Schlaflos von Cookie-Hunter (Der Albtraum endet nie...) ================================================================================ Kapitel 22: Mein Gewissen und ich --------------------------------- Kyo hatte das Treffen mit der kleinen Sachiko sehr genossen. Es war erfrischend und so... normal. Niemals hätte er gedacht, dass er sich so gut mit ihr unterhalten konnte. Sie sogar ein wenig mehr gemeinsam hatten als nur die Musik. Da war nur ein kleines Problem mit jemand ganz bestimmten, der meinte ihm das Ganze vermiesen zu müssen. Mit ihrer kreischenden, schrillen Stimme. Natürlich hatte er mit sich gekämpft. Damit man ihm nicht anmerkte, dass etwas nicht in Ordnung war. Nicht als verrückt abgestempelt wurde. Zusammen mit Sachiko kehrte er wieder in den Laden zurück. Immerhin hatte sie ja eigentlich ein paar Besorgungen machen sollen. Um sich von Ayaka abzulenken, schloss er immer wieder seine Faust fest um das Feuerzeug in seiner Jackentasche. Das Rauchen hatte er zwar nicht wieder angefangen, doch es war ein Gefühl aus alten Zeiten, das ihm ein wenig Halt in dieser veränderten Welt gab. „Ah, da sind die beiden Turteltäubchen ja“, grinste Daisuke, der die beiden als Erstes den Laden betreten sah. Kyo knurrte nur ein wenig vor sich hin, strafte ihn zusätzlich mit einem bösen Blick – der langsam aber sicher wieder besser wurde. Sollte der doch reden. Sie hatten einen schönen Nachmittag zusammen verbracht, mehr nicht. Vielleicht auch ein wenig geflirtet. Das konnte er nicht mehr sagen, weil er nicht mehr wirklich von sich behaupten konnte, dass er wusste, wie das ging. Das Verhalten des Freundes mit einem Schmunzeln und einem Kopfschütteln kommentierend, holte der Gitarrist eine Tüte hinter der Theke hervor: „Ich hab deine Bestellung hier. Alles, was du auf deiner Liste stehen hattest. Willst du noch mal nachgucken?“ Sachiko schüttelte sacht den Kopf: „Iie, ich vertraue dir, Andou-san.“ Sie holte ihre Geldbörse aus der Handtasche, beglich die Rechnung. Sie war nur froh, dass ihr ihre Jungs das Geld bereits gegeben hatten, denn vorstrecken war einfach nicht drin. Jeder von ihnen hatte nur einen kleinen Nebenjob, mit denen sie sich ihr Leben und gerade so auch ihre Musik finanzieren konnten. Und es war ein richtiger Balanceakt beides unter einen Hut zu bringen, denn Ersatz gab es bei ihren Jobs reichlich da draußen. Sie nahm die Tüte entgegen, verabschiedete sich von Dai und Kyo und verließ das Geschäft, allerdings nicht ohne dem Sänger noch einen letzten verstohlenen Blick zuzuwerfen. Mit einem vielsagenden Grinsen wurde er von der Theke aus angesehen und in seinem Nacken hatte er auch so ein verdächtiges Gefühl. Und damit meinte er nicht Ayaka, die mit hasserfüllten Augen um ihn herumschlich. Na ja, nicht nur. „Es gibt so viele Dinge, die ich dir gerne antun würde. Die ich dir an den Kopf werfen würde. Du glaubst gar nicht, wie sehr ich dich hasse. Du brichst den Vertrag. Es war deine Idee, vergiss das nicht, du Abschaum“, keifte sie ihn an. „Dein Leben gehört mir. Ich darf es dir zur Hölle machen. Hölle, hörst du? Da ist kein Platz für glückliche Momente.“ Sie nahm sein Gesicht in ihre Hände, flüsterte ihm ins Ohr: „Du nahmst mir mein Leben, ich nehme mir jetzt deines. Nur fair, oder?“ Nobu war derweil auf Daisukes Rücken gesprungen, klammerte sich an dem Älteren: „Hatte er das früher auch? Dieses Starren?