Ludwig - es geht weiter von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 4: Sechs Schwäne ------------------------ Es war einmal ein König, der hatte eine Tochter und sechs Söhne, die er in einem Haus weit fort von seinem Schloss im Wald vor seiner neuen Frau versteckte. Er selbst konnte dieses Haus nur mit einem weißen Wollknäuel, das er von einer guten Zauberin bekommen hatte, finden, in dem er es entrollte und die Schnur ihn zu dem Häuschen führte. Das Knäuel versteckte er in seinen Gemächern vor der neuen Königin, die er hatte heiraten müssen, weil er sich in einem Wald verlaufen hatte und nur wieder nach Hause konnte, wenn er die Tochter der dort ansässigen Hexe heiratete. Die Königin erfuhr von seinen Kindern und als sie das Knäuel gefunden hatte, strickte sie weiße Hemdchen und besuchte sie. Die Jungen rannten sogleich auf sie zu in dem Glauben den Vater zu sehen und sie warf jedem ein Hemdchen über. Nur die Tochter bemerkte sie nicht und ging wieder davon. „Will, wie lange brauchen wir denn noch?“ „Es kann nicht mehr lange dauern. Ich kann schon die Lichter der nächsten Stadt sehen.“ „Tu doch nicht so, wir haben uns schon wieder verlaufen!“ „Es tut mir so leid, mein Prinz.“, Will hielt die Kutsche an und sprang vom Bock: „Ich kenne mich in diesen Gebieten nicht mehr aus, es ist zu weit von deinem Reich entfernt, Lui.“ Ludwig schlüpfte in den roten Königsmantel und entstieg der Kutsche, wobei er Will zur Seite stieß: „Ach red’ nicht so dumm daher! Tu lieber endlich was!“ Will rappelte sich wieder auf und schloss die Kutschentür: „Wo ist eigentlich Dorothea?“ „Ich weiß nicht, ist doch auch egal.“, Lui setzte sich auf einen Stein und schlug die Beine übereinander: „Wälder sind nicht so ganz deine Stärke oder Will?“ Will sah betreten zu Boden: „Ich finde schon noch hier heraus. Ich verspreche es.“ „Na dann lass dich nicht aufhalten.“ „Sei bitte vorsichtig wegen Lisette.“ „Will, hör doch mit der auf. Die kann nicht mal einen Spatz schießen, wenn er bewusstlos in seinem Nest liegt.“ „Wie ist sie eigentlich verschwunden, als wir sie zuletzt sahen?“, Will reichte Lui eine Flasche Wasser, die er aus der Kutsche genommen hatte. „Sie hat sich das Kleid vom Leib gerissen und ist mit ihrem neuen Gewehr abgerauscht.“, Lui besah sich seine Fingernägel: „Nun such schon einen Weg.“ Er nahm Will die Flasche ab: „Den Richtigen, wenn es zur Abwechslung mal geht!“ Will lief hinüber zur Kutsche und erblickte eine alte Frau, die durch den Wald lief. Er sah zu, wie sie auf die Kutsche zukam und schließlich davor zum Stehen kam. Sie war außer Atem. Will eilte zu ihr hinüber und führte sie helfend zu Luis Stein. Lui war aufgestanden und hatte begonnen, sich in aller Ruhe umzusehen, während sie sich setzte. „Will, was machst du denn nun schon wieder?“ „Oh, mein Herr, bitte lasst mich nicht allein zurück.“ Lui starrte die Alte überrascht an: „Was ist das?“ Sie riss ihre Augen auf und erhob sich: „Ich bin die Mutter König Rogers!“ „Soll mich das nun beeindrucken, Will?“, Lui sah ihn fragend an: „Wer ist dieser Kerl überhaupt?“ Die Alte starrte ihn mit geöffnetem Mund an: „Du kennst meinen Sohn nicht?“ „Vielleicht sollte ich Euch dies erklären.“, Will ging dazwischen, vermutete er doch bereits einen Streit: „Wir stammen nicht von hier, Majestät.“ „Ach so ist das.“, sie ließ sich wieder auf dem Stein nieder: „Von woher kommt ihr und was tut ihr hier?“ Will begann mit seiner Erklärung. „Was wollt Ihr nun hier?