Ludwig - es geht weiter von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 5: Drosselbart ---------------------- Es war einmal ein König, der hatte eine sehr stolze und eingebildete Tochter, die er zu vermählen suchte. Doch die Prinzessin war sehr von ihrem Stolz und ihrer Eitelkeit zerfressen und wies nicht nur Anwärter ihrer Hand ab, sondern verspottete sie auch noch aufs Äußerste. Der König hatte bald genug von ihrem ungeziemten Verhalten und verkündete, sie werde den ersten Bettler ehelichen, der durch die Mauern seines Schlosses kämen Sie fuhren weiter und erreichten schon bald eine Stadt in der große Aufruhr herrschte. Wie sie von dem aufgebrachten Volk erfuhren, hatte der König soeben seine eitle Tochter an einen einfachen Spielmann vergeben, der nun mit ihr das Schloss verließ. Will und Lui machten sich auf zum Schloss und trafen dort auf den König. Er saß auf seinem Thron, den Kopf auf die rechte Hand gestützt. Er wirkte geschafft und niedergeschlagen. Als er sie erblickte, verdrängte er die Müdigkeit und begrüßte sie mit aufrichtiger Freude. „Ich habe gehört, Ihr hättet eine Tochter im heiratsfähigen Alter.“, begann Lui und beobachtete die Reaktion des Königs. Wie erwartet wurden seine Züge ernst und Bedauern trat in seine Augen. „Ich habe sie soeben an einen Spielmann vergeben. Ich bedaure, dass Ihr um sonst gekommen seit, Prinz.“ „An einen Spielmann?“ „Ihr müsst wissen, meine Tochter ist sehr eitel und hat ihre Freier aufs Tiefste gedemütigt. Einige hätten uns sogar fast den Krieg erklärt. Ich hatte genug davon und verkündete noch im Beisein der Prinzen, dass ich sie an den ersten Spielmann geben würde, der hier vor mich treten würde.“ „Wer war dieser Spielmann?“ „Meine Tochter weiß es nicht und auch keiner aus dem gemeinen Volk, aber es war König Drosselbart. Ihn hatte sie am meisten verschmäht, doch er wollte sie trotzdem noch zur Frau. Als die Audienz vorbei war, kam er zu mir in einem privaten Gespräch und erbat die Erlaubnis seinen Plan durchzuführen. Ich weiß nicht genau, wo sie sind oder was jetzt mit ihr geschieht, aber er hat mir versichert, mich auf dem Laufenden zu halten.“ Lui reiste mit Will ab und erreichte bald das nächste Reich. In der Stadt des Königs war gerade der Markt auf dem Platz und sie schlenderten hindurch. Lui machte sich insbesondere über die Pelzstände her, während Will ihm immer alles hinterher tragen musste. „Seht euch die mal an.“, schwatzten die Marktleute untereinander: „Die ist doch verrückt, sich so in den Eingang zu stellen.“ „Ich habe sie schon gewarnt, dass ihre Waren dort zu Bruch gehen würden, aber sie wollte nicht auf mich hören.“ „Sie ist auch ganz schön eitel, findet ihr nicht?“ „So was arrogantes habe ich noch nie gesehen!“ Eine Zofe, die Lebensmittel beschaffte, gesellte sich zu ihnen: „Ich schon, aber nur in dem Schloss in dem ich zuletzt gedient habe. Die Prinzessin war so arrogant, dass sie an einen Spielmann gegeben wurde.“ Die Marktleute und die Zofe brachen in Gelächter aus. Lui sah zu der Marktfrau mit ihren Töpfen hinüber, die in der Zufahrt zum Markplatz stand und den Weg versperrte. Ihre Haut war ganz blass, selbst unter dem Schmutz, den sie sich offenbar mit Mühe abgewaschen hatte und als er genauer hinsah, erkannte er, dass ihre Hände keine Schwielen hatten. „Will, ich glaube, wir haben soeben unsere Prinzessin gefunden.“ „Was?“ „Dort, die Töpferin. Sie ist die Prinzessin, die an den Spielmann gegeben wurde.“, Lui behielt sie genau im Auge und erblickte in einiger Entfernung hinter ihr einen Mann, der in Lumpen gekleidet war und sie im Auge behielt. Lui lief zum Stand hinüber und sah sich die Töpfe an: „Sie sind nicht so schön wie du.“ Die Töpferin lächelte ihn an, doch dem Lächeln fehlte jede Wärme und es erreichte auch nicht ihre Augen: „Wie kann ich Euch helfen?“ Lui lehnte sich zu ihr hinüber und bemerkte, wie der Mann hinter ihr, der sich im Eingangstor versteckte, wütend herüber sah. Jetzt bestand also kein Zweifel mehr. Der Mann war Drosselbart. „Ich glaube, du kannst mir gar nicht helfen.“, er beäugte sie abschätzend und bewertete sie als zu niederen Standes, bevor er an ihr vorbei den Marktplatz verließ. Will drehte sich entschuldigend zu ihr um und beobachtete, wie sie ihm einen wütenden Blick nachschickte und niedergeschlagen an sich herunter sah. Sie war sehr unzufrieden mit ihrer Situation, das stand fest. „Lui, was hast du nun vor?“, Will hielt mit Mühe mit ihm Schritt und versuchte zu verstehen, was hier vorging, aber der Prinz antwortete nicht. Er lief stur geradeaus und blieb erst stehen, als er um eine Ecke gebogen und Drosselbart eingeholt hatte. Dieser lehnte an einer Mauer und sah wütend zu Boden. „König, was macht Ihr hier?“, Lui blieb vor ihm stehen und blickte ihn an. Als Will das Wort König vernahm, senkte er augenblicklich den Blick. Drosselbart starrte Lui überrascht an: „Woher wisst Ihr das?“ „Es ist kaum zu verkennen. Ich habe von dem Vater Eurer Gemahlin die Geschichte Eurer Heirat gehört und es war einfach Euch zu erkennen, nachdem ich sie erkannt hatte. Sie taugt nicht zur Händlerin.“ „Da habt Ihr wohl recht. Wie lautet Euer Name?“ „Prinz Ludwig.“ „Ihr Vater berichtete mir, dass Ihr dort gewesen wart. Ich hatte nicht damit gerechnet, Euch hier anzutreffen.“ „Es lag auf unserem Weg. Was habt Ihr nun vor?“ „Ich weiß nicht, was ich noch tun soll. Ich habe ihr bereits vorgeworfen, dass sie keine Arbeiten verrichten könne und sie deshalb hierher geschickt, aber es hat sich nichts geändert. Ich bemerke keine Veränderung. Es ist alles gleich geblieben. Ich bin allmählich mit meinem Latein am Ende.