Volle Kraft voraus von cooking_butty (Drei Götter in Weiß) ================================================================================ Kapitel 9: Gedanken kreisen lassen ---------------------------------- Bis die nächste Drohung Jan erreichte, dauerte es gerade einmal drei Tage. Wie beim ersten Mal enddeckte er den Brief, scheinbar von seinem Anwalt, beim Frühstück. Mit zittrigen Händen, hoffend, dass Rodrigo und Dirk noch so tief schliefen, wie er sie vor einer guten Viertelstunde im Bett zurückgelassen hatte, stellte er seine Tasse Tee auf den Tisch und beäugte den Umschlag, der zwischen den Reklamen hervor lugte. Vorsichtig, überlegend, ob er erkennen würde, wenn es eine Briefbombe beinhalten würde, nahm er das Kuvert an sich, inspizierte es noch einmal von allen Seiten und riss es anschließend förmlich auf. Hastig faltete er den Brief auseinander und wieder verkündete das Gedruckte Schreckliches: Na du Schwuchtel? Ich gehe davon aus, dass du, wie immer, einen Tee und ein Marmeladenbrötchen zum Frühstück hast. Wahrscheinlich wartest du gerade darauf, dass deine beiden Toyboys Dirk und Rodrigo aufwachen und dir Gesellschaft leisten. Nicht mehr lange und das alles wird Vergangenheit sein! Dein schlimmster Albtraum Schnell versteckte Jan den Brief, da er hören konnte, dass mindestens einer seiner beiden Freunde gerade aufgestanden war. Wenig später stand auch schon ein verschlafener Rodrigo in der Tür zur Küche, strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und begrüßte den Blonden mit einem „Morgen“. Er schlurfte an den Tisch, gab dem Älteren einen liebevollen Kuss und ließ sich dann auf den freien Sessel neben ihm nieder. „Ist was? Du guckst so, als hättest du einen Geist gesehen“, fragte der Chilene dann besorgt, als ihm Jans entsetzter Gesichtsausdruck aufgefallen war. Dieser bemühte sich daraufhin, seine Fassung wiederzuerlangen, was ihm aber nicht wirklich gelingen wollte. Er musste sich räuspern, bevor er wieder Herr seiner Stimme war. „Nein, alles in Ordnung“, erwiderte er, doch Rod merkte, dass dies nicht der Wahrheit entsprach. „Jan, was ist los?“, hakte er noch einmal nach, nahm die Hand des Blonden in seine und zwang ihn, ihn anzusehen. „Es ist nichts, mach dir keine Sorgen“, antwortete der Rettungsarzt, während er dem Anderen lächelnd durch die Haare fuhr. Er zog ihn zu sich und drückte ihm einen sanften Kuss auf die Lippen. „Hast du gut geschlafen?“, fragte Jan dann. Er selbst konnte nicht wirklich schlafen, seit er die erste Drohung erhalten hatte. Rodrigo nickte und meinte schmunzelnd: „Also entweder, ich besorg mir auch so ein Bett wie deins, oder ich zieh bei dir ein…wobei ich stark zu Zweiteres tendier!“ „Ich hätte nichts dagegen“, flüsterte der Blonde lächelnd und küsste seinen Freund erneut. Wenig später vernahmen sie ein leises Stöhnen und bald darauffolgende Schritte, die sich der Küche näherten. „Na auch wieder unter den Lebenden?