“, keifte die Alte weiter und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie wirkte leicht nervös und sah sich gelegentlich im Gebüsch um. Etwas stimmte nicht mit ihr, dass stand fest. „Wir suchen die nächste Prinzessin.“ „Hier werdet Ihr keine finden, es sei denn Ihr wollt unbedingt mit meiner Schwiegertochter durchbrennen.“ Lui wandte sich ihr überrascht zu: „Mit Eurer Schwiegertochter? Wollt Ihr sie denn loswerden?“ Will schlug sich eine Hand vor den Mund. Wie konnte Lui nur? Die Alte besah sich die Beiden genauer: „Wenn ich mir euch beiden genauer ansehe, glaube ich nicht mehr, dass ich euch diese Person zumuten möchte.“ „Was ist denn so schlimm an ihr?“ „Sie ist keine Prinzessin.“, keifte sie plötzlich: „Sie ist meinen Sohn nicht wert! Sie hat ihn nicht verdient!“ Lui und Will sahen sich kurz an, dann wandte sich der Prinz wieder an sie: „Wie alt ist sie denn?“ „Prinz.“, rief Will erschrocken aus und starrte ihn an. Lui zuckte mit den Schultern: „Was denn?“ „Sie ist noch nicht alt und sieht auch sehr gut aus. Aber sie hat meinen Roger nicht verdient!“, warf die Alte hastig ein, die eine Diskussion befürchtete und dafür keine Zeit hatte. „Na dann, stellt mich bitte vor.“, Lui wandte sich der Kutsche zu und Will sprang herbei um die Tür aufzuhalten. „Ich müsste mal mit Euch sprechen, Prinz.“, Roger wandte sich im Geheimen an ihn, als sie die Schlossgärten durchschritten. „Was ist denn los? Seid Ihr mit Eurer Gattin nicht zufrieden?“, scherzte Lui. „Nein, das ist es nicht.“, begann der König: „Ich habe sie in einem Wald gefunden. Sie saß auf einem Baum und strickte Hemdchen. Sie strickt sie noch immer und sagt kein Wort. Nun ist es aber so, dass sie mir drei Kinder gebar und sie alle verschwanden. Meine Mutter wirft ihr zu Last, dass sie sie gefressen habe. Sie hatte sogar Blut am Mund, jedes Mal.“ Lui runzelte die Stirn. Was sollte ging hier vor? „Meine Mutter hasst sie und so bin ich nun gezwungen, sie vor ein Gericht zu schicken. Aber ich möchte doch meine Frau nicht verlieren und meine Mutter nicht vertreiben. Was soll ich nun tun?“, wandte er sich an den Prinzen und sah ihn hilfesuchend an. Sie waren stehen geblieben und Lui gönnte sich einen Moment des Schweigens. „Ist Eure Mutter des öfteren im Wald?“ „Ja, in letzter Zeit jeden Tag.“ „Ist sie dort immer alleine?“ „Ja, keiner weiß, was sie dort tut oder wo sie hingeht.“ „Ist Eure Mutter senil?“, Lui beobachtete den König genau und wagte nicht einen Moment von ihm abzusehen. „Nein.“, antwortete dieser nach kurzem Nachdenken: „Nein, senil ist sie nicht.“ „Was ist mit Eurer Frau. Habt Ihr sie jemals sprechen hören?“ „Nein.“ „Was wisst Ihr noch über sie?“ Der König überlegte: „Sie strickt die Hemdchen und war in einem Wald, als meine Männer sie während der Jagd fanden.“ Lui zog die Augenbrauen hoch. Der wusste ja gar nichts! Lui beobachtete die Königin in den nächsten Tagen und schickte Will Rogers Mutter hinterher in den Wald um zu erfahren, was sie dort trieb. Aber Will erfuhr es nicht. Sie war zu schnell im Gebüsch verschwunden. Und so vergingen die Tage, bis die Königin das letzte Hemdchen schließlich fast fertig gestrickt hatte. Sie musste vor Gericht und wurde dort, wegen der schweren Anschuldigungen der Königin zum Tode verurteilt. Aber sie sagte kein Wort, bis die Wolle für das letzte Hemdchen aufgebraucht war. „Ludwig, sagt mir doch, was soll ich jetzt nur tun?“, Roger war ganz verzweifelt: „Ich kann doch nicht meine Frau töten lassen!“ „Wartet ab.“, Lui lehnte sich in einem Stuhl auf der Tribüne zurück: „Es wird gewiss etwas geschehen und fürchtet Euch nicht, ich habe schon Maßnahmen zu ihrer Rettung getroffen, sollte nichts geschehen.