Welcome to my life von Karma ================================================================================ Von entlaufenen Katzen, Todesangst und einer unheimlichen Begegnung der gruseligen Art -------------------------------------------------------------------------------------- Ohne viel Vorgelaber: Das hier ist für mein Liebes, als kleines Trösterchen für das, was ihr heute passiert ist. *Eisbeutel geb* Hoffentlich ist das bald wieder okay. *gesundknuddel* Enjoy! Karma ~*~ "Jan, hilf mir mal! Slim ist schon wieder abgehauen!" Wie üblich platzt Franzi, meine ältere Schwester, auch jetzt einfach ungefragt in mein Zimmer und belästigt mich wieder mal mit Sachen, die mich einen feuchten Scheiß interessieren. Sie macht sich natürlich auch nicht die Mühe, vorher anzuklopfen oder auf meine Erlaubnis zu warten. Warum denn auch? Bin ja nur ich. Rücksicht auf mich nehmen? Fehlanzeige! Wäre ja auch nett und Nettigkeit mir gegenüber wäre ja eh pure Zeitverschwendung. Womit habe ich diese Trulla bloß als Schwester verdient? "Such das blöde Vieh gefälligst alleine!", motze ich, ohne sie anzusehen, und versuche danach erfolglos, mich wieder auf meine restlichen Hausaufgaben zu konzentrieren, die ich eigentlich in den Ferien hätte machen sollen. Welcher Idiot hat eigentlich festgelegt, dass Lehrer ihren armen, sowieso schon von viel zu viel Unterricht gequälten Schülern über die Ferien auch noch Hausaufgaben aufgeben dürfen? Das ist doch unfair! Meine gedankliche Beschwerde verhallt allerdings ungehört und auch meine Weigerung, meinem herzallerliebsten Schwesterlein – hört man die Ironie? – bei der Suche nach ihrer dämlichen Katze zu helfen, verpufft, ohne Wirkung zu zeigen. Nach einer unfreiwilligen Drehung meines Schreibtischstuhls um 180 Grad finde ich mich daher auch gleich mit Franzis ärgerlichen Gesicht konfrontiert. Wenn sie nicht immer so schauen würde, als hätte sie in eine Zitrone gebissen, wäre sie sicher hübscher. Obwohl sie sich eigentlich auch so wirklich nicht über Verehrermangel beschweren kann. Liegt wahrscheinlich daran, dass ich eh grundsätzlich der Einzige bin, der ihre ganzen Launen und Zickereien ausbaden muss. Das Leben ist echt ungerecht. "Nichts da! Du wirst mir schön dabei helfen.", grollt Franzi und piekst mir mit dem Zeigefinger gegen die Schulter, so dass sich ihr Fingernagel durch den Stoff meines schwarzen Shirts in meine Haut bohrt. Weiß die blöde Kuh eigentlich, wie weh das tut? Wahrscheinlich. Sonst würde sie's ja nicht machen. Wie schon gesagt, jegliche Nettigkeit ist an mich ja sowieso verschwendet. Miststück! "Sonst kannst Du ab morgen früh nämlich wieder mit dem Bus zur Schule fahren, Jannilein", droht besagtes Miststück mir gerade mit einem zuckersüßen Lächeln, das ihre Augen nicht erreicht, und ich habe das Bedürfnis, sie zu erwürgen. Nicht mal so sehr für diese Drohung – obwohl das auch verdammt fies von ihr ist; sie weiß ganz genau, dass ich armer Langschläfer früher aufstehen muss, wenn ich auf den blöden Bus angewiesen bin –, sondern hauptsächlich für diesen dämlichen Spitznamen. Jannilein. Wie das schon klingt! Das hört sich an als wär ich fünf und nicht sechzehn. Dämliche Kuh! Da alles Grummeln und Weigern meinerseits jetzt allerdings keinen Sinn mehr hat, stehe ich widerwillig von meinem Stuhl auf und quetsche mich an meiner Schwester vorbei, um mir wenigstens noch schnell meine schwarze Kapuzenjacke überzuziehen. Es ist schließlich Oktober und verdammt eisig da draußen, da werde ich garantiert nicht nur mit einem dünnen Shirt bekleidet durch die Botanik latschen, um Franzis Scheißkatze zu suchen. Ich hab nämlich absolut null Bock darauf, morgen deswegen mit einer fetten Erkältung flachzuliegen. Danke, aber danke, nein. Das muss ich mir echt nicht geben. Sicher, rein theoretisch hätte ich nichts gegen verlängerte