Seele, und ich vergrub mich wieder unter meiner Decke, die mich nun komplett bedeckte. Nie wieder würde ich rausgehen. Ich tat Menschen nur weh. „Mimi?“, hörte ich eine Stimme gedämpft sagen und ich verschluckte mich an meinem eigenen Atem. Ich wusste natürlich sofort wer sich dort in mein Zimmer geschlichen hatte. Wir hatten uns schließlich heute schon einmal getroffen. Tai. Aber ich traute mich nicht, die Decke von mir abzudecken. Wenn ich so tat, als würde ich schlafen, würde er vielleicht gehen. „Schläfst du? Oder tust du nur so, damit du nicht mit mir reden musst?“, fuhr er fort und ich wusste, dass ich aufgeflogen war. Ertappt schlug ich meine Decke zurück und sah ihn unschuldig an. Er lächelte. Klitschnass vom Regen stand er vor mir. Er bemerkte wie ich ihn besorgt musterte und zuckte mit den Schultern. „Ich war duschen und habe vergessen mich abzutrocknen.“, scherzte er was mich zum lächeln brachte. „Mit Klamotten?“ „Ja. Da spare ich eine Menge Wasser. Zwei in Eins, weißt du?“ Stolz präsentierte er sich in seinen nassen Klamotten und machte dabei matschige Geräusche. Ich lachte leise. „Ich kann gar nicht glauben das Mama dich so reingelassen hat.“, sagte ich und sah in der nächsten Sekunde meine Mutter hereinstürmen und ihm einige Handtücher anbietend. Tai nahm sie dankend an und zog seine Jacke aus. „Das gibt’s du mal mir... Ach, ich schaue mal ob ich nicht ein paar trockene Sachen für dich hab. Willst du vielleicht einen Tee? Du wirst sonst noch furchtbar krank!“, sagte sie. Da war sie. Die Übermutter. Mir war das fast schon unangenehm, als Tai sich mit dem Handtuch über den Kopf rubbelte. „Ganz ruhig Frau Tachikawa, ich hab schon oft genug bei Regen Fußball gespielt und da ist mir auch nichts passiert. Ich steck´ das erstaunlich gut weg, sie werden sehen.“ Er zwinkerte ihr zu. Doch so ganz überzeugt war sie nicht. „Schon gut Mama. Lass ihn, wenn er nicht will.“, meinte ich und bedeutete ihr das sie gehen konnte. Nur zögernd folgte sie meiner Bitte und schloss die Tür hinter sich. Tai sah mich lächelnd an. „Ich darf mich aber bestimmt nicht hinsetzen oder?“, witzelte er und er schien zu erwarten, dass ich wie wild meinen Kopf schütteln und ihm böse anfauchen würde. Doch das tat ich nicht. Stattdessen bot ich ihm an, neben mir aufs Bett zu klettern. Verwundert folgte er dem Angebot. „Was ist denn los, Prinzesschen? Der nasse Hund darf auf das Cashmere-Sofa?“ Ich konnte nur weiter lächeln, griff zu meinem Teller auf dem Nachtisch. Ich hatte noch zwei Sandwichs übrig. Ich stellte den Teller zwischen uns ab und sah wie er mit großen Augen auf die beschmierten Toastscheiben schaute. „Hat der Hund vielleicht Hunger?“, fragte ich ihn und erntete ein Lächeln. Unsere Hände trafen sich für eine Sekunde, als wir beide gleichzeitig zu den Sandwiches griffen – ich, weil ich ihm eins reichen wollte, und er, weil er sich selbst eins nehmen wollte. Unsere Blicke trafen sich und wir wurden beide rot. „Danke...“, hauchte er und biss in das Sandwiches. Nach kurzem Kauen sah er angewidert auf. „Thunfischmayo?“ Ich nickte. „Super lecker, oder?“, neckte ich ihn und er lachte gespielt. Trotzdem. Das wir hier zusammen saßen machte mich wahnsinnig. Es war, als wäre nie etwas gewesen. Als wäre alles normal. War Tai jetzt ebenso verrückt wie ich es geworden war? Ich beobachtete ihn intensivst, als er sich mit dem Sandwiches abmühte. Wer hätte gedacht, das Tai Sachen aß, die er nicht mochte. „Warum sitzt du klitschnass auf meinem Bett, Tai?“, fragte ich schließlich, als er aufhörte zu essen und mich fragend ansah. Mein Ton war recht emotionslos. Tai sog scharf die Luft ein und ließ die Schultern hängen. „Weil´s regnet, Mimi.“, entgegnete er schließlich und versuchte wie gewohnt witzig zu sein. Aber auch seine Stimme änderte die Tonart. „Du weißt was ich meine...“ Einige Sekunden, gefühlte Jahre, verstrichen in denen wir uns nur ansahen, schweigend. Das machte mich unfassbar nervös, und ich vergrub meine Hände in meiner Decke. Den letzten Bissen herunter schluckend, wischte sich Tai mit dem Handrücken über den Mund. „Ich weiß, es ist noch nicht so lange her, dass wir unser komisches Gespräch hatten...