“, Drosselbart sah zu ihr hinüber: „Seht sie Euch an, Prinz. Sie steht stolz da und bringt jeden Abend fast über die Hälfte der Töpfe wieder zurück. Aber das Geld dafür hat sie trotzdem dabei.“ „Ihr solltet aufpassen, dass sie nicht auf Abwege gerät.“, Lui verschränkte die Arme vor der Brust und folgte seinem Blick. „Ähm, Prinz?“, meldete sich Will kleinlaut und sah über Luis Schulter hinweg. „Nicht jetzt, Will, ich denke nach!“ „A-aber Prinz.“, Will riss vor Angst die Augen auf. „Was ist jetzt los?“, Lui richtete verärgert seinen Blick auf ihn: „Jetzt rede schon.“ Aber Will blieb keine Zeit mehr zu reden. Er ließ die Pelze zu Boden fallen und warf sich auf Lui, der mit ihm zusammen umfiel. Fast augenblicklich danach regnete Putz der Mauer hinter ihnen auf sie herab und Drosselbart, der mindestens genauso erschrocken war wie Lui, warf sich zu ihrer Seite auf die Erde. „Was war das denn?“, rief er erschrocken aus und starrte auf das kleine Loch in der Mauer, in dem eine Patronenhülse steckte: „Wer schießt auf uns?“ „Lisette.“, beantwortete Lui genervt seine Frage: „Sie jagt mir schon eine Ewigkeit hinterher, wundert Euch nicht. Euch wird sie nichts tun.“ Die Männer standen wieder auf, als sie sich vergewissert hatten, dass sie nicht mehr in der Schusslinie standen und Will zog die Hülse aus der Mauer: „Ohne Zweifel Lisette.“ „Wer ist diese Lisette?“ „Kennt ihr eine Auftragskillerin namens Rotkäppchen?“, Lui klang gelangweilt. „Oh, die kenne ich.“, Drosselbart sah ihn mitleidig an: „Ihr scheint es nicht leicht zu haben. Ich kann Euch einen Platz in meinem Schloss anbieten. Dort könnt Ihr Euch von eurer Reise erholen und vor ihr verbergen, wenn Ihr es wünscht.“ „Das ist sehr freundlich von Euch.“, Lui behielt die Gattin Drosselbarts im Auge: „Sie steht mit ihren Waren direkt im Eingang.“ „Ja, das ist ihr neuer Platz. Der Alte hat ihr nicht gereicht.“ „Verkleidet Euch als Husar und reitet ihn ihre Waren hinein.“ „Wie kommt Ihr jetzt darauf?“, Drosselbart sah ihn verwundert an. „Ich habe einen guten Freund, der mir täglich vor Augen führt, dass das gemeine Volk stolz auf seine Waren und Arbeit ist.“ Drosselbart rief eine Wache herbei, die Lui und Will ins Schloss geleiten sollte und verkleidete sich als Husar. Lui und Will erstiegen gerade die Schlosstreppe, als sie vom Marktplatz aus Geschrei und das laute Wiehern eines Pferdes. „Er hat ihr tatsächlich die Waren zerstört.“, Will wirkte betrübt: „Sie tut mir schon jetzt leid.“ „Das muss sie nicht. Sie ist stolz und hochmütig, sie hat es verdient.“ Lui erstieg weiter die Treppenstufen: „Ich mache mir vielmehr Sorgen um Lisette.“ „Du sorgst dich um Lisette?“, wiederholte Will ungläubig und starrte ihn an: „Warum das denn?“ „Sie geht mir entsetzlich auf die Nerven und es passt mir gar nicht, dass sie ausgerechnet jetzt hier sein muss.“ „Aber warum das?“ „Weil sie mir hier nur dazwischen funken wird und ich keine Lust habe, mich vor ihr zu verstecken!“ „Verstecken wird bestimmt nicht funktionieren. Du kennst sie ja. Sie kommt immer überall rein.“, Will schloss die Tür zu Luis Zimmer hinter ihnen. „Das tröstet auch nicht unbedingt.“, Lui ließ sich in das Bett fallen und hielt sich mit dem rechten Arm die Augen zu. Will legte die Pelze auf einem Stuhl ab. „Sie war am Boden zerstört.“, Drosselbart wirkte niedergeschlagen und schwenkte lustlos den Wein in seinem Glas. „Was habt Ihr nun vor?“, Lui trank von seinem Wein. Er hatte Tage in diesem Schloss zugebracht und König Drosselbart, der sogleich zu ihm gekommen war, als er von der Hütte, in der er mit seiner Gemahlin lebte, zurückgekehrt war, hatte seit sie ihm ihre Geschichte erzählt hatte, kein anderes Gesprächsthema mehr, als ihren Schmerz. Zu seinen weiteren Plänen jedoch hatte er sich nicht weiter geäußert. „Ich weiß es nicht. Ich habe darüber nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich sie besser sich selbst überlasse. Ich habe ihr eine Arbeit als Küchenmagd in diesem Schloss verschafft, damit sie nicht hungern muss und ein Zimmer hier in der Stadt. Ich habe ihr Leben zerstört und ich werde für immer alleine zurück bleiben.“ „Das könnt Ihr nicht und das wisst Ihr auch. Das Volk wird schon bald nach einem Nachkommen verlangen und da ihr schon verheiratet seid, könnt Ihr auch keine andere mehr ehelichen.“, Lui kratzte sich nachdenklich am Kinn: „Ihr müsst sie hierher bringen und akzeptieren, wie sie ist.“ Drosselbart sah ihn unschlüssig und niedergeschlagen an: „Das wäre nicht das Problem. Ich allein könnte mit ihrer Unverschämtheit und ihrem Stolz leben, aber das Volk und die Bediensteten werden unter ihr leiden.“ „Damit werden sie dann leben müssen. Ihr habt Eure Pflicht erfüllt und getan, was in Eurer Macht stand.“, Lui sah aus dem Fenster und stand auf, als er etwas aufblitzen sah. Er trat an das Fenster heran und öffnete es. „Was ist los?“ „Vielleicht solltet Ihr lieber gehen, es wäre sicherer.“, riet ihm Lui und ließ den Turm gegenüber nicht aus den Augen. „Ist sie hier?“, es war nicht nötig zu erklären, wen Drosselbart meinte: „Sie kann Euch hier unmöglich erreichen, Prinz.“ „Lisette hat die unangenehme Angewohnheit überall hinein zu kommen und mich immer wieder ins Visier zu bekommen.“, Lui bemerkte wieder dieses Aufblitzen. „Nun gut, ich verlasse Euch fürs Erste. Ich muss mir sowieso erst einmal darüber klar werden, was ich nun tun werde.