Jaded von Palmira ({MadaIta}) ================================================================================ Kapitel 9: Everyday I Write The Book ------------------------------------ Everyday I Write The Book Untertitel: Auch Bomben platzen mal Nach kreativer Flaute habe ich endlich das passende Lied für mein Szenario, als solches ‚Everyday I Write The Book’ aus 1983 von Elvis Costello, und ihr dürft alle gern mäkeln, dass das Video doof ist. Enjoy! Nicht, dass hier wer desozialisierte. Itachi war sich nicht sicher, ob es das Wort überhaupt gab, er hatte nur die Ahnung, wie das ging. Oder dass es ging. Er war eigentlich völlig glücklich damit, unsozial zu sein. Er brauchte kein Clubbing am Samstagabend und keine nachmittäglichen Touren durch Spielhallen, er musste nicht mal Essen gehen. Es reichte, wenn er seine Mittagspausen mit Kisame verbrachte, nach ein paar Gläsern Sangria dazu zu überreden war, mit den anderen Dance-Dance-Revolution zu spielen (oder in ganz verwegenen Fällen auch Twister, aber das war eine wirklich feuchtfröhliche Gelegenheit gewesen). Und was seine Abendunterhaltung betraf… Da ging ja keinen etwas an. Da er allerdings dieselbe Schule besucht hatte wie die Personen, von denen er nicht wusste, ob man manche von ihnen allein auf der Basis der langen Zeitspanne, die man sie kannte, als Freunde bezeichnen konnte, war er gezwungen, sich hier und da blicken zu lassen. Nicht, dass es so schrecklich war, meistens war das ganz lustig. Doch an jenem Abend, und auch schon am gleichen Tag, hatte Itachi einen Knoten im Magen. Nicht, dass er Scheu vor den anderen hatte oder sich in ihrer Gegenwart nicht mehr wohl fühlte. Oder was hieß ‚wohl‘… Es fühlte sich nicht richtig an, so unverständlich es auch war. Dass es so war, fiel ihm allerdings erst auf, als er neben Sasori den Bürgersteig entlang schlenderte. Heute waren sie zum Einkaufen verdammt worden, und das nicht etwa, weil sie die kürzesten Streichhölzer gezogen hatten, über so primitive Auswahlverfahren war dieser eingeschworene Kreis von Intellektuellen ja längst hinweg. Sasori und er waren einfach die Kürzesten. Dumm gelaufen. Itachi fand das nicht allzu dramatisch. Wenn er die Hälfte der Einkäufe erledigte, konnte er auch unbemerkt ein paar Süßigkeiten mitschmuggeln. Er hätte sofort bestritten, primitive Freuden zu haben, dennoch freute er sich auf die Blaubeer-Marshmallows in seiner Plastiktüte. Es war ein erstaunlich lauer Märzabend, eher noch später Nachmittag. Die beiden hatten den kleinen Supermarkt verlassen, jeder jeweils beladen mit zwei großen Plastiktüten, deren kuriose Zusammenstellung befremdlich war, aber so war das, wenn man sich länger kannte und einfach wusste, was gebraucht wurde. Das zeichnete Freundschaft aus, nahm Itachi an, der auch nach Jahren immer noch nicht der Meinung war, dass Hidan und er befreundet waren. Na, trotzdem ein ganz nettes Gefühl. Das Wetter war gut, wenn auch nicht übermäßig warm, Itachi freute sich auf das Essen, und er freute sich darauf, in Kisames Wohnung zurückzukehren und sich irgendwie die Zeit zu vertreiben. Samstagabend, alles so weit okay. Sasori beachtete ihn nicht. Itachi konnte damit leben, nicht beachtet zu werden, und wenn er vor einer Fußgängerampel wartete, brauchte er auch keine Aufmerksamkeit. Es war auch nicht der