Ferien einzuwenden – die vergangenen zwei Wochen waren einfach zu kurz –, aber krank sein ist einfach scheiße. Da nehme ich doch lieber die Schule in Kauf, anstatt mich von meiner Mutter verhätscheln und betüddeln zu lassen wie ein Kleinkind. Das ist doch peinlich. Um nicht weiter über so einen Mist nachzudenken, stapfe ich durch den Flur, schlüpfe noch schnell in meine grauen Chucks und mache dann, dass ich aus der Wohnung komme. Je eher ich das blöde Mistvieh von Slim gefunden habe, denke ich mir pragmatisch, desto schneller kann ich wieder nach Hause und mich meinen heißgeliebten – ich könnte kotzen – Hausaufgaben widmen. Fröstelnd die Hände in meiner Jacke vergrabend – es ist echt noch viel eisiger als ich gedacht habe; ich hätte meine Handschuhe mitnehmen sollen – latsche ich bei uns die Straße entlang und werfe unter meiner Kapuze und meinen schwarz gefärbten Ponyfransen hindurch immer mal wieder einen Blick in die Büsche rechts und links meines Weges, die so aussehen, als könnte Franzis dummer Kater sich möglicherweise da drin verstecken. Dabei fluche ich abwechselnd lautlos auf alles, was mir gerade so einfällt. Auf das beschissene Wetter, auf meine dämliche Schwester, weil sie mich in die Kälte rausgescheucht hat, auf meine Mutter, weil sie das nicht verhindert hat, und auf die Scheißkatze, wegen der ich überhaupt erst bei diesen arktischen – oder antarktischen, ich komm da immer durcheinander; Erdkunde war noch nie eine meiner starken Seiten – Temperaturen das zweifelhafte Vergnügen habe, mir den Arsch abzufrieren. Hatte ich eigentlich schon erwähnt, dass Slim ein schwarzer Kater ist? Nein? Tja, ist aber so. Er ist schwarz wie die Nacht, was es natürlich gleich noch schwieriger macht, ihn zu finden. Yeah, ich hasse mein Leben! "Slim? Slim, Du dämliches Mistvieh, komm raus!" Ich bin mir durchaus bewusst, dass es lächerlich ist, nach dem blöden Kater zu rufen – der gehorcht mir ja eh nicht –, aber irgendwie tut es mir gut, meine eigene Stimme zu hören. Es ist nämlich schon ziemlich dunkel und so kalt, dass mein Atem kleine Dampfwölkchen in der eisigen Luft hinterlässt. Und die Tatsache, dass ich hier in dieser nebligen Suppe mutterseelenallein bin, trägt auch nicht unbedingt zu meinem gesteigerten Wohlbefinden bei. "Ich schwör Dir, ich bring Dich um! Und dieses Mal mein ich's verdammt noch mal ernst!" Verdammt, wo steckt dieses Scheißvieh bloß? Und warum konnte meine dämliche Schwester nicht ein einziges Mal aufpassen, dass ihre blöde Katze in ihrem Zimmer bleibt? Dieses Vieh ist doch echt so dumm, dass es fast schon an ein Wunder grenzt, dass es immer noch lebt. Aber gut, irgendwo kann ich Slim auch verstehen. Wer mit meiner Schwester Franzi zusammenlebt, entwickelt nun mal zwangsläufig über kurz oder lang den dringenden Wunsch, vor ihr zu flüchten. Genau betrachtet hat Slim eigentlich nur das gemacht, was ich selbst oft genug auch am liebsten tun würde. Dumm nur für mich, dass ich gar nicht auf die Idee kommen brauche, ohne das Mistvieh von Katze wieder zu Hause aufzutauchen. Falls ich mich das nämlich wage, bringt meine Schwester mich garantiert um. Tolle Aussichten, wirklich. Kann mich mal bitte jemand erschießen? "Sieh mal einer an, die Emo-Tunte!" Habe ich nicht gerade gefragt, ob mich mal jemand erschießen kann? "Hey, ich rede mit Dir, Schwuchtel!" Diesen Worten folgt ein Stoß von hinten gegen meine Schulter, der mich straucheln lässt. Glücklicherweise gelingt es mir allerdings, mich nicht äußerst unelegant der Länge nach auf die Fresse zu legen. Was bin ich doch für ein Glückspilz. Und ja, das war ironisch gemeint, falls das nicht klar ersichtlich war. Auf der Suche nach einem Halt ertaste ich kaltes Metall unter meinen Fingerspitzen und als ich mich zu demjenigen umdrehe, der mich gerade so überaus "freundlich" begrüßt