Der Vergessene König von Scarla ================================================================================ Prolog: Die Legende der Steine ------------------------------ Es gab einst, vor langer Zeit, sieben mächtige Zauberer. Jeder dieser sieben Zauberer konnte mit einer der großen Mächte besonders gut umgehen und so taten sie es, um Gutes zu tun. Sie brachten die Magie in diese Welt und bewachten und behüteten sie. Doch es waren kluge Männer und sie wussten, dass es nicht in alle Ewigkeit so weitergehen konnte, denn irgendwann würden sie alt werden und sterben. Aber sie sahen immer wieder, wir gut es den Menschen ihn ihrer Welt voller Magie ging und so beschlossen sie, das sie etwas tun mussten. Auf das die Menschen ihr gutes und glückliches Leben weiterführen konnten. So schufen sie die sieben Steine der Macht, einen Stein für jede ihrer Mächte. Sie erschufen gemeinsam den roten Stein des Feuers, den blauen Stein des Wassers, den braunen Stein der Erde, den violetten Stein der Winde. Nachdem die Steine der Grundelemente in ihrem Besitz waren, hörten sie nicht auf und erschufen auch noch den grauen Stein des Todes, den grünen Stein des Lebens und den Mächtigsten aller Steine, den gläsernen Stein des Lichtes. Doch es gab noch einen weiteren Zauberer, der ebenso mächtig war, wie die anderen. Sie hatten Angst vor ihm, den seine Ideale und Methoden waren ihren so völlig fremd, das sie ihn nicht in ihren Bund aufnahmen. Das machte den achten Zauberer wütend und voller Hass schuf er den letzten Stein. Den schwarzen Stein der Finsternis, der Angst, des Leidens. Die Menschen und auch die Zauberer hatten große Angst vor dem Stein. Sie stahlen ihn und beschlossen, ihn an einen sicheren Ort zu verwahren. Sie erhielten die Dämonen den Stein. Doch selbst sie, die sie große Kämpfer waren und Furcht bisher nicht kannten, hatten große Angst vor ihm und gaben ihn ihrem mächtigsten Herrscher, dem ersten König der Dämonen. Er allein besaß genug Macht, die Magie des Steines zu kontrollieren, doch selbst ihm war es nicht ganz wohl. Also nutzte er die Macht des Steines gegen ihn. Er erschuf einen schwarzen Drachen, dem er befahl, den Stein mit seinem Leben zu verteidigen. Er sollte den Stein nur jenem überlassen, der kommen würde, wenn die Magie der Welt erlischt. Nur jener Eine, vom halbe Blute nur und dennoch der wahre König der Dämonen, vom eigenen Volk verleugnet und verachtet und dennoch berechtigt, den Thron zu besteigen, nur dieser Eine sollte den Stein erhalten. Seinem Volk befahl er, dass der schwarze Stein fortan immer im Grabstein des jüngst verstorbenen, wahren Herrschers eingearbeitet werden solle, damit er niemals verloren ging. Die Zauberer erfuhren von der Umsicht des Dämonenkönigs und taten es ihm gleich, sie alle suchten einen Ort, an dem sie ihre Steine sicher verwahren konnten und sie alle fangen ihn. Den Feuerstein brachte ihn ins Innere eines Vulkans, der Stein des Wassers dagegen verfrachtete man auf den Grund des tiefsten Sees, den man finden konnte. Der Stein des Windes zierte fortan den höchsten Gipfel der fliegenden Insel, während man den Erdstein dem Erdvolk übergab, das ihn hinunter in die tiefsten und dunkelsten Höhlen dieser Welt brachte. Den Stein des Lebens brachte man auf eine grüne Insel mitten im Meer, seinen Gegenpart, den Todesstein, verbarg man in einem düsteren, verzauberten Wald. Und der Stein des Lichtes, der Einzige, der es mit dem Stein der Finsternis wirklich und wahrhaftig aufnehmen konnte, den übergab man an ein Volk, das inmitten einer Welt aus Glas lebte. In jedem dieser Verstecke ließen sie einen Drachen als Wächter zurück. Man befahl ihnen, nur einer einzigen Person diesen Stein zu überlassen. Nur jenen, die bestimmte Kriterien erfüllten, die, außer den Drachen, nur die Zauberer kannten. Diese Geschichte liegt nun schon viele, viele Jahrtausende zurück, denn sie trug sich zum Anbeginn der Welt zu. Sie ist nie in Vergessenheit geraten, über all die Jahrtausende nicht, über all die Zeit, über jeden Krieg und über jede Friedenszeit, über jedes auf- und untergehende Volk hat sie sich gehalten bis in die heutige Zeit. Sie wurde tausendfach verändert, es wurden Details hinzugefügt oder weggelassen, und mit der Zeit geriet in Vergessenheit, dass diese Geschichte niemals eine Mär war. Heute nun ist es für die Völker nur eine Legende. Sie ist vergangen und nur die Wächter wissen noch davon, wie wahr sie einst gewesen ist. Sie hat ihr Ende gefunden. Dafür findet hier eine andere Geschichte ihren Anfang, den hier beginnt meine Reise. Kapitel 1: Die Händler kommen ----------------------------- »Zachary, du musst ihn näher heranziehen, sonst komm ich mit dem Käscher nicht dran!«, rief Anwar und fiel fast aus dem Boot, während er sich bemühte, sich noch ein wenig weiter zu strecken. »Das ist aber einfacher gesagt als getan, weißt du, wie stark der ist?! Der muss riesig sein!«, rief der Angesprochene zurück und stemmte sich, beide Beine gegen die Bootswand gedrückt, mit aller Kraft gegen die Angel, wobei jedoch das Boot von dem Fisch fast gezogen wurde. Anwar wedelte derweil immer noch mit dem Käscher in Richtung des Fisches, kam einfach nicht dran, so sehr er sich auch reckte und streckte. »Dann gib mir eben die Angel«, antwortete er unwirsch und zog den Käscher ein wenig zurück. »Ich kann sie selbst kaum festhalten, da kann ich sie dir schlecht einfach mal eben in die Hand drücken«, fauchte Zachary durch seine zusammengebissenen Zähne. In dem Moment hörten sie ein Unheil verkündendes Knacken. Was als nächstes geschah, schien wie in Zeitlupe abzulaufen. Die beiden jungen Männer blickten sich kurz, aber eindeutig entsetzt an, dann gab das Stück Holz, das sie als Angelrute genutzt hatten, nach und Zachary, der nun nichts mehr hatte, woran er ziehen konnte, flog im hohen Bogen über die Bootswand und landete mit einem lauten Platschen im Wasser. Während Anwar vollauf damit beschäftigt war, das Boot wieder halbwegs zu stabilisieren, damit nicht auch er im Nassen landete, paddelte Zachary wie ein begossener Pudel umher. Da drang irgendwo aus der Nähe ein Lachen an ihr Ohr. Zachary brauchte sich nur kurz umblicken und er hatte den Ursprung entdeckt. Ein junges Mädchen mit türkisblauem Haar, meergrauen Augen und einem silbergrauen Fischschwanz. Danai. »Hör auf zu lachen, das hätte dir auch passieren können«, rief Zachary ihr zu und schwamm zurück zu dem kleinen Boot. »Nein, das glaube ich eher nicht«, antwortete sie und verschwand kurz im Wasser, tauchte nur etwa einen Meter von Zachary entfernt wieder auf. »Ich hätte ihn nämlich nicht mit einer Angel zu fangen versucht. Soll ich dir wieder ins Boot helfen?« Zachary blickte sie einen Moment lang böse an, dann fiel ihm auf, das sie den Hacken in der Hand hielt, den er und Anwar zum Angeln verwendet hatten. »Du warst das! Das war deine Schuld!«, rief er entrüstet. Abermals begann Danai zu kichern. »Natürlich. Hier im Hafen gibt es nichts, was größer ist als der Zierfisch in Onkel Gustavs Aquarium«, erklärte sie lächelnd und machte eine Handbewegung in Richtung Boot. »Soll ich dir nun helfen oder nicht?« »Nein danke, das schaffe ich gerade so noch selbst«, brummte Zachary und versuchte aus eigener Kraft hineinzuklettern. Dabei begann das Boot jedoch so sehr zu schwanken, das er es fast umkippte. »Lass los!«, quiekte Anwar. Zachary tat es, wenn auch nur widerwillig, und bedachte seinen Freund mit einem missmutigem Grunzen und einem bösen Blick. Anwar indes bekam schon wieder gute Laune und lächelte ein wenig. »Okay, dann schwimm ich eben zum Ufer, so weit ist es ja nicht«, knurrte Zachary betont beleidigt, während seine Freunde sich nun nicht mehr halten konnten und lauthals zu lachen begannen. Der junge Mann bedachte sie noch einmal mit einem Blick, bei dem sie eigentlich sogleich hätten tot umfallen müssen, lachte dann aber mit seinen Freuden gemeinsam. Als sie sich wieder beruhigt hatten, schwammen er und Danai voran, während Anwar langsam hinterher paddelte. »Und? Habt ihr Glück gehabt beim Angeln?«, erkundigte sich Charles, Zacharys Ziehvater, als der Schwarzhaarige aus dem Wasser kletterte. »Natürlich, wie haben einen ganz besonders dicken Fisch gefangen«, lachte der und deutete auf Danai, die sich hinter ihm aus dem Wasser gezogen hatte. Es würde einige Zeit dauern bis sie wieder ganz trocken war und solange behielt sie ihren Fischschwanz, ob sie wollte oder nicht. Danai war nämlich keine richtige Meerjungfrau, sondern nur ihre Mutter war eine gewesen und so verwandelte sie sich bei Wasserkontakt ebenfalls in eine solche. Zumindest der Teil von ihr, der nass war. Ihr Vater dagegen war ein Elb, der Einzige im Dorf. Er war erst vor zwei Jahren mit seiner Tochter nach Nordwind gekommen, wo die beiden zuvor gelebt hatten, wusste Zachary nicht. Natürlich hatte er sie gefragt, doch Danai hatte es ihm nicht erzählen wollen und er hatte es akzeptiert. Sie hatte ihn ja auch nicht gefragt, warum er so pelzig war. Auch Zachary war kein Mensch, sondern ein Halbdämon. Seine Mutter war einige Stunden bevor er geboren wurde ins Dorf bekommen. Binnen kürzester Zeit hatte sie ihn zur Welt gebracht und war kurze Zeit später verstorben. Gesagt hatte sie nicht viel. Sie hatte ihm seinen Namen gegeben und erklärt, dass vielleicht sein Vater kommen würde um ihn zu holen. Und, falls dies nicht geschehen sollte, das die Dorfbewohner gut auf ihn Acht geben sollten. Keine Namen, weder von ihr selbst, noch von seinem Vater, kein Ort, wo man vielleicht etwas hätte erfahren können. Das Einzige, was vielleicht eine Spur sein mochte, war der große, schwarze Wolf, der sie begleitet hatte und nun Zachary begleitete. Das sein Vater jedoch ein Dämon – ein Dämon aus dem Stamm der Wolfsdämonen sogar – gewesen sein musste, stand außer Frage. Wie bei den Wolfsdämonen üblich hatte er pelzige Wolfsohren und eine lange buschige Rute. Seine Beine waren zu wolfsartigen Hinterläufen gekrümmt, die in gefährlichen Klauen endete. Zudem hatte er Fell am Rücken und ab den Hüften auch so ziemlich überall sonst am Körper. Nur die Fledermausschwingen und die Klauen anstelle seiner Hände, die besaß er nicht und die ließen auch Außenstehende sofort erkennen, das er kein richtiger Dämon sein konnte. Das und die Tatsache, dass er auch charakterlich so gar nichts mit diesen blutrünstigen Bestien gemein hatte. Er war eher von sanfter, friedfertiger Natur, nicht aggressiv und kriegerisch. Charles lachte ebenfalls als er die Antwort seines Ziehsohns hörte, doch nicht allzu lange. Danach wirkte er zudem eher bedrückt. Das war keineswegs mehr etwas Besonderes. Jeder im Dorf spürte es, die Magie starb. Und das machte ihr Leben noch schwerer, als es ohnehin schon war. Ohne Magie wusch kaum noch etwas und ihre Netze und Fallen blieben leer. Es würde ein harter Winter werden und der Frühling würde wieder einmal auf sich warten lassen. So war es die Jahre zuvor auch gewesen. Zachary blickte seinen Ziehvater einen Moment lang traurig an, dann schaute er hinauf aufs Meer, wo Anwar schon fast bei ihnen war. Er watete seinem Freund entgegen, während der aus dem Boot sprang und es hinter sich her zum Ufer zog. Gemeinsam schoben sie es ein wenig den Strand hinauf und kletterten wortlos zu Danai auf einen Felsen ein wenig über dem Wasser, auf den sich das Mädchen mühsam emporgearbeitet und in die Sonne gelegt hatte. Anwar setzte sich zu ihr, während Zachary plötzlich übermütig grinste und sich dann auf hündische Art und Weise sein nasses Fell ausschüttelte. Dabei durchnässte er Anwar und machte auch Danais bisherige Trocknungsversuche zunichte. »Danke vielmals«, fauchte sie sarkastisch und blitzte ihn böse an. »Ja, von mir auch«, murrte Anwar »Seht es als Rache. Dafür, dass du uns reingelegt hast, Danai und dafür, dass du mich nicht mehr ins Boot gelassen hast, Anwar«, grinste er. »Dann wären wir nur beide im Wasser gelandet, aber ja, du hast ja recht, das war nicht besonders nett«, bestätigte der junge Mann lächelnd. »Und gefangen haben wir auch nichts. Du hättest uns die Fische ruhig einmal ein bisschen zutreiben können«, fand der junge Halbdämon an Danai gewandt. »Die hättet ihr alle gleich wieder rein geworfen, weil sie viel zu klein waren, das wäre nur verschwendete Liebesmüh gewesen«, fand sie. »Du kannst doch die Fische aus dem Meer in den Hafen scheuchen, dann wären sie groß genug«, erwiderte Zachary. »Die hätten aber nicht angebissen, Fische in Aufregung werden sich bestimmt nicht mit Begeisterung auf einen Haken stürzen«, gab sie zu bedenken. »Ja, aber wenn sie sich wieder beruhigt…« Der junge Halbdämon brach mitten im Satz ab und schaute aufgeregt in Richtung Dorf. »Was ist, sind meine Argumente zu gut?«, erkundigte sich Danai zufrieden, doch der Schwarzhaarige schüttelte nur unwillig den Kopf und deutete den Freunden leise zu sein, während er aufgeregt lauschte. »Die Händler kommen«, erklärte er nach einige Minuten begeistert und sprang voller Freude auf. Wenn die Händler kamen, war das immer etwas ganz besonderes in Nordwind, denn dieses Dorf war nicht leicht zu erreichen. Im Westen lag ein riesiger, fast undurchdringlicher, verzauberter Wald, im Süden waren tiefe Schluchten und ein großes, gefährliches Moor. Im Osten lag das Meer und direkt vor dem Dorf gab es viele Strudel, unsichtbare, aber ausgesprochen starke Strömungen und viele scharfe Felsen direkt unter der Wasseroberfläche. Im Norden lagen Berge, die so riesig waren, das ihre Spitzen in den Wolken verschwanden. Nur im Sommer öffnete sich ein Pass, dann konnte man auf diesem Weg das Dorf erreichen, alle anderen Wege kamen einem Selbstmord gleich. Und die Händler nahmen diesen Pass zweimal im Jahr. Einmal im Frühjahr, wenn er sich gerade geöffnet hatte, und einmal, kurz bevor er sich im Herbst wieder schloss. Manchmal, wie heute, kamen sie auch mitten im Sommer, aber nur sehr selten, deswegen waren alle drei nun umso aufgeregter. Am liebsten wären Anwar und Zachary sogleich aufgesprungen und losgelaufen, doch sie beide wussten, das Danai es ihnen nicht nachtun konnte und so blieben sie sitzen, rutschten jedoch unruhig hin und her und fingen aufgeregt an zu plappern. »Meinst du, ich bekomme für meine Muschel viel Geld?«, fragte Anwar mit leuchtenden Augen. »Ich möchte nämlich eines dieser seltsamen Messer haben, die sind viel schärfer als unsere.« »Bestimmt, Andre hat für seine vier Goldstücke bekommen, dabei war die nicht einmal halb so groß und schön wie deine«, antwortete Zachary aufgeregt. »Aber ich hoffe eher auf ein paar neue Bücher, das letzte Mal waren so tolle dabei.« »Fandest du? Ich finde Märchenbücher eigentlich nicht so interessant.« Anwar runzelte die Stirn. »Das waren nicht nur Märchenbücher, da waren auch ein Tagebuch von einem Kapitän dabei und eines von einem Händler, der von seiner Reise berichtete. Außerdem noch eines über einen Entdecker und mein Lieblingsbuch, eines über Dämonen«, berichtete der Halbdämon mit leuchtenden Augen. »Aber die Meisten waren Märchenbücher, das kannst du nicht leugnen«, warf Danai ein, die Anwar vollkommen zustimmte. Es war sinnlos, das ganze Geld für ein paar Bücher auszugeben, in denen sowieso überall immer nur das Gleiche stand. »Von meinen Büchern habe ich wenigstens noch in ein paar Jahren etwas«, verteidigte sich Zachary ein wenig enttäuscht. »Anwar auch, die Händler haben wirklich gute Messer im Angebot«, meinte die Halbelbe und wedelte heftig mit der Schwanzflosse, damit sie schneller trocknete. »Und was willst du gegen deine Perle eintauschen?«, erkundigte sich Anwar. »Das Gleiche, wie beim letzten Mal: Schmuck«, erklärte sie lächelnd. »Wie langweilig«, fanden die jungen Männer wie aus einem Mund, doch Danai zuckte nur mit den Achseln und wedelte noch heftiger. »Soll ich mitmachen?«, fragte Zachary darauf, stellte sich auf alle viere auf und schüttelte noch einmal den letzten Rest Wasser aus dem Fell. Es waren zwar nur ein paar Tropfen, doch Danai und Anwar bedachten ihn mit einem ausgesprochen bösen Blick. »So ist’s gut, Zachary! Dann riechst du nachher wenigstens nicht allzu sehr nach Hund!«, lachte am Strand Robert, Anwars Vater, zu ihnen hinauf. Zachary schnitt eine Grimasse. Robert war der Einzige im Dorf, von seinen Zieheltern einmal abgesehen, den er es bereitwillig gestattete, sich über ihn lustig zu machen und das auch nur, weil er mit Sicherheit wusste, das Robert nicht ernst meinte, was er sagte. Es hatte schon die eine oder andere Diskussion gegeben, ob es wirklich sinnvoll war, einen Halbdämon dazubehalten, zumal er ja jederzeit seine Friedfertigkeit ablegen und zur Bestie werden konnte. Robert war immer einer seiner größten Führsprecher gewesen und so verzeihte ihm Zachary den einen oder anderen Kommentar gerne. Doch beim Vergleich mit dem Hund war ihm aufgefallen, das Azra nicht bei ihm war. Der schwarze Wolfsrüde, der von klein auf immer in seiner Nähe gewesen war, war das Einzige, das ihn mit seinen richtigen Eltern irgendwie verband. Dass er ihn nicht sah bedeutete nicht unbedingt, das Azra nicht da war, aber es war doch ungewöhnlich. Zachary pfiff leise und schaute sich suchend um, doch er konnte seinen Begleiter weder hören noch sehen. »Wo ist Azra?«, fragte er laut. Erst jetzt vielen auch Anwar und Danai auf, das der Wolf nicht hier war und sie blickten sich suchend um. »Kann es sein, das er im Dorf ist?«, überlegte Ersterer und kniff die Augen zusammen, während er in die entsprechende Richtung blickte. »Möglich«, nickte Zachary bedrückt. »Wir können ja gleich nachschauen«, meinte Danai und wedelte noch einmal kräftig mit dem, was kurz zuvor noch ein Fischschwanz gewesen war, sich aber nun wieder fast vollständig zu menschlichen Beinen entwickelt hatte. Sie stand unsicher und ein wenig schwankend auf, doch der Rest verflog und sie war nur noch an den nassen türkisen Strähnen im blonden Elbenhaar als das zu erkennen, was eigentlich ihrer Natur entsprach. Auch die beiden jungen Männer standen auf und sogleich liefen sie los. Der Weg vom Strand zum Dorf dauerte etwa fünf Minuten, doch schon vom Weiten konnten sie den Menschenauflauf erkennen, der auf dem Dorfplatz herrschte. Aufgeregt drängelte sie sich zu den fünf Händlern durch, die alle Hände voll mit dem An- und Verkauf ihrer Waren hatten. Azra sahen sie war nicht, doch der Anblick der Bücherhaufen, die sich vor einem der Händler stapelten, verscheuchten bei dem jungen Halbdämonen sowieso alle Gedanken an den Wolf. Begierig las er die Titel, nahm einige der Bücher zur Hand und blätterte ein wenig darin herum, immer unter den wachsamen Augen der Händler. Irgendwann stupste ihn etwas Nasses gegen die Hand und als er hinabblickte, schauten ihn Azras rote Augen neugierig an. »Da bist du ja, mein Freund. Wo bist du gewesen?«, fragte er leise, legte das Buch beiseite und kniete sich neben den Wolf. »Hübscher Hund«, erklärte ihm eine fremde Stimme. Zachary blickte auf und gewahr einen jungen Mann mit ausdruckslosem Gesicht, schwarzen Augen und schwarzem Haar. »Wolf«, berichtigte er, »Azra ist ein Wolf.« Der Junge zuckte mit den Achseln. »Fast das Gleiche«, meinte er, deutete dann auf das Buch, das Zachary in der Hand hielt und fragte: »Willst du es haben? Macht drei Silberstücke.« Zachary blickte verwundert zu seiner Hand. Er hatte das Buch, das er in der Hand gehalten hatte, wieder beiseite gelegt, doch nun hielt er wieder eines in der Hand. Die Bissspuren am Rücken zeigten ihm jedoch deutlich, das es ihm wohl Azra in die Hand gedrückt haben musste. Verwundert schaute er den Wolf an, besann sich aber darauf, das er sich auch später überlegen konnte, was das wohl zu bedeuten hatte, nickte stattdessen in Richtung des jungen Mannes. Er schob das Buch wieder in die Schnauze des Wolfes, kramte in seiner Tasche, bis er drei Silberstücke zusammen hatte. Die ließ er in die ausgestreckte Hand des Händlersohns fallen, nahm das Buch wieder an sich und drängelte sich durch die Menschenmasse, bis er in der Nähe der Versammlungshalle wieder herauskam. Anwar und Danai saßen schon auf den Stufen und betrachteten und zeigten einander, was sie erstanden hatten. Zachary setzte sich zu ihnen, Azra zu seinen Füßen, und betrachtete sein Buch nun etwas genauer. Es war kein Märchenbuch, obwohl alle paar Seiten ein paar Bilder die Geschichte ergänzten. Es schienen Skizzen zu sein, ab und zu auch Karten. Vielleicht war es eine Art Tagebuch oder ein Reisebericht. »Was ist das denn für ein altes Ding?«, fragte Danai und zog es Zachary aus der Händen um es sich genauer anzuschauen. »Ich weiß es nicht, Azra hat es mir in die Hand gedrückt«, antwortete er Schulter zuckend. »Sieht ein bisschen alt und vergammelt aus«, bemerkte Anwar und nahm es seinerseits Danai aus der Hand um es genauer zu betrachten. »Und es ist in einer komischen Sprache geschrieben, so etwas habe ich nie gesehen«, fügte die hinzu, während Anwar das Buch an Zachary zurückgab. Der strich nachdenklich über den ledernen Einband, runzelte die Stirn. Erst jetzt viel ihm auf, dass das Buch keinen Titel hatte und er musste Danai recht geben, die Schriftzeichen, die die Seiten bedeckten, hatte er nie zuvor gesehen. »Es sieht ein bisschen wie Meerjungfrauenschrift aus«, mischte sich plötzlich Silver, Danais Vater, ein. »Aber von ihnen kann es nicht geschrieben sein, sie schreiben nicht auf Papier.« »Das ist uns auch klar, unter Wasser würden sie sich schneller auflösen, als du sie schreiben kannst«, bemerkte Danai spitz. »Aber welche Sprache kann es denn sonst sein?« »Vielleicht ist es ja eine Schrift aus der alten Welt, die heutzutage keiner mehr lesen kann«, überlegte Anwar. »Und warum hätte es Azra mir dann bringen sollen?«, erkundigte sich Zachary und zog vielsagend eine Augenbraue hoch. »Keine Ahnung, er ist dein Hauswolf, nicht meiner«, meinte der junge Mann achselzuckend. »Nicht streiten Jungs, überlegen wir stattdessen mal, vielleicht habt ihr ja so etwas schon einmal in euren Schulbüchern gesehen«, ging Danai die Sache an, während ihr Vater in der Menge verschwand. »Ganz bestimmt nicht, daran hätte ich mich erinnert«, erwiderte Anwar, doch Zachary schaute fragend und mit gerunzelter Stirn auf die erste Seite, dann begann er damit, seltsam klingende, kehlige Laute von sich zu geben, sodass seine Freunde ihn verdattert anblickten. »Was war das denn?«, wollte der junge Mann wissen. Zachary jedoch konnte mit den Achseln zucken. »Keine Ahnung, aber so wird es ausgesprochen«, erklärte er und wusste, das er die Wahrheit sagte, auch wenn er nicht wusste, woher diese Sicherheit kam. »Woher weißt du das?«, fragte Danai auch sogleich postwendend. »Keine Ahnung, ich weiß es einfach.« Abermals zuckte der Halbdämon mit den Achseln. »Es ist Dämonensprache. Du kannst sie lesen und aussprechen, aber nicht verstehen, weil du nur zur Hälfte einer bist«, mischte sich Julian, der Dorfälteste, erklärend in das Gespräch ein, während er langsam die Stufen der Halle hinab stieg. Die drei Freunde blickten neugierig zu ihm auf. »Kannst du es verstehen? Also das, was ich gesagt habe«, wollte Zachary neugierig wissen. »Oh nein, natürlich nicht. Verstehen können es nur Dämonen, niemals Menschen, aber ich habe früher oft jemanden in dieser Sprache sprechen hören. Daher erkenne ich es, wenn sich einer ihrer bedient. Als Mensch kann man sie nicht lernen, denn selbst Dämonen lernen sie nicht, sie können es von Geburt an. Interessant, dass dir der Wolf ein Buch in ihrer Sprache bringt«, fand Julian, doch erklärt er nicht weiter sondern ging in Richtung Strand davon, Charles und Robert entgegen. »Warum ist das denn interessant? Vielleicht dachte Azra ja, das du es verstehen kannst, aber was ist daran interessant?«, erkundigte sich Danai bei den Anderen. »Hat er ganz bestimmt gedacht, sonst wüsste ich nämlich nicht, was ich mit dem Buch soll. Und er vermutlich auch nicht«, antwortete Zachary und schaute zu seinem Wolf hinunter. Der hatte sich lang ausgestreckt und genoss sichtlich die warmen Sonnenstrahlen auf dem schwarzen Fell. Der Halbdämon beschloss, das es keinen Sinn machte, sich weiter über das Buch Gedanken zu machen, er konnte es ja doch nicht lesen, so nahm er sich einen von den Keksen, die Anwar von zu Hause geholt hatte. Das Messer hatte sich der junge Mann nicht leisten können, doch es gab ja immer ein nächstes mal. Danais Schmuckstück dagegen betrachtete er sich genauer, den es zog ihn schnell in seinen Bann. Er hatte nie etwas Vergleichbares gesehen. Es bestand aus acht Steinen, die in einer silbernen Fassung gehalten wurden. Jeder dieser acht Steine hatte eine andere Farbe und sie alle schimmerten und leuchteten im Sonnenlicht, als wären sie von einem inneren Feuer erfüllt. »Hübsch«, kommentierte er, als er es Danai wiedergab. »Ja, finde ich auch. Vor allem das farbige Glas gefällt mir gut«, antwortete sie und band sich die Kette um den Hals. Nach einiger Zeit gesellte sich der Junge, dem Zachary das Buch abgekauft hatte, zu ihnen. »Darf ich mich zu euch setzen?«, fragte er, wartete aber eine Antwort gar nicht erst ab, sondern setzte sich gleich zu Danai auf die oberste Stufe. »Mein Name ist übrigens Tehiyok«, stellte er sich vor. »Du bist ein Händlersohn, oder?«, fragte Anwar neugierig. »Ja«, bestätigte der junge Mann einsilbig. »Ich bin Danai«, stellte sich die Halbelbe vor. »Oh, mein Name ist Anwar.« »Zachary.« Tehiyok musterte sie einen Moment lang, dann gähnte er herzhaft. »Wir werden ein paar Tage bleiben, kann man in diesem Ort irgendetwas machen, das spaß bringt?«, fragte er und blickte sich um. Die drei Freunde warfen sich einen vielsagenden Blick zu, sagten aber nichts. Stattdessen ignorierten sie den Fremden einfach und unterhielten sich über dieses und jenes, bis Zachary irgendwann aufstand und zum Himmel, der mittlerweile von der Abendsonne rosa und golden verfärbt war, aufblickte. »Ich muss nach Hause, beim Kochen helfen«, erklärte er und sprang die Stufen hinab, ging ohne ein Wort des Abschieds. Der Wolf blieb ihm dich auf den Fersen als er zu einem der größeren Häuser etwas außerhalb ansteuerte. Suzanne, seine Ziehmutter, erwartete ihn bereits und gebot ihm, Kartoffeln zu schälen. Zachary legte sein neues Buch auf den Küchentisch und tat, wie ihm geheißen. »Die Händler sind dieses Jahr spät gekommen, aber sie hatten gute Waren dabei. Endlich habe ich wieder vernünftige Stoffe für neue Kleider«, plapperte die Frau munter und gut gelaunt vor sich hin, während ihr Ziehsohn nur mit halbem Ohr zuhörte. »Ist das dein Buch?«, fragte sie plötzlich, nachdem sie eine Weile über irgendwelche Frauenthemen gesprochen hatte. Zachary schrak aus seinen Gedanken hoch und schaute sie an, während sie sein neu erstandenes Buch in den Händen hielt und darin blätterte. »Ja, das ist meines, aber ich kann es nicht lesen. Es ist in Dämonenschrift geschrieben«, antwortete er, legte das Messer und die Kartoffel aus der Hand, nur um Suzanne das Buch aus der Hand zu nehmen und es sogleich Azra in die Schnauze zu schieben. Der kluge Wolf trottete sogleich in sein Zimmer und kam einige Sekunden später wieder zurück. »Warum kaufst du ein Buch, das du nicht lesen kannst? Und dazu auch noch in Dämonenschrift. Woher weißt du überhaupt, das es welche ist?«, wollte die Frau misstrauisch wissen. »Azra hat es mir in die Hand geschoben und so einen Wink kann ich ja schlecht ignorieren. Außerdem kann ich es schon lesen, also das, was da steht, das kann ich aussprechen, ich verstehe nur nicht, was ich sage. Als ich allerdings etwas in Dämonensprache gesagt hatte, da hat Julian gemeint, dass es eben Dämonensprache sei«, erklärte Zachary Schulter zuckend. Suzanne jedoch wirkte alles andere als beruhigt, stattdessen blickte sie misstrauisch und unruhig auf die offene Tür zu Zacharys Zimmer. Zachary registrierte das mit einem Stirnrunzeln, doch er sagte nichts. Er wusste, dass sie ihm entweder von selbst sagte, was los war, oder gar nicht. Und im Moment sah es eindeutig nach letzterem aus. So nahm er wieder das Messer und die Kartoffel zur Hand und schälte weiter. Da ging die Haustür auf und Charles kam in die Küche. »Abend«, sagte er und ließ sich neben seinem Ziehsohn auf die Eckbank fallen. Neugierig blickte er auf die Kartoffeln, schaute dann zu seiner Frau hoch und fragte: »Dauert es noch lange, bis das Essen fertig ist?« »Kommt darauf an, wie lange Zachary noch braucht, aber das ist jetzt egal. Ich muss mal mit dir unter vier Augen sprechen, Charles«, meinte sie, schaute ihren Mann ernst an und nickte dann in Richtung Tür. Charles seufzte tief, stand dann aber folgsam wieder auf, sodass sie gemeinsam die Küche verließen. Suzanne schloss die Tür hinter sich. Zachary blickte mit hochgezogenen Augenbrauen zu Azra runter. »Man sollte meinen, das sie mittlerweile begriffen hätten, das es rein gar nichts bringt, einfach nur die Türen hinter sich zu schließen, oder was meinst du?«, fragte er den Wolf. Der blickte ihn nur müde an und machte es sich auf dem Holzboden noch bequemer. Der junge Halbdämon indes spitzte die Ohren. »Er hat von den Händlern ein Buch in Dämonenschrift, Charles!«, versuchte Suzanne ihrem Mann klar zu machen, das dies das Schreckliste war, was geschehen konnte. Doch wie auch Zachary verstand ihr Mann augenscheinlich nicht im Geringsten, was daran so grauenhaft und schrecklich sein sollte. Er sagte zwar nichts, aber sein Blick musste Bände sprechen, denn Suzanne sprach weiter, ohne seine Antwort abzuwarten. »Er kann es lesen«, erklärte sie giftig. »Er kann was?« Nun hatte Charles offensichtlich verstanden, das erkannte Zachary an dem Erschrecken in seiner Stimme. Er selbst verstand es jedoch nach wie vor nicht. Eine ganze Weile herrschte ein angespanntes schweigen, das konnte er regelrecht spüren. Dann öffnete sich die Tür und die Beiden kamen wieder zurück. Zachary schaute sie fragend an, seine Zieheltern jedoch warfen sich einen vielsagenden Blick zu, dann nahm Suzanne ihrem Ziehsohn das Messer und die letzte Kartoffel aus der Hand und schälte sie selbst. Und zwar viel schneller und geschickter, als er es jemals gekonnt hätte. »Was ist denn so schlimm daran, das ich es aussprechen kann?«, fragte er neugierig. »Zachary, du sollst doch nicht an der Tür lauschen«, antwortete Charles darauf im barschen Tonfall. »Ich habe mich keinen Zentimeter von der Bank erhoben!«, protestierte er sofort. Suzannes Blick machte ziemlich deutlich, dass sie davon nicht gerade überzeugt war. Sie wusste zwar, dass er gute Ohren hatte, doch das konnte sie sich dann wohl doch nicht vorstellen. Dann jedoch setzte sie sich mit einem Seufzen an den Tisch. »Ach Zachary. Weißt du, die Sache ist die, das du früher schon so oft Dinge in Dämonensprache gesehen hast. Damals konntest du sie allerdings nicht lesen. Und nun haben wir angst, das du…«, versuchte sie zu erklären, doch Zachary hatte nun auch begriffen, was sie sagen wollte. Dieser Satz hatte mehr als gereicht. Er stand ruppig auf und blitzte sie böse an. »Ihr habt Angst, dass ich noch mehr dämonische Eigenschaften annehme, nicht wahr? Das ich so werde wie die«, knurrte er, machte dabei nicht einem den Versuch, seine Enttäuschung und seine Verbitterung in irgendeiner Weise zu verheimlichen. Suzanne und Charles warfen sich Blicke zu, die mehr als alles Andere bestätigten, dass er voll ins Schwarze getroffen hatte. »Ich geh schlafen«, knurrte er tonlos und war schon mit seinem Wolf in seinem Zimmer, bevor seine Eltern auch nur wirklich begriffen hatten, was gerade geschehen war. Er drehte den Schlüssel im Schloss um, etwas, was er nur sehr selten tat. Dann warf er sich aufs Bett um nachzudenken. Kapitel 2: Nächtliches Treffen ------------------------------ Zachary seufzte genervt. »Nur weil ich auf einmal etwas lesen kann, was ich vorher nicht konnte, heißt das doch noch lange nicht, dass ich mich auch charakterlich verändere«, brummte er unwillig in sein Kissen, dann setzte er sich jedoch auf und schaute den schwarzen Wolf an. »Oder was meinst du?« Der Wolf blickte zu ihm hoch, gähnte ihm herzhaft ins Gesicht, sprang zu ihm aufs Bett und rollte sich wieder zusammen. »Danke für die Antwort«, murrte Zachary, schaute das schwarze Tier kurz aber böse an, zog dann das Bucht unter der buschigen Wolfsrute hervor. »Ich möchte nur zu gerne wissen, was dort steht«, flüsterte er leise. »Worum geht es in dem Buch?« Er blätterte durch die Seiten, betrachtete die bunten Bilder, die alle Nase lang die Seiten zierten. Manches kam ihm bekannt vor, sie hätten auch gut zu Geschichten aus seinen anderen Büchern gepasst, andere dagegen konnte er so gar nicht einordnen, doch sie alle schienen von der gleichen Person gezeichnet worden zu sein. Sie waren auch nicht gedruckt worden, alles war Handgeschrieben und Handgemalt. Neugierig blätterte er immer weiter, bis er bei einem Bild stutzte. Er betrachtete das, was sich ihm zeigte, mit großen Augen. »Das ist doch…«, flüsterte er, plötzlich sehr aufgeregt. Er sprang aus dem Bett auf und starrte abwechseln das Bild und Azra an, als es an seinem Fenster klopfte. Mit einem letzten Blick auf den Wolf, der sich nicht aus der Ruhe bringen ließ, ging er schnellen Schrittes zum Fenster und schob es auf. »Anwar? Was ist?«, zischte er in die Dunkelheit. »Komm raus, Danai und ich haben etwas Interessantes herausgefunden«, flüsterte sein Freund aus dem Winkel unter seinem Fenster zurück. »Oh, ich habe auch etwas Interessantes entdeckt«, antwortete Zachary und hielt Anwar das Buch hin. »Was soll ich damit?«, fragte er verdutzt. »Zum nächsten Kamin laufen und es verbrennen«, erklärte der Halbdämon sarkastisch. »Es halten natürlich, während ich versuche, auf den Füßen zu langen.« »Ach so«, machte Anwar und nahm es an sich. Zachary war schon fast draußen, als es an der Zimmertür klopfte. »Zachary, mach auf, ich will mit dir reden«, rief Charles durch die Tür. Der junge Halbdämon erstarrte sofort, schaute mit bleichem Gesicht zu Anwar hinab, wandte sich dann der Tür zu. »Ich wüsste nicht, was es darüber noch zu reden gibt«, antwortete er und versuchte seine Stimme weniger gepresst und eher genervt und abweisend klingen zu lassen. Das war nicht gerade einfach, denn er lag mit dem Oberkörper auf der Fensterbank, hielt sich mit den Armen irgendwie, gerade so an der Wand fest, die Beine baumelten draußen und kratzten hilflos über das Holz. »Ich weiß es aber, also mach bitte auf«, forderte Charles. Da war etwas in seiner Stimme, was Zachary zögern ließ. Er biss sich auf die Unterlippe und schaute abwechselnd zur Tür und zu Anwar hinunter. »Schau dir das Bild auf Seite zweihundertzweiundsiebzig an. Am Besten mit Danai zusammen. Ich versuche mich so schnell wie möglich hier loszueisen und komme dann nach. Treffpunkt im Sumpf, okay?«, zischte er hinab, während er versuchte, ins Zimmer zurückzuklettern. Anwar half ihm, indem er die Pfoten abstützte und ihn hoch drückte. »Wir gehen doch nicht bei Nacht in die Sümpfe! Und schon gar nicht, wenn du nicht dabei bist, wir sind nicht Lebensmüde, Zachary«, flüsterte Anwar zurück. »Dann eben auf unserem Felsen«, antwortete der junge Halbdämon unwirsch, nachdem er wieder im Zimmer stand. Dann schob er das Fenster zu, nur ein paar Sekunden später war er an der Tür und drehte den Schlüssel um. Genervt riss er die Tür auf und musste seinen wütenden, abweisenden, kalten Blick nicht einmal spielen. »Dann erzähl mal«, fauchte er, war mit wenigen Schritten beim Bett und ließ sich mit verschränkten Armen neben Azra fallen. Charles hob vielsagend die Augenbrauen, sagte dazu aber nichts, sondern zog den Stuhl von seinem Schreibtisch weg und ließ sich verkehrt herum darauf nieder. »Zachary, das ist alles nicht so gemeint gewesen, wie es sich für dich vielleicht angehört hat«, begann er, druckste einen Augenblick lang herum, sprach dann weiter. »Es ist einfach so, dass wir uns Sorgen machen. Es könnte einfach sein, das du langsam aber sicher immer mehr und mehr zu...