Fakt, dass Sasori ihn nicht beachtete, der ihn aufbrachte, sondern der Fakt, wen oder was Sasori so sehr beachtete, dass er sonst alles um sich herum nicht mal wahrnahm. Sein Handy. Sasori war kein typischer Handy-Junkie, technische Errungenschaften waren nur dazu da, von ihm repariert oder kaputt gemacht zu werden (es gab keine gewisse Korrelation zu diesen beiden Zuständen, ein sorgfältiges Gleichgewicht von Yin und Yang). Und er spielte ja auch nicht Pinball oder sonstig stupide Spiele, sondern schrieb konzentriert SMS. An und für sich war es ein drolliger Anblick – Sasori war ein abgebrochener Meter, er war sogar eine Handbreit kleiner als Itachi, und nur sein zerzaustes, signalrotes Haar bewahrte ihn davor, ständig umgerannt zu werden. In einer Hand hielt er beide Tüten, die bedrohlich schaukelten wie Abrissbirnen und jedem Schienenbein auf Konfrontationskurs einen blauen Fleck verpassten, Sasori hatte die Bierdosen strategisch günstig platziert. Ab und zu wechselte er die Tragehand und schrieb mit der frei gewordenen Hand weiter. Er als selbsterklärter Künstler war flexibel. Itachi konnte damit leben. Aus Langeweile linste er Sasori hin und wieder über die Schulter, was aufgrund dessen homöopathischer Körpergröße nicht allzu schwer war. Er fragte sich, wie man per SMS eine Debatte über Kamikaze führen konnte, und fand keine Antwort. Nicht, dass das Thema so speziell, so kompliziert war. Aber wie konnte man überhaupt? Und wie konnte man sich mit so unerschöpflicher Energie streiten? Und das ohne böse Wörter… Wenigstens begriff Itachi an diesem lauschigen Samstagabend an der Fußgängerampel, während er auf Grün wartete, dass mit seinem Magen alles in Ordnung war. Es war nur das, was ihm fehlte. Die Konfrontation mit dem Ebenbürtigen auf allen Ebenen. Sasori und Orochimaru konnten sich zwar wechselseitig nicht ausstehen, doch sie waren dem anderen in jeder Beziehung gewachsen (mit Ausnahme der Körpergröße, denn Orochimaru war knapp einen Kopf größer und vergaß das nie). Sie konnten sich auf Augenhöhe begegnen, sich miteinander messen, und all ihre Kontakte wurden auf verbaler Ebene ausgetragen. Womit sie so ziemlich das krasse Gegenteil von Itachi und Madara waren. Und damit war nicht gemeint, dass Madara größer war. Sie waren auch völlig unterschiedlich voneinander, sie teilten nur wenige Interessen. Sie agierten nur auf physischer Ebene. Ihre räumliche Distanz war klein, die zwischenmenschliche immens. Sollte heißen: Kein Augenkontakt, nur Sex. Sogar, wenn Madara ihn anrief, siehe diese Episode im Zug! Und das war eine… „… beschissene Fickbeziehung.“ Das Klischee wäre gewesen, dass Sasori Itachi befremdet anstarrte. Doch Sasori neigte nicht zu solchen Ausbrüchen, und er riss auch keine Witze. Man sollte meinen, dass er überhaupt keine Themen außer Kunst hatte, doch das war ein brachialer Irrtum. Kunst war nur das einzige Thema, bei denen er anderen eine abweichende Meinung gestattete und sich deshalb auf Diskussionen einließ. Alles Weitere… war der Kram, wegen dem Orochimaru seine Brille auf dem Nasenbein balancierte, bis man irgendwann den Augenkontakt zugunsten des Erlebnisses, sie herunterfallen zu sehen, abbrach. Und dann hatte er gewonnen. Sasori war der einzige, der gegen diesen Drang ankämpfen konnte. „Du bist erstaunlich, Itachi.