Es hätte alles so einfach sein können... von AkiProductions (Glaube an dich selbst!) ================================================================================ Kapitel 6: Von Nüssen und anderen Dingen... ------------------------------------------- Das Leben besteht aus nichts anderem, als aus einer schier endlosen Kette von Augenbicken. Ich wünsche dir, dass du zahllose Augenblicke voller Glück erlebst, die dir die nötige Kraft schenken, auch die bedrückenden Zeiten zu ertragen. Die ganze Nacht über hatte ich kein Auge zugetan. Aber ehrlich, wen kümmerte das schon? Mich jedenfalls nicht! Ich war hellwach und verspürte nicht die geringste Müdigkeit, als ich bei Tagesanbruch aus dem Bett kletterte und mich anzog. Mein Herzschlag hatte sich noch immer nicht beruhigt. Unregelmäßig pochte es von innen gegen meine Brust, doch mir war es egal. Dieses Lächeln, das auf meinem Gesicht lag, und jedem, der es sah, förmlich von meiner Glückseligkeit erzählte, wollte einfach nicht verschwinden. Ich tanzte fast zum Fenster, dessen Vorhänge ich diese Nacht nicht zugezogen hatte. Der Sternenhimmel, den ich vom meinem Bett aus hatte sehen können, war einfach zu schön gewesen. Es war, als wäre ich diese Nacht wiedergeboren worden und sah dies alles zum ersten Mal. Als ich Yuseis Zimmer verließ und langsam in Richtung Küche ging, lauschte ich auf Geräusche im Haus. Allerdings konnte ich nichts hören, überall war es still. Jack, Crow und Yusei mussten wohl noch schlafen. Auf Zehenspitzen bahnte ich mir einen Weg durch die Werkstatt, wobei ich mir einen Blick auf die Couch nicht verkneifen konnte. Ich hätte nicht gedacht, dass mein Herz NOCH schneller schlagen könnte, doch ich hatte mich getäuscht. Kaum hatte ich Yusei gesichtet, beschleunigte es unbarmherzig. Ich blieb mitten im Raum stehen und fluchte still, wobei ich mir fest auf die Unterlippe biss. Nicht, dachte ich angestrengt und mein Herzschlag verlangsamte sich ein wenig. Erst dann richtete ich meinen Blick wieder auf Yusei. Er lag lang ausgestreckt auf dem Rücken, hatte die Augen geschlossen und atmete regelmäßig vor sich hin. Ich kicherte. Scheinbar war ich also doch die einzige mit Schlafstörungen. Ich tappte vorsichtig weiter in die Küche, zog mir meine Schuhe an, die ich in eine der Ecken gestellt hatte und warf mir meine Jacke über. Dann öffnete ich leise die Haustür und ließ sie schnell wieder ins Schloss fallen, damit die doch etwas kühlere Morgenluft Yusei nicht störte, der ohne Decke schlief. Es war schon eine ganze Zeit her, seit ich das letzte Mal draußen an der frischen Luft gewesen war. Auch das kam mir so neu, so einzigartig vor, dass ich es kaum glauben konnte. Wenn ich damals früh wach geworden war, hatte ich oft Spaziergänge unternommen. Doch ich hatte die Welt nicht so wunderschön in Erinnerung gehabt. Just in dem Moment brach die noch schwache Morgensonne durch die weißen Quellwolken und schien mir freundlich ins Gesicht. Die Umgebung, die mir so vertraut und doch so neu war, strahlte in allen Farbtönen und lud mich ein, sie auf ein Neues zu erkunden. Ich nahm dieses Geschenk dankend an und machte mich auf den Weg, ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen zu haben. Ich war an einem kleinen Kiosk vorbei gekommen und hatte von dem Kleingeld, das ich in meiner Jackentasche gefunden hatte, für uns vier Brötchen geholt. Sie waren noch frisch und dufteten verführerisch durch die Papiertüte. Mein Magen rumorte unangenehm, doch ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. Wie lange war es her, dass ich zum letzten Mal Appetit gehabt hatte? Ich tänzelte durch die verlassenen Straßen der kleinen Häusersiedlung, wo die Jungs lebten, und gelangte schließlich zu einer kleinen, merkwürdig dunklen, aber mir bekannten Nebengasse. Oft schon war ich durch sie hindurch gegangen, um den Weg von meiner Schule zu Yusei und Co. abzukürzen. Die Gasse war schmal und