Volle Kraft voraus von cooking_butty (Drei Götter in Weiß) ================================================================================ Kapitel 1: Rettung naht! ------------------------ Jans Crew befand sich gerade im dunkelblauen Rettungshubschrauber auf dem Weg zum nächsten Einsatzort. Ein Schiff war kurz vor der Nordseeküste gekentert und es galt, die Besatzung zu retten. Der große Blonde saß neben Tom, dem Piloten, im Cockpit, die Rettungssanitäterin Karoline saß hinten und checkte ein letztes Mal ihre Ausrüstung. Da es im Helikopter sehr laut war, verständigten sie sich über die Mikros, die in ihren weißen Helmen integriert waren. „Da drüben, auf neun Uhr“, wies Jan den Piloten Tom an und legte das Fernglas, mit dem er bis gerade eben nach dem Schiff gesucht hatte, beiseite. Dann ließ er seinen Sitz zurück gleiten, um sich im hinteren Teil des Hubschraubers den kletterähnlichen Gurt anzulegen. Als sie über dem Schiff schwebten, meinte Tom, der sich mithilfe der Fenster zu seinen Füßen, orientierte: „Ich werd dich da jetzt runterlassen. Pass auf, dass das sich Seil nicht in den Masten verfängt!“ „Geht klar, Chef“, antwortete Jan, obwohl eigentlich er das Oberhaupt der Truppe war. Er schulterte den Rucksack und öffnete die linke seitliche Schiebetür, um sich und zwei einfache Rettungsgurte an der Seilwinde einzuhacken. Sofort blies ihm der eisige Wind entgegen. Er setzte seine Füße auf dem Quergestänge der Helikopterkufen ab und drehte sich um, sodass er Karoline ansah. Diese hatte sich in die Öffnung gesetzt, um mit der Fernbedienung in ihrer Hand das Seil zu steuern. Mit einem ausgestreckten Daumen gaben sie sich das Zeichen, dass es losgehen konnte. Auf dem sinkenden Fischkutter, der schon eine leichte Schräglage aufwies, hakte sich der große Blonde aus und ging auf die vier Männer zu, die ihrem Retter entgegen rannten, so gut es der glitschige Holzboden eben zuließ. „Geht es Ihnen gut, sind Sie verletzt?“, fragte Jan schreiend, nachdem er seinen Helm abgenommen und ihn an seinem Gurt befestigt hatte. Der Lärm des Hubschraubers und der Wellen war unbeschreiblich. „Ich glaube, mein Arm ist gebrochen!“ „Mein Kopf blutet!“ „Mein Bein tut weh!“ Antworteten drei mit deutlichem, ausländischem Akzent. Die Aufmerksamkeit des Arztes galt aber dem vierten, der kurz davor stand, bewusstlos zu werden. „Wie geht es Ihnen?“, fragte er ihn. „Er kann kein Deutsch“, antwortete ein anderer für den Mann, der der Jüngste der Truppe zu sein schien. Jan handelte schnell und legte die beiden Gurte dem stummen Herren und dem, der zuletzt gesprochen hatte um, hakte sie ans Seil und gab seiner Kollegin via Walkie Talkie die Anweisung, sie hochziehen zu lassen. Während diese Arbeit ausgeführt wurde, rief der Arzt den anderen beiden Männern zu, dass sie die nächsten seien. „Ist außer ihnen noch jemand auf diesem Schiff?“, fragte er sie dann. „Der Kapitän!“ – „Er war zuletzt unten in seiner Kajüte“, antworteten die beiden. Das Seil wurde wieder heruntergelassen und Jan legte ihnen den Gurt um. „Fliegt sie zum Ufer, dort müsste ein Krankenwagen für sie da sein. Ich such einstweilen den Kapitän!