“ „Gib mir einfach deine Tüten.“ Even in a perfect world where everyone was equal I'd still own the film rights and be working on the sequel Madara kam zu solchen ‘Events’ nicht, es sei denn, es handelte sich um Großereignisse wie Konans Geburtstag. Er hatte andere Freunde, und seine Art, Menschen als Freunde zu behandeln, unterschied sich gänzlich von Itachis – er führte Freundschaften wie Feindschaften mit großer Leidenschaft aus und vergab beides nur an solche, denen er wirklich Gefühle entgegenbrachte, Zeit bedeutete ihm nichts. Soweit Itachi wusste, hatte seine legendäre Feindschaft zu Hashirama sich binnen weniger Sekunden entwickelt, gerüchteweise, weil der andere ihn in der Mittelschule beim Baseball für „out“ erklärt hatte, obwohl Madara seiner Meinung nach noch rechtzeitig in die Base hineingeschlittert war. War natürlich nicht so leicht, wenn der Spieler die Pylone dabei umriss und einfach behauptete, dass er „safe“ gewesen war. Madara mochte es nicht, wenn man seinem Dickkopf nicht nachgab. Heute jedoch überraschte er Itachi. Sein blödes Motorrad stand auf dem Parkplatz, und er würde es sicher nirgendwo stehen lassen, wo er nicht in der Nähe war. Vielleicht hatte er sich erinnert, dass Kisame am Achtzehnten Geburtstag gehabt hatte. Besser spät als nie, war ja erst eine Woche her. … Madara war vielleicht nicht der größte Arsch unter der Sonne, aber einer von denen, die zu gut damit durchkamen. Sasori schob sein Handy wieder zu und rieb sich sein streichholzkurzes Haar. Itachi fragte sich, ob es schon immer so kurz gewesen war. Vielleicht desozialisierte er wirklich. Und die einzige Bremse war der dumme Briefschlitz. „Was ist?“ Sasori lehnte sich gegen die Klingel. Itachi kannte das Modell mittlerweile unangenehm genau, es hatte einst fast dafür gesorgt, dass er beim dümmsten Klingelstreich der Welt erwischt wurde. Einst, vor… knapp einem Vierteljahr. War es wirklich schon so lange? Dann hatte Konan in einem Dreivierteljahr wieder Geburtstag. [1] Scheiße. „Ich gehe heute zu Fuß“, erwiderte Itachi mit einem nervösen Blick auf die Hornisse. Er bekam Bauchschmerzen, wenn er dieses knallgelbe Ungetüm nur sah. „The question, O me! so sad, recurring — What good amid these, O me, O life?”, zitierte Sasori statt einem banalen Signal, dass er das hingenommen hatte. Itachi kannte das Zitat, kannte den Dichter, er kannte sogar die Epoche. Es war nicht, dass ihm nichts darauf einfiel, er war durchaus geistreich. Und natürlich blieb immer noch das gute, alte ‚Was hat das damit zu tun?‘ als Notnagel. Aber er brummte nur: „Meinetwegen.“ When you find strange hands in your sweater When your dreamboat turns out to be a footnote I’m a man with a mission in two or three editions Kisames Wohnung bestand aus vier Zimmern, Bad, Küche, Schlafzimmer und der Allzweck-Arena. Einem Ort, dessen räumliche Erstreckung niemals so groß sein konnte, wie sie sein musste, deshalb evakuierte der Hausherr vorher alles, was noch wichtig war. Und wenn es hieß, dass alles in die Badewanne kam und irgendwie alles scheiße war. Itachi hatte heute die passende Laune, um mal derjenige zu sein, der mit der Kabeltrommel die Scheiben der Duschkabine zu zertrümmern versuchte. Eine wahre Meisterleistung, denn die Dusche hatte nur einen Vorhang, schon immer gehabt. Jetzt stellte er die Einkaufstüten in der Küche ab und schloss die Augen. War es wirklich zu spät, um Magenschmerzen vorzutäuschen oder nach Hause zu rennen, unter dem Vorwand, man habe den Herd an gelassen? Lächerlich. Was konnte ihm schon passieren? Er war keine Gesellschaft mehr gewöhnt, das war krank. Das war Samstagabend und nicht der Tag des Jüngsten Gerichts. Konan knallte eine Papptüte mit klirrendem Glas auf den kalten Herd in der Küche und grinste ihn an. „Heute machen wir einen drauf, okay?