“ Will kam zu ihm hin und kniete sich zu seiner Linken: „Ich habe sie im Wald gefunden. Sie ist in einem kleinen Haus verschwunden und hat dort ihre Zeit zugebracht.“ Lui lauschte seinem Bericht und beobachtete, wie die Königin zum Schafott geführt wurde. „So tut doch endlich etwas!“, flehte der König. Die Lunten sollten angezündet werden und die Alte erschien auf der Tribüne, um sich das Ganze anzusehen. Mit einem Krächzen erschienen sechs Schwäne am Himmel, die aus dem Nichts auftauchten und schwebten über der Königin auf dem Scheiterhaufen.. Sie warf die Hemdchen in die Luft, die sie mitgenommen hatte und sie schlüpften hinein und wurden zu sechs Männern. Nur einer von ihnen hatte noch einen Flügel behalten, weil die Wolle für das Hemdchen nicht gereicht hatte. Lui lehnte sich in seinem Stuhl vor und stützte ihre Ellbogen auf den Knien ab. Die Königin schrie vor Angst: „Mein Liebster, mein Gemahl. Ich habe die Kinder nicht gefressen! Deine Mutter hat sie fort geschafft!“ Roger sprang auf und ließ sie vom Scheiterhaufen holen. Erschrocken wandte er sich an seine Mutter, die in seinem Rücken stand: „Wie konntest du nur!“ „Aber ich habe sie doch nur vor ihr schützen wollen.“ „Du hast sie fast verbrennen lassen!“ „Ich habe sie gesehen, wie sie einen Burschen biss!“, verteidigte sich die Alte. „Verbrennung!“, schrie das Volk und Roger zog vor Schmerz die Augenbrauen zusammen: „Ich habe kein Wahl, Mutter.“ Eine Träne rann ihre Wange hinunter: „Nehmt mich mit. Sie sollen ihre Verbrennung bekommen.“ „Wo sind die Kinder?“ „Ich weiß es.“, schaltete sich Will ein und trat hinter Lui hervor, der immer noch in seinem Stuhl saß. Er beobachtete die ganze Szene und rührte sich nicht vom Fleck. Die Alte wandte sich ihm zu: „Bitte, achtet darauf, dass sie die Kinder nicht bekommt. Ihr wusstet es von Anfang an, das habe ich Euch angesehen. Beschützt meine Enkel, ich flehe Euch an.“ Mit diesen Worten verschwand sie in der Menge, von zwei Soldaten geleitet, wurde auf den Scheiterhaufen gestellt und unter den Augen aller lebendig verbrannt. Roger weinte bitterlich und sank seiner Frau in die Arme, die von ihren Brüdern ward. „Was nun?“, Will wandte sich hilfesuchend an den Prinzen. „Hol die Kinder noch nicht und sage auch nicht, wo sie sich befinden. Ich möchte zu nächst wissen, was wirklich wahr ist.“, Lui erhob sich und sah auf das Feuer hinunter: „Vielleicht ist sie umsonst gestorben.“ Die Tage vergingen und am Hofe verschwanden die Burschen von Tag zu Tag. Roger bedrängte Will und Lui seine Kinder herzuholen, stieß aber auf Kranit, denn Lui glaubte den Grund für das Verschwinden der Kinder zu kennen. „Was nun?“, Will servierte dem Prinzen ein Glas Wein. „Wir gehen heute Nacht hinaus und behalten die Familie der Königin im Auge. So falsch kann die Alte nicht gelegen haben.“, er nahm einen tiefen Schluck. „Was erwartest du?“ „Ich weiß es nicht. Wenn ich das wüsste, würde ich wohl kaum wollen, dass du diesen Brüdern folgst.“, Lui stellte das Glas ab: „Wäre pure Zeitverschwendung.“ Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, als plötzlich mit einem Krachen die Scheibe zu seiner Linken zersprang und den ganzen Raum mit Fensterglassplittern übersäte, bevor sein Weinglas zersprang. Die Glassplitter blieben in seinen Händen stecken und verursachten tiefe Wunden, während er in der Tischplatte eine kleine Kugel erkennen konnte. Will sprang erschrocken zu ihm, um sich seine Hände anzusehen und griff sich ein Handtuch, um die Splitter aus den Wunden zu entfernen: „Oh nein, was machen wir nur? Was ist passiert?