Volle Kraft voraus von cooking_butty (Drei Götter in Weiß) ================================================================================ Kapitel 2: Neue Erkenntnisse ---------------------------- Einige Zeit war vergangen. Zeit, in der Jan von der Schiffscrew, die er gerettet hatte, besucht wurde, weil sie sich bei ihm bedanken wollten; Zeit, in der seine Verletzung am Arm wieder vollständig verheilen konnte, wodurch er wieder richtig arbeiten konnte. Zeit, in der Rodrigo sich an seinen neuen Arbeitsplatz eingewöhnen konnte; Zeit, in der er mit seinen Fähigkeiten brillieren konnte. Zeit, in der Dirk neue Studenten einweisen musste; Zeit, in der er so manches Leben retten konnte, wo andere längst aufgegeben hätten. Zeit, in der die beiden Ärzte vom Unfallkrankenhaus in Hamburg und der Rettungsarzt gute Freunde wurden; Zeit, in der alle drei aber kaum etwas über ihre Vergangenheiten preisgaben… Rodrigo und Dirk saßen an diesem späten Nachmittag in der Bar, die in der Nähe ihres Arbeitsplatzes lag. Die meisten der Besucher dieses Lokals waren Ärzte, die sich nach ihrer harten Schicht amüsieren wollten. Die beiden gehörten definitiv dazu. „Rod“, begann der Chef der Notaufnahme. „Ich wollte dich da mal was fragen. Ich will nicht irgendwie rassistisch klingen, oder so. Ich mein, vielleicht ist diese Frage jetzt völlig sinnlos, aber –“ „Du willst wissen, woher ich komme, hab ich Recht?“, unterbrach der Jüngere ihn. Dirk sah ihn ertappt an und nickte. „Chile. Valparaíso, um genau zu sein“, antwortete Rodrigo knapp. „Und, warum bist du hergekommen?“ „Meine Eltern sind mit meiner Schwester und mir damals aus politischen Gründen geflüchtet. Weißt du, damals kam Pinochet gerade an die Macht und meine Familie war nicht mehr sicher.“ „Kam dir manchmal der Gedanke, dass du gerne dort aufgewachsen wärst?“, wollte Dirk nach einiger Zeit, in der beide geschwiegen hatten, wissen. „Manchmal…vor allem am Anfang…“, antwortete der Chilene ehrlich. Dann wechselten sie das Thema. „Sag mal…ich will dir jetzt echt nicht zu nahe treten, oder so…aber, hast du eigentlich eine Freundin?“, wollte der Jüngere dann wissen. „Nein“, seufzte Dirk. „Lass mich raten: Du hast entweder nicht einmal die Zeit für eine, oder sie jammert dann, dass du keine Zeit für sie hast“ „Voll ins Schwarze getroffen, Herr González“, gab der Kleinere zu und lachte. „Bei mir ist das genauso…als ob ich was dafür könnte, dass bei einer OP Komplikationen auftauchen, wodurch ich dann natürlich später nach Hause komme“, erzählte Rodrigo. „Mann, als Arzt hat man’s echt nicht leicht: Auf der einen Seite ist man ein Gott, weil man Leben rettet, auf der anderen ein Arsch, weil man keine Zeit für anderes hat“, seufzte der Chef der Notaufnahme. Der Jüngere wollte gerade etwas erwidern, als seine Aufmerksamkeit durch die anderen Barbesucher auf den kleinen Fernseher gelenkt wurde. „Vor kurzem ist eine Maschine in einer Parfumfabrik nähe Hamburg explodiert, das Gebäude stand sofort in Flammen. Noch immer sind Menschen in der Fabrik eingeschlossen, Feuerwehr und Rettung sind bereits vor Ort. Wir schalten nun live zum Ort des Geschehens“, sprach eine Nachrichtensprecherin. Das Bild wechselte auf einen Reporter, im Hintergrund konnte man das brennende Gebäude sehen. Ein Hubschrauber schwebte über dem Haus und zwei Menschen wurden hochgezogen. „Wir sehen hier, wie die Menschen aus der Fabrik geborgen werden. Viele können von der Feuerwehr durch den Eingang herausgeholt werden, aber ein paar sind so eingeschlossen, dass der Hubschrauber kommen musste, um sie zu retten. Ein Mann hat sich in das Gebäude abseilen lassen und sucht noch nach Überlebenden“, berichtete der Reporter. „Kann man schon etwas über die Ausmaße sagen?