“ Drosselbart verließ den Raum und Lui duckte sich unter das Fenster. Litt er nun schon unter Verfolgungswahn? Nein, nicht wegen Lisette! Es dauerte nicht lange, da saß Lisette schon auf der Fensterbank, ihr Gewehr angelegt. Sie wirkte ernster als sonst, soweit Lui das von seinem Versteck direkt unter ihr erkennen konnte. In ihre Augen lag aber etwas, dass nicht ganz zu diesem Ernst zu passen schien. Er konnte nicht genau sagen, was es war, aber er vermutete fast, dass es Sanftmut war. So etwas kannte er an Lisette nicht. Sie sicherte ihr Gewehr, als sie sich sicher war, dass sie alleine im Zimmer war und seufzte. Der Ernst viel von ihren Schultern ab, als sie die Waffe an der Wand abstellte und ihre Haare, die immer noch so lang waren, wie bei ihrer letzten Begegnung, wieder zu einem festen Knoten im Genick zusammenband. Lui rutschte lautlos näher an die Wand heran, als sie scheinbar in den Raum treten wollte. Ihr Fuß erschien vor seinem Gesicht und erreichte noch nicht ganz den Boden, als er den Knöchel ergriff und sie, die vor Schreck zusammenzuckte, so stark zu Boden zog, dass sie mit dem Rücken hart darauf aufschlug. Lui sprang über sie und hielt ihre Hände zu beiden Seiten ihres Kopfes. Sie war wieder genauso aufgebracht und widerspenstig wie vorher und versuchte sich mit allen Mitteln aus seinem Griff zu befreien. „Lass mich los!“ „Ich denke ja gar nicht daran. Kannst du mir mal sagen, was du hier willst?“ „Was?“, stellte sie durchtrieben die Gegenfrage: „Bist du etwa auf den Kopf gefallen und hast vergessen, was ich vorhabe?“ „Das nicht, aber du warst dir eben sicher, dass ich nicht da bin. Weshalb solltest du als hier herein kommen wollen, wenn du weißt, dass du alleine bist?“ Sie bäumte sich erneut auf: „Vielleicht wollte ich dich ja auch einfach beklauen.“ Will stürmte zur Tür herein, gefolgt von Drosselbart und erstarrte: „Lisette!“ „Das ist Lisette?“ „Ja.“, antwortete Will. „Wie ist sie hier herein gekommen?“, Drosselbart starrte sie ungläubig an. Lisette legte den Kopf in den Nacken, sodass sie ihn sehen konnte: „Eure Sicherheitsvorkehrungen sind ein Witz. Jedes Kind könnte ungehindert hier herein.“ Drosselbart starrte sie immer noch ungläubig an, jedoch glänzte nun ein Hauch von Entsetzen in seinem Blick. „Du kannst uns helfen.“, Lui behielt sie im Auge. „Und weshalb sollte ich das tun?“, Lisette dachte nicht im Traum daran. „Lisette, bitte.“, Will machte einen Schritt auf sie zu. Lui sah zu den beiden Männern auf: „Würdet ihr uns bitte allein lassen?“ Drosselbart sah ihn überrascht an. „Und nehmt das Gewehr mit, wir wollen ja kein Risiko eingehen.“ Will lief zum Fenster hinüber und holte das Gewehr, während Lui und Lisette sich weiter böse anfunkelten. „Und ich dachte, meine Gattin wäre schlecht erzogen.“, äußerte Drosselbart seine Verwunderung, als er mit Will das Zimmer verlassen hatte. „Ja, Lisette ist schlimm, aber auch Dorothea ist nicht ohne. Lisette ist aber schlimmer.“ „Dorothea?“ „Lange Geschichte.“ „Geh runter von mir!“ „Warum wolltest du hier rein?“ „Bist du wirklich so dumm?“ „Red schon!“ „Das ist doch gar nicht so schwer! Ich wollte hier rein, damit ich dich töten kann!“ „Aber ich war nicht da!“ „Ich wollte eben auf dich warten!“ Lui zog die Augenbrauen hoch: „Du hättest doch bessere Chancen gehabt, wenn du mir draußen irgendwo begegnet wärst.“ „Klar, damit ich wieder die ganze Aufregung habe, damit ich dich überhaupt erreichen kann? Nein, danke!“ Lui erhob sich langsam von ihr und ermöglichte es ihr, sich aufzurichten und schließlich in einem Sessel nieder zu lassen. Wie Lisette eben so war, nahm sie sofort einen Schluck Rotwein, den Drosselbart zuvor nicht angerührt hatte. „Schmeckt er dir denn wenigstens?“ „Es geht. Hab schon besseren getrunken.“ „Du hast doch gar keine Ahnung von Wein.“ Lisette sah ihn über den Rand des Glases hinweg an: „Mehr als du denkst.“ Etwas Wissendes lag in ihrem Blick, das er zuvor nie an ihr bemerkt hatte. „Du hast dich ja ganz schön verändert.“, Lui setzte sich ihr gegenüber in den Sessel und nahm sein Glas. „Nicht mehr als sonst.“ „Deine Haare sind ganz schön schnell gewachsen, findest du nicht?“ „Schnell?“, sie machte eine wegwerfende Bewegung: „Nicht schneller als sonst. Du hast es mir ja schwer genug gemacht, dich überhaupt noch mal zu finden.“ „Hast du wieder getötet?“ Sie stützte den Kopf auf der linken Hand ab, deren Ellenbogen sie auf den Tisch stützte, der neben ihr stand: „Warum willst du das wissen?“ „Und wieder sind wir an dem Punkt.“, stellte Lui resignierend fest, der sich noch an ihre letzte Unterhaltung über den Tod ihrer Eltern erinnerte.“ Lisette grinste. Nach einer kleinen Pause fuhr sie fort: „Was ist mit dem Deal?“ Lui zog die Augenbrauen hoch und sie erinnerte ihn genervt: „Du wolltest mir sagen, warum du wissen willst, was ich noch von dem Tag weiß, an dem ich meine Eltern getötet habe und wolltest mich für die Antwort bezahlen und ich sollte dir im Gegenzug für deine Ehrlichkeit, ehrlich antworten. Ist der Deal geplatzt?“ „Der Deal besteht nicht mehr, du hast mir nicht geantwortet.“ „Du hast gelogen. Es hieß Wahrheit gegen Wahrheit.“, sie trank gelassen an dem Wein und schenkte sich nach, als das Glas leer war. „Woher willst du wissen, das ich gelogen hab?“ „Ich lebe in der „Unterwelt“, schon vergessen? Da merkt man mit der Zeit, wann man angelogen wird und nach ein oder zwei Wochen erkennt man es schon, wenn sogar ein Fremder nur das erste Wort sagt.“ Lui sah ihr genau in die Augen, bis er einen längeren Schluck Wein trank. Sie hatte die Wahrheit gesagt, auch wenn er es vielleicht nicht so gut bemerkte, wie sie es bei ihm tat. „Du bist nicht sonderlich flüssig bei Kasse, stimmt’s?“ „Warum fragst du?“ Lui verdrehte die Augen: „Drosselbart bräuchte deine Hilfe und ich bin mir fast sicher, er wird dich gut dafür entlohnen.“ „Bist du zu den Arbeitsvermittlern übergegangen?“ „Nein, aber ich habe noch ein Hühnchen mit dir zu rupfen und wenn du ihm hilfst, tötet er dich vielleicht nicht.“ „Ach ist das so?