« Er brach ab und schaute nachdenklich zu Boden. »Die Anderen haben angst davor, dass du irgendwann einmal so sein wirst, wie die Anderen deiner Art«, sagte er dann. »Eigentlich müssten sie mittlerweile begriffen haben, das du niemals so werden kannst, dazu bist du viel zu lieb, aber wenn sie erfahren, das du nach und nach immer mehr davon kannst, was richtige Dämonen können, dann könnte das unnötige Probleme machen. Und zwar dieser Art Problem, die niemand möchte und die in diesem Fall auch so gar nicht nötig sind.« »Im Klartext, das ich diese Schriften lesen kann, soll ich nicht an die große Glocke hängen, hab ich verstanden. Kann ich jetzt schlafen gehen? Ich bin müde«, erklärte Zachary ungeduldig. Charles runzelte misstrauisch die Stirn, schaute zum Fenster hin und dann wieder seinen Ziehsohn an. »Zachary, du weißt, das wir nicht wollen, das du dich nachts noch draußen herumtreibst. Vor allem nicht, wenn die Händler im Ort sind«, sagte er. Ein kaum merkliches Zucken im Gesicht des jungen Halbdämonen verriet Charles, das nun er es war, der ins Schwarze getroffen hatte. »Ja, ich weiß«, antwortete Zachary zerknirscht. »Dann mach es bitte auch nicht mehr. Egal was du mit Anwar und Danai zu besprechen hast, es kann auch bis morgen früh warten. In einer einzigen Nacht geht die Welt nicht unter«, spottete Charles, stand auf, stellte den Stuhl wieder zurück und ging zur Tür. »Dann gute Nacht, mein Sohn.« »Nacht«, antwortete Zachary und legte sich aufs Bett. Kaum jedoch hatte Charles die Tür geschlossen, sprang er auf, war mit einem Satz beim Fenster, schob es hoch und kletterte geschickt hinaus. Er lauschte einen Moment, ob noch alles still im Haus war und rannte dann in Richtung Dorfplatz davon. Dass Charles in einem anderen Raum am Fenster stand und ihn mit einem nachsichtigen Lächeln hinterher schaute, das bemerkte er nicht. Stattdessen huschte er schnell durch die Häuserreihen und war einige Minuten später schon am Strand. Geschickt nahm er den felsigen Weg und sprang von Stein zu Stein, während er Anwars und Danais Stimmen lauschte. Ihrem Ton zufolge waren sie mitten in einem angeregten Gespräch, doch er hörte durch das Rauschen der Wellen und den Stimmen seiner Freunde auch noch die Geräusche einer dritten Person. »Was macht er denn hier?«, fragte er verwundert, als er Tehiyok erkannte. Vorhin hatte er eher das Gefühl gehabt, das sie beide den jungen Händlersohn nicht sonderlich ausstehen konnten. »Wir konnten ihn nicht abwimmeln, was aber nicht weiter schlimm ist, er ist nämlich nicht ganz so dumm, wie er aussieht«, antwortete Danai lachend. »Wie ihr meint«, antwortete Zachary und sprang zu den dreien hinab. »Und? Habt ihr euch das Bild angesehen?« Anwar nickte. »Es sieht aus, wie die Kette von Danai.« »Ist nur die Frage, warum meine neue Kette in einem Dämonenbuch abgebildet ist«, meinte die. »Ich habe keine Ahnung, ich hatte gehofft, dass ihr irgendwelche Ideen habt. Ich vin für alles offen, wir abwegig es auch sein mag. Was wolltest du eben eigentlich, Anwar?«, fragte Zachary. »Das hier«, antwortete Danai und zog ihren Anhänger hervor. Der junge Halbdämon runzelte verwundert die Stirn, doch das Mädchen war anscheinend noch nicht fertig. »Pass auf, schau ihn dir genau an«, forderte sie und ließ ihr Schmuckstück in Anwars ausgestreckte Hand fallen. Kaum berührte es dessen Haut, als der gläserne Teil hell aufleuchtete. Erschrocken und geblendet schloss Zachary die Augen und drehte den Kopf in eine andere Richtung. Aufgeregt und begeistert schaute er dann aber gleich wieder das Schmuckstück an, das nach wie vor hell leuchtete. »Das war plötzlich so, als ich es mir hier noch einmal angeschaut habe. Je näher wir dem Meer sind, desto heller leuchtet es. Auf dem Dorfplatz ist davon gar nichts zu sehen, aber hier umso mehr. Wir haben überlegt, ob es vielleicht Magie anzeigt. Und die könnte ja am Meer vielleicht größer sein als auf dem Land«, überlegte Anwar voller Begeisterung und hielt Zachary den Stein hin. Der griff langsam danach, doch als er den Stein berührte, war ihm so, als hätte er seine Hand um ein glühendes Stück Metall direkt aus dem Feuer geschlossen. Mit einem Aufschrei ließ er es sofort wieder los und sprang erschrocken auf. »Was ist?« Auch Danai sprang auf und schaute ihn alarmiert an. »Es ist glühend heiß!«, rief Zachary und starrte auf das Schmuckstück. Anwar runzelte verwundert die Stirn. »Nein, ist es nicht. Es ist nicht einmal besonders warm«, meinte er und nahm es wieder in die Hand. »Glaub mir, in meinen Händen war es glühend heiß«, beschwor der junge Halbdämon und letzte sich langsam und zögernd wieder hin. »Versteh ich nicht, ich fand es auch nicht heiß«, überlegte Danai verwundert, doch Zachary war gedanklich schon ein bisschen weiter, denn er überlegte schon, ob Anwar mit seinen Überlegungen recht haben könnte. »Es kann nicht sein, das der Stein Magie anzeigt, denn sonst müsste er es in Danais Händen auch tun und auch bei Tehiyok«, meinte er. »Stimmt auch wieder, aber warum sollte er sonst glühen?«, überlegte die Halbelbe. »Ich weiß es nicht.« Zachary nahm das Buch zur Hand und betrachtete das Bild nachdenklich. »Wenn ich nur wüsste, das dort steht. Vielleicht hilft uns das weiter.« »Glaub ich nicht, das ist doch ganz offensichtlich ein Märchenbuch«, mischte sich Tehiyok ein. »Stimmt«, nickte auch Anwar, doch Zachary runzelte nachdenklich die Stirn. »Nein, glaube ich nicht. Warum hätte es mir Azra dann bringen sollen? Wenn ich Märchen lesen soll, dann habe ich genug davon zu Hause. Außerdem sehen die Bilder nicht aus wie Illustrationen sondern eher wie Ergänzungen«, fand er. »Worum wiederum du recht hast. Aber warum sollte er dir ein Buch bringen, das du sowieso nicht lesen kannst? Wir drehen uns im Kreis, irgendein Puzzelstück fehlt uns«, überlegte Danai. »Wenn wir es nur hätten. Vielleicht hat er ja einfach nicht gewusst, dass ich es nicht kann. Vielleicht ist er davon ausgegangen, dass diese seltsame Schrift kein Problem für mich ist. Oder ich soll jemand suchen, der es versteht«, meinte Zachary nachdenklich. Dann verschwuschlte er sich energisch das Haar und schüttelte entschieden den Kopf. »So kommen wir nicht weiter, was tun wir?«, murrte er unwillig. »Warum sprecht ihr den Wolf, als wäre er ein Mensch?«, mischte sich da Tehiyok ein. »Weil es ein unheimlich kluger Wolf ist«, antwortete Danai knapp und ohne weitere Erklärungen. Der Händlersohn fragte auch nicht weiter. Stattdessen stand Zachary aber wieder auf. »Ich geh ihn holen«, meinte er, wandte sich um und sprang zum Strand hinab. »Glaubst du wirklich, das uns das weiterbringt?«, fragte Anwar zweifelnd. »Nein, aber dann weiß er zumindest, was für ein Kopfzerbrechen er uns mit diesem vermaledeiten Buch bereitet«, knurrte der junge Halbdämon zur Antwort. »Das bringt uns aber trotzdem nicht weiter«, schlug sich Danai auf Anwars Seite. Zachary ließ sich genervt in den Sand fallen. »Ich weiß, ja, aber was sollen wir sonst tun?«, wollte er wissen. »Nach Hause gehen und eine Nacht darüber schlafen«, kommentierte Tehiyok, stand auf, sprang neben Zachary in den Sand und ging in Richtung Dorfplatz davon. »Endlich ist er weg«, meinte der, stand auf und kletterte wieder auf den Felsen zurück. »Warum das?«, fragte Danai sogleich neugierig, neigte sich weiter vor, damit sie kein Wort von dem verpasste, was Zachary zu sagen hatte. Der blickte sich noch einmal um, um sicher zu gehen, das auch wirklich niemand in der Nähe war, lauschte einen Augenblick und erklärte dann: »Mein Vater hat mich ja eben aufgehalten. Er hat mir erzählt, das ich früher nicht in der Dämonensprache sprechen konnte.« Danai und Anwar starrte ihn aus großen Augen an, nur langsam begriffen sie, was das genau bedeutete. »Warte, das heißt, das du das Buch vielleicht bald lesen kannst?«, fragte der junge Mann begeistert. »Die Idee liegt nahe. Ich vermute es auch«, nickte Zachary mit breitem Grinsen. »Aber warum wolltest du das nicht vor Tehiyok erzählen?«, erkundigte sich Danai. »Weil mein Vater deutlich gemacht hat, das es unklug wäre, es überall herum zu erzählen. Meine Beliebtheit bei den Erwachsenen ist auch so schon nicht gerade gestiegen«, erklärte er leichthin. »Um ehrlich zu sein, nicht nur bei den Erwachsenen. Unsere lieben Klassenkameraden haben mittlerweile eine Heidenangst vor dir«, meinte nun auch Anwar. »Obwohl sie dich schon von klein auf kennen und wissen, das du keiner Fliege etwas zuleide tun kannst?«, fragte Danai mit großen Augen. Als Neue und dann auch noch als halbe Meerjungfrau wurde sie von Anfang an von den Dorfkindern auf ziemlich deutliche Art und Weise ausgeschlossen, so hatte sie kaum Kontakt zu ihnen. Und so war sie auch wirklich Überrascht über Anwars Worte. »Ja. Weile ihre Eltern langsam angst bekommen. Sie übernehmen diese Angst, obwohl sie nur ein bisschen nachdenken müssten um zu begreifen, wie dumm sie ist. Sie sind wie Schafe, eines gerät in Panik und alle anderen denken sogleich, der Wolf sitzt unter ihnen«, antwortete der achselzuckend. »Selber zu überlegen ist viel zu anstrengend. Sie tun es ja auch bei dir nicht.« »Tja, so sind sie eben. Ich meine, das sie mich fürchten kann ich ja noch halbwegs verstehen, Dämonen haben ja von jeher keinen besonders guten Ruf, aber Meerjungfrauen sind nun wirklich nicht für ihre Bösartigkeit bekannt«, seufzte Zachary. »Deswegen ja. Sie urteilen, bevor sie auch nur eine Sekunde richtig nachgedacht haben, nur weil ihre Eltern das genauso handhaben«, nickte Anwar. Alle drei seufzten, hingen noch einen Moment ihren Gedanken nach, waren dann jedoch wieder voll bei der Sache. »Ich will es lesen«, murrte Zachary unwillig und betrachtete das Buch. »Vielleicht kannst du es ja in einer Woche oder zwei«, meinte Danai nachdenklich, dann stand sie auf. »Aber Tehiyok hat rech, es bringt nichts, wenn wir hier noch lange herumsitzen, das gibt nur ärger wenn unsere Eltern das mitkriegen.« Anwar und Zachary nickten, standen auf. »Lasst uns schlafen gehen«, meinte Ersterer. »Morgen früh überlegen wir weiter.« »Bis dahin wird uns das Buch und sein Geheimnis gewiss nicht davonlaufen«, nickte Danai. »Denn in einer einzigen Nacht geht die Welt bestimmt nicht unter, wie mein Vater vorhin so schön meinte«, lachte Zachary. Gemeinsam sprangen sie in den Sand hinab, dann gingen sie zurück zum Dorf. Aus dem Dorfplatz verabschiedeten sie sich voneinander. Zachary huschte wieder zum Haus ein wenig Abseits der anderen, nahm Anlauf und sprang zum Fenster hoch, wo er sich umständlich hindurch zog. Dabei zerkratzte er die Hauswand, doch das würde er wie immer auf Azra schieben. Der bekam wegen so etwas keinen Ärger. Er zündete eine Kerze an und sah sogleich den Teller mit seinem ausgelassenen Abendessen auf dem Schreibtisch stehen. Daneben lag ein Zettel, auf dem einige Worte in der feinen Handschrift seiner Mutter standen. Er nahm ihn zur Hand und las: Damit du nach deinen nächtlichen Ausflug nicht ohne Abendessen ins Bett musst. Zachary seufzte glücklich, as schnell auf. Dann entledigte er sich seiner wenigen Kleider und legte sich mit dem glücken Gefühl des Willkommenseins ins Bett zu Azra. Binnen weniger Sekunden war er eingeschlafen. Kapitel 3: Die Höhle -------------------- Zachary lag bäuchlings auf seinem Bett und blätterte mal wieder durch das Dämonenbuch. Er seufzte tief, vergrub sei Gesicht im Kissen und ließ es fallen. »Was sollte das Azra. Ich versteh es einfach nicht, warum um alles in der Welt hast du es mir nur gebracht?«, brummte er unwillig. Der Wolf blickte zu ihm auf, schien zu seufzen, stand dann auf und ging zur Tür. »Ich habe keine Lust jetzt mit dir raus zugehen. Falls du es noch nicht bemerkt haben solltest, ich bin von dir ziemlich genervt, weil du mir dieses unlösbare Rätsel aufgegeben hast«, knurrte der junge Halbdämon unwirsch, doch der schwarze Wolf ließ nicht locker. Er kam zum Bett zurück, zog an Zacharys Hose und lief dann wieder zur Tür. »Verkneif es dir«, war die bissige Antwort. Der Wolf ließ ein merkwürdiges Bellen hören, sprang an der Tür hoch und begann daran herumzukratzen. Zachary ignorierte es einfach, wälzte sich stattdessen auf den Rücken und nahm wieder das Buch zur Hand. Noch einmal schaute er sich das Bild des Anhängers an. Das hatte er mittlerweile so oft getan, dass er es wohl mittlerweile auswendig Nachzeichen konnte, doch er wusste einfach nicht, was er stattdessen tun konnte. Azra schien jedoch zur Ansicht gekommen zu sein, das man ihn eben mit etwas mehr Nachdruck dazu bewegen musste, das er sich aus dem Bett erhob und mit ihm nach draußen ging, denn der Wolf machte einen riesigen Satz, einmal quer durch den Raum und landete gezielt auf Zacharys Brust. Dem wurde so nachdrücklich die Luft aus den Lungen getrieben, dass er im ersten Augenblick nicht einmal fluchen konnte, sondern nur röchelte und keuchte. Im zweiten Augenblick aber griff er den Wolf unsanft im Nacken und zog ihn unsanft von seiner Brust, sprang dann selbst wütend auf und blitzte das schwarze Tier an. »Ich kenne da jemanden, der heute Nacht draußen schlafen wird, und das bin nicht ich«, knurrte er den Wolf an. Der zeigte sich davon gänzlich Unbeeindruck, sprang stattdessen vom Bett, schnappte sich ein Stück von Zachary Hemd und zog ihn ohne viel Federlesen zur Tür hin. Dort schaute er den jungen Halbdämonen auffordernd an. »Du wolltest die ganze Zeit nur, das ich mitkomme?«, fragte der misstrauisch. Der Wolf schaute ihn auf eine Art und Weise an, als wollte er sagen: Endlich hast du’s begriffen, das hat ja auch lang genug gedauert! Wieder ein wenig schlechter gelaunt öffnete Zachary die Tür, rammte sie dabei dem Wolf fast in die Seite. Gemeinsam verließen sie das Haus. Das schwarze Tier lief sogleich zielgerichtet zum Wald und Zachary folgte ihm brav, sah sich dabei jedoch immer wieder unsicher um, denn wenn irgendjemand sah, wie er in den Wald lief und seinen Eltern davon erzählte, dann würde es ein riesiges Donnerwetter geben. Der Wald war für die Kinder ein absolutes Tabu, ganz gleich, was auch geschah. Der junge Halbdämon schien jedoch glück zu haben, er tauchte zwischen den Baumreihen unter, ohne das irgendwer ihn gesehen zu haben schien. Er folgte Azra weiter, der einige Meter vor ihm herlief und sich dabei immer wieder zu ihm umwandte, also wollte er sehen, ob er ihm auch wirklich folgte. Auf diese Art und Weise liefen sie einige Zeit dahin, bis Zachary langsam der Gedanke kam, das ihr Ziel das Herz des Waldes sein könnte. Kaum hatte dieser Gedanke in ihm Gestalt angenommen, da blieb er sogleich abrupt stehen. »Azra, wo führst du mich hin? Langsam wird es wirklich gefährlich, ein wahres Wunder, das wir noch keinem der Waldungeheuer begegnet sind«, flüsterte er leise. Sie werden nicht kommen, sie haben mehr angst vor dir, als du jemals vor ihnen haben könntest. Außerdem sind wir fast da , antwortete der Wolf. Nun blinzelte Zachary verwundert, für einen Moment meinte er gar, dass er es sich bloß einbildete, denn Wölfe konnten ja bekannter weise nicht sprechen. Und doch, er wusste, das Azra wirklich mit ihm sprach. Das war schon zweimal geschehen, doch beide Male hatte er in großer Not gesteckt. Eingesperrt in einer Höhle aus Eis und in eine Schlucht gefallen, und beide Male war er sich nicht sicher gewesen. Wer glaubte auch schon an einen sprechenden Wolf? Doch irgendwie beunruhigte es ihn nicht, er spürte, dass alles so seine Richtigkeit hatte. Das war vermutlich sein dämonisches Erbe, der Instinkt seiner Vorfahren, doch sicher war er sich nicht. Er folgte dem Wolf einfach nur. Schon einige Minuten später standen sie auf einer kleinen Lichtung in dessen Mitte ein großer Felsen stand. In diesen Felsen hinein führte eine Art Höhle. Azra lief zielstrebig hinein, doch Zachary zögerte einen Moment lang. »Was soll ich hier, Azra? Ich möchte dir nicht dort hinab folgen. Wer weiß, was dort alles in der Dunkelheit lauert«, meinte er, doch er spürte sogleich, das es nicht vie Möglichkeit eines riesigen Ungeheuers war, das ihn zaudern ließ. Hab keine angst, dort unten ist keiner mehr. Zumindest niemand, vor dem du dich fürchten müsstest , antwortete der Wolf, kam zu ihm zurück und drückte sich beruhigend an seine Beine. Zachary schaute zu dem Felsen hinüber, schluckte schwer und ging dann langsam hin. »Wir können aber nicht lange dort unten bleiben, der Weg hierher war weit und wir müssen aus dem Wald raus, bevor es dunkel wird, sonst müssen wir die ganze Nacht hier verbringen«, erklärte er und erwähnte dabei die Besonderheit des Waldes. Selbst wenn man nur einen Schritt vom Waldrand entfernt war, so konnte man ihn nicht sehen und auch nicht den letzten Schritt tun, solange die Sonne nicht ausgegangen war. Der Weg zum Waldrand ist nicht so weit, wie er schien. Wir sind nur ein paar Meter entfernt. Wir sind nur an seinem Rand entlang gegangen , antwortete der Wolf. »Und warum sind wir dann durch den Wald gelaufen, wenn wir außen hätten herumgehen können?«, wollte der junge Halbdämon wissen. Weil es weniger auffällig ist. Wenn du schnell im Wald verschwindest und dich dabei niemand sieht, dann wird auch keiner erfahren, dass du hier warst. Wenn die dich allerdings so lange am Waldrand herumdrückst, dann wird es nicht nur irgendwer bemerken, sondern er wird sich auch denken können, wohin du möchtest. Und das wollen wir beide nicht. Komm jetzt , erklärte der Wolf und verschwand in der Höhle. Zachary schluckte, folgte ihm dann aber. Er hatte erwartet, das undurchdringliche Dunkelheit über ihn hereinbrechen würde, doch um ihn herum schimmerte es überall grün und blau. »Ist das Leuchtmoos?«, fragte er, nachdem er sich eine dieser leuchtenden Stellen genauer betrachtet hatte. Der Wolf nickte, blieb aber nicht stehen und der junge Halbdämon beeilte sich, ihm zu folgen. Sie liefen auch jetzt wieder eine ganze Weile einen Weg entlang, der leicht nach unten geneigt war. Doch irgendwann musste jeder Weg einmal enden und so kamen sie bald in eine riesige Höhle. Sie war so riesig, das es Zachary erst einmal gründlich die Sprache verschlug. Er stand nur da und starrte. Sie war nur schwach vom Moos beleuchtet. Es wuchs überall, doch der junge Halbdämon wusste, dass er das gegenüberliegende Ende auch dann nicht gesehen hätte, wäre es Taghell gewesen. Die Halle war so riesig, das er einen ganzen Tag gebraucht hätte, um das gegenüberliegende Ende zu erreichen, vermutlich sogar länger. »Wo sind wir hier?«, flüsterte er leise, machte einige Schritte und drehte sich dann noch einmal staunend im Kreis, während er sich neugierig umschaute. Das hier war einst eine alte Zwergenstadt, aber sie wurde schon lange aufgegeben. Noch vor dem großen Krieg um genau zu sein , antwortete Azra und setzte sich wieder in Bewegung. Mit großen Augen folgte ihm Zachary. »Was für ein großer Krieg?«, wollte er wissen. Der große Krieg, bei dem sich die Dämonen endgültig von den anderen Völkern schieden , erklärte das schwarze Tier, doch das half dem jungen Halbdämon auch nicht wirklich weiter. »Meinst du den Krieg zum Beginn der Welt?«, fragte er verwirrt. Nein. Aber es wundert mich auch nicht wirklich, das du nie davon gehört hast, dazu bist zu schlicht zu jung. Auch die meisten alten Menschen haben schon lange die Vergangenheit vergessen, für sie gab es nichts vor ihrem Krieg. Obwohl natürlich auch davor schon Menschen lebten, doch das haben sie einfach vergessen. Damals dachte man über die Dämonen anders. Man wusste noch, das sie nicht sind, was andere in ihnen zu sehen glauben. Azra seufzte. »Erzählst du mir die Geschichte?«, bat Zachary. Natürlich. Sie ist wichtig um zu verstehen. Aber nicht jetzt. »Wann dann?« Wenn es an der Zeit ist. Und glaube mir, du wirst der Erste sein, der erfährt, wann das sein wird, Zachary. »Wirst du ab jetzt immer mit mir sprechen?« Das tue ich. Immer schon. Du bist es, der mich nicht versteht. »Und warum habe ich dich damals in der Eishöhle verstanden? Und in der Schlucht? Und warum auch jetzt wieder?« Weil du damals Zuspruch brauchtest, egal von wem. Und heute, weil es einiges gibt, das ich dir erklären muss. Und weil dies hier ein ganz besonderer Ort ist. Obwohl seit Jahren verlassen, ist er immer noch durchzogen von Magie. Wäre es anders, wäre diese Höhle schon längst zerfallen. Zachary schaute traurig zu Boden. »Azra, warum stirbt die Magie?« Weil der Bund der Steine zerbricht. Man muss ihn erneuern, niemand weiß, was sonst geschehen wird. Nicht einmal ich. »Der Bund der Steine? Du redest doch nicht gerade wirklich von den Steinen der acht großen Mächte?«, lachte der junge Halbdämon. Doch, genau die meine ich. »Aber das ist eine Geschichte, ein Märchen. Sie existieren nicht, das weiß jedes Kind.« Oh doch, Zachary. Sie existieren. Seit Jahrtausenden schon, seit Anbeginn der Welt, wie sie heute ist. Ich habe sie gesehen, ich habe ihre unheimliche Macht gespürt. Doch die Völker haben sie vergessen. Heute sind sie nur noch Legende. Vieles, was einst wahr gewesen ist, ist heute nur noch ein Märchen. Das geschieht im Laufe der Zeit, weil die Zeit vergessen macht. Das soll sie auch, das ist ihre Aufgabe. Und doch, ich vergesse nicht. Eine Weile liefen sie schweigend dahin, dann fragte Zachary leise: »Azra, wie alt bist du eigentlich?« Alt. Sehr alt. Ich weiß es selbst nicht mehr genau. Irgendwann hörst du auf, die Generationen zu zählen, die du kommen und gehen gesehen hast. Irgendwann zählst du auch nicht mehr die Völker, die du kommen, aufsteigen, fallen und vergehen siehst. »Warum bist du hier? Warum bleibst du bei mir?« Weil es meine Aufgabe ist. »Kannst du sie nicht einfach jemand anderem übertragen? Wenn man so lange gelebt hat, dann muss das Leben doch langsam… nun ja, langweilig werden? Du hast doch bestimmt schon so viele Menschen getroffen, es gibt doch sicherlich nichts mehr, was dich verwundern oder überraschen könnte. Warum also begleitest du mich bei meinem langweiligen Leben?« In gewisser Weise hast du recht. Es hat lange niemanden mehr gegeben, den zu studieren es sich lohnte. Und doch, ich treffe manchmal, ganz selten nur, auf jene, die anders sind, als alle vor ihnen. Und für diese Wenigen lohnt es sich, meine Aufgabe weiter zu erfüllen. Zumal ich sie auch nicht abgeben kann. Ich muss sie erfüllen, da habe ich keine Wahl. »Bin ich einer von denen, die so wie alle anderen auch sind, oder bin ich einer von den wenigen?« Zachary, du bist einzigartig. Du bist mehr als jeder andere vor dir einer von den wenigen. Und deine Zukunft wird dich noch einzigartiger machen. »Meine Zukunft? Du kennst meine Zukunft?« Nein. Ich weiß, was sein könnte, aber es liegt einzig in deiner Hand, was du tun wirst. Es gibt kein vorgeschriebenes Schicksal. Zachary seufzte. »Warum sind wir eigentlich hergekommen?«, fragte er, doch Azra antwortete darauf nicht mehr, stattdessen blieb er stehen. Der junge Halbdämon tat es ihm gleich, drehte sich einmal im Kreis um nach etwas besonderem Ausschau zu halten, doch da war nichts. Der Teil der Halle unterschied sich in keiner Weise von dem Rest, außer vielleicht die Kleinigkeit, das es von hier aus den Eingang nicht mehr erkennen konnte. Azra jedoch schien hier etwas zu sehen, was ihm vorborgen blieb, denn der Wolf wirkte auf unbestimmte Art und Weise zufrieden. »Sind wir da?«, erkundigte sich Zachary. Nein. Der junge Halbdämon gab einen unwilligen Laut von sich. »Und warum sind wir dann stehen geblieben?«, wollte er wissen. Deswegen. Zachary knurrte unwillig angesichts dieser völlig überflüssigen Antworten. »Dann lass uns weitergehen.« Gleich. Azra lief kreuz und quer um den jungen Halbdämon herum, es wirkte ein wenig, als würde er etwas suchen. Dann schien er es gefunden zu haben, denn er ging weiter, diesmal jedoch in eine andere Richtung. Nicht mehr weit , sagte er leise. Zachary nickte, wirkte aber nicht mehr so wirklich davon überzeugt. Dafür hatte er diese Antwort schon zu oft bekommen, um dann doch noch ein ganzes Stück weiterlaufen zu müssen. Doch es schien, als hätte der schwarze Wolf es diesmal nicht nur einfach so gesagt, denn aus der dunstigen Dunkelheit schien eine steinerne Wand aufzutauchen. Sogleich wusste der junge Halbdämon, dass sie das Ziel sein würde, und es war definitiv nicht mehr fern. Je näher er kam, desto bewusster wurde es ihm auch, das es sich nicht um eine Wand handelte, sondern um eine Art steinerner Tafel, auf der etwas geschrieben stand. Zachary beschleunigte seinen Schritt. Vor der Tafel blieb er stehen und strich über den Stein, der über und über mit seltsamen Zeichen bedeckt war. Einige waren ihm völlig fremd, andere wiederum schienen ihm seltsam vertraut. »Was sind das für Zeichen?«, wollte er von Azra wissen, fuhr dabei prüfend die Linien einer einzelnen Rune entlang. Eine ganz besondere Schrift. Die haben die Zwerge und die Dämonen verwendet, wenn sie einander etwas mitzuteilen hatten. Sie besteht sowohl aus Elementen der Zwergenschrift, als auch aus Zeichen der Dämonenschrift. Sie wurde gebraucht, weil man die Dämonenschrift nicht lernen kann, man kann sie einfach. Aber auch die Dämonen waren nicht in der Lage, die Zwergenschriften zu erlernen, aus denselben Gründen. Es ist ein Instinkt, tief in ihrem Sein verborgen, das es ihnen ermöglicht, zu schreiben. Das verhindert zugleich aber auch das Erlernen fremder Schriften. Diese Mischung wiederum verstanden beide Völker. »Und… warum hast du mich hierher gebracht?«, erkundigte sich Zachary ein wenig enttäuscht. Er hatte etwas Besonderes erwartet, jetzt schon wieder vor etwas zu stehen, was er nicht verstehen konnte, frustrierte ihn. Die Menschen haben große Teile der Zwergenschrift übernommen. Es ist im Prinzip so, als hätte man die Schrift, die du bei den Menschen gelernt hast, mit der Schrift der Dämonen kombiniert. Du müsstest es eigentlich lesen können, da bin ich mir ziemlich sicher. Und es wird dir helfen, die Sprache der Dämonen zu verstehen , erklärte Azra und schien dabei nachsichtig zu lächeln. »Ich kann es lesen?«, hakte der junge Halbdämon misstrauisch nach, betrachtete dann wieder den Stein und tatsächlich: Vorher hatte er die Zeichen, so vertraut sie ihm auch schienen, nur einen flüchtigen Blick zukommen lassen, nun, als er sich auf ihren Sinn konzentrierte, hatte er tatsächlich das Gefühl zu verstehen worum es ging. Je mehr er las, desto klarer wurde es ihm. »Ich kann es wirklich lesen. Aber warum soll mir das helfen, die Dämonensprache zu lernen?«, erkundigte er sich. Dämonen lernen das Sprechen und Schreiben nicht wie die Menschen. Das brauchen sie auch nicht, genauso wie sie von Natur aus irgendwann lernen, wozu ihre Augen, Ohren und Zähne gut sind, verstehen sie, wozu die Zeichen und Worte gebraucht werden. Deine dämonische Natur ist mittlerweile so ausgeprägt, das du in der Lage bist, die Worte zu Nutzen, aber deine menschliche Natur verhindert, das du auch ihren Sinn begreifst. Diese Tafel jedoch, weil sie aus Teilen beider Schriften besteht, ist beiden Teilen deiner Natur zugänglich. Man könnte sagen, dass du unbewusst lernst, wie es dir gelingt, deine beiden so gegensätzlichen Wesenszüge harmonisch nebeneinander her existieren zu lassen. »Weil ich auf die Tafel schaue?«, zweifelte Zachary. Ich weiß selber nicht ganz genau wie es funktioniert , räumte der schwarze Wolf mit einem schiefen Grinsen ein, aber es ist so. Oder besser, es müsste so sein, wenn deine dämonische Natur nicht völlig von deiner menschlichen Seite überlagert wurde. Es hat alles immer damit zu tun, zwei Gegensätze in ein Gleichgewicht zu bringen. Damit sie sich nicht stören, sondern ergänzen. Der junge Halbdämon wirkte einen Moment lang alles andere als überzeugt, dann zuckte er jedoch mit den Achseln. »Schaden kann es ja nicht, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, das es so einfach sein soll.« Die Gesetze der Natur zu verstehen ist niemals einfach. Zumal sie sich nicht darum schert ob das, was sie tut, irgendeinen Sinn ergibt. Versuch es einfach, dann wissen wir es sicher , meinte Azra leichthin. »Aber einiges verstehe ich nicht so ganz. Mein Vater sagte, dass ich früher die Dämonenschrift nicht lesen konnte. Das bedeutet doch, dass ich sie schon einmal gesehen habe, aber hatte es keinen Einfluss auf mich. Und die Menschenschrift zu lesen ist mir auch nie wirklich schwer gefallen, aber eigentlich müsste doch meine dämonische Seite mir das Ganze ein wenig erschweren«, überlegte der junge Halbdämon. Im Prinzip hast du recht, aber damals warst du viel jünger als jetzt. Weißt du, je älter du wirst, desto mehr Eigenschaften deiner väterlichen Seite treten hervor. Damals warst du im Prinzip ein Mensch im Körper eines Mischwesens, heute dagegen bist du auch im Geiste der Halbdämon. Wenn du einfach nur lange genug wartest und nichts dagegen tust, wird irgendwann deine dämonische Seite mächtiger als dein menschliches Erbe, dann könntest du die Menschenschrift nicht mehr so leicht lesen, dafür aber wäre die Dämonenschrift kein Problem, allerdings denke ich nicht, dass das so klug wäre. Es bringt dir mehr Vorteile, wenn du versuchst, beide Seiten deines Erbes in einem Gleichgewicht zu halten, so wie es sich gerade langsam einstellt. »Also hätte ich das Buch irgendwann von selbst lesen können? Wenn ich einfach nur etwas älter wäre?«, hakte Zachary noch einmal nach. Genau so ist es. Der junge Halbdämon schüttelte mit gerümpfter Nase den Kopf. »Das wird immer komplizierter. Dämonen sind ein seltsames Volk. Aber bedeutet das nicht auch, dass die Dorfbewohner recht haben? Das ich irgendwann auch zu einer regelrechten Bestie geworden wäre?« Nein , kicherte Azra. Dämonen sind keine Bestien. Ich habe viele von ihnen gekannt und ich versichere dir, sie sind den Menschen in ihrem Verhalten schon geradezu unheimlich ähnlich. Deine bloße Existenz ist nicht zuletzt ein Beweis dafür, oder glaubst du, dass deine Mutter so sehr um dein Wohl bedacht wäre, wäre sie von deinem Vater zu irgendetwas gezwungen worden? Zachary schwieg dazu. Es erschien ihm seltsam über Eltern zu sprechen, die er nie kennen gelernt hatte, von denen er nicht einmal den Namen kannte. Für ihn waren immer Suzanne und Charles seine Eltern gewesen und er wusste, dass es auch immer so bleiben würde. Über seine richtigen Eltern zu sprechen empfand er immer als seltsam, fast schon als falsch, deswegen vermied er es. »Warum hast du mir eigentlich das Buch gebracht?«, wechselte er das Thema, bevor Azra weitersprach und ihn somit zwang, sich einmal wirklich mit dem Thema auseinander zu setzen. Damit du es liest natürlich , lächelte der Wolf. Ein Blitzen in seinen Augen machte deutlich, das er den Themawechsel sehr wohl durchschaute, aber er beließ es dabei. »Das ist mir auch klar, aber warum soll ich es denn lesen?« Damit du die Möglichkeit hast, dein Schicksal selbst zu bestimmen. Lies es, dann wirst es verstehen. Vielleicht. Zachary seufzte, nickt dann aber. »Worum geht es eigentlich in dem Text auf der Steintafel? Ich habe nur das Stück direkt vor meiner Nase gelesen und da ging es nicht draus hervor«, erklärte er dann. Es ist ein Friedensvertrag. Geknüpft zwischen einem der erste Dämonenkönige und einem der letzten Zwergenherrscher. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, dass es sogar der Allerletzte gewesen sein kann. Mit ihm sind die Zwerge langsam aber sicher verschwunden. In dem Vertrag selbst steht im Prinzip, das die Völker einander in Notzeiten, also bei Hungersnöten, bei Überflutungen oder heftigen Stürmen und dergleichen, helfen. Auch im Kriegsfall. »Und die Dämonen haben dem tatsächlich zugestimmt? Ich meine, sie selbst sind es doch, die die Kriege führen.« Zachary schon einfach ganz weit von sich, das auch er diesem Volk angehörte. Unter Ares’ Führung, das ist richtig. Das ist nicht immer so gewesen, wie ich eben schon erwähnte, die Menschen und die Dämonen sind einander sehr ähnlich, nicht zuletzt in diesen Punkten. Zudem wurde der Vertrag vor dem großen Krieg geschlossen, erst danach haben sich Dämonen von den anderen Völkern losgesagt, auch das muss man hier bedenken. »Ist Ares der Dämonenkönig?« Nein. Ares will es zwar sein, aber er ist es nicht. Er wird es auch niemals sein. Der wahre Dämonenkönig hat seinen Thron nie bestiegen. Es liegt in deiner Hand, ob er es jemals tun wird, Zachary. »Wieso in meiner Hand? Ich hatte jetzt eigentlich nicht vor, für einen Unbekannten in den Krieg zu ziehen, vor allem nicht, wenn der Gegner scheinbar, obwohl nicht selbst der Dämonenkönig, dennoch aber ein mächtiger Dämonenherr ist«, antwortete der junge Halbdämon und rümpfte die Nase. Das brauchst du auch nicht. Im Gegenteil, im Kriegsfall wären die Dämonen in nahezu jedem erdenklichen Fall überlegen. Auch wenn ich ihn nicht ausstehen kann, so muss ich dennoch zugeben, dass Ares ein hervorragender Kriegsherr ist, der seine Truppen sinnvoll einzusetzen weiß. Aber es wäre durchaus möglich, das du allein mit deinem Handeln, mit einer einzigen Entscheidung den Ausschlag gibst, ob der wahre Dämonenkönig in sein Reich einkehren und seinen Onkel vom Thron stoßen kann, oder eben nicht. »Sein Onkel? Aber dann ist doch der Vater des wahren Dämonenkönigs der Bruder von Ares gewesen. Dann hat er doch durchaus das Recht auf den Thron«, fand Zachary. Unter den Menschen vielleicht, aber unter den Dämonen ist der wahre Herrscher nur das erstgeborene Kind, niemals ein anderer. Und Ares ist nicht der Erstgeborene. Er selbst hat seinen älteren Bruder getötet, dafür gesorgt, dass sein Neffe flüchten musste und dann den Thron an sich gerissen. Er hat viele Anhänger, deswegen hat sich bisher kaum einer getraut, offen gegen ihn zu rebellieren. Die wenigen, die es wagten, sind alle gestorben. Nur im Untergrund gibt es noch Widerständler. Und warum hilft der wahre Dämonenkönig ihnen nicht? Warum stößt er nicht zu ihnen und leistet zumindest moralischen Beistand?« Der junge Halbdämon runzelte verstimmt die Stirn. Er kann es nicht. »Wird er gefangen gehalten?« So ähnlich, ja. Zachary dachte einen Augenblick lang darüber nach. »Du sagtest, du kennst Ares. Woher?«, fragte er dann und schaute zum Wolf hinab. Ich habe einst in seinem Haus gelebt. Ich habe eine zeitlang seinen Vater begleitet. Und danach Ares Bruder. Der Prinz, der starb, bevor er König wurde. Der Ewige Prinz. Sie nennen sie ihn. Keiner wagt es, seinen Namen auszusprechen, denn das wird hart bestraft. »Warum bist du dann bei mir und nicht beim wahren König?«, erkundigte sich der junge Halbdämon weiter. Ich weiß nicht… Ich denke, weil ich wusste, dass du es sein würdest, der die Schlüsselrolle innehaben wird, nicht er. Aber so genau weiß ich es nicht. Ich habe mich nach dem Tod von Ares Bruder einfach deiner Mutter angeschlossen und ihr so gut geholfen, wie es irgend möglich war. »Als eine Art Ausgleich dafür, dass du dem König nicht helfen konntest?