“ „Beruhig dich!“, Lui hielt ihm die Hände hin, deren Wunden brannten, als hätte er sie ins Feuer gehalten: „Lisette hat uns wohl eingeholt.“ „Sie wird kaum begeistert davon sein, dass wir sie einfach alleine zurückgelassen haben.“, schloss Will und besänftigte die Wachen, die zur Hilfe herbei geeilt waren, bevor er von einem Diener Verbandszeug entgegen nahm: „Sie war bestimmt wütend.“ „Na und? Dann soll sie eben wütend sein. Ich bin nicht ihr Babysitter und ich habe sie auch nie darum gebeten, dass sie zu meinem persönlichen Schatten wird.“, Lui zuckte zusammen, als Will die Wunden desinfizierte: „Sie ist sowieso merkwürdig.“ „Seit dieser Sache mit diesem komischen Flur, von der du mir erzählt hast?“ „Ja. Irgendwas stimmt nicht mit ihr, das steht fest.“ „Willst du wissen was genau es ist?“, die beiden fuhren zu dem kaputten Fenster herum und erblickten eine Frau. Sie sah Lisette ähnlich, war aber nicht sie. Zumindest sah sie nicht so aus. Ihre Stimme dagegen klang ganz nach ihr und sie kochte regelrecht vor Wut. „Wer seid Ihr?“, Lui wandte sich stirnrunzelnd an sie und behielt sie genau im Auge. Ihre Haare waren länger, als Lisettes; sie reichten bis zu ihren Schulterblättern und wirkten heller als Lisettes. Der Schnitt war leicht verändert, sodass ein Pony ins Gesicht viel, wenn es denn Lisette war. Mehr konnte er nicht von ihr sehen, da sie nur bis zu den Schultern durch die Scheibe blickte. „Oh, es wird leichter, als ich dachte. Hast du schon wieder dein Gedächtnis verloren?“, sie sah ihn wütend an. „Lisette?“, Will stand auf und machte einen unsicheren Schritt auf sie zu. Sie runzelte die Stirn. Hatte sie etwa noch nicht gemerkt, dass sie sich so verändert hatte? „Okay, ich weiß nicht, was hier vor geht, aber es scheint nichts Gutes zu sein. Was macht ihr hier?“, sie legte ihre Arme auf das Fensterbrett und stütze den Kopf auf ihre Handgelenke. Lui erhob sich: „Kommt zuerst herein.“ „Ich denke gar nicht daran.“ „Warum nicht? Habt ihr etwa angst vor uns?“ „Vor dir?“, sie schenkte ihm einen Blick, der ihn als zu nichtig abtat: „Gewiss nicht!“ „Lisette?“, wiederholte Will seine Frage und sah sie entgeistert an. Sie warf ihm einen kurzen nichtssagenden Blick zu und wandte sich wieder an Lui: „Was ist nun?“ „Ich kann nicht offen zu Euch sprechen, wenn Ihr nicht herein kommt.“ „Du meinst, du kannst nicht offen zu mir sprechen, wenn du dir nicht sicher bist, dass ich wirklich diese Lisette bin.“ „Das trifft auch zu. Kommt Ihr nun herein?“ „Ich fürchte, Ihr werdet Euch mit dem begnügen müssen, was Ihr bisher bekommen habt.“, sie sah wieder zu Will: „Ihr solltet vorsichtig sein. Die Familie, mit der Ihr Euch angelegt habt, ist nicht zu unterschätzen.“ „Zu freundlich von Euch, dass Ihr uns warnt.“, Lui neigte den Kopf um sich zu bedanken. Wenn sie wirklich Lisette war, wie lange würde sie wohl dieses Spiel noch fortsetzen? „Das hat mit Freundlichkeit nichts zu tun. Ich kenne nur jemanden, der sich nur all zu sehr darüber freuen würde, wenn er Euch persönlich in die Finger bekäme.“, sie ergriff den Fensterrahmen und verschwand wieder in der Dunkelheit. Will wandte sich kreidebleich an den Prinzen: „Was ging denn hier gerade vor?“ „Kein Ahnung.“, Lui riss seinen Blick von dem Fenster: „Hol deine Sachen, wir machen uns auf den Weg.“ „Ab wo verlierst du sie immer?“, Lui schritt selbstbewusst durchs Unterholz. „Ungefähr ab hier.“, keuchte Will und stolperte hinter dem Prinzen her: „Aber erst dort vorne tauchen sie dann immer wieder auf.