“ „Sieh es ein, du steckst bis zum Hals in Problemen.“ „Das ist nichts Neues.“, es war ihr gleich. „Kommt es dir nicht für gewöhnlich auf den Preis an?“, Lui runzelte die Stirn. „Ich glaube kaum, dass er viel zahlen wird.“ „Warum das?“ Lisette lächelte ein kaltes Lächeln: „Weil er zwar sein Frauchen zähmen, aber einen Killer wie mich nicht unterstützen möchte.“ „Du weißt das?“ „Ich habe ihn mit ihr im Wald gesehen. Sie hatten sich in eine Hütte verkrochen und sie hat so laut gezetert, dass ich sie mit verbunden Augen hätte erschießen können. Er hat sie Körbe flechten und kochen lassen, aber sie hat nichts hinbekommen. Dass er sie nun als Magd in die Küche geschleust hat, wird er noch bereuen, glaub mir.“ „Hat sie sich denn geändert?“ Lisette verdrehte die Augen: „Das zählt unter den gegebenen Umständen zu den geldversprechenden Informationen.“ Lui lachte leise: „Wenn ich dich jedes Mal bezahlen würde, wenn du mir so was sagst, wäre ich jetzt ärmer als eine Kirchenmaus.“ „Tja, dann hätte ich ja wenigstens etwas Genugtuung.“ „Lass dich darauf ein und dann unterhalten wir uns wieder über den Deal.“ „Ich versteh nicht wirklich, warum, es dir so wichtig ist.“, sie legte den Kopf schief und runzelte die Stirn. „Das wirst du ja dann erfahren, wenn wir uns endlich geeinigt haben.“ Lisette nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Glas und schenke sich nach: „Was soll ich tun?“ „Du wirst mit ein Bisschen Wein ja schon fast eine angenehme Gesellschaft und außerdem noch richtig redselig.“, Lui grinste sie diebisch an, als sie den Wein in ihrem Glas runter kippte und sich wütend auf die Sessellehnen stützte. „Und Ihr seid Euch sicher, das es funktionieren wird?“, Drosselbart war eher skeptisch: „Warum seid Ihr Euch so sicher, dass sie mich nicht töten wird?“ Lisette spielte mit einem Messer herum, dass sie von der Tafel aufgestöbert hatte. Es war nicht sonderlich spitz, aber dennoch sehr scharf. Lui folgte Drosselbarts Blick: „Sie wird Euch nichts tun. Wenn sie einen Auftrag hat, dann hält sie sich für gewöhnlich auch daran.“ Als sie das Wort „Auftrag“ vernahm, blickte sie interessiert zu ihnen hinüber und legte das Messer zurück auf den Tisch, während sie auf sie zu kam. „Lisette, versichere unserem König hier doch bitte, dass du ihn nicht töten wirst.“ „Warum sollte ich ihr das glauben?“, Drosselbart ließ sie nicht aus den Augen. Lisette verschränkte die Arme vor der Brust und beäugte ihn belustigt: „Ihr wollt ein König sein?“, spottete sie: „Ich werde Euch nichts tun, es sei denn, ich bekäme den Auftrag dazu.“ „Wer gab Euch den Auftrag Lui zu töten?“, Drosselbart glaubte ihr nicht ganz und vermutete irgendeinen Haken. „Den Auftrag bekam ich zunächst von seinem Fast- Stiefbruder, aber später erteilte ich ihn mir selbst.“, sie nahm ein anderes Messer von der Tafel und fingerte wieder daran herum, während sie fast gleichgültig antwortete. Drosselbart war weniger ruhig. Er fürchtete um sein Leben und somit auch um das seiner Frau: „Selbst erteilt? Wer sagt mir denn, dass sie sich nicht plötzlich den Auftrag selbst erteilt, mich zu töten?“ Lui sah dem König, der sich bei den letzten Worten an ihn gewandt und mit dem Finger auf Lisette gezeigt hatte, in die Augen: „Das wird sie nicht tun. Denn dann bekäme sie keine Bezahlung und Lisette tötet nicht ohne Bezahlung.“ Lisette, die nicht richtig zugehört hatte, wiederholte die letzten beiden Worte ungläubig und sah Lui tobend an. „Ganz ruhig, du wirst bezahlt.“, beschwichtigte er sie mit erhobenen Händen. „Was ist denn Eure Bezahlung dafür, Lui zu töten?“, Drosselbart starrte sie ungläubig an. „Er stand mir schon sehr oft im Weg, sagen wir es mal so.“, sie sah Lui, der sie interessiert beobachtete, bei diesen Worten direkt in die Augen und wandte sich danach wieder ihrem Messer zu. „Was ist, wenn ich ihr plötzlich im Weg stehe?“, Drosselbart schien sein Leben nicht gerne die Hände eines Killers zu legen. „Das wird nicht geschehen, nicht wenn ihr die Bezahlung versichert.“, beschwichtigte Lui ihn erneut und wandte sich ab: „Ihr solltet Euch nun umziehen, Hoheit. Es wird langsam Zeit.“ Lisette folgte Lui hinaus und schloss die Tür hinter sich. Das Messer hatte sie noch immer in der Hand. Lui deutete darauf: „Das wirst du doch nicht etwa mitgehen lassen?“ „Warum nicht? Es ist echtes Silber!“ Lui nahm ihr das Messer ab: „Du wirst noch bezahlt werden. Lass das Inventar dieses Schlosses an seinem Platz.“ „Schade.“, sie zog einen Schmollmund und lehnte sich an die Wand: „Wie lange braucht er denn noch?“ Lui tat es ihr an der gegenüberliegenden Wand gleich: „Ich weiß es nicht.“ „Er ist nicht gerade der Mutigste, was?“ Lui lächelte sie an: „Es können ja nicht alle so sein, wie ich.“ Lisettes Züge entglitten, fassten sich aber bald wieder in Verärgerung: „So war das nicht gemeint und das weißt du ganz genau!“ Lui lächelte noch breiter und sah wieder auf die Tür, durch die sie soeben den Raum verlassen hatten. „Was genau soll ich eigentlich jetzt tun. Du sagtest vorhin nur, dass wir zu dem Feigling da drinnen müssten, um es mit ihm zu besprechen.“ Lui schenkte ihr einen Blick, der ihr schnell verriet, dass sie es noch nicht erfahren würde. „Zurück zu unserem Deal.“, führte er das Gespräch weiter: „Wirst du mir jetzt endlich sagen, was du noch weißt?“ „Du kennst die Antwort.“ Lui öffnete gerade den Mund, um etwas zu erwidern, als sich die Tür öffnete und Bettler Drosselbart zu ihnen trat: „Ich bin mir wahrlich nicht sicher, ob das funktionieren wird.“ „Es könnte etwas länger dauern, da sie ja doch leicht dümmlich ist, Eure Gattin. Aber es wird klappten.“, heiterte Lisette ihn auf: „Es sei denn Ihr seid ihr egal.