“, fragte die Nachrichtensprecherin ihren Außendienstkollegen, doch die Besucher der Bar hörten schon gar nicht mehr zu. Viele tranken ihre Getränke aus und wollten so schnell wie möglich zahlen. Unter ihnen auch Dirk und Rodrigo. Es wird sicher einiges zu tun sein im Krankenhaus. „Glaubst du, das war Jan Vetter, der sich da abgeseilt hat?“, hörte der Notaufnahmechef eine junge Assistenzärztin neben sich fragen. Sofort wurde er hellhörig. Woher kannte sie ihn? „Bestimmt! Der ist doch für so was wie geschaffen“, meinte deren Begleiter. „Ich hab gehört, der soll schon über 100 Leuten das Leben gerettet haben; wenn man mal von denen absieht, die sowieso überlebt hätten“, erzählte die Frau. „Ich hab gehört, es sollen sogar über 200 sein“, mischte sich der Mann hinter ihr in das Gespräch ein. „Habt ihr das von dem Schiffskapitän auf der Nordsee gehört?“, fragte der erste Mann. „Wer nicht? Vetter musste ihn eine halbe Stunde lang am Seil hängend halten, weil die Winde geklemmt hat und der Gurt des Kapitäns gerissen ist. Er hat sich dann die Schulter ausgerenkt und so ziemlich alles gerissen“, berichtete die Frau enthusiastisch. „Ich hab bei seiner OP assistiert“, berichtete der zweite Mann stolz. „Echt? Wah, das hätt ich auch gern getan…“, beneidete ihn die Frau. Dirk hatte das ganze Gespräch interessiert verfolgt und versuchte nun, die Informationen zu verarbeiten. Warum hatte er nicht gewusst, dass sein Freund Jan so „berühmt“ war? Der schien ja eine richtige Koryphäe zu sein. Eine halbe Stunde hatte er durchgehalten? Das war doch unmöglich, das kann man nicht schaffen! „Dirk, bist du noch da?“, fragte ihn Rod lachend und winkte ihm zu, obwohl er doch direkt vor dem Älteren stand. „Äh, was? Ja klar“, antwortete der Angesprochene verwirrt, schnappte seine Jacke und ging zur Tür. „Was weißt du über Jan?“, fragte er den Chilenen, als sie draußen waren und zum Krankenhaus zurückgingen. „Nur das, was ich eben gehört hab. Und das, was du auch schon weißt…also gar nichts“, antwortete dieser resignierend. Sie drei waren doch gute Freunde geworden, warum wussten sie dann so wenig voneinander? Er nahm sich vor, diese Tatsache bald zu ändern. „Der Typ ist echt…“, begann Dirk, doch er fand kein passendes Wort. „Dabei wirkt er gar nicht so!“ „Ich glaub kaum, dass sich jemand wie Jan damit aufplustert“, warf Rod ein. „Hast auch wieder Recht“, seufzte der Ältere und betrat die Klinik. Die beiden Männer verabschiedeten sich und gingen zu ihren jeweiligen Stationen, um sich umzuziehen und sich für den kommenden Ansturm bereit zu machen. Jan war währenddessen in die brennende Fabrik vorgedrungen und suchte Menschen, die das Gebäude nicht mehr verlassen konnten, sei es, weil ihnen die Kraft fehlte oder weil der Ausgang versperrt war. Die Hitze machte diese Aktion unerträglich, der Rauch war so dick, dass er kaum noch etwas sehen konnte. Obwohl er sich ein Tuch vor das Gesicht gebunden hatte, musste er ständig husten, um überhaupt noch Luft zu bekommen. Da entdeckte er zwei Männer und eine Frau, die auf ihn zu liefen. „Karo, gib mir Seil“, funkte der Rettungsarzt zum Hubschrauber hinauf. Die drei, sie schienen leicht verletzt zu sein, klammerten sich ängstlich an ihn. „Bitte, sie müssen uns helfen“, flehte die Frau. Jan versuchte sie zu beruhigen und ging mit ihnen zu dem Loch im Dach, durch das er eingedrungen war. Da baumelte schon das Seil. Der Arzt legte den beiden Männern die Rettungsgurte an. Er wollte dasselbe bei der Frau machen, aber sie war verschwunden. Er gab seiner Kollegin das Zeichen, die beiden Männer hochzuziehen und suchte die dritte Person. „Hallo?