“ Lui folgte Will’s Wegweisung und erblickte einen hohen Felsen. Er lief darauf zu und erblickte bei näherem Hinsehen eine Höhle, die sich dermaßen gut an ihr Inneres angepasst hatte, dass man sie von weitem nicht erkennen konnte. „Was nun?“, Will lehnte sich an einen Baum und atmete tief durch. „Wir gehen wohl darein.“, Lui stakste weiter durch einen Bach und bedeutete Will ihm zu folgen. „Was wird uns wohl dort drinnen erwarten?“ „Wenn ich es wüsste, würde ich nicht hinein gehen.“ „Wie du meinst.“ „Und ob ich das tue! Beweg dich endlich, Will.“, Lui hatte das Loch fast erreicht, als plötzlich Lisette vor ihm auftauchte. Aus dieser Nähe war es unverkennbar. Es war Lisette und sie hatte sich ganz schön verändert. Nur die Kleidung und die Augenfarbe hatten sich nicht verändert. „Was hab ich euch vorhin erst gesagt?“, erzürnte sie sich und baute sich vor dem Höhleneingang auf: „Wenn jemand ein Recht darauf hat, dich zu töten, dann bin das ja wohl ich!“ „Ach, und warum?“, Lui keifte zurück und versuchte gleichzeitig einen Blick auf das Höhleninnere zu erhaschen. „Weil ich dich töten möchte!“ Er musterte sie eindringlich und schob sie dann zur Seite, damit er die Höhle betreten konnte: „Was ist da drin?“ „Du solltest dort wirklich nicht rein gehen.“, sie hielt Will bereits zurück und zog die Augenbrauen schmerzhaft zusammen. Etwas stimmte nicht mit ihr. Sie wirkte verletzt. Lui blieb unwillkürlich stehen und starrte sie an. So kannte er sie nicht. Warum stellte er das in letzter Zeit nur immer wieder fest? „Was ist denn dort drin?“, Will sah sie verwundert an und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Diese kleine Geste bewegte einen solchen Wandel, dass Lui zunächst wie vor den Kopf gestoßen dastand. „Lass das.“, fauchte sie ihn an und zog ihre Schulter weg: „Wenn du es nicht lassen kannst, dann geh eben hinein. Aber behaupte im Jenseits nicht, dass ich dich nicht gewarnt hätte.“ Sie wollte sich umdrehen und gehen, doch Lui griff sie am Umhang und hielt sie zurück: „Du kommst mit, so einfach machen wir das.“ Lisette wandte sich mit großen Augen zu ihm um: „WAS?“ „Red nicht, komm mit.“, er zog sie hinter sich her, während sie sich sträubte und betrat die Höhle: „Will, warte draußen. Vielleicht müssen wir schnell flüchten. Aber nimm dich in Acht und lass dich nicht erwischen!“ „Warum zum Henker muss ich mit!“, erzürnte sich Lisette weiter, bis sie endlich eine etwas weitere Öffnung erreichten und sie in Schweigen verfiel. „Was ist los?“ „Scht!“, zischte sie und blickte zögernd durch einen kleinen Felsspalt. Sie weigerte sich durch die Öffnung zu gehen und ließ nicht zu, dass Lui ging: „Sieh dort hindurch.“ Lui folgte der Aufforderung und erblickte die sechs Brüder der Königin mit ihrer Schwester. Sie hatten die Höhle mit Kerzen erleuchtet und in einer Ecke Knochen gestapelt. Die Geschwister selbst befanden sich in der Mitte der Höhle und verschlangen rohes Fleisch. Das Blut rann an ihren Kinnen herunter und als Lui genauer hinsah, konnte er einen kleinen toten Jungen am Boden der Höhle erkennen. „Es war also war.“, flüsterte Lui und konnte von diesem grotesken Anblick die Augen nicht abwenden. Lisette packte ihn ungehalten am Arm und zerrte ihn zum Ausgang zurück: „Ich könnte dich hier lassen und warten, dass sie dich verschlingen, aber das würde mir den Spaß daran nehmen, zu sehen, wie du vor die Hunde gehst. Also beweg dich endlich hier raus!“ „Was nun?“, Will sah Lui ratlos an, während er Lisette von ihrer Pistole fernhielt. „Wir werden auf keinen Fall erzählen, wo die Kinder sind. Wenn ich so nachdenke, sollten wir sie vielleicht doch besser hier fortschaffen. Wir müssen uns etwas überlegen.