“ Drosselbart sah gequält zu Lui hinüber, der sie zum Ausgang der Dienstboten geleitete und lächelte. „Was hast du jetzt vor, Prinz?“, Will trat an ihn heran, die beiden verschwunden waren. „Ich weiß es noch nicht.“, Lui wandte sich an ein Fenster und sah hinaus: „Hast du Dorothea noch mal gesehen?“ „Nein, nicht wirklich.“, Will trat neben ihn: „Was hatte sie denn vor?“ „Sie wollte etwas für mich erledigen.“ „Willst du mich nicht einweihen?“, Will blickte ihn besorgt an. „Sie sollte sich in diesem Reich an der Küste umschauen und mir berichten, was dort vor sich geht. Ich bin nicht erpicht darauf, in einem Reich umzukommen, dass seit langer Zeit keiner mehr betreten konnte, nur weil ich mich nicht richtig um Informationen bemüht habe.“ „Und wenn dir trotzdem was passiert?“, Will wirkte besorgt, auch wenn er es zu unterdrücken suchte. „Dann sorg ich dafür, dass es Dorothea auch passiert und verfolge sie so lange ich tot bin!“ Will lief ein kalter Schauer über den Rücken. Er blickte erneut aus dem Fenster und dachte an Lisette. Sie hatte sich dazu bereit erklärt, dem König zu helfen und in letzter Zeit half sie auch Lui sehr oft. Das war ungewöhnlich, vor allem für sie. Etwas hatte sich zwischen den beiden verändert, aber er wusste es nicht genau zu benennen. Es missfiel ihm nicht im Geringsten, denn eine gewisse Spannung hatte schon immer zwischen ihnen bestanden und es konnte nur gut sein, wenn sie sich endlich zusammen rauften. Nur fragte er sich gerade nicht zum ersten Mal, ob es wirklich nur aufkeimende Freundschaft war oder Lisettes neuer Plan Lui zu töten. „Ich frag ja nicht gerne und es entspricht auch nicht meinem Charakter, aber was ist los Will?“, Lui schritt hinüber zu einem Sessel und ließ sich darin nieder. „Ich mach mir Sorgen um Dorothea. Sollten wir nicht mal nach ihr sehen?“ „Ach, du willst also schon voraus fahren und nach ihr suchen?“, Lui war offensichtlich skeptisch, dass dies wirklich stimmen könnte. „Nein, aber ich dachte, wir könnten mal nach ihr rufen?“, Will war verunsichert. Lui verdrehte die Augen und lehnte sich seufzend im Sessel zurück. „Was ist los? Soll ich jemanden verhexen?“, Dorothea stand vor ihnen auf dem Fensterbrett. In ihrem Haar hing Unkraut und ihr Kleid war mit Schlamm bespritzt. „Wo kommst du denn her?“, Lui rümpfte die Nase. „Lui,“, sagte sie sanft und kam auf ihn zu: „Ich habe wirklich alles versucht um dort hinein zu kommen, aber es nichts funktioniert.“ „Oh.“, Lui kaute auf seiner Unterlippe herum: „Was hast du noch nicht versucht?“ „Ich habe schon alles versucht, das sagte ich doch schon.“ „Sag mal, hast du noch mal etwas von den Lisettes gehört, die du mir gezeigt hast?“ Dorothea war wenig begeistert: „Ich wünschte langsam, ich hätte sie dir gar nicht erst gezeigt!“ „Hast du nun oder nicht?“ „Ja.“, sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sah beleidigt zur Seite: „Aber nichts besonderes.“ „Was war es?“ „Sie haben sich beschwert, dass sich bei ihnen irgendwie alles verändern würde. Was weiß ich. Was genaues haben sie mir nicht gesagt. Vor allem diese Tussi hinter der Tür, die noch keiner zu Gesicht bekommen hat, ist mir auf den Zeiger gegangen, kann ich dir sagen.“ Lui stand auf und kam auf sie zu: „Was wollte sie?“ „Was weiß ich. Ich weiß es nicht. Sie hat davon gefaselt, dass sie dich oft sehen würde, was weiß ich. Lisette war anscheinend für einen Moment bei ihnen und hat ihr Zimmer verwüstet, ich weiß es auch nicht so genau. Jedenfalls konnte zu dem Zeitpunkt keiner von ihnen mehr sein Zimmer verlassen, bis sie weg war.“, Dorothea nahm sich eines von den Gläsern, die auf dem Tisch standen und schenkte sich ein. Sie trank das Glas in einem Zug leer und setzte sich schlecht gelaunt auf einen Stuhl, der an einem Schreibtisch stand. „Was hast du jetzt vor? Was machen wir hier überhaupt?“, Dorothea schmollte, aber Lui beachtete sie nicht weiter. Es war ein Rätsel und er spürte, dass er nah dran war, es zu lösen. Aber wie sollte er das anstellen? Die Lisettes hatten gesagt, dass sie die Zimmer der anderen nicht betreten durften, es aber trotzdem taten. Jedes Mal, wenn sie ein solches Zimmer betraten, passten sie sich der Lisette an, die das Zimmer bewohnte. Nur ein Zimmer konnte man nicht betreten, außer das Zimmer der Lisette, die er kannte und das war das Zimmer der Lisette, die alle miteinander verband. Sie wusste alles, was die anderen wussten und erlebte auch alles, was sie wussten. Er hatte bestimmt mehr als dreißig verschiedene Lisettes, einschließlich der, die er bereits kannte, kennen gelernt. Wenn es wirklich so war, wie er es vermutete, dann war Lisette die Prinzessin, die schon als Kind verschwand. Nur wie war sie in sein Reich gekommen? Er konnte sich nicht vorstellen, dass ihre Eltern, die sie umgebracht hatte, sie entführt und dorthin gebracht hatten. Sie hatten sie wirklich gemocht und er hatte dafür gesorgt, dass sie umbrachte. Selbst das wusste die Lisette, die er nie zu Gesicht bekommen hatte und das war merkwürdig. Es war wichtig, dass er von Lisette erfuhr, was sie von dem Todestag ihrer Eltern, wenn sie das denn überhaupt waren, wusste. Nur so konnte er erfahren, ob sie in Verbindung mit den anderen stand oder ob da was anderes am Werk war. „Was nun?“, wiederholte Dorothea die Frage. Will schenkte ihr Wein nach und ließ sich auf einen Stuhl in ihrer Nähe fallen. Er blickte noch ratloser drein, als die Hexe es tat. Das war aber auch nicht schwer zu verstehen, schließlich hatte er die anderen Lisettes nie gesehen. „Wir warten, dass Drosselbart zurückkommt.“, er ließ sich wieder in dem Sessel nieder und schlug die Beine übereinander. Drosselbart stürzte verschreckt zur Tür herein. Lisette kam ihm lachend hinterher. „Was ist passiert?