“, funkte er seinen Kollegen zu, während er zusah, wie die beiden Männer im Hubschrauber verschwanden. „Pass auf dich auf“, drang Karos Stimme aus seinem Walkie Talkie. „Wir sind in einer Viertelstunde wieder da“, meldete sich Tom noch zu Wort, dann drehte der Helikopter ab. Währenddessen wurde im Hamburger Unfallkrankenhaus dem Chef der Notaufnahme gerade der neue neurochirurgische Oberarzt vorgestellt. „Dirk, darf ich vorstellen: Dr. Rodrigo González. Er wird die Neurochirurgie leiten! Herr González, das ist Dr. Dirk Felsenheimer, Chef der Notaufnahme“, stellte der Klinikchef die beiden einander vor und ließ sie anschließend alleine, da Rodrigos Führung nun zu Ende war. „Herzlich willkommen! Keine Panik, wenn Sie sich mal verlaufen, das passiert mir auch noch hin und wieder“, begrüßte Dirk sein Gegenüber, der ein paar Jahre jünger als er zu sein schien. „Na da bin ich ja beruhigt! Diese vielen Gänge hier haben in der Tat etwas Verwirrendes“, schmunzelte der andere. „Woher kommen Sie? Sind Sie neu in der Stadt?“ „Ich komm vom UKH in Berlin und nein, ich bin nicht neu in der Stadt, ich bin hier aufgewachsen!“ „UKH, echt? Da hab ich auch angefangen…vom einen Unfallkrankenhaus ins nächste, oder wie?“ „So sieht’s aus!“ Da ertönte Dirks Pieper. „Tja, die Arbeit ruft! Hat mich gefreut, Sie kennen zu lernen“, verabschiedete sich der Ältere im Gehen. Im Gedanken ließ er seinen Blick noch einmal über seinen neuen Kollegen gleiten. Die dunkelblauen Scrubs verdeckten einen Großteil seines Körpers, doch ließen sie eine sportliche Figur vermuten. Die schwarzen, gepflegten Haare waren zwar etwas länger als normal, aber die Länge wirkte keinesfalls störend, im Gegenteil, kürzere Haare würden vielleicht gar nicht zu Rodrigo passen. Sein dunkler Teint ließ vermuten, dass er aus einem südlichen Land stammte, die schwarzen Augen strahlten Ruhe aus. Alles in allem ein gut aussehender Mann. ‚Stopp, aus! Dirk, was denkst du denn?’, rief er sich zur Vernunft. Seine Freundin hatte ihn zwar eben erst verlassen, aber das war noch lange kein Grund, ans andere Ufer zu wechseln! Doch konnte ein Mann nicht einfach, ohne Hintergedanken, einen Eidgenossen attraktiv finden? Jan hatte sich einstweilen in das Innere des Schiffes vorgewagt. Das kalte Wasser stand ihm hier bis zu den Knien. Da entdeckte er den Kapitän. Der stämmige, bärtige, ältere Mann schien mit seinen Beinen in einem metallenen Ding eingeklemmt zu sein. „Hallo, können Sie mich verstehen?“, fragte der Arzt, während er vorsichtig dessen untere Hälfte, die im Wasser lag, abtastete. Das rechte Bein schien schwer verletzt zu sein. „Ja“, antwortete jener mit erstickter Stimme. Der Arzt versuchte, das Gerüst hochzuheben, doch es war einfach zu schwer. Er musste sich aber beeilen, um den Kapitän hier raus zu bringen, denn das Wasser stieg rasch an. Die unheimlichen Geräusche, die das Schiff erzeugte, ignorierend, suchte Jan etwas, wodurch er das Gerüst wie durch eine Art Hebel hochheben konnte. Schnell fand er einen stabilen Metallstab. „Okay“, wandte er sich wieder an den Kapitän. „Ich werde jetzt versuchen, das Ding hier hochzuheben. Wenn es hoch genug ist, müssen Sie sich rausziehen, verstanden?