« Ja, vielleicht. »Aber meiner Mutter hat doch keine Gefahr gedroht, als sie hierher kam. Du hättest seinen Sohn beschützen sollen, damit er nicht gefangen genommen wird«, fand Zachary sogleich. Oh, sie war mehr in Gefahr, als du meinst. Es war bekannt, das ihr Kind ein halber Dämon sein würde und Dämonen hassen Halbdämonen mehr, als alles andere. Sie wollten dich töten, also war auch sie in großer Gefahr. Und dem jungen König hätte ich sowieso nicht helfen können. Mit deinem Tod hätte ich ihm aber jegliche Chance genommen, überhaupt jemals den Thron zu besteigen. »Aber wenn die Dämonen mich so sehr hassen, warum sind sie meiner Mutter nicht gefolgt oder haben irgendwie anders versuch herauszufinden, wo ich bin? Sie hätten mich trotzdem noch erwischen können.« Zachary war sich ziemlich sicher, das Azra darauf nun keine zufrieden stellende Antwort haben würde, doch der schwarze Wolf belehrte ihn eines Besseren. Weil sie nichts von diesem Dorf hier wissen. Auf dem Weg hierher lief deine Mutter in einen Hinterhalt, ohne das ich es verhindern konnte. Dabei wurde sie schwer verletzt. Die Dämonen dachten, sie würde sowieso irgendwo in der Wildnis sterben und somit auch ihr ungeborenes Kind. Sie wussten schlicht und ergreifend nicht, das sie diesem kleinen Dorf schon so unendlich nahe waren, und somit eben auch deiner Rettung. »Und warum schickt Ares nicht irgendwelche Männer aus, um den gefangenen König zu töten? Er könnte nicht einmal flüchten. Er gibt dem König damit doch eine riesige Chance, dass er irgendwann einmal entkommen und sich gegen ihn erheben kann. Wenn er allerdings tot wäre, gäbe es das Problem doch gar nicht«, fand Zachary. Ares’ Männer sind zu faul, um genau zu recherchieren, aber auch zu klug, um das Ares gegenüber zuzugeben. Sie haben Ares berichtet, dass der junge König tot sei, obwohl sie es nicht sicher wussten. Ares weiß somit wieder von deinem leben, noch von dem des jungen Königs. »Und warum ist er dann eingesperrt? Woher weißt du das eigentlich alles, du warst doch immer bei mir, aber vieles davon ist erst nach meiner Geburt geschehen«, merkte der junge Halbdämon an. Ich weiß nicht, warum er eingesperrt ist, ich weiß nur, dass es so ist. Und diese ganzen Informationen habe ich von den Vögeln. Sie bringen mit häufig Informationen zu dem, was in der Welt geschieht. Sonst würde auch ich hier sitzen und im Dunkeln tappen. Zachary seufzte, gewahr dann den Eingang der Höhle. Sie waren fast wieder im Wald. »Azra, wie weit von diesem Ort entfernt werde ich dich noch verstehen können?«, fragte er bedrückt. Die Magie, selbst hier, ist nur noch schwach. Sie reicht nicht weit. Wenn du nicht lernst, genau hinzuhören, wirst du mich im Dorf und der Umgebung nicht mehr hören können. »Können wir dann öfter hierher kommen? Ich möchte noch so vieles von dir erfahren«, bat der junge Halbdämon. Das müssen wir sogar. Wenn du das Buch gelesen hast, werde ich dir einiges erklären müssen zu dem, was dort geschrieben steht. Und ich muss dir auch noch von dem großen Krieg erzählen. Zachary nickte, schaute einen Moment lang still und nachdenklich vor sich hin, dann gab er sich sichtlich einen Ruck. »Azra, du hast erzählt, das die Steine wirklich existieren. Und das man den Bund zwischen ihnen erneuern müsste, damit die Magie nicht mehr weiter stirbt und somit die Welt nicht untergeht«, begann er. So drastisch habe ich es nicht formuliert. Ich sagte, ich wüsste nicht, was dann geschieht und das ist die Wahrheit. Ich weiß es nicht. »Von mir aus auch so. Nun, was ich eigentlich sagen will ist… was wäre, wenn jemand die Steine suchen gehen würde? Dann könnten wir in Nordwind für immer so weiterleben. Und wenn die Magie wieder erstarken würde, dann könnten wir uns auch immer unterhalten. Vielleicht würde das dem jungen König auch helfen, den Thron zu besteigen«, überlegte Zachary und schaute den schwarzen Wolf mit glänzenden Augen an. Der schaute nachdenklich zurück. Und wer sollte gehen? Wer glaubt schon an die Geschichte, die ein alter Wolf erzählt? »Ich könnte gehen. Ich weiß genau, dass wir sie finden könnten. Dann wäre alles gut, es wäre alles so, wie früher. Was meinst du, soll ich gehen?« Erwartungsvoll blickte der junge Halbdämon den schwarzen Wolf an. Das, Zachary, ist allein deine Entscheidung. Tu, was auch immer dein Herz dir sagt. Zachary wirkte enttäuscht. »Findest du die Idee nicht gut?«, fragte er traurig und ließ sich vor dem Höhleneingang ins Gras sinken. Ich denke, du weißt nicht, worauf du dich einlassen würdest. Zachary, die Menschen hier im Dorf begegnen dir nur mit Ablehnung. Die Menschen außerhalb dieses Tals werden die jagen, sie werden Angst haben und dich hassen, einfach nur weil du bist, was du nun einmal bist. Und niemand, nicht einmal ich, weiß, wo sich die Steine befinden, bis auf einen. Den Stein der Angst. Aber ihn zu bekommen wird noch schwieriger, als alle anderen zusammen, den er befindet sich im Herzen des Dämonenreiches, eingearbeitet in den Grabstein des ewigen Prinzen. Du könntest Jahrzehnte unterwegs sein, ohne auch nur von einem Einzigen der anderen Steine die Reflexion eines Schimmers zu sehen und bei dem Versuch, den schwarzen Stein zu bekommen, wirst du vermutlich von den Dämonen in der Luft zerrissen. Zachary zögerte, dann schüttelte er jedoch entschieden den Kopf. »Das weiß ich. Das ist mir alles bewusst, aber ich möchte gehen. Würdest du mich begleiten?«, fragte er und schaute den Wolf ängstlich an. Natürlich. Ich gehe, wohin auch immer du gehen wirst, Zachary. Aber ich glaube trotzdem nicht, dass du eine annähernd wahre Vorstellung von der Welt außerhalb des Tals hast. Du weißt nicht, wie man die begegnen wird. Und dennoch, wenn es dein Herz dir sagt, dann gehen wir. Der junge Halbdämon schluckte schwer, nickte dann entschlossen. »Ich werde die Händler fragen, ob sie Karten der Umgebung haben und ich werde Anwar und Danai darum bitten, mir zu helfen, das Dorf unbemerkt zu verlassen«, meinte er und stand auf. Das werden sie gewiss. Doch nun lass uns wieder ins Dorf gehen, es wird bald dunkel. Zachary nickte und gemeinsam gingen sie zum Waldrand zurück, der, wie Azra gesagt hatte, wahrlich nur einen Steinwurf weit entfernt lag. Kapitel 4: Aris Geschichte -------------------------- »Wie meinst du das? Wieso kannst du das Buch jetzt lesen? Ich meine, so schnell kann das doch gar nicht gehen«, meinte Danai verwundert. »Nein, geht es auch nicht. Das war schon etwas komplizierter, das hat mit irgendwelcher alten Magie zu tun und mit einem Bund zwischen Dämonen und Zwergen. Und eben damit, das die Dämonen durch ihre Instinkte lernen, nicht so wie die Menschen«, antwortete Zachary und sprang hinter Azra her über einen Baumstamm. »Dann erzähl, wie hast du es denn gelernt?«, erkundigte sich Anwar neugierig. »Na ja, ich war mit Azra in dieser Höhle. Die, zu der wir gerade unterwegs sind. Dort ist ein Stein und in diesen Stein angraviert, stehen Zeichen in einer Mischung aus Dämonenschrift und Zwergenschrift. Das konnte ich lesen und irgendwie hat das bewirkt, dass ich jetzt Dämonensprache lesen kann. Ich weiß, es klingt seltsam und irgendwie auch ziemlich unglaublich, aber Azra kann das besser erklären«, erklärte Zachary und wedelte ungeduldig mit der Hand. »Okay, von mir aus. Stein mit eingravierter Schrift und deswegen kannst du das plötzlich, von mir aus. Aber warum zum Teufel laufen wir jetzt zu dieser Höhle hin? Alles, was wichtig war, hast du dort doch schon erfahren oder habe ich jetzt was falsch verstanden?«, fragte Danai. »Dort können wir mit ihm reden«, lächelte der junge Halbdämon. Danai und Anwar tauschten einen vielsagenden Blick, aber sie sagten nichts. »Ihr wisst ja, das Azra kein gewöhnlicher Wolf ist, aber jetzt weiß ich auch, dass er viel mehr als das ist. Ich hab euch davon erzählt, früher konnte ich schon ab und an mal mit ihm reden, aber früher nur, wenn es wirklich wichtig war. Jetzt aber weiß ich, dass er immer reden kann, wann immer genug Magie in der Luft liegt. Gestern, als wir hier waren, hat er mir eine Menge erzählt. Aber das wirklich Interessante und der eigentliche Grund, warum wir dorthin gehen, ist das Buch hier.« Zachary wedelte mit dem Buch, das ihm vor ein paar Tagen noch solches Kopfzerbrechen bereitet hatte. »Inwiefern das?« Danai tat ihm den gefallen, nachzufragen. »Darin habe ich gestern noch ziemlich lange gelesen. Es ist wirkliche unglaublich spannend. Die Aufzeichnungen sind Uralt, sie stammen noch aus der Zeit zum Ende des Krieges und die Jahrzehnte danach. Der Dämon Ari hat es geschrieben, es ist sein Tagebuch und er erzählt von allem, was ihm geschehen ist. Er erzählt von Kämpfen und von den Opfern und wie es schlussendlich endete. Wisst ihr, der Krieg damals musste Jahrhunderte getobt haben, denn nicht einmal sein Großvater wusste noch, worum es anfangs ging. Er schreibt von seinem Leben, von den Intrigen seiner Zeit und davon, wie sich die Dämonen letztlich von den anderen Völkern lossagten. Er berichtet davon, wie er der Dämonenkönig wurde und wie er sich zu guter Letzt auf die Suche begab«, erzählte der junge Halbdämonen mit leuchtenden Augen und ließ sich vor dem Höhleneingang, den sie mittlerweile erreicht hatten, ins Gras fallen. »Was für einen großen Krieg meinst du?«, fragte Anwar neugierig und ließ sich neben ihm fallen. »Ja, das ist eines der Dinge, die ich von Azra wissen möchte, denn Ari beschreibt das nicht so ganz genau. Er schreibt eben nur, wie er selbst ihn erlebt hat und wie er eben endete«, antwortete Zachary. »Aber wie bitte kann denn ein Wolf davon wissen?«, erkundigte sich Anwar weiter und schaute das schwarze Tier zweifelnd an. »Er ist schon uralt, er selbst weiß schon gar nicht mehr wie alt genau. Und er wird mehrfach im Buch erwähnt«, erklärte der junge Halbdämon, dann wandte er sich dem Wolf zu. »Du hast ihn wirklich lange begleitet, nicht wahr?« Bis zu seinem Tod, bestätigte der Wolf. Diese vier Worte hatten eine sofortige Wirkung auf Danai und Anwar, denn obwohl Zachary sie vorher gewarnt hatte, hatte keiner von ihnen wirklich geglaubt, das Azra sprechen konnte. Doch sowohl der schwarze Wolf, als auch Zachary ignorierte ihr Entsetzen einfach. »Hat er finden können, wonach er sich auf die Suche begeben hatte?« Natürlich. Seine Hinweise hat er erst schreiben können, als er wieder zurückgekehrt war. Zachary nickte zufrieden, dann jedoch schaute er Azra auffordernd an. »Du wolltest mir von dem Krieg erzählen. Tust du es jetzt?« Der Wolf schaute ihn mit schräg gehaltenem Kopf an, dann nickte er langsam. »Dann los«, meinte der junge Halbdämon ungeduldig. Ganz ruhig, beschwor ihn Azra und ließ dabei ein bellendes Lachen hören. »Achja, ihr versteht auch, was er sagt, oder?«, erkundigte sich Zachary noch einmal aufgeregt bei seinen Freunden, die ihn aus großen Augen anstarrten und langsam nickten. Das macht der Zauber des Ortes. Wisst ihr, hier wurden vor dem großen Krieg so viele wichtige Verträge geschlossen, dass die Magie hier so mächtig ist, wie an kaum einem anderen Ort auf dieser Welt. Deswegen fällt es mir hier besonders leicht, mit euch zu sprechen. »Nur wegen der Magie?«, fragte Danai unsicher. Nein, aber sie ist eben einer der Hauptgründe. Nun, egal, ich wollte von dem großen Krieg erzählen. Er tobte vor tausenden von Jahren, lange vor eurer Geburt. Er begann ziemlich genau achthundert Jahre, nachdem der erste Dämonenkönig gegangen war. Bevor er begann, waren alle Völker dieser Welt in Frieden vereint. Die Einzigen, die diesen Frieden störten, waren die Krieger jenseits des Ozeans, doch selbst sie wurden kaum gefürchtet, denn auch damals schon galten die Dämonen als mächtige Krieger. Das waren sie auch, sie schützten die anderen Länder vor den Eroberern und erhielten dafür Anerkennung und Freundschaft. Anwar und Danai tauschten einen schnellen Blick, der deutlich machte, das sie sich das beim besten Willen nicht vorstellen konnten. Zachary registrierte den Blick zwar, ignorierte ihn aber, schaute weiterhin auf Azra. Dann begann der Streit. Keiner, nicht einmal ich, weiß noch, worum es ging oder gar, wer angefangen hatte. Tatsache ist aber, dass das Wächtervolk und die Dämonen plötzlich einander nicht mehr verstanden. Es kam ganz plötzlich, sozusagen von einem Tag zum Nächsten. Erst war es nur ein Streit zwischen einzelnen Clans, die sich einfach nicht mehr vertrugen, dann weitete sich der Streit auf beide Völker aus. Langsam aber sicher begannen sie damit, einander zu bekriegen. »Wen wundert das schon, wenn eine der beiden Parteien aus Dämonen besteht«, warf Danai ein, doch ein böser Blick von Zachary ließ sie schnell wieder schweigen. Und Azra sprach unbeirrt weiter. Auch die anderen Völker begannen sich einzumischen, doch auch sie entzweiten sich, weil sie sich uneins waren, wessen Schuld dieser Krieg nun eigentlich war. Bald darauf versank unsere Welt in Feuer, Leid und Angst. Es gab kaum einen Ort, an dem nicht gekämpft wurde und es wurde lange gekämpft. Fünf Jahrhunderte lang beherrschte Krieg diese Welt, dann begriffen die anderen Völker, dass es so nicht weitergehen konnte. Sie setzten sich zusammen und arbeiteten einen Friedensvertrag aus, bei dem kein Land benachteiligt wurde. Alle waren einverstanden, nur die Wächter und die Dämonen wollten davon nichts wissen, denn mittlerweile hassten sie einander so sehr, das sie niemals wieder miteinander in Frieden leben wollten. »Diese Einstellung ging bestimmt fast nur von den Dämonen aus«, murmelte Anwar. Danai nickte, Zachary erinnerte dagegen mit einem Schlag seiner Rute ins Gras daran, das auch er zur Hälfte ein Dämon war. »’tschuldigung«, murmelte Anwar darauf leise, deutete dann Azra, das er fortfahren sollte. Das tat der auch, als wäre nie etwas gewesen. Die anderen Länder beschlossen, den Kontrahenten ein Ultimatum zu stellen. Sie forderten, das die beiden Völker zumindest einmal beisammen sitzen und miteinander reden sollte, ansonsten würde man beide Reiche gleichermaßen angreifen und zerstören. Die Wächter gaben nach, doch die Dämonen sahen in diesem Ultimatum eine handfeste Beleidigung, denn sie waren es gewesen, die in den vergangen Jahrhunderten all die anderen Länder vor den Eroberern geschützt hatte. Sie beendeten zwar den Krieg, aber sie zogen sich in ihr Land zurück und jagten fortan jeden, der es wagte, ihr Reich zu betreten und vermieden seitdem jeglichen freundschaftlichen Kontakt zu jedem anderen Volk. »Ich kann sie verstehen«, meinte Zachary mit einem weiteren bösen Blick auf seine Freunde. »Immerhin haben sie den andere geholfen, sie hätten mehr Beistand verdient, auch wenn Krieg der falsche Weg ist.« »Finde ich nicht. Wenn sie anderen nur deswegen halfen, damit sie in einem solchen Fall Verbündete hatten, finde ich das ziemlich selbstsüchtig. Und wegen einem einfachen Streit gleich einen Krieg anzuzetteln...«, schlug sie Anwar mit einem entschuldigenden Blick auf die andere Seite. »Es muss aber gar nicht sein, das sie damit angefangen haben. Vielleicht war es auch die Schuld der Wächter«, fauchte der junge Halbdämon mit einem Grollen in der Stimme. Anwar zuckte darauf nur mit den Achseln. Er wollte nicht streiten. »Ich finde es ziemlich kleinlich, wegen so etwas alle anderen Völker gleich als Feinde zu betrachten, wobei ich es aber auch irgendwie verstehen kann«, überlegte Danai. »Nun, eigentlich ist es egal. Damals wurden die Dämonen zumindest zu dem Volk, das sie heute sind. Aber warum hat Ari das nicht geändert, als er der Dämonenkönig war? Er hat häufig von einem Elbenmädchen geschrieben, das er anscheinend ausgesprochen gern hatte«, trieb der junge Halbdämon das Gespräch weiter. Oh ja, ich erinnere mich an sie. Ihr Name war Ruby. Kurz bevor der Krieg endete kam sie eines Tages nicht mehr zu ihrem geheimen Treffpunkt. Er suchte sie, aber als er sie fand, war sie schon Tod, gestorben an Wunden, die ihr mit Menschenwaffen zugefügt worden waren. Er dachte, das die Menschen sie bestraft hatten und zwei Tage später auch noch ein Plan scheiterte, der nahezu Narrensicher war und von dem er nur Ruby erzählte, da begann er diese anderen Völker zutiefst zu hassen. Er glaubte, dass sie nur aus Mördern und Verrätern bestand. Erst viele Jahre später erfuhr er, dass der Verräter aus den eigenen Reihen stammte und sein Vater selbst die Anweisungen gegeben hatte, Ruby zu töten und es wie einen Menschenmord aussehen zu lassen. Er hatte sie nicht als Schwiegertochter gewollt und er hätte es als handfeste Beleidigung aufgefasst, wäre so unmittelbar nach ihm ein Halbblut Dämonenkönig geworden. Ari hat es damals nicht durchschaut, er hat Ruby danach mir gegenüber nie wieder mit einem Wort erwähnt. »Also war es die Schuld von Aris Vater, das Menschen und Dämonen einander immer noch hassen«, murmelte Zachary und neigte den Kopf. Ja. Ari hätte es noch einmal ändern, doch Generationen voll Hass und ein künftiger Dämonenkönig, der damit aufgewachsen war, das Menschen grausam und voll Zorn sind, hatte diese Ansicht noch weiter gefestigt. Und mit jeder Generation ist es nur schlimmer geworden. Zachary, du bist seit einem Jahrhundert der erste Halbdämon und wie lange es her ist, das ein Halbblut dein Alter erreicht hat, wage ich gar nicht zu schätzen. Völkerübergreifende Beziehungen endeten schnell im Tod der beteiligten. »Grausam«, kommentierte Anwar, ließ dabei offen, was genau er meinte. »Allerdings. Wenn diese Leute einander lieben, dann sollte man sie auch gemeinsam Leben lassen, selbst wenn einer von ihnen ein Dämon ist«, fand Danai. »Azra, glaubst du, der gefangene König kann es ändern? Meinst du, er kann dafür sorgen, das die Dämonen und die anderen Völker sich wieder vertragen?«, fragte der junge Halbdämon Natürlich kann er. Der gefangene Dämonenkönig ist mächtiger, als alle anderen zuvor, ebenso mächtig, wie jener Herrscher, dem man den Stein der Finsternis anvertraute. Vielleicht mächtiger, vielleicht der mächtigste Herrscher, den es je gab, aber das wird nur die Zeit zeigen können. »Wird er es auch tun? Wenn er mir versprechen würde, dass er es tut, dann würde ich alles daran setzen, ihm zu helfen, ihn zu befreien!«, ereiferte sich Zachary mit vor Aufregung geweiteten Augen. Ich denke, der junge König will ebenso sehr wie du, dass sein Volk mit jedem anderen auf der Welt wieder vereint lebt, aber du wirst ihm nicht helfen, indem du versuchst, ihn zu befreien. Er ist ein Dämon, Zachary, wenn er es wollte, könnte er sich selbst befreien, aber er ist klug. Er weiß, dass ihm erst jemand den Weg ebnen muss. Und das muss auf andere Weise getan werden. Folge einfach dem, was dein Herz dir sagt, es wird das Richtige sein. »Dann will ich das tun. Ich glaube, dass er einmal ein guter Herrscher werden wird«, meinte der junge Halbdämon zuversichtlich. Oh ja, das wird er. »Zachary, du hast vorhin erzählt, das du bis zu der Stelle gelesen hast, wo der Krieg endet. Was schreibt Ari denn so alles?«, mischte sich Danai nun eindeutig neugierig ein. Zachary schaute sie einen Moment lang an, als habe er vollkommen vergessen, dass sie da war, dann zog er das alte Buch hervor und schaute es einige Zeit lang leise und nachdenklich an. »Ich hab sogar noch weiter gelesen«, murmelte er. Lies ihnen ein wenig daraus vor, Zachary. Sie werden gewiss interessant finden von etwas zu hören, was ein Dämon gedacht und gefühlt hat. Es wird ihnen gewiss helfen, die Dämonen als das zu sehen, was sie eigentlich sind. Der junge Halbdämon schaute den Wolf nachdenklich an, dann nickte er, schlug das Buch auf und las ihnen vor. Es ist zu Ende. Vater hat den Krieg beendet, aber auf andere Art und Weise, als sie gewollt haben. Der Krieg ist zu Ende, aber auch jedes Bündnis, das die Dämonen jemals mit einem anderen Volk verband. Es macht mich ein wenig traurig, denn sie sind nicht alle böse. Die meisten sind es, ja und ohne jeden Zweifel, aber es gibt auch unter uns schwarze Schafe. Jene wenigen, die zum Spaß töten, die der Krieg gefreut hat, die ihn mochten, fast schon liebten. Und doch, es ist besser so. Sie werden uns nicht mehr zu Nahe kommen und wir werden keinen Grund haben, den Krieg fortzuführen. Zachary blätterte ein wenig weiter, bis er wahllos innehielt und weiter vorlas. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Vater geht es immer schlechter und er wünscht sich, dass ich Deidre heirate, bevor er stirbt, aber ich mag sie nicht. Warum konnte er sich nicht Lilith aussuchen? Warum Deidre? Ich kann ihm den Wunsch nicht einmal abschlagen. Es ist sein letzter Wunsch und er möchte es doch so sehr. Wäre ich ein schlechter Sohn, versagte ich ihm diesen letzten Herzenswunsch? Natürlich wäre ich das. Warum sie und nicht meine liebste Lilith? Vielleicht hat Vater sie ja nicht einmal in betracht gezogen, vielleicht hat er sie vergessen! Ich sollte ihn fragen, bevor es zu spät ist. Sie wäre auf jeden Fall besser als Deidre, denn die ist nur auf Macht aus und ich würde ihr ungern geben, wonach ihr so sehr dürstete, denn das wäre dumm. Und dennoch, wenn es der letzte Wunsch meines Vaters ist, werde ich folgen müssen. Auch wenn ich es nicht möchte. Auch wenn es dumm ist. Abermals blätterte Zachary weiter, diesmal wählte er die Stelle aber bewusst aus. Es ist ein Junge. Aslan wird sein Name sein. Es ist ein guter Name. Vor allem für den künftigen König der Dämonen. Lilith geht es gut. Ich bin froh, dass ich so gehandelt habe, als ich damals vor der Wahl stand. Doch ich habe ein Problem, ich werde fortgehen müssen. Ich will nicht, immerhin hat meine Frau gerade unseren Sohn geboren. Irgendjemand muss sich um seine Erziehung kümmern, irgendwer muss ihn erklären, was einmal seine Aufgabe sein wird, wenn ich nicht mehr bin. Aber ich muss es Lilith überlassen. Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich das Richtige ist. Ich habe Azra gefragt und er sagte, dass ich meinem Herzen folgen soll. Er gibt mir nie eine klare Antwort. Er spricht in Rätseln, wie immer. Doch ich werde seinen Rat befolgen, ich höre auf mein Herz und werde gehen. Ich weiß nicht, ob ich Unterwegs die Gelegenheit habe, weiter an diesem Tagebuch zu schreiben, also lass ich es hier. Es ist für dich, mein Sohn. Lies vom Krieg und sorge dafür, dass so etwas grauenvolles niemals mehr geschehen wird. Ich möchte dir auch erzählen, wohin mein Weg mich führt. Damit du nicht glaubst, ich hätte dich Grundlos verlassen. Es gibt acht Orte in dieser Welt, die von großer Bedeutung sind. Du oder eines deiner Kinder, eines deiner Kindeskinder, irgendwer in unserer Blutlinie muss sie aufsuchen, wenn es an der Zeit ist. Ich kann dir nicht genau schreiben, welche Orte es sind, denn in falschen Händen könnte dieses Wissen großes Unheil bedeuten. Es ist in einer Sprache geschrieben, die die anderen Völker nicht verstehen, aber auch unter uns Dämonen gibt es Verräter. Halte es gut unter Verschluss, es kann das Schicksal unserer Welt bedeuten. Nur die Acht dürfen diese Orte betreten. Auch wir können es, denn wir hätten einer von ihnen sein können. Mit diesem Wissen werde ich gehen und mit diesem Wissen kann ich keinen anderen schicken. Ich muss gehen. Und ich werde gehen. Sollte ich zurückkommen, will ich dir den Weg verraten, den du gehen musst, um die acht Steine der großen Mächte zu bekommen. Zachary schloss das Buch und schaute seine Freunde an. »Er glaubt wirklich an die Steine der Macht?« Danais Augenbrauen verschwanden hinter ihrem Pony. »Er hat sie gefunden. Das hat Azra vorhin bestätigt«, antwortete der junge Halbdämon mit einem sachten Lächeln. »Aber warum hat er sie dann nicht mit sich genommen und sie jemanden in die Hand gedrückt, damit der darauf aufpasst? Dann könnte man den Bund, von dem in der Geschichte die Rede ist, ganz einfach erneuern, so oft es nötig ist«, fand die Halbelbe weiterhin. »Er hat von Verrätern geschrieben. Vielleicht hatte er Angst, dass er den Falschen aussuchen könnte«, überlegte Anwar. Nein. Er konnte sie einfach nicht von ihrem Platz nehmen. Das können nur ganz bestimmte Leute, denen, den es bestimmt ist, die Steine zueinander zu bringen. »Ist doch gleich, warum er es tat oder eben auch nicht. Ich will auf etwas ganz anderes hinaus«, winkte Zachary ungeduldig ab. »Und worauf?«, erkundigte sich Danai sogleich. »Ich will sie suchen. Er hat sie gefunden, sie existieren und ich habe Hinweise, wo sie sind. Wenn ich es nicht tue, dann werde ich es bereuen, das weiß ich. Außerdem wird man sonst nicht mehr lange hier leben können«, erklärte der Halbdämon und schaute seine Freunde ernst, aber auch ein wenig ängstlich an. Die schauten zurück, als wäre er nicht mehr ganz richtig im Kopf. Das dachten sie offensichtlich, doch bevor einer von ihnen auch nur den Mund richtig aufbekam, unterbrach Zachary sie auch schon wieder. »Ihr müsst nicht mitkommen«, beeilte er sich zu versichern. »Ihr müsst nicht einmal daran glauben. Es reicht mir, wenn ihr mir helft, das Dorf unbemerkt zu verlassen. Wenn jemand erfährt, was ich vorhabe, werden sie mich nicht mehr aus den Augen lassen, dann habe ich gar keine Chance mehr.« Anwar schaute ihn mit großen Augen voll Unglauben an, schüttelte dann mit einem Schnauben den Kopf. »Warum glaubst du, dass das, was Ari geschrieben hat, wahr ist? Er war ein Dämon, vielleicht hat er das alles nur geschrieben, um gutgläubige Dämonenkinder dazu zu bringen, etwas Dummes zu tun«, meinte er verächtlich. »Warum bist du so dagegen, das auch ein Dämon einfach mal etwas ehrlich meinen könnte? Anwar, du kennst sie doch gar nicht, du kennst nur mich. Habe ich etwas getan, was dir die Idee eingibt, das sie immer böse sein müssen? Du kennst mich doch, so etwas würde mir niemals einfallen. Sie sind bestimmt nicht so schlecht, wie man sie immer darstellt. Warum sonst hätte meine Mutter sich mit einen von ihnen einlassen sollen?« Zachary wirkte traurig. »Oh Zachary, du bist doch kein Dämon. Du bist mehr Mensch, als manche im Dorf es sind, also komme mir nicht so. Außerdem du bist viel zu gutgläubig! Natürlich sind Dämonen böse, es gibt diese ganzen Geschichten gewiss nicht grundlos! Und was Azra anbelangt: Kein Tier wird auch nur annähernd so alt. Das Ganze ist ein schlechter Scherz, der Wolf spielt dabei scheinbar mit! Und was deine Mutter anbelangt: Schon einmal daran gedacht, das er sie gezwungen haben könnte? Vielleicht hat sie ihn nicht geliebt, vielleicht hat sie ihn bis aufs Blut gehasst!«, fauchte der Blondschopf und stapfte davon. Danai und der verletzt wirkende Zachary schauten ihm nach. »Habe ich… etwas falsches gesagt?«, fragte der junge Halbdämon leise und starrte traurig vor sich hin. »Nein. Aber ich habe trotzdem so eine Idee, was er hat. Das ist jetzt aber egal«, fand die Halbelbe und schaute ihn von der Seite her an. »Ich weiß nicht warum, aber ich habe das Gefühl, das du das Richtige tust, wenn du gehst. Und ich will dir helfen. Ich werde dich begleiten. »Aber…«, begann Zachary, doch sie schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. »Nichts aber. Versuch gar nicht, mich davon abzuhalten, es wird dir nicht gelingen«, fuhr sie ihn an und blitzte dabei so herausfordernd, als wollte sie geradezu, das er doch noch einmal wagte zu widersprechen. Den Gefallen tat ihr der junge Halbdämon aber nicht, stattdessen schaute er sie glücklich an und nickte. »Ich habe gedacht, dass es vielleicht sinnvoll wäre, wenn wir möglichst bald hier verschwinden. Je schneller wir weg sind, desto unwahrscheinlicher ist es, dass einer der Erwachsenen etwas mitbekommt«, erklärte er und Danai nickte zustimmend. »Da hast du Recht. Ich würde sagen, beim nächsten Vollmond wäre die passende Zeit, es ist nicht mehr lange bis dahin, aber es ist noch genug Zeit, alles vorzubereiten. Und wir sehen etwas, stolpern also nicht über jeden Stock und jeden Stein«, stimmte sie zu. Dann überlegte sie einen Moment und betrachtete ihn mit geneigtem Kopf. »Wo gehen wir dann als erstes hin?« »Ich weiß noch nicht genau. Es gibt Hinweise im Buch, aber ich kenne mich in der Welt nicht genug aus, als das ich sie verstehen könnte. Weißt du, wo das Wächterreich liegt?« Danai dachte einen Moment lang nach, dann nickte sie zögernd. »Etwas weiter nördlich von hier. Dahinter liegt das Dämonenland«, erklärte sie. »Dann sollten wir als erstes dorthin gehen. Es wird im ersten Hinweis erwähnt, von dort aufs sollten wir unsere Suche starten«, beschloss Zachary und stand auf. Dann fiel ihm jedoch etwas so offensichtliches ein, das er sich vor die Stirn schlug. »Manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr«, brummte er unwillig und wandte sich dem Wolf zu. »Du hast ihn begleitet, du weißt doch, wo die Steine sind. Wir brauche die Hinweise gar nicht«, fand er. So einfach ist das nicht, Zachary. Ich darf euch nicht helfen. Ich darf euch nur sagen, wo sich der Stein der Angst befindet, alle anderen müsst ihr alleine finden. Ich darf euch nicht helfen. Der junge Halbdämon wirkte enttäuscht, nickte aber dann entschlossen. »Dann suchen wir eben«, beschloss er. Auch Danai stand auf. Sie schaute ihn abenteuerlustig an, dann nickte sie entschlossen. Kapitel 5: Aufbruch ------------------- »Hast du alles?« Zachary sah es zwar nicht, er wusste dennoch, das Danai nur ein paar Schritte entfernt stand. »Natürlich«, antwortete die Halbelbe und glitt mit einer fließenden Bewegung aus dem Busch heraus zu ihm auf die Straße. »Bist du sicher, das dein Vater dein Verschwinden nicht vor morgen früh bemerken wird?« Danai nickte. Zachary drehte seine Ohren in alle Richtungen. »Er denkt, ich wäre schwimmen. Ich habe ihm gesagt, dass ich den Vollmond und das warme Wetter ausnutzen möchte, um mit der Walschule etwas weiter draußen ein wenig Zeit zu verbringen«, erklärte sie. »Und du meinst, das er dir glauben wird?« Der junge Halbdämon schaute sie ungläubig an. »Natürlich. Es wäre nicht das erste Mal, das ich die Nacht draußen im Meer verbringe«, antwortete sie lächelnd. »Okay. Du kennst deinen Vater besser, du kannst das besser beurteilen.« Der Halbdämon zuckte mit den Achseln und ließ seinen Blick noch einmal aufmerksam über den Dorfplatz wandern. »Was hast du deinen Eltern erzählt?«, wollte sie wissen. »Gar nichts. Sie wissen, das Anwar und ich streit hatten, das habe ich ausgenutzt und habe mich früh in mein Zimmer verdrückt. Azra und ich sind dann einfach durch das Zimmerfenster geklettert, wie immer. Wenn sie merken, dass ich nicht mehr da bin, werden sie hoffentlich denken, dass wir beide uns am Meer treffen. Vielleicht auch, das ich bei Anwar bin, um mich mit ihm zu vertragen«, antwortete Zachary und nickte in Richtung der Berge. Langsam gingen sie los, hielten aber immer wieder an, um zu lauschen. »Meinst du nicht, das sie sich sorgen machen werden, wenn du einfach nicht mehr da bist?«, fragte Danai. »Nein. Ich habe ihnen einen Brief dagelassen, wenn sie ihn finden und lesen, dann wissen sie bescheid«, antwortete Zachary mit einem traurigen Lächeln. »Habe ich auch gemacht. Wenn ich morgen im Laufe des Tages nicht auftauche und nicht so etwas in der Richtung auffindbar ist, macht mein Vater sonst noch das ganze Dorf verrückt.« »Werden meine Eltern vermutlich trotz des Briefes machen, aber das können wir jetzt nicht mehr ändern«, antwortete der junge Halbdämon und lächelte wieder traurig. Schweigend gingen sie weiter, bis sie bei dem großen Felsen ankamen, der das Ende des Dorfes markierte. Hier drehten sie sich noch einmal um und schauten zum Dorf hinab, das tief unter ihnen lag. »Ich werde Nordwind wirklich vermissen, auch wenn ich hier niemals wirklich bei jedem Willkommen war«, seufzte Zachary. »Das wirst du niemals irgendwo sein. Nicht einmal bei den Dämonen«, antwortete die Halbelbe, dann jedoch seufzte sie. »Aber ich weiß, was du meinst. Von allen Orten an denen ich bisher gewesen bin, habe ich dieses Dorf mit Abstand am meisten gemocht.« »Ich hoffe, es dauert nicht allzu lange, bis wir wieder hierher zurückkehren können«, bemerkte eine Stimme aus dem Schatten des Steines. Danai zuckte erschrocken zusammen, Zachary machte einen Satz zur Seite und stürzte sich dann in die Dunkelheit. Er prallte auf einen Körper und gemeinsam mit ihm stürzte er zu Boden. Während der Andere liegen blieb, nutzte er seinen Schwung um sogleich wieder auf die Beine zu kommen. Knurrend wandte er sich um und schaute in das verdutzte Gesicht Anwars, der sich scheinbar fragte, warum Zachary ihn angegriffen hatte. »Anwar, was machst du hier?«, knurrte der Halbdämon, sträubte dabei unwillkürlich sein Fell und legte die Ohren an. »Du brauchst es gar nicht erst zu versuchen, ich kehre nicht mehr um, ganz gleich was du sagst!« »Ich weiß«, antwortete Anwar und rappelte sich wieder auf. »Ich bin auch nicht hier, um dich abzuhalten, ich bin hier, weil ich dich begleiten will.« Zachary beäugte seinen Freund misstrauisch. »Warum das auf einmal?«, wollte er argwöhnisch wissen. »Weil ich nicht alleine zurückbleiben will«, antwortete der Blondschopf wahrheitsgemäß und schaute betreten zu Boden. Zachary blieb noch immer reserviert, wartete darauf, dass er weitersprach. »Wenn ihr beide geht, dann bin ich ganz alleine und ich möchte nicht mehr alleine gelassen werden. Außerdem habe ich noch einmal über die ganze Sache nachgedacht und na ja…« Anwar druckste einen Moment lang herum. »Ich habe einen Fehler gemacht. Du hast Recht, nicht alle Dämonen müssen böse sein und nach dem, was Ari geschrieben hat, war er bestimmt nicht böse. Und wenn deine Mutter deinen Vater gehasst hätte, dann hätte sie die Dörfler gewiss nicht darum gebeten, dich aufzunehmen und sich gut um dich zu kümmern.« Der junge Halbdämon runzelte nachdenklich die Stirn, neigte den Kopf und schaute Anwar prüfend an. Dann nickte er. »Du meinst es so, wie du es sagst«, stellte er fest und entspannte sich wieder. »Natürlich, sonst wäre ich nicht hier«, antwortete der Junge. Sein Freud nickte, schüttelte aber sogleich wieder den Kopf. »Weißt du auch, worauf du dich da einlässt?«, erkundigte er sich ernst. »Natürlich.« »Du bist dazu bereit? Vollkommen und ohne jeden Zweifel?«, bohrte Zachary weiter und wieder bejahte Anwar. Doch dabei zitterte kaum merklich seine Stimme, sodass der junge Halbdämon entschieden den Kopf schüttelte. »Anwar, das wird nicht einfach. Ich war nie dort draußen, aber ich weiß, das Danai recht hat. Dort wird keiner den Menschen in mir sehen, alle haben nur den Dämon vor Augen. Ihr begleitet mich, sie werden euch also ebenso sehr hassen. Und keiner weiß, wir lange wir unterwegs sein werden. Vielleicht sind es nur ein paar Wochen, vielleicht sind es aber auch Monate, Jahre, vielleicht Jahrzehnte. Vielleicht unser ganzes Leben.« Zachary schaute seinen Freund ernst an. »Ich weiß. Aber du hast recht, früher oder später werden wir hier sowieso nicht mehr leben können. Irgendjemand muss diese Steine zusammentragen, wenn es sie denn wirklich gibt. Irgendjemand muss es tun und irgendjemanden muss es auch gelingen, wieso dann nicht uns? Und was den Spott und auch die offenen Feindseeligkeiten anbelangt, die bin ich gewohnt. In deiner Gegenwart wagen sie es nicht, aber die Anderen können ziemlich gemein werden«, lächelte Anwar traurig. Der junge Halbdämon ließ seinen Blick noch einen Moment ernst auf seinem Freund ruhen, dann nickte er. »Okay. Aber sag nicht irgendwann, wir hätten dich nicht gewarnt«, meinte er, trat an Anwar vorbei wieder zu Danai. »Dann lasst uns jetzt gehen.« Seine beiden Begleiter nickten und gemeinsam schauten sie noch einmal hinab ins Dorf, dann hinauf zum Pass. Dann erst gingen sie los. Sie waren noch nicht weit gelaufen, als Zachary mit gerunzelter Stirn stehen blieb und lauschend um sich blickte. Azra schaute knurrend in jene Richtung, in der sie liefen. »Was ist?