“, Will sprang auf und kam dem verstörten König zur Hilfe. Lui erhob sich und ging auf Lisette zu: „Was hast du mit ihm gemacht?“ „Gar nichts.“, antwortete sie gleichgültig: „Ich musste nur eine Abkürzung über die Dächer einschlagen, weil irgendein Neunmalkluger meinen Steckbrief in der Stadt aufgehängt hat, das ist alles.“ „Hat es denn geklappt?“, Will reichte dem König ein Glas Wasser. „Hat was geklappt?“, Dorothea sah einen nach dem Anderen verwirrt an. Drosselbart musterte sie kurz, dann wandte er sich an Lui: „Zuerst vertraut Ihr mich einer Verrückten an und dann schafft Ihr mir Dirnen in mein Schloss?“ Dorothea entzündete vor Wut mit bloßen Gedanken den Kamin, vor dem der König saß und dermaßen zusammen zuckte, dass er sich das Wasser überschüttete und Will ihm nachschenken musste. Lui lachte leise in sich hinein, dann wandte er sich wieder an Lisette, die Dorothea im Auge behielt, da ihr der boshafte Blick der Hexe, der auf ihr ruhte, nicht entgangen war. „Was ist passiert?“ Lisette wandte sich ihm verächtlich zu: „Wir waren an der Hütte, aber die Kleine war nicht mehr da. Genauso wenig wie die Ziege, die noch da war, wie mir der da“, sie deutete auf den König: „Gesagt hat.“ „Was ist dann geschehen?“ „Sie hat mich über die Dächer gezerrt nach dem man auf uns geschossen hat!“, antwortete Drosselbart immer noch entsetzt. „Ganz so einfach war es dann doch nicht.“, warf Lisette ein, die schon jetzt fürchtete, nicht mehr bezahlt zu werden: „Ich habe nach ihr gesucht und Fußspuren entdeckt, die zum Stadttor führten. Aber als ich dorthin kam, wurde auf mich geschossen, von seinen Wachen!“ Sie war sehr wütend, als sie mit dem Finger auf Drosselbart deutete. „Habt ihr sie weiter gesucht?“, Lui wandte sich wieder an Drosselbart. „Nein, wir sind über die Dächer weg.“, er betrachtete sich ein Schussloch in seinem Mantel und erhielt langsam wieder die Fassung zurück. Lui wandte sich an die Hexe: „Dorothea, du musst für uns eine Prinzessin suchen.“ „Dazu brauche ich etwas von ihr.“ „Ich habe aber nichts da.“, Drosselbart wirkte verzweifelt. „Was hattet ihr denn Überhaupt vor?“, sie beachtete ihn nicht weiter und sah zu Lisette hinüber, die in ihren Taschen kramte. Sie beachtete die Hexe mit Absicht nicht und kramte weiter. „Sie wollten testen, ob sie sich um den Bettler fürchten würde, wenn er bedroht würde.“, antwortete Will an ihrer statt. „Woher soll ich denn jetzt etwas von ihr nehmen?“, Drosselbart nahm einen tiefen Schluck an seinem Glas und stützte den Kopf auf der rechten Hand ab, nachdem er das Glas wieder abgestellt hatte. Dorothea zeigte mit dem Finger auf Lisette: „Sie hat was von ihr.“ „Was?“, Lui drehte sich überrascht zu Lisette um. Warum wunderte ihn das überhaupt? „Ich?“, Lisette zeigte überrascht mit dem Finger auf sich und vermittelte Skepsis. „Du hast was mitgehen lassen.“, fuhr Dorothea fort: „Rück es raus!“ Lui ging auf Lisette zu und hielt die Hand auf: „Na los, gib schon her.“ „Das ist meine Bezahlung!“ „Die bekommst du noch.“ „Von dem da bestimmt nicht!“, sie deutete mit einem Kopfrucken auf den König. „Nun gib schon her.“, Lui sah sie wütend an: „Was hast du davon, wenn wir sie nicht mehr finden?“ Lisette überlegte gespielt: „Vielleicht einfach ein bisschen Unterhaltung?“ Lui hielt ihr weiterhin fordernd die offene Hand hin und bedeutete ihr mit einem Blick, dass er ihr das nicht abkaufte. „Ich kann es sehen.“, spöttelte Dorothea: „Dann kann ich es mir auch holen.“ Lisette griff bei diesen Worten wütend in ihren Umhang und zog eine Krone hervor: „Kannst du röntgen oder was? Ich glaub’s nicht, diese verdammt Kuh!“ Lui nahm ihr die Krone ab und gab sie Dorothea. Dorothea nahm sie ihm ab und konzentrierte sich darauf: „Sie ist hier im Schloss. In der Küche um genau zu sein.“, sie warf die Krone dem König vor die Füße: „Viel Spaß.“ „Lasst auftragen und holt sie in den Speisesaal. Sie wird verschämt sein, aber sie wird kommen.“, erklärte er dem König, dann wandte er sich wieder an Lisette: „Und wir müssen jetzt wirklich mal reden!“ Lisette verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn schlecht gelaunt an. „Setz dich.“, er ließ sich in einen Sessel fallen. Sie hatten die anderen im Nebenzimmer zurückgelassen, um endlich ins Reine zu kommen. Lisette nahm ihm gegenüber Platz. Ihre Laune hatte sich um keinen Deut gebessert. „Was willst du?“ „Wir wollten uns doch noch mal über den Deal unterhalten.“ „Ist das wirklich nötig?“ „Bist du nicht mehr interessiert?“, Lui war überrascht. „Nein, nicht wirklich.“ „Weshalb nicht?“ „Ich kann mir was Besseres vorstellen, als irgendwas für dich zu tun und dann keine Bezahlung zu bekommen.“ „Du willst doch einen Teil vorne weg. Dann gehst du doch das Risiko nicht ein.“, versuchte er sie umzustimmen. „Du lügst mich doch sowieso wieder an. So wie immer.“ Lui grinste. Sie kannte ihn doch zu gut. Aber er konnte ihr unmöglich sagen, weshalb er es wissen wollte. Er konnte ihr ja schlecht sagen, dass er die anderen Lisettes getroffen hatte und daraufhin auf eine Verbindung zwischen ihr und der verschwunden Prinzessin aus dem unzugänglichen Königreich tippte. „Was willst du?“ „Ich will wissen, warum es dir so wichtig ist und ich will mein Geld!“, betonte sie ihre Wünsche erneut.“ „Ich kann dir das nicht sagen.“ „Dann will ich es erst recht wissen!“, bestand sie weiterhin auf ihren Vorderrungen. Sie konnte so entsetzlich unnachgiebig sein. So wie immer. Lui seufzte. „Wenn du nicht reden willst, dann sag es gleich, denn ich habe noch anderes zu tun, als hier meine Zeit mit dir zu vertrödeln.