“ Der andere nickte, sein Gesicht war schmerzverzerrt. Der große Blonde steckte den Stab in ein Loch des Gerüstes und stemmte ihn mit aller Kraft nach unten. Tatsächlich erhob sich das Ding und der Ältere konnte sich, laut schreiend, befreien. Nun konnte der Arzt das Ausmaß der Wunde erkennen: der Mann musste so schnell wie möglich in ein Krankenhaus, sonst würde er sein Bein verlieren. Jan holte einen Verband aus seinem Rucksack und wickelte ihn fest um die Wunde, damit der Verletzte nicht allzu viel Blut verlor. Dann schulterte er dessen Arm, stützte ihn so gut er konnte und gemeinsam gingen sie zurück an Deck, wo der Rettungshubschrauber schon auf sie wartete. Der Arzt, der sich mittlerweile den Helm wieder aufgesetzt hatte, legte den Gurt um den Mann und hakte sie beide ans Seil. Schon wurden sie hinaufgezogen, doch als sie sich noch etwa zwei Meter unter dem Helikopter befanden, stockte die Winde. „Was ist los?“, funkte Jan und sah nach oben. „Ich glaub, das Seil hat sich verklemmt“, antwortete Karoline. Sie drückte an ihrer Fernbedienung herum, doch nichts tat sich. „Wir bringen euch ans Ufer, da steht ein Krankenwagen“, meldete sich Tom zu Wort und wendete den Hubschrauber in diese Richtung. Da hörten die beiden Insassen einen Schrei über die Kopfhörer. „Jan, alles in Ordnung?“, fragte Karoline und blickte zu ihrem Kollegen hinunter. Jener hatte sich nach vorgebeugt und hielt nur noch mit seiner linken Hand den Verletzten fest. „Sein Gurt ist gerissen“, keuchte der Arzt erklärend. „Wie lange würde das Auto zum Krankenhaus brauchen?“, fragte er dann. „Etwa 40 Minuten“, schätzte der Pilot. „Das dauert zu lange. Er verliert sein Bein, wenn er nicht so schnell wie möglich operiert wird.“ „Jan, das nächste Krankenhaus mit Hubschrauberlandeplatz ist in Hamburg. Selbst wenn wir mit Höchstgeschwindigkeit fliegen, dauert das noch eine halbe Stunde. Solang hältst du nicht durch“, rief Tom. Durch das linke Bodenfenster konnte er seinen Freund am Seil baumeln sehen. „Ich schaff das schon. Wenn wir nicht nach Hamburg fliegen, verliert der sein Bein!“ „Wenn wir nach Hamburg fliegen und du kannst nicht mehr, dann verliert der mehr als nur sein Bein!“ „Tom, ich bin immer noch der Chef, also flieg uns sofort nach Hamburg!“ „Tom, tu was er sagt. Jan weiß, was er tut“, meldete sich nun auch Karo zu Wort. Überredet gab der Pilot Gas, sodass der Helikopter bald mit etwa 200 km/h durch die Luft sauste. Der große Blonde verstärkte seinen Griff um das Handgelenk des Kapitäns und konzentrierte sich nur noch darauf, ihn nicht loszulassen. Da spürte er einen stechenden Schmerz, der sich von der Schulter aus über seinen ganzen linken Arm zog. „Fuck“, keuchte er. „Jan, alles in Ordnung?“, hörte er Karos Stimme. „Wie lange dauert es noch?“, fragte er und tat so, als hätte er seine Kollegin nicht gehört. „Etwa sieben Minuten“, war Toms knappe Antwort. Jan stöhnte. Die Schmerzen wurden immer schlimmer. Kurz überlegte er, ob er die Hand wechseln sollte, doch die Gefahr, den Verletzten zu verlieren, war einfach zu groß. Er biss die Zähne zusammen, da hörte er, wie Tom um Landeerlaubnis beim Krankenhaus ansuchte. „Es tut mir Leid, unsere Notaufnahme ist schon voll, wir können keine Verletzten mehr aufnehmen“, antwortete eine tiefe Männerstimme. „Hören Sie zu, Sie verdammter Wichser! Wenn wir nicht sofort landen, dann verlier ich meinen Patienten! Also entweder, Sie nehmen uns auf, oder ich verklage Sie wegen unterstellter Hilfeleistung“, schrie Jan wütend durchs Mikro. Er konnte den Kapitän auf keinen Fall noch länger halten. Ein paar Sekunden verstrichen dann meldete sich die Männerstimme wieder: „Okay, Sie können landen!