Strange World von MissBloodyEnd ================================================================================ Kapitel 43: Du bist nicht allein -------------------------------- Angestrengt starrte ich auf meinen besten Freund, der mit verbundener Schulter vor mir auf einer Krankenliege saß und vor Schmerzen stöhnte. Die Massen an Medikamenten, die man Davis verabreicht hatte, schienen nur wenig zu helfen. „Nochmal zum mitschreiben.“, begann ich zögerlich, nachdem zwischen ihm und mir eine beachtliche Denkpause eingetreten war. „Du bist gestolpert, bist dabei auf Wallace´s Mund gefallen und bist dann die U-Bahntreppe hinunter gestürzt?“ Davis grummelte schmerzerfüllt. Die letzte halbe Stunde hatte einen wahrlichen Knoten in meinem Kopf verursacht. Davis hatte mich panisch auf dem Handy angerufen, und mich unverzüglich in das Krankenhaus bestellt, in dem er gerade verarztet wurde. Ein sauberer Schlüsselbeinbruch, nach einem Treppensturz. Irgendwo da oben schien ein Schutzengel über meinen wirren besten Freund zu wachen. Denn das er nach so einem Sturz nur mit so einem „kleinen“ Bruch davon gekommen war, grenzte ja wohl an mehr als nur Glück. Auch wenn der angebliche Unfallhergang doch eher unglaubwürdig wirkte. Denn Davis versuchte mir mit wackelnder Überzeugung weiß zu machen, dass das alles Zufall war. Wallace erzählte die Geschichte allerdings anders. Und deutlich glaubwürdiger. Die beiden hatten sich, nachdem Davis und ich uns gestern getrennt hatten, schon einmal getroffen. Zum Nudelsuppen-Essen. Heute trafen sie sich erneut, direkt am Mittag. Es war Samstag und um die Zeit war wohl dort nichts los. Wallace erzählte zunehmend angespannt, dass Davis sich komisch verhielt, viel davon redete, dass er sich zwar besser fühlte, nicht mehr von Kari abhängig zu sein. Doch er fühlte sich einsam. Obwohl er angeblich nicht auf der Suche nach einer Beziehung sei. Wallace hatte ihm daraufhin lediglich aufmuntern wollen, hatte ihm gesagt, dass so ein klasse Kerl wie er, ganz sicher jemanden Besonderen finden und lieben würde. Soweit ja gar kein schlechter Gedanke. Davis war ein toller Typ. Und es schmerzte mich, dass er sich Wallace geöffnet hatte und mir vorgaukelte, es ginge ihm super. Egal, zurück zu Wallace´s Geschichte. Als die beiden fertig waren und raus gingen, wurde Davis noch merkwürdiger. Er benahm sich ungewöhnlich soft und wirkte zunehmend nervöser. Und dann geschah es. Davis beugte sich vor, hochroten Kopfes, und küsste den vollkommen überrumpelten Wallace. Einfach so. Aus heiterem Himmel. „Das ging so schnell, ich konnte gar nicht ausweichen. Und genauso schnell war Davis von dannen gestolpert und in einem hohen Bogen die Treppe zur U-Bahn heruntergefallen. Wie ein Pferd beim Springreiten, dass über seine eigenen Hufe stolpert und das Hindernis mitnimmt.“, hatte er mir erklärt während ich noch immer die Information verarbeitete, dass Davis Wallace geküsst hatte. Versteht mich nicht falsch. Mir lag es fern jemanden aufgrund seiner sexuellen Orientierung auszuschließen oder zu kritisieren oder dergleichen. Jeder sollte jeden lieben dürfen, egal welches Geschlecht er oder sie hatte, und natürlich auch dann, wenn sich besagte Personen nicht sicher waren, was sie sein wollten. Oder sich nicht festlegen wollten. Und auch war ich schon irgendwie stolz auf Davis, dass er sich doch ausprobierte. Es kam nur so plötzlich. Unerwartet. Aus heiterem Himmel. Und dann noch mit Wallace. „Ich weiß im Moment versuchst du dich neu zu erfinden, Davis.