hat, rutscht mir das Herz in die Hose. Kevin. Kevin Döring, einer der "tollen" Hopper aus meiner neuen Klasse. Der Name klingt schon reichlich bescheuert, aber das ist bei dem Typen sogar noch geschmeichelt und untertrieben. Der ist so dämlich, wie er lang ist. Und er ist verdammt groß. Einsfünfundsiebzig, einsachtzig mindestens. Dagegen bin ich ein Winzling – nicht, dass das schwer wäre. Gegen Kevin ist so ziemlich jeder klein. Und da ich eh schon kleiner bin als der Durchschnitt – auch die Mädchen – meiner neuen Klasse ... Ähm, ja. Lassen wir das. "Was willst Du?" Oh-oh, das hätte ich mir mal besser verkneifen sollen. Das Grinsen, das sich bei meiner patzigen Frage auf Kevins Lippen legt, gefällt mir ganz und gar nicht. Na wunderbar, jetzt geht das Spielchen "Mobben wir den kleinen Emo" in die nächste Runde. Ich hatte eigentlich gedacht, dass ich wenigstens bis morgen früh noch Schonfrist haben würde. Das war ja wohl nichts. Ganz toll, Jan, wirklich. War ja klar, dass ich ausgerechnet heute noch in diesen liebenswürdigen Zeitgenossen reinlatschen musste. Der heutige Tag war ja auch noch nicht beschissen genug ohne eine Begegnung mit meinem persönlichen Alptraum. An dieser Stelle möchte ich noch mal auf die Bitte mit dem Erschießen zurückkommen. Und das möglichst schnell, wenn ich bitten darf. Ein kurzer und schmerzloser Tod durch einen Kopfschuss ist sicher wesentlich angenehmer als das, was mir sonst jetzt bevorsteht. "Willst Du etwa frech werden, Schwuchtel? Solltest Du jetzt nicht lieber zu Hause rumhängen, Gedichte schreiben, in Dein Kissen heulen oder Dich ritzen?" Erst als ich eine zweite Stimme höre, fällt mir auf, dass Kevin nicht alleine ist. Eigentlich hätte ich mir das ja denken können. Wo immer dieser Klotzkopf ist, sind seine beiden Pfeifenfreunde Carsten Rösner und Malte Brenning auch nicht weit. Ganz toll. Ich bin am Arsch. Definitiv. Die Drei machen garantiert Hackfleisch aus mir – egal, was ich jetzt sage oder tue. Ich bin auf jeden Fall erledigt. Hoffentlich bleibt von mir wenigstens noch ne hübsche Leiche übrig, wenn die erst mal mit mir fertig sind. "Willst Du nicht mal langsam antworten, Schwuchtel?" Wie oft wollen die mich eigentlich noch so betiteln? Das geht schon so, seit ich nach den Sommerferien in die neue Klasse gekommen bin. Ehrenrunde. Sagte ich nicht schon, dass ich ein Glückspilz bin? Und ja, so ziemlich meine ganze neue Klasse besteht aus solchen Vollhonks. Gut, die obligatorischen Streber – zwei Stück an der Zahl – gibt’s auch, aber die fallen nicht wirklich ins Gewicht. Außerdem haben selbst die einen besseren Stand als ich. Seit ich nämlich da bin, werden die nicht mehr gemobbt. Stattdessen krieg ich die geballte Ladung "Liebe" meiner ach so tollen Mitschüler ab. Und das nur, weil ich aussehe, wie ich eben nun mal aussehe. Aber was kann ich denn bitte dafür, wenn ich zu viel Geschmack hab, um Baggypants anzuziehen, die mir bei der ersten unvorsichtigen Bewegung gleich vom Arsch zu rutschen? Ich mag Röhrenjeans, Kapuzenpullis und -jacken, Chucks und knappe Shirts nun mal lieber als diese Hopperklamotten. Mal ganz davon abgesehen, dass die auch schon rein objektiv betrachtet einfach nur lächerlich wirken. "Ich hab euch nichts zu sagen." Irre ich mich oder zittert meine Stimme tatsächlich? Na toll, das hat mir gerade noch gefehlt. Damit haben diese drei Spacken ja gleich noch mehr gegen mich in der Hand. Warum muss so was eigentlich immer mir passieren? "Und jetzt muss ich nach Hause." Ja, Jan, super. Jetzt hast Du's ihnen aber richtig gegeben. Ab dem heutigen Tag werden sie garantiert vor Ehrfurcht erzittern, wenn sie nur Deinen Namen hören oder Dich zu Gesicht bekommen. Ironisch? Ich? Nicht doch! Niemals. Und solche Worte wie Sarkasmus oder Zynismus gibt’s in meinem Wortschatz auch nicht. Kann man das essen? "Och, der