“ Kurz darauf verlangsamte der Helikopter seine Geschwindigkeit und ein Krankenhaus kam in Sicht. Vorsichtig wurden die beiden auf den Boden des Daches aufgesetzt und erst als der große Blonde sah, dass der verletzte Mann von den anderen Ärzten festgehalten wurde, ließ er ihn los, hakte sich vom Seil und ging in Sicherheit, damit der Hubschrauber problemlos landen konnte. Nachdem er die Mediziner über den Gesundheitszustand des Patienten aufgeklärt hatte und diese im Gebäude verschwunden waren, ließ sich Jan erschöpft auf den Boden sinken, wobei er seinen linken Arm vorsichtig festhielt. Er zuckte schreiend zusammen, als ihm Karo aufmunternd auf die linke Schulter klopfte. „Jan, alles in Ordnung?“, fragte sie besorgt. Dieser lächelte schwach und antwortete: „Das fragst du mich jetzt schon zum dritten Mal!“ „Und?“ „Mein Arm“, erwiderte er bloß. Karo tastete ihn vorsichtig ab und meinte dann: „Du hast dir die Schulter ausgerenkt.“ Stöhnend stand der Arzt auf und ging mit seiner Kollegin in das Gebäude hinein, während Tom den Motor des Hubschraubers abstellte und ihnen dann folgte. „Tja Herr Vetter, Sie haben sich nicht nur die Schulter ausgekugelt, sondern auch sämtliche Sehnen und Bänder gerissen“, beurteilte ein junger Assistenzarzt, nachdem er den Arm gründlich untersucht hatte. „Na toll“, seufzte der Blonde und musterte den Mann. Er trug unter seinem weißen Kittel, an dessen Brusttasche die Akkreditierungskarte und mehrere Kugelschreiber hingen, hellgrüne Scrubs, hatte die braunen kurzen Haare streng zurückgekämmt und war etwa 20 cm kleiner als er selber. Er wippte unaufhörlich mit den Füßen, welche in beigen Gummilatschen steckten. Jan schätzte ihn ins erste Dienstjahr. „Wann kann ich operiert werden?“, fragte er dann. „Ihre Verletzung muss nicht unbedingt operiert werden. Neueste Studien haben ergeben –“, begann der Mediziner. „Hören Sie, ich bin selber Arzt, ich weiß, was die neuesten Studien ergeben haben. Ich will trotzdem eine OP“, unterbrach ihn Jan. „Okay, wenn Sie das so möchten. Sie können noch heute operiert werden, die Nacht verbringen sie dann im Krankenhaus. Morgen können Sie also schon wieder nach Hause.“ Der Rettungsarzt nickte einverstanden und ließ sich dann die Schulter einrenken. Während der Jüngere ihm vorübergehend den Arm mit einem Verband an den entblößten Oberkörper band – die Jacke und das Hemd seiner Uniform musste er für die Untersuchung ausziehen – damit er nicht bewegt werden konnte, betrat ein Mann das Zimmer. „Sie müssen der Verrückte sein, der mich angeschrieen hat“, sprach er belustigt. „Und sie müssen der Vollidiot sein, der uns fast nicht landen lassen wollte“, erwiderte Jan im selben Tonfall. Der Mann betrachtete das Röntgenbild und kommentierte es mit einem „Autsch“. Unauffällig musterte er den Patienten. Die gefärbten blonden Haare waren kurz geschnitten und passten perfekt zu dem sonnengebräunten Teint, den seine Haut aufwies. Auf seiner linken Schulter hatte sich ein großer blauer Fleck gebildet, auf dem Oberkörper zeichneten sich deutliche Muskeln ab. Die langen Beine steckten in der Uniformhose der Rettungsärzte, die dunkelblau mit rotem Längsstreifen an der Seite war, die Füße in schwarzen Stiefeln. Dass der, durchaus ansehnliche, Mann fix vergeben war, verriet ein silberner Ring auf seinem rechten Ringfinger. Der große Blonde ließ seinerseits einen Blick über den anderen gleiten. Er schien kaum älter als er selbst zu sein, hatte seinen Körper in dunkelgrünen Scrubs versteckt, wobei er unter dem Oberteil noch ein langärmliges schwarzes Shirt trug. Die Akkreditierungskarte hing an der Brusttasche, die Füße steckten in schwarzen Gummilatschen. Die schwarz gefärbten, etwas längeren Haare wirkten locker gekämmt, die grünen Augen strahlten etwas Undefinierbares aus. „Eine Schwester wird dann kommen und Sie auf die OP vorbereiten“, erklärte der junge Arzt, nachdem er seine Tätigkeit beendet hatte und ging. „Ist das so etwas wie eine Uniform bei euch?