“, rief er immer wieder, was auch jedes Mal einen neuen Hustanfall mit sich brachte. Nach kurzer Zeit hatte er sie wieder entdeckt. „Sie müssen mir helfen. Meine Tochter ist hier noch irgendwo“, entgegnete sie ihm weinend und fiel ihm in die Arme. „Hören Sie, ich verspreche Ihnen, ich werde Ihre Tochter finden, aber Sie müssen jetzt unbedingt hier raus“, beruhigte er sie und brachte sie zurück zum Seil, das mittlerweile wieder heruntergelassen wurde. „Ich wollte ihr heute die Fabrik zeigen. Sie hat sich das immer so gewünscht…und bis eben war sie noch bei mir“, weinte die Frau. „Ich werde sie finden“, versprach er ihr, als sie hochgezogen wurde. Da fiel ihm noch etwas ein: „Wie heißt sie?“ „Sabrina, sie heißt Sabrina“, rief die Mutter ihm noch zu, dann war sie durch das Dach verschwunden. In Dirks Notaufnahme war die Hölle los. Die meisten Opfer wurden ins UKH gebracht, dementsprechend viele Patienten mussten dort versorgt werden. Dirk bewies wieder einmal sein wahrliches Organisationstalent, indem er sein altbewährtes Kartensystem einführte, mit denen jeder Verletzte mit der Dringlichkeit seiner Behandlung gekennzeichnet wurde, wodurch die Ärzte auf dieser Station effizienter arbeiten konnten. Jeder Behandlungsraum war gefüllt, die wenigen Schwerverletzten wurden in den Traumaräumen erstbehandelt, bevor sie an die weiteren Stationen übergeben wurden. Schnaufend kam Dirk aus einem dieser Räume. Während er sich die blutigen Gummihandschuhe und den Schutzkittel abstreifte, beobachtete er, wie der Patient, den er bis eben behandelt hatte, in Richtung Station für Verbrennungsopfer gebracht wurde. Er sah sich um: Überall standen, saßen oder lagen Menschen, deren Gesichter vom Ruß ganz geschwärzt waren. Viele hatten Sauerstoffmasken bekommen, dennoch war das Geschoss von ständigem Husten aus allen Richtungen beschallt. Schon ging die Eingangstür auf und ein Schwerverletzter wurde schnell herein geschoben. „42-Jähriger. Verbrennungen zweiten Grades auf Brust und Oberarmen, schwere Rauchgasvergiftung, sowie Verdacht auf Schädel-Hirn-Trauma“, berichtete der Rettungssanitäter, der die Trage schob. Dirk folgte dem Verletzten in einen freien Traumaraum und gemeinsam mit zwei Assistenzärzten und drei Schwestern untersuchte er ihn. Er ließ ein CT anfertigen und nachdem dieses ergab, dass es nur eine Gehirnerschütterung war, übergab er an den plastischen Chirurgen, damit der sich die Verbrennungen näher ansehen konnte. Zur selben Zeit irrte Jan noch immer durch das Gebäude und rief nach Sabrina. Der Rauch und die giftigen Dämpfe, die in der Luft lagen, machten ihm schwer zu schaffen. „Jan, mach schnell, der Heli hat nicht mehr viel Sprit“, funkte Tom gerade. „Ich hab sie noch nicht gefunden“, gab dieser hustend zurück. „Vielleicht ist sie ja schon längst in einem Krankenhaus!?“ „Das kann nicht sein, das Mädchen war doch die ganze Zeit über bei ihrer Mutter, sie kann unmöglich raus gekommen sein“, antwortete der Arzt. Da vernahm er ein leises Wimmern. Je weiter er ging, desto lauter wurde es. Da entdeckte er ein Mädchen, das in einer Ecke kauerte und weinte. „Sabrina?