kurz, verlief zwischen zwei alten Steinhäusern hindurch und war mehr als trist. Ich wäre nicht stehen geblieben, hätte ich nicht ein flehentliches Winseln gehört. Meine Schritte verlangsamten sich und ich runzelte angestrengt die Stirn. In der Gasse stand an der kühlen Steinwand ein mittelgroßer Karton. Ich traute meinen Augen und Ohren nicht. Seit wann konnten sich solche Dinge bewegen und Geräusche machen? Bevor ich mich dem Karton langsam nährte, drehte ich meinen Kopf in alle Richtungen. Niemand war zu sehen, die ganze Umgebung erschien ausgestorben. Ich kniete mich vorsichtig hin, legte die Brötchentüte neben mich und hob mit spitzen Fingern die zugeklappten Deckel des Kartons an. Mir stockte der Atem, als mich aus seinem innern ein Paar riesengroßer, schwarzer Augen ansah. Ich schnappte nach Luft. Dort saß, auf einem dunkelroten Handtuch, das wohl notgedrungen für Wärme sorgen sollte, ein kleiner, hellbrauner Golden- Retriever Welpe, der leise vor sich hinwinselte und etwas unbeholfen versuchte, über die für ihn zu hohe Kartonwand zu gelangen. „Na, wer bist du denn?“, fragte ich verwundert, worauf ein klägliches Quäken als Antwort kam. Mein Herz wurde sofort von Mitgefühl ergriffen. Ohne großartig über das, was ich tat, nachzudenken, zog ich meine Jacke aus, hob den kleinen Hund heraus und wickelte ihn vorsichtig ein. Ich war so hingerissen von dem Anblick des Kleinen, dass ich selbst die morgendliche Kälte kaum noch spürte. Mit größter Mühe fischte ich die Brötchentüte auf und beeilte mich, zurück zu Yuseis Unterkunft zu gelangen. „Und was machen wir jetzt mit dem Kleinen?“ „Woher willst du wissen, dass es ein „Er“ ist?“, fragte ich leicht angesäuert. Crow seufzte, hob den Welpen so hoch, dass er zwischen dessen Beine gucken konnte und setzte ihn mit einem erneuten Seufzer wieder ab. „Er“, sagte er und wich meinem entrüsteten Blick genervt aus. „Auf jeden Fall muss er was essen“, fiel Yusei plötzlich in unsere Konversation ein. „Ja, aber was gibt man einem Welpen zu essen?“, murmelte Crow und ließ sich auf einen Stuhl fallen, während das Hündchen schnuppernd um meine Beine streifte, wobei er hin und wieder das Gleichgewicht verlor. „Sonderlich schlecht scheint es ihm jedenfalls nicht zu gehen. Das heißt, er kann nicht die ganze Nacht dort in der Kiste gelegen haben“, stellte ich fest, beugte mich zu ihm herab und streichelte über sein weiches Babyfell. „Trotzdem muss er zum Arzt“, antwortete Crow. Mit einem lauten „PLONK“ fiel die offene Erdnussdose vom Tisch, die Crow mit seinen lebhaften Handbewegungen erwischt hatte. „Shit!“, riefen wir alle drei gleichzeitig, als sich der Welpe auf die Nüsse stürzte. Er wehrte sich heftig dagegen, von uns weggezogen zu werden, doch diese nur allzu fettreiche Kost war bestimmt nicht das Richtige für einen ausgehungerten Hund. „Kleiner Schlingel“, murmelte ich und setzte mich mit ihm im Arm auf die Couch. Yusei ließ sich neben mir nieder. Plötzlich kam mir ein Gedanke. „Jemand, der seinen Hund liebt, würde ihn niemals aussetzen. Das heißt, er gehört keinem mehr. Der arme Kleine ist obdach- und namenlos…“ Ich schaute mit flehentlich vorgeschobener Unterlippe Yusei an. Bei diesem fiel der Groschen fast augenblicklich. „Du willst ihn behalten“, stellte er tonlos fest. Langsam nickte ich. Er seufzte und schaute zu Crow hinüber. Dieser zuckte nur mit den Schultern und machte ein „Ist mir doch egal“- Gesicht. Yusei stöhnte, schaute erneut mich an und machte ein leicht klägliches Gesicht. „Wenn du so guckst ist es unmöglich, dir etwas abzuschlagen, weißt du das eigentlich?“ Ich grinste glücklich. „Jahrelange Übung!“ Das Hündchen krabbelte auf meinem Schoß rum, schnupperte wie wild an meinen Klamotten, leckte mir über die Hände und begann, mit dem Schwanz zu wedeln. „Der ist ja putzmunter“, stellte Crow übertrieben desinteressiert fest. „Yup“, bestätigte Yusei und kraulte ihn hinter den Ohren. Sein Blick suchte meinen. „Lass mich raten, du hast schon einen Namen…“ Ich nickte, hob den Kleinen hoch und kuschelte mich an ihn. „Peanut!