Kleine muss nach Hause zu seiner Mama." Maltes Stimme klingt spöttisch und so sehr ich ihn auch verabscheue, ich kann's ihm nicht verdenken, dass er sich jetzt über mich lustig macht. Die Vorlage dafür habe ich ihm und seinen dämlichen Kumpels schließlich gerade selbst praktisch auf dem Silbertablett serviert. Eigene Blödheit, wie man so schön sagt. Trotzdem will ich einfach nur noch hier weg. Scheiß auf Franzis blöden Kater. Der kommt schon von selbst wieder nach Hause, wenn er erst mal Kohldampf hat. Hier geht's gerade um mein Leben – oder zumindest um meine körperliche Unversehrtheit –, also seien mir die Feigheit und der Egoismus verziehen. Bevor ich noch etwas sagen oder mich an den drei Pfeifen vorbeimogeln kann, packt Kevin mich am Kragen meiner Kapuzenjacke und drückt mich rücklings gegen das Metall, an dem ich mich gerade noch haltsuchend festgekrallt hab. Ich werfe aus dem Augenwinkel einen Blick nach hinten und kann förmlich spüren, wie mein Gesicht sämtliche Farbe verliert. Scheiße, wie bin ich denn auf die Brücke gekommen? Und warum, verflucht noch mal, mussten diese drei Vollidioten mich ausgerechnet hier erwischen? Verdammt, ich hasse mein Leben! Warum trifft so eine Scheiße eigentlich immer nur mich? "Lass mich los!" Meine Stimme klingt schrill und panisch, das weiß ich, aber im Augenblick ist mir das vollkommen egal. Ich will einfach nur hier weg! Ja, verdammt, ich habe Höhenangst! Tierische Höhenangst sogar. Na und? Ist das vielleicht ein Verbrechen? Als ob ich der einzige Mensch auf der Welt wäre, der Probleme mit Höhen hat. Gut, diese Brücke hier ist nicht besonders hoch – vier, fünf Meter vielleicht –, aber direkt darunter liegen die Bahngleise. Wenn ich mir vorstelle, dass ich über das Geländer und auf die Gleise falle, wenn gerade ein Zug kommt ... Nein, ganz falsche Bilder! An so was will ich wirklich nicht denken. Dummerweise krieg ich den Gedanken jetzt, wo er sich einmal festgesetzt hat, allerdings nicht mehr aus dem Kopf. Das Einzige, was mir jetzt helfen würde, wäre, großen – und ich meine wirklich großen – Abstand zwischen mich und diese Scheißbrücke zu bringen, aber das ist mir durch Kevins fast schon schraubstockartigen Griff um meinen Kragen leider nicht möglich. Und blöderweise ist dieser sonst so begriffsstutzige Vollidiot alles andere als dumm, wenn es darum geht, die Ängste Anderer zu erkennen und sie auszunutzen. "Kuckt euch das an, Jungs! Die Schwuchtel hat Angst vor ein bisschen Höhenluft!", spottet Kevin und wie auf Kommando fangen Malte und Carsten an, sich auch noch weiter über mich lustig zu machen. "Mach Dir mal nicht ins Hemd, Kleiner. Ihr Emos steht doch auf so'n Zeug. Hier kann man bestimmt toll runterhopsen, wenn man sich umbringen will." War ja klar, dass Malte sofort ins gleiche Horn tuten muss wie sein dämlicher Freund Kevin. Normalerweise würde ich jetzt mit einem Spruch über Idioten, die ihren Möchtegern-Anführern alles nachplappern müssen, kontern, aber dafür bin ich gerade viel zu sehr mit dem Versuch beschäftigt, Kevins Finger endlich von meiner Jacke zu lösen. Da er allerdings um einiges stärker ist als ich, gelingt mir das natürlich nicht. Und als wär das nicht schon schlimm genug, merke ich auch noch, wie ich langsam den Boden unter den Füßen verliere, weil Kevin auf die überaus beschissene Idee gekommen ist, mich hochzuheben. Panisch blicke ich in sein Gesicht, aber er grinst mich einfach nur breit und fies an. Wenn ich nicht so eine Scheißangst hätte, würde ich ihn jetzt treten, aber ich kann im Moment einfach nur hilflos in seinem Griff rumzappeln. Dabei spüre ich zu meinem Entsetzen, wie mir Tränen in die Augen steigen. Verdammte Scheiße, ich kann doch jetzt nicht auch noch ausgerechnet vor diesen Honks anfangen zu heulen! Noch peinlicher geht's ja wohl nicht mehr. "K-Kevin, hör ... hör auf! Das ...das ist nicht witzig! L-Lass m-mich runter! Bitte!" Meine Stimme schwankt irgendwo zwischen Kreischen und Winseln und es ist mir vollkommen egal, dass ich sogar schon angefangen habe zu betteln. Hauptsache, die Drei lassen mich endlich in Ruhe. Ich will einfach nur noch hier weg, egal wie. Meine unübersehbare Panik das scheint das Trio vor mir allerdings höchstens noch mehr zu belustigen und anzustacheln. Carsten und Malte setzen gerade dazu an, ebenfalls zuzugreifen und mich noch zusätzlich festzuhalten – oder vielleicht wollen sie mich auch gleich über das Geländer werfen, was weiß ich –, als sich hinter ihnen jemand räuspert. "Seit ihr nicht ein bisschen zu alt für solche Kinderspielchen?", fragt eine tiefe, dunkle Männerstimme, deren Ursprung ich nicht erkennen kann. Aber wer auch immer das ist, er kann sich meiner ewigen Dankbarkeit sicher sein, denn Kevin lässt mich tatsächlich los, so dass ich unsanft mit meinem Hintern auf dem kalten Boden lande. Und während ich damit beschäftigt bin, mich wieder aufzurappeln, ohne gleich wieder umzukippen, machen er und seine Idiotenfreunde Front gegen den Typen, dem ich meine Rettung verdanke und den ich von jetzt an in alle meine Gebete einschließen werde. Dass ich eigentlich ganz und gar nicht gläubig bin, lasse ich jetzt einfach mal unter den Tisch fallen. "Misch Dich da gefälligst nicht ein, Du ..." Mitten im Satz bricht Kevin ab, noch bevor er überhaupt eine Beleidigung über die Lippen bringt. Ich habe mich inzwischen zumindest wieder so weit gefasst, dass ich auf gummiartigen Beinen wenigstens halbwegs aufrecht stehe und mich mit zitternden Fingern an das Brückengeländer klammern kann. Noch immer rast mein Herz wie verrückt, aber als ich meine Aufmerksamkeit auf die Szene vor mir richte, sehe ich etwas, das ich nie für möglich gehalten hätte: Kevin macht Stielaugen und er wird mindestens ebenso blass, wie ich es gerade noch war. Seine beiden Kumpels sehen genauso geschockt aus wie er und ich habe das unbestimmte Gefühl, etwas Wichtiges verpasst zu haben. Was ist denn auf einmal in die gefahren? "Shit! Bloß weg hier!" Noch bevor ich wirklich weiß, was hier eigentlich los ist, ist von Kevin, Malte und Carsten nur noch eine Staubwolke zu sehen. Ich wusste gar nicht, dass die so schnell rennen können. Haben die gerade einen Bullen gesehen oder warum türmen die plötzlich, als wäre der leibhaftige Teufel hinter ihnen her? Die Antwort auf diese Frage bekomme ich schneller als mir lieb ist. "Alles in Ordnung mit Dir, Kleiner?", erkundigt sich nämlich der Typ, dem ich meine wundersame Rettung zu verdanken habe, und als ich zu ihm aufblicke, werde ich auch gleich wieder blass. Ach Du heilige Scheiße, was ist das denn für einer? Seit wann gibt’s denn bitteschön Menschen mit schwefelgelben Augen? So was hab ich ja noch nie gesehen! Es dauert einen Moment, bis mir dämmert, dass der Kerl, der da vor mir steht, offenbar gelbe Kontaktlinsen trägt. In der Sekunde, in der mir das bewusst wird, komme ich mir unglaublich dämlich vor, aber eine Hand mit schwarz lackierten, spitz gefeilten Fingernägeln, die vor meinem Gesicht herumwedelt, holt mich wieder in die Realität zurück. "Hey, ist alles in Ordnung mit Dir?", erkundigt sich der Typ noch mal und ich glaube, so etwas wie Besorgnis in seiner Stimme – die, nebenbei bemerkt, auch echten Gänsehautfaktor hat – mitschwingen zu hören. Mechanisch nicke ich und dabei schweifen meine Blicke über den Rest seiner Erscheinung – etwas, das ich mal besser gelassen hätte. Spätestens jetzt verstehe ich nämlich, warum Kevin und seine beiden Deppenfreunde so schnell Reißaus genommen haben. Shit, ist der Kerl gruselig! Lange glatte, pechschwarze Haare, dazu ebenso pechschwarze Klamotten samt hohen Schnürstiefeln, langem Ledermantel und gelben Kontaktlinsen – ich