“ „Du brauchst das Geld. Das ist deutlich geworden, als du die Krone nicht hergeben wolltest. Außerdem, was solltest du schon noch zu tun haben?“ Sie knirschte mit den Zähnen: „Dich töten zum Beispiel.“ „Okay, na schön. Aber das bringt dir auch kein Geld ein.“ „So nötig habe ich es dann auch wieder nicht.“ „Ach nein?“, er blickte sie ungläubig an. Es war offensichtlich, dass sie ärmer war, als eine Kirchenmaus. „Nein. Ich hatte schon schlimmere Phasen und ich habe mich bisher immer irgendwie über Wasser gehalten, also bin ich nicht auf dich angewiesen.“ „In gewisser Weise schon.“, jetzt musste er gemein werden. Lisette blickte ihn fragend an: „Wie kommst du darauf?“ „Die Palastwachen suchen dich. Der einzige Ort, an dem dir nichts geschieht, ist der Palast. Es sei denn, ich lege ein gutes Wort für dich bei Drosselbart ein.“ „Das glaubst auch nur du.“, keifte sie von jetzt auf gleich: „Ich komme überall raus und Drosselbart schuldet mir noch was.“ „Tut er nicht, denn du hast ihm nicht geholfen, wie es vereinbart war.“ „Ich konnte es ja auch nicht, schließlich war seine dumme kleine Schnepfe nicht mehr in da!“ „Das wird ihn weniger interessieren, Lisette. Er wird dir eher noch mehr Wachen auf den Hals jagen, weil du ihn über die Dächer gezwungen hast um seinen eigenen Wachen auszuweichen und da er diesen Weg nun auch kennt, wirst du ihm nicht so einfach entwischen.“ Lisette war wenig begeistert und lehnte sich tiefschmollend in ihrem Sessel zurück. Dieser verdammte Kerl! „Du hast eigentlich nur einen Ausweg.“, fuhr Lui fort: „Du sagst mir, was ich wissen will und machst dich dann aus dem Staub.“ „Was ist wenn ich mich weigere?“ „Dann wirst du von den Wachen verhaftet und schließlich hingerichtet.“ „Nein.“, entgegnete sie in einem überlegenen Ton: „Das wird nicht geschehen. Du kannst das nicht zulassen, da ich dir sonst niemals sagen kann, was ich weiß. Du willst in erster Linie was von mir und nicht umgekehrt, vergiss das nicht, Lui.“ Wieder waren sie an einem solchen Punkt. Jetzt musste er bluffen: „So wichtig ist es dann auch wieder nicht.“ „Du lügst.“, stellte sie in einem schlichten Tonfall fest. „Ich könnte Dorothea herausfinden lassen, was du noch weißt.“ „Das kann sie nicht.“, entgegnete sie ihm: „Sie ist nicht mächtig genug dafür und außerdem würde sie das wohl kaum wollen.“ Im letzten Punkt hatte sie sich gewaltig geirrt. Dorothea würde alles für ihn tun und das wusste Lui. Es hatte keinen Zweck, er musste in die Offensive gehen: „Du erinnerst dich also an einen Wolf, der mit dir gesprochen hat?“ Lisette starrte ihn entgeistert an: „Was wird das jetzt?“ „Also ja. Was weißt du noch?“ „Woher weißt du von dem Wolf?“ „Uns ist einer ausgebüxt an diesem Tag und ich habe ein wenig nachgeforscht und habe das herausgefunden.“ „Warum solltest du nachforschen?“, sie sah ihn skeptisch an. „Vielleicht aus einfachem Interesse?“ „Das kauf ich dir nicht ab.“, sie lehnte sich vor: „Du willst von mir wissen, was ich noch weiß, dabei scheint es viel interessanter zu sein, was du so alles weißt.“ Lui erhob sich und grinste: „Mein Wissen gegen deins.“ „Nein.“ Lui zuckte bei diesem einfachen Wort ein wenig, hatte er doch gar nicht mit einer solchen Reaktion gerechnet. Er hatte sich einfach schon zu sicher gefühlt. „Warum nicht?“, er wandte sich ihr wieder zu. „Weil ich nicht im Geringsten daran denke.“, sie erhob sich und lief zum Fenster. „Willst du nicht oder kannst du nicht darüber reden? Vielleicht geht es dir ja doch näher, als du zugeben willst.“ Lisette drehte sich zu ihm um: „Du hältst dich für verdammt schlau.“, sie kam auf ihn zu und blieb dicht vor ihm stehen. In ihren Augen glänzte Hass, als sie so dicht vor ihm zum Stehen kam, dass er auf sie herab sehen musste, damit er sie überhaupt noch sah. Sie neigte ihren Kopf zur Seite und flüsterte: „Aber so schlau bist du gar nicht.“ Lui blieb stehen wie zur Salzsäule erstarrt und starrte sie an. Sie machte einen Schritt zurück, wandte sich ab und steuerte auf das Fenster zu. „Willst du deine Bezahlung nicht mehr?“ „Vergiss es.“, sie trat auf den Fensterrahmen: „Der Deal ist geplatzt.“ Sie sah nach unten und erspähte das nächste Dach. Sie ließ sich in die Hocke nieder und behielt es im Auge. Gerade als sie abspringen wollte, rief sie Lui zurück: „Was ist mit deinem Gewehr?“ Sie fiel fast aus dem Fenster vor Schreck. Wie hatte sie das vergessen können? Sie fuhr wütend zu ihm herum und sah ihn widerspenstig an. „Das bekommst du erst, wenn du mir alles erzählt hast.“, begrüßte Lui sie zurück im Zimmer, als sie von der Fensterbank sprang: „Hast du dir schon überlegt, was du sagen möchtest?“ Sie griff in ihren Stiefel und zog die Pistole hervor: „Kugeln sprechen mehr als tausend Worte.“ Sie zielte auf ihn und wollte gerade abdrücken, als Will ins Zimmer gestürmt kam und ihr die Pistole aus der Hand schlug. „Bist du wahnsinnig geworden?!“, herrschte sie ihn an. „Ich denke eher du!“, antwortete er ihr, während Dorothea hinter ihm ins Zimmer trat. Sie hatte alles mitbekommen und Will hinein gescheucht, als sie die Waffe bemerkt hatte. „Setz dich doch, Lisette.“, Lui ließ sich betont freundlich in einem der Sessel nieder: „Jetzt da die Fronten geklärt sind, könnt ihr uns wieder alleine lassen, denke ich.“ „Du hast also mit diesem Wolf gesprochen und bist sie töten gegangen?“, wiederholte er trocken, was sie ihm erzählte. Etwas schien noch zu fehlen und er wusste genau was. Sie hatte ihn angeschrieen und angefallen in dem Versuch, ihn mit bloßen Händen zu erwürgen. Sie hatte eine Vase aus dem Fenster geworfen und einen Schrank in einem Wutanfall nahezu zertrümmert. Lisette reagierte nicht auf seine Feststellung. Sie hatte gesagt, was er hatte wissen wollen und sehnte sich nun danach endlich verschwinden zu können. Sie hatte wahrlich genug davon. Er ging ihr nicht nur auf die Nerven sondern regte sie auch noch entsetzlich auf. Sie hasste ihn mehr, als sie es für möglich gehalten hätte. „Sonst hast du nichts wahrgenommen?