«, wollte Danai alarmiert wissen. »Jemand schleicht hier herum«, flüsterte der junge Halbdämon ihnen zu, schaute nun ebenfalls nach Norden. Dort gewahren sie einen Schemen, der ihnen erst jetzt auffiel. Jetzt, wo sie ganz genau darauf achteten, wussten, dass sie dort etwas finden würden. Zachary sog die Luft tief durch die Nase ein, als wollte er die Witterung aufnehmen. »Tehiyok?«, fragte er dann verblüfft. Bevor einer der Anderen nachfragen konnte, machte er ein paar schnelle Schritte und sah nun deutlich die Gestalt vor sich stehen. »Tehiyok, was machst du hier?«, wollte er mit harter Stimme wissen. »Ich versuche herauszufinden, die dumm ein Mensch eigentlich sein kann«, antwortete der Junge und trat nun seinerseits ein paar Schritte vor. »Warum dumm?«, wollte Danai wissen und trag neben Zachary. »Weil ihr keine drei Tage überleben werdet. Nicht in Begleitung eines Halbdämons oder gar, wenn ihr selbst ein solcher seid«, antwortete der Händlersohn mit hochgezogenen Augenbrauen, als wollte er ausdrücken, das er Danais Frage für überflüssig hielt. »Tja, ich bin kein Mensch, also falle ich nicht in deine Überlegungen« knurrte Zachary feindselig, doch Tehiyok machte eine wegwerfende Handbewegung. »Du weißt genau, wie ich es gemeint habe. Ich rate euch zumindest, jetzt sofort umzukehren und euch wieder in eure warmen Betten zu begeben, sonst muss ich euren Dorfältesten bescheid geben, damit er euch vom Selbstmord abhält. Es ist nur zu eurem eigenen Schutz«, antwortete er. »Vergiss es, ich gehe auf jeden Fall«, knurrte der junge Halbdämon. »Und du wirst mich nicht davon abhalten. Außerdem ist es meine Sache, was ich tue und wohin ich gehe.« »Oh, in dieser Sache bin ich nicht ganz deiner Meinung, denn ich weiß sehr gut, was seine Anwesenheit zu bedeuten hat«, meinte Tehiyok und deutete auf Azra. Zachary blickt Stirnrunzelnd auf den Wolf hinab, wandte sich aber sogleich wieder dem Jungen zu. »Seine Anwesenheit hat einfach nur zu bedeuten, dass ich nicht vorhabe, im Laufe der nächsten Tage wieder zurückzukommen«, knurrte er, was den Händlersohn maßlos zu verblüffen schien. »Du weißt es gar nicht?«, fragte er verwundert. »Was weiß ich nicht?«, erkundigte sich der junge Halbdämon sogleich, blieb aber abweisend und reserviert, doch Tehiyok schüttelte den Kopf. »Wenn du es nicht weißt, dann ist es nicht meine Aufgabe, es dir zu sagen. Aber lass mich dir eines verraten: Wenn irgendjemand die Beziehung zwischen Dämonen und Menschen jemals retten könnte, dann bist du es«, meinte er. »Weiß ich, hat Azra schon erzählt. Weil ich dem jungen König den Weg ebnen kann.« Der Händlersohn schaute nachdenklich auf den Halbdämon und den schwarzen Wolf, dann nickte er. »Genau. Und damit du am Leben bleibst, werde ich dich nicht gehen lassen«, kam er wieder auf das alte Thema zurück. »Dann wirst du mich mit Gewalt abhalten müssen«, fauchte Zachary und sträubte sein Fell. »Zachary, für so etwas haben wir keine Zeit, wir müssen heute noch den Pass überqueren«, mischte sich Danai ein. Der junge Halbdämon schaute sie einen Moment lang unwillig an, dann nickte er aber. »Du hast recht, gehen wir«, meinte er und lief einfach an Tehiyok vorbei. »Okay, dann mach ich mich mal auf den Weg runter ins Dorf«, meinte der und ging seinerseits los, in die Richtung, aus der die drei Freunde gekommen waren. An Anwar kam er jedoch nicht vorbei, der junge Mann streckte den Arm aus und hielt ihn fest. »Das können wir nicht zulassen. Aber ich habe eine gute Idee, was wir stattdessen mit dir tun können«, erklärte er und lächelte hinterlistig. »Schieß los«, forderte ihn der junge Halbdämon auf. »Wir nehmen ihn mit uns. Dann kann er nicht hinunterlaufen und bescheid geben. Und wir lassen ihn erst frei, wenn wir weit genug weg sind, das sie unsere Spur nicht mehr weiter zurückverfolgen können«, erklärte Anwar. »Die Idee gefällt mir«, nickte Danai und auch Zachary nickte mit einem breiten Grinsen. Tehiyok dagegen wurde bleich, starrte von einem zum anderen, doch bevor er loslaufen konnte, hatte ihn schon Zachary von hinten gepackt und Danai suchte in ihrem Rucksack nach einem Strick. Es dauerte nicht lange, da hatte sie einen gefunden und nur wenige Augenblicke später war der Händlersohn gefesselt. Das lose Ende des Stricks hielt der junge Halbdämon wie eine Leine in der Hand und grinste breit. »Jetzt können wir gehen. Freu lassen wir dich…« Er überlegte einen Moment lang. »In drei Tagen würde ich sagen. Dann brauchst du eine Weile, um wieder zurück zu kommen und in der Zeit könnten wir schon überall sein, unsere Spur wird dann nicht mehr so leicht zu finden sein.« »Du scheinst sehr schnell zu vergessen, dass du ein Dämon bist. In Nordwind ist man dein Anblick gewohnt, aber überall sonst fällst du auf«, knurrte Tehiyok schlecht gelaunt. »Ich weiß. Trotzdem werden sie uns dann nicht mehr kriegen können, denn Verfolger müssen nachforschen, wir müssen einfach nur laufen. Wenn wir uns dazu auch noch für eine Weile von den Siedlungen fern halten, können wir sie so ziemlich schnell wieder abhängen«, antwortete der junge Halbdämon mit noch breiterem Grinsen. Egal, was Tehiyok vorbringen würde, er hatte eine Antwort darauf, wen es gab wohl keine Möglichkeit, die er nicht schon tausendfach in Betracht gezogen hatte. Tehiyok schaute ihn jedoch nur böse an, sagte nichts mehr, was Zachary ebenfalls recht war. So konnte er sich seinen Atem für den Aufstieg verwenden. Sie mussten die ganze Nacht hindurch laufen, bis sie den Pass erreichten. Es lag hier oben zwar kein Schnee mehr, doch es war bitterkalt. Sie alle wussten, wenn sie diese letzten Schritte über den Pass taten, dann würden sie nicht mehr zurückkehren können. So blieben sie einige Sekunden lang zögernd stehen, wagten es nicht, zurück zu blicken aus Angst, dann doch nicht den Mut zu haben, weiter zu gehen. Die Erste, die den Schritt wagte, war Danai, die mittlerweile den Strick hielt, gemeinsam mit Tehiyok, der immer noch finster vor sich hin stierte. Ihnen folgte ängstlich und zögernd Anwar, doch als Zachary gehen wollte, fiel ihm auf, das Azra nicht bei ihm war. Er schaute sich kurz um und sah den Wolf bei einem nahen Felsen stehen, wo das schwarze Tier etwas anschaute. »Komm Azra, wir müssen weiter«, rief er leise, doch der Wolf ignorierte ihn, schaute stattdessen nachdenklich auf das, was vor ihnen lag. Neugierig trat Zachary zu ihm und sah, dass etwas in den Stein gemeißelt war. Die Schrift war verwittert und mit Moos bewachsen, doch als er es zur Seite wischte, erkannte er die Dämonenschrift. »Bist du Freund, der du das Dorf betreten willst, gehe ohne Zögern und ohne Scheu, den dir wird nichts geschehen. Doch Feind, der du gekommen bist um Unheil und Tod zu bringen, soll dich selbst der Tod ereilen, also bleibe fern von diesem Ort. So warne ich dich, um dir eine Chance zu lassen, ich, der König der Dämonen«, las der junge Halbdämon leise vor. »Der Dämonenkönig ist hier gewesen?« Neugierig schaute er den schwarzen Wolf an, doch der schüttelte den Kopf. Er stupste mit der Nase gegen den rauen Stein. Sogleich leuchtete die Schrift auf und als das Strahlen wieder abklang, wirkte die Schrift dunkler und stumpfer als zuvor. »Was hast du getan?«, fragte Zachary verwundert. Faris hat nicht nur diese Worte hier hinterlassen, sondern auch einen sehr mächtigen Zauber, eine Menge Magie, die ich mir jetzt zunutze machen kann. Wenn er wüsste, das er mit dieser Freundschaftsgeste einmal einen Halbblut beschützen würde… Wobei ich denke, das er ihn dennoch gewirkt hätte, überlegte das schwarze Tier. »Ist Faris der Dämonenkönig gewesen? Wieso Freundschaftsgeste? Und wieso kannst du jetzt wieder mit mir sprechen? Wegen der Nähe des Zaubers?«, erkundigte sich der junge Halbdämon. Faris war Ares’ Vater. Er hatte einst einen Freund in diesem Dorf, auch von dem werde ich dir noch erzählen. Nun, da du deine Aufgabe antrittst, musst du so viel wir irgend möglich wissen. Über die Dämonen als solche, aber natürlich auch über deinen letzten, deinen mächtigsten Feind, Ares. Und dieser Mensch gehört auch irgendwie immer dazu. Und was das Sprechen anbelangt: Ich habe den Zauber aufgelöst, die Magie an mich genommen. Er hat seine Dienste getan, hier wird er nicht mehr gebraucht, aber mir kann er noch eine Weile zugute kommen. Hoffentlich lange genug, bis ich eine andere Quelle gefunden habe. »Aber wenn er nicht mehr wirkt, dann könnte doch einfach jeder in Nordwind einmarschieren und es zerstören, oder nicht?« Zachary wirkte nicht begeistern. Ja, schon, aber das wird keiner tun. Dazu ist Nordwind zu unwichtig. Außerdem war das Dorf sowieso nur in Gefahr, weil sich hier Dinge befangen, die einen enormen Wert darstellen. Und weil du hier warst. Jetzt ist es einfach nur noch ein kleines Dorf. Zumal kaum einer von seiner Existenz weiß. Der junge Halbdämon nickte zögernd. Er wollte Azra gerne glauben, aber es fiel ihm schwer. Allerdings hatte er andere Dinge, über die er sich den Kopf zerbrechen musste und so folgte er den Anderen, die schon ungeduldig warteten. Doch auch jetzt folgte ihm der schwarze Wolf nicht sofort, stattdessen blickte er noch einmal hinab ins Dorf, setzte sich hin und ließ ein langgezogenes Wolfsgeheul vernehmen. Erst jetzt folgte er. »Was habt ihr dort gemacht?«, fragte Danai neugierig. »Gesagt bekommen, dass ich demnächst Geschichtsunterricht bekomme«, antwortete Zachary lächelnd. »Inwiefern?«, erkundigte sich Anwar neugierig. »Er meint, wenn ich meinen letzten Feind besiegen will, dann muss ich etwas über ihn wissen«, erklärte der junge Halbdämon. Darauf runzelte der Blondschopf misstrauisch die Stirn. »Ich dachte, du sollst dem jungen König nur den Weg ebnen«, meinte er und schaute flüchtig auf den schwarzen Wolf. »Selbst wenn ich dem jungen König damit nicht helfen würde, müsste ich früher oder später sowieso gegen Ares antreten. Der Stein der Angst befindet sich im Dämonenland, er ist im Grabstein des Dämonenprinzen eingearbeitet, im Herz ihres Reiches. Ares wird mich gewiss nicht einfach so mit dem Stein ziehen lassen«, antwortete Zachary achselzuckend. »Also müssen wir irgendwann auch noch ins Dämonenreich…?« Anwar wirkte alles andere als begeistert. »Wenn wir die Anderen gefunden haben schon, ja.« »Also wird es noch eine Weile dauern. Und Azra hat recht. Je mehr wir über Ares wissen, desto größer sind unsere Chancen, ihn auch zu schlagen. Einen Dämon zu besiegen wird bestimmt auch mit viel Wissen nicht einfach. Vor allem dann nicht, wenn es im Herzen seines höchst eigenen Reiches geschieht«, meinte Danai und blieb stehen. Sie deutete auf das, war vor ihnen lag. »Das, Anwar, Zachary, ist die richtige Welt. Willkommen in der Wirklichkeit.« Der junge Halbdämon nickte und schaute auf leuchtenden Augen auf die weite Ebene die vor ihnen lag, die unendlich wirkenden Wälder, die sich zur linken erstreckten, auf das weit entfernte Meer zu seiner rechten und auch auf die Berge, die im Dunst des Morgens nur als Schemen in der Ferne erkennbar waren. »Hinter den Bergen liegt der Ort, zu dem wir nun gehen wollen«, erklärte die Halbelbe. »Das wird ein sehr, sehr weiter Weg«, stellte Anwar ein wenig entmutigt fest. »Und genau deswegen sollten wir jetzt weiterlaufen. Je mehr wir heute schaffen, desto besser ist es«, erklärte Zachary voller Tatendrang. Die unendliche Weite vor Augen, das Gefühl der ewig währenden Freiheit im Bauch und das Wissen einer ganzen Welt, die nur darauf zu warten schien, das sie sie erkundeten, bestärkten ihn in dem Wissen, das er das Richtige tat. Voll Neugier und Freude schritt er zügig voran, einer ganzen Welt entgegen. Kapitel 6: Arik und Can ----------------------- »Er verfolgt uns immer noch«, kicherte Danai und schaute über die Schulter zurück zu Tehiyok. Sie hatte ihn schon am vergangenen Abend laufen lassen, doch er war ihnen beharrlich gefolgt. Als sie ihn fragten, warum er die Chance nicht nutzte und sich schnell verdrückte, antwortete er ihnen, das es jetzt sowieso keinen Sinn mehr hatte und da er auch nicht alleine durch die Welt ziehen wollte, lief er ihnen also nach. »Kann ich nicht verstehen. Ich dachte, das letzte Dorf, aus dem wir gejagt worden sind, hätte deutlich gemacht, das er mit seiner Voraussage recht hatte«, meinte Anwar mit gerunzelter Stirn. »Und es wird noch schlimmer, die Wächter kämpfen immerhin schon lange mit den Angriffen der Dämonen«, seufzte Zachary. »Haben wir alles schon vorher gewusst, aber wir können nicht umdrehen. Die Wächter haben direkt mit den Steinen zu tun, immerhin haben sie über Jahre hinweg die Drachen gepflegt, die die Steine bewachen. Wenn sie nicht wissen, wie das Rätsel zu lösen ist, dann weiß ich definitiv nicht mehr weiter«, seufzte Danai. »Ich glaube nicht, das sie bescheid wissen. Das Wächtervolk ist das Volk, das sich am Meisten mit den Menschen gemischt hat, vermutlich finden wir nicht einen, der auch nur annähernd reines Blut hat. Zumindest nicht rein genug, um die Berechtigung zu besitzen, den Drachen gegenüber zu treten«, befürchtete Zachary. »Ich denke, dass es sowieso besser ist, wenn du gar nicht erst versuchst, einen von ihnen gegenüberzutreten«, bemerkte Anwar ein wenig bissig und strich sich unbewusst über den linken Arm, an dem er eine Brandwunde hatte, die nicht zu unterschätzen war. Eine Fackel, die man ihnen im letzten Dorf hinterher geworfen hatte, hatte ihn böse erwischt. »Da stimme ich dir sofort zu. Ich suche mit ein nettes Fleckchen Erde hier, im Wald, und ihr geht jemanden suchen, der vielleicht bescheid wissen könnte«, grinste Zachary. »Aber vorher musst du mir den Hinweis von Ari in normaler Sprache übersetzen, ich bezweifle, dass man im Ort Dämonisch kann«, meinte Danai, blieb stehen und zog ein Blatt Papier aus ihrem Rucksack. »Ich diktiere dir, meine Schrift kannst du sowieso nicht lesen.« Zachary schnitt eine Grimasse. »Von mir aus«, seufzte das Mädchen und zog Feder und Tinte hervor. Der Halbdämon kramte in der Zeit das alte Buch hervor. Wenn Faris wüsste, wie du mit dem Buch umgehst, dann würde er sich im Grabe umdrehen, bemerkte Azra, als er sah, das einige Seiten eingerissen und andere umgeknickt waren, weil der Proviant immer ein wenig gegen die Seiten drückte. »Weiß er aber nicht. Außerdem ist es jetzt mein Buch«, antwortete Zachary mit einem Grinsen und schlug zielgerecht die richtige Seite auf. »Der Erste Stein befindet sich in einem Dorf, das umgeben ist von Erde, Wasser, Wind und Tod, südlich des Monddorfes. Dort kann es keine Geheimnisse geben und es ist voller Licht und Magie. Suche, finde, staune«, las Zachary und Danai schrieb brav mit. »Also ich verstehe wirklich kein Wort«, bemerkte Anwar. »Wissen wir. Ich aber auch nicht«, griente der junge Halbdämon. Seitdem sie aufgebrochen waren, hatte er eine geradezu erschreckend gute Laune an den Tag gelegt, während Anwar immer gereizter wurde. »Okay, gehen wir.« Danai stand wieder auf und schob Anwar vor sich her. »Ich stoße dann irgendwann wieder zu euch. Wenn ihr fertig seid, kommt einfach in den Wald, ich finde euch schon. Bis dann!«, rief Zachary ihnen nach, denn verschwand er mit Azra im Unterholz, damit er nicht unversehens auf einen Menschen traf, der nichts ahnend dem Pfad folgte. »Kennst du einen schönen Ort, an dem wir bleiben können, bis sie zurück sind?«, fragte er den schwarzen Wolf. Natürlich. Es gibt hier einen Platz, einen See, an dem sich der Prinz sehr gerne aufgehalten hat, antwortete der schwarze Wolf und lief voran. »Aber das war doch auch schon zu seiner Zeit das Wächterreich, warum hat er sich so nahe an der Hauptstadt ihres Gebietes aufgehalten?«, erkundigte sich der junge Halbdämon verwundert. Er mochte die anderen Völker, er fand sie immer schon ausgesprochen interessant und zu diesem See kamen sie ab und an im Sommer um zu schwimmen, erklärte Azra. Sogleich blieb Zachary wie vom Donner gerührt stehen. »Er hat sie beim schwimmen beobachtet? Waren sie dabei nicht nackt?«, fragte er mit großen Augen. Natürlich waren sie das. »Aber er kann doch nicht einfach anderen beim schwimmen zuschauen! Vor allem nicht, wenn es Mädchen sind und noch dazu so ganz ohne Kleidung!« Allein schon bei der Vorstellung lief Zachary rot an. Ja, er ging mit Danai gemeinsam ins Wasser, weil sie für nie bewusst als Frau durchging und sie im Wasser sowieso ein halber Fisch war, aber es war für ihn völlig unvorstellbar, das mit einem anderen Mädchen zu tun und zwar nicht nur, weil seine Mutter ihn dann erwürgen würde. So etwas ist nur den Menschen unangenehm, einem Dämon nicht. Sie haben ein andere Empfinden von dem, was gut und richtig ist, und was nicht, deswegen war es für ihn nichts Verbotenes. Außerdem hat eines der Mädchen auch immer wieder ihn beobachtet, also war es in gewisser Weise ausgeglichen. »Wie man es nimmt. Aber wenn ein Mädchen gesehen hat, das sich dort regelmäßig ein Dämon aufhält, warum haben sie ihn dann nicht fortgejagt?« Weil sie ihn nicht verraten hat. Die beiden waren Freunde. Wie Faris und der Mann aus Nordwind. »Genau, du wolltest mir von ihm erzählen«, erinnerte sich Zachary wieder. Ja, das wollte ich, aber noch nicht jetzt. Es ist noch zu früh, dein Kampf mit ihm zu weit entfernt, antwortete der schwarze Wolf. »Und wann ist er nach genug?«, fragte der junge Halbdämon neugierig. Das weiß ich erst, wenn es so weit ist. Zachary seufzte, zuckte aber mit den Schultern und folgte dem Wolf weiter. »Lebt sie noch?«, fragte er nach einer Weile. Wen meinst du? »Die Freundin des Prinzen.« Nein. Faris wollte nicht zulassen, das sein Sohn sich in sie verliebt, also ließ er sie verfolgen, als er von ihr erfuhr. »Wer hat sie denn getötet? War es Ares?« Das führt wieder zu weit, Zachary. Später. Abermals seufzte der junge Halbdämon, bohrte aber nicht weiter. Er kämpfte sich stattdessen durch einen letzten Busch und erreichte so den See. Er wusste sofort, das es genau der See war, den Azra meinte, auch wenn er nicht genau sagen konnte, woher dieses Wissen kam. Das Gewässer war nicht gerade groß, aber fast vollkommen rund. Das Wasser war klar und überall nahezu gleich tief. Ab und an ragten Steine ins Wasser, auf ihnen konnte man gut sitzen und sich von der Sonne trocknen lassen. »Oh ja, hier würde ich auch gerne im Sommer herkommen«, kommentierte Zachary. Es war aber schon lange keiner mehr hier. Ich nehme an, dass Ares das ganze Gebiet immer wieder kontrollieren lässt, sodass sich die Menschen nicht mehr hierher trauen. »Welches Interesse hat er denn an einem Gebiet bei einem Menschendorf?«, erkundigte sich der junge Halbdämon mit gerunzelter Stirn. Erweiterung seines eigenen Reviers und seine Untertanen können hier gut auf Menschenjagd gehen. »Nun, das ist natürlich ein Grund, ja«, bestätigte Zachary und ging näher an das Ufer heran. »Meinst du, ich habe die Zeit, eine Runde zu schwimmen, bevor sie wiederkommen?« Der schwarze Wolf überlegte einen Moment, dann nickte er. Sofort zog Zachary sich seine wenigen Kleider aus, schob sie in den Schatten eines Felsens und sprang ins Wasser. Azra dagegen eroberte einen sonnigen Platz, wo er sich ausstreckte und mit halb geschlossenen Augen den jungen Halbdämon beobachtete, der übermütig im Wasser tobte. Dabei dachte er an längst vergangene Zeiten, weswegen er die verräterischen Geräusche erst hörte, als es schon zu spät war. Zwei Gestalten traten aus dem Wald und erfassten sowohl den übermütigen Zachary, als auch den aufmerksam herüberblickenden Azra. Eine der Gestalten stieß den anderen an, deutete auf den jungen Halbdämon und zischte dem anderen etwas zu. »Junge, komm her!«, rief die zweite Gestalt sogleich. Erst jetzt bemerkte Zachary sie. Er brauchte einen Moment, damit ihm überhaupt bewusst wurde, was er sah, und dann noch einen Moment, bevor die Angst kam, den am Waldrand standen zwei Dämonen. Ängstlich und hilfesuchend blickte er zu Azra hinüber, doch der schaute die Dämonen mit dem mäßigen Interesse eines Hundes an. Zachary verstand nicht wieso, doch er hatte auch keine Zeit, darüber nachzudenken, denn einer der beiden machte Anstalt, ihn aus dem Wasser zu holen und so schwamm er schnell ans Ufer. »Was ist?«, fragte er und bediente sich dabei unbewusst der Dämonensprache. »Du weißt, das es verboten ist, während der Dienstzeit zu schwimmen?«, knurrte der Größere der beiden. »Ich… ja, natürlich weiß ich das«, antwortete der Zachary und konnte kaum begreifen, welches Glück er hatte. Sie erkannten ihn nicht als Halbdämon und sie erkannten auch Azra nicht. Jetzt verstand er auch, warum sich der Wolf benahm, wie ein gewöhnlicher Hund. Alles andere hätte sie verraten. »Und warum tust du es dann?«, fragte der Große weiter und bleckte angriffslustig die Zähne. »Ich, ähm…« Hinter seiner Stirn begann es hektisch zu arbeiten. »Geheimauftrag?«, fragte der Zweite neugierig. »Ähm, ja«, nickte Zachary und konnte kaum fassen, das sie beide ihm die richtigen Antworten regelrecht vorsagten. »Von wem?«, knurrte der Größere. »Von Ares persönlich«, antwortete der junge Halbdämon, denn dies war der erste Name eines Dämons der ihm einfiel. Die beiden Dämonen lachten höhnisch. »Lüge, Ares hätte ganz gewiss keinen halbwüchsigen Möchtegern geschickt, seine Aufträge zu erfüllen«, fauchte der Kleinere, doch Zachary war nicht dumm. »Ihr könnt ja zu ihm gehen und ihn fragen«, antwortete er kühl, passte sich damit ihren Tonfall an, während er in seinem Inneren vor Angst zitterte. Doch jetzt konnte er sichtbar dabei zuschauen, wie es hinter der Stirn der beiden Dämonen arbeitete. Der junge Halbdämon hatte richtig geraten, sie wollten Ares nicht fragen. »Nach was suchst du denn?«, fragte jetzt der Kleinere und umging damit eine Antwort. »Würde ich es euch verraten, wäre es kein Geheimauftrag mehr.« Zachary verdrehte gekünstelt die Augen, hoffte dabei, das er nicht zu dick auftrug. »Wissen wir auch«, fauchte der Kleinere wütend. »Dann frag nicht so dämlich. Und jetzt verschwindet, lass mich meine Arbeit machen«, knurrte der Halbdämon im genervten Tonfall. Die beiden Dämonen schauten sich an, verständigten sich über einen Blick, bei dem Zachary tausend Tode starb. Er glaubte, dass das jetzt zu viel war und sich die beiden gleich auf ihn stürzen würden. »Wie sagtest du, war dein Name?«, wollte der Kleinere in einem so beiläufigen Tonfall wissen, das der junge Halbdämon fast die Wahrheit gesagt hätte. »Ari«, log er schnell. Dies war der nächstbeste Name, der ihm einfiel. »Ari. Ich habe noch nie etwas von dir gehört«, bemerkte der Größere, nun wieder deutlich misstrauischer. »Tja, mit euch habe ich normalerweise auch nichts zu tun. Ares lässt mich nur die geheimsten Aufträge erfüllen, er vertraut mir«, knurrte Zachary wieder kühl und deutlich selbstbewusster, denn bisher hatten die Dämonen ihm alles geglaubt. »Okay. Pass aber auf, diese Wälder sind gefährlich, vor allem für Halbwüchsige«, meinte der Größere noch, dann gingen die Dämonen wieder, verschwanden gemeinsam im Wald. Der junge Halbdämon blickte ihnen noch einen Moment nach, denn schwamm er wieder in die Mitte des Sees und tauchte ein paar Mal unter. Sie sind weg, gab schließlich Azra Entwarnung. Sofort schwamm Zachary zum Ufer und setzte sich neben dem Wolf auf den Stein. »Das war knapp«, seufzte er erschöpft. Nein, das war genial! Du hast super reagiert, lobte der Wolf. »Na ja, sie haben mir die passenden Antworten regelrecht vorgesagt«, meinte der junge Halbdämon. Das schon, ja, aber das du sie aufgefordert hast, bei Ares persönlich anzufragen, kam bestimmt nicht von ihnen. »Aber alles andere. Ich habe sie gar nicht kommen hören.« Ich auch nicht. Es tut mir leid, ich hätte aufmerksamer sein müssen, fand der Wolf und schaute nachdenklich in die Richtung, in die die beiden Dämonen verschwunden waren. »Ich hätte ja selbst ein wenig aufpassen müssen, also ist es ebenso sehr meine Schuld. Und außerdem ist ja nichts geschehen«, lächelte Zachary und Azra nickte. Aber wir sollten von hier verschwinden, falls sie doch noch einmal zurückkommen, meinte er. Schnell zog sich der junge Halbdämon wieder an und nur Augenblicke später waren sie gemeinsam im Wald verschwunden. Sie suchten sich ein anderes sichereres Plätzchen und warteten. Es dauerte nicht lange, da hörten sie schon Danai, Anwar und Tehiyok nach ihnen rufen. Azra führte die drei in ihr Versteck. »Niemand, nicht Einer in diesem vermaledeiten Ort hat auch nur eine Idee, wo wir mit der Suche anfangen könnten«, erklärte Danai schlecht gelaunt und ließ sich auf den Boden sinken. »Eine vollkommene Pleite«, brummte auch Anwar und ließ sich neben ihr fallen. »Zeitverschwendung«, kommentierte Tehiyok. »Na ja, nicht ganz«, antwortete Zachary. »Doch, über den Stein haben wir nämlich rein gar nichts herausgefunden«, bemerkte Anwar mit gerunzelter Stirn. »Das vielleicht nicht, aber ich habe zum ersten Mal einen echten, leibhaftigen Dämon getroffen«, lächelte der junge Halbdämon. Sogleich starrten ihn seine Freunde aus großen Augen an. Schnell berichtete er, was geschehen war. »Und über so etwas freust du dich?«, wollte Anwar ungläubig wissen, nachdem er geendet hatte. »Freuden nicht, aber ich fand es interessant, wie leicht sie sich austricksen ließen«, erklärte Zachary mit einem Lächeln. »Bringt uns aber nicht beim Rätsel weiter. Außerdem kommt es mir zu leicht vor«, fand Danai und legte sich ganz ins Gras. »Wir müssen herausfinden, was mit Erde, Wasser, Wind und Tod gemeint ist, das würde uns vermutlich schon viel helfen«, überlegte Tehiyok und überging dabei den Einwand der Halbelbe, genauso wie die anderen auch. Zachary nickte nachdenklich. Dann fiel ihm plötzlich wieder etwas ein. Aufgeregt durchsuchte er seine Sache, bis er abermals das Buch hervor zog. Hektisch blätterte er durch die Seiten und fand schließlich, was er suchte. Aufgeregt las er, dann stöhnte er laut auf. »Was ist?«, fragten die anderen aufgeregt. »Ich bin manchmal einfach nur…« Zachary ließ offen, was er manchmal war, stattdessen schlug er sich vor die Stirn. »Was ist denn nun?« Danai richtete sich wieder auf und versuchte neugierig ins Buch zu schauen. »Es steht direkt hinter den Hinweisen, nur eine Seite weiter«, brummte der junge Halbdämon unwillig. »Hört zu, ich lese es euch vor. Es gibt noch etwas, was dir bei deiner Suche helfen kann. Die Sonnenkarten oder der Kompass, der immer in die Richtung der Steine zeigt. Und ein Schmuckstück, das mehr als alles andere besonders ist, denn in ihm sind die Splitter von allen acht Steinen eingearbeitet. Dieses Kunstwerk der Schmiedemeister kann dir jedoch nur den richtigen Weg weisen, wenn auch die richtige Person es in den Händen hält, denn dann leuchtete es hell auf und je näher du einem Stein bist, desto zauberhafter wird das Licht.« »Ja und?«, fragte Anwar, der nach wie vor nicht verstand. Ebenso wie die beiden anderen, die ebenfalls verwundert aus der Wäsche schauten. Zachary seufzte und drehte das Buch um. Zu sehen war Danais Anhänger und sofort verstanden sie, worauf er hinauswollte, gerieten in helle Aufregung und redeten alle durcheinander. Ich verstehe es immer noch nicht, mischte sich plötzlich Azra ein. Da zog Danai den Anhänger unter ihrer Bluse hervor und hielt ihn den Wolf hin. Dass ihr den Anhänger habt, das weiß ich, aber wenn ihr ihn nicht der richtigen Person in die Hände legt, dann ist es letztlich egal, dann wird er nicht leuchten. Jetzt erst fiel Zachary wieder ein, das der Wolf zu jener Besprechung am Strand gar nicht dabei gewesen war. »Azra, er hat bereits geleuchtet«, erklärte er deshalb. Das schwarze Tier blickte ihn skeptisch an. »An dem Tag, als ich das Buch bekam, da haben wir uns doch nachts noch einmal am Strand getroffen. Da hatte Anwar ihn in der Hand und da hat er hell geleuchtet.« Der Wolf schaute Anwar erstaunt an. In seinen Händen? Er ist der Träger von einem der Steine? »Anscheinend. Aber das heißt auch, das wir vollkommen umsonst hierher gekommen sind, der Stein lag all die Jahre praktisch direkt vor meiner Nase«, seufzte Anwar. »Macht nichts, solange wir jetzt wissen, wo er ist«, fand Zachary, nahm jedoch wieder das Buch zur Hand. »Den Kompass oder diese Sonnenkarte wären bestimmt auch nützlich, vor allem für die anderen Steine.« »Das schon, aber die werden wir wohl nicht finden. Wir sollten sowieso erst einmal zurück gehen.« Danai stand auf und klopfte sich den Dreck von der Kleidung. »Dann kriegt Tehiyok ja war er will«, überlegte Anwar und bedachte den Schwarzhaarigen mit einem Seitenblick. Der jedoch ignorierte den Blonden einfach und sah schlicht begeistert aus. Plötzlich jedoch horchten Zachary und Azra auf. Sie hatten ein Geräusch gehört. Sogleich sprangen sie auf und blickten sich um, doch auch dieses Mal waren sie zu langsam. Einer kam von der Seite ganz lässig zu ihnen geschlendert, während der andere aus einem Baum mithilfe seiner Schwingen zu Boden glitt. »Da haben wir dich ja wieder, Ari. Und auch noch in Begleitung von Menschen. Hast du schon etwas gefunden, was du Ares präsentieren kannst?«, spottete der Größere. Aus großen Augen starrte die kleine Gruppe ihn und auch den anderen Dämon an. »Oh, keine angst, wir tun euch nichts«, meinte der Kleinere, als er ihre entsetzten Gesichter bemerkte. »Ich, wir…«, begann Zachary und stand auf, doch der Kleinere wunk ab. »Wir haben dich gleich durchschaut. Ares hasst nichts mehr als Halbdämonen, da würde er gewiss keinen damit beauftragen, etwas für ihn zu suchen«, meinte er. »Woher wisst ihr, das ich…?« »Keine Flügel. Alle Dämonen haben Flügel, also kannst du schon mal kein richtiger sein«, erklärte der Kleinere und grinste wölfisch. »Und wenn du zu Ares gehören würdest, dann hättest du dich garantiert nicht mir uns unterhalten, sondern gleich versuch uns umzubringen. Wir stehen nämlich auf Ares’ Abschussliste ziemlich weit oben«, erklärte der Größere sichtlich amüsiert. Ihr seid Widerständler, meinte Azra plötzlich, dem offensichtlich ein licht aufgegangen war. »Ganz genau«, nickte der Größere. »Und genau deswegen tun wir euch nichts. Das wäre, als wenn man sich selbst das Messer ins Herz stößt. Schwachsinnig eben. Ich meine, ihr arbeitet gegen Ares, wir auch, warum also sollten wir uns nicht zusammen tun?« »W-was sagen sie?«, quiekte Danai ängstlich. Zachary zuckte unwillkürlich zusammen, er hatte sie vor Schrecken völlig vergessen. »Sie tun uns nichts, sie arbeiten auch gegen Ares«, fasste er kurz zusammen. »Ganz genau«, grinste der Kleinere in der Menschensprache und hielt Danai die Hand hin. Die jedoch sprang mit einem leisen Aufschrei zurück. »Dann halt nicht.« Der Dämon zuckte die Schultern. »Wir sind übrigens Arik und Can«, erklärte der Kleinere und deutete erst auf den Größeren, dann auf sich selbst. Zachary biss sich kurz auf die Lippen, tauschte mit Azra einen schnellen Blick. »Ich bin Zachary. Das sind Anwar, Danai, Tehiyok und Azra«, stellte er alle vor. Da trat Arik zu ihm und zupfte neugierig an seinem Ohr, als würden die anderen gar nicht existieren. »Ist das Schwarz echt?«, fragte er neugierig und neigte den Kopf zur Seite. »Natürlich, eures denn nicht?« Der junge Halbdämon schaute fragend. »Nein. Ist bloß Tarnung, weil alle von Ares’ Leuten schwarz gefärbtes Fell haben. Na ja, vielleicht ist auch einer dabei, der es von Natur aus hat, aber schwarzes Fell ist sehr selten. Ich zumindest kenne nur zwei und die sind beide tot«, überlegte Arik. »Und… wie seht ihr sonst aus?«, erkundigte sich Danai leise und zögerlich. Sie schien das Thema auf etwas bringen zu wollen, was möglichst weit weg von Menschenjagenden Dämonenkönigen und anderen Dingen war, was die beiden auf dumme Idee bringen konnte. Und die machten auch sogleich begeistert mit. »Ich bin eigentlich weiß«, antwortete Arik und schnitt ihr gut gelaunt eine Grimasse. »Grau«, erklärte Can. »Aber zu etwas andere. Haben wir das vorhin richtig verstanden? Ihr sucht die Steine und ihr wisst sogar, wo in etwa sich einer befindet?« »Ja«, bestätigte Zachary. »Dann wünschte ich euch viel Glück. Wir können euch leider nicht bei der Suche helfen, wir haben einen Widerstand anzuführen, aber…« Arik konnte nicht aussprechen, denn Can unterbrach ihn. »Aber ihr könnt euch jederzeit bei und melden, wenn wir euch helfen können, dann werden wir das tun«, sprach er weiter. »Das könnte schwierig sein, wenn ihr nur hier im Wald seid«, murmelte Anwar. »Oh nein, der Widerstand läuft schon überall im Land. Natürlich im Untergrund, damit Ares nicht allzu viel mitbekommt. Jetzt müssen wir aber los, wir haben heute noch ein weiteres interessantes Treffen«, erklärte Arik, während er und Can wieder einen langen, vielsagenden Blick tauschten. »Das heißt, wir werden noch häufiger Dämonen begegnen, die gegen Ares agieren?«, fragte Zachary aufgeregt und hielt sie so noch einmal vom gehen ab. »Jede Menge«, nickte Can. »Und sie werden euch jederzeit Unterschlupf und Schutz gewähren, wenn ihr auf sie trefft, dafür werden wir sorgen. Alle Feindes Ares’ sind unsere freunde«, fügte Arik noch hinzu. »Und wir können wir Freunde von Feinden unterscheiden?« Danai schien ihre Scheu abgelegt zu haben, sie schaute neugierig auf die Dämonen. »Ganz einfach, alles was euch fressen will ist der Feind und der Rest sind Rebellen. Aber du solltest trotzdem verbergen, was du bist, indem zu etwas trägst, was deinen Rücken verdeckt. Damit dich der Feind nicht sofort erkennen kann. Vorhin wärst du sonst des Todes gewesen«, erklärte Can. »Am besten einen schwarzen Umhang, der so viel wie möglich von dir verbirgt, dann kannst du nämlich auch durch Menschenstädte laufen. Der schwarze Umhang ist unser Erkennungszeichen«, erklärte Arik grinsend. Dann deutete er jedoch in den Wald. »Jetzt müssen wir aber wirklich los. Bis irgendwann einmal.« Damit verschwanden die beiden Dämonen ebenso schnell wieder im Wald, wie sie hervorgekommen waren. Kapitel 7: Gespräch in der Morgendämmerung ------------------------------------------ »Ich habe nachgedacht.« Zachary zuckte erschrocken auf und schaute sich alarmiert um. Er hatte schon fast geschlafen und es war spät in der Nacht. »Worüber den?«, gähnte Danai müde und richtete sich links von ihm auf. »Über das ganze hier«, antwortete Tehiyok und bewegte sich in der Dunkelheit. »Es ist kein sinnloses Unterfangen, immerhin haben wir den ersten Stein schon bald«, antwortete Zachary und setzte sich ebenfalls auf um zu dem Händlerssohn hinüber zu blicken. »Stimmt. Es ist nicht sinnlos, aber das habe ich auch nicht behauptet. Ich wusste, dass sie irgendwo sein müssen. Ich habe nur darüber nachgedacht, dass es das richtige ist, wenn drei halbwüchsige sich auf die Suche machen. Versteht mich nicht falsch, ich halte euch nicht für zu jung oder zu leichtsinnig oder dergleichen. Ich... nun, was ich sagen will ist…«, Tehiyok seufzte und bewegte sich wieder in der Dunkelheit. »Das du mitkommen möchtest?«, vermutete Anwar zu Zacharys rechten. »Ich… ja«, antwortete der schwarzhaarige leise. Zachary seufzte. »In dem Moment, in dem du nicht gegangen bist, obwohl du es konntest, hast du dich uns schon angeschlossen Tehiyok«, meinte er und stand auf. »Wohin gehst du?