“, fragte Jan ironisch, auf die Scrubs deutend und wunderte sich dann über das einfache „Ja“, das er als Antwort bekam. „Unser Chef leitet das Krankenhaus nach amerikanischem Vorbild, und dort sind diese Kittel Gang und Gebe“, fuhr der Kleinere fort und ließ sich auf einen der Stühle, die im Zimmer standen, nieder. „Und was hat es mit den Farben so auf sich?“ „Jede Station hat ihre eigene Farbe. Die Notaufnahme eben grün, die Chirurgie blau, die Pädiatrie lila, die Gynäkologie rot und so weiter. Hell steht für Assistenzärzte und dunkel für die Oberärzte und Chefs“, erklärte der Chef der Notaufnahme. „Da steckt ja richtig ein System dahinter“, stieß der Rettungsarzt erstaunt aus. „Jan Vetter“, stellte er sich dann vor und hielt seinem Gegenüber die rechte, gesunde Hand entgegen. „Dirk Felsenheimer“, erwiderte der andere und schlug ein. Er wusste nicht, was er hier tat. Denn eigentlich hatte er jetzt Pause und vielleicht Besseres zu tun, als bei diesem Typen zu sitzen. Aber andererseits strahlte dieser so etwas Vertrautes aus und er wünschte sich, mehr über ihn zu erfahren. „Hey Jan, wie sieht’s aus?“, fragte Karoline, als sie gemeinsam mit Tom das Zimmer betrat. „Schulter ausgerenkt, Bänder und Sehnen gerissen, werd nachher noch operiert“, informierte sie der Angesprochene nüchtern. „Och, du Armer“, bedauerte Tom seinen Freund und lachte über den gespielt Mitleidserregenden Gesichtsausdruck, den der blonde Hüne aufgesetzte. „Wie geht es dem Kapitän?“, wollte Jan dann wissen. „Er wird gerade operiert. Dank dir wird er sein Bein behalten und wieder voll belasten können“, antwortete die Sanitäterin. Stolz auf ihren heldenhaften Kollegen klopfte sie ihm auf die Schulter, diesmal auf die rechte, um ihm ja nicht weh zu tun. Jener kommentierte es mit einem fröhlichen Lächeln. Bald darauf verabschiedeten sich die beiden, wünschten ihrem Oberhaupt noch gute Besserung und begaben sich zurück zum Hubschrauber. Auch Dirk musste den Patienten verlassen und sich wieder um seine Arbeit zu kümmern. Kurz bevor Jan operiert wurde, musste er noch telefonieren. „Hey Papa, wie geht’s? Karo hat mir erzählt, was passiert ist. Ich hab versucht, dich zu erreichen, aber –“, meldete sich seine Tochter. „Schon gut, Karin. Mir geht’s eigentlich gut. Hab mir die Schulter ausgerenkt und so ziemlich alles gerissen, was es in einem Arm zu reißen gibt. Werd daher noch operiert und kann erst morgen entlassen werden“, unterbrach er ihren Redefluss. „Was, du musst operiert werden? Ich komm nach der Uni zu dir, okay?“, beschloss sie sofort. „Hey, Karin das musst du nicht, ehrlich nicht“, meinte er abwehrend. „Aber –“ „Hey, bis du da bist, lieg ich schon im OP und nachher werd ich schlafen. Es reicht, wenn du mich morgen abholen kommst“, erklärte er. „Aber –“ „Schatz ehrlich, es geht mir gut, du brauchst dir keine Sorgen zu machen“, beruhigte er sie. Eine Schwester betrat sein Zimmer und wollte ihn zu den OP-Sälen bringen. „Ich muss jetzt Schluss machen, okay? Ich hab dich lieb!