glaub, ich hab noch nie einen leibhaftigen Menschen gesehen, vor dem's mich auf den ersten Blick so gegruselt hat. Dagegen sind die ganzen Hopper in meiner Klasse, die sich für ach so toll halten, eindeutig nur Kinderkacke. Hilfe! "Hast Du Deine Zunge verschluckt, Kleiner?" In der Stimme von Mr. Unbekannt – ist der aus einem Horrorfilm entsprungen oder was? – schwingt jetzt eindeutig ein belustigter Unterton mit, aber so sehr ich mich auch über das "Kleiner" aufregen möchte – niemand darf mich so nennen, außer vielleicht meinem besten Freund Jassi –, ich kann nur stumm den Kopf schütteln, weil ich kein einziges Wort über meine Lippen kriege. Peinlich ohne Ende, aber dagegen kann ich nichts machen. Aber hey, man begegnet schließlich auch nicht jeden Tag jemandem, vor dem die persönlichen Erzfeinde aus der Klasse fast schon schreiend die Flucht ergreifen, oder? Also mir passiert so was heute definitiv zum ersten Mal. "Ich ... ähm ... Mir ... geht's gut, glaub ich", stottere ich schließlich und auf den Lippen von Mr. "Ich bin einem extra unheimlichen Vampirfilm entstiegen, um arme kleine Jans zu Tode zu erschrecken" erscheint ein Lächeln, das fast schon nett aussieht und genau deshalb nur noch umso gruseliger auf mich wirkt. Ernsthaft, was ist das für einer? Und will ich das überhaupt wirklich wissen? Wär's nicht besser, wenn ich meine Neugier im Zaum halte und es nicht weiß? Ich meine, manche Dinge bleiben doch besser ungesagt, oder? Immerhin hat er mich gerade praktisch vor diesen drei Idioten gerettet, also weiß ich damit doch eigentlich genug. Kann mir doch egal sein, ob der von irgendeinem Friedhof entlaufen ist, um arglose, halb erfrorene Jungs, die den Kater ihrer großen Schwester suchen und dabei fast von einer Brücke geworfen werden, zu überfallen, zu verschleppen und ... Okay, das wird jetzt eindeutig zu abgedreht – selbst für meine Verhältnisse. "Dann ist ja gut. Kannst Du ..." Weiter kommt Mr. "Ich könnte in jedem Horrorfilm problemlos den Obervampir spielen" nicht. Aus seinem Mantel taucht nämlich just in diesem Moment ein schwarzer, pelziger Kopf auf und ein Paar grüner Katzenaugen sieht mich an. Gleich in der nächsten Sekunde beginnt Slim, dieses Mistvieh – denn genau dem gehören der Kopf und die Augen –, bei meinem Anblick zufrieden zu schnurren, was bei mir jedoch nur dafür sorgt, dass ich meine gerade erst ausgestandene Todesangst vergesse und das elende Katzenvieh mit dem mir eigenen, leider bisher vollkommen nutzlosen Todesblick durchbohre. "Slim, Du dämliches Aas, das ist alles nur Deine Schuld!", pflaume ich den Kater an, der mich ansieht, als wär er die personifizierte Unschuld. Ha, als ob ich diesem miesen, hinterhältigen, dreckigen Scheißvieh das glauben würde! So weit kommt's noch! Ich fass es einfach nicht! Ich erfriere hier fast, werde überfallen und um ein Haar umgebracht und diese Dreckskatze hat sich zu irgend so einem Gruseltypen geflüchtet und es sich unter seinem Mantel bequem gemacht. "Dachte ich mir doch gleich, dass das Slim ist", unterbricht Mr. Obervampir meine gedanklichen Hasstiraden auf diese katzenähnliche Ausgeburt der Hölle, aber ich achte nicht darauf. Sobald ich dieses Drecksvieh in die Finger kriege, drehe ich ihm den Hals um – endgültig diesmal. Diese Scheiße heute war definitiv der letzte Mist, den dieses elende Fellbündel sich geleistet hat. Ich werde mir einen Sack besorgen, Steine reinschaufeln und das Mistvieh in der Regentonne hinterm Haus ersäufen. Oder ich mache das in dem kleinen Bach bei uns in der Nähe. Scheiß auf Franzi. Die kann mich mal. Hätte sie besser auf ihre Scheißkatze aufgepasst, wäre mir dieser ganze Mist heute erspart geblieben. Erst als Mr. Gruselig zum zweiten Mal mit einer Hand vor meinem Gesicht rumwedelt und so mein Blickduell mit Slim unterbricht, sehe ich ihn doch wieder