“, begrüßte Rodrigo Dirk kichernd, als dieser bei ihnen war. „Euch auch einen guten Morgen“, erwiderte dieser sarkastisch, gab jedem einen Kuss und setzte sich dann auf den Sessel auf der ihnen gegenüberliegenden Seite. Während sie ihr Frühstück einnahmen, bekamen die zwei Schwarzhaarigen zwar mit, dass Jan mit den Gedanken ganz wo anders war, aber sie waren sich sicher, dass er schon zu ihnen kommen würde, wenn er ihre Hilfe brauchte. Der Rettungsarzt überlegte die ganze Zeit, wer zu so etwas fähig sein könnte. Dass es sein Anwalt nicht sein konnte, wusste er, denn die Kanzlei hatte seit Kurzem einen neuen Partner, wodurch der Briefkopf geändert worden war. Der Stalker verwendete aber noch den alten, was bedeutete, dass derjenige zwar seine Post kannte, aber nicht bei der Kanzlei angestellt war. Nachdem die drei das Frühstück beendet hatten, räumte Jan den Tisch ab, während die anderen beiden sich fertig machten, um zur Arbeit zu gehen. Rodrigos Chef hatte ihn am Tag davor angerufen und ihm gesagt, dass er weiterhin im Krankenhaus arbeiten könne, solange er sich nicht noch einmal eine Aktion wie diese lieferte. Grund dafür war neben den Fähigkeiten des Chilenen natürlich auch die gute Publicity gewesen, die der Neurochirurg durch sein kleines Wunder dem Krankenhaus beschert hatte. Bald darauf verabschiedeten sich die zwei Schwarzhaarigen von ihrem Freund, der nach vielen Tagen des Nachtdienstes frei hatte. Um sich abzulenken beschloss Jan, einkaufen zu gehen. Schnell schlüpfte er in seine dunkelblaue Jeans und das schwarze langärmelige Shirt, ehe er sich noch seine schwarzen sportlichen Schuhe und die dunkelblauen Jacke anzog, aus dem Haus trat und, nachdem er die Tür abgeschlossen hatte, zu seinem Auto ging. Während der paar Schritte, die er zurücklegen musste, versuchte er, so unauffällig wie möglich, die Umgebung abzusuchen, aber er entdeckte nichts Ungewöhnliches. Etwas beruhigter stieg er in seinen Wagen ein, startete den Motor und fuhr dann in die Stadt. Auf dem Weg zum Supermarkt lag auch die Polizeistation und als Jan daran vorbeikam, lenkte er das Auto spontan auf einen Parkplatz auf der gegenüberliegenden Seite und stellte den Motor ab. Lange starrte er das Gebäude an, während er nervös auf das Lenkrad eintrommelte. Er wusste, dass der Stalker es ihm verboten hatte, zur Polizei zu gehen, aber er wollte, dass der Irre geschnappt wurde, bevor noch etwas passieren konnte. „Du würdest es noch bereuen, wenn du etwas machst, was nicht meinen Forderungen entspricht.“ Dieser Satz aus der ersten Drohung drängte sich immer mehr in den Vordergrund und brachte den Hünen schließlich dazu, das Auto wieder zu starten und weiter zu fahren. Er erledigte seine Einkäufe und war froh, als er wieder zu Hause, in vermeintlicher Sicherheit, war. Als er die zwei Stufen zum Hauseingang ging, entdeckte er einen Zettel, der vor der Tür auf dem Boden lag und mit einem Stein beschwert wurde. Sofort stellte Jan die Kiste mit dem Einkauf ab und ergriff die Botschaft. Das Blatt Papier, das in etwa so groß wie eine Postkarte war, hatte schiefe und ungerade Kanten – wahrscheinlich war es in Eile ausgeschnitten worden. Nur ein, mit Computer geschriebener, Satz stand darauf: So ist’s brav! Der Rettungsarzt musste nicht lange überlegten, um zu wissen, dass der Verrückte die Sache mit der Polizei meinte. Er wurde also ständig, auf Schritt und Tritt, überwacht. Noch einmal sah er sich um, doch wieder konnte Jan nichts zwischen den Bäumen und Büschen finden. Beunruhigt nahm er die Kiste und beeilte sich, ins Hausinnere zu kommen. „Johann Anders, 35. Verdacht auf Schlaganfall“, rief die Notärztin, die gerade gemeinsam mit ihrem Kollegen die Trage durch den Eingang in die Notaufnahme schob. „Ich übernehme“, meldete Dirk, rief noch zwei Assistenzärzte zu sich und begann dann, den Patienten zu behandeln. „Ruf den Neurologen“, befahl er Schwester Katharina, während er versuchte, denn Mann zu stabilisieren. Wenig später kam Rodrigo in den Behandlungsraum und ließ sich mit einem „Was gibt’s?