Transformers von BluejayPrime ================================================================================ Kapitel 1: Eins --------------- 28. September, Kalifornien. „Das Hubble-Teleskop wurde Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts vom Kennedy Space Center im Rahmen der Space-Shuttle-Mission STS-31 aus ins All geschossen.“ Lena Whitwicky seufzte innerlich, als die Stimme ihres Professors erklang. „Man erhoffte sich damit Blicke in ferne Welten und Galaxien…“ Geistesabwesend begann Lena damit, ihren Kugelschreiber auseinander und wieder zusammenzuschrauben. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es viertel nach zwölf war, und sie somit noch etwas mehr als eine Stunde hier zu verweilen hatte, ganz zu schweigen von der zweiten Vorlesung, die für heute Nachmittag angesetzt war, und die sie dann auch noch hinter sich bringen musste. Lenas Blick schweifte aus dem Fenster, fort von dem Hörsaal, ihren Kommilitonen und dem Professor, der gerade begonnen hatte, weitere wichtige Daten in der Geschichte der Raumfahrt an die Tafel zu schreiben. Draußen schien die Sonne aus einem klaren, fast wolkenlosen blauen Himmel. Überhaupt war es reichlich warm für Mitte September; die Sonne brannte schon seit Tagen, und wie die meisten anderen Studenten zog Lena es um die Mittagszeit eigentlich vor, irgendwo im Schatten zu sitzen, oder sie sonderte sich wie so oft in die Bibliothek des Colleges ab, um zu recherchieren. Der Hof draußen war menschenleer. Ein paar morsche Holzbänke standen in einer schattigen Ecke, von Gebüsch fast überwuchert, und dicht daneben baumelten die Reste dessen, was früher ein Basketballkorb gewesen, dann aber dem Frust einiger Studenten und der Zeit zum Opfer gefallen war. Am Himmel über der Stadt zogen ein paar Vögel ihre Bahnen. Die Sonnenstrahlen fielen durch die halb heruntergelassenen Jalousien auf den Fußboden, zeichneten dort ein helles Lichtmuster und das einzige Geräusch, was noch zu hören war, war das Kratzen von Stiften auf Papier und das Getuschel einiger Schüler hier und da, als die Studenten von der Tafel abzuschreiben begannen. Ian Hyde, der zwei Reihen links von Lena saß, zwinkerte ihr über die Köpfe der anderen hinweg zu und simulierte ein Gähnen. Der breitschultrige junge Mann besuchte diese Vorlesung schon zum zweiten Mal, wie Lena wusste; beim letzten Mal war es ihm nicht ganz gelungen, die zum Bestehen nötige Zensur zu bekommen, was wohl auch darauf zurückzuführen war, dass er seine Zeit lieber auf dem Footballfeld des Colleges oder mit den weiblichen Studenten verbrachte, die ihn umschwärmten wie die Motten das Licht. Auf Lena hatte Ian allerdings nie eine derartig große Anziehungskraft besessen. Dies mochte daran liegen, dass sie einerseits eine lockere Freundschaft mit dem jungen Mann verband, die sie nicht durch oberflächliche Flirtereien aufs Spiel setzen wollte, und andererseits daran, dass sie generell nur wenig Augen für ihre Mitstudenten hatte – sie gehörte nicht zu der Art von Leuten, die ihre Freizeit auf Partys verbrachten, sondern verbrachte meist auch noch den sonnigsten Nachmittag in der Bibliothek, um zu lesen. Lena erwiderte Ians Geste mit einem müden Lächeln, bevor sie sich wieder der Tafel zuwandte. Interessanterweise gelang es Professor Parish mühelos, für Ruhe im Hörsaal zu sorgen; Lena, die ihn bereits in zwei vergangenen Semestern erlebt hatte, war bereits aufgefallen, dass ihr Lehrer selbst eine Art Ruhepol für seine Studenten zu sein schien. Zwei Klausuren hatte sie bereits bei ihm geschrieben, und im Gegensatz zu anderen Professoren hatte sie immer ein Gefühl vollkommener Sicherheit gehabt; es hatte bei ihm kaum Studenten mit Prüfungsangst gegeben, und selbst als sie ihre mündliche Prüfung gehabt hatte, war sie kaum nervös gewesen – als habe die unerschütterliche Mischung aus Gelassenheit und Selbstvertrauen ihres Professors auf sie abgefärbt. Dabei war Parish gar nicht so viel älter als sie, wie ihr nicht zum ersten Mal auffiel, während sie gedankenverloren beobachtete, wie er an die Tafel schrieb; der Mann vor ihr war höchstens Mitte Dreißig – fünfzehn Jahre älter als sie – und sah eher nach einem Sportler aus als nach einem College-Professor. Sonnengebräunte Haut, kurzes, blondes Haar und strahlend hellblaue Augen hatten dazu geführt, dass ihm die halbe weibliche Studentenschaft verfallen war, und es war ein offenes Geheimnis, dass sich ihr Professor auch nicht zu schade dafür war, abends nach der letzten Vorlesung mit den Studenten den Tag bei dem einen oder anderen Bier zu beschließen. Abgesehen davon hatte Lena ihn noch nie im Anzug, wie die meisten anderen Professoren, erlebt, sondern stets nur in Hemd, Jeans und Turnschuhen, so wie heute. Die Ruhe im Hörsaal wurde gestört, als die Tür aufgerissen wurde. Herein schoss Evelyn, wegen der Tätowierung an ihrem linken Handgelenk Bee genannt, Lenas beste Freundin, die blonden Haare wirr und zerzaust, ihre Tasche offen unter den Arm geklemmt. Parish zog eine Augenbraue hoch, als sie sich an ihm vorbeidrückte. „Hab‘ verschlafen.