Drei Wörter von Pudel (Kurzgeschichtensammlung der dieÄrzte) ================================================================================ Kapitel 3: Urlaub ----------------- Urlaub Wörter: Ausflug, Jugendherberge, Palmengarten (by Fanes) Urlaub mit Jan Vetter ist immer ein Erlebnis. Und wenn dieses Erlebnis allein darin besteht, in einer Jugendherberge zu übernachten, die noch nicht mal Belas hygienischen Ansprüchen standhält. Welche bekanntlich nicht gerade hoch sind. Aber in der Gemeinschaftsdusche von einem ganzen Schwarm Silberfische empfangen zu werden, das ist selbst bei ihm hart an der Grenze. Vom Anblick des Klos ganz zu schweigen. Doch was tut man nicht alles, um einen gewissen blonden Riesen glücklich zu sehen. Da schluckt man selbst die schlimmsten Dinge, teilt sich mit einer halben Schulklasse ein Achtbettzimmer. Stockbetten, wohlgemerkt. Leise seufzend, wobei Bela sich ohnehin fragt, wie man bei der Geräuschkulisse ein Auge zu machen kann, dreht er sich in seiner Koje, stößt auch prompt mit dem Kopf gegen den Lattenrost über ihm. Abenteuer erleben, hatte Jan gesagt. Freiheit genießen. Länder entdecken. Es waren die üblichen Sprüche, mit denen er Bela einlullte, mit dem Ergebnis, dass der Drummer nun hier liegt, eine Sardine in der Dose. Er lernt es aber auch nie. Noch einmal abgrundtief seufzend (ihm egal ob der Knirps über ihn anfängt zu meckern) drückt sich Bela tiefer in die Matratze, oder eher Sprungfeder, als eine Bewegung im Augenwinkel seine Aufmerksamkeit weckt. Die 1,94 Meter große Gestalt mit dem im Mondlicht geradezu leuchtendem Blondschopf, welche sich gerade, mehr oder weniger leise, aus seinem Bett schleicht, gehört mit Sicherheit keinem der Achtklässler. Mit einer gesunden Wut im Bauch, beobachtet Bela, wie sich Jan durch den schmalen Gang zwischen den Betten Richtung Ausgang schlängelt. Erst schleift er Bela Irgendwo ins Nirgendwo, mutet ihm diese Bruchbude von Jugendherberge zu und nun will er sich klammheimlich aus dem Staub machen? Ihn einfach hier sitzen lassen? Das konnte der werte Herr Vetter aber schön vergessen. Ein Bela B. lässt sich nicht einfach so abschieben! Ein, zwei Sekunden wartend, folgt der Drummer dem Jüngeren auf leisen Sohlen, gar nicht beachtend, das er nur eine Boxershorts mit Kermitaufdruck anhat. Ist der Jagdinstinkt erst mal erwacht, wird alles andere zur Nebensache. So auch die kalten Fließen unter Belas nackten Füßen und das sportliche Tempo, welches er halten muss, um Jan nicht aus den Augen zu verlieren. Sollte Bela krank werden dank diesem kleinen nächtlichen Ausflug (was für den Älteren felsenfest klar steht), wird sich der Blonde ein Donnerwetter vom feinsten anhören dürfen. Liegt die Schuldfrage zumindest für ihn doch klar. Gerade noch so die offene Haustür erwischend, hechtet Bela über die Schwelle, verliert für einen winzigen Augenblick die Orientierung in der absoluten Finsternis, die ihm auf dem Hof der Herberge entgegenschlägt. Beschien bis eben noch der Mond die ganze Szenerie in einem unwirklich silbrigem Licht, so versteckt sich der zu großgeratene Lampion nun hinter ein Dutzend schwarzer Wolken, lässt Bela im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkeln tappen. Allein seinem noch nicht ganz zerstörtem Drummergehör (von wegen Tinnitus!) verdankt er es, dass er Jan nicht ganz verliert, intuitiv den linken Trampelpfad nimmt, der vom Hauptweg wegführt. Über manchen Stock und Stein stolpernd, selbst eine riesige Schlammpfütze wird laut fluchend nicht ausgelassen, findet Bela sich eine halbe Ewigkeit später vor einem meterhohen Zaun wieder. Der