«, fragte Danai sogleich. »Ich kann jetzt nicht mehr schlafen, ich mache einen Spatziergang«, antwortete Zachary und streckte sich abermals. »Wage dich aber nicht zu weit, hier in der nähe ist ein Dorf und dort sind Halbblüter nicht gerne gesehen, vor allem, wenn es ein halber Dämon ist«, warnte Danai gähnend. »Ich kann gut auf mich selbst aufpassen, aber danke für den Rat«, antwortete Zachary und zwängte sich durch ein Gestrüpp um zurück auf den Hauptweg zu kommen. Er ging in die Richtung weiter, in der sie auch am nächsten morgen laufen würden. Azra folgte ihm, lautlos wie ein Schatten, doch Zachary roch seine Anwesenheit. Woran denkst du?, fragte der Wolf nach einer weile. »Ich überlege, wie wir nach Nordwind kommen und auch wieder hinaus, ohne das sie uns bemerken«, antwortete der Halbdämon und schaute nachdenklich zum Himmel auf. Wir können durch das Zwergenreich, überlegte Azra und ging etwas schneller um an Zacharys Seite zu kommen. »Gibt es denn so einen Weg? Ich dachte, der Pass sei der einzige«, meinte Zachary. Oh nein, es gibt einige Wege ins Dorf, aber sie alle sind schwer passierbar, manche auch gar nicht mehr. Der Weg durch das Zwergenreich ist nur für wenige passierbar, denn auch über dem unterirdischen Gängen des toten Volkes schwebt ein mächtiger bann. »Nordwind ist von viel Magie umgeben, nicht wahr?«, der Halbdämon blickte zu Azra hinab. Natürlich, denn es ist schon seid Jahrtausenden ein wichtiger Ort für die Magier gewesen. Wenn es heute noch Zauberer geben würde, so würden sie das Land für sich beanspruchen, nickte er. »Warum ausgerechnet Nordwind? Es hat keine wirtschaftlich vorteilhafte Lage, dazu ist es viel zu schwer zu erreichen, es hat auch keine Bodenschätze oder dergleichen. Warum ist dort die Magie noch mit am stärksten?«, fragte Zachary neugierig. Wenn einer der Steine tatsächlich dort ist, dann hat er das ganze Gebiet mit seiner Magieregelrecht durchtränkt. Welche Farbe hatte das Licht, als das Schmuckstück erstrahlte? Zachary dacht einen Moment lang nach. »Weiß. Und als ich es berühren wollte, war es heiß, obwohl die anderen nur als warm empfanden.« Dann wird es der Stein des Lichtes sein. Den kannst du nicht berühren, den Dämonen sind Wesen der Dunkelheit, das Licht wehrt sich gegen sie. Dafür wird weder Anwar, noch ein anderer jemals den Stein der Finsternis berühren zu können, oder auch nur den Anhänger, wenn er in der Nähe des Steines ist. Das können nur die Dämonen. »Warum kann ein neutrales wesen wie ein Mensch ihn nicht berühren?« Oh, das ist nicht einfach zu erklären. Es ist so, dass der Stein des Lichtes und der Stein der Finsternis mit einigem Abstand die beiden stärksten sind. Der Stein des Lichtes jedoch spendet Licht und damit leben, also wird er alles akzeptieren, was lebt, aber nicht zugleich von Dunkelheit zerfressen ist. Der Stein der Finsternis jedoch bringt Angst und Verzweiflung, aber er will nicht töten. Also lässt er sich nur unter starken schmerzen und nur kurz berühren, damit das Wesen nicht durch seine Macht zu Tode kommt. Einem Dämon jedoch kann seine Macht nichts anhaben, also können sie ihn gefahrlos anfassen, als einzige Art. »Ich glaube, das habe ich verstanden. Aber ist es nicht immer der sinn des Böses, den Tod zu bringen?«, fragte Zachary leicht verwundert. Nein, den Schmerz und Angst können tausend mal schlimmer sein, als der Tod, antwortete der Wolf. »Wie kann die Angst schlimmer sein, als der Tod? Es gibt nichts, das schlimmer ist, als der Tod«, antwortete Zachary. Oh doch. Ihr fürchtete den Tod, weil ihr nicht wisst, was danach kommt. Ihr fürchtet euch vor dem Unbekannten, wenn ihr wüsstet, was danach geschieht, würdet ihr euch nicht ängstigen. Also ist es wieder nur die Angst, die ich glauben macht, der Tod sei schlimmer als alles andere. »Ist es den nicht schlimm, wenn man stirbt?«, Zachary blickte den Wolf fragend an. Das weiß ich nicht, Zachary. Ich bin niemals gestorben. Der Halbdämon blieb stehen, schaute Azra einen Moment lang nachdenklich an, dann schaute er ein wenig verwundert nach links. »Dieses Gefühl… was hat es zu bedeuten?«, fragte er verwundert. Es bedeutete starke Magie. Hier ist irgendwo ein mächtiger Zauberbann. »Wie der, am Eingang zu Nordwind?«, fragte Zachary neugierig. Ja, so etwas in der Richtung. Nur scheint er ungleich mächtiger zu sein. »Kannst du ihn auch aufnehmen und deiner Macht hinzufügen?«, fragte Zachary neugierig. Nein, es ist ein Zauber, den ich nicht kenne. Ich könnte ihn nicht brechen. Ist aber auch nicht nötig, ich kann die Macht des Lichtsteins nutzen. »Gibt es eigentlich viele Arten, die Magie wirken können?« Azra verneinte. Die Wächter konnten es einst, doch sind sie schon fast ausgestorben, auch wenn sie sich immer noch so nennen. Dämonen sind die einzigen, die noch wirkliche Magie zustande bringen können, die wissen, wie sie die Mächte zu nutzen haben. »Kann ich so etwas auch?«, Zachary blieb stehen und schaute Azra aus großen Augen an. Natürlich kannst du. Aber ich kann es dich nicht lehren, denn deine Magie unterscheidet sich von meiner. Du musst es von einem anderen Dämon lernen. Bei Zeiten sollten wir die Widerständler aufsuchen, sie könnten dir gewiss weiterhelfen, zumal es auch ihnen nützt. »Hast du nicht gesagt, das es keinen Widerstand im Dämonenreich gibt?« Offenen Widerstand gibt es auch nicht. Sie gehen aber augenscheinlich geschickt vor, sie verlassen das Dämonenreich und versuchen, verbündete zu finden. Zachary zuckte mit den Schultern. Er drehte sich in die Richtung, aus der er die Magie spüren konnte. »Warum habe ich eigentlich nicht gemerkt, dass der Stein da war? Und dem Zauber oben beim Felsen? Diesen hier spüre ich nämlich.« Weil du an die Macht des Steins gewohnt warst, ebenso an die Zauberbanne im Zwergenreich und den Bann am Pass. »Man kann sich an Magie gewöhnen? Auch wenn sie einem so gegensätzlich ist, wie es die Lichtmagie mir gegenüber offensichtlich ist?« Natürlich. Man gewöhnt sich an nahezu alles. Zachary schaute nachdenklich vor sich hin, dann ging er in jene Richtung aus der er die starke Magie spüren konnte. Er musste nicht weit laufen, da stand er am Ufer eines großen Sees, der blau und grün funkelte und schillerte. Er machte noch ein paar Schritte an das Ufer heran und ließ sich dann in die Hocke sinken. Er wollte das Wasser berühren, doch eine Unsichtbare Macht schien ihn davon abhalten zu wollen, er konnte es nicht. »Was ist das für ein See?«, fragte er leise den schwarzen Wolf. Der Blaue See. Ein magischer See, früher einmal von Meermenschen bewohnt, sind sie vor einigen Jahren einfach verschwunden, keiner weiß, wohin. Man munkelt, dass ein Monster in seinen tiefen erwacht sei und die Meermenschen verjagte, aber keiner kann sie fragen. Danai wurde hier geboren. Zachary schaute ihn verblüfft an. »Woher weißt du das?« Sie riecht nach Magie und dem Wasser diesen Ortes. »Aha«, machte der Halbdämon, nicht wissend, was er von dieser Antwort halten sollte. Dann wandte er sich wieder dem Wasser zu und versuchte, die Dunkelheit zu durchdringen, doch es war, als würde er in einen schwarzen Spiegel blicken. Seinen Grund kannst du nicht einmal bei Tageslicht sehen, er ist tiefer als das Wasser an Nordwinds Küsten. »Aber es ist doch bloß ein See, warum ist er so tief?« Es ist ein magischer See. Vielleicht enthält er ein Geheimnis, das niemand finden soll und ist deswegen so tief. Vielleicht hat die Magie ihn aber auch vertieft, ich weiß es nicht. Wir sollten zurückgehen, sonst machen sich die anderen noch Sorgen. Zachary nickte zwar, blieb aber noch eine ganze Weile am schwarzen Wasser stehen. »Wir sollten noch einmal zurückkommen, wenn wir die Steine haben«, meinte er, als er sich umdrehte und Azra folgte. Warum das? »Ich weiß nicht, ich habe das Gefühl, dass das, was auf dem Grund des Sees liegt, dem jungen König vielleicht helfen könnte. Vielleicht kann ich ihm ja damit helfen«, er zuckte mit den Achseln. Ja, das wäre möglich. »Wo ist eigentlich hier der Eingang zum Zwergenreich?«, Zachary schaute sich suchend um. Hier direkt ist er nicht, wir müssen noch ein wenig weiter laufen. Zachary blieb stehen und blickte zum Himmel auf. Er sah einen hellen streifen im Osten, zögerte nur einen Moment. »Wir sollten gleich weitergehen. Je schneller wir den ersten Stein haben, umso schneller können wir den zweiten Suchen«, überlegte er laut. Sag das nicht mir, ich brauche keinen schlaf, der schwarze Wolf schien mit den Schultern zu zucken. »Und warum hast du dann in Nordwind immer so viel geschlafen?«, fragte Zachary belustet. Man muss sich immer der Umgebung anpassen, antwortete ihm der Wolf und schien zu grinsen. Auch Zachary lächelte, dann schritt er schneller aus. Für den Rückweg brauchte er auf diese Art und weise nicht ganz so lange. Seine Freunde schliefen noch, also weckte er sie, indem er sie kurz mit den Füßen anstupste und dann überlegte, wie er die Glut am besten aus bekam. Mit dem bloßen Fuß rein treten kam ihn nicht gerade klug vor, zumal er nie Schuhe trug und auch an den Füßen schwarzes, zottiges Fell wuchs, doch Azra kam ihn zur Hilfe und scharrte Sand auf die Feuerstelle. Während die anderen sich zu regen begannen und murrend und übermüdet aufstanden, rollte Zachary schon seine Decke zusammen und zog sich den schwarzen Umhang über, den sie im ersten Dorf, das sie gefunden hatten, nachdem sie Arik und Can begegnet waren, gekauft hatten. Es war ein guter Rat gewesen und klug von ihnen, ihn zu befolgen, den brauchten sie vor den Leuten keine angst mehr zu haben. Sie beäugten Zachary zwar jedes Mal misstrauisch, aber immerhin wurden sie nicht mehr davon gejagt und auch Wanderer auf den Straßen rannten nicht mehr schreiend davon, wenn sie ihn erblickten. »Beeilt euch«, brummte er, auf einem Stein sitzend und beobachtend, wie die andere damit begannen, ihre Decken zusammen zu rollen und sich umzuziehen. »Warum hast du es denn so eilig? Haben wir Verfolger?«, gähnte Anwar und ließ sich müde neben ihn zu Boden fallen. »Nein, aber wenn wir jetzt schon mal wissen, wo der erste ist, dann will ich schnell zu ihm hin«, antwortet Zachary wahrheitsgemäß und begann unruhig auf dem Boden zu scharren. »Wir sind doch fast fertig«, brummte Danai und schulterte ihren Rucksack. »Danai, der See hier in der nähe…«, begann Zachary. »Der Blaue See. Was ist mit dem?«, fragte sie gähnend, während Anwar und Zachary aufstanden und Tehiyok neben sie trat. »Bist du schon einmal auf seinem Grund gewesen?«, fragte er neugierig. »Nein, die Meermenschen haben mich nie soweit hinab gelassen. Aber ich habe gesehen, das sie dort unten eine Korallenstadt haben«, antwortete Danai ohne zu fragen, woher er wusste, das sie schon einmal hier gewesen war. »Okay. Nun, lasst uns gehen«, er erklärte nicht weiter, was er mit seiner frage bezweckte und die anderen warne zu Müde, um nachzufragen. So trotteten sie nun Azra hinterher, ohne überhaupt darüber nachzudenken, wohin sie gingen und Zachary dachte nicht daran, es ihnen zu erklären, wenn es sie sowieso nicht interessierte. Und da sie im laufen fast einschliefen, lag es nahe, das dies der fall war. Doch im laufe des Morgens wurden sie alle munterer und irgendwann fragte Anwar nach und Zachary erzählte ihm von dem Gespräch, das er in der vergangenen Nacht mit Azra geführt hatte. »Das heißt also, das wir gleich mit einem müden Halbdämon durch die verzauberten, höchst gefährlichen Höhlen des Zwergenreichs laufen?«, wollte Anwar wissen und sah gar nicht begeistert aus. »So sieht es wohl aus, ja«, nickte Zachary und lächelte. »Na klasse, da freu ich mich ja schon«, brummte der blonde sarkastisch. Zachary grinste dazu nur, wandte sich Azra zu. »Werden wir dort rauskommen, wo dieser Tafel mit dem Vertrag steht?«, fragte er neugierig und Azra nickt. Ja, alle Städte des Zwergenreichs sind miteinander verbunden, rein theoretisch könnte man zu jedem Punkt der Erde durch ihre unterirdischen Gänge laufen. Aber ich bezweifle, das ihr euch wohl fühlen würdet, Tag für Tag durch die vollkommene Dunkelheit zu laufen, antwortete der Wolf und sogleich nickten Tehiyok, Anwar und Danai. »Können wir vom Zwergenreich dann auch in die Höhle, in der der Stein liegt?«, fragte Zachary neugierig. Nein. Wenn der Stein am Meer geleuchtet hat, dann ist der richtige Weg dort zu finden, antwortete ihm Azra. »Also müssen wir nachts unbemerkt durch das Dorf schleichen. Kann ja nicht so schwer werden«, meinte Zachary. Wie sehr er sich irren sollte, das wusste er zu dem Zeitpunkt noch nicht. So lief er gut gelaunt vor sich hin, bis er den Eingang des Zwergenreichs erreichte. Kapitel 8: Durch das Zwergenreich --------------------------------- Es war ein großes, auffälliges Tor, das gleichzeitig jedoch so versteckt lag, dass niemand von ihnen es gefunden hätte, wenn Azra sie nicht direkt hingeführt hätte. Als sie es öffneten war ein schrilles kreischen zu hören und als sie hineinblickten war es, als würde die Finsternis das Licht aufsaugen, denn schon nach einem halben Meter war nichts mehr zu erkennen. Und wieder ergriff Zachary dieses unbestimmte Gefühl, das es ein großer Fehler wäre, weiter zu gehen. An den Gesichtern der anderen erkannte er, das es ihnen genauso erging, also fasste er sich ein herz, atmete einmal tief durch und trat als erster über die Schwelle. Es war, als wäre er durch einen Wasservorhang gelaufen, jedoch ohne, dass er nass wurde. Unwillkürlich schüttelte er sich, um die nicht vorhandene nässe aus seinem Fell zu kriegen, dann drehte er sich um und schaute zurück. Die anderen schauten ihn fragend an, schienen unsicher, ob es sinnvoll war, ihm zu folgen, ob sie nicht besser daran täten, einen anderen weg zu wählen, doch Zachary deutete mit einer Geste, ihm zu folgen. Zögernd nur traten auch die anderen durch den Vorhang aus Dunkelheit, während Zachary in das Innere der Gänge lauschte. »Bei dem Eingang bei Nordwind gab es diese Dusche aber nicht«, meinte der Halbdämon anklagend zu Azra. Natürlich nicht, der Eingang bei Nordwind braucht keinen Schutz dieser art. »Schutz dieser art?«, fragte Danai neugierig. »Das war ein Zauber der verhindern soll, das unbefugte hier herunter kommen, nicht wahr?«, vermutete Zachary und versuchte nun mit den Augen die Dunkelheit zu durchdringen. Ja, es ganz besonderer Zauber, der jede Verkleidung enttarnt. Azra blickte verwundert zu Zachary, der hörbar zu schnüffeln begonnen hatte, ging jedoch nicht darauf ein, sondern fuhr fort. Er ist unbrechbar, unüberwindbar. Niemand kann in einer Verkleidung hier hinab kommen, ohne enttarnt zu werden, so konnten die Zwerge gleich erkennen, wenn jemand hinab gekommen war, der hier nichts zu suchen hatte. Das Labyrinth ist auch ein teil diesen Schutzes, nur wenige finden sich hier zurecht. Die meisten sterben. »Aber du kennst den weg, oder?«, fragte Tehiyok alarmiert. Natürlich, sonst hätte ich euch nicht hier hinunter gebracht, der Wolf klang verärgert, doch das merkwürdige verhalten Zacharys, das jetzt auch den anderen auffiel, was im Moment interessanter, als eine Zurechtweisung eines jungen Menschen, der es nicht besser wusste. »Zachary, was machst du da?«, fragte Anwar über das laute schnaufen hinweg und zog viel sagend eine Augenbraue hoch. »Hier ist etwas, was hier nicht sein sollte. Ich… versuche herauszufinden, was es ist«, antwortete der Halbdämon und zuckte unwillig mit den Ohren. Oh, wenn wir Pech haben, wirst du es herausfinden. Hoff lieber, das es nicht kommt, bemerkte der Wolf dazu und ging den gang entlang. »Was soll das heißen, Azra?«, fragte Danai sogleich alarmiert. Es soll heißen, dass die Zwerge natürlich nicht nur einen Schutz zurückgelassen haben. Hier irgendwo läuft noch ein anderes Wesen herum. Ich weiß nicht, was es ist, das weiß niemand mehr, denn alle, die keine Zwerge waren und ihm begegnet sind, konnten es nicht mehr erzählen. Als ich damals mit Ari hier war, ist es die ganze Zeit um uns herumgeschlichen, aber vor dem Dämonenkönig hatte es zu viel angst, als das es sich getraut hätte, ihn anzugreifen. Drei Menschenkinder und ein junger Halbdämon werden vermutlich nicht ganz die gleiche Wirkung haben, aber mit etwas glück… Der Wolf schien gar nicht zu bemerken, dass die vier stehen geblieben waren und ihn entsetzt anstarrten. »Das ist ein scherz, oder?«, fragte Zachary in einem Tonfall, der schier um eine Lüge bettelte. Ich mache keine Scherze dieser art, antwortete Azra und schaute Zachary herablassend an. Der wechselte nur einen kurzen blick mit den anderen dreien und sogleich wandten sie sich um und wollten zurückgehen. Das funktioniert nicht, der Weg führt nur in eine Richtung, erklärte der Wolf in jenem Augenblick, da sie kollektiv gegen eine unsichtbare Wand gelaufen waren. Sogleich wandte sich Zachary wütend zu dem Wolf um und blitze das Tier gefährlich an. »Azra, du weißt aber schon, das wir erst recht nicht gegen das Monster ankommen, wenn es sich dazu entschließt, nach ein paar hundert Jahren endlich mal wieder was zu fressen, oder?«, knurrte er wütend. Bleib ruhig, es kann Angst riechen. Vertraut mir doch einfach, dass ich nichts tun würde, was euch in ernsthafte Gefahr bringt. Es ist nun einmal so, das ihr nicht gerade abschreckend auf es wirken werdet, aber meinst du, ich würde hierher kommen, wenn ich keine Chance, gegen es hätte? »Du meinst, du kannst es besiegen, wenn es kommt?«, fragte Tehiyok misstrauisch. Das weiß ich nicht, aber ich kann es lange genug aufhalten, dass ihr eine Chance habt, zu entkommen. »Und du meinst, ich würde einfach laufen, wenn du gegen es kämpfst?«, wollte Zachary wissen und trat wieder neben Azra. Ja, antwortete der Wolf einfach nur und ging voran. »Dann glaubst du aber ziemlich falsch«, antwortete ihm Zachary bissig. Nein, tue ich nicht. Zachary, du unterschätzt mich. Ich bin ein Wolf, ohne Zweifel, aber kein gewöhnlicher, das solltest du mittlerweile begriffen haben. Doch Zachary schüttelte energisch den Kopf. »Ich lass dich nicht zurück, egal was geschieht. Das ist ein Abenteuer, das wir nur gemeinsam bestehen können«, sagte er leise. Azra blieb stehen und blickte zu ihm auf. Er sagte nichts, doch Zachary las in seinem blick das er etwas gesagt hatte, was dem Wolf viel zu bedeuten schien. Das verwirrte Zachary ein wenig, denn er hatte geglaubt, das er dem Wolf nicht viel mehr bedeutete, als jedes andere zeitweilige Weggefährte des Tieres vor ihm auch. Er hatte geglaubt, er sei nur einer unter fielen. Der blick jedoch erzählte ihm, das dem nicht so war. Und plötzlich fiel ihm auch auf, wie wenig tierisches Azra eigentlich an sich hatte. Eigentlich war es so, als wäre er ein Wesen wie er, nur in der gestalt eines Wolfes. »Azra, bist du eigentlich immer ein Wolf gewesen?«, fragte er leise und benutzt dabei bewusst die Sprache der Dämonen. Er wollte nicht, dass die anderen verstanden, was er sagte. Nicht bei so etwas. Nein, nur ein Wort, doch aus ihm sprach so unendlich viel, das Zachary den Wolf einige Momente lang nur voller entsetzen anschauen konnte. »Du warst einmal ein Mensch. Oder ein annähernd menschliches wesen, nicht wahr?«, fragte er leise weiter. Ja. Aber es ist schon lange her. Lass uns gehen, der Wolf wollte offensichtlich nicht darüber sprechen und Zachary akzeptierte das. Auch wenn er jetzt erst so richtig neugierig wurde. Wer hatte Azra in die Gestalt eines Wolfes verbannt, und konnte er jemals wieder seine ursprüngliche gestalt annehmen? Warum hatte jemand überhaupt zu dieser Maßnahme gegriffen? Was war er für ein Wesen gewesen? Ein Mensch? Ein Elb? Vielleicht etwas ganz anderes. Und warum war er zu den Dämonen gegangen und bei ihm geblieben? Er seufzte, vergrub seine fragen irgendwie ganz hinten in seinem kopf und folgte dem Wolf, der leichtfüßig vor ihm hertrabte. Die anderen folgten ihm unsicher. Sie konnten nichts sehen und sie besaßen auch nicht die sicheren Instinkte eines Tieres, wie Zachary, so bewegten sie sich nur ausgesprochen vorsichtig und entsprechend langsam. »Beeilt euch doch mal«, murrte Zachary irgendwann, als sie einen ganzen Gang hinter ihm dahin trippelten und er warten musste. Er wurde immer nervöser, den er spürte, dass das wesen, dass diese unterirdische Stadt bewachte, ganz nahe war und sie aus der Dunkelheit, die nicht einmal er durchdringen konnte, beobachtete. »Wir können nicht schneller, ihr sind überall Steine, über die wir stolpern würden, an manchen stellen ist der Boden glatt und ohne die wand würden wir vermutlich im kreis laufen«, knurrte Tehiyok zurück. Zachary seufzte und schaute dorthin, wo er Azra vermutete. Sehen konnte auch er nichts, aber er hörte den leisen Atem und roch das feuchte Fell. »Wir bräuchten Feuer«, meinte Danai, etwas näher als Tehiyok. Nein, das würde ihn anlocken. Es gab schon seid tausenden von Jahren kein Feuer mehr hier unten, widersprach Azra. »Aber dann würden wir schneller voran kommen und könnten dem Vieh dann doch eher entkommen«, meinte nun Anwar. »Ich glaube, das würde uns aber nicht viel bringen. Es ist hier irgendwo und solange wir ihm nicht direkt den weg zeigen, dann könnten wir unbemerkt vorbei kommen. Mit einer Fackel könnten wir uns ihm auch gleich ins maul stürzen«, schlug sich Zachary auf Azras Seite. Seinen Fehler bemerkte eine Sekunde später. »Wir weisen ihm gerade den weg«, stellte er entsetzt fest und versuchte sich instinktiv umzublicken. Doch nach wie vor sah er nichts. »Wie meinst du das?«, Danais stimme war höher als sonst, zitterte ein wenig. »Unsere stimmen«, auch Anwar war ein licht aufgegangen. »Genau. Es weiß, wo wir sind, wir können nicht entkommen, wenn es die Jagd eröffnet«, bestätigte Zachary und lauschte. »Und warum tut es nicht genau das?«, fragte Tehiyok. Auch seine Stimme zitterte ein wenig. »Ich weiß es nicht«, antwortete ihm Zachary und ließ seinen Rucksack von der Schulter rutschen. Er durchkramte ihn, fand aber nichts, was er als Fackel nutzen konnte. »Schaut nach, ob ihr etwas findet, was uns hilft«, forderte er die anderen auf. Sogleich hörte er, wie einige Meter entfernt von ihm drei Rucksäcke auf dem Boden aufprallten und durchsucht wurden. »Ich habe das Seil, mit dem wir Tehiyok gefesselt haben«, meldete sich Danai nach ein paar Sekunden. Zachary dachte einen Moment lang nach, schüttelte dann aber den kopf. »Bringt uns nichts. Damit könnt ihr ja trotzdem nicht sehen, wo es glatt ist und wo Trümmer lauern«, meinte er. »Stimmt«, Danai klang enttäuscht. Plötzlich zuckte Zachary erschrocken zusammen. Hinter ihm hatte er ein Geräusch gehört und er spürte die Anwesenheit von etwas großen, das zu ihm hinab blickte. »Azra, sag mir bitte, das du neben mir stehst«, flüsterte er voller grauen mit tonloser Stimme. Auch dieses mal wollte er eine lüge hören, den er wusste, das es nicht Azra war, dessen Atem er im Nacken spüren konnte. »Azra durchsucht gerade mit seiner Nase meinen Rucksack, er ist bei mir«, antwortete Tehiyok anstelle des Wolfes. Zachary atmete schneller. Nur mühsam konnte er die aufkeimende Panik unterdrücken. Langsam drehte er sich und versuchte, die Dunkelheit vor sich zu durchdringen, doch natürlich sah er nichts. Aber nun roch er den strengen Geruch, der ihn an einen Kuhstall erinnerte und spürte den heißen Atem in seinem Gesicht. Langsam ging er rückwärts zu den anderen zurück. Er spürte, wie ein schatten an ihm vorbeihuschte, hörte das klackern von Azras krallen auf dem Stein und berührte dann weiches Fell, als sich Azra knurrend vor ihn stellte. Doch der Wolf konnte das Monster augenscheinlich nicht beeindrucken, den Zachary spürte, wie es wieder näher kam. Hören konnte er es nicht, dazu bewegte es sich zu lautlos, was den Halbdämon ungemein beunruhigte. Ein wesen von der Größe konnte sich nicht einfach so lautlos bewegen, es musste Geräusche machen, bei jedem schritt, den es tat. »Es ist schon lange her, das ein Dämon durch diese Gänge lief«, sprach es plötzlich mit tiefer stimme. Erschrocken wich Zachary noch ein paar schritte zurück und stolperte über das Geröll, das hinter ihm lag. »Pass auf, es gibt viele Steine hier«, erklärte das Wesen überflüssigerweise. Irgendetwas packte Zachary grob und stellte ihn wieder auf die Beine. Sogleich sprang Azra neben ihn und knurrte noch lauter, doch da er sich gegen Zacharys Beine drängte, spürte er, das der Wolf verwirrt war. Er hatte offensichtlich nicht gemerkt, dass das wesen an ihm vorbei gegangen war. Er spürte, wie es sich wieder ein wenig entfernte. »Was tut ihr hier unten, es ist gefährlich. Alle Tunnel könnten jederzeit einstürzen, von einigen der Wesen hier unten ganz zu schweigen«, meinte es. »Du wirst uns nichts tun?«, fragte Danai mit zitternder stimme einen Meter hinter Zachary. »Sollte ich etwa?«, wollte es wissen und entfernte sich noch weiter. »Nein, aber du hast es selbst gesagt, es gibt gefährlich wesen hier unten. Wir dachten, dass du dazu gehörst«, meinte der Halbdämon. »Nein, da kann ich euch beruhigen. Ich war einfach nur erstaunt, dass ein Dämon wieder durch diese Hallen läuft, es ist schon lange her«, sprach das Wesen. »Ich bin kein Dämon, ich bin ein Halbdämon«, antwortete Zachary und legte unsicher seine Hand auf Azras Kopf. »Nimmt sich nicht viel«, antwortete es leichthin. Was bist du für ein wesen?, knurrte Azra an seiner Seite. »Ein Minotauer. Ich beschütze das Labyrinth, bis die Zwerge wiederkommen. Es wird nicht mehr lange dauern, sie sind schon lange weg«, antwortete es und jetzt verstand Zachary auch, woher der Geruch nach Kuhstall gekommen war. Ein Minotauer hatte den Kopf eines Stiers und den Körper eines Menschen, er hatte eine Zeichnung von einem in Aris Tagebuch gesehen. Sie werden nicht wiederkommen, sie sind Tod. Es gibt keine Zwerge mehr, antwortete Azra rücksichtslos. »Was verstehst du davon, Wolf? Nur weil du sie niemals gesehen hast, heißt es nicht, dass es keine mehr gibt. Auch einen Dämon habe ich lange nicht gesehen, aber heute steht einer vor mir«, antwortete der Minotauer. Azra antwortete darauf zwar nichts, aber Zachary spürte dennoch, das er es nicht gut fand, dass sich das große Wesen selbst belog. »Wir wollen diese Gänge nur durchqueren, wir werden nicht lange bleiben«, meinte er. »Schade. Ich hatte lange niemanden mehr, zum reden«, antwortete ihm der Minotauer und Zachary hörte deutlich das aufrichtige bedauern in seiner Stimme. »Wir haben eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Aber bis wir auf der anderen Seite sind, könntest du uns begleiten, wenn du möchtest«, bot der Halbdämon an. »Gerne«, antwortete der Minotauer recht einsilbig. »Hast du vielleicht so etwas wie eine Fackel oder eine Laterne?«, frage Anwar leise. »Nein. Ich brauche kein Licht hier unten«, meinte der Minotauer und ging den Gang entlang. »Nun, dann werden wir dir gewiss länger Gesellschaft leisten, als du meinst«, seufzte Zachary. »Menschen stellen sich nie sehr geschickt in der Dunkelheit an. Werfe es ihnen nicht vor«, meinte das wesen schon am ende des Ganges angekommen. »Ich werfe es ihnen nicht vor, ich stelle es lediglich fest«, widersprach Zachary und folgte dem wesen leichtfüßig. »Wie heißt du eigentlich? Oder haben Minotauren keinen Namen?<«, fragte er neugierig und ohne scheu. Er spürte, dass das wesen ihm wirklich nichts tun würde. »Ich bin schon so lange allein. Ich habe ihn vergessen«, der Minotauer blieb stehen und neigte nachdenklich den Kopf. »Wie alt bist du?«, fragte Danai, ohne jegliches zittern in der stimme. Sie spürte offensichtlich, das auch Zachary ihn nicht fürchtet und fasste nun selbst vertrauen. »Auch das weiß ich nicht«, antwortete er und hörte sich dabei traurig an. Du warst schon vor dem großen Krieg hier, lange davor, nicht wahr?, fragte Azra neugierig. »Ja. Ich war schon hier, bevor die Steine geschaffen wurden«, bestätigte der Minotauer. »Also zu der Zeit, als der erste Dämonenkönig lebte«, überlegte Zachary laut. »Ich habe ihn gekannt. Er war ein großer Herrscher«, antwortete der Minotauer. »Du kanntest den ersten Dämonenkönig?«, fragte Anwar neugierig. »Ja. Er war hier, als der vertrag geschlossen wurde. Er war der letzte Dämon, den ich hier sah, bis heute zumindest. Er war ein guter König. Euer jetziger König ist nicht gut, oder? Man hört Geschichten«, sprach der Minotauer. »Nein, Ares ist gewiss kein guter König, aber woher weißt du das?«, fragte Zachary. »Von Tieren, die mir besuche abstatten.« »Wenn der erste Dämonenkönig der letzte war, den du gesehen hast, dann hast du Ari nicht getroffen, oder?«, fragte Danai. »Ari?«, der Minotauer schien den Kopf zur Seite zu neigen. »Ein Nachkomme des ersten Dämonenkönigs«, erklärte Tehiyok. »Nein. Ihn habe ich nicht getroffen. Aber den Dämonenkönig. Besserer Herrscher. Er hätte nicht gehen sollen, dann wäre die Welt noch wie früher. Er wurde von jedem gemocht, niemals gehasst«, der Minotauer schien in Erinnerungen zu schwelgen. »Ein Dämon, der von jedem gemocht wurde?«, man hörte deutlich, das Anwar sich dies so etwas nicht vorstellen konnte. »Er war ein guter König, er war gerecht und hat niemals krieg geführt. Nur mit Worten gekämpft, obwohl er mächtig war. Er war klug, er hat den schwarzen Stein versteckt«, meinte der Minotauer nachdenklich. »Er hatte die Idee mit den Drachen«, nickte Zachary. Oh, erliege nicht dem Irrglauben, dass sich euch nur Drachen entgegenstellen werden, Zachary. Es sind verschiedene Wesen, es ist nur ein einziger Drache unter ihnen, antwortete Azra. »Und die anderen Wesen? Was sind sie?«, fragte Danai neugierig. Das werdet ihr sehen, wenn ihr auf sie trefft, antwortete Azra. »Dann bin ich ja mal gespannt, was dies für Tiere sein werden«, überlegte Zachary nachdenklich. »Aber es müssen ja auch mächtige wesen sein, ansonsten sind die Steine ja nicht sicher.« Selbst ohne die Wächter wären sie geschützt, da kannst du dir sicher sein, antwortete Azra. Und Zachary nickte, denn er glaubte dem Wolf aufs Wort. Kapitel 9: Weg zum Wasser ------------------------- Leise und vorsichtig schlich sich Zachary zurück zu den anderen. »Meinst du, das etwas geschehen ist?«, fragte Anwar leise und hörte sich dabei eindeutig besorgt an. »Ich weiß es nicht. Ich hoffe nicht, aber anders kann ich mir auch nicht vorstellen, warum das ganze«, antwortete der Halbdämonen ebenso leise und nickte in Richtung des Waldes. »Lasst uns noch ein wenig weiter weg gehen.« Vorsichtig schlichen sie noch ein wenig näher an den Wald heran und ließen sich im Schutz eines Busches nieder. »Vielleicht suchen sie ja immer noch nach uns. Sie können ja nicht wissen, dass es uns gut geht, vielleicht denken sie, weil wir mit dir gemeinsam losgereist sind, dass wir nun in großen Schwierigkeiten stecken«, wusste Danai beizutragen und schaute dabei nachdenklich den jungen Halbdämon an. »Nein, glaub ich nicht«, widersprach Anwar, »ich glaube eher, das sie vielleicht verhindern wollen, das sich noch mehr auf den Weg machen, die noch nicht alt genug sind.« Daraufhin schüttelte jedoch Zachary missbilligend den Kopf. »Dann müssten sie nicht die ganze Nacht durch das Dorf streunen, dann müssten sie bloß die Fenster sturmsicher machen und die Zimmertüren abschließen«, meinte er. »Stimmt auch wieder«, nickte Danai. »Oh, bei manchen musst du deutlich mehr machen, als nur das«, antwortete Anwar, grinste breit und blickte zu Zachary hinüber. Der beachtete ihn nicht, schaute stattdessen weiterhin nachdenklich in Richtung der Häuser. Danai dagegen verdrehte die Augen. »Es sind nicht alle so wie Zachary. Die meisten würden vermutlich nicht einmal eine Tür aufbekommen, wenn er einen anderen Knauf hätte«, antwortete sie bissig. »Oh, du unterschätzt die Dorfkinder«, mischte sich Zachary ein, schaute aber nicht zu Danai. Stattdessen stand er auf und ließ sich einige Meter weiter rechts wieder nieder. Von hier aus konnte er besser das geschehen im Dorf verfolgen. »Könnte es nicht sein, das es einen Angriff oder so etwas gegeben hat?«, überlegte Tehiyok. »Von wem denn?«, fragte Anwar sogleich. »Weiß ich doch nicht. Vielleicht hat ja irgendein König es auf dieses gebiet abgesehen oder so, ich weiß es nicht«, fauchte Tehiyok zurück. »Azra? «, fragte der Halbdämon und blickte den schwarzen Wolf misstrauisch an. Der jedoch schien zu wissen, was Zachary dachte und schüttelte sogleich den Kopf. Dann hätten sie den pass verriegelt, der Bann lag ja ausschließlich um die Berge herum, antwortete er sogleich. »Stimmt auch wieder«, nickte Zachary und blickte wieder zurück ins Dorf. »Ist nicht eigentlich auch egal, was passiert ist? Hauptsache wir kommen bald hinab zum Strand«, murrte Tehiyok, was ihm sogleich drei verächtliche blicke einbrachte. »Was ist? stimmt doch«, brummte er, doch dann schien ihm ein licht aufzugehen. »Ohh, stimmt ja, eure Familie leben ja hier, ihnen könnte ja etwas geschehen sein!« »Das du darauf auch schon kommst«, spottete Anwar giftig, beachtete Tehiyok dann aber nicht mehr weiter, sondern blickte wie Zachary ins Dorf hinüber. »Meinst du, du könntest ins Dorf schleichen und lauschen?«, fragte er leise, doch Zachary verneinte sogleich. »Sie würden mich selbst bei Nacht erkennen, allein schon an den fehlenden schwingen«, antwortete er. »Und Azra?«, fragte Danai nachdenklich. »Geht auch nicht, er ist ja immerhin hier schon ungleich länger, als ich. Sie würden ihn fast ebenso schnell erkennen«, verneinte Zachary sogleich. »Stimmt«, nickte das Mädchen und wirkte geknickt. Man sah ihr an, dass sie sich sorgen machte, doch da war sie nicht die einzige. Zachary biss sich voller Ungeduld und angst so sehr auf die Lippe, das sich seine scharfen zähne tief ins Fleisch gruben und glitzerndes, rotes blut über sein Kinn lief. Er selbst spürte den schmerz gar nicht, dazu war er zu sehr in seinen Gedanken gefangen. »Vielleicht sollten wir uns ein sicheres versteck für den tag suchen, wer weiß, wie weit sie sich bei sonnenlicht vorwagen«, meinte Tehiyok leise hinter ihm. Der Halbdämon blickte noch einen Moment lang ins Dorf, doch dann nickte er und ruckte mit den kopf in Richtung Süden. »Im Sumpf steht eine alte Hütte, dort können wir bleiben«, meinte er und stand auf. »Du willst ins Geisterhaus?«, fragte Anwar sogleich geschockt und starrte zu seinen Freund auf. »Wo willst du sonst bleiben? Im Wald ist es zu unsicher, da gibt es zu viele wilde Tiere, ins Dorf können wir nicht, weil wir sonst nicht wieder weg können und das Zwergenreich möchte ich meiden, solange es geht«, antwortete Zachary sogleich. »Ja, schon, aber das Geisterhaus?«, Anwar wirkte alles andere als überzeugt. »Was für ein Geisterhaus den?«, meldete sich Danai. »Eine Hütte im Moor, in der ein alter, verrückter Mann ganz allein gelebt hat. er kam gelegentlich ins Dorf, die meiste zeit blieb er aber für sich«, erzählte Anwar. »und warum ist sein haus ein Geisterhaus?«, fragte Tehiyok neugierig. »Man sagt, das er in jungen Jahren mit einem Dämon befreundet war, doch weil Menschen nicht so lange leben, wie Dämonen, hat er einen fluch über den alten Mann gehängt, das seine Seele nicht ins Andere gehen kann. So blieb seine Seele also in seiner Hütte gefangen, doch sie will ins andere Reich übergehen und so tobt sie den ganzen tag und die ganze Nacht. Egal wann man dorthin geht, immer hört man lärm aus dem haus, doch wenn man hinein geht, dann ist dort keiner. Und einmal soll das Haus sogar in flammen gestanden haben, doch als die Frau, die es sah, später mit anderen Leuten wieder kam, da stand es vollkommen unversehrt da«, erklärte der junge Mann. »Okay, das klingt wirklich nach Geisterhaus, und wenn der Mann auch noch verrückt war…«, auch Danai hatte diese Geschichte nicht gekannt. »Er war nicht verrückt. Seltsam, aber nicht verrückt. Er hat Anwar und mir unsere Namen gegeben«, wandte Zachary sogleich ein. »Warum haben eure Eltern Namen von einem verrückten entgegen genommen?