“, fragte er, worauf das Kind ängstlich nickte. „Ich hab sie gefunden“, sendete er hinauf. Er nahm sein Tuch ab und wickelte es dem Mädchen über den Mund. „Da kommt weniger Rauch durch, so kannst du besser atmen“, erklärte er ihr, legte einen Arm um ihren Rücken, einen unter ihre Kniebeugen und hob sie hoch. „Wenn der jetzt nicht schnell kommt, dann dreh ich ab, ich schwör’s dir“, fluchte Tom leise, was er aber natürlich nicht so meinte. „Er wird bestimmt bald kommen“, versuchte ihn Karo zu beruhigen, während sie sich um die drei Verletzten kümmerte. „Ich bin gleich da“, hörten sie Jans Stimme über ihre Kopfhörer. „Na siehst, du! Ich hab’s dir doch gesagt!“, meinte die Rettungssanitäterin lachend. Plötzlich hörten sie den lauten Knall einer Explosion. Schnell stand das Dach in Flammen. „Jan“, schrieen Tom und Karoline gleichzeitig, doch sie bekamen keine Antwort. Mehrere Male versuchten sie, ihren Kollegen zu erreichen, doch er meldete sich nicht. Dirk, der das ganze Gespräch des Rettungsteams über das Funkgerät der Notaufnahme mitverfolgt hat, geriet in Panik. Was wenn Jan…? ‚Nein, nicht mal denken’, rief er sich zur Vernunft. „Alpha 10-67, wie ist Ihre Lage“, fragte er, so ruhig er konnte. „Wir haben nicht mehr viel Sprit. Wenn wir nicht bald abdrehen, dann müssen wir wo notlanden…oder stürzen ab“, antwortete Tom, der wusste, dass Dirk und Jan Freunde waren. Dirk versuchte, die Situation objektiv zu betrachten und antwortete dann: „Ihr müsst die Verletzten jetzt her bringen, sonst passiert noch etwas!“ „Aber…was ist mit Jan“, hörte er Karos verzweifelte Stimme. „Wir müssen ihn zurücklassen“, antwortete der Pilot bedrückt. So schwer es ihm fiel, aber Dirk hatte Recht. Sofort wies der Chef der Notaufnahme einen der Erstjährlinge an, beim Funkgerät zu bleiben. Er sollte ihn anpiepen, wenn eine der Personenbeschreibungen auf Jan passte. Dirk hoffte so sehr, dass sein Freund sich aus dem Gebäude retten konnte. Er lief hinauf in die Chirurgie und informierte Rodrigo über die Lage. Dieser hatte gerade eine OP erfolgreich beendet. Beide versuchten, sich durch Arbeit in der Notaufnahme abzulenken. Da in letzter Zeit keine Schwerverletzten mehr ins Krankenhaus gebracht worden waren, mussten sie auch keine schwierigen Fälle übernehmen. Der Rettungshubschrauber landete und brachte die drei Verletzten. „Gibt’s was Neues?“, fragte Karoline gehetzt, als sie Dirk entdeckte. „Leider nein. Ich hab die anderen Krankenhäuser anrufen lassen. Man wird uns informieren, wenn Jan dorthin gebracht wird“, antwortete dieser traurig. „Können wir irgendwas tun?“, fragte sie. „Sind viele Hubschrauber im Einsatz?“, wollte der Notaufnahmechef wissen, weil er sich nicht sicher war, ob der Landeplatz des Krankenhauses frei sein musste. „Wir waren der Letzte“, antwortete Tom. „Okay…ähm…geht lieber in die Cafetería und wartet da, ich informier euch, wenn ich Näheres erfahre“, meinte Dirk dann. Die anderen beiden wollten gerade gehen, da rief einer der Schwestern: „Chef“ und deutete auf den Eingang. Dirk richtete seinen Blick dorthin und fühlte, wie ihm ein Stein vom Herzen fiel. „Karo, Tom“, rief er den beiden zu und gab ihnen zu verstehen, dass sie zum Eingang kommen sollten, dann lief er selbst dorthin. Er sah, wie eine Trage mit einem Mädchen herein geschoben wurde, doch vielmehr interessierte ihn der Mann, der, gestützt von einem Rettungssanitäter, folgte. Sein Gesicht war vom Ruß total geschwärzt, ständig musste er husten. Er war zu schwach, um sich eigenständig auf den Beinen zu halten, seine dunkelblaue Uniformjacke war angesengt. „Jan“, hauchte er erleichtert und umarmte seinen Freund. Jener schien antworten zu wollen, doch der Husten hinderte ihn daran. „Mein Gott…ich hab gedacht…“, stieß Karo aus, die hinzugekommen war. „Rauchgasvergiftung und leichte Verbrennungen am linken Unterarm, außerdem hat er noch viel von den giftigen Dämpfen in der Fabrik eingeatmet.