“, murmelte Evelyn und drängelte sich auf ihren Platz neben Lena. Parish kam wortlos zu ihr herüber, um ihr die Anwesenheitsliste zu geben. Während Evelyn sich dort mit fahrigen Bewegungen eintrug, beugte er sich allerdings zu ihr herüber. „Ich würde Sie gern nach der Vorlesung sprechen.“, sagte er leise. Es entging Lena nicht, wie ihre Freundin zusammenzuckte, und wie sie in ihrem Sitz zu schrumpfen schien, während Parish wieder zurück nach vorne ging. „Keine Sorge, er wird schon nicht böse sein!“, flüsterte sie, wie sie hoffte beruhigend, „Oder hast du sonst noch irgendwas ausgefressen?“ Evelyn schüttelte müde den Kopf, zog ihre Mappe hervor und begann, abzuschreiben. Immer wieder drehte sie nervös den Stift zwischen ihren Fingern, wie Lena verdutzt auffiel – zwar war ihre Freundin nicht gerade das, was man ein ruhiges Naturell nannte, doch derartig aufgebracht hatte Lena sie noch nicht erlebt, und immerhin kannte sie Evelyn, seit sie acht Jahre alt gewesen war – ebenso wie Ian, dem Lena nun einen fragenden Blick zuwarf. Dieser jedoch zuckte nur die Schultern. „Was ist denn los?“, wisperte sie also stattdessen in Evelyns Richtung, „Ist was passiert?“ „Nein, nein…“ Der Stift entglitt den Fingern der jungen Frau und fiel klappernd zu Boden. Mit hochrotem Kopf verschwand Evelyn unter dem Tisch, um ihn zurückzuholen. Parish seufzte leise und lehnte sich gegen das Pult. „Ist alles in Ordnung, Evelyn?“ „Ja, Sir.“ Irgendetwas stimmte nicht, wie Lena auffiel. Evelyn hatte den Blick noch immer gesenkt, während sie mit Parish sprach, und irgendetwas war anders an der Art und Weise, wie sie das Sir betonte… Lena schüttelte den Kopf, um diesen Gedanken zu vertreiben, und wandte sich wieder der Tafel zu. „Na, die Damen?“ Ian gesellte sich zu ihnen, als sie gerade den Hörsaal verlassen wollten, und entblößte weiße Zähne, als er grinste. „Alles klar, Bee?“ Die Angesprochene lächelte verlegen, nickte jedoch. „Ja… schon…“ Lena warf Parish einen Blick zu. „Ich… warte dann draußen, ja?“ Aufmunternd klopfte sie ihrer Freundin auf die Schulter. „Keine Angst, er wird dir schon nicht den Kopf abreißen.“ Evelyn grinste mit einem Anflug von Galgenhumor. Ian schickte sich an, Lena aus dem Raum zu folgen, doch Parish‘ Stimme hielt ihn zurück. „Sie bleiben bitte auch, Ian!“ Verdutzt sahen sich Lena und Ian an, doch schließlich hob Ian die Schultern. Er reichte Lena seine Tasche, trottete zurück in den Hörsaal und schloss die Tür hinter sich. Lena nahm mit dem Rücken an der Wand Platz und wartete. Gedankenverloren öffnete sie Ians Tasche, um nach etwas zu trinken zu suchen – ihre eigene Flasche ruhte in ihrem Spind ein Stockwerk tiefer, da sie nicht daran gedacht hatte, diese heute früh einzustecken. Ihre Finger stießen gegen etwas hartes, metallisches, und verwirrt warf sie einen Blick in die Tasche – um zurückzuschrecken. Rasch warf sie einen Blick nach rechts und links, dann legte sie die Tasche auf das Fensterbrett und zog mit zwei Fingern die Pistole heraus. Was um alles in der Welt – Warum in drei Teufels Namen trug ihr Freund eine Pistole bei sich? Und geladen war sie auch noch, wie sie nach einem Blick ins Magazin feststellte. Ian war Sportschütze, das wusste sie, ebenso wie die Tatsache, dass er alles Mögliche in seinem Haus lagerte – aber warum brachte er eine seiner Waffen mit zum College? Für einen Augenblick beschlich sie ein furchtbarer Verdacht, doch diesen konnte sie rasch vertreiben – Ian war kein typischer Einzelgänger (da kam eher sie in Frage), er war beliebt, hatte einen großen Freundeskreis auf dem College, und gehörte ganz sicher nicht zu der Art von Leuten, die eines schönen Tages schwer bewaffnet ihre Schule stürmten. Ruckartig schob sie die Waffe zurück in den Rucksack, näherte sich der Tür und spitzte die Ohren – zwar war Lauschen eigentlich nicht ihre Art, doch nun wollte sie wissen, warum Parish Ian hatte sprechen wollen. „…musst vorsichtig sein.“, sagte Parish gerade. Er sprach leise, sodass Lena Mühe hatte, ihn zu verstehen. „Wir haben viel Arbeit investiert, zu viel, um alles aufs Spiel zu setzen. Hast du gehört, Bee? Ich weiß, letzte Nacht ist es eng geworden, aber…“ Letzte Nacht?! Irritiert wich Lena ein Stück von der Tür zurück – langsam wurde es ihr zu bunt. Einer ihrer Freunde schleppte eine Pistole mit sich herum, ihre beste Freundin hatte anscheinend die letzte Nacht bei oder gar mit ihrem Professor verbracht – was kam denn noch alles? Kurzerhand wirbelte sie herum und lief den Flur hinunter. Sie brauchte jetzt dringend etwas frische Luft, um Klarheit in ihren Kopf zu bringen. Erst, als sie unten am Fuß der Treppe ankam, fiel ihr auf, dass sie noch immer Ians Tasche über der Schulter trug. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)