«, fragte Tehiyok verwundert. »Ich weiß es nicht. Ich glaube, meine Mutter war über tausend ecken mit ihm verwandt und so wollte sie ihm einen gefallen tun«, antwortete Anwar. »Er hat aber gute Namen ausgesucht«, fand Zachary und lächelte. »Inwiefern das?«, Anwar blickte seinen Freund verdutzt an. Anwar bedeutet hell oder leuchtend. Und Zachary war der Name des Bruders des ersten Königs, der ebenfalls ein Halbdämon war und von sehr sanfter Natur, antwortete Azra anstelle des Halbdämonen. »Und er war nicht verrückt. er konnte fabelhaft Geschichten erzählen, und es dauerte eine weile, bis ihm wieder bewusst wurde, was um ihn herum geschah, aber er war nun einmal schon sehr alt. Viele alte Menschen verlieren sich in ihren Geschichten, nur das seine so unglaublich klangen, das viele dachten, das er sie erfunden hatte. Damals dachte ich das auch, aber mittlerweile bin ich mir nicht mehr so sicher«, erklärte Zachary und lächelte. »Du kanntest ihn gut, was?«, fragte Danai neugierig. »Als ich klein war, bin ich fast jeden tag zu ihm gelaufen und habe ihm zugehört. Er war der einzige im Dorf, der nie auch nur eine Sekunde angst vor mir hatte, auch als ich manchmal gefährlich war«, nickte der Halbdämon. »Wie, gefährlich?«, fragte Tehiyok sogleich. »Als ich klein war konnte ich meine Kräfte noch nicht ganz im Zaum halten und ich wusste auch nicht einzuschätzen, wie stark ich war, ob ich meinem gegenüber vielleicht wehtat, wenn ich ihn nur über den arm strich«, antwortete Zachary. »Er hat es mir beigebracht und er war sehr geduldig mit mir.« »Also kein verrückter einfach nur ein alter Mann«, stellte Danai beruhigt fest. »Aber die Geschichten stimmen«, war Anwar ein. »Bezweifelt ja auch keiner«, beruhigte Zachary, »nur das er verrückt war eben nicht.« »Haben Geisterhäuser nicht immer diesen unheimlichen Charme gegenüber Kindern? Die dann immer darin herumkrauchen und sich dabei Ungeheuer mutig vorkommen?«, überlegte Tehiyok. »Ja, da macht dieses Dorf auch keine Ausnahme. Aber die erwachsenen werden sie zuverlässig von den Sümpfen fernhalten. Und selbst wenn sie es nicht täten, sie werden nicht kommen«, antwortete Zachary und grinste wölfisch. »Wie kannst du dir da so sicher sein?«, fragte Danai neugierig. Anwar jedoch schien eine gewisse Vorstellung davon zu haben. »Chichos Geschichte stimmt?«, fragte er neugierig. »Nein. Ich bin gewiss niemals von einem bösen Geist befallen worden«, antwortete Zachary, doch dabei bleckte er die zähne, das die anderen unwillkürlich im schritt innehielten. »Was ist damals geschehen?«, fragte Tehiyok vorsichtig, aber deutlich neugierig. »Ich bin mit Chicho und ein paar anderen zum Haus gelaufen, und Chicho hat ihnen die ganze zeit irgendwelche Gruselgeschichten von Leuten erzählt, die von einem Geist besessen waren, sobald sie das haus betraten. Und dann hat er sich darüber lustig gemacht, dass die anderen angst hatten. Also habe ich beschlossen, ihm einen gehörigen schrecken einzujagen und bin als erster ins haus gegangen«, erzählte Zachary grinsend. »lass mich raten, kaum über die schwelle getreten hast du so getan, als wärst du besessen«, vermutete Tehiyok lachend. »Genau. Als dann ein paar Minuten später die erwachsenen kamen, da hab ich mich auf den Boden gelegt und so getan, als wäre ich ohnmächtig gewesen und könne mich an nichts erinnern. Seitdem haben Chicho und die, die dabei waren, eine Heidenangst vor dem haus. Und alle anderen würden es nicht wagen, sich hinter Chichos rücken hierher zu schleichen. Er muss nun einmal der mutigste sein, da kann es nicht sein, das einer der anderen etwas wagt, was er niemals tun würde«, Zachary grinste wieder wölfisch. »Da wäre ich gerne bei gewesen«, lachte Danai. »Aber in dem haus spuckt es nicht wirklich?«, fragte Tehiyok nach einer weile. »Also mir ist noch kein Geist über den weg gelaufen«, antwortete Zachary und grinste. »Das muss nichts heißen, vielleicht haben sie angst vor dir«, überlegte Anwar. »Ach, quatsch, sei doch kein Angsthase«, grinste Zachary und setzte sich die die spitze der kleinen Gruppe, um sie zu führen. Er war der einzige, der sich im Moor halbwegs auskannte und den weg zur Hütte hätte er sogar blind gehen können. Sie brauchten eine ganze weile, bis sie vor dem verfallenen haus standen und es mit großen Augen anblickten. »Da möchte ich nicht drin übernachten«, meldete sich Danai als erste. »Ich möchte da nicht einmal reingehen«, bemerkte Tehiyok und betrachtete misstrauisch das morsche holz der wände. »Ich wollte nicht einmal hierher kommen«, brummte Anwar, unwillig und machte einen schritt zurück. »Dann schlaft draußen«, grinste Zachary einfach und machte die letzten schritte zur Tür. Vorsichtig öffnete er sie, was ein lautes quietschen zur folge hatte. Die Tür hatte seid Jahren keiner mehr geölt. Er erinnerte sich, dass sie schon fast so sehr gequietscht hatte, als der alte Mann noch gelebt hatte und berichtigte seine Einschätzung auf ein paar Jahrzehnte. Langsam und vorsichtig prüfte er, ob der Fußboden ihn tragen würde, denn er wusste, dass das haus einen Keller hatte. Das einzige haus in diesem Tal, und er hatte nicht vor, ihn so schnell und so unsanft zu besuchen. Doch der Boden wirkte stabil, also trat er ganz ein und schaute sich mit angewidert gerümpfter Nase um. Es stank erbärmlich in der Hütte, was ihn aber nicht wirklich verwunderte. Alle Fenster waren geschlossen und zugenagelt, die Tür war auch geschlossen gewesen, es hatte also seid Jahren keine wirkliche Frischluft gegeben und der Schimmel, der die wände befallen hatte, tat sein übriges, ebenso wie das modernde holz. Das Dach war nämlich offensichtlich nicht mehr ganz intakt, es hatte schon mehrfach rein geregnet. »Gemütlich«, meinte er belustigt zu Azra. Ansichtssache, brummte der Wolf und blickte sich ebenfalls um. »Ich meinte ja auch für einen Hausgeist«, grinste Zachary und ging langsam durch den Raum zur schmalen Treppe, die in den nächsten stock führen würde. Dort hinaufzugehen ist keine gute Idee, fand Azra und Zachary musste ihn zustimmen, als er vorsichtig die unterste stufe prüfte, die so wirkte, als würde sie schon unter seinem bloßen blick verfallen. »sollen wir es riskieren, die Fenster aufzumachen und einmal gut durchzulüften?«, fragte er neugierig. Nein. Hier können wir sowieso nicht bleiben, es ist viel zu gefährlich. Es wirkt, als könnte es jederzeit einstürzen, antwortete der Wolf und beobachtete misstrauisch die decke. »Wo du Recht hast, hast du Recht. Wir sollten unser Lager hinter dem haus aufschlagen, da sind wir vor dem Wind geschützt und wenn doch irgendwer aus dem Dorf vorbei läuft, dann wissen wir von seiner Anwesenheit wahrscheinlich schneller, als er von unserer«, stimmte der junge Halbdämon zu und verließ das haus wieder. Danai, Anwar und Tehiyok warteten nach wie vor voller misstrauen vor der Hütte und warteten auf Zachary und Azra. »Wir schlagen das Lager am besten hinter der Hütte auf, drinnen ist es zu gefährlich«, erklärte er knapp und ging den anderen voran hinter das hölzerne Gebilde. Hier war der Boden zwar sehr weich und torfig, weswegen es sinnvoller war, kein Feuer zu machen, doch immerhin mussten sie diese Nacht nicht auf hartem Stein verbringen, was schon einmal ein riesiger fortschritt im vergleich zu ihren voran gegangenen Übernachtungsplätzen war. Frieren würden sie auch ohne Feuer nicht, denn die Nächte waren warm. So dauerte es nicht lange, bis sie unter ihren decken beieinander lagen und wieder diskutierten, warum die erwachsenen das Dorf bewachten, doch zu einer antwort kamen sie nicht, also verstummten ihre Gespräche nach und nach und sie schliefen ein. Nur Zachary konnte nicht schlafen. Er wälzte sich von einer Seite auf die andere, doch seinen kopf konnte er einfach nicht von seinen Gedanken und seinen sorgen befreien, also stand er nach einigen stunden auf. Vielleicht würde ein Spatziergang ja seine Gedanken klären und ihn auch ein wenig müder machen, als er es im Moment war. Als er sich gerade davon schleichen wollte, bemerkte er, das Azra den Kopf hob. Willst du alleine sein, oder brauchst du jemanden zum reden?, fragte der Wolf leise. »Ich geh allein. Ich bin in einer stunde wieder da«, flüsterte der Halbdämon zurück und stieg über Anwar, der im schlaf grunzte. Pass aber auf dich auf, das Moor ist bei Nacht ungleich gefährlicher, als bei Tageslicht und für einen Dämon ohne Flügel allgemein schon nicht zu unterschätzen, warnte der Wolf, streckte sich wieder aus und schien sogleich wieder eingeschlafen zu sein, sodass Zachary sich seine antwort sparte. Stattdessen schlicht er noch eine weile so leise wie möglich dahin, bis er sich ziemlich sicher war, das er mit seinen Geräuschen die anderen nicht mehr wecken würde. Er seufzte tief und schaute zum Himmel auf, wo der Mond und die Sterne leuchteten. Jetzt bereute er es, das er Azra im Lager gelassen hatte, denn jetzt hätte er sich gerne wieder mit dem schwarzen Tier unterhalten, ein wenig Kriegsrat gehalten, doch nun war es zu spät. Stattdessen also trottete er vor sich hin, tief in Gedanken versunken, die alle vollkommen unterschiedliche Ansätze vorzuweisen hatten, und doch immer mit der frage endeten, was im Dorf vorgefallen war. Ihm fiel einfach keine plausible antwort ein, egal, in welche Richtung er auch weiter überlegte. Er schüttelte heftig den Kopf um seine Gedanken zu verscheuchen und dachte stattdessen über die frage nach, wie sie zum Meer kommen mochten und wo auf der weiten See sie mit der suche nach dem ersten Stein beginnen sollten. In dem Märchen, das man ihm und so ziemlich jedem anderen auch, früher immer erzählte, lag er in einer gläsernen Höhle, doch etwas Vergleichbares gab es in der nähe nicht. Vielleicht lag sie unter Wasser, doch dann hätte Danai sie vermutlich schon längst bemerkt. Und doch musste sie am strand liegen, sonst hätte der Anhänger auch woanders geleuchtet. Und selbst wenn er wusste, wo die Höhle lag, wenn es denn tatsächlich eine höhle war, so kamen sie immer noch nicht durch das Dorf. Es war zum verrückt werden. Ein Ablenkungsmanöver würde ihnen vermutlich auch nichts bringen, weil sie binnen zehn Minuten, vielleicht auch etwas mehr, nicht herausfinden konnten, wo sie die gläserne Höhle suchen sollten. Zachary knurrte unwillig und setzte sich auf einen Stein, als er ein licht vor sich bemerkte. Er wusste, dass es ein Irrlicht war, eines von dem gestalten, die Wanderer, die sich im Moor verliefen, erschienen und sie immer weiter hinein lockten, bis sie niemals wieder herausfanden. Er beobachtete es eine weile und lachte leise über seine verzweifelten Bemühungen, ihn ins Moor zu locken, doch irgendwann wurde es ihm langweilig. Er stand auf und folgte dem licht eine weile. Nicht weit genug, das er die Orientierung verlor und sich vollkommen verlaufen würde, aber doch so weit, das in einen teil kam, den er nicht so gut kannte. Er wusste, das der weg, auf dem er nun stand ihn irgendwo hin führte, doch er wusste nicht, welcher ort dieses wohin nun war. Er zögerte einen Augenblick lang, ließ sich auf alle vieren nieder und schnüffelte am Boden, ob er seine eigene Spur riechen konnte. Dann stand er wieder auf und lief weiter. Den Rückweg würde er finden, der brauchte nur sich selbst verfolgen, was vermutlich unheimlich dämlich aussehen mochte, und doch unvermeidbar war, wenn er sich nicht vollkommen verirren wollte, in diesem teil des Moors, das er nicht kannte und das er bisher gemieden hatte. Er lief noch eine ganze weile und war schon kurz davor, wieder umzudrehen, als er ihm bewusst wurde, wie nahe er dem Meer war. Er konnte das Salz in der Luft deutlich riechen und hörte das Geräusch, dass das Wasser machte. Er zögerte einen Augenblick lang, ob er auch jetzt noch weiter gehen sollte, oder ob es einfach zu dunkel und somit zu gefährlich war. Doch wie ein Wolf auch hatte er in der Dunkelheit bessere Augen, als ein Mensch, und so suchte er den Himmel nach Wolken ab, die ihm gefährlich werden konnten. Wenn sie sich im falschen Augenblick über die Sterne ausbreiteten, dann würde auch er fast blind umher stolpern, und das würde gefährlich sein. Doch es war eine klare Nacht und es roch auch nicht nach regen, also wagte er es und ging weiter, den blick immer zu Boden gerichtet. Einmal wäre er trotzdem fast vom weg abgekommen und im Moor gelandet, doch er hatte glück und schmiss sich noch rechtzeitig nach hinten, sodass er auf halbwegs festem Boden aufkam. Er war so sehr auf den Boden konzentriert, und darauf, nicht vom weg abzukommen, das er sich im ersten Augenblick sehr erschreckte, als er plötzlich Sand zwischen den klauen hatte. Verwundert blickte er sich um. Er kannte diesen teil des Strandes, hier kamen sie manchmal her, um nach Muscheln zu tauchen oder krebse zu fangen. Er hatte gar nicht gewusst, das es von diesem ort aus einen Weg ins Moor gab, aber er war froh darüber, denn nun hatten sie ihren Weg zum Wasser hinab, jetzt mussten sie nur noch die Höhle finden. Erleichternd lächelnd machte er sich auf dem Rückweg. Kapitel 10: Probleme und Lösung ------------------------------- >>Wie sicher bist du dir, das dies hier der richtige weg ist?«, erkundigte sich Tehiyok zweifelnd und zog zum wiederholten mal ein Bein aus dem Wasser. Zachary setzte sich erschöpft auf den Boden und schaute mit trüben blick zurück. »Ziemlich sicher, also beeile dich. Ich kann nicht mehr lange«, antwortete er und schloss für einen Moment die Augen. Er hatte niemals wirklich verstehen können, warum Charles seinen Jagdhund nicht durchgehend schnüffeln ließ, sondern nur an besonderen stellen. Jetzt wusste er es. Es sah einfach aus, aber es war unheimlich anstrengend, vor allem, wenn man die Nacht zuvor nicht viel schlaf hatte. Seufzend ließ er sich wieder auf alle vier nieder und lief wie ein Hund voran, Nase dicht am Boden. Er hörte, wie sich Anwar zum wiederholten Mal das lachen verbeißen musste und Danai Geräusche von sich gab, als würde sie bald ersticken. Er ignorierte es, wie die letzte halbe stunde zuvor auch schon. Er wusste, dass er unheimlich dämlich aussah, aber da Azra ja der Ansicht war, das so etwas unter seiner würde war – was Zachary durchaus verstehen konnte – musste er nun einmal Suchhund spielen. Er hätte sich mehr auf seine Augen verlassen sollen, doch bei tageslicht sah alles so vollkommen anders aus, als in der vergangenen Nacht, als nur der Mond und die Sterne seinen weg erhellt hatten. Aber er wusste, das es nicht mehr weit war und dann würde er erst einmal eine lange pause einlegen, egal, wie sehr die anderen auch drängeln mochten. Auf einmal tauchte Azra vor ihm auf. Der Wolf stutzte einen Augenblick und schien dann wieder unheimlich belustigt über den Anblick, der sich ihm bot. Du kannst mit dieser unwürdigen Haltung aufhören, den Rest des Weges kann ich euch so zeigen, erklärte er und bleckte die Zähne zu einem grinsen. Zachary hatte nie verstanden, wie der schwarze Wolf es tatsächlich schaffte, eine menschliche Mimik in das Wolfsgesicht zu zaubern, im Moment war es ihm aber auch egal. Im Moment hätte er es einfach nur am liebsten aus dem schwarzen, pelzigen Gesicht gewischt. Stattdessen jedoch stand er mit einem knurren auf und bedachte den schwarzen Wolf mit allen möglichen Schimpfworten, was den aber herzlich wenig interessierte. Der Wolf grinste einfach bloß weiter, drehte sich dann um und lief voran. Der junge Halbdämon schlich eher hinterher, er war wirklich am Ende seiner Kräfte, obwohl er bloß geschnüffelt hatte. Er atmete einmal tief durch und bemerkte dabei, das sie wirklich nahe am Meer sein mussten, den der Salzgeruch war mittlerweile sehr stark geworden. »Zachary, beeil dich ein wenig, ich hatte nicht vor, solange zu warten, bis es wieder Nacht ist, bis wir mit der eigentlichen suche beginnen!«, rief Danai von vorne zu ihm zurück, der der junge Halbdämon winkte schwächlich ab. Er konnte einfach nicht schneller, also schlich er müde vor sich hin, bis er plötzlich gegen Tehiyok lief, der daraufhin einen Stolperschritt tat und wieder mit einem Bein im Wasser landete. »Warum bleibt hier stehen?«, fragte Zachary neugierig und schaute sich um. Es geht hier nicht mehr weiter, hier ist jetzt überall Wasser, rief Azra zurück. »Was? Ich dachte, du kennst den weg!«, fauchte Zachary böse. Eben war er hier ja auch noch gewesen!, fauchte Azra zurück und drängelte sich auf dem schmalen Streifen an Anwar, Danai und Tehiyok vorbei und setzte sich vor Zachary hin. »Ein Weg verschwindet nicht einfach«, knurrte der und ließ sich mit einem tiefen Seufzer wieder auf den Boden sinken. Er schnüffelte und konnte ganz deutlich seine eigene Spur wittern, die er am Abend zuvor hier gelegt hatte. Nun war er es, der sich an seinen Freunden vorbeidrängelte. Aber auch er konnte nur noch einige schritte tun, bis seine Spur im Wasser endete. Verdutzt blieb er stehen. »Wie kann das sein? «, fragte er leise und runzelte die Stirn. Ich weiß auch nicht. Vielleicht gibt es einen Wasserzulauf vom Meer aus, und bei flut wird er überschwemmt, überlegte der Wolf nachdenklich. »Kann sogar sein, wir waren bisher nur bei Flut an diesem Strandstück, und da war dieser Weg definitiv nicht da«, antwortete Zachary bissig. Ihm ging es langsam aber sicher gehörig auf den Zeiger, das irgendwie langsam aber sicher alles schief ging, was schief gehen konnte. »Wenn die flut gerade eben erst eingesetzt hat, dann können wir vielleicht hinüber springen«, überlegte Anwar nachdenklich und legte den Kopf auf die Seite. »Azra, los, versuch es«, stimmte Zachary sogleich auf seine eigene art und weise zu. Warum ich?, wollte der Wolf sogleich wissen und starrte ihn aus großen Augen an. »Weil du am weitesten springen kannst. Los, rüber«, knurrte Zachary missgelaunt. »Nein Zachary, das schafft er nicht«, mischte sich Danai ein, die in die hocke gegangen war und eine hand ins Wasser hielt. »Wie kommst du darauf? Da ist so viel gras, da kannst du die gegenüber liegende Seite gar nicht erkennen«, fand Tehiyok. »Brauch ich auch nicht. Ich spüre, dass hier viel Wasser ist, da kommt er nicht rüber«, antwortete Danai, nun auch schon etwas schlechter gelaunt. »Und was machen wir dann?«, fragte Zachary und ließ sich auf den Boden fallen. »Warten, bis wieder ebbe ist?«, schlug Tehiyok vor. »Zurücklaufen«, fand Anwar. »Einen anderen weg suchen«, bemerkte Danai. Zachary schnaubte unwillig. »Danai hat die beste Idee, die ebbe kommt erst in ein paar stunden, vielleicht finden wir bis dahin einen besseren weg«, meinte er und stand mühsam wieder auf. Ihm ging es immer noch nicht besser, als zuvor. Sie liefen wieder den gesamten weg zurück, bis sie das Dorf sahen. Hier setzten sie sich abermals in die Büsche und beobachteten das nervöse treiben auf dem Dorfplatz. »Irgendwie müssen wir dort vorbei…«, murmelte Zachary leise und nachdenklich »Wenn wir nur wüssten, was geschehen ist?«, meinte Anwar mit besorgt gerunzelter Stirn. »Sie sind zu weit weg, ich kann nicht verstehen, was sie sagen«, der junge Halbdämon schüttelte nachdenklich den kopf. »Ist es im Moment nicht auch egal? Ja, ich weiß, das sind eure Familien, das ist alles, was ihr habt und so weiter«, mischte sich Tehiyok plötzlich genervt ein, »aber das ändert nichts an der Tatsache, dass euer Gejammer ihnen herzlich wenig bringt. Lasst uns doch einfach von Busch zu Busch huschen oder so ähnlich, irgendwann kommen wir gewiss am strand an. Oder wir geben uns einfach zu erkennen, lassen uns aber nicht festhalten oder so ähnlich.« »Oder ihr kommt einfach um Mitternacht wieder zum Dorfrand und ich bringe euch über Umwege zum strand«, brummt eine stimme hinter ihnen. Wie von der Tarantel gestochen warfen sich die vier um und starrten Julian aus großen, schreckensgeweiteten Augen an. »Natürlich nur, wenn ihr eine gute ausrede habt, warum ihr einfach verschwunden seid, und was ihr jetzt hier tut«, fügte mit einem finsteren blick hinzu. Die vier jedoch mussten sich erst einmal von ihrem schrecken erholen. Keiner von ihnen hat mitbekommen, wie Julian näher gekommen war, nicht einmal Zachary, obwohl er auf seine Umgebung gelauscht hatte. »Großpapa«, keuchte er, »erschreck mich doch nicht so!« Doch Julian winkte einfach ab. »Schießt los, was ist eure ausrede, jungen und Mädchen? Wir haben uns alle sorgen um euch gemacht, und nicht gerade geringe«, knurrte er böse. »Ich weiß, aber...«, begann Zachary, wurde jedoch sogleich von einem unwilligen Händewedeln seitens Julian unterbrochen. »Nichts aber, mein junge. Erzähle, oder erzähle nicht«, meinte der alte mann. Zachary warf Anwar einen viel sagenden blick zu, dann stand er wortlos auf und deutete den anderen, ihm zu folgen. Erst als er das Dorf nicht mehr sehen konnte, als sie wieder fast im sumpf waren, setzte er sich zu Boden und erzählte. Er brauchte nicht lange, so groß war ihre reise bisher ja noch nicht gewesen, und das meiste davon ließ er sowieso aus. Während er berichtete versuchte er, im Gesicht des alten Mannes zu lesen, doch es wollte ihm nicht so recht gelingen. Julian blickte einfach mit steinerner Miene vor sich hin. »Und jetzt sind wir hier und kommen nicht zum strand hinab«, endete er. Julian nickte nachdenklich. »Ihr seid dumme Kinder, wisst ihr das eigentlich?«, fragte er mit einem tiefen seufzen. »Warum?«, fragte Zachary neugierig. »Weil jedes kleine Kind weiß, das die Steine der macht nicht existieren. Auch nie existiert haben. Ihr seid völlig umsonst abgehauen. Und ich bitte dich, Zachary. Ein Wolf, der urplötzlich die Fähigkeit hat, zu sprechen? Wo steckt Azra überhaupt?«, fragte Julian und blickte sich suchend um. »Ich weiß nicht«, erst jetzt war Zachary aufgefallen, das der Wolf ihn nicht mehr begleitete. Auch er blickte sich suchend um, lauschte dabei auf jedes noch so leise Geräusch und schnüffelte, ob er seinen Freund nicht vielleicht riechen konnte. Doch Azra schien nicht in der nähe zu sein. »Wir gehen jetzt gemeinsam ins Dorf und dort dürft ihr euren Eltern diese Geschichte erzählen«, seufzte Julian und stand wieder auf. Oh, das ist glaub ich nicht so ganz nötig. Sie sagen die Wahrheit und ich wäre dir sehr verbunden, wenn du ihnen hilfst, alter mann, ganz seelenruhig trat der schwarze Wolf aus einem Gebüsch hervor und setzte sich neben Zachary. Julian sprang erschrocken davon und starrte den Wolf aus großen Augen an. »Du kannst ja wirklich…«, nuschelte er. »Azra, du bist viel älter als er«, mischte sich Zachary ein, bevor der Wolf die schnippische Bemerkung loswerden konnte, die ihm so sichtlich auf der Zunge lag. Ich weiß, aber nach euren Maßstäben ist er trotz allem ein alter mann, und das kannst du nicht abstreiten, junge Dämon, antwortete der Wolf und schien zu lächeln. »Halbdämon«, korrigierte Zachary wie von selbst. Das schwarze Tier zuckte gleichgültig mit den schultern. Stattdessen richtete er seine roten Augen auf den alten mann. Hilfst du uns nun, oder nicht?, fragte er neugierig und bleckte leicht die zähne. Julian dachte sichtbar einen Moment lang nach, dann jedoch nicht er langsam. »Wenn es sprechende Wölfe gibt und Dämonen, die Tagebücher schreiben, dann gibt es gewiss auch die Steine der macht. Ja, ich helfe euch. Kommt heute um Mitternacht zu der stelle, wo ich euch gefunden habe«, sagte er, stand auf und wollte gehen. »Großpapa, was ist im Dorf geschehen, warum sind alle so nervös?«, rief Zachary ihn hinterher. »Die Ungeheuer aus dem Wald sind gekommen. Vielleicht ist das Monster wieder aufgewacht, wir wissen es nicht. Aber keine sorge, es geht allen anderen gut«, antwortete der mann mit einem lächeln und ging nun endgültig davon. Anwar, Zachary und Danai seufzten erleichtert. Dann gingen sie alle zurück zu ihrem Lager um es wortlos abzubauen. Als die sonne langsam unterging, machten sie sich wieder auf den weg ins Dorf zurück, um Julian zu treffen. Der alte mann wartete schon auf sie, und kaum waren sie in hörweite, als er sie auch schon zur eile drängte. Sie gingen natürlich nicht direkt durchs Dorf, sondern machten einen kleinen Umweg, und dennoch brauchte es keine halbe stunde, bis sie am Wasser waren. »Ich muss wieder gehen, ich habe die anderen zu einer Versammlung gerufen, um sie in ihren Häusern zu halten, wenn ich selbst dabei zu spät komme, werden sie wissen wollen, warum und ich möchte niemanden von ihnen anlügen«, erklärte er und ging ohne einen Gruß. Sogleich kletterten die fünf wieder auf ihren Felsen, wo sie seinerzeit das Geheimnis des Anhängers entdeckten. »Hier«, sagte Danai und warf Anwar ihren Anhänger zu. Der fing ihn geschickt auf und sogleich leuchtete der weiße Stein. Nur blass zwar, aber unverkennbar. Sie alle blickten erst auf den Stein und dann hinaus aufs Meer, das schwärzer war, als der Sternenhimmel und nur ab und sich nur ab und an bei einem leichten Windhauch kräuselte. »Und was tun wir nun weiter?«, fragte Danai leise. »Ich würde vorschlagen, wir schwimmen hinaus und hoffen, auf den Eingang zu stoßen«, antwortete Zachary, doch Danai schüttelte heftig den kopf. »Nachts im Meer zu schwimmen ist viel zu gefährlich, nicht einmal ich würde es mir zutrauen«, widersprach sie. »Aber irgendwie müssen wir doch an den Stein ran kommen und wie es scheint, müssen wir hinauf aus Meer. Und ob wir nun schwimmen oder mit dem boot raus fahren ist auch egal, wenn wir in einen Strudel geraten, sind wir in beiden fällen verloren«, antwortete Zachary leise. »Also müssen wir warten, bis es hell wird«, überlegte Anwar nachdenklich. »Und dann sehen sie uns, dann können wir nicht wieder unbemerkt zurück, das geht nicht«, Zachary seufzte tief und stand auf um ruhelos auf und ab zu laufen. Wir sollten auf jeden fall in einem boot hinausfahren, denn ich weiß nicht mehr, wie weit weg der Eingang vom strand war, und wenn ihr vom schwimmen erschöpft seid, dann wird der restliche weg einfach nicht bezwingbar sein, meldete sich Azra und sprang hinunter in den Sand um bei einem der Fischerboote stehen zu bleiben und sie auffordernd anzublicken. Zachary sprang ebenfalls zu ihm hinab und schob eines der boote ins Wasser. Nach kurzem zögern halfen auch die anderen, außer Danai, die sich gleich in die fluten schlug. Sie hätte das boot niemals trockenen Fußes erreicht, also konnte sie gleich schwimmen, zumal schwimmen für sie nicht anstrengender war, als laufen. »Weise sie Richtung«, sagte Zachary, zu niemand bestimmten und doch waren es wohl die richtigen Worte gewesen, denn der Stein in Anwars hand leuchtete einmal so hell auf, das es schien, als würde sich eine Säule aus reinem licht in den Himmel bohren um die Dunkelheit bezwingen zu wollen. Voller staunen und verblüffen blickten sie der Säule nach und sahen, das sich nun auch die Wolkendecke verzog und ein strahlend heller Mond zum Vorschein kam, der ihren weg erhellte. Doch auch der Stein wies ihnen nun die Richtung, denn an einer Seite leuchtete er nun heller, als an der anderen. Sogleich paddelten sie in die entsprechende Richtung los und Danai folgte ihnen im Wasser. »Wie weit wird der weg ungefähr sein?«, fragte Zachary leise den Wolf neben sich, doch der schüttelte bloß den kopf zum Zeichen, das er es selbst nicht wusste. Sie waren eine ganze weile unterwegs, bis der Stein überall gleichmäßig hell leuchtete. »Hier schein es zu sein«, bemerkte Tehiyok. Die anderen nickten zustimmend, und ohne ein weiteres Wort sprangen sie gemeinsam ins Wasser und tauchten nach dem Eingang zur höhle, ohne zu wissen, was sie erwarten würde. Kapitel 11: Der Lichtstein -------------------------- Prustend tauchte Zachary aus dem Wasser aus. Er schüttelte sich das Wasser aus dem Gesicht und schaute sich um. Ja, das war der Ort, zu dem sie wollten. Eine große Höhle aus farbigem Glas. Es schimmerte überall in allen Farben des Regenbogens. Neben ihm tauchten die anderen auf. Auch sie blickten sich staunend um. Zachary paddelte Azra hinterher zum Ufer, wo der Wolf schon stand und triefend mit der Nase den Boden untersuchte. »Im Sumpf warst du dir fürs schnüffeln zu schade«, knurrte Zachary giftig und zog sich aus dem Wasser. Das hier ist auch etwas anderes. Ich bin kein Fährtensuchhund, hier suche ich aber etwas anderes, antwortete Azra würdevoll. »Und was, wenn ich fragen darf?«, brummte Zachary unwillig. Etwas… das du sowieso nicht verstehen würdest. Dazu bist du zu Jung, und weißt zu wenig, antwortete Azra und schien nachsichtig zu lächeln. Zachary zuckte mit den Achseln. »Dann erzähl es mir eben nicht«, antwortete er hochmütig und schüttelte sich, sodass er sowohl seine Freunde, die gerade aus dem Wasser kletterten, als auch den schwarzen Wolf, durchnässte. »Irgendwann einmal musst du mir zeigen, wie das geht, damit ich nicht immer über Stunden in nasser Kleidung durch die Gegend springen darf«, meinte Anwar, während er sich seine Kleidung über den Kopf zog und sie über dem Wasser auswrang. »Wieso zeigen wie das geht? Ich mache es einfach nur«, antwortete Zachary verwundert. Anwar blickte ihn einen Augenblick lang mit hochgezogener Augenbraue an, sagte aber nichts, stattdessen zog er sich auch die Hose aus und wrang diese ebenfalls aus. »Können wir gehen? Mir behagt der Ort nicht, ich möchte weiter und so schnell wie irgend möglich wieder hinaus«, quengelte Tehiyok, der es Anwar gleich getan hatte und nun seine Kleidung wieder anzog. »Von mir aus ja, ich kann mir auch einen bequemeren Ort aussuchen, als diesen hier«, nickte Zachary und schaute in die Höhle hinein. Seltsamerweise war es hier nirgendwo wirklich dunkel, wie ihm jetzt erst auffiel. Er konnte ohne Probleme sehen, das der Gang nach einigen Metern einen Knick machte. »Ich muss hier bleiben, kommt also bitte schnell wieder«, meldete sich Danai und robbte etwas weiter den Stein hinauf. Dabei verzog sie das Gesicht. »Bleib lieber im Wasser, hier sind überall kleine Steinchen«, bemerkte Zachary, hob eine seiner Pfoten und pulte an seinem ballen herum, bis er den einen Steinsplitter, den er sich eingetreten hatte, in der hand hielt. »Das ist mir auch schon aufgefallen«, knurrte Danai, die sich ein wenig auf die Seite gelegt hatte und nun mit schmerzverzehrter Miene ihre Kratzer untersuchte. Zachary antwortete nicht darauf, stattdessen deutete er in den gang. Azra, der mittlerweile mit dem schnüffeln aufgehört hatte, aber immer noch tropfnass war, ging voran. Ich erinnere mich wieder, flüsterte er so leise, dass nur Zachary, der unmittelbar hinter ihm einherging, es verstehen konnte. »Woran?«, fragte der junge Mann ebenso leise. An die Höhle. An das alles hier. Ich war mir Ari hier, aber nicht nur mit ihm, erklärte der Wolf nachdenklich »Also sind wir auf dem richtigen weg, ja?«, fragte der junge Halbdämon neugierig und erhielt ein nicken zur antwort. »Dann kannst du mir doch sicherlich jetzt auch sagen, was uns erwarten wird? Du hast irgendwann einmal gesagt, das es nicht nur Drachen sein werden, die die Steine beschützen«, Zachary zuckte unwillig mit einem Ohr, als ein Windhauch ihm direkt ins Ohr blies. Oh, diesmal wird es der Drache sein. Er ist wohl der Wächter, der am bekanntesten ist, deswegen wird er in der Geschichte erwähnt. Der erste Dämonenkönig hat damals keinen Wächter erschaffen. Zumindest nicht in dem Sinne, wir ihr es versteht. Er hat den Stein mit einem Bann belegt, der den ersten, der den Stein berührt, zu seinem ewigen Wächter macht, erklärte Azra. Zachary dachte einen Augenblick darüber nach. »Warst du schon ein Wolf, als der erste Dämonenkönig gelebt hat?«, fragte er dann. Ja und nein. Ich bin zu seiner Zeit zum Wolf geworden, antwortete Azra und schaute traurig zu Zachary zurück. »Kann… kann es sein«, begann der nachdenklich, wusste aber nicht, wie er es am besten formulieren sollte. Das sein bann irgendwie schief gelaufen ist? Nein, ist er nicht, er hat genau so funktioniert, wie er es sich gewünscht hat. Wenn er gewusst hätte, was es für die Wächter bedeutet, Jahrtausende über zu leben, dann hätte er ihn gewiss nicht ausgesprochen, und dennoch hat er funktioniert, erklärte der Wolf und schien wieder nachsichtig zu lächeln. »Bist es etwa du, der in diesen Bann getappt ist?«, fragte Zachary entsetzt. Ich lebe seid Jahrtausenden, ich weiß, wie sich der Drache fühlt und auch die anderen, antwortete der Wolf ausweichend. Zachary sagte darauf nichts mehr. Er wusste nicht genau, ob die antwort des schwarzen Tieres eine Bestätigung oder eher ein verneinen war, aber er fragte nicht weiter nach. Er hatte gemerkt, das Azra darüber nicht sprechen wollte und er wollte ihn auch nicht zwingen. Zwang hatte noch nie positive Resultate hervor gebracht. Stattdessen versuchte er sich vorzustellen, wie es war, wenn man schon so viele Jahre gelebt hatte, um wenigstens eine Vorstellung davon zu bekommen, warum der Wolf so unwillig und verbittert über sein langes leben sprach. Er konnte es nicht. Er war nicht einmal zwanzig Winter alt, er kannte außerhalb seines Dorfes niemanden so recht, wie konnte er dann nachempfinden, wie es war, tausende von Jahren zu leben, tausende von Menschen, Dämonen, Elben und was noch alles zu kennen, so viele Völker aufstehen und untergehen sehen. Er konnte es einfach nicht. Aber er bekam eine Vorstellung davon, wie grausam es sein musste. »Leben die Wächter deswegen so abgeschieden, weil sie es nicht ertragen können, immer und immer wieder die zu verlieren, die ihnen etwas bedeuten? Weil sie immer wieder neu anfangen müssten?«, fragte er leise. Ja. Und nein. Sie müssen bei dem einen bleiben, der den Stein besitzt, doch der muss nicht unbedingt immer ein nachkomme des alten Besitzers sein. Anders als bei den schwarzen Stein übrigens. Dort stimmt die Geschichte, der einzige, der berechtigt ist, den Stein zu erhalten, ist einer aus der Königsfamilie. Und deswegen kann der Wächter die Königsfamilie begleiten, wenn er möchte, erklärte Azra . »Aber er tut es nicht, nicht wahr? Er sitzt bei seinem Stein und bewacht ihn dort. Stattdessen hat er dich geschickt, um auf die Königsfamilie Acht zu geben, du sorgst dafür, dass ihnen nichts geschieht, stimmt’s? Und weil der junge König gefangen ist, aber in Sicherheit, und ich ihn befreien kann, hilfst du mir, oder?«, fragte Zachary neugierig. So ähnlich, junger Dämon, Azra bleckte die Zähne zu einem grinsen. »Halbdämon«, korrigierte Zachary lachend. Von mir aus. Wir sind bald da, antwortete der Wolf und trat aus der Höhle hinaus in eine weitere, große Höhle, in dessen Mitte sich ein großer See befand. Anwar und Tehiyok traten neben ihn. »Das ist Süßwasser«, erklärte Zachary, nachdem er kurz geschnüffelt hatte. Misstrauisch blickte er sich um, dann sah er, was er gesucht hatte. »Wir sind ja unter dem Brunnen«, stellte Anwar an seiner Seite verwundert fest, als er Zacharys blick folgte. »Ja. Aber dann sind wir einen riesigen Umweg gegangen, dann hätte wir eigentlich auch durch den Brunnen hineinspringen können«, brummte der und schaute Azra kurz aber böse an. Nicht meine schuld, ich kannte den weg nicht mehr, widersprach der schwarze Wolf. »Ist jetzt auch egal. Es ist auf jeden fall weiter, als wir dachten, wenn wir er zurück zum Dorf gelaufen sind«, mischte sich Tehiyok ein. Die Höhle ist irgendwo unter dem Meeresboden, erklärte Azra und setzte sich wieder in Bewegung. Er dachte einen Augenblick lang sichtbar darüber nach, ob er nicht vielleicht durch das Wasser schwimmen sollte, doch dann ging er an seinem Rand entlang. Die anderen folgten dem Wolf. Keiner mochte in das kristallklare Wasser steigen, das aus einem kleinen, gläsernen Brunnen direkt in diese große, gläserne schale sprudelte. »Das sieht alles so aus, als hätte hier mal etwas gelebt«, überlegte Anwar, als sie einige Löcher in der Wand erblickten, und, als sie hindurchschauten, dahinter einige Wohnräume. Hat es ja auch. Diese Stadt hieß Norvindria, die gläserne Stadt. Gelebt haben hier wesen, die es schon lange nicht mehr gibt. Sie waren zwar nicht aus glas, aber auch sie waren ein wenig durchscheinend. Wie geistern, nur das sie fest waren. Bemerkenswerte Geschöpfe. Ich nehme an, dass sie eine Mischung aus Golem und aus Geistern waren, aber so genau weiß ich es nicht. Sie sind kurz nach den Zwergen gegangen, erst viele Jahre später kamen die Menschen, erklärte Azra. »Norvindria, ja? Hört sich ein wenig an, wie Nordwind«, fand Anwar nachdenklich. Die Menschen kannten den Namen der Glasstadt, über der sie ihre eigene bauten. Erst hieß auch eure Stadt Norvindira, doch es wandelte sich im laufe der zeit und irgendwann waren Glasstadt und Namen vergessen und niemals mehr erinnert, erklärte Azra. »Es ist eine wunderschöne Stadt. Irgendwie zumindest. Ein bisschen mehr sonnenlicht und man könnte hier gut leben. Warum brachte man den Stein ausgerechnet hierher?