“, informierte der Sanitäter. „Schon gut, ich übernehme“, antwortete Dirk ihm. „Ich glaub, mein linker Arm mag mich nicht mehr“, krächzte Jan grinsend. Da begannen seine Beine zu zittern, kurz darauf gaben sie ganz nach. „Wir brauchen hier ’ne Trage“, rief Tom. Auch Rodrigo hatte den verletzten Rettungsarzt entdeckt. Er schnappte sich eine freie Trage und kam zu der kleinen Gruppe hinzu. Gemeinsam hoben sie den großen Blonden hinauf und brachten ihn in einen der Behandlungsräume. „Was machst du bloß für Sachen“, meinte Dirk kopfschüttelnd, als er ihm eine Sauerstoffmaske reichte. „Kann ja nichts dafür“, rechtfertigte sich Jan hustend. „Ja klar, wir haben dich dazu gezwungen, oder wie?“, fragte der Pilot und verdrehte grinsend die Augen. „Selbstverständlich. Dirk, du weißt gar nicht, was die mit mir machen, wenn ich das nicht mache“, erwiderte der Blonde, immer noch mit rauchiger Stimme, ironisch. „Uh, was machen sie denn?“, stieg jener auf das Spiel ein. „Die machen ganz ganz viele nicht jugendfreie Sachen mit mir“, erzählte der Größte der Truppe und setzte eine leidvolle Schnute auf, wodurch die anderen lachen mussten. „Wir sollten dich lieber hier behalten, nicht, dass sie dir noch wehtun“, meinte Rodrigo, als er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. „Zumindest für eine Nacht“, sprach Dirk. „Ach Mann!“ Jan, der wusste, dass er die letzte Aussage ernst zu nehmen hatte, stöhnte. „Ist doch nichts passiert“, erwiderte er dann und zog sich seine Jacke aus. „Nichts passiert? Nein, du hast dich nur ’ne volle Dröhnung Kohlenmonoxid und andere giftige Dämpfe geliefert, aber sonst ist ja wirklich nichts passiert“, meinte der Neurochirurg ironisch und begann, die kleine Brandwunde zu säubern und zu verbinden. „Ich geh mal und sieh zu, dass der Heli wieder voll getankt wird, sonst kommen wir hier nicht mehr weg“, verabschiedete sich Tom, umarmte den Verletzten und flüsterte ihm, für die anderen unhörbar ins Ohr: „Jag mir nie wieder so ’nen großen Schrecken ein, hast du verstanden?“ Karo schloss sich ihm an und verabschiedete sich auf dieselbe Weise. Nun blieben nur noch die drei Ärzte zurück im Zimmer. Jan beschloss, seine Tochter anzurufen. „Lass mich raten: Du liegst im Krankenhaus“, meldete sie sich. „Schuldig“, erwiderte ihr Vater. „Ist’s schlimm?“ „Nee, mach dir da mal keine Sorgen!“ „Das heißt, du würdest mir wieder davon abraten, jetzt zu dir zu fahren?“, fragte Karin dann. „Genau“, hustete der Ältere. „Okay, das es nicht schlimm ist, glaub ich dir jetzt nicht mehr“, meinte die junge Frau besorgt. „Es ist alles in Ordnung. Mit etwas Sauerstoff geht das schon!“ „Ich schätze, Rod und Bela sind bei dir?“ „Genau“ „Wie lange musst du diesmal da bleiben?“ „Nur eine Nacht“, beruhigte Jan seine Tochter. „Na dann…werd ich dich morgen wieder abholen“, meinte diese. Ihren Plan, den blonden Hünen doch zu besuchen, verriet sie nicht. „Ja bitte“, freute sich jener. „Geht klar…bis morgen dann!“ „Bis morgen dann, mein Sonnenschein. Hab dich lieb“ „Ich hab dich auch lieb, Paps“, erwiderte Karin und legte auf. „Ich komm gleich wieder“, meinte Dirk und verließ den Raum. Rod nahm den Lappen, den er zuvor in Wasser getränkt hatte und begann, den Ruß aus Jans Gesicht zu wischen. „Das ist eine gute Idee“, bedankte sich dieser. „Schon in Ordnung, ich hab ja sonst nichts zu tun. Immerhin ist mein regulärer Dienst seit vier Stunden vorbei“, winkte dieser ab. „Was tut man nicht alles als Arzt!