an. "Dann musst Du Jan sein", stellt er fest und lacht, als ich nur verständnislos blinzele. "Ist Dir nicht kalt?", fragt er dann und ich nicke einfach nur, etwas aus dem Konzept gebracht von dem plötzlichen Themenwechsel. Woher kennt dieser schaurige Kerl meinen Namen? Und will ich das wirklich wissen? "Willst Du ihn nehmen?" Damit nickt Mr. Oberzombie zu Slim, der immer noch schnurrt und dabei so aussieht, als könnte er kein Wässerchen trüben. Ich schenke dem Kater noch einen Blick, der ihm alle Qualen der Hölle verspricht, und Mr. "Ich hab mein Halloweenkostüm jetzt schon angezogen, obwohl der Oktober gerade erst angefangen hat" schmunzelt einfach nur. "Ich fasse das mal als Nein auf", murmelt er und ich grummele etwas, das sich mit viel Fantasie als "Ich bring das Scheißvieh um" übersetzen lässt. Von meinem schaurigen Retter – warum in aller Welt klingt das bitteschön so verdammt dämlich? – kommt ein weiteres leises Lachen als Antwort auf diese Worte und ich kriege schon wieder eine Gänsehaut am ganzen Körper. Der Kerl ist aber auch echt gruselig! Allerdings scheine ich mit dieser Meinung vollkommen alleine dazustehen. Slim, der miese Verräter, kuschelt sich nämlich wieder unter den Mantel von Mr. Kinderschreck und schließt zufrieden die Augen, ohne mit dem Schnurren aufzuhören. Dafür hasse ich diese elende Scheißkatze gleich noch mehr. Verdammt, warum wärmt mich eigentlich niemand? Öhm ... okay, das streichen wir besser. Das war jetzt nämlich ziemlich missverständlich. Ich will damit auf keinen Fall andeuten, dass ich mit Slim tauschen und von diesem Vampirfreak warmgekuschelt werden will. Ganz und gar nicht. Nein, ich wollte damit einfach nur sagen, dass ich jetzt auch gerne einen warmen Mantel hätte. Ja, genau. Ich und mit Slim tauschen ... nee, wirklich nicht. Was denke ich hier eigentlich? Ich glaub, mir sind bei der Sucherei ein paar Hirnzellen eingefroren. Ich sage ja, Kälte ist scheiße. Alles nur Slims Schuld. Und Franzis. Der werde ich was husten, wenn ich nach Hause komme! Die kann sich jetzt schon mal auf was gefasst machen! Das heute war definitiv der letzte Gefallen, den ich diesem Miststück in meinem ganzen Leben getan habe. Die hat bei mir ausgeschissen bis in die Steinzeit und zurück, jawohl! "Wenn Du noch weiterläufst, stößt Du Dir gleich den Kopf." Ich schrecke aus meinen Rachephantasien auf und blinzele Mr. Horrorfilmfan verständnislos an. "Hä?", frage ich nicht sehr intelligent nach und er deutet einfach nur mit seiner freien rechten Hand – Slim liegt immer noch in seinen linken Arm gekuschelt da und schnurrt wie ein Rasenmähermotor – auf die Haustür, vor die ich um ein Haar mit voller Wucht gelatscht wäre. Wie komm ich denn jetzt hier hin? Bin ich etwa den ganzen Rückweg über wie ein Schäfchen neben diesem gruseligen Kerl hergelatscht, ohne das mitzukriegen? Muss ja wohl, oder? Aber verdammt, das bedeutet ja wohl im Klartext, dass er jetzt weiß, wo ich wohne! Was mach ich denn, wenn der mir jetzt ins Haus folgt und mich in den Keller verschleppt, um da ... irgendwas Unaussprechliches mit mir zu machen? Scheiße, wie blöd bin ich eigentlich? Bevor ich dazu komme, mich gedanklich für meinen sträflichen Leichtsinn zu ohrfeigen – was, wenn der Typ einer von diesen satanischen Killern ist, über die immer mal wieder was in den Nachrichten kommt? –, zückt mein gruseliger Begleiter einen Schlüssel und schließt, begleitet von einem garantiert mehr als dämlichen Blick meinerseits, den er entweder nicht bemerkt oder einfach nur ignoriert, die Haustür auf. Als ich begreife, was das bedeutet, bildet sich ein Kloß in meinem Hals, den ich nur mit äußerster Mühe wieder runterschlucken kann. Scheiße, der Kerl wohnt im gleichen Haus wie ich! Ich bin ja so was von geliefert! Und nicht nur ich. Was ist mit meinen Schwestern? Hey, wir haben