«, fragte Anwar neugierig. Damals war das Glas nicht von Stein bedeckt, es bestand einfach nur alles aus glas. Es gab hier niemals wirklich Geheimnisse, denn keines blieb lange unentdeckt. Und welch eine höhle eignete sich besser als versteck für eine gläsernen Stein, als eine gläserne höhle? Von jedem teil der Stadt aus hatte man blick auf den Stein, von jedem teil der Stadt aus konnte man jeden erkennen, der sich ihm näherte. Dass das Volk bald aussterben würde, konnte damals ja noch keiner wissen, meinte Azra. Sie hatten die andere Seite erreicht und wollten gerade wieder den Gang weiter laufen, als Zachary plötzlich stimmen hörte und stehen blieb. Er lauschte einen Moment, dann sprach die stimme weiter und er erkannte, das es Robert war. »Es war eine merkwürdige stimme. Als wäre sie einer kehle entsprungen, die nicht zum sprechend gemacht ist. Wer weiß, vielleicht ist eines der Monster in den Brunnen gefallen?«, überlegte er. »Eines dieser Ungeheuer? In unserem Brunnen? Ich glaube, deine Phantasie geht mit dir durch, Robert«, spottete Charles und lachte leise. Robert atmete einmal tief durch, dann stimmte er seinem gegenüber zu. »Ich glaube, du hast recht. Wie bin ich bloß auf solch eine Idee gekommen? Der wäre schon längst ertrunken«, meinte er. »Genau. Lass uns gehen, es ist noch viel zu tun, bis die Sonne wieder untergeht«, meinte Charles und gemeinsam gingen sie davon »Wer war das, Zachary?«, fragte Anwar neugierig. »Unsere Väter. Ihnen geht es wirklich gut, keine Sorge«, beruhigte der junge Halbdämon. Anwar sagte nichts, stattdessen nickte er und ging schweigend weiter. Den weiteren weg fanden sie überall die alten Häuser einer längst vergangenen Kultur. In manche schauten sie hinein, die meisten jedoch beachteten sie nicht weiter. Bald sahen sie auch ab und zu das Meer durch die decke der höhle. Sie mussten schon weit draußen sein, als sich die Höhle endlich wieder erweiterte und sie in eine große, gläserne Halle standen. »Ich nehme an, wir sind da…«, überlegte Zachary leise. Der Wolf an seiner Seite nickte. »und… wo ist der Stein?«, wollte Anwar wissen. »Den finden wir hier doch niemals! Das hier ist ja riesen groß und alles aus glas und wenn der Stein auch aus glas ist, wie sollen wir denn das machen?«, fragte Tehiyok und wirkte verzweifelt, während er sich umblickte. Zachary jedoch schüttelte mit einem lächeln den Kopf. »Direkt in der Mitte ist eine Erhebung, eine art Altar, vermutlich liegt er darauf«, antwortete er und zeigte in die entsprechende Richtung. Zögernd und misstrauisch um sich blickend gingen sie weiter. Sie rechneten alle mit einem angriff des Drachen, doch keiner wusste, aus welcher Richtung er kommen würde, so erschraken sie sich bei jedem noch so kleinen Geräusch. Dann jedoch standen sie endlich vor dem Altar. Der Stein lag wirklich darauf. Er war nicht groß, vielleicht so groß, wie Zacharys Faust und er wäre nicht zu sehen gewesen, wenn er nicht aus einem inneren licht gestrahlt hätte. »Er ist hübsch«, fand Anwar leise und seine stimme klang dabei voller Zärtlichkeit. »Es ist ein Stein aus glas, nimmt ihn und lasst uns verschwinden, solange der Drache noch nicht da ist«, antwortete Tehiyok trocken. »Ich finde ihn auch nicht besonders, er hat so etwas… angst einflößendes an sich«, stimmte Zachary zu, griff aber trotzdem danach. Was als nächstes passierte, geschah binnen weniger Sekunden. Nur einen winzigen Moment, bevor Zachary den Stein berührte, materialisierte sich aus der Luft der Drache. Auch er war aus glas, das einzige, was an ihm wirklich lebendig aussah, das waren die Augen, die aussahen, wie rote Rubine und aus einem inneren Feuer zu glühen schienen. Im gleichen Augenblick erinnerte sich Zachary daran, was geschehen war, als er damals den Anhänger von Danai in den Händen gehalten hatte, als er auf diese art und weise glühte, wie jetzt der gläserne Stein. Doch nun konnte er auch nicht mehr die Hand zurückziehen, also berührte er das glas und zog die Hand mit einem Aufschrei wieder zurück. Aus purem Reflex heraus starrte er auf seine verbrannte Handfläche, und dann auf den Drachen, der ein böses grollen von sich gab. Sofort stolperte er einige Schritte zurück, doch der Drache folgte ihm. Zachary fiel zu Boden, warf sich herum und nutze seinen Schwung, um gleich wieder auf die Beine zu kommen. »Zachary!«, rief Anwar hinter dem Drachen, doch der junge Halbdämon verschwendete keinen Augenblick für eine antwort, sondern versuchte einfach dem Drachen zu entkommen, der ihn verfolgte und immer und immer wieder nach ihm hiebt. »Wir müssen ihm helfen!«, hörte er Tehiyok schreien, doch keiner der beiden jungen hatte mehr Chancen gegen das gläserne Ungetüm, als Zachary. Und doch klaubten sie nun Steine vom Boden auf und warfen ihn gegen den Drachen. Jedoch sprangen sie mit einem knirschen einfach nur wieder davon, sodass Zachary nun nicht mehr nur dem Drachen, sondern auch den Steinen ausweichen musste. Die jungen hörten erst auf, als einer der Steine den jungen Halbdämon hart am Kopf erwischte, sodass er einen Moment mit dem Bewusstsein rang. Im gleichen Augenblick hiebte das gläserne Monster nach ihm und traf auch. Es war, als wäre Zachary unmittelbar ins ein flammendes Inferno gesprungen. Er spürte, wie das Wesen seine Lebenskraft schier aus ihm heraus saugte, sein Körper zu verbrennen schien und seine Haut an der stelle, wo die klaue ihn traf, es auch wirklich trat. Wimmern blieb er auf dem Boden liegen, der schmerz ließ ihn fast ohnmächtig werden. Voller Angst blickte er zu dem Drachen auf, der ihn böse aus seinen gläsernen Augen anblickte. Lass ihn in frieden, hörte er Azras stimme an seiner Seite, und er spürte, das der schwarze Wolf ganz nah bei ihm stand, um ihn gegen das gläserne wesen zu verteidigen, sollte es einen weiteren angriff auf den wehrlosen jungen Mann starten wollen. Doch der Drache bedachte ihn nur mit einem bösen blick. Dann wandte es den Kopf und schaute in Richtung des gläsernen Altars. Auch Zachary versuchte in die Richtung zu sehen, aus der puren furcht heraus, dass einer der anderen etwas Dummes getan haben könnte und der Drache nun auf die losgehen würde. Sie würden einen solchen hieb vermutlich nicht so einfach wegstecken können, wie er. Und er hatte recht, Anwar hatte den Stein aufgehoben und es schien so, als habe er ihn nach dem Drachen werfen wollen, aber im letzten Augenblick abgebrochen. Nun betrachtete er ihn, wie etwas ungemein seltsames, etwas, was er noch nie zuvor gesehen hatte, was ihn aber ungemein faszinierte. Der gläserne Stein indes leuchtete hell, sodass es ein wenig so wirkte, als hielte der junge Mann einen Stern in seinen Händen. Der Drache blickte in seine Richtung und obwohl es ungemein schwer war, in den schuppigen Gesicht zu lesen, schien es Zachary doch so, als würde auf seinen Zügen ein Ausdruck von frieden breit machen. Der Drache wirkte nicht mehr böse, sondern ruhig und sanft. »Anwar…«, flüsterte Tehiyok leise. Er wirkte entsetzt und Zachary konnte sein entsetzen nur zu nachfühlen, auch wenn er es nicht verstand. Ebenso wenig, wie sein eigenes. Anwar hielt den Stein des Lichtes und der Drache machte keinerlei Anstalten, ihn anzugreifen und dennoch hatte er angst um seinen Freund. Keine bewusste angst, sondern ein instinktive, irgendetwas von ihm wusste, das etwas ungemein Schreckliches passieren könnte, auch wenn er nicht wusste, was es sein würde. Und Anwar gab auch allen Grund zu Angst, denn er wirkte so vollkommen anders als sonst, und wie er den Stein anblickte, war es, als würde er den größten schatz der Welt anblicken, den er mit niemandem teilen mochte, und den er selbst gegen seine besten freunde verteidigen würde, selbst wenn diese ihn nicht einmal anfassen konnten. Zachary stand langsam auf und trat einige schritte auf seinen Freund zu, behielt dabei sowohl Anwar, als auch den Drachen im blick, doch das gläserne Ungetüm schien erstarrt zu sein, und so ging er vollends zu seinen Freund. »Anwar?«, fragte er leise und angst schwang in seiner stimme mit, obwohl er verzweifelt versuchte, sie zu unterdrücken. Anwar wandte den blick von dem Stein zu Zachary und blickte ihn aus seltsam leeren Augen an. »Anwar, hörst du mich? Ist alles okay?«, fragte er, diesmal mit Nachdruck anstelle der angst. Und diesmal reagierte Anwar so, wie er es wollte, der junge Mann schüttelte mit Nachdruck den kopf, blinzelte ein paar mal heftig und nickte dann. »Ja«, sagte er leise, »Ja, es ist alles okay.« Keine sorge, er ist stark, ihn wird der Stein nicht fertig machen, meinte Azra und trat neben Zachary. »Wie meinst du das?«, fragte Zachary sogleich alarmiert. Die Steine versprechen eine unheimlich große Macht, Zachary. Nicht jeder kann ihr widerstehen, und nicht jeder kann sich ihrer Anziehungskraft entsagen. Aber du hast es geschafft, Anwar, sprach der Wolf leise. »Ich weiß, ich werde ihn nun beherrschen und nicht beherrschter sein«, nickte Anwar und lächelte sanft. Azra nickte, blickte dann zu dem Drachen hinüber. Er ist der richtige, beantwortete der Drache Azras unausgesprochene Frage. Sonst wäre er schon Futter, nicht wahr?, der Wolf lachte leise, schüttelte sich unwillig und ging zu dem Drachen um mit ihm in einem Zwiegespräch der tausendjährigen zu sprechen. Zachary blickte die beiden einen Augenblick lang an, dann wandte er sich Anwar zu. »Der erste Stein und du bist sein träger. Meinst du, wir sind unserem ziel nun näher, als zuvor?«, fragte er leise. »Ja, aber noch lange nicht nah genug, sieben liegen noch vor uns und es ist fraglich, ob wir sie jedes mal so einfach bekommen werden, wie diesen«, mischte sich Tehiyok ein und betrachtete den Stein misstrauisch. »Den schwarzen gewiss nicht, den der ist im herzen des Dämonenlandes. Ares wird ihn gewiss gut beschützen lassen, und zwar nicht nur von seinem Wächter«, Zachary seufzte tief und dachte voller schaudern an die Mission, die ihm so offensichtlich noch bevor stand. »Wir sollten zurück, Danai wartete gewiss schon ungeduldig. Immerhin waren wir lange unterwegs«, meinte Anwar und nickt ein Richtung Ausgang. »Azra, komm her, wir wollen gehen«, rief Zachary sogleich dem schwarzen Wolf zu, doch der bedachte ihn nur mit einem wölfischen grinsen, schüttelte kurz den kopf und fuhr fort, mit dem Drachen zu reden. Verstehen, was sie sagten, konnte Zachary wahrlich nicht, obwohl er es versuchte. Es war nicht einmal so, das die beiden besonders leise miteinander redeten, aber sie bedienten sich einer Sprache, die so alt wie die Welt zu sein schien. Zachary konnte sie gar nicht kennen, denn nur ein wesen, das so alt war, wie diese beiden erinnerte sich noch an sie. Doch die beiden beendeten ihr Gespräch nur kurze zeit später von alleine und während Azra zu ihnen trottete, schloss der Drache die Augen. Er schien sich aufzulösen, schien zu licht zu werden und fuhr in einer riesigen Lichtschlange in den Stein hinein. Die Macht war so groß, das Anwar dabei zu Boden geschleudert wurde und noch ein ganzes stück weiter schlitterte. Auch an Zachary ging die Aktion nicht spurlos vorbei, denn das licht war sein Feind, und es war ein mächtiger, denn obwohl die Lichtschlange ihn nur streifte, stöhnte er schon wieder vor schmerz auf. Einzig Tehiyok schien lediglich ein bloßes Unbehagen zu empfinden, doch weder wurde er durch die Gegend geschleudert, noch verletzte ihn die bloße Berührung des lichtes. Verwirrt und auch ein wenig ängstlich blickten die drei sogleich zu Azra. Er kann euch ja schlecht auf jene art und weise begleiten, wie ich, also hat er sich in den Stein zurückgezogen. Er ist zu einem teil des Steines geworden, als er ihn voller Habgier zu stehlen versuchte, deswegen ist so etwas kein Problem für ihn, erklärte der schwarze Wolf sogleich und wirkte ein wenig gelangweilt angesichts der Einfachheit, in deren bahnen sich die Gedanken der anderen bewegten. »Auf diesem Stein lag ebenfalls ein fluch?«, fragte Zachary verblüfft. Auf jedem lag ein fluch, denn die Wächter kann man nicht aus nichts erschaffen. Manche haben es freiwillig auf sich geladen, manche wurde gezwungen und manche wusste auch gar nicht, was sie erwarten würde, wenn sie den Stein berühren. Und der Drache gehörte zur letzten Kategorie. Verurteilt ihn deswegen aber nicht, er hat es tausendfach bereut, wie jeder andere auch, erzählte der schwarze Wolf und lief an ihnen vorbei aus der höhle hinaus. »Wussten die, die es freiwillig taten den nicht, was sie auf sich luden? Für sie muss es doch ebenso schlimm sein, wie für die unfreiwilligen«, überlegte Zachary. Sie meinten es zu wissen, aber sie haben erst richtig begriffen, was es heißt, die jahrtausende kommen und gehen zu sehen, als es längst zu spät war. Und dann haben sie es bereut. Spätestens, als alle, die sie kannten, nicht mehr da waren, erklärte Azra mit tonloser stimme. Zachary sagte dazu nichts mehr, er wusste, das Azra nicht weiter reden wollte und er wollte seinen treuen Freund nicht bedrängen. So machten sie sich schweigend auf den Rückweg zum Meer, zu Danai, um ihr mitzuteilen, das sie den ersten Stein bekommen hatten. Kapitel 12: Der Blaue See ------------------------- Ja, ich spüre es«, nickte Anwar. »Ich nicht«, antwortete Tehiyok mürrisch. »Ich auch nicht«, stimmte Danai ihm zu und trat näher an das Wasser heran, um einen Blick auf die durchscheinende Oberfläche zu werfen. Zachary zuckte unwillig mit seinem Ohr und schaute zweifelnd von einem zum anderen. Für ihn war die Magie in dem Wasser mehr als nur deutlich, doch seine Freunde schien es wirklich nicht zu spüren. Was einigermaßen seltsam war, zumindest in Danais Fall, denn sie hatte sie nicht als so unempfindlich gegenüber Magie eingeschätzt. Eher das Gegenteil. Doch augenscheinlich hatte er sich geirrt, denn sie schien wirklich nicht den Zauber des Ortes erspüren zu können. Es ist wie mit dir und Nordwind. Sie ist den Zauber gewohnt, sie scheint hier mal für längere Zeit gelebt zu haben, bemerkte Azra leise und lief ungeduldig am Ufer auf und ab. Zachary seufzte schwer, schüttelte dann aber unwillig den Kopf. »Hier ist wirklich mächtige Magie. Wir sollten hinab tauchen.« Alleine Danais blick machte ihm klar, das sie sich notfalls mit Gewalt wehren würde, als sie sagte: »Die Meermenschen sind gewiss nicht grundlos hier verschwunden, Zachary. Vielleicht gibt es das Monster, vielleicht nicht, aber in jedem Fall ist dort etwas, was sie verjagt hat, und ich möchte nicht herausfinden, was es war. Außerdem würde keiner von euch jemals so tief tauchen können.« »Da hast du recht«, nickte Anwar und deutete ins Wasser. »Es ist heller Tag und das Wasser ist glasklar. Den Grund kann ich trotzdem nicht erkennen.« »Deswegen müssen wir ja auch hinab tauchen. Und jetzt stellt euch mal vor, das ominöse Ungeheuer ist der Wächter des zweiten Steins, was ist dann?«, der junge Halbdämon hatte nicht vor, so einfach klein bei zu geben. »Hast du mir nicht zugehört? Du würdest niemals so tief kommen, Zachary. Du wärst auf den Weg aus der Glashöhle heraus fast ertrunken, falls du es vergessen hast, und dieser See ist viel, viel tiefer«, murrte das junge Mädchen unwillig. »Ich weiß, Danai. Aber das ändert nichts daran, dass wir früher oder später aber dort hinab müssen«, knurrte der junge Dämon. »Du weißt doch gar nicht, ob der Stein wirklich dort unten ist. Vielleicht ist er es gar nicht, sondern irgendetwas anderes magisches, das einem glauben machen soll, das er dort unten ist«, überlegte Tehiyok laut, sah dabei jedoch so aus, als zweifelte er ernsthaft daran, das dort irgendetwas unten sein würde. »Das weiß ich wohl, Tehiyok. Und trotzdem werden wir es auch nicht herausfinden, wenn wir einfach nur hier herum stehen«, brummte Zachary, mittlerweile schon leicht angenervt. »Dann versuch es doch. Geh, spring hinein und versuche den Grund zu erreichen, du wirst es nicht schaffen«, fauchte Danai, drehte sich auf dem Absatz herum und ging. Anwar und Tehiyok blickten ihr nach und schauten dann auf Zachary. »Sie hat recht, so lange kann keiner von uns die Luft anhalten und gegen ein Ungeheuer in seinem höchsteigenem Terrain zu bestehen grenzt an Unmöglichkeit«, versuchte es Anwar mit ruhiger Stimme und guten Argumenten, doch der junge Halbdämon hörte ihm nicht zu. Im Gegenteil, er war schon dabei, sich die wenigen Kleider auszuziehen. Anwar seufzte tief, sagte aber nichts weiter dazu, stattdessen deutete er Tehiyok, mitzukommen. In seinem Wahn würde man den jungen Mann sowieso nicht aufhalten können und wenn es dort wirklich ein Monster in den untiefen gab, dann war er sowieso verloren. Dabei zuschauen, wie er starb, brauchten sie nicht. Nur Azra blieb bei ihm. Viel glück, junger Dämon, sagte er und rieb seinen Kopf an Zacharys Bein. »Werde ich vermutlich brauchen können«, antwortete Zachary, strich dem Wolf einmal über den Kopf und sprang dann ohne weitere Worte ins Wasser. Es war auch nicht anders, als wenn er ins Meer oder in einen See sprang, außer vielleicht, das er plötzlich viel weiter sehen konnte. Es war nicht so, wie sonst, das man unter Wasser einfach anders sah, das einfach alles so merkwürdig hell wirkte, sondern er konnte wirklich besser und weiter sehen. Verwirrt schwamm er an die Wasseroberfläche. Hier war wieder alles ganz normal. »Azra, irgendwie ist die Sicht unter Wasser merkwürdig«, rief er dem Wolf zu. Er war erstaunlicherweise schon ein ganzes Stück vom Ufer weg, ohne das er wirklich geschwommen war. Anscheinend gab es hier unsichtbare Strömungen. Doch die hätte er eigentlich bemerken müssen. Dann bist du auf dem richtigen Weg, dann hast du recht, Zachary. Der Stein des Wassers liegt am Grunde dieses Sees, denn an die merkwürdige Sicht unter Wasser kann ich mich erinnern, rief der Wolf zurück und lief aufgeregt umher. »Ich versuche jetzt hinunter zu kommen«, antwortete der junge Halbdämon und als Azra nickte, holte er tief Luft und tauchte unter. Sofort war wieder diese merkwürdige Weitsicht da, diesmal war er jedoch darauf vorbereitet und nutze sie nun, um das, was unter ihm lag, genauer anzublicken. Er sah einfach nur Dunkelheit. Eine Dunkelheit, die sich auch nicht änderte, als er weiter nach unten kam, sondern immer schlimmer wurde, weil nun auch über ihn langsam aber sicher das Licht verblasste. Irgendwann merkte er, dass er die Luft nicht länger anhalten konnte. Es war ein Wunder, dass er es überhaupt so lange geschafft hat, aber nun ging es nicht mehr. Er musste wieder zurück an die Wasseroberfläche, doch er spürte instinktiv, dass er zu lange gewartet hatte, diesem Drängen nachzugeben. Er würde es nicht schaffen, er würde hier und jetzt ertrinken. Er spürte, wie ihm langsam schwindlig wurde und seine Kraft zu erlahmen begann. Plötzlich spürte er auch mit aller Macht sein voll gesogenes Fell am Leib, das ihn nach unten zu ziehen schien. Zachary konnte nicht mehr. Eine schwarze Hand griff nach seinen Gedanken und langsam aber sicher ließ er sich in diese Schwärze fallen, die über seinen Gedanken zusammen schlug, denn eine andere Wahl hatte er nicht. Das nächste, was er wieder bewusst wahrnahm, war, das er atmen konnte. Doch das atmen tat ihm weh, es schien bei jedem einzelnen Atemzug so, als wollte seine Lunge zerplatzen. Und er hatte den Geschmack von Blut im Mund. Er war augenscheinlich auch nicht mehr im Wasser, denn er lag auf der Erde und eine Decke war über ihn gebreitet, aber mehr wusste er nicht zu sagen. Langsam und vorsichtig öffnete er die Augen und blinzelte ins Sonnenlicht. »Er ist wach«, rief eine vertraute Stimme und als er den Kopf drehte, konnte er Anwar erkennen, der neben ihm im Gras saß. Sofort spürte er das trappeln schneller Füße, und nur kurze Zeit später tauchten Danai und Tehiyok in seinem Blickfeld auf. Während sie zu dritt und in atemberaubender Geschwindigkeit auf ihn einzureden begannen, setzte sich der junge Halbdämon langsam auf. Ihm war immer noch ein wenig schwindelig und er hatte Wasser in den Ohren, sodass er nicht richtig hören konnte, doch ansonsten ging es ihm gut. »Ganz ruhig ihr drei, einer nach dem anderen«, unterbrach er das sinnlose Geplapper, während er im Ohr zu bohren begann. »Zachary, was hast du dir nur dabei gedacht! Das war gefährlich, was du getan hast!«, fauchte Danai und musterte ihn feindselig. »Ich habe die Situation falsch eingeschätzt, nichts weiter. Ich bin tiefer getaucht, als ich dachte und irgendwie kam es ganz plötzlich, dass ich die Luft nicht mehr anhalten konnte. Ich bin nicht mehr rechtzeitig nach oben gekommen«, erklärte er und schüttelte heftig den Kopf, um seine Ohren endlich frei zu kriegen. Das jedoch war ein Fehler, denn die leichte Übelkeit, die er bisher verspürt hatte, schlug mit einem mal in einer Woge über ihn zusammen. Er konnte gerade noch den Kopf so drehen, das es nicht Anwar war, der den Inhalt seines Magens abbekam, doch das war auch schon alles. Die anderen drei sprangen angeekelt auf die Füße und zogen sich einige Schritte weit zurück, sagten aber nichts. Irgendwann war sein Magen leer und erschöpft ließ er sich nach hinten fallen. Seine Freunde standen immer noch um ihn herum, sahen jedoch alle so aus, als wollten sie eigentlich noch ein paar Schritte zurückweichen. Er wollte etwas sagen, doch in dem Moment hörte er wieder Schritte, die sich ihm näherten und so verwandte er seine Kraft darauf, in die entsprechende Richtung zu blicken. Es war ein junges Mädchen. Sie war in etwa in seinem alter, noch keine richtige Frau, aber schon lange kein Kind mehr. Ihr Haar war etwa schulterlang und von einem dunklen rot, hingen jetzt nass herab. »Wer bist du?«, fragte Zachary und wollte sich hochstemmen, doch nach seinem beinahe ertrinken war er noch nicht wieder stark genug dazu. »Sie hat dich aus dem Wasser gezogen, nachdem du nicht wieder aufgetaucht warst. Ihren Namen hat sie uns nicht verraten«, erklärte Anwar leise. Das Mädchen schien ihn trotzdem gehört zu haben, denn sie blickte ihn einen Augenblick lang aus kastanienbraunen Augen nachdenklich an, als wisse sie noch nicht, ob sie wütend sein soll, über die genommene Chance, Zachary selbst zu erzählen, was sie getan hatte, oder als wäre sie erleichtert, das sie es nicht selber tun musste. Sie deutete mit einem Kopfnicken in die Richtung, in der Zacharys Frühstück lag und fragte spöttisch: »Wollen wir uns nicht einen gemütlicheren Ort suchen, um uns ein wenig zu unterhalten, oder mögt ihr die Gesellschaft von…«, sie suchte einen Augenblick lang nach einem Wort, zuckte dann aber mit den Schultern. Zachary musterte sie einen Augenblick lang prüfend, dann stand er mühsam und mit Anwars Hilfe auf und gemeinsam gingen sie ein Stück des Weges. Zachary trat dann auch sogleich an das Wasser heran und stillte seinen Durst, erst dann setzte er sich zu den anderen, die das Mädchen neugierig musterten. Sie schien das freilich nicht zu stören, vielmehr war sie damit beschäftigt, ihn zu beobachten. »Ein Dämon in der Gesellschaft von Menschen, sieht man nicht allzu oft«, meinte sie neugierig. Ihre Stimme war seltsam, denn sie hob sie so gar nicht von den natürlichen Geräuschen um sie herum ab. Wenn man nicht direkt darauf horchte, dann konnte es gut sein, das man sie gar nicht wahrnahm. »Ich bin kein Dämon«, widersprach Zachary und ließ sich schwer ins Gras fallen. Das Mädchen antwortete zwar nicht, aber der Blick, mit dem sie über seine Ohren, seine Rute und sein Fell strich, war antwort genug. »Ich bin kein Dämon, ich bin ein Halbdämon«, antwortete der junge Mann nun merklich kühler und deutete auf seinen Rücken und auf seine Arme. »Keine Flügel, kein Fell. « Das Mädchen zuckte mit den Achseln. »Nimmt sich nicht viel, außer vielleicht, das es im Allgemeinen weniger Halbdämonen gibt, als richtige. Deutlich weniger«, meinte sie. »Genau deswegen wäre mir die genaue Bezeichnung auch lieber«, brummte Zachary und schaute sie abschätzend an. »Von mir aus, mir soll’s recht sein«, sie zuckte mit den Schultern, deutete dann hinaus auf den See. »Warum bist du schwimmen gegangen, obwohl du es so offensichtlich nicht kannst?« Zachary antwortete ihr nicht darauf, sondern blickte nur hinaus auf das Wasser. »Hast du den Grund eigentlich erreicht?«, wollte Danai plötzlich wissen. »Nein, er ist wirklich zu tief, als das ich hinab gelangen könnte«, antwortete der junge Halbdämon mit einem tiefen seufzen. »Ich habe es dir gesagt«, antwortete Danai und wirkte irgendwie zufrieden. »Hast du, ja, aber irgendwie müssen wir dort hinab«, behaarte der junge Mann. »Aber warum denn? Dort unten ist nichts, Zachary«, Danai schien an seinem Verstand zu zweifeln. »Doch, Danai, genau dort ist das, was wir suchen!«, er warf dem Mädchen einen flüchtigen Blick zu, stand dann auf und wollte zu ihrem Lager laufen, doch da kam ihn schon Azra mit Aris Tagebuch in der Schnauze entgegen. »Danke, mein Freund«, meinte der junge Halbdämon, nahm das Buch zur Hand und schlug es auf. Er verfehlte die Seite, die er suchte nur ganz knapp und nach einigem blättern aber fand er sie. »Hör zu: Ein See, älter und tiefer, als alle anderen zuvor, in einer Stadt aus Korallen, bewohnt von Fischmenschen. In der nähe liegt ein altes Elbendorf, das fast den gleichen Namen trägt, wie auch der See«, las Zachary vor. »Und inwiefern trifft das auf diesen See zu?«, erkundigte sich Tehiyok und schaute dabei in die Runde. Anwar sah einfach nur ratlos aus, doch Danai dachte einen Augenblick lang nach, dann weiteten sich ihre Augen vor verblüffen. »Das Tagebuch ist uralt, es ist zu der Zeit geschrieben wurden, wo hier tatsächlich noch Meermenschen gelebt haben müssen«, meinte sie. »Genau. Wenn es nicht dieser See ist, welcher dann?«, fragte der junge Halbdämon und blickte wieder hinaus aufs Wasser. »Worum geht es hier eigentlich?«, erkundigte sich derzeit das Mädchen und blickte neugierig von einem zum anderen. »Nichts, was dich was angehen würde«, brummte Zachary zur Antwort. Sie spießte ihn dafür regelrecht mit blicken auf und sagte: »So sieht also deine Dankbarkeit aus, das ich dir das Leben gerettet habe? Dann will ich wirklich keine Undankbarkeit von dir kennen lernen.« Zachary schnaubte unwillig. »Warum sollten wir jemand Fremden so etwas erzählen?«, fragte er und schaute sie böse an. »Weil diese Fremde dir das Leben gerettet hat vielleicht?«, knurrte das Mädchen, stand wütend auf und mit einem abschließenden eisigen Blick auf Zachary ging sie einfach davon. Zachary blickte ihr einen Augenblick lang nach, aber nicht lange, da wandte er sich schon wieder seinen Freunden zu. »Von euch hat nicht zufällig jemand eine Idee, wie wir dort hinab kommen?«, fragte er und deutete in Richtung des Wassers, doch er erntete bloß einstimmiges Schulterzucken zur Antwort, denn keiner der anderen hatte auch nur die geringste Idee. »Wenn wir bloß unter Wasser atmen könnten…«, überlegte Zachary, blickte dabei mit böse gerunzelter Stirn Azra an. »Wie seid ihr denn damals hinab gekommen?« Ich weiß nicht… ich glaube, die Meermenschen haben uns geholfen…, überlegte der Wolf. »Wie?«, fragte Danai, »mit Wassermagie?« Nein, ich denke nicht. Mit Magie ist das so eine Sache, sie gehorcht nicht jedem. Es gibt nur sehr wenige, die sie nach eigenem gutdünken nutzen können, antwortete Azra nachdenklich. »Wieso können es überhaupt welche?«, erkundigte sich Anwar, »ich meine, wenn es wirklich so selten und schwierig ist…?« Früher war das anders, Anwar. In der Zeit jenseits des großen Krieges war die Magie allgegenwärtig. Nahezu jeder konnte sie nutzen, aber ihre Macht schwindet seid Jahrtausenden schon. Nur die Nachkommen jener, die damals schon wahre Wunder vollbringen konnte, können sie heute überhaupt noch nutzen, weil nur sie das wahre Wesen der Magie erkennen können. Es ist… schwierig zu erklären. Aber je schwächer die Magie wird, desto seltener sind jene, die sie nutzen können, versuchte das schwarze Tier zu erklären. »Und du meinst, die Meermenschen können es nicht mehr?«, erkundigte sich Tehiyok. Das habe ich nicht gesagt. Und ich bin der Letzte, der es jemals behaupten würde, das ein anderes Volk als die Dämonen Magie wirken könnten. Ich glaube nur nicht, dass es Magie war, die sie nutzten, um uns zu helfen. »Können… Dämonen eigentlich eher Magie wirken, als andere Völker?«, erkundigte sich Tehiyok mit einem nachdenklichen Blick auf Zachary. Nein, im Gegenteil. Nur der Dämonenkönig kann Magie nutzen, antwortete Azra. »Wieso?«, fragte Zachary neugierig. Weil irgendwer das irgendwann einmal so bestimmt hat. Ich weiß weder wer es war, noch warum es so war, aber auch bevor der erste Dämon so vermessen war, sich zum König zu erheben, gab es nur einen, der die Magie wirken konnte. Und nur sein erster Nachkomme konnte es ebenfalls, allerdings erst nach seinem Tod. Das war immer schon so, seid Anbeginn der Zeit. »Vielleicht haben die Menschenzauberer ja einen Bann erschaffen, weil die Dämonen sonst zu Mächtig geworden wären. Sie sind auch so schon das mächtigste Volk im Norden, wenn es das Bündnis der anderen Länder nicht gäbe, wäre das alles hier schon Dämonenland«, überlegte Tehiyok, doch Azra verneinte. Das glaube ich nicht. Ich habe euch doch erzählt, dass die Dämonen einst verbündete der Menschen waren, da hätten sie sich nicht ins eigene Fleisch geschnitten. Außerdem war das auch schon so, als die Menschen noch ein Gedanke der Willkür waren, Azra stand auf, streckte sich einmal und schaute dann zum See herüber. »Ein Gedanke der Willkür?«, Danai schaute ihn verwundert an. Lange, bevor es die Menschen gab. Das Volk der Menschen ist noch nicht alt, bis sie diese Welt wieder verlassen wird noch eine lange Zeit vergehen. Sie haben nicht mehr mit den Dämonen zu schaffen, als vielleicht, das sie vor langer Zeit einmal in Freundschaft miteinander lebten. Und das es vielleicht irgendwann einmal wieder so sein wird. »Aber nur, wenn wir dem jungen Dämonenkönig helfen. Warum kann er Ares eigentlich nicht einfach mit seiner Magie bezwingen?«, Zachary blickte Azra fragend an. Um dir das zu erklären, müsstest du Dinge wissen, die zu erfahren für dich jetzt noch zu früh wäre. Du wirst es selbst herausfinden, irgendwann. Jetzt aber sollten wir uns wieder auf unter Problem konzentrieren, der Wolf trat ans Wasser und berührte es mit der Nase, sodass die eigentlich spiegelglatte Oberfläche von Kreisen durchsetzt wurde. »Ich glaube, ich bin die Einzige, die hinab kommen könnte, nicht wahr?«, fragte Danai leise, und obwohl Azra ein ganz schönes Stück von ihr entfernt stand, und nicht einmal Zachary, der direkt neben ihr saß es hörte, schien der Wolf ihre Worte doch vernommen zu haben, denn er nickte langsam. »Aber…«, sie schaute bedrückt zu Boden, stand dann auf um zu dem Wolf zu gehen. »Ich habe Angst, alleine hinabzutauchen. Ich weiß doch nicht, was mich dort erwarten wird…!« Das weiß ich, Danai. Leider kann ich mich nicht mehr erinnern, so sehr ich es auch versuche, es war so einfach…, Azra schüttelte heftig den Kopf. Aber selbst wenn ich es wüsste, es wäre einerlei. »Wieso?«, fragte sie beunruhigt. Weil der Wächter den Stein ebenso wenig freiwillig an den erstbesten geben wird, wie der Drache es getan hat. Und wer sollte schon der Träger des Wassersteins sein? Tehiyok?, der Wolf blickte schaute missmutig zu dem jungen Händlerssohn zurück. Wohl eher nicht. »Und auch Zachary wird es gewiss nicht sein. Und Anwar… hat ja bereits einen Stein«, stimmte sie leise zu. Genau. In unserer Gruppe ist der Träger nicht zu suchen, also brauchen wir uns eigentlich keine Gedanken machen. Er wird ihn uns nicht geben. In diesem Moment erschien ein helles Leuchten, das die ganze Umgebung in gleißendes Licht tauchte, bis es sich neben dem schwarzen Wolf in Form des gläsernen Drachen materialisierte. Azra schaute nicht einmal in die entsprechende Richtung, während die anderen verblüfft und erstaunt auf das leuchtende Wesen blickten. Der Drache brummte etwas in einer Sprache, über die sie nicht einmal sicher sein konnten, dass es überhaupt eine Sprache war. Vielleicht war es auch bloß ein knurren oder der Laut, den er machte, wenn er überlegte. Doch Azra antwortete mit etwas, was sich anhörte, wie ein Bellen. Die beiden schienen einen Augenblick lang zu streiten, den Azra antwortete knurrend und geifernd, und auch der Drache spannte die gläsernen Glieder, als wolle er sich auf den so viel kleineren Wolf stürzen, doch es war seltsam, der Drache gab letzten Endes nach. Er wollte es nicht auf einen Kampf ankommen lassen, obwohl er Azra mit einer unbedachten Bewegung der Klaue das Genick hätte brechen können. Und doch, er senkte den Kopf, schaute einmal zum Himmel auf, nickte dann Schicksalsergeben. Tue, was immer du für richtig hältst, knurrte er missgelaunt, während er mit den rubinroten Augen die Azras suchte, und sie doch nicht zu fassen bekam. Der Wolf war viel zu sehr mit dem Schatten beschäftigt, der im Wasser so knapp unter der Wasseroberfläche dahin glitt. Doch den Drachen schien es nicht weiter zu Interessieren, denn er löste sich wieder im Licht auf und verschwand in dem Stein, den Anwar mittlerweile hervorgeholt hatte. »Was… habt ihr besprochen?«, fragte Zachary vorsichtig und gesellte sich zögernd zu dem Wolf. Dabei behielt auch er den Schatten misstrauisch im Blick, aber was auch immer es sein mochte, es verschwand wieder in den Tiefen des Wassers. Danai?, der Wolf ignorierte Zachary, den er war mit seinen Gedanken noch bei dem, was der Drache ihm gesagt hatte. »Ja?«, sie schaute ihn fragend an. Ich glaube, dieser Teil unseres Abenteuers wird ganz allein dir gehören. »Wie meinst du das?«, Zachary blickte Azra voll misstrauen an. So wie ich es sagte. Anwar, gib ihr Danai bitte ihr Schmuckstück wieder. Anwar nickte und zog es sogleich aus seiner Tasche heraus, um es Danai zuzuwerfen. Die fing es geschickt auf, bevor es ins Wasser fiel, doch kaum hatte ihre Hand den Anhänger berührt, da erstrahlte er in einem leuchtenden Blau. Dies ist dein Teil des Abenteuers, und von uns wird dir keiner helfen können, Danai. Aber wenn du an dich selbst glaubst, dann wird es nicht schwer. Danai schaute voller Furcht mitten in das blaue Leuchten, dann zu dem Wolf und nickte langsam. »Es… ist mein Schicksaal, nicht wahr?«, fragte sie leise und Azra nickte. »Dann wird es wohl Zeit endlich das zu sehen, was sie mir nicht zeigen wollten.