“ „Hörst du deine biologische Uhr ticken?“ Konan zuckte mit den Schultern und tolerierte die These, dass es überhaupt so etwas wie eine biologische Uhr gab, was sie sonst vehement bestritt. Solche Beobachtungen alarmierten Itachi von vornherein. „Ehrlich, sollten wir machen. Gegen den Frust des Alltags und um der alten Zeiten willen.“ „Und was soll Madara dann hier?“ Es hatte zu feindselig geklungen, und Konan warf Itachi einen fragenden Blick zu. Wahrscheinlich jonglierte sie innerlich schon mit dem Konter ‚Ich habe nicht gesagt, wie alt die Zeiten sein sollen‘, doch im letzten Moment überlegte sie es sich anders und kippte einen Schuss dunklen Traubensaft in den Porrón. Jemand musste sich die Mühe gemacht haben, das spitze Sangria-Gefäß mitzubringen, ohne die Hoffnung, dass es den Abend überlebte. „Man fängt an zu integrieren“, brummte Konan schließlich. Zur besonderen Stimmungsauflockerung hatte Deidara seine Kamera mitgebracht, verdammt sei diese Blondine. Und natürlich wurde keine Zeit verloren, sich unter lautem Johlen und brüllendem Gelächter die Aufnahmen von Konans letztem Geburtstag – und auch sonstigen Geburtstagen, wenn sie nur blamabel genug waren – zu Gemüte zu führen. Es gab Dinge, die ganz lustig waren, und die Dinge, die Itachi lieber nicht sehen wollte, zum Beispiel die Nahaufnahme von Peins verquollenem Gesicht, nachdem er den Ingwer gegessen und in Tränen ausgebrochen war. Und dann gab es die Dinge, die er absolut nicht sehen wollte, zum Beispiel, wie Madara ihn in den Simulator schubste oder wie sie zusammen die Toiletten verließen. Niemand sonst schien das zu bemerken, und Itachi fragte sich, ob Madara sich überhaupt erinnerte. Was zurück zu der Frage führte, was der Kerl hier eigentlich machte… Schon gut, sie hatten mal wieder nicht darüber gesprochen, doch das war kein Freifahrtsschein! Unnötig zu sagen, sie saßen nicht nebeneinander, also konnte Itachi auch nicht fragen. Nicht, dass es jemandem aufgefallen wäre, wenn sie nebeneinander saßen, schließlich verbrachten sie mehr oder weniger freiwillig den Großteil ihrer Zeit miteinander. Es war nur, dass Itachi nicht neben seinem Mitbewohner sitzen wollte, und es gab sowieso nichts zu bereden. Ausformuliert klang es viel lächerlicher, als wenn man es wirklich so empfand. Sasori klappte sein Handy wieder auf, dann tippte er mit flinken Fingern eine Nachricht, die sicherlich keine Smalltalkbegriffe mehr beinhaltete, nachdem er sich in eine Diskussion hineingesteigert hatte. Über Pop-Art, also nahm er seine Umgebung doch noch wahr. Itachi nahm den Porrón an, als er herumgereicht wurde. Absurd, aber vielleicht war er ja derjenige mit den Problemen, mit der biologischen Uhr, den Komplexen, oder was auch immer den Menschen bewegte, wenn Freud gerade nicht aufpasste. Auf dem Fernsehschirm wurde auf das