“ „Du nennst ihn ERDNUSS?!“ Crow klang vollends fassungslos. „Nicht Erdnuss, PEANUT!“, keifte ich zurück und streckte ihm die Zunge raus. Entnervt stand er auf, kam zu uns herüber und streichelte dem Hund über den Kopf. „Armer Kleiner“, murmelte er, „Wirst nach einer Erdnuss benannt…“ „Peanut“, flüsterten Yusei und ich gleichzeitig. „Ich mag den Namen.“ Yusei lächelte, zog Peanut auf seinen Schoß und fuhr mit den Fingern durch sein Fell. „Schön. Dann heißt der Kleine jetzt eben Erdnuss!“ Wutschnaubend jagte ich Crow mit einem Kissen aus dem Raum. „PEANUT, NICHT ERDNUSS!“, rief ich ihm noch hinterher, ging zurück zu Yusei und dem Kleinen und ließ mich neben den beiden nieder. „Wo hast du ihn gefunden?“, fragte Yusei plötzlich. „Ach… ich war spazieren… und dabei bin ich an einer kleinen Gasse vorbeigekommen. Peanut war in einem Karton, keine Ahnung, wer ihn da ausgesetzt hat. Er hat gewinselt und gezittert. Ich konnte ihn einfach nicht da lassen…“ Nachdenklich schaute ich auf den Boden vor mir. Eine kurze Stille folgte, in der Peanut von Yuseis Schoß sprang und begann, den Raum zu erkunden. Wir beobachteten ihn eine Weile, saßen einfach nur ruhig nebeneinander. Ein weiterer Grund, warum Yusei so einzigartig war: man konnte, ohne dass es unangenehm wurde, wunderbar zusammen mit ihm schweigen. Ich lehnte mich entspannt zurück und betrachtete die Decke. Es war schon merkwürdig. Noch vor einem Tag hatte ich Yusei nicht unter die Augen treten können. Ich war so wütend auf ihn gewesen, hatte ihn beinahe gehasst. Und jetzt… Ich genoss seine Nähe, hatte das Gefühl, endlich wieder ich selbst zu sein. Vorsichtig linste ich zu ihm hinüber und merkte, dass auch er mich beobachtete. „Du willst wissen, wieso ich diese Nacht geweint habe, liege ich richtig?“, seufzte ich und schloss die Augen. „Ja“, murmelte er kleinlaut. Ein Lächeln umspielte meine Lippen. Natürlich wollte er das wissen. Doch er würde nie danach fragen. Er gehörte zu der Sorte Mensch, die geduldig darauf warten konnten, bis sein Gegenüber aus dem schützenden Schneckenhaus kroch und von sich selbst aus begannen zu erzählen. Noch während ich überlegte, wie genau ich anfangen sollte, polterte es plötzlich ohrenbetäubend laut. Yusei sprang augenblicklich lauf und lief dem Unfallort „Küche“ entgegen. Ich natürlich hinterher. Peanut saß unschuldig, aber mit vor Schreck geweiteten Augen ein paar Meter von einem umgekippten Holzstuhl entfernt. Als wir den Raum betraten, lief er uns entgegen und versteckte sich hinter meinen Beinen. Vorsichtig lugte er dahinter hervor, als Yusei zu dem Stuhl ging, um ihn wieder aufzuheben. „Na toll“, murmelte ich und beugte mich zu ihm herunter, um ihn auf den Arm zu nehmen. „Jetzt wird er sein Leben lang ein gestörtes Verhältnis zu Stühlen haben.“ Yusei lachte und ich mit. Es war ein freies, reines Lachen. Ein Lachen, wie es ewig nicht mehr aus meinem Mund gekommen war. „Weißt du“, begann Yusei glucksend und kam auf mich zu, „Ich finde, wir sollten uns so allmählich mal auf den Weg zum Haustierbedarf machen und das ganze Zeug einkaufen, was wir für Peanut benötigen.“ „Gute Idee!“ Keine 5 Minuten später hatten wir Crow damit beauftragt, auf Peanut aufzupassen und uns per Bus in Richtung Haustierbedarf aufgemacht. Ich hatte ein Notizblöckchen und einen Stift dabei und gemeinsam witzelten wir herum, was der Kleine denn unbedingt brauchte. So viel Spaß hatte ich in meinem Leben noch nicht gehabt! Die Mitfahrer im Bus suchten das Weite, als ich mich dazu äußerte, unbedingt ein pinkes Lederhalsband mit glitzernden Sternen für Peanut kaufen zu wollen, Yusei allerdings mit dem Argument dagegen hielt, dass ich unmöglich aus Peanut eine „Erdnüssin“ machen konnte. Die Diskussion artete etwas aus und wenig später lagen wir beide