“, begann ich meine Moralpredigt und sah in seinen Augen, dass er darauf zwar schon gewartet, sich aber nicht gefreut hatte. Er hasste es, wenn ich das tat. Den wie er es nannte „Oberlehrer heraushängen“ lassen. Dennoch würde ich das ansprechen. „Aber Wallace sitzt da draußen und traut sich nicht mehr dir in die Augen zu sehen. Du hast ihn einfach geküsst, und jetzt seid nicht nur ihr von der Rolle... Wir alle sind es.“ Davis sah mich an, in seinen Augen stand die Angst ganz groß geschrieben. Ich griff nach einer seiner Hand, wollte ihm Halt geben. Aber er wich Schmerz verzerrt aus. „Ich weiß nicht, was das sollte. Ich weiß nicht, was in mir vorgeht. Ich weiß gar nichts mehr, Ken.", sagte er mit bebender Stimme und ich entdeckte Tränen in seinen Augen. Es brach mir das Herz meinen besten Freund so zu sehen. Körperlich und seelisch verletzt. Überfordert mit sich und der Welt. Am Ende. Wie stolz waren ich und auch die anderen gewesen, als er sich berappelte und endlich wieder nach vorne sehen wollte. Er hatte es bis hier hin auch so gut gemeistert. Wollte sich neu erfinden. Und jetzt? Jetzt lag er mit einem gebrochenen Schlüsselbein im Krankenhaus, weil seine alles überstürzende Art und Verwirrtheit ihn in eine Situation gebracht hatte, mit der er nicht umgehen konnte. „Ich wollte das nicht...", wimmerte Davis, sich mit einem Handrücken über die Augen wischen wollend, nur um quiekend vor Schmerzen zusammen zu zucken. Ich sprang auf, holte ihm ein Taschentuch zumindest hielt ich es für eins - und wischte ihm damit über sein nasses Gesicht. Er schnaubte. „Danke..." „Kein Problem." Es klopfte. Erschrocken drehten wir uns um, als Cody und Miyako die Köpfe durch den Türspalt steckten und fragend herein schauten. Ich schluckte und winkte beide nach draußen, als ich Davis nervös seufzte. „Ich kümmere mich drum.", versprach ich ihm, woraufhin er mir dankbar zu lächelte. Mit einem Satz stand ich aus meinem Stuhl auf und folgte meiner Freundin, die sich nicht bewegt hatte, auf den Flur. „Also?", wollte sie sofort wissen uns knetete ihre Hände. Cody hatte sich zu Wallace gesetzt, der mittlerweile wieder deutlich ruhiger wirkte. Zumindest sah es so aus. Aber was wusste ich schon vom Deuten von Gefühlen. „Er hatte riesiges Glück. Davis hat sich „nur", das Schlüsselbein gebrochen, und ein paar Prellungen. Gibt ein paar schöne blaue Flecken.", erklärte ich mit leiser Stimme, fast so als hätte ich Panik davor, das er uns hören konnte. Yolei lehnte sich auf die Lippe kauend gegen den Türrahmen und sah auf den Boden. „Dieser Wirrkopf rennt nochmal vor eine Bahn, wenn man nicht auf ihn aufpasst.", sagte sie bitter. Das sie mit Wirrkopf die wohl beste Bezeichnung für ihn gefunden hatte, ahnte sie wahrscheinlich noch nicht. „Wie geht's ihm denn?", klinkte sich Cody ein und sah besorgt auf. Der erste Schock war auch aus seinem Gesicht gewichen. „Den Umständen entsprechend. Er wurde behandelt und mit Schmerzmitteln vollgepumpt. Die wohl nicht wirken. Oder noch nicht." Wallace verschränkte die Arme vor der Brust und biss sich auf die Lippen. „Du als sein bester Freund kannst uns doch sicher erklären, was mit dirty Davis gerade los ist?", fragte er schließlich zögerlich und ich nickte, wenn auch nur sehr langsam. Ich verstand Davis. Ich versuchte es. „Er versucht sich selbst zu finden... Ich glaube er weiß einfach gerade nicht, wer er ist...", meinte ich mit ruhiger Stimme. Alle sahen mich