“ „Was auch immer ihr vorhabt, ich werde euch nicht dabei helfen!“, Lisette befreite ihren Arm aus Wills Klammergriff und begab sich zum nächsten Fenster. „Was wäre denn dein Vorschlag?“, Lui wandte sich wütend zu ihr. „Lass den König sie in flagranti erwischen.“, sie sprang hinaus. „Was soll ich hier?“, König Roger war wenig begeistert, als er sich hinter Lui und Will mit seinen Soldaten im Gefolge durch das Unterholz des Waldes schlug. Sie hatten sie unter dem Vorwand einer Räuberbande begegnet zu sein persönlich in den Wald geschleift, als die Königin bereits fort war. „Scht! Sie hören Euch sonst.“, flüsterte Lui und hielt ihm einen Zweig aus dem Gesicht, während er über einen runtergefallenen Ast stieg. Wenn er Will nicht hinter sich hatte, machte es ihm einfach keinen Spaß die Äste zurückschlagen zu lassen. Sie erreichten die Höhle und betraten sie mit Roger; für die Soldaten war dort kein Platz und sie wären auch zu laut gewesen. „Macht Euch auf etwas gefasst, mit dem Ihr niemals gerechnet hättet.“, Lui trat an das Loch heran, durch das er eine Woche zuvor mit Lisette geblickt hatte und erkannte das gleiche Schauspiel wie zuvor mit einem anderen Opfer. Als Roger es erblickte und seine Frau unter den Tätern erkannte, schreckte er zurück und konnte seine Augen nicht von dem Schauspiel lassen. Wie konnte das nur sein? Durch seinen überraschten Aufschrei schreckte er seine Gattin und ihre Brüder auf, die sogleich auf sie aufmerksam wurden und zu ihnen hinaus kommen wollten. Gleichzeitig waren auch die Soldaten des Königs allarmiert worden, die durch den Höhleneingang hereinkamen und die Gewehre auf Lui und Will richteten. Warum hätten sie auch auf die königliche Familie zielen sollen. „Luuiii....!“, Will zitterte und starrte in die Gewehrläufe. „Zielt nicht auf sie! Nehmt meine Gattin und ihre Brüder fest.“, herrschte Roger sie an, doch die Soldaten waren geschockt und reagierten nicht: „Das ist ein Befehl!“ Wie erschrocken zielten sie auf die Königin, deren jüngster Bruder sich inzwischen auf den König gestürzt hatte und diesen am Boden hielt. „Nicht schießen!“, herrschte sie die Soldaten an: „Wenn ihr euch rührt, wird er sterben!“ Die Wachen nahmen die Gewehre langsam runter. „Gut.“, erklang erneut die Stimme der Königin, während die restlichen Brüder sich aufteilten und sich Will annahmen oder einigen Soldaten, die am ihnen am nächsten standen. Lui sah sich unter Druck gesetzt um. Etwas musste es doch geben. War erst mal der König frei, waren sie gerettet! Er konnte nichts finden und stürzte sich kurzerhand auf den jüngsten Bruder der Königin, der prompt von Rogers Rücken fiel. Lui rangelte sich mit ihm auf dem Boden und wich angestrengt seinen Biss- und so weit möglich auch seinen Kratzversuchen aus. „Nehmt sie fest!“, schrie Roger durch das Getöse und lief hinüber zu seinen Wachen, damit die anderen Brüder der Königin sich nicht wieder auf ihn stürzen konnten. Die Wachen zielten auf die Familie und Will, der durch die erhobenen Hände wieder frei war, hechtete zu Lui und half ihm gegen den jüngsten Bruder, der selbst jetzt noch nicht aufhören wollte, über den Prinzen herzufallen. „Was habt Ihr nun vor?“, Lui rieb sich den rechten Ellenbogen, den er sich in der Höhle aufgeschürft hatte. „Ich weiß es nicht. Das Volk wird entscheiden, was mit ihnen passieren wird und ich werde das Grab meiner Mutter besuchen.