“, begann er, aber ich unterbrach ihn. „Komisches Gespräch?“ Er schnaubte. „Du weißt was ich meine.“, äffte er mich nach und streckte ihm die Zunge raus. „Ich musste dich einfach nochmal sehen.“ Mein Mund öffnete sich verwundert, aber kein Ton kam heraus. Diese Worte ließen mein Herz schneller schlagen. Er wollte mich nochmal sehen? Es war wirklich kaum Stunden her, später Abend, seitdem wir uns gesehen hatten. Was ging in ihm vor? War etwas nicht gesagt? „Aber warum?“, hauchte ich fragend und konnte es einfach nicht fassen, dass er mich nochmal aufsuchte. Wir waren irgendwie im Guten auseinander gegangen. Und das wir uns in den nächsten Tagen überhaupt sprechen würden hätte ich nicht gedacht. Vielleicht sollte ich auch einfach mal nicht denken. Aber das ging nicht. „Weil ich noch nicht fertig war.“ „Noch nicht fertig? Aber ich hatte dich um ein Gespräch gebeten...“ „Na und? Das heißt doch nicht, dass ich nichts mehr zu sagen hätte, oder?“ Tai stellte den leeren Teller wieder zur Seite. Für jemanden, der in nasser Kleidung auf einem Bett saß, kam er erstaunlich gut damit zu recht. Es schien wahr zu sein – Tai gab echt nichts drauf was er an hatte, ob trocken oder nass. Er sah mir direkt in die Augen, was meinen Atem stocken ließ. Dieses warme Braun war mir noch nie so intensiv aufgefallen wie in diesem Moment. Ich schluckte. „Ich hab die Wahrheit gesagt. Das mit dem „Ich liebe dich“ meine ich.“, erklärte er und ein Stich in meinem Herzen ließ mich aufkeuchen. Das hatte vorhin schon weh getan. Auch wenn es das doch eigentlich nicht sollte. Aber zu hören, dass man nicht geliebt wurde, tat weh. Gerade von Menschen die einem die Liebsten waren. Er hatte es nur gesagt, damit ich mich besser fühlte. Das hatte ich. Aber nur für kurz. „Aber das heißt nicht, dass du mir egal bist. Ich wollte das nur nochmal klarstellen.“ Es vergingen erneut einige Sekunden bevor ich mir über die Lippen leckend antworten konnte. „Natürlich. Das weiß ich doch...“ Ich brach den Blickkontakt ab und sah auf meine Decke, unter der meine zitternden Beine versteckt waren. Inständig hoffte ich, dass er davon nichts mitbekam. Davon, dass mir seine Worte viel zu nahe gingen. Du wolltest doch nur wieder alles in Ordnung bringen, dachte ich. Ich wollte nur Frieden mit allen und mit mir. Und jetzt kam mir Tai mit seiner lieblichen Stimme daher und säuselte mir diese Worte entgegen. Dabei waren seine Worte lediglich eine Entschuldigung. Für sein Verhalten. Eine Entschuldigung, die ich nicht verdiente. Denn ich konnte mich nicht entschuldigen, dass was ich getan hatte, war nur durch eine Zeitmaschine wieder rückgängig zu machen. Sanft schob Tai seine Hand unter mein Kinn und hob es an, sodass ich ihm wieder in die Augen sehen konnte. Er lächelte. „Es tut mir leid, Tai.“, platzte es aus mir heraus und ich schnellte vor um den überraschten Taichi zu umarmen. Ich ignorierte dass er kalt und nass war. Es war mir egal. Alles, was ich wollte, war die Scherben unserer Freundschaft, oder was auch immer wir waren, wieder aufzusammeln und zusammen zu kleben. Ich wollte alles wieder gut machen. Auch wenn ich es nicht konnte. Ich wollte Tai nie wieder so verletzen. Im Gegenteil. Dieser gutmütige Mensch sollte glücklich werden. Und ich wollte alles dafür geben, dass er es wurde. So wie er es die ganze Zeit für mich wollte. Ich schniefte. „Du weißt das ich klitschnass bin oder Prinzesschen?“, fragte er nervös und wusste nicht recht, wie er mit mir umgehen sollte. Ich ließ langsam von ihm ab, wischte mir ein paar Tränen aus dem Gesicht und lächelte ihn verlegen an. Noch immer erstaunt sah er mich an. „Was macht das schon. Trocknet doch wieder.“ „Mein Reden!“, pflichtete er mir bei. „Aber wofür entschuldigst du dich?“ Ich sah auf und spürte, dass Taichi wieder den Dummen mimte. Das er vielleicht auch nicht wahr haben wollte, dass ich versuchte mich für etwas zu entschuldigen, wofür es keine Entschuldigung gab. „Für alles. Einfach für alles, Tai...“, flüsterte ich erschöpft. Ich fand keine Worte mehr für die Sachen, die passiert waren. Ich war es leid. Ich war mich leid. Am liebsten hätte ich mich wieder unter meiner Decke eingeigelt. Die Außenwelt ausgeblendet. Aber Tais Anwesenheit hinderte mich daran. Er würde nicht gehen, bevor wir gesprochen hatten. Nochmal. „Du hast getan, was du für richtig gehalten hast.