zutiefst genervte Gesicht eines Taxifahrers gehalten, der auf den Bluff hereingefallen war. Es zog sofort eine heftige Lachsalve nach sich, und Itachi gestattete sich etwas Entspannung. Nur heute, ausnahmsweise, und solange keiner auf dem Tisch tanzte… Don’t tell me you don't know the difference Between a lover and a fighter With my pen and my electric typewriter Nachdem man fast zwanzig Mal zurückgespult hatte, wie Zetsu ‚Objection Tango‘ besser meisterte als Konan, schien sich die ganze Gesellschaft nur noch hüftschwingend und summend fortzubewegen. Der Abbau menschlicher Hemmungen war eine tolle Sache, und das Tollste, er geschah automatisch. Mehr oder minder. Itachi stellte fest, dass er wirklich betrunken sein musste, wenn er darüber lachen konnte, wie die von Deidara dokumentierten Schnappschüsse von Kisames Geburtstagsparty präsentiert wurden. Diese Filmaufnahmen waren ein Teufelskreis, denn jetzt, in diesem bewussten Moment, lief die Kamera auch, um die nächsten Bilder einzufangen. Es gab kein Ende und sowieso keine Zensur. Nur Spaß und Scham Hand in Hand… Und einen ziemlich festen Schlag auf den Rücken, der Itachi fast von der Couch fegte. „Du sahst aus, als müsstest du kotzen.“ Madara ließ sich neben ihn fallen, und Itachi sparte sich die Bemerkung, was für eine Beihilfe es gewesen wäre, ihm dann einen kräftigen Klaps zu verpassen. Er fühlte sich zu gelöst, um so etwas zu sagen. Bis vorhin hatte Sasori neben ihm gesessen, bis dieser, sein Handy zwischen den Zähnen, damit kein Blödsinn mit seinem Adressbuch angestellt wurde, auf Kisames Schultern gestiegen war, um die Gardinenstange abzumontieren, er hatte schließlich ruhige Finger. Die ursprüngliche Absicht des Limbotanzens wurde fallen gelassen, als ins öffentliche Bewusstsein rückte, dass die Gardine rot war und man sich damit wunderbar als Torero versuchen konnte. Vergaßen diese Menschen eigentlich, dass Deidaras Kamera einen gut aufgelösten Zoom hatte? „Mir ist nicht schlecht.“ Itachi bemerkte, dass seine Stimme weitaus langsamer war als seine Gedanken. Währenddessen ließ Kisame Sasori kopfüber baumeln, während Konan versuchte, ihm das Handy wegzunehmen. Die Nachbarn mussten bestochen oder betäubt worden sein. „Ich gehe zu Fuß nach Hause“, fügte Itachi hinzu, diesmal war seine Stimme doch schneller. Zu schnell, um genau zu sein, als hätte er etwas zuvorkommen wollen. The way you walk The way you talk, and try to kiss me, and laugh In four or five paragraphs „Einverstanden. Wenigstens du kotzt mir nicht in den Nacken“, erwiderte Madara unbeeindruckt und bewies damit, warum es zwischen ihnen nie zu tiefschürfenden Diskussionen kommen konnte. Und dabei passten sie trotzdem nicht zusammen. „Warum bist du so?“ Itachi hatte das Gefühl, das Falsche gesagt zu haben, doch Madara zog lediglich die Brauen hoch, während so etwas wie ein Lächeln um seine Lippen spielte. Er hatte die Ärmel seines Rollkragenpullovers hochgekrempelt und hatte einen dunklen Fleck von irgendetwas auf seinem Knie, aber er war augenscheinlich nüchtern. Natürlich, er musste fahren. Vernunft… Itachi konnte sich einfach nicht konzentrieren. „Willst du’s sehen?“ Madara grinste, Itachi nicht. „Das sagst du nur so.