Perfect only in his imperfection von Selia ================================================================================ Kapitel 1: Macht macht sexy --------------------------- "Ken?" Die Stimme seiner Mutter schwirrte ihm entgegen wie ein lästiges Insekt, kaum dass er am späten Nachmittag die Wohnungstür öffnete. Der empathische Klang legte einen Schalter in seinem Inneren um, der seine Mimik jeglichen Charmes beraubte. Abrupt zog er die Tür hinter sich zu und schlüpfte elegant aus seinen Schuhen. Als er aufblickte, die Augen hart, eng und unerbittlich, zuckte die Frau zusammen, die von der Küche aus in den Flur getreten war, um sich seiner Anwesenheit zu versichern. "Da..da bist du ja endlich", sprach sie deutlich leiser. Ihre Lippen unterlagen ihrer Unsicherheit; wollten lächeln, wagten es aber nicht gänzlich. Dieses Kind vor ihr, sie war stolz auf es - gar keine Frage - doch ob seiner Kälte traute sie sich kaum mehr, ihm gegenüber zu verstehen zu geben, dass sie es auch liebte. Ohne ein Wort zu verlieren, ließ Ken den Blick in einer raschen, abfälligen Weise an ihr hinab fallen. Ganz so, als würde er mit jeder Sekunde, die er diesen anderen Menschen betrachtete, etwas aus diesem hinaussagen und in sich aufnehmen müssen. Etwas, das er nicht brauchte: Unwissenheit, Mitgefühl, oder um es präzise mit einem Wort auf den Punkt zu bringen: Imperfektion. Gott, wie er jegliches Wesen auf dieser verfluchten Erde für diese widerwärtige Eigenschaft verabscheute! "Ken, ich.. ich muss gleich zur Arbeit. Dein Essen steht fertig auf dem Esstisch, in Ordnung?" Für sie war es Überwindung, ihm tagtäglich das gleiche zu erzählen. Für ihn ein weiteres Armutszeugnis ihrer Dummheit. Als ob er nicht wüsste, dass sie ihren stupiden Beruf halbtags ausübte. Als ob er sich nicht merken könnte, dass sie jeden Tag kochte, zeitgenau, sodass es immer fertig war, wenn er nach Hause kam. Sie bildete sich wohl ein, er bräuchte das. Einen Scheiß brauchte er. Essen war ihm gleich. Ihr Glück, dass das, was sie produzierte, zumindest nicht absolut ungenießbar war. Sich erneut jegliche Reaktionen sparend, verschwand der dunkelhaarige Junge stolzen Schrittes in seinem Zimmer. Um das unmissverständlich laute Schließen seiner Zimmertür machte er keinen Hehl. Dass er heute mal wieder Interviews geben musste nach der Schule, wusste seine Mutter doch. Wie konnte sie sich da noch überrascht über seine spätere Heimkehr zeigen? Diese Eigenart regte ihn auf und er verdankte es seiner antrainierten Beherrschung, dass er seiner Mutter vorhin nicht erbost ins Gesicht gesprungen war. Die Finger wollte er sich obendrein nicht auch noch an ihr schmutzig machen und überhaupt, sie würde aus all dem sowieso nichts lernen. Sie lernte nie. Sie war auf dem gleichen, erbärmlichen Niveau wie all die anderen, die ihm in dieser Welt begegneten. Aus dem Flur drang kein einziges Geräusch mehr zu ihm durch. Vor dem inneren Auge sah er das, was sich seine Mutter schimpfte und den Titel wahrlich nicht verdiente. Wie konnte so eine unvollkommene Person sich auch nur anmaßen, die Mutter von einem genialen Überwesen wie ihm sein zu wollen? Diese maßlose Selbstüberschatzung ihrerseits machte ihn krank. Mit seinem Vater verhielt es sich genauso. Mit diesen Leuten lebte er nur noch zweckmäßig zusammen; aus keinem anderen Grund mehr. Sobald er ausziehen könnte, würden sie ihn nie wieder sehen. Das stand definitiv für ihn fest. Mit weiten Schritten peilte er seinen Schreibtisch an. Das Zimmer lag in totaler Dunkelheit dank der heruntergelassenen Jalousien, die er seit Jahren nicht mehr hinauf ließ. Doch wozu brauchte er bitte Licht? Er kannte die präzise Schrittzahl von seiner Zimmertüre zu seinem Computer. Er kannte die genaue Position des Gerätes und ließ es nun mit einem gekonnten Knopfdruck hochfahren. Das Licht des Monitors durchbrach die Finsternis grell. Seine Pupillen reagierten ungewollt. Ken blinzelte, als ihm etwas direkt auf seinem Schreibtisch auffiel. Etwas, was dort ganz gewiss nicht hingehörte: Papier. Ein Brief. Schon wieder! "Verdammt noch