“ Aber der Gitarrist schüttelte den Kopf. Zumindest nicht in diesem Ausmaß. Da war irgendwas nicht in Ordnung. Er konnte sich jedenfalls denken, weshalb er so blass war. Und Toshiyas Blick zufolge, ging es diesem genauso. Verdammt! Das wurde ja von Tag zu Tag schlimmer, statt besser. Wenn das nicht bald bergauf ging, dann hatten sie bald die selbe Situation, wie vor sechszehn Jahren. Obwohl ein Psychiater keine üble Idee zu sein schien. Sicher war nur, dass sie Kyos Problem nicht weiter ignorieren durften. Sie hatte ihm das Leben doch jetzt schon lange und oft genug erschwert. Er sollte sie nicht vergessen. Das verlangte ja auch keiner von ihnen. Ihm jedoch dabei zuzusehen, wie rapide es mit dem Kleinen hinab ging seit er wieder frei war, das war nicht zu ertragen. „Nobu, häng dich wieder hinter dein Telefon“, sagte Die und setzte den Jüngeren auf der Ladentheke ab, ehe er zu Kyo hinüber ging, diesen sachte an der Schulter berührte. Wie ein verschrecktes Reh sprang der jedoch einen Meter zurück, sah ihn panisch an. Ein allzu bekanntes Bild für Die. „Ich bins nur“, beschwichtigte er den Jüngeren und hob die Hände. Es dauerte nur noch einen Wimpernschlag, bevor Kyo sich entspannte. „Lass uns nach hinten gehen.“ Schützend legte Dai einen Arm um den Kleineren, führte ihn in den Aufenthaltsraum, wo er ihm auch gleich ein Glas Wasser in die Hand drückte. „Geht es wieder?“ Kyo nickte, obwohl eigentlich überhaupt nichts besser war. Gerade jetzt versuchte er einfach nur alles in seinem Inneren zu verschließen. „Warum erzählst du es ihm nicht? Sag ihm doch, dass ich hier bin und was ich dir antue“, säuselte Ayaka ihm ins Ohr. „Obwohl ich wetten könnte, dass er es schon weiß.“ Sie warf einen abschätzenden Blick in die Richtung des Gitarristen und fing an sich kaputt zu lachen. Kyo warf ihr einen verächtlichen Blick zu, knurrte ein wenig. Sie durfte sich über niemanden lustig machen. Nur über ihn. Er musste und konnte das ertragen, wenngleich sein Fell in all den Jahren auch recht dünn geworden war. „Hey, du machst ja gleich das Glas kaputt“, lächelte Die schief und nahm selbiges auch gleich an sich, bevor Kyo es wirklich noch schaffte es kaputt zu drücken. Schwer seufzend drückte er den Kleineren auf den nächstbesten Stuhl, sah ihm tief in die Augen: „Müssen wir das ganze jetzt noch einmal durchkauen? Deinen Rückzug aus unserer Welt? Deine Selbstaufgabe? Den Kampf, dich wieder in unsere Mitte zu bringen?“ Er ließ seine Worte einen Moment wirken, sah auch, dass Kyo ihm nicht mehr in die Augen schauen konnte, dass er mit sich haderte, so wie er auf seiner Unterlippe herumkaute. „Denk immer an den einen Traum, den du hattest. Wo wir dir die Hand gereicht haben. Dich beschützt haben. Wir helfen dir. Wir sind deine Freunde.“ Das wusste Kyo. Das wusste er alles. Auch an den Traum erinnerte er sich. Und auch, wenn er sich sehnsüchtig Erlösung von dieser seelischen Qual wünschte, so wusste er doch auch, dass es falsch wäre, dass er nicht das Recht dazu hatte. Er hasste sich doch schon dafür bei seinen Freunden all die schlechten Erinnerungen hervor zu rufen. Aber was sollte er denn machen? „Was soll ich denn machen?“, flüsterte er, sich nicht einmal bewusst, dass er überhaupt etwas sagte. „Gar nichts. So wie es jetzt ist, ist alles perfekt.“ „Was du machen sollst?“ Die zog sich einen Stuhl heran, setzte sich dem Vocal gegenüber. „Gib als erstes Mal diese verrückte Idee mit der eigenen Wohnung auf. In deinem jetzigen Zustand, da... Ich... Wir hätten dann ständig Angst, dass alles wieder von vorne beginnt. Bleib doch noch eine Weile bei Toshiya. Bitte. Nicht nur, weil sich der Kurze dann einen Ast freuen würde, sondern weil es auch dir hilfreich wäre. Mit jemandem in deiner Nähe, der nicht Ayaka heißt, würdest du nicht mehr alleine kämpfen müssen. Denn eines ist klar: Wenn ich oder besser gesagt, wenn wir merken, dass du uns wieder entgleitest, dann schleppen wir dich notfalls zu einem Psychiater. Ich schwöre es dir. Wir werden dir nicht dabei zusehen, wie alles wieder von vorne anfängt.