“ Etwas, womit Madara offenbar nichts anfangen konnte, doch Itachi war es seltsam klar. Veränderungen geschahen immer, aber meist bemerkte man sie nicht oder ignorierte sie. Itachi war ohnehin nicht glücklich, dass er ‚klar‘ sah. Doch Madara gab keinen weiteren, flapsigen Kommentar, und er grinste auch nicht mehr. Itachi wusste, dass er sich nicht irrte. Madara hatte sich verändert, so wie jeder andere. Er war vernünftig genug, sich nicht zu betrinken, wenn er noch vorhatte, ein Fahrzeug zu führen. Er sah die Welt rational, und er hatte Itachi längst durchschaut. Er kannte die Grenzen zwischen gemeinsamen Freunden, Itachis Freunden und seinen eigenen Freunden, er respektierte sie, andererseits schlug er eine Einladung auch nicht aus, eben weil Dinge sich veränderten und man diese Grenzen nicht ewig behalten musste. Und trotz allem, trotz all dieser Dinge, die Madara längst begriffen hatte, hielt er diese Fassade aufrecht, als wäre er immer noch derselbe Idiot, der fast alles mit zweideutigen Sprüche beantwortete, bis zum Gotteserbarmen versext war, sich um die Interessen anderer einen Dreck scherte, wenn sie seinen im Weg standen, der sich in Rivalitäten hineinsteigerte und der lachte, wenn Itachi ihn ohrfeigte. Selbst jetzt noch. „Sicher, dass du zu Fuß gehen willst?“ „Fick dich“, knurrte Itachi und drehte den Kopf zur Seite, um weiter zuzusehen, wie die anderen ihr Torero-Spiel mit Hidan als ‚wilder Stier‘ aufgaben und stattdessen mithilfe der roten Gardine posten. Itachi erwartete eine typische Erwiderung von Madara – er hatte praktisch eine Steilvorlage, wen oder was er fickte, nur nicht sich selbst. Es war alles ideal, die anderen hörten ihnen nicht zu, und Itachi konnte auf altbekannte, brüske Art reagieren, gefangen zwischen Scham, Ärger und geheimer Zufriedenheit. Er war nicht mehr klar, er durfte das. „Nicht so laut, was sollen denn die Nachbarn denken?“, spottete Madara. Itachi dämmerte, dass er wohl doch nicht so unbeachtet geblieben war, er sah sich als Ziel mehrerer neugieriger Blicke, Deidara schwenkte vorsichtshalber die Kamera auf ihn um. Konan brach schließlich das Schweigen. „Lasst uns Flaschendrehen spielen, solange sich noch jeder artikulieren kann!“ Itachi hörte auch das an ihrer Stimme, das Überdrehte, Vorschnelle, mit dem er vorhin ebenso reagiert hatte. Es war geradezu gemacht, um Zweifel zu wecken. Pein, der halb in den roten Vorhang verstrickt war, nutzte die Gelegenheit, um seine unrechtmäßige Toga abzustreifen. Auch er durchschaute seine Freundin. Itachi war zu verwirrt, um den Gedanken wirklich festzuhalten, oder er war einfach zu betrunken dazu. Kakuzu richtete seine ausdruckslosen, grünen Augen auf sie. Sie waren im Gegensatz immer noch beunruhigend nüchtern und bohrend. Itachi öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Seine Reaktion war zu langsam, er konnte es nicht schneller, es war verdächtig, ihm fiel nichts ein, und warum verflucht noch mal tat Madara nichts, um die Situation zu entschärfen? Er war doch sonst mit der Zunge schneller als mit jedem anderen Muskel! Itachi hatte das unangenehme Gefühl, dass er gerade errötete. Eigensabotage. „Das ist nicht… Wir…“, begann er, als Hidan schnaubte. Er lehnte sich gegen Kakuzu, und was auch immer hier gerade ablief, es war interessant genug, um diesen nicht zur Seite treten zu lassen wie eine launische Straßenlaterne. „Ihr fickt.