rechts und links in die Unendlichkeit zu gehen scheint. Im ersten Moment kann der Drummer nichts anderes als den Kopf schütteln. Wobei er selbst sich nicht sicher ist, ob das nun dem offensichtlichen Wahnsinn dieser Situation gilt. Oder doch eher der Tatsache, dass er wirklich überlegt, Jan über die hohen Holzlatten zu folgen. Mit einem abgrundtiefen Seufzen, der wahrscheinlich nur von Herr Fuchs und Frau Elster gehört wird, wenn überhaupt, tritt Bela ein paar Schritte zurück. Eine Wahl hat er schließlich nicht wirklich, und wenn er es bisher geschafft hat, wird er sich den Triumph, Jan zu stellen, nun auch nicht mehr nehmen lassen. Besitzt doch selbst Bela so etwas wie Stolz. Und davon nicht gerade wenig. Zumindest in machen Punkten. Mit einem ordentlichen Sprint Anlauf nehmend, schafft Bela es sogar beim ersten Versuch über den Zaun, muss lediglich ein paar Schrammen an Bauch und Knie für diese akrobatische Einlage zahlen. Auf der anderen Seite langsam seine Umgebung erfassend (so gut wie das nachts und ohne Taschenlampe nun mal möglich ist), fragt er sich kurzeitig, ob er wirklich noch irgendwo im Nirgendwo steckt und nicht wie Alice in eine andere, fremde Wunderwelt gefallen ist. Steht er doch mitten in einem Palmengarten, auf Sandfußboden, umgeben von Bäumen, so hoch, dass er sich ernstlich überlegt, vielleicht nachtblind zu sein, dass sie ihm nicht schon früher aufgefallen sind. Kurzzeitig den eigentlichen Grund seines Hierseins vergessend, genießt Bela einfach nur den Moment. Der laue Sommerwind, den Sand zwischen seinen Zehen, das sanfte Rauschen der Blätter, viele Meter über ihm- fast hat es wirklich was von Urlaub. „Gefällt’ s dir?“ Bela müsste erschrocken sein. Ist er aber nicht. Er müsste zu Jan rum wirbeln, wütend, sauer, enttäuscht, dass diese Reise so grottig ist, sie hier beide halbnackt rumstehen, fern von ihren Sachen und Papieren. Tut er aber nicht. Das Einzige, was Bela macht, ist, seine Nase weiter in den Wind zu halten, die kühle Brise begrüßend, die über seine erhitzte Haut streift. „Du bist dir schon im Klaren, dass wir hier Hausfriedensbruch begehen?“ Es gibt nichts, was sie beide weniger interessieren könnte. Leise Schritte hinter Belas Rücken, die nur wenige Zentimeter vor (oder hinter?) ihm stoppen. Dann ein leises Wispern. So gar nicht für Herr Fuchs und Frau Elster bestimmt, sondern allein für Bela. „Ich… es tut mir leid. Ich weiß, dass du dir die Reise, den ganzen Urlaub, anders vorgestellt hast.“ Der Hauch einer Berührung an seiner Schulter. Vielleicht ist es nur eine Einbildung. Bela geht es dennoch nah. Irgendwo. Er kann es nicht ganz bestimmen. Trotzdem begrüßt er den Geistesblitz, der ihn streift. Sein Bewusstsein für Herzschläge taghell erleuchtet. Ein Sprung ins kaltes Wasser… oder eher auf kalte Gitarristen. Was hat er schon zu verlieren? Höchstens die Erinnerung an eine lausige Herbergsnacht. Bela kann nur gewinnen. So lässt er sich kurzerhand nach hinten fallen, dass erschrockene „Humpf“ von Jan nicht weiter beachtend, gibt sich der Schwerkraft hin um ziemlich sanft auf seinem Gitarristen zu landen. Das Lächeln auf Belas Lippen bleibt ungesehen, während er sich zufrieden auf den Größeren einrollt, nicht gewillt, die nächsten paar Stunden seinen Platz zu verlassen. Als irgendwann zögerliche Hände seine Schulter umfassen, ihn sanft halten, verliert sich Bela in Überlegungen, ob er diese Nacht wirklich so unschuldig enden lassen soll. Aber das hat Zeit. Eins ist jedenfalls klar. Urlaub mit Jan Vetter ist wirklich immer ein Erlebnis. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)