“ „Ich hab dich auch lieb“, antwortete Karin und legte auf. Währenddessen kümmerte sich Dirk um einen offensichtlichen Junkie, der ihm weismachen wollte, dass er keine Drogen nehmen würde, aber Medikamente gegen seine starken Schmerzen im Knie brauchte. Eine alltägliche Situation für den erfahrenen Arzt, der den „Patienten“ mit einem Flyer für eine Entzugsklinik wieder nach Hause schickte. „Es ist immer das gleiche mit den Junkies“, seufzte er, als er die Patientenakte einordnete und anschließend das durchsichtige Board, auf dem die derzeit behandelten Patienten standen, betrachtete. Auf dem Board war eine Tabelle, wo man den Namen des Patienten, dessen derzeitigen Aufenthaltsort, die (vermutete) Diagnose und den behandelnden Arzt eintragen konnte. „Sieht doch gut aus“, kommentierte er das, was er sah. Vor drei Stunden noch versank die Station unter einer Flut von Unfallopfern, nachdem es auf der Autobahn zu einer Karambolage mehrerer Autos gekommen war. Nun schien der Stress abgeflaut und der Alltag wieder zurück zu sein. „Ja, haben wir gut hingekriegt“, meinte Andreas, einer der Oberärzte und wischte mit dem dafür vorgesehenen Schwamm einen Namen von der Tafel. Als er Dirks fragenden Blick sah, erklärte er: „Frau Edlinger; hatte sich beim Unfall den Arm gebrochen, ich hab ihn eingegipst und sie wieder nach Hause geschickt!“ „Gut!“ „Was, keine Fragen, ob ich sie auch gründlich untersucht habe?“, fragte Andreas lachend, der wusste, wie sehr sein Chef auf Genauigkeit bei den Behandlungen beharrte. „Du bist ein Oberarzt, das wird schon seinen Grund haben. Bei deinem Posten setz ich Gründlichkeit voraus“, antwortete Dirk schmunzelnd und ging dann in den Aufenthaltsraum, um etwas vom Papierkram abzuarbeiten. Zur selben Zeit stand Rodrigo vor dem weißen Board auf der chirurgischen Station. Es war ähnlich dem der Notaufnahme, nur befanden sich auf diesem, neben dem Namen des Patienten, des Arztes und dessen Assistenten, die Operation, die durchgeführt werden musste, die zu erwartende Dauer, die Startuhrzeit und die Nummer des OP-Saales. Das Krankenhaus, das auch ein Lehrkrankenhaus war, verfügte über vier Säle, von denen zwei mit einer Aussichtsgalerie für die Studenten ausgestatten waren. In eine dieser Galerien ging der Schwarzhaarige nun. Von dort aus konnte man von oben durch eine Glasscheibe die Operation verfolgen, für näheres Betrachten waren Monitore in den zwei vorderen Ecken des Raumes angebracht, wodurch man die Tätigkeiten des Chirurgen genau verfolgen konnte. Rodrigo aber war weniger gekommen, um sich die Operation anzusehen, sondern vielmehr, um den Saal zu erkunden, wenn er gebraucht wird. Außerdem konnte er so erkennen, was für ein Feeling es für die Zuseher auf der Galerie sein musste, ihren Kollegen, Mentoren oder Freunden bei der Arbeit zuzusehen. Am nächsten Morgen wachte Jan schon früh auf. Der linke Arm war mit einer dunkelblauen Bandage an seinen Oberkörper fixiert worden, damit er nicht bewegt werden konnte; die Gelenke des Ellenbogens und der Hand waren verbunden und geschient worden. An seinem rechten Arm bemerkte der Blonde eine Infusion, mit der wahrscheinlich ein schmerzstillendes Medikament in sein Blut gelangte. Ein Blick auf den Beutel der Infusion gab ihm Recht in seiner Vermutung. Kaum hatte er sich etwas in seinem Zimmer umgesehen, ging die Tür auf und eine sportlich schlanke und auch ebenso gekleidete junge Frau kam herein. „Karin, mein Sonnenschein“, begrüßte der blonde Hüne seine Tochter, die ihn mit ihren wilden Haarstylings schon öfters zur Verzweiflung gebracht hatte. Seit kurzem trug sie ihre schulterlangen Haare schwarz gefärbt mit roten Strähnchen. „Hey, mein Held, wie geht’s dir denn?