“, sagte er schließlich ruhig und faltete seine Hände zusammen. Sichtlich enttäuscht. Es hatte ihn wirklich hart getroffen, dass ich mit Koushiro geschlafen hatte. „Was ich für das Richtige gehalten habe? Spinnst du Tai?“, zischte ich. Er richtete seinen Oberkörper auf und wirkte mir plötzlich weit überlegen. „Was willst du hören, Mimi?“, grummelte und zuckte mit den Schultern. „Das du total verrückt geworden bist? Das du ne Schlampe bist? Hm?“ Ich wich niedergeschlagen zurück, sachte den Kopf schüttelnd. Niemand wollte so etwas hören. Auch wenn es die Wahrheit war. „Es ist passiert.“, fuhr er fort. „Ich kann die Zeit nicht zurückdrehen und dich davon abhalten, mehr als nur mit deinem Ex zu reden... Was hätte das überhaupt geändert?“ „I-Ich... weiß es nicht.“ „Wären wir dann zusammen, Mimi?" „Ich... weiß es nicht.“ „Hätten wir wieder miteinander geschlafen?“ „ICH WEIß ES NICHT, TAI!“, schrie ich, weil ich wollte das es endlich aufhörte mich mit diesen Worten zu quälen. Zitternd umarmte ich mich selbst, ratlos was ich nun tun sollte. Es klopfte. „Alles gut bei euch?“, fragte mein Vater und erschrocken sah ich zur Tür. „Ja, alles super!“, antwortete und betete, dass er nicht reinkommen und fragen würde, was hier los war. Ich hatte Glück. Er ging. „Glaubst du mir, wenn ich dir sage, dass ich nicht gekommen bin, um dir eins reinzuwürgen?“, wollte er wissen und es fiel mir schwer zu reagieren. Natürlich wusste ich das. Zumindest hoffte ich, dass ich das wusste. Ich nickte stumm. „Mimi... Seit Tagen mache ich mir Gedanken, warum du mir nicht mehr aus dem Sinn gehst... Ich bleibe bei meiner Aussage, dass ich dich nicht liebe aber...“ Er stoppte und sah mich etwas unbeholfen an. „Da ist irgendwas. Und ich weiß nicht was es ist...“ „Mir geht’s genauso!“, rief ich ihm dazwischen und hielt mir sofort den Mund mit meinen Händen zu. Er lachte kurz auf und nahm meine Hände um sie in seine zu legen. „Ich habe keine Ahnung davon, also hoffe ich, du nimmst es mir nicht übel, wenn das hier jetzt super holprig wird aber...“ Tai sah mir tief in die Augen und ich wartete auf eine Vorsetzung seiner ruhigen Worte. „Würdest du mit mir zusammen herausfinden wollen, was das zwischen uns ist?“ Für einen Moment schien es so, als würde mein Herz stehen bleiben. Das konnte nicht real sein. Hatte Tai mich gerade ernsthaft, ob wir beide unseren vermeidlichen Gefühlen auf den Grund gehen sollten? Tai und ich? Mein Herz klopfte mir bis zum Hals und ich hatte das Gefühl, gleich in Ohnmacht zu fallen. Es schien so absurd, dass, nach all dem Scheiß den ich, und auch ein bisschen Tai, angestellt hatte, saß dieser herzensgute Typ vor mir und hatte nichts als Wertschätzung und Warmherzigkeit für mich übrig. Das konnte doch nicht sein. Wenn dies ein Traum war, dann wollte ich nicht geweckt werden. Es war zu schön um wahr zu sein. Sollte nun ernsthaft alles gut werden? Sollte ich endlich wieder glücklich werden? „Bist... du dir sicher, dass du das willst?“, fragte ich mit bebender Stimme und bekam förmlich Schnappatmungen bei seinem liebevollen Blick. Das passierte wirklich. Man hatte mir vergeben. Es war wahr. „Ich war mir noch nie so sicher...“, sagte er entschlossen und ich konnte spüren, dass er genau meinte, was er dort von sich gab. Langsam, fast wie in Zeitlupe, bewegten wir uns aufeinander zu, uns tief in die Augen sehend, ehe sich zaghaft unsere Lippen berührten und zu einem sanften, liebevollen Kuss vereinten. Es geschah tatsächlich. Ich küsste Tai. Wieder. Dieses Mal reinen Gewissens. Ohne Altlasten. Und es fühlte sich gut an. So wie an dem Abend, als wir schon einmal so zusammengekommen waren. Doch das hier fühlte sich besser an. Viel besser. „Und, wie ist das?“, fragte er atemlos, als wir den Kuss lösten und wir uns erneut ansahen. Schüchtern lächelnd. „Du wirst besser, Tai. Aber ich zeig dir noch, wie das richtig geht.“, scherzte ich und wir beide begannen laut und befreit an zu lachen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)