« Danai schaute die drei Jungen an und lächelte. »Wir sehen uns dann später«, meinte sie und war mit einem Satz im Wasser, bevor einer von ihnen Antworten konnte. Kapitel 13: In der Korallenstadt -------------------------------- Danai schwamm tiefer und tiefer hinab in die drückende Tiefe dieses einen Sees. Wie konnte ein fest umschlossenes Gewässer nur so tief sein? Sie tauchte schon seid Stunden, und die Stadt aus Korallen, in der die Meermenschen vor so langer Zeit einmal lebten, war deutlich zu erkennen, doch schien sie nicht näher zu kommen. Ihr machte es nicht viel aus, sie besaß Kiemen, sodass sie atmen konnte, doch wenn einer ihrer Begleiter hier hinabzutauchen versucht hätte, wäre er lange schon jämmerlich ertrunken. Wie hatten Ari und Azra nur hierher kommen können, wenn nicht mithilfe von Magie? Vielleicht war es auch keine Wassermagie gewesen, sondern jene art der Magie, die der Dämonenkönig für sich zu nutzen wusste? Eigentlich war es aber auch einerlei, denn sie war nun allein, keiner der anderen war mehr bei ihr. Dabei hatte sie sich doch vorgenommen, niemals mehr alleine zu sein. Wie sicher war sie sich gewesen, das sie es niemals mehr sein würde, als sie Anwar und Zachary kennen lernte, zwei ausgestoßene, wie sie. Der eine, weil er so anders aussah, und den Menschen so Fremd war, der andere aus freien Stücken, weil ihm eine Freundschaft mehr bedeutete, als sozialer Status. Anwar hatte das Fremde nicht gefürchtet, dabei fürchtete doch jeder das, was er nicht kannte. Oder nicht? Wie konnte es nur geschehen, das sie nun schon wieder alleine war. Hätten ihre Freunde sie auch gehen lassen, wenn sie ihnen die Chance auf einen Widerspruch gegeben hätte? Oder hätte sie trotzdem ins Wasser steigen müssen, weil keiner von ihnen ein Wort gesagt hätte, außer vielleicht, das sie ihr Glück wünschten. Doch was brachte ihr schon Glück, wenn sie etwas anderes so viel nötiger hatte? Doch wenigstens war es nicht dunkel, das blaue Leuchten ihres Anhängers wies ihr den Weg. Welch ein Zufall es doch war, das sie und ihr Vater ausgerechnet nach Nordwind gegangen waren, und das sie sich Zachary und Anwar angeschlossen hatte. Oder war das Schicksaal eines jeden Wesen vorherbestimmt, und sie hatte bloß getan, was irgendwer oder irgendetwas für sie bestimmt hatte? Sie schüttelte heftig den Kopf um die Gedanken zu vertreiben. Was zählten schon höhere Mächte, wenn sie im hier und jetzt lebte und eine so unglaublich riesige Aufgabe vor ihr lag? Wie sollte sie nur alleine gegen das Monster in den Tiefen ankommen? Der Drache hatte die Jungen auch angegriffen und wenn Zachary ihn nicht abgelenkt hätte, wäre Anwar gewiss nicht herangekommen. Doch wie sollte sie das nur alleine schaffen? Angst griff wieder nach ihrem Herz und sie hatte das Gefühl, das sie einfach nicht mehr konnte. Sie hörte auf, hinabzutauchen, sie wandte sich vor seelischem Schmerz. Sie wollte zurück und nie mehr hierher kommen und sie war schon im Umkehren begriffen, da spürte sie etwas neben sich. Im blauen Licht erschien ein Schatten, eine Gestalt aus Schwärze an ihrer Seite. Keine Angst, ich bin bei dir, erklärte das, was eigentlich nur eine Ansammlung schwarzen Lichtes war, und Danai spürte, das es meinte, was es sagte, und das es ihr nichts Böses tun würde. Ebenso, wie ich, fügte ein weißes Leuchten an ihrer anderen Seite hinzu. Dieses erkannte sie, es musste wohl der gläserne Drache sein. Doch warum war dann der schwarze Schatten auch hier? Und was verbarg sich dahinter für ein Wesen? Sie wollte fragen, besann sich doch eines besseren. War es nicht einerlei? Sie wollten bei ihr bleiben, mit ihr gehen, mehr zählte doch gar nicht. Zumindest nicht für den Moment. Die Gelegenheit zu Fragen, würde gewiss noch früh genug kommen. Sie nickte zögernd, dann schwamm sie weiter hinab in die tiefe. Und wie es schon so unzählige male jenen ergangen war, die in diese Stadt hinab wollten, so ging es auch ihr, denn mit einemmal war sie da, die Stadt aus Korallen. Es schien Danai, als wäre die Stadt aus dem Nichts um sie herum aufgetaucht, nachdem sie eine Zeit unterwegs gewesen war, die ihr vorkam, wie die Unendlichkeit. Dabei hatte es nicht lange dauern können. Aber jetzt war sie hier, an jenem Ort, der ihre Träume beherrscht hatte, vor dem sie Angst hatte, wie vor nichts anderem, und den sie ersehnt hatte, wie niemals etwas anderes. Es war schon merkwürdig, welch gegensätzliche Gefühle diese seltsame Stadt in ihr auslösten. Sie blickte sich nach den Lichtern um, die zu ihr gekommen waren, und immer noch bei ihr blieben. Sie waren neben ihr, das schwarze und das weiße Leuchten. Der Drache und das Unbekannte. Azra hatte gesagt, das es andere Wesen waren, in deren Gestalt die anderen Wächter auftauchen würden, keiner Drachen mehr. Was würde es nur sein, was sie im Dämonenland erwartete, und nun so freimütig als Formloser Schatten an ihrer Seite blieb. Und was würde es sein, was den blauen Stein behüten würde? Ein Meermensch? Gewiss nicht, dann wären auch die anderen Meermenschen noch hier, den vor ihresgleichen hätten sie sich nicht gefürchtet. Vielleicht eine Wasserschlange? Ein Kalmar? Oder einfach bloß ein sehr großer, böser Fisch? Und wie lange mochte es noch dauern, bis sie ihm gegenüber stand? Lauerte es gar schon irgendwo? Wartete, auf eine gute Gelegenheit, sie zu packen, zu zerreißen, oder was auch immer es mit ihr vorhaben mochte. Sie blickte nachdenklich auf den schwarzen Schatten. Obwohl er bei ihr war, hatte sie keine Angst. Oder gerade weil die Angst an ihrer Seite stand? Aber was genau tat er eigentlich hier? Dass der Drache bei ihr stand, konnte sie noch verstehen, doch warum war es der Wächter des schwarzen Steines ebenso? Sie besaßen den Stein noch nicht, und es würde wohl noch eine Weile dauern, bis sie ihn bekamen, wenn sie ihn den überhaupt zu stehlen versuchen würden. Was brachte ihnen denn schon der Stein der Angst, wenn sie keinerlei aussichten hatten, die anderen zu finden? Ihn würden sie als letztes suchen. Ich weiß, dass ihr ihn nicht habt, aber der gläserne Regenbogenmacher, den habt ihr bereits. Jeder der Steine bildet den Gegenpart zu einem anderen Stein musst du wissen, und wenn ihr den einen habt, dann habt ihr auch eine gewisse Beziehung zu seinem Gegenstück. Wenn du den Wasserstein findest, dann kann es also sein, das auch der Feuerwächter seinen Weg zu euch finden wird. Vielleicht nur, und wenn, dann auch nicht oft, aber die reine Möglichkeit besteht, es schien, als hätte das Wesen ihre Gedanken gelesen. Und nicht nur das, auch das weiße Lichtwesen auf der anderen Seite schien in ihrem Kopf lesen zu können, wie in einem offenen Buch, den er schien zu nicken. Das störte Danai, aber sie sagte nichts, blickte sich stattdessen suchend um. Konnten ihr die Lichter vielleicht Auskunft über die Richtung geben? Nein, wir dürfen dir nicht helfen. Nur zuschauen und dir beistehen, so gut es und möglich ist, ohne in das Geschehen direkt einzugreifen, erklärte das weiße Licht, aber so etwas hatte Danai sich bereits gedacht, deswegen war sie nicht enttäuscht. Stattdessen schwamm sie einfach auf gut Glück los. Dabei blickte sie voll Neugierde in das Korallenhaus. Es sah genau so aus, wie sie es sich immer vorgestellt hatte, nach all den Erzählungen, die sie so oft schon gehört hatte. Hier standen Stühle und Tische aus Korallen, es gab Betten, die mit weichem Seetang gefüllt waren, und Geschirr aus so großen Muscheln, wie sie selten zuvor eine sah. In einer Truhe aus muschelbesetzten Stein mit einem Deckel aus Korallen, fand sie die Seetang geflochtene Kleidung, mit der die Meermenschen ihre Blöße bedeckten, wenn sie an die Wasseroberfläche kamen. Sie fand Schmuck aus Muscheln und Perlen und eine Bürste aus Walbarten. Langsam und zögernd nahm sie eines der Schmuckstücke an sich. Die Haarspange kam ihr seltsam bekannt vor, doch wollte ihr einfach nicht einfallen, woher. Sie bürstete zögernd ihr Haar und band es mit der Spange zusammen, dann schwamm sie weiter, betrachtete dabei das eine oder andere weitere Haus. Sie alle wirkten, als würden ihre Bewohner jeden Augenblick zurückkehren. Durch das stille Wasser war alles noch an seinen Platz geblieben, vieles war auch so schwer, das es auch nicht hätte davon geschwemmt werden könne. Danai hätte wohl angst haben müssen, wären die Schatten nicht zu beider Seiten gewesen. So jedoch schwamm sie munter und voller Neugier durch diese Unterwasserwunderwelt, die sich im strahlenden Blau vor ihr erstreckte. Doch es war nicht mehr allein das Licht des Anhängers, das ihr Licht spendete, es schien, als wäre Tageslicht um sie herum. Dies jedoch konnte nicht sein, immerhin war sie so lange hier hinab geschwommen. Doch der blaue See hatte immer schon seinen eigenen Gesetzen gefolgt, was für andere Gewässer galt, galt für ihn nicht, hat es noch nie. Irgendwann kam sie zu einem weiten Platz in der Mitte der Stadt. Sie hatte erwartet, das der blaue Stein hier liegen mochte, doch obwohl ihr Anhänger leuchtete, wie ein blauer Stern, und auch das Tageslicht ihr einen weiten Blick ermöglichte, sah sie weit und breit nichts, was dem Stein auch nur ähneln mochte. Aber auch nichts von dem Ungeheuer. Das störte sie herzlich wenig, doch warum leuchtete das Schmuckstück so sehr, wenn sie doch auf dem falschen Weg zu sein schien? Nachdem, was die Jungen erzählt hatten, musste er doch hier irgendwo sein, doch wo? Sie blickte sich suchend um, doch fand sie nichts, was ihr verdächtig vorkam. »Wo ist er nur?«, wunderte sie sich, doch die sacht leuchtenden Schemen zu beider Seiten antworteten ihr nicht, obwohl die Frage an sie gerichtet war. Natürlich nicht, den sie hatten ja gesagt, dass sie ihr nicht helfen durften. Doch wieso eigentlich? Sie stellte die Frage laut, doch es dauerte einen Moment, bis sie antwort erhielt. Weil du ihn alleine finden musst, das ist Bedingung, um ihn behalten zu dürfen, antwortete der gläserne Drache. »Ich glaube gar, das ihr nicht wollte, dass wir sie zusammentragen«, vermutete Danai daraufhin voll Bitterkeit. Da irrst du dich. Wenn wir es könnten, wir würden selbst die Steine zu euch bringen und euch sagen, was auch immer wir wissen. Aber der Bann hindert uns daran, wir können es nicht, so sehr wir es auch wollen, erklärte der schwarze Schatten, und seine Stimme klang voll Bitterkeit. »Aber wieso? Wieso?«, Danai verstand es nicht, aber wie sollte sie auch. Wer verstand schon das Grundgefüge einer ganzen Welt, warum alles so war, wie es eben war. Es wurde einst so bestimmt, und so oft wir es auch in Frage stellen, wir haben nicht die Macht, es zu ändern, erklärte der Drache. »Habt ihr es nie versucht? Man kann alles ändern, wenn man es nur beharrlich genug versucht!«, ereiferte sich das Mädchen. Vieles, ja. Nahezu unendlich vieles, da stimmen wir dir zu. Aber dies nicht. Oder kannst du erreichen, dass die Welt sich anders herum dreht? Oder das sie gar aufhört, sich zu drehen?, fragte der schwarze Schatten. »Nein, natürlich nicht! Aber das ist ja auch…«, begann sie, stockte dann aber. Etwas anderes?, fragte der Drache. »Nein. Ihr habt recht… aber wieso es euch so wichtige, das wir sie zusammentragen? Es kann euch doch einerlei sein.« Wenn der Bund erneuert wird, wird es die Steine nicht mehr geben, antwortete der Drache. Und wenn es sie nicht mehr gibt, dann werden wir nicht mehr gebraucht. Wir sind dann frei und können gehen, wohin wir wollen. Und wir sind dann sterblich, das ist es, was wir am meisten ersehnen, fügte der schwarze Schatten hinzu. »Aber wieso? Ihr müsst so doch keine Angst mehr haben. Vor nichts«, fand sie. Oh doch, mein liebes Kind. Vor der Unendlichkeit. Nichts ist schlimmer, als ein ewig währendes Leben. Man sieht so viele Wesen, die man kennen lernen möchte, doch ihr Leben währt nur so kurz, das man es sich nicht traut. Weil sie wieder gehen könnten, wenn man sie gerade ins Herz geschlossen hatte. Was für euch ein ganzes Leben ist, ist für uns kaum mehr, als ein Augenblick, und wir haben alle angst vor dem, was der nächste Augenblick bringen könnte. Es könnte uns zerstören, gründlicher, als jede Waffe der Welt es jemals zu tun vermögen könnte, der schwarze Schatten verstummte, doch seine Worte klangen nach, und stimmten Danai traurig und nachdenklich. »Könnt ihr mir zumindest einen Hinweis geben? Wo ich suchen muss?«, fragte sie irgendwann leise. Die beiden Wesen schwiegen einen Moment, bis der gläserne Drache langsam, zögernd nur und vorsichtig, nachdenklich zu sprechen begann. Ich denke, diesen Hinweis dir zu geben wird uns gestattet sein… Ich denke auch. Er ist überall um dich herum. Hier wirst du ihn trotzdem nicht zu fassen kriegen, aber da ist er trotzdem, erklärte das schwarze Leuchten, doch das junge Mädchen konnte hiermit ebenso wenig anfangen, wie dort, wo sie noch keinen Hinweis hatte. Sie überlegte einen Moment, nachzufragen, doch mehr würden sie gewiss nicht erzählen. Sie waren sich hierbei ja schon nicht sicher gewesen. »Könnt ihr mir dann sagen, wo der Wächter des Wassersteines ist?«, fragte sie stattdessen. Oh, nicht weit. Aber dir wird er nichts tun, junges Kind. Du bist die Richtige, das beweist schon allein der Anhänger um deinen Hals, antwortete der Drache. »Meint ihr, er würde mit mir sprechen? Denn nur, weil ihr nicht mehr sagen dürft, heißt das ja nicht, das auch er stillschweigen bewahren muss«, überlegte sie. Da hast du sogar recht. Und er wird auch zu dir kommen, aber nur, wenn er es wünscht. »Also mag es nur noch Augenblicke dauern, vielleicht aber auch Stunden, Tage, Wochen, Ewigkeiten?« Ja. »Gut. Dann habe ich nun gefragt, was zu fragen nötig war. Vielen Dank, das ihr mir so sehr geholfen habt. Ich bitte euch nur noch darum, auch jetzt noch bei mir zu bleiben. Jetzt, wo ich ganz allein weiter machen muss.« Natürlich. Danai nickte dankbar, dann drehte sie sich einmal im Kreis und überlegte, wohin sie nun schwimmen sollte. Sie wusste es nicht, eigentlich war sie ebenso ratlos, wie zuvor auch schon. Wie eigentlich immer schon. Sie dachte nach, während sie einmal um den Platz schwamm. Wenn der Wächter wirklich so nahe war, musste er sehr klein sein, denn sehen konnte sie ihn nicht, und sie konnte sehr weit sehen. Oder aber er war wie das Wasser um sie herum. Ja, warum eigentlich nicht? Sie hatte gesehen, das der Drache zu weiß gleißendem Licht werden konnte, warum sollte dann der Wasserwächter nicht auch zu Wasser werden? Und wenn der Wasserwächter wirklich das Wasser um sie herum war, dann war es womöglich sein verdienst, dass das nasse Element hier so gänzlich anderen Gesetzen folgte. Vielleicht konnte er so den Stein vor unerwünschten Blicken fern halten: Indem er einfach das Wasser so änderte, das man ihn nicht sah. Sie spielte einige Augenblicke mit dem Gedanken, die Lichter an ihrer Seite um die Richtigkeit ihres Gedankenganges zu befragen, entschloss sich dann aber dagegen. Sie wusste selbst nicht wieso, aber sie war sich sicher, damit der Wahrheit sehr, sehr nahe zu kommen. Da brauchte sie nicht mehr nachfragen. Weitere Informationen würde sie sowieso nicht erhalten. Sie überlegte einen Moment, dann befand sie, dass das alles so keinen Sinn hatte. Sie spielte einen Moment mit dem Gedanken, wieder nach oben zu schwimmen, doch dann schwamm sie einfach in die Mitte des Platzes und blitzte einmal böse um sich. »Ich weiß, das du hier bist!«, rief sie voll Angriffslust, und verfolgte mit dem Blick den silbrigen Weg der Luftblasen. Sie stiegen senkrecht auf, das Wasser war also gänzlich unbewegt. Wenn der Wächter wirklich hier war, dann blieb er so still, wie die Korallenhäuser um sie herum. Natürlich ist er hier, aber so wirst du ihn nicht zum Kommen bewegen, säuselte eine Stimme, die von überall her zugleich zu kommen schien. Ja, der Wächter war da. »Komm zu mir, ich möchte mit dir sprechen!«, forderte sie mit entschlossener Miene. Das willst du, aber will er das auch? Die Welt ist niemals nach dem Willen eines einzelnen gegangen, antwortete das Wasser. »Dann bleib dort, wo auch immer du bist, und höre mir nur zu. Ich schlage dir einen Handel vor!«, rief sie laut. Er hat kein Interesse an diesem Handel, antwortete der Wasserwächter. »Oh, an diesem hier schon«, antwortete sie laut. Worum es geht, will er wissen…?, erklärte das Wasser, das sich langsam zusammen zu ziehen schien. Erst hatte sie es nicht bemerkt, doch vor ihr im Wasser zog sich ein Leuchten zusammen, klar und unverkennbar. Der Wasserwächter würde es wohl sein. »Ich will dir Sterblichkeit und Freiheit geben, doch bekomme ich dafür den Wasserstein, oder zumindest nur den Ort, wo er zu finden ist«, erklärte sie. Dieser Handel würde ihm gar gut gefallen, doch ist es ihm nicht möglich, darauf einzugehen, den der Stein ist nicht seiner und das Geheimnis um seinen Verbleib ebenso wenig, das blaue Leuchten zog sich noch weiter zusammen, materealisierte sich zu einer Gestalt. »Also kannst du mir auch nicht mehr sagen, als die beiden an meiner Seite es können?« Leider muss er ihr mitteilen, dass dem so ist. »In dem Fall bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als wieder zu meinen Freunden zu gehen, den alleine finde ich des Rätsels Lösung nicht«, erklärte sie, und wandte sich traurig um. Sie war sich so sicher gewesen, mithilfe des weißen und des schwarzen Leuchtens an den Stein kommen zu können. Warte! Er wünscht, das sie dableiben möge, vielleicht könnte er ihr doch helfen!, sprach der Wächter, nachdem sie sich ein Stück entfernt hatte. Sie blieb da, blickte zurück und wartete. Die Muschel in eurem Haar. Sie gehörte jemandem, den er sehr gut leiden mochte. Er möchte wissen, ob auch ihr sie kennt, sprach der Wächter. Ihr Name war Sagara. Jetzt erst viel es ihr wieder ein. Natürlich, die Haarspange hatte einst ihrer Mutter gehört, bevor sie ebenso plötzlich verschwunden war, wie die anderen Meermenschen auch. »Sie war meine Mutter«, antwortete Danai langsam. Natürlich, das er die Ähnlichkeit nicht sofort gesehen hatte… Er möchte ihr sagen, dass ihre Mutter wusste, wo sich der Stein befand. Und sie hat es jedem, der es hören mochte immer und immer wieder gesagt. Er meint, das Sagaras Tochter sich bloß erinnern bräuchte, erklärte der Wächter und war nun schon fast ganz in seiner Gestalt erkennbar. »Sie sagte, dass die Magie des Wassers immer um uns herum sei, doch das sagten die Angst und die Hoffnung mir auch so manches mal, geholfen hat es mir nicht«, antwortete sie und ihre Hoffnung schwand dahin. Mehr kann auch er dir nicht sagen. Bedenke einfach Sagaras Worte, die fast feste Gestalt entschwand wieder in ihre Bestandteile. »Aber sie sagte doch nicht mehr! Natürlich, die Magie, alles, was für den Zauber steht, ist immer um uns herum, ohne könnten wir nicht Leben! Aber das weiß doch jeder, ich verstehe einfach nicht. Was ist den schon um mich herum? Im Moment doch bloß Wasser…!«, sie stockte und schlug sich dann mit der Hand gegen die Stirn. »Natürlich. Etwas, das nur einen Sinn zu haben scheint, kann auch einen Zweiten haben. Und wenn man es wörtlich nimmt, dann ist das Wasser um mich herum der Stein. Das Wasser dieses Sees, das alles ist der Stein… in gewisser Weise«, mutmaßte sie. Ein Teil des Wassers, ja, so ist es, antwortete die Angst, während der blaue Wächter zur Wirklichkeit wurde. Es war eine Art Fisch, nein, eher ein Delfin, dem ein langes, spitzes Horn aus der Stirn wuchs. Danai hatte tatsächlich schon einmal etwas von diesen Wesen gehört. Die Wale erzählten manchmal von ihnen. Sie nannten sie Narwale und sie waren gern gesehene Gesellen, wenn auch ein wenig Eitel, ihres Hornes wegen. In jedem Fall aber waren sie ganz besondere Geschöpfe. Wie er wohl zu Lande aufzutauchen pflegte? »Das Wasser ist es also«, flüsterte Danai und öffnete die Hand. Sogleich zog sich das restliche Licht zusammen und sie lächelte zufrieden. »Habt Dank, das ihr mir so geholfen habt. Ich will wieder zurück schwimmen, sie werden mich schon erwarten«, erklärte sie. Dann schwamm sie wieder hinauf. Kapitel 14: Der Wasserstein --------------------------- Danai!«, Zachary stürzte zum Wasser, nur um zu sehen, wie der geschuppte Fischschwanz in den dunklen tiefen verschwand. Sogleich waren Anwar und Tehiyok zur Stelle, um ihn davon abzuhalten, gleich hintendrein zu springen. Während sie ihn hielten, tobte der junge Halbdämon, wie es ein richtiger nicht hätte besser tun können, und es war den beiden nicht lange möglich, ihn aufzuhalten. Doch es reichte dazu, das Azra zwischen sie trat und mit lauter, herrischer Stimme stille befahl. »Azra! Warum hast du sie dazu getrieben, allein zu gehen?!«, fuhr Zachary den Wolf unbeeindruckt an, und wirkte dabei so gefährlich und dämonisch, das es Anwar kalt den Rücken hinab lief. Tehiyok machte gar ein paar Schritte zurück. Wie hättest du ihr helfen mögen, Zachary? Sie ist nun einmal die Einzige, die so tief hinabtauchen kann, du wärst doch schon auf einem Bruchteil der Strecke jämmerlich ersoffen! Sie dagegen wird es schaffen, glaub an sie, knurrte der Wolf, doch Zachary war nicht zufrieden. Er holte tief Luft, um weiter zu wettern, doch in diesem Moment zog etwas anderes ihre Aufmerksam auf sich. Im Norden fuhr eine schwarze Lichtsäule auf, bewegte sich einen Augenblick suchend in der Luft, fuhr dann in den See hinein, ohne auch nur eine Welle zu schlagen. Während sie noch voll verblüffen und staunen dastanden, fuhr ein gleißend weißer Lichtschein aus Anwars Stein, und verschwand ebenso im See, ohne das Wasser im Mindesten zu bewegen, wie das schwarze Licht auch. Jetzt hat sie Hilfe, meinte der Wolf mit gleichgültiger Stimme. Auch das Lichterschauspiel selbst schien ihr gleich gewesen zu sein, als hätte er es schon unzählige Male gesehen. Jetzt sind die Angst und die Hoffnung bei ihr, nun ist sie weder allein, noch Hilflos, denn der Gläserne und der Schattende werden gut auf sie acht geben. Ein einfaches Unterfangen, den dort unten gibt es nichts mehr, was ihr ein Leid zufügen könnte. »Und sie ist trotzdem allein. Dabei habe ich ihr doch versprochen, sie nicht mehr allein zu lassen…!«, voller Trauer blickte Zachary auf das Wasser hinaus. »Was hast du getan? Wann?«, fragte Anwar und eine seltsame Fassungslosigkeit bemächtigte sich seiner Stimme. Verwundert blickte Zachary seinen Freund an. Wie hatte sein bester Freund nichts davon mitbekommen können? Hatte er es denn nicht erzählt? Hatte er wirklich nie von den Treffen nur zwischen ihm und Danai erzählt? Er beantwortete sich seine Frage sofort selbst. Natürlich hatte er es nicht getan. Er hatte diese kostbare Zeit in seinem Herzen eingeschlossen, wissend, das Anwar damit nichts zu schaffen hatte. Nie. »Zachary!«, war das Neid, was er in den Augen las? Aber wie nur konnte das sein? Das sein bester Freund ihm etwas nicht gönnte, was ihm dieses seltsame Gefühl von innerer Zufriedenheit verschaffte? Er verstand es nicht. In seiner Welt gab es keine Eifersucht auf das Glück eines anderen. Neid und Missgunst lagen nicht in der Natur der Dämonen, so seltsam es auch anmuten mochte, und sein menschliches Erbe war nicht genug, um ihn solche Empfindungen spüren zu lassen. »Wir haben uns ab und zu getroffen und geredet. Es… macht einen Unterschied, ob ich mir dir die Worte wechsel, oder mit ihr. Sie versteht Dinge, die dir fremd sind, die du wohl nicht verstehen würdest…«, versuchte er zu erklären. »Du hättest es versuchen können«, fand Anwar. »Aber ich… Anwar, ich habe es versucht! Bevor Danai kam, aber du hast es nicht verstehen können. Anwar, es ist ein Unterschied, ob du dich selbst und aus freien Stücken ausschließt, oder ob es andere tun, nur weil du anders bist. Du… kannst es nicht verstehen. Sie schon, denn sie ist auf eine sehr ähnliche Art und Weise anders… und auch ausgeschlossen«, versuchte Zachary zu erklären. Anwar antwortete nicht mehr. Jetzt war er es, der sich ausgeschlossen fühlte, weil seine besten Freunde etwas verband, was nichts mit ihm zu tun hatte. Es hatte so lange nur Zachary und ihn gegeben, mit Danai hatte sich ihre Freundschaft erweitert. Er hätte immer so weiter gehen mögen, wieso nur machten sie es so leichtfertig und gleichgültig zunichte? Es war einfach nicht fair. Und dabei hatte er nicht einmal das Bedürfnis, Danai die Schuld zu geben. Obwohl sie erst so viel später dazu gekommen war, war seine Freundschaft mit ihr gleichbedeutend wie die, zu den jungen Halbdämonen. Er drehte sich um und ging. Er wollte für einen Moment seine Ruhe haben, um über alles nachdenken zu können. »Anwar!«, Zachary wollte ihm folgen, doch Tehiyok hielt ihn zurück. »Ich denke, Anwar will einen Augenblick für sich sein. Liebeskummer ist eine schreckliche Sache, vor allem, wenn der Konkurrent der beste Freund ist«, meinte er. »Liebeskummer?«, erkundigte sich Zachary verwundert. »Natürlich. Hast du den Neid in seinen Augen nicht gesehen? Und die Blicke, die er Danai zuwirft? Er liebt sie, mich wundert es, dass du es nicht erkannt hast. Es ist ziemlich deutlich«, fand Tehiyok. Oh ja, Anwar liebt. Aber nicht Danai. Und hiermit hat es auch nichts zu tun, mischte sich Azra ein. »Womit dann?«, wollte Zachary wissen. Er fühlt sich verraten. Von euch beiden. Du hast Danai Dinge erzählt, die du ihm nicht gesagt hast, und auch Danai hat dich weit mehr ins Vertrauen gezogen, als ihn. Er ist einfach enttäuscht. Gib ihm einen Moment Zeit, die braucht er, um sich darüber klar zu werden, wie er mit diesem Verrat umgehen will, erklärte der Wolf. Zachary zögerte einen Moment, nickte dann aber. Dann schaute er wieder aufs Wasser hinaus. Es dauerte nicht lange, da gewahr er einen Schatten. Sogleich war er Feuer und Flamme, denn er erkannte seltsamerweise sofort, dass es Danai war. Es wunderte ihn ein wenig, das sie so schnell zurückkam, aber er machte sich darüber keine Gedanken, sondern war mit einem Satz im Wasser und schwamm ihr entgegen. Kurz bevor sie die Wasseroberfläche durchbrach, geschah noch einmal, was vorhin schon ihre Augen erblickten. Ein schwarzer Lichtstrahl, gefolgt von einem weißen stoben hinauf und verschwanden in der Ferne. »Danai!«, begrüßte Zachary sie stürmisch und umschlang sie fest. Ihr schien nichts geschehen zu sein, sie wirkte gar ausnehmend zufrieden. »Oh Zachary, es tut gut, dich wieder zu sehen«, für das junge Mädchen war es immer noch so, als wäre sie Tage fort gewesen, obgleich es kaum eine Stunde war. Deswegen wunderte sich Zachary auch, doch er fragte nicht weiter. Stattdessen schwammen sie gemeinsam ans Ufer zurück, wo Tehiyok schon wartete. Sogleich wurde sie mit allerlei Fragen bestürmt, doch sie winkte lachend ab. »Wo ist Anwar?«, fragte sie stattdessen, während sie aus dem Wasser stieg. So trocken, als wäre sie nie im See schwimmen gewesen. Ein weitere Zauber des besonderen Wassers. »Ich erzähle erst, wenn auch er dabei ist.« »Ja, Danai, das ist so eine Sache. Ich glaube, Anwar ist ein wenig böse auf uns«, meinte Zachary und erzählte mit wenigen Worten, was geschehen war. Das Mädchen hörte dabei aufmerksam zu, stand dann aber auf und überlegte einen Moment. »Ich denke, dass ich mit ihm sprechen sollte… Es ist nicht recht, dass er sich zurückgesetzt fühlt«, fand sie und ging zögernd in die Richtung, in die der weiße Lichtstrahl verschwunden war. Zachary wollte ihr folgen, doch Tehiyok hielt ihn auch hier zurück. Anwar indes kam Danai schon entgegen, den als der Drache zurückgekehrt war, hatte er gewusst, das sie zurück war und nun gab es eben wichtigeres, als beleidigt zu sein. »Anwar, ich habe von Zachary gehört, was passiert ist, und ich möchte mit dir reden«, begann sie, ohne sich mit der Begrüßung aufzuhalten. »Ich weiß nicht, was es zu erklären gibt. Ihr wolltet mich nicht bei euch haben, das ist okay«, antwortete er voll Bitterkeit, doch Danai schüttelte entschieden den Kopf. »So ist es nicht, und das weißt du auch. Zachary und mich verbinden nun einmal manche Dinge, meine Gedanken darüber mag ich lieber mit ihm teilen, das ihr wahr. Aber es gibt auch Dinge, die er niemals verstehen würde, und dann habe ich eben dich«, versuchte sie zu erklären, doch Anwar wollte nicht verstehen. »Wenn er allein dir also nicht reicht, dann gibt es als zweite Wahl ja immer noch mich, ja?«, fuhr er sie stattdessen an. »Nein, so ist es nicht! Anwar, bitte, lass und reden wie zwei vernünftige Menschen«, bat sie, und er nickte zögernd. Es war nicht fair von ihm, sie jetzt schon so böse anzufauchen, ohne sie vorher wenigstens anzuhören. »Dann erklär mir, was es ist, was ich nicht verstehen kann«, forderte er. »Das Gefühl, von jemanden gefürchtet zu werden.« »Gefürchtet werden?«, er schaute sie verblüfft an. »Ja. Menschen haben Angst vor dem, was sie nicht verstehen, und wie bitte sollten sie verstehen, was es ist, was mich zum Meermenschen macht? Sie verstehen auch nicht, wie Zachary aussehen kann, wie ein Dämon, und dabei so freundlich und aufgeschlossen ist, wie man es sich nur wünschen kann. Sie versuchen es nicht zu zeigen, doch man kann dieses nicht-verstehen und diese Angst in ihren Augen lesen. Überdeutlich und immerzu. Und wenn die Menschen immer Angst vor einem haben, dann spürt man das einfach, und dieses Gefühl ist nicht schön. Kennst du es denn?« Sie schaute ihn fragend an, und Anwar schüttelte langsam den Kopf. Angst hatte noch nie jemand vor ihm gehabt. »Nein, ich kenne es nicht. Aber was hat es mit diesem Versprechen zu tun?«, fragte er weiter. »Das er mich nicht mehr alleine lassen wird?«, fragte sie und Anwar nickte. Sie überlegte einen Moment, wie sie es am besten rüberbringen konnte, nickte dann langsam. »Du bist damals krank gewesen. Zachary, Azra und ich waren mit ein paar anderen Dorfkindern im Wald. Sie wollte alle zeigen, wie mutig sie waren, doch ohne Zachary hätten sie sich nicht getraut. Wir haben uns aufgefächert, blieben aber in Rufweite. Du… kennst ja die Löcher, die gelegentlich im Waldboden sind… in eines bin ich hineingestolpert, weil ich mich erschreckt hatte. Natürlich habe ich gerufen, und Cave hat mich auch gehört, doch als er am Rand des Loches stand, da schaute er nur hinab und lachte. Er meinte, er frage sich, ob die Waldbewohner auf Fisch stehen würden, und das wir es ja am nächsten Morgen erfahren würden, und dann ging er einfach fort. Ich bekam schreckliche Angst, nicht unbedingt vor den Waldbewohnern, sondern weil es mich so sehr an damals erinnerte. Ich bekam fast keine Luft mehr, weil ich mich so sehr fürchtete, doch Zachary hat mich mit seinen guten Ohren gehört, und war zu mir gekommen. Ich habe geweint und mich so eng an ihn gedrückt, dass ich ihm weh getan muss, doch er hat bloß gefragt, was mich den so traurig mache. Da erzählte ich ihn von damals. Ich erzählte, wie ich mit meiner Freundin im Wald übernachtete, und als ich am nächsten Morgen zum See kam, da waren alle Meermenschen fort, als hätte es sie niemals gegeben. Und eine davon war meine Mutter, viele waren meine Freunde, gekannt habe ich sie alle. Ich hatte Angst davor, dass auch in Nordwind alle verschwunden sind, wenn ich komme. Da hat er mir versprochen, dass er mich niemals alleine lassen würde«, Danai seufzte traurig. »Er hat sein Versprechen gebrochen. Er hat nicht versucht, mir hinterher zu kommen…« »Er hat Tehiyok fast die Augen ausgekratzt und mir auch ein paar üble blaue Flecken verpasst, weil wir ihn nicht gelassen haben«, antwortete Anwar und Danai lächelte dankbar. »Wieso habt ihr mir nichts davon erzählt? Wieso gibt es Dinge, von denen ich nichts weiß?«, wollte er wissen. »Ich weiß nicht genau. Ich denke, weil ein Mensch nicht alles wissen kann, vielleicht, weil er auch nicht alles wissen sollte. Weil andere Menschen vergesslich sind und nicht daran denken, es ihnen zu sagen. Es wir wohl viele Gründe geben, ich weiß nicht, welcher der Richtige ist. Aber bedenke: Es gibt auch Dinge zwischen Zachary und dir, von denen ich nichts weiß, so wie es zwischen uns Geheimnisse gibt, die er nicht kennt. Es gibt immer Geheimnisse, immer und überall«, antwortete sie und Anwar stimmte ihr zögernd zu. »Gehen wir zurück? Dann erzähle ich euch, wie es mir im Wasser ergangen ist«, meinte sie, und Anwar nickte. Gemeinsam liegen sie zurück, doch die beiden anderen Jungen hatten so gar kein Interesse an ihren Erlebnissen. Das sie Gesund und Munter wirkte reichte ihnen, das bewies Tehiyok, als er zu allererst nach dem Stein frage und Zachary zustimmend nickte. Doch Danai lächelte nur geheimnisvoll und erzählte von Anfang an. Sie berichtete sachlich davon, wie das Licht und das Dunkel zu ihr gekommen waren, und was sie von beiden erfahren hatte, wie sie die Korallenstadt untersucht hatte, und zu guter letzte, auf den Wächter gestoßen war. »Und wo ist der Stein nun? Hast du ihn nicht bekommen können?«, erkundigte sich Tehiyok, wissend, das es so nicht sein konnte, denn dann hätte Danai gewiss nicht so zufrieden ausgesehen. Doch sie antwortete nicht gleich, sondern stand auf und ging langsam zum Wasser hinab. Sie setzte sich nieder, lächelte ihren Freunden zu, während sie mit der Hand im Wasser spielte. Dann zog sie die wieder ins trockene, ihr folgte dabei ein Wasserstrahl, der sich unter ihrer Handfläche zu einem großen, nassen Ball zusammenzog. Sie drehte die Handfläche und das Wasser, das hell leuchtete, folgte ihr, während es sich noch weiter zusammenzog. Da stieg eine blaue Lichtsäule aus dem See auf und fuhr in die Kugel, war dabei jedoch so hell, dass sie alle geblendet die Augen schließen mussten. Als sie wieder etwas sahen, lag ein Stein in Danais Hand, der dem gläsernen von Anwar ähnelte. Nur die Farbe war eine andere. Dieser hier wogte und schimmerte, als wäre es immer noch Wasser. Ja, selbst das Farbenspiel, wenn der Licht as verschiedenen Winkeln kam, und die tausend verschiedenen blau- und grüntöne stimmten mit dem des Wassers überein. Es war so wundervoll anzuschauen, das sie eben nur dies zu tun vermochten, bis Azra sie aus ihrem ehrfurchtsvollen Staunen weckte. Damit hätten wir den Zweiten. Der Rest wird deutlich schwieriger, bemerkte er und legte seine Rute so auf den Stein, das sie ihn nicht mehr sehen konnten und wieder in die Wirklichkeit fanden. Man konnte sich selbst nur allzu leicht in den Wellen des Meeres verlieren. »Wieso werden die kommenden nun schwieriger?«, erkundigte sich Zachary verwundert. »Bisher war doch alles ziemlich einfach.« Bisher waren ja auch die Träger der Steine Bekannte und Freunde. Nun nicht mehr. Es sei denn, es gibt einen Stein für Miesepeterei und ungestümes Handeln, Azra blickte viel sagend zu Tehiyok, der mal wieder aus der Wäsche blickte, wie sieben Tage Sturmwetter, und zu Zachary, der sich voll Tatendrang schon wieder halb erhoben hatte. »Haben wir den überhaupt eine Chance, die Steine und ihre Träger zu finden?«, erkundigte sich Danai besorgt. Die Chance besteht immer, sie ist nur sehr, sehr gering. Azra legte einen Kopf in ihren Schoß. »Vom Stein der Angst kennen wir doch aber den Ort, und auch den Träger. Den vergessenen König, oder nicht?«, mischte sich Anwar ein. Dort wartet aber noch immer Ares, und ihr seid noch lange nicht bereit, es mit ihm aufzunehmen. Damit sollten wir überhaupt warten, bis wir einen… strategisch Günstigen Zeitpunkt finden, fand der Wolf. »Bis die Rebellen angreifen?«, erkundigte sich Zachary und bleckte die Zähne zu einem Lächeln. Bis die Rebellen angreifen. Geführt vom vergessenen König, bestätigte Azra und lächelte wölfisch zurück. »Dann sollten wir vielleicht denen einen Besuch abstatten. Wenn wir sie finden...«, fand Danai. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)