gebannt an. So als erwarteten sie noch mehr. Aber wie sollte man etwas erklären von dem man nur wenig wusste. Weil der eigene beste Freund so gefangen in seinem Chaos war, dass er meine rettende Hand nicht sah. Und ich streckte sie ihm wirklich weit entgegen. „Kann er seine Selbstfindungsphase bitte an wem anderes testen?", platzte es aus Wallace heraus, was ihm scheinbar sofort unangenehm war und er rot anlief. Ich lächelte ihm aufmunternd zu. „Du warst zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort würde ich mal sagen...", meinte Yolei und harkte sich bei mir ein, um ihren Kopf auf meine Schulter abzulegen. „Oder in Davis' Fall am richtigen." Cody sprang wutentbrannt auf und ballte die Fäuste. Seine Augen zu Schlitzen geformt, Zähne knirschend. „Hört ihr eigentlich was ihr hier für Scheiße labert?", zischte er und richtete sich an Wallace. „Anstatt hier das Opfer zu spielen, solltest du versuchen für ihn da zu sein! Er braucht seine Freunde mehr als je zuvor. Und das waren wir alle in den letzten Wochen nicht." Cody schnaubte in die entstandene Stille die sich ausgebreitet hatte. Was so alles aus dem Kleinen rauskommen konnte, war beachtlich. Und er hatte recht. Jeder kochte im Moment sein eigenes Süppchen. Jeder hatte eine Beziehung um die er oder sie sich bemühte. Jeder kämpfte mit seinem persönlichen Leben. Zusammenhalt war zwar vorhanden, das bewiesen wir uns immer wieder. Zum Beispiel an Matts Geburtstag. Aber in all dem Leben leben schien wir nicht jeden zu beachten. Davis schien an uns durch das feinmaschige Netz unserer Freundschaft zu gleiten wie Wasser. Seine innerlichen Qualen hatte keiner wahr oder ernst genommen. Besonders hart traf das mich. Ich war sein bester Freund. Das dachte ich zumindest. „Mensch ich bin echt gern für ihn da.", begann Wallace schließlich und seufzte. "Aber ihr müsst mich auch verstehen, wenn ich nach Davis' Kuss ein wenig neben mir stehe. Das kam so unerwartet, ich kann das einfach nicht in mein meinem Kopf mit Davis verknüpfen. Und der dreht ja des öfteren frei." Ich nickte ihm verständnisvoll zu, und entschied mich den Amerikaner in den Arm zu nehmen. Einfach so. Wallace erwiderte nah kurzem Zögern meine Geste und kicherte leicht. „Wofür war die denn?", wollte er wissen als ich mich von ihm löste. „Dafür, das du ihm keine rein gehauen hast...", murmelte ich kaum hörbar, aber er hatte mich verstanden. Er schüttelte enttäuscht den Kopf. „Alter als wenn ich so was machen würde. Davis hat sich außerdem anschließend selbst k.o. gehauen." Wir lachten leicht als Yolei sich räusperte. „Wollen wir ihm nicht beweisen was für gute Freunde wir sind und zu ihm gehen?", schlug sie vor und wir alle nickten. Wallace zückte einen Schokoriegel aus der Hosentasche und grinste. „Schokolade macht doch glücklich." Mit aufmunterndem Lächeln traten wir in Davis' Krankenzimmer ein, zusammen. Als Einheit. Ich spürte die Kraft die von uns ausging und genoss sie. Und auch Davis schien sie zu bemerken. Denn seine verzerrte Mimik änderte sich. Zu einem entschuldigendem Lächeln. Das brauchte er nicht. Wir hatten ihm nichts zu verzeihen. Eher uns. Die, die seine Freunde waren und ihm nicht zur Seite gestanden hatten. Das würde sich ändern. „Du bist nicht alleine.", murmelte ich leise vor mich hin, während ich die anderen dabei beobachtete, wie sie Davis Mut zusprachen und seine Verletzung betrachteten. „Ganz bestimmt nicht." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)