“ einen Überblick geben. Auch er untersuchte den bewusstlosen Herrn Anders kurz und forderte dann: „Bringt ihn rauf ins Katheterlabor!“ Die Schwestern und Assistenzärzte schoben daraufhin den Patienten auf der Trage zum Lift und während sie darauf warteten, dass sich die Tür öffnete, hatten Rodrigo und Dirk noch kurz Zeit zum Reden. „Treffen wir uns in der Mittagspause wieder?“, fragte der Jüngere. „Klar! Um zwei in der Cafeteria?“, erwiderte der Chef der Notaufnahme. „Gut, bis nachher“, verabschiedete sich der Chilene und stieg in den Lift ein, der sich kurz drauf schloss. Im Katheterlabor versuchte der Neurochirurg, eine schwere Bleischürze tragend, das Blutgerinnsel im Gehirn zu lösen, das den Schlaganfall verursacht hatte. „Kaum zu fassen. Der ist so alt wie ich und hat einen Schlaganfall“, seufzte Rodrigo, den Blick nicht von den Bildschirmen lösend, die ihm zeigten, wo genau in der Blutbahn er gerade die Nadel hatte. „Aber wenn ich mir den Patienten so ansehe, dann haben Sie einen eindeutig gesünderen Lebensstil, Herr Doktor“, erwiderte Sofia, eine Assistenzärztin, die sich auf Neurochirurgie spezialisieren wollte. „Nur weil ich über Ihnen stehe, brauchen Sie sich noch lange nicht so einzuschleimen, Doktor Hirsch“, wehrte Rodrigo schmunzelnd ab. Währenddessen ging Jan in den Keller, um das zu tun, was ihm meistens half, sich abzulenken: musizieren. Er schnappte sich seine schwarze Akustikgitarre und stimmte ein Lied der Beatles an. Doch dieses Mal konnte er noch so viele Lieder seiner Lieblingsband spielen, nichts konnte ihn von seinen Gedanken wegbringen. Immer wieder drängten sich Bilder in den Vordergrund, von denen er gehofft hatte, sie längst vergessen zu haben. Etwa fünf Skinheads, die auf einen am Boden liegenden Punk eintraten. Er selbst, von zwei weiteren Glatzköpfen festgehalten. „Hört auf, ihr bringt ihn noch um!“ Er wurde ignoriert. Immer wieder schlugen die Kerle auf den Rothaarigen ein, der sich bald nicht mehr bewegte. „Aufhören“, hallte sein Schrei in seinem Kopf nach. Der blonde Hüne schüttelte heftig den Kopf, versuchte so, den inneren Film wieder in die Ecke zu verbannen, aus der er hervorgekommen war. Seufzend strich er sich durch die Haare, stand auf, stellte die Gitarre zurück und ging hinauf ins Wohnzimmer. Mit einem Buch bewaffnet setzte er sich auf sein Sofa und begann zu lesen. „Und, wie geht’s dem Schlaganfall-Patienten?“, fragte Dirk, als er in der Cafeteria auf Rodrigo traf. „Wird keine bleibenden Schäden davontragen“, informierte ihn der Chirurg. Gemeinsam gingen die zwei nun auf das Buffet zu, um sich ihr Mittagsessen zu kaufen. „Hast du eine Ahnung, was mit Jan los ist?“, wollte der Ältere wissen, als sie sich an einen Tisch setzten. „Nö…ich weiß nicht, aber er hat heut in der Früh die Post durchgeschaut und vielleicht war da irgendein Brief dabei, der ihn beunruhigt hat?“, vermutete der Chilene. „Vielleicht…aber was könnte das für ein Brief sein?