“ Stumm saß der Jüngere einfach nur da, versuchte Sinn in den Worten seines Freundes zu finden. Aber da war keiner nicht in seinen Augen und Ohren. „Ich verstehe euch nicht. Ihr seid verrückt euch so an mich zu klammern. Ausgerechnet mich. Ich bin es nicht wert. Ich sollte nicht hier sitzen dürfen und mit dir reden können. Ich sollte am Besten noch immer in dieser dummen Zelle hocken und dafür büßen, was ich getan habe. Ich bin ein Mörder. Abschaum. Der Dreck unter euren Schuhen. Nicht mehr und gleichzeitig noch viel weniger als das.“ Ja, er hatte schon mal anders gedacht, aber dies hier war eine tiefe Wahrheit, die sich in seine zerbrochene Seele gebrannt hatte. Er wollte ja nicht leiden und schon gar nicht, dass ausgerechnet die Menschen litten, an die er sein Herz gehängt hatte. Nur wollte er auf keinen Fall vergessen. Und das hatte weitaus mehr Priorität, als sein Selbsterhaltungstrieb. Das hätte er nicht ignorieren dürfen, als er mit Sachiko weg ging, als er versucht hatte, sich einen Weg zurück zu erkämpfen. „Weißt du was?“ Wütend stand Die auf, versuchte seine Stimme nicht allzu laut werden zu lassen: „Deine scheiß Selbstkasteiung“, er warf den Stuhl durch die Gegend, was Kyo unweigerlich zusammenzucken ließ, „die steht mir bis hier.“ Er zog mit der Hand eine Linie, weit über seinem Kopf. „Deine Moral in allen Ehren, aber was du hier veranstaltest ist einfach nur dämlich, stur und vor allem verletzend.“ Aufgebracht stürmte er zur Tür, die in den Laden zurück führte, riss diese auf, verharrte nochmals. „Du solltest mal darüber nachdenken. Oder sollte ich vielleicht 'ihr' sagen, wo du doch zu zweit bist?“ Innerlich völlig aufgewühlt raste Daisuke in die 2. Etage, wo er sich einfach eine E-Gitarre nahm, diese verkabelte und sich dann seinen Frust lautstark von der Seele spielte. Das mit Kyo war ja einfach nicht mehr auszuhalten. Währenddessen schlich sich Toshiya in den Aufenthaltsraum, wo er einen fast völlig paralysierten Kyo vorfand. Die hatte ja recht, mit dem was er gesagt hatte. Zumindest dem, was der Bassist so gehört hatte, aber es war vielleicht doch eine Spur zu hart. „Toshiya?“ „Hai?“ „Kann ich mir vielleicht den Rest des Tages frei nehmen und nach Hause?“ Toshiya nickte, schnappte sich seine Autoschlüssel und öffnete die Tür zum Hinterhof: „Ich fahr dich. Nicht, dass du dich verläufst.“ Nachdem Toshiya den Älteren in der Wohnung abgesetzt hatte, fuhr er wieder zum Laden zurück, denn einen aufgebrachten Die sollte man nicht zwischen all den empfindlichen Instrumenten wüten lassen. Obwohl Keisuke sich nicht scheuen würde, beherzt einzugreifen, sollte es nötig sein. Mit ruhigen Schritten näherte er sich seinem Geschäftspartner, ließ sich neben diesem nieder. „Musste das eben sein?“ Ein Schnauben seitens des Gitarristen. „Du hast überreagiert, findest du nicht?“ „Ganz und gar nicht. Einer musste ihm das ja mal sagen und ihm die Augen öffnen.“ Genervt stellte er die Gitarre wieder zur Seite. Heute wirkte das Spielen nicht einmal annähernd so beruhigend, wie sonst. „Warum bist du denn bei mir und nicht bei ihm, wenn ich deiner Meinung nach zu hart zu ihm war?“ „Weil Kyo jemand ist, der in so einer Situation damit anfängt über alles nachzudenken. Und weil du gerade genauso jemanden brauchst, der dir zur Seite steht.“ 'Dai hat recht', hatte Toshiya noch zu ihm gesagt, bevor er wieder gefahren war. Aber war das auch wahr? Dachten seine Freunde wirklich so? Hassten sie ihn für seinen Selbsthass? Kyo fühlte bereits, wie er in den alten Teufelskreis von damals abrutschte. Dem Zwiespalt zwischen seinem Gewissen und dem Wunsch nach Normalität. Er lag auf seinem Bett, starrte zur Decke. Was war der richtige und was der falsche Weg? „Warum fragst du nicht mich? Ich kenne die Antwort auf diese Frage.“ Genauso, wie er wusste, was sie antworten würde. Eine Antwort, die ihm nicht gefiel, gleichzeitig aber auch ein Stück von Richtigkeit vermittelte. „Ich wünschte, ich wäre tot.“ „Dabei kann ich behilflich sein.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)