“ „Du sagst es“, seufzte der Chilene und gab dem Blonden eine Nasensonde, damit dieser zwar weiterhin mit Sauerstoff versorgt wurde, aber die störende Maske abnehmen konnte. „Welch eine Wohltat“, seufzte dieser zufrieden. Da kam Dirk wieder zurück und warf Jan dunkelgrüne Scrubs zu. „Damit du nicht wieder andauernd über die beschissenen Nachthemden jammerst“, gab er grinsend zur Erklärung. „Dankeschön“, freute sich der blonde Hüne und richtete sich auf, um sich seine Uniform auszuziehen. Sein Körper aber schien dies gar nicht zu gefallen. Alles um ihn herum schien sich zu drehen und erneut packte ihn ein starker Hustanfall. Jan ließ sich zurück ins Bett fallen, aber es wollte nicht besser zu werden. „Alles in Ordnung?“, fragten die anderen beiden besorgt. „Ja klar…wollte nur zu schnell zu viel“, erwiderte er hustend. Er schloss lange die Augen, als er sie wieder öffnete, hatte das Drehen aufgehört. „Willst du das nicht immer?“, fragte Dirk scherzhaft, reichte seinem Freund die Hand und richtete ihn langsam wieder auf. „Besser?“ Der Blonde nickte und lehnte sich an den Chef Notaufnahme, der sich hinter ihn gesetzt hatte. Schon war Rod dabei, dessen Hemd zu öffnen, um es ihm anschließend auszuziehen und ihm das Shirt der Scrubs überzuziehen. Dann machte sich der Chilene daran, den Patienten von seinen Schuhen und Socken zu befreien. Jan ließ es mit sich geschehen, er fühlte sich sowieso zu schwach, als dass er sie selbst hätte ausziehen können. Als sich der Jüngere aber seiner Hose widmen wollte, protestierte der Blonde dann doch. „Hey, das lass mal schön sein! Das kann ich auch alleine“, erwiderte er und öffnete seinen Gürtel. „Haste etwa Angst, dass ich dir an die Wäsche geh?“, fragte Rod mit einem dreckigen Grinsen. „Mann, bist du pervers“, stieß der Größere lachend aus. Nachdem er auch die Hose gewechselt hatte, brachte ihm Dirk noch ein Paar Stoffschlapfen und einen Rollstuhl, mit dem Jan auf sein Zimmer gebracht werden sollte. „Ihr seid so gemein“, zischte dieser, als er sich in den Rollstuhl setzten musste. Rod, der dessen Klamotten nahm, beugte sich über ihn und erwiderte triumphierend: „Du wärst sowieso zu schwach, um auf dein Zimmer zu gehen!“ Dirk nahm die Griffe des Stuhles in die Hand und schob ihn aus dem Raum. Als sie so durch die Notaufnahme wanderten, entdeckte Jan das kleine Mädchen, das er aus den Flammen gerettet hatte. „Wie geht es ihr?“, fragte er Dirk. „Sie hat leichte Verbrennungen am Oberkörper und eine Rauchgasvergiftung“, klärte dieser ihn über ihren Zustand auf. Da wurden die drei von der Mutter des kleinen Mädchens entdeckt, die sofort auf sie zukam. „Herr Vetter, ich wollte mich bei Ihnen bedanken. Ohne Sie wäre meine Tochter –“, begann sie. „Ich hab nur meine Arbeit getan“, fiel ihr Jan verlegen ins Wort. Die Frau umarmte ihn überschwänglich. „Trotzdem, Sie haben meine Kleine gerettet, dafür bin ich Ihnen auf Ewig zu Dank verpflichtet“, ließ sie nicht locker. „Schon okay. Das hätte jeder gemacht“, winkte der Rettungsarzt ab und beließ es dabei. „Sagt mal, habt ihr nichts Besseres zu tun, als hier bei mir herumzulungern? Ich mein, nicht, dass ich etwas dagegen hätte, aber immerhin ist euer Tag doch schon ziemlich lange“, meinte Jan, als er sich in dem Bett lag, in dem er die kommende Nacht würde verbringen müssen und die anderen beiden Ärzte keine Anstalten