“ Sie runzelte die Stirn, was ihn etwas zurückschrecken ließ. Hatte er sie jetzt auf eine Idee gebracht oder erinnerte sie sich? Doch ihre Stirn glättete sich nach einem Moment wieder und sie antwortete fast gleichgültig: „Ich sagte es doch schon. Was willst du eigentlich noch von mir hören?“ „Was denkst du denn?“ „Ich denke, du hast etwas bestimmtes im Sinn, auf das du nun hinaus möchtest, sagst es aber nicht, weil du nicht willst, dass ich es erfahre, wenn ich es vielleicht doch noch nicht weiß.“ Lui starrte sie an: „Das sind ja ganz schön komplexe Gedankengänge. Wie kommst du darauf?“ Sie erhob sich und lief zum Fenster hinüber. Sie öffnete es, trat mit einem Fuß auf die Fensterbank und blieb im Fenster stehen. Lisette wandte sich noch einmal kurz zu ihm um: „Das wirst du wohl nie erfahren.“ „Wo willst du hin? Du kannst noch nicht gehen, du hast deine Waffen noch nicht zurück und du hast deine Bezahlung nicht.“, er erhob sich und machte einen Schritt auf sie zu. Lisette drehte sich wieder dem geöffneten Fenster zu: „Das ist mir egal. Ich komme auch ohne klar.“ „Willst du es denn wirklich unter so vielen Umständen geheim halten?“ „Darum geht es nicht. Es nützt nichts, wenn du alles weißt, was ich von diesem Tag noch weiß. Ich weiß, was ich gesehen und herausgefunden habe und ich habe auch schon Beweise dafür gefunden. Ich verstehe nur nicht ganz, weshalb es soweit kommen musste.“ „Lisette-“, sie war fort noch ehe er das Fenster erreichen konnte. So kannte er sie gar nicht. „Was ist los?“, Will trat in den Raum, ein Tablett in den Händen: „Wo ist Lisette hin?“ Lui ließ sich seufzend in einen Sessel sinken. Er hatte sie zwar dazu gebracht von dem Tag zu erzählen, aber er hatte nichts erfahren, was ihm wirklich von Nutzen sein konnte. Es war alles umsonst gewesen. „Lui?“, Will trat an ihn heran und stellte das Tablett auf dem Tisch ab: „Ist alles in Ordnung?“ Der Prinz seufzte tief und sah zu seinem Diener, der vor ihm kniete. Dorothea betrat den Raum: „Ich kann es nicht glauben, dass ich von einer Hexe zu einem gewöhnlichen Laufburschen gemacht wurde!“ Will sah zu ihr auf: „Was ist denn los?“ „Der König möchte ein Festessen geben um deinen Plan durchzuführen.“ „Welchen Plan?“ Die Hexe und der Diener starrten ihn an. „Du hast ihm gesagt, er solle auftragen und sie holen lassen. Sie würde verschämt sein und er könnte sie zur Frau nehmen, wie es sich gehöre, oder so was.“, wiederholte Will. Lui seufzte erneut. Er hatte gar keine Lust auf ein solches Essen. „Was soll ich nur tun?“ „Drosselbart, Ihr wart doch schon vor meiner Ankunft so kreativ, da könnt Ihr es auch ohne meine weitere Hilfe schaffen.“, Lui hatte keine Lust mehr auf diese ewigen Spiele. Ihm spukte etwas anderes im Sinn. „Mag sein, aber ich hatte nie alles zuende gedacht.“ „Das ist doch gar nicht so schwer. Ich habe es Euch doch schon erklärt.“ Drosselbart schwieg und setzte sich an sein Ende der Tafel. Er wollte sie einfach bei sich haben und nicht ewig darauf warten müssen, dass sie endlich heraus trat und ihm das Essen brachte. Er erhob sich und lief in die Küche. „Was hat er denn nun vor?“, Will flüsterte Lui ins Ohr, der ihm gar nicht zuhörte. Dorothea bediente sich gerade ausgiebig an der Tafel und trank eifrig vom Wein. „Ich bitte Euch, ich kann nicht mit hinein.“, hörten sie es plötzlich von der Tür aus, durch die der König zuvor verschwunden war. „Bitte, ich gehöre dort nicht hinein.“, sie wurde weiter gezogen und stand schließlich vor ihnen. Sie fühlte sich wahrlich fehl am Platz, das sah man ihr auf den ersten Blick hin an. Sie war ganz schüchtern und versuchte sich hinter Drosselbart vor ihnen zu verbergen. „Komm nur hervor, meine Gattin und begrüße endlich unsere Gäste.“ Sie sah ihn erschrocken an: „Gattin?“ Er wandte sich zu ihr um und erklärte ihr alles. Sie konnte ihren Ohren nicht trauen und ließ sich von ihm umarmen. Doch trotzdem wollte sie nicht hinter ihm hervor treten. „Was hast du denn?“, Drosselbart sah sie besorgt an. Sie flüsterte mehr, als das sie sprach: „Ich wurde vor ihm gewarnt.“ Sie deutete kaum merklich auf Lui, der in dem Stuhl ihr gegenüber saß. „Von wem?“, Lui war nicht wirklich interessiert, aber vielleicht hatte sich ja sein Ruf schon bis hierher verbreitet. „Eine Blondine in roten Gewändern. Sie hätte mich fast umgerannt, als sie das Schloss eilig verließ und Richtung Wald verschwand.“, erklärte sie und klammerte sich noch mehr an Drosselbart. Dieser beruhigte sie und geleitete sie an den Tisch. „Hast du alles?“ „Will, wenn du mich das jetzt noch einmal fragst, dreh ich durch!“, Dorothea schnippte bedrohlich mit dem Finger in seine Richtung. Will legte die letzten Hosen zusammen und klappte den Koffer zu. Lui hatte sich in seinem Zimmer verschanzt und keinen mehr zu sich gelassen. Etwas stimmte nicht. „Lui?“, er klopfte an die Tür des Zimmers. „Was ist?“, drang die Antwort durch die Tür gedämpft an seine Ohren. „Wir sind soweit?“ „Dann nichts wie weg hier.“, die Tür öffnete sich und Lui trat zu ihnen heraus. Er hatte sich nicht rasiert und seine Haare waren zu einem wuscheligen Zopf hinter dem Kopf zusammengefasst. „Was ist denn mit dir los?“, Dorothea starrte ihn an: „Irgendwas stimmt doch nicht.“ Lui beachtete sie nicht und stürmte einfach an ihr vorbei, Will hinterher. „Na toll.“, Dorothea schnippte beleidigt mit den Fingern und verschwand. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)