förmlich quer über den Sitzen, weil jeder an das Notizbuch kommen und seinen persönlichen Wunsch aufschreiben wollte. Wir einigten uns nach einer Ewigkeit schließlich darauf, nach einem roten Lederhalsband Ausschau zu halten. Vollkommen durch den Wind stiegen wir an der Zielstation aus und lachten uns über einen Punker schlapp, der ein schwarzes Nietenhalsband trug. Falls wir kein rotes Halsband finden würden, kam schwarz definitiv auch nicht in Frage! Irgendwann legte Yusei, unterbewusst, wie es mir schien, einen Arm um meine Schulter und zog mich ein Stück an sich heran. Die Hitze stieg mir in die Wangen, doch ich achtete nicht darauf. Erst als wir durch die langsam voller werdenden Straßen gingen, fiel mir auf, dass ich erneut keinerlei Probleme damit hatte, meine Kräfte zu beherrschen. Ich hatte Yusei noch nie so viel reden hören. Er sprudelte förmlich über, erzählte von seinem Zusammenleben mit Jack und Crow und davon, wie anstrengend die zwei doch oftmals sein konnten. Wie gebannt hing ich an seinen Lippen, lachte, wenn er lachte, lächelte, wenn er lächelte. Ich war selig! In einer Art Trance vergaß ich alles um mich herum. Ich vergaß die Menschen, die an uns vorbei gingen. Ich vergaß, dass es Leute wie Nicky gab. Ich ließ die Welt mit ihren kleinen und großen Plagegeistern restlos hinter mir und tauchte langsam ein in einen Ort, den ich gerne „Zuhause“ nennen würde. Im Haustierbedarf angekommen suchten wir uns Hilfe bei einer Verkäuferin. Als sie uns fragte, was uns denn noch fehlen würde, erzählte ihr Yusei, charmant wie eh und je, dass wir im Prinzip noch ÜBERHAUPT NICHTS für unseren Hund hätten und wohl oder übel bei Null anfangen müssten. Nachdem wir uns darüber gestritten hatten, ob wir Peanut einen gehäkelten blauen Pullover kaufen sollten, war die Verkäuferin offensichtlich der Meinung, wir wären ein Paar, denn etwas überfordert warf sie plötzlich ein: „Der Kleine kann den Pulli ja tragen, wenn Sie mit ihm spazieren gehen und wenn ihr Freund arbeiten ist. Sie beide werden ja wohl nicht immer parallel unterwegs sein, oder?“ Völlig perplex betrachteten Yusei und ich die Frau. Nachdem wir uns erneut ausgeschüttet hatten vor Lachen, beschlossen wir stillschweigend, unsere Rollen einzunehmen. „Also, mein Schatz, machen wir’s denn so, wie die Dame es uns vorgeschlagen hat?“, fragte Yusei und griff nach meiner Hand. „Ich bin dafür, Hase!“, antwortete ich gedehnt, nahm einen der Pullis und warf ihn in unseren Einkaufskorb. Die Verkäuferin (mittlerweile wahrscheinlich fest davon überzeugt, wir hätten etwas getrunken!) zeigte uns die Halsbänder und Leinen und zu unserer unwahrscheinlichen Freude gab es ein rotes Lederhalsband mit passender Leine. „Allerdings würde ich für ihren Welpen erstmal so ein größenverstellbares Geschirr verwenden“, empfahl uns die Frau, die sich scheinbar nach einiger Zeit an uns gewöhnt hatte und nun deutlich entspannter wirkte. „Darin sieht er bestimmt aus wie eingeschnürt“, murmelte Yusei und hielt sich das Geschirr vor die Brust. Kichernd zog ich es aus seinen Händen. „Na, dann sieht er eben aus wie ein kleines Paket. Ist doch süß!“ Ohne über das, was ich tat, nachzudenken, stellte ich mich auf die Zehenspitzen. „Und dir passt es sowieso nicht! Wenn du auch so was Tolles haben willst, sollten wir vielleicht den Laden wechseln“, flüsterte ich ihm ins Ohr und küsste ihn auf die Wange. Sowohl Yusei als auch die Verkäuferin sahen mich mit leuchtenden Augen an. „HACH!“, trällerte die etwas ältere Frau, „JUNGE LIEBE!“ Yuseis Mund stand leicht offen, so, als wollte er etwas sagen, doch ich legte ihm einen Finger auf die Lippen. „Psssssst“, machte ich und schaute in seine blauen Augen. Dann wandte ich mich wieder der plötzlich strahlenden Verkäuferin zu. „Weiter geht’s!“, sagte ich munter und zog den etwas verdutzten, aber lächelnden Yusei hinter mir her. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)