machten, zu gehen. Er musste immer wieder husten und seine Stimme war noch immer nicht die alte. Anscheinend hatte er doch mehr abbekommen, als er gedacht hatte. „Weißt du, ich hab heut mal ein wenig nachgedacht. Immerhin kennen wir uns schon ein paar Monate, aber ich hab das Gefühl…das ich keine Ahnung habe, wer ihr überhaupt seid“, begann Rodrigo. „Ja find ich auch. Weißt du, als die jungen Assistenzärzte da heut in der Bar über dich geredet haben, da is mir das auch aufgefallen“, bestätigte Dirk. „Okay, was wollt ihr denn wissen?“, fragte Jan daraufhin krächzend, aber lächelnd. „Na zum Beispiel…wie heißt deine Frau?“, begann der Chilene und wies auf den Ring hin, den der große Blonde auf seinem rechten Ringfinger trug. Schlagartig verfinsterte sich die Miene des Angesprochenen. Traurig spielte er etwas mit dem silbernen Schmuckstück. „Lizzy. Sie hieß Elizabeth“, antwortete er nach einer Weile, wobei er den Namen englisch aussprach. Er sah auf und bemerkte die fragenden Blicke der anderen beiden. ‚Warum verwendet er die Vergangenheitsform?’, schien ihr einziger Gedanke zu sein. „Sie ist vor drei Jahren gestorben“, fuhr er leise fort. Betretenes Schweigen folgte. „Das…das tut mir Leid“, durchbrach Dirk schließlich die Stille und legte seine Hand auf die Schulter des Patienten. Dieser sah ihn dankbar an und wollte mit einem Lächeln demonstrieren, dass er darüber hinweg sei. „Wie ist sie gestorben?“, wollte Rodrigo dann vorsichtig wissen. „Autounfall“, antwortete Jan knapp. „Wie lange ward ihr verheiratet?“ „18 Jahre“ „Wie habt ihr euch kennen gelernt?“ „Auf der Uni. Sie hat Archäologie studiert und war auf Auslandssemester in Deutschland. Ursprünglich kam sie aus England, aus London, um genau zu sein. Jedenfalls war’s ihr erster Tag auf der Uni und sah ziemlich hilflos aus, also hab ich mir ein Herz genommen und sie ein wenig eingewiesen. Und wie’s halt so is, sind wir uns näher gekommen, haben uns ein paar Mal getroffen, sind zusammengezogen, sie ist schwanger geworden und wir haben geheiratet“, erzählte der Blonde mit rauchiger Stimme und leuchtenden Augen. „Wie aus dem Bilderbuch. Hast du ihr ganz romantisch mit Candle-light-Dinner, roten Rosen und Kniefall einen Antrag gemacht?“, hackte Dirk nach. Der Rettungsarzt lachte auf und erzählte dann: „Das war eigentlich eine ziemlich crazy Aktion. Das war mehr so ‚Sag mal, willst du eigentlich irgendwann mal heiraten – Auf einen Antrag von dir müsst ich doch ewig warten – Und wenn wir einfach so zum Standesamt gehen – Das würdest dich sowieso nie trauen – Wetten?’ und irgendwie sind wir dann aufm Amt gelandet und haben die Papiere unterschrieben. Aber im Prinzip wären wir beide gegen’s Heiraten gewesen. Wozu auch?“ Die beiden anderen lachten ebenfalls. „Die Aktion passt zu dir“, meinte Rodrigo dann schmunzelnd. „Und wie sieht’s bei euch beiden aus?“, hustete Jan dann. „Keine Zeit“, antworteten die beiden wie aus einem Mund. „Ach, kommt schon“ „Nein, da geht nichts“ „Nicht mal mit einer Stationsschwester oder so?“ Die beiden Schwarzhaarigen sahen ihren Freund tadelnd an. „Richtig Seifenoper-mäßig, oder wie?“, meinte Dirk. „Klar, warum nicht? Seid ihr nie hinter den wahren Verwendungszweck von Bereitschaftsräumen gekommen?“ Die anderen sahen Jan genervt an, bis dieser zu lachen begann. „Okay, ich seh schon: ein Themawechsel wär jetzt angebracht!“, meinte er, als er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. „Dirk, warum gerade Notaufnahme?