“, fragte sie und umarmte ihn vorsichtig. „Eigentlich ganz gut“, erwiderte Jan und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Was machst du bloß für Sachen.“ Karin schüttelte leicht den Kopf. Da fiel ihr etwas ein und sie zog einen Teddybären, der als Patient verkleidet war, aus ihrer Tasche. „Der is von Karo. Er wird gut zu dem Teddyarzt passen, den sie dir voriges Jahr geschenkt hat, hat sie gemeint“, erklärte sie und überreichte ihrem Vater das Geschenk. Dieser nahm es lachend entgegen und betrachtete den Teddy, der sich anscheinend das Bein gebrochen hatte. Bald darauf kam eine Schwester und brachte die unterschriebenen Entlassungspapiere. Sie gab dem Patienten die Anweisung, dass er zwar unter der Bandage ein Shirt oder ein Hemd tragen konnte, mehr jedoch nicht, denn ansonsten wäre die fixierende Wirkung nicht gegeben. Sie merkte außerdem noch an, dass er sich in ungefähr einer Woche wieder untersuchen lassen sollte, damit man sah, wie schnell die Heilung voranschritt. Danach entfernte sie die Infusion, verabschiedete sich und ging. Mit Karins Hilfe schlüpfte der Blonde in seine Kleidung, die seine Tochter ihm mitgebracht hatte. „Wenigstens hast du mir ein Hemd mitgenommen. In ein T-Shirt wär ich jetzt definitiv nicht gekommen“, bedankte sich Jan. „Ich weiß ja, was ich tu“, gab die junge Frau lachend von sich. Sie nahm ihrem Vater vorsichtig die Bandage ab, half ihm aus dem Nachthemd des Krankenhauses und in sein eigenes Hemd, knöpfte es zu und legte ihm anschließend ebenso vorsichtig die Bandage wieder an. Dann half sie ihm noch in seine restliche Kleidung und bald konnten sie gehen. „Dein Chef hat übrigens schon angerufen“, begann Karin, als sie im Auto saßen und nach Hause fuhren. „Er hat gesagt, dass du jetzt zwei Wochen im Krankenstand sein wirst und dann bis zu deiner vollständigen Genesung Stützpunktdienst schieben darfst.“ Jan stöhnte auf. Er hasste diesen Dienst, der darin bestand, auf dem Stützpunkt beim Funkgerät zu sitzen, den Verlauf des Einsatzkommandos zu verfolgen und ihm, wenn nötig, Anweisungen zu geben. Was bedeutete, dass er die ganze Zeit über am Schreibtisch sitzen und praktisch nichts tun würde. Eigentlich perfekt, wenn es nicht gerade sinnvollere Sachen zu tun gäbe. Jan schnappte sich das Funkgerät, das im Auto über dem Radio eingebaut war und über das er die ganzen Gespräche, die via Funk vom Stützpunkt oder vom Hubschrauber aus geführt wurden, verfolgen konnte und funkte sein Team an: „Hey ihr Knalltüten, wie geht’s euch da draußen?“ „Jan, hallo! Tja, uns geht’s gut und selbst?“, meldete sich Tom. „Kann mich nicht beklagen!“ „Wann wirst du uns wieder beehren?“, fragte nun Karo. „In zwei Wochen“, antwortete der Blonde. „Und dann Stützpunktdienst, oder wie?“, fragte sie mitleidig. Niemand führte diesen Dienst gerne aus. „Mir bleibt ja nichts erspart“, seufzte der Arzt, wünschte der Truppe noch viel Spaß und beendete das Gespräch. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)