“, überlegte Dirk. „Vielleicht hat er heut einfach mal einen schlechten Tag“, meinte der Jüngere und schob sich eine Gabel mit Nudeln in den Mund. „Irgendwas ist da…ich weiß nicht, was, aber ich hab da so ein ungutes Gefühl“, vermutete der Chef der Notaufnahme und biss von seinem Sandwich ab. Auch das Lesen konnte Jans Sorgen nicht in den Hintergrund stellen. Genervt seufzend legte er sein Buch weg, nachdem er mehr als eine halbe Stunde gebraucht hatte, um eine Seite zu lesen. Während er sich über das Gesicht fuhr, stand er auf und ging in sein Schlafzimmer. Schnell schlüpfte er in seine Laufkleidung, schnappte sich seinen MP3-Player, zog sich seine Sportschuhe an und trat zum zweiten Mal an diesem Tag aus dem Haus. Er setzte sich die Kopfhörer auf, wählte ein Album der Foo Fighters aus und schlug den Weg in den Wald ein. Die kalte Novemberluft brannte in seiner Lunge und schon bald verfluchte er sich, dass er sich keine Haube aufgesetzt hatte, denn seine Ohren begannen, wie immer bei solchen Temperaturen, zu schmerzen. Gemeinsam mit ein paar Assistenzärzten betrat Rodrigo das Zimmer. „So Valerie, es ist soweit“, begrüßte er die Zwanzigjährige, bei der an diesem Tag ein Tumor im Gehirn entfernt werden musste. „Werde ich jetzt schon operiert? Ich dachte, mein Termin ist in zwei Stunden“, entgegnete die Patientin. „Tja, der OP-Saal ist schon früher frei geworden und da ich ja sonst nichts zu tun habe…“, erklärte der Arzt lächelnd und wies seine Kollegen an, die junge Frau fertig für die Operation zu machen. Bevor er den Raum wieder verließ, zwinkerte er ihr noch einmal zuversichtlich zu und verabschiedete sich mit den Worten „Wir sehen uns im OP“. „Die Apokalypse wird kommen! Nehmt euch in Acht, denn schon bald kommt das Ende der Welt“, schrie ein Patient in der Notaufnahme, der auf seinem Bett stand und das umher stehende Personal mit dem Infusionsständer davon abhielt, ihn wieder auf den Boden zu holen. Dirk betrachtete die Szene belustigt am Empfangsschalter lehnend. „Wir sollten ihnen ein Sedativum geben, vielleicht bekommen sie ihn dann runter“, schlug Andreas grinsend vor, der neben seinem Chef lehnte. „Nö, so ist viel unterhaltsamer“, schmunzelte dieser. Während der Verrückte noch weiter von der Apokalypse predigte, schaffte es Marcel, ein Krankenpfleger, ihn von hinten zu überwältigen und mit Hilfe anderer ans Bett zu schnallen. „Schade“, bedauerten die beiden Oberärzte das Ende des Spektakels und wandten sich wieder ihrer Arbeit zu, was für Dirk eine Menge an Papierkram bedeutete, denn nach der Kündigung oder Entlassung dreier Kollegen mussten die Stellen neu besetzt werden. Nach zwei Stunden kam Jan erschöpft aber glücklich wieder bei seinem Haus an. Trotz der Kälte war seine Kleidung durchgeschwitzt, sodass er schnurstracks ins Bad ging. Dort zog er sich die Sachen aus und stellte sich unter das kalte Wasser der Dusche, um seinen erhitzten Körper wieder abzukühlen. Während seiner Laufrunde hatte der Rettungsarzt das geschafft, was er schon versucht hatte, seit er die erste Botschaft bekommen hatte: er hatte seine Gedanken frei bekommen. Er hatte sich ablenken können von der ganzen Geschichte. Lächelnd strich er sich die Haare nach hinten, drehte den Wasserstrahl ab und stieg aus der Dusche. Der Hüne schnappte sich ein Handtuch, trocknete sich ab und wickelte es um die Hüfte. Er trat an den Spiegel, richtete sich notdürftig seine, nach allen Richtungen abstehenden, Haare und schlüpfte anschließend in frische Kleidung. Gerade rechtzeitig zog er sich sein T-Shirt an, denn da klingelte es auch schon an der Tür. Gut gelaunt ging er hin, öffnete sie – und wich entsetzt zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)