“, Roger fuhr sich mit der rechten Hand über sein Gesicht. Er hatte es noch nicht verarbeitet, was man wirklich nicht von ihm erwarten konnte. Es war erstaunlich, dass er überhaupt so schnell reagiert hatte. „Ich habe meiner Mutter Unrecht getan. Sie wollte meine Kinder wirklich vor den Menschenfressern schützen. Jetzt habe ich alle verloren.“ „Nicht alle.“, Lui drehte ihm die linke Schulter zu: „Will!“ „Ja?“, Angesprochener hinkte zur Tür herein und blieb in der Türe stehen. Er hatte sich den linken Arm gebrochen und sein rechtes Knie aufgeschlagen, aber den Menschenfresser hatte er den Soldaten vorwerfen können. „Hol sie.“ „Wie du wünschst, Prinz Lui.“ „Was hat das zu bedeuten?“, Roger sah müde zu ihm hin, während er seinen Kopf in seiner rechten Hand abstützte und sich in seinem Thron vorlehnte. Lui verschränkte so gut wie möglich seine Arme und lehnte sich an eine Säule des Thronsaales. Will öffnete eine Seitentür und hielt sie drei Frauen offen, die drei verschiedene Kinder in verschiedenen Altern hereinbrachten. „Sie leben noch, Eure Kinder.“, Lui beobachtete den König, während Will die Kinder zum Thron führte. Roger starrte sie entgeistert an: „Aber wie, wie ist das möglich?“ „Eure Mutter hat sie im Wald versteckt, zusammen mit diesen Ammen.“ Roger sprang von seinem Thron auf und lief auf die Kinder zu. „Prinz Lui, wie kann ich Euch dafür danken, dass Ihr meine Kinder und mein Reich gerettet habt?“ „Ihr könnt mir etwas über ein Reich erzählen, dass nicht mehr all zu weit von hier entfernt sein dürfte. Es befindet sich an der Westküste.“ „Oh. Das Reich, das keiner mehr betreten kann.“, Roger schluckte schwer: „Es ist nicht so einfach. Das Königspaar, das dort lebte, war ein sehr friedliches Paar, was sich auf das gesamte Reich übertrug. Sie herrschten mit Gerechtigkeit und Liebe und verstanden sich darauf, ihre Fürsten unter Kontrolle zu halten. Sie waren im ganzen Land beliebt und wünschten sich schon bald ein eigenes Kind.“ Lui ließ ihn nicht aus den Augen und erkannte bald, wie ergriffen er von dieser Geschichte zu sein schien, vermutlich, da er selbst nur so knapp einer Katastrophe entgangen war. Nun ja, einer etwas weniger schweren Katastrophe. „Sie bekamen eine Tochter. Mit bereits drei Jahren war sie wunderhübsch. Ich hätte sie heiraten sollen, aber sie verschwand von jetzt auf gleich aus heiterem Himmel. Sie wurde nie mehr gesehen. Ihre Eltern verfielen in tiefen Kummer und das Reich verkam. Die Menschen verließen nach und nach und wanderten in die angrenzenden Gebiete aus und die Fürsten ertranken auf erstaunliche Weise. Sie stürzten ins Meer oder in Brunnen. Einer war sogar in der Wanne eingeschlafen und hinein gerutscht, als ihm eine Gardinenstange auf den Kopf gefallen war.“ „Was ist aus dem Reich geworden?“ „Es lässt sich nicht mehr betreten. Keiner konnte bisher die Grenze überschreiten, nicht mehr, seit die Eltern verstarben.“ Es war einmal eine König, der hatte sich im Wald verlaufen. Er hatte sieben Kinder, sechs Söhne und eine Tochter, die er vor seiner neuen Frau im Wald versteckte. Diese Frau war die Tochter einer Fee, die ihn durch eine Heirat mit ihm zum Guten bekehren wollte. Doch der König versteckte seine Kinder im Wald, weshalb sie nicht unter den Einfluss der netten Fee gerieten. Sie mordeten Kinder, die ihr Vater lebendig vorbei brachte und verschlangen sie roh. Die Fee hatte keine andere Wahl mehr, als sie in Schwäne zu verwandeln, doch als sie endlich in der Lage war, da sie die Hemdchen fertig hatte, entwischte ihr die Tochter. Diese war in den Wald geflohen, wo sie einem jungen König begegnete und sich in sie verliebte... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)