“ Ihr fickt. So banal, ordinär, und… alles erklärend. Chapter One we didn’t really get too far Chapter Two I think I fell in love with you You said you’d stand by me in the middle of Chapter Three But you were up to your old tricks In Chapters Four, Five and Six Konan, gute Konan. Ihr Gesicht wurde so blass, wie Itachi vermutete, dass seines war. „Ich hab‘ nichts verraten, ehrlich!“ Dieses Weib…! Genau, ehrlich. Sie war zu ehrlich für diese Welt. Itachi starrte sie fassungslos an, es fühlte sich an, als würde das Blut in seinem Kopf versuchen, sich seinen Weg nach draußen zu pressen. „Ihr wusstet…?“ „Es war anschaulich hörbar“, brummte Sasori. Er hatte sein Handy aufgeklappt, aber er schrieb nichts. Vielleicht ließ er Orochimaru mithören, um ihm zu beweisen, dass schlechte Seifenopern nicht erst in einen Fernseher gequetscht werden mussten. „Such dir ein weniger aufdringliches Parfüm, Maddy, und seid wenigstens ruhig, bevor sich die Nachbarn wirklich beschweren, hm“, summte Deidara, ohne die Dokumentation zu unterbrechen. Und Itachi war zu betäubt, um ihn dazu zu zwingen. „Das könnte… besser sein. Vor allem, da sexuell übertragbare Krankheiten keine Erfindung der Neuzeit sind“, bemerkte Zetsu, und er machte nicht den Eindruck, als sei er nur entfernt angetrunken genug, um seine Worte nicht zu kennen. „Wenn Madara wirklich so schrecklich fahren würde wie in diesem Simulator, dürfte er jetzt nicht mal Fahrrad fahren“, meinte Kisame und hob entschuldigend die Schultern. Itachi sank nur noch tiefer ins Polster der Couch. „Es musste etwas faul sein, wenn ihr beiden widerlich-einträchtig herum salbadert“, brummte Kakuzu und bewies damit, dass Bauchgefühl nicht den Frauen vorbehalten war. „Ihr habt Händchen gehalten. Inmitten stahlharter Erotik!“, knurrte Hidan, als sei das eine persönliche Beleidigung. „Ihr glaubt doch nicht, dass sie wirklich den Mund-… Au!“ Itachi hatte eine vage Idee, was Pein gesagt hätte, hätte Konan nicht mit der Gardinenstange ausgekeilt. Es war… erschlagend. Und ungemein demütigend. Sein gesamter Freundeskreis hatte innerhalb eines Vierteljahrs herausgefunden, dass er… Was? Es sich lieber von einem Mann besorgen ließ, als sich endlich eine Freundin zu suchen? Dass er das Betthäschen von irgendwem war, der sowieso mit allem durchkam? Es würde die Zeit kommen, in der er sich verteidigte, hoffentlich. Momentan fand er alles nur widerlich. Und Madara tat so, als wäre da nur eine Anekdote erzählt worden, sein Gesicht hatte nicht im Mindesten die Farbe gewechselt. Selbst seine Augen waren nichts als kühles Schwarz, so unantastbar wie der Nachthimmel. In einer bedeckten Nacht, in der Wolken alles verbargen. Mona Lisa. Wie konnte man das nicht ernst nehmen? Alle schienen auf irgendetwas zu warten. Itachi wandte Madara den Kopf zu. Sein Nacken schmerzte und sein Magen füllte sich dumpf und schwer an, als müsste er sich erbrechen und wüsste nicht, warum. „Was ist…?“ Itachis Stimme schwankte nicht, aber in seinen eigenen Ohren klang sie entsetzlich leer. Er konnte sich nicht an das Wort erinnern, das dazu passte, aber nicht zu seinem Charakter. „Willst du’s noch etwas melodramatischer machen?