“, wendete er sich an den Älteren. „Hm…gute Frage…es ist irgendwie der Nervenkitzel… die ganzen Verletzten, die zuerst zu dir kommen und du versucht als erster, sie zu retten. Du tust alles, findest neue Behandlungswege und bestimmst dann, wo sie hinkommen sollen.“ Jan schien mit dieser Antwort zufrieden zu sein, denn er fragte Rodrigo, warum er Neurochirurgie genommen hatte „Weil ich’s ziemlich aufregend finde. Wenn ich daran denke, ich operier da jetzt jemanden am Gehirn und wenn ich nur einen Millimeter daneben schneide – was ich natürlich sowieso nicht tu – dann verliert der wichtige Funktionen“, antwortete dieser. „Und jetzt die ultimative Frage: Warum Rettungsarzt?“, wollte Dirk dann wissen. „Ursprünglich wollte ich ja Pädiater werden. Aber dann dacht ich mir, dass so Kinder, besonders dann, wenn sie krank oder verletzt sind, ziemlich nervig sein können. Angefangen hab ich dann in einer Notaufnahme in Berlin, aber irgendwie war das nichts für mich. Ich mein, es war schon nervenaufreibend, aber so der richtige Adrenalinschub kam irgendwie nicht. Deshalb hab ich da auch nach ’nem Jahr auch schon wieder gekündigt. Dann bin ich erstmal ein paar Wochen nach Afrika gegangen und hab dort für Ärzte ohne Grenzen gearbeitet und das war dann richtig anstrengend. Weil, wir hatten da nichts und musste trotzdem irgendwie den Menschen helfen. Zurück in Deutschland hab ich dann den Pilotenschein für’n Hubschrauber und die Ausbildung zum Rettungsarzt gemacht…und das war dann richtig cool. Dieser Adrenalinschub, wenn du dich auf eine Gletscherspalte oder in ein brennendes Gebäude abseilen lässt, der ist einfach gigantisch“, erklärte der große Blonde. „Sag mal, kannst du mal damit aufhören?“, meinte Rodrigo gespielt genervt. „Was denn?“, schmunzelte Jan. „Egal bei was, immer hast du die interessantesten Geschichten und Erklärungen auf Lager!“, fuhr der Chilene fort. „Ja, kann ich was dafür?“, meinte der große Blonde lachend. Er wollte noch etwas erwidern, da öffnete sich die Tür und Karin betrat das Zimmer. „Karin! Was machst du denn hier?“, wurde sie von ihrem Vater erstaunt begrüßt. Er richtete sich auf, um sie umarmen zu können, aber auch diesmal war er viel zu schnell. Wieder drehte sich alles, der Husten trat erneut auf. Mit einem leisen „Verdammt“ ließ er sich zurück ins Bett fallen und schloss die Augen. „Paps, alles in Ordnung?“, hörte er die besorgte Stimme seiner Tochter. Selbst, nachdem Jan die Augen kurz öffnete, hörte das Drehen nicht auf, auch der Husten wurde wieder schlimmer. „Luft“, krächzte er bloß. Sofort nahm Dirk eine Sauerstoffmaske und drückte sie ihm über Nase und Mund. Langsam beruhigte sich der Blonde wieder. Als er ein weiteres Mal die Augen öffnete, hatte der Schwindelanfall endlich aufgehört. „Geht’s wieder?“, fragte Karin besorgt. Der Angesprochene nickte bloß, zu mehr war er jetzt nicht fähig. Vorsichtig nahm der Chef der Notaufnahme die Maske wieder ab. „Geht’s so, oder sollen wir sie oben lassen?“, fragte er. „Geht schon“, hauchte der Patient. „Ich glaub, wir lassen euch beide jetzt alleine“, meinte Rodrigo und verließ, gemeinsam mit Dirk, das Zimmer. „Ach Papa, was machst du bloß für Sachen“, seufzte Karin, als sie alleine waren. „Sorry“, flüsterte der große Blonde und strich ihr durchs Haar. Die junge Frau zog sich ihre Schuhe aus und schlüpfte dann unter Jans Decke, um sich an ihn zu kuscheln. „Ich glaub, du solltest jetzt besser schlafen“, meinte sie dann. „Ja Mama!“, erwiderte ihr Vater schmunzelnd. Kurz darauf waren sie wirklich eingeschlafen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)