mal!" Voller Zorn riss er den unwillkommenen Gegenstand von seiner Schreibtischplatte. Der Blick so mit Wut angereichert, dass es an ein wahres Wunder grenzte, dass der Brief nicht durch die hasserfüllte Fokussierung in Flammen aufging. Die in feinster Schrift gehaltenen Schriftzeichen, die ihn als Adressaten kennzeichneten, ließen seine Sicherungen endgültig durchbrennen. "Ken...? Ken, was ist denn?" Das hatte ihm gerade noch gefehlt...! Erzürnt wie schon seit langem nicht mehr, sprang der Blick des Angesprochenen zu seinem Hochbett hinauf. Zwischen Decke und Stäben lugte die Quelle der hohen Stimme hervor und betrachtete ihn besorgt. So als hätte er ein Problem! Er und ein Problem - das war ein Widerspruch in sich! Er war nicht derjenige, der ein Problem hatte! Probleme bescherten ihm die anderen - in diesem speziellen Falle seine Mutter. Sie hatte schon wieder Fanpost in sein Zimmer gebracht, obwohl Ken selbst von einem primitiven Verstand wie dem ihren erwartet hatte, langsam zu begreifen, dass ihn die Wische pubertärer Mädchen nicht interessierten und sie infolgedessen nichts - aber auch absolut gar nichts! - in seinem Territorium zu suchen hatten! "Sie hat es schon wieder gewagt...!" Sich erzürnend zermalmte Ken den Brief und wirbelte auf der Stelle herum, stapfte zur Türe, ließ das Schloss aufheulen und stand keine zwei Sekunden später vor der Frau im Flur, die dabei war, in ihre Jacke zu schlüpfen. All ihre Gesichtszüge entgleisten, als sie ihren vor Wut kochenden Sohn sowie den Grund seines Kommens sah. "Wie oft muss ich dir eigentlich noch sagen, dass du diese nutzlosen Dinger beseitigen sollst?!" Mit einem hohlen Geräusch wurde der zur Kugel deformierte Brief seiner Mutter vor die Füße gepfeffert, die daraufhin verängstigt zusammenzuckte. Aus ihren geöffneten Lippen drang der Überrest eines verschreckten Geräusches, das sich nicht aus ihrer Kehle hinaus traute. Worte hatte sie schon sehr, sehr lange nicht mehr für solche Momente übrig. "Ich will so etwas nie wieder in meinem Zimmer finden! Klar?! NIE WIEDER!" Ken wusste, dass es ohnehin nichts brachte, dieser Person noch Vorträge zu halten. Sie war schlichtweg zu dumm, um zu verstehen. Um zu gehorchen. Ihr bleiches Gesicht, ihr Schrecken, ihr von Angst zerfressenes Gebaren bereitete ihm Übelkeit. Wie konnte man nur so sein? Den Anblick nicht länger ertragend, ließ er seine am gesamten Körper bebende Mutter stehen. Sie sank trocken schluchzend in sich zusammen, kaum dass das Geräusch der zufallenden Türe es ihr erlaubte. "Unglaublich, so was...!" Nachhaltig aufgebracht murrend visierte der Junge wieder seinen Schreibtisch an und ließ sich auf den Stuhl davor fallen. Er hatte zu arbeiten. Herrgott noch mal, konnte das denn niemand verstehen?! Er konnte ja nachvollziehen, dass ihn die Welt um seine Genialität beneidete, aber diese Menschen dort draußen sollten sich gefälligst auf ihren Hosenboden setzen, anstatt peinliche Briefe an einen Gott wie ihn zu schreiben. "Deine Mutter hat es bestimmt nicht böse gemeint. Der Brief sah sehr nett aus. Das Mädchen, was ihn geschrieben hat, hat sich bestimmt viel Mühe gegeben und-" "Bist du wohl still!" Wormmon biss sich auf Grund der harschen Stimme, die ihn wie ein Peitschenhieb traf, auf die Zunge. Affektiv Zuflucht suchend, versteckte es sich weiter unter der Decke und beobachtete mit schwerem Herzen und traurigem Geiste den Jungen, der dort unten am Computer saß, rüde Befehle spie, die Welt mit so unsagbar viel Abschaum verachtete und zugleich wusste, wie er sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren hatte. Wohlerzogen, intelligent, übermenschlich und zugleich sympathisch. Seine Ausstrahlung erzählte die überwältigende Geschichte von Wissen und Macht. Mädchen liebten diesen Menschen. Einen Menschen, von dem sie nicht ahnten, dass er keine von ihnen auch nur jemals als ebenwürdig einstufte. Einen Menschen, der nicht im Traum daran dachte, dass Macht so etwas wie sexy machte. In seinen Träumen herrschte Ken nur, über alles und jeden. Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)