“ Melodramatisch, das war das Wort. Und Madara sprach es aus, das war… nicht richtig, wirklich. Es war die schlimmste Blamage in Itachis Leben, und sie wäre nicht weniger vernichtend ausgefallen, wenn er nüchtern gewesen wäre. Was sie wesentlich gemildert hätte, wäre die Vorstellung, dass Madara vielleicht ähnlich diskret sein konnte. Itachi holte mit der rechten Hand aus – es war mittlerweile eine geübte Bewegung, er wusste sogar, wie er seinen Handballen anspannen musste, damit es einen lauten Klatsch gab und entsprechend schmerzhaft war. Die Welt um ihn herum verschwamm zu einem Wirbel aus Farben, der rote Vorhang leuchtete auf wie eine Ampel. Es war zum Ersticken. Es kam zu keiner Ohrfeige, stattdessen sprang Itachi auf. Er hatte gerade noch genug Zeit, die Mienen der anderen zu ignorieren, Schweiß verklebte seinen Nacken, der Atem stach in seiner Brust, statt dem Schwindel abzuhelfen. Er hatte das verdammte Spotlight und wusste nicht, wohin damit. Und Madara tat nichts, gar nichts. „Ich hab genug von dir.“ Von allen, aber von Madara am meisten. Es beschrieb es am besten, er hatte seinen Spaß gehabt, jetzt war Schluss mit dem Herumalbern. Itachis Gedanken klärten sich erst wieder ein wenig aus, als er draußen war. Er hatte ein paar aufgebrachte Stimmen gehört, doch hier auf dem Parkplatz war es ruhig, er war von Kisames Wohnung nicht einsehbar. Sein Atem gefror in der Luft, und die Kälte kribbelte auf seiner erhitzten Haut. Und es war zu viel Atem… Er hörte sein eigenes, keuchendes Atmen wie aus dem Innenraum einer großen Maschine, laut dröhnend und gleichzeitig fern, etwas, das automatisch geschah und über das er keine Macht hatte. Unter dem Nachthimmel verspürte er eine Euphorie wie nie zuvor, nie zuvor hatte er seine eigene Verwirrung als so überwältigend und erhebend zugleich empfunden. Seine Hände waren endlich wieder ruhig. Er nahm einen Stein auf, einen Grauen mit kleinen Quarzeinschlüssen, dessen Kiesbett das Gebäude säumte. Er schloss ihn in der Faust ein, genoss die kühle, sandige Oberfläche, er genoss auch das leise Knirschen, als er das Glas der Hornisse zersprengte. Die Scheibe des Tachometers war Plexiglas, sie bekam nur Kratzer, doch die Scheinwerfer, die Seitenspiegel, das Rücklicht, das war nicht so widerstandsfähig. Sogar die Windschutzscheibe bekam einen Riss, vermutlich war zuvor ein Steinschlag unbemerkt geblieben. Man sollte wissen, was man mit seinem Körper anrichtete – ganz essenzielle Geometrie. [2] Itachi atmete ein weiteres Mal tief ein, und das Dröhnen der Maschinen in ihm wurde leiser. Nachdenklich betrachtete er den Stein in seiner Hand. Er war zu groß, um in den Auspuff zu passen, doch ansatzweise ließ er sich hinein rammen. Itachi tat genau das und ließ dann vorsichtig seine Schultern kreisen. All das… war zu verwirrend, um es jetzt zu begreifen. And I’m giving you a longing look Everyday, everyday, everyday I write the book fin [1] Tatsächlich hat Konan am 20. Februar Geburtstag, bevor ich jemanden irritiere. Aber da habe ich zu Anfang einfach nicht drüber nachgedacht, also hat sie jetzt im November. [2] Es ist eine Anspielung, oder es soll eine sein, auf den Film „Teorema – Geometrie der Liebe“. Ein historischer Film, in dem ein schöner Gast einen ganzen Haushalt verführt und auch sexuellen Verkehr hat (wie Madara), durch sein Verschwinden aber die verschiedensten persönlichen Desaster auslöst. Itachi reagiert gewissermaßen ähnlich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)