offensichtlich seit neustem einen psychopatischen Wahnsinnigen im Haus wohnen! Wahrscheinlich hat der Slim nur gerettet, um ihn baldmöglichst opfern zu können – und Vicky und mich wahrscheinlich gleich mit. Immerhin ist Franzi ja keine Jungfrau mehr, also hat sich das bei ihr ja wohl erledigt. Dass das Miststück aber auch immer so ein unverschämtes Glück haben muss! "Willst Du nicht langsam reinkommen?" Die Stimme des Psychokillers klingt fragend und ich schlucke erneut, während eine neue Gänsehaut meinen ganzen Körper überzieht. Jetzt, so im Halbdunkel des Hausflurs, scheinen seine gelben Kontaktlinsen förmlich zu leuchten und mein Mund wird ganz trocken. Im Vergleich zu der Panik, die ich jetzt gerade schiebe, war das vorhin auf der Brücke nur ein ganz kleines bisschen erschreckend. Das hier allerdings ist verdammt noch mal scheißegruselig! Was mach ich denn jetzt? "Oder willst Du da Wurzeln schlagen, Kleiner?" Jetzt klingt Mr. Psychos Stimme eindeutig amüsiert – wieder auf meine Kosten, aber das bin ich ja schon gewöhnt –, aber ich schaffe es trotzdem nicht, mich vom Fleck zu bewegen. Meine Füße bleiben einfach wie angewurzelt stehen und weigern sich ebenso, seiner Aufforderung zu folgen, wie sie auch den Befehl meines Hirns – kopflose Flucht wie Kevin und seine Kumpels vorhin – verweigern. Scheiße! Anscheinend sieht Mr. Schwarzfetischist mir meine blanke Panik an der Nasenspitze an – ich schätze, das ist auch verdammt schwer zu übersehen –, denn seine Mundwinkel biegen sich ganz leicht nach oben und er schüttelt den Kopf. "Jetzt komm endlich rein, Kleiner. Ich werd Dich schon nicht auffressen", verspricht er mir belustigt und obwohl ich ihm nicht wirklich glaube, bewegen sich meine Füße jetzt auf einmal doch und machen langsame, zögerliche Schritte auf ihn zu. Verräter! "Und ... und opfern?", entschlüpft es mir leise, bevor ich es verhindern kann. Schnell weiche ich seinem Blick aus, damit er nicht sieht, dass ich rot werde. Aber anstatt mich anzuschreien oder mich gleich hinter sich her zu zerren, lacht er einfach nur. "Keine Angst, Kleiner", antwortet er, nachdem er sich wieder etwas beruhigt hat. "So was ist nicht mein Stil", versichert er mir dann und ich sehe ihm nun doch wieder ins Gesicht. Auf seinen Lippen liegt ein amüsiert aussehendes Grinsen und bevor ich etwas sagen kann, bekomme ich Slim in die Arme gedrückt, der sich gleich an mich schmiegt und schnurrend seinen Kopf an meinem Kinn reibt. Super, und schon wieder bin ich voller Katzenhaare. Ganz toll. Ich sollte das blöde Vieh doch umbringen. Verdient hätte er's auf alle Fälle. "Weißt Du, Kleiner, Du solltest nicht alles glauben, was in den Nachrichten über uns erzählt wird. Wahrer Satanismus hat absolut nichts mit der Opferung von Tieren, Jungfrauen oder kleinen Kindern zu tun. Im Gegenteil. Wer so was tut, ist kein echter Satanist." Mit diesen Worten lässt Mr. Gruselig mich mitten im Flur stehen und steigt die Treppen in die erste Etage hoch, wo er ganz offenbar wohnt. Ich blicke ihm vollkommen verdattert nach und weiß nicht, was ich denken oder fühlen soll. Heilige Scheiße, war das ein durchgeknallter Tag! Meine Starre löst sich erst, als Franzi die Tür zu unserer Wohnung aufreißt und mich samt ihrem Kater hineinscheucht. Aber erst als ich längst wieder in meinem Zimmer bin und gerade meine Kapuzenjacke ausziehen will, fällt mir auf, dass ich noch nicht mal weiß, wie der Typ – der ja wohl offenbar unser neuer Nachbar ist – eigentlich heißt. Außerdem hab ich mich auch gar nicht bei ihm dafür bedankt, dass er mich auf der Brücke vor Kevin und seinen beiden Freunden gerettet hat. Scheiße, wie unhöflich war das denn? ~*~ So, das war's auch schon. Feedback wär nett, aber das wisst ihr ja. ^.~ Bis zum nächsten Mal! *wink* Karma Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)