Welcome to my life von Karma ================================================================================ Von Friedhofsbesuchen, den drei Musketieren und unerwarteter Hilfe ------------------------------------------------------------------ Und der nächste Versuch, nachdem mir mein I-net abgeschmiert ist. -.- Ich hasse es, alles zigmal neu machen zu müssen. *grml* Ein fettes DANKESCHÖN für die lieben Kommentare an , , , , , , , und . Ausführliche Antworten gibt's morgen wieder, wenn's auch das nächste Kapitel gibt. *gerade zu genervt ist* Ihr werdet mich übrigens wahrscheinlich für dieses Kapitel schlagen. Vor allem für den Cliffi am Ende. Aber keine Sorge, morgen geht's ja schon weiter. ^.~ Karma ~*~ Als ich am Sonntagmorgen aufwache, weiß ich im ersten Moment nicht genau, wo ich mich befinde. Allerdings bin ich noch viel zu müde und es ist auch viel zu gemütlich, um jetzt schon aufzustehen, also klappe ich meinen Augen, die ich kurz geöffnet habe, gleich wieder zu und kuschele mich noch etwas tiefer in die Decke. Hier ist es wirklich schön warm. Ja, doch, hier bleibe ich. Wenigstens noch ein Weilchen. Immerhin konnte ich schon gestern nicht richtig ausschlafen, da sollte das ja wohl wenigstens heute drin sein. Wofür ist der Sonntag denn bitte sonst da? Ich bin gerade dabei, wieder wegzudämmern, als sich von hinten ein Arm um meinen Bauch legt und die zu diesem Arm gehörende Person mich mit einem unverständlichen Murmeln näher an sich und damit auch an die hinter mir befindliche Wärmequelle zieht. Zeitgleich mit dieser Aktion streicht mir warmer Atem über den Nacken und ich bin schlagartig hellwach. Sogar eine Spur zu wach, wenn ich bedenke, mit welcher Wahnsinnsgeschwindigkeit mein Herz jetzt plötzlich gegen meine Rippen hämmert. Heilige Scheiße, was geht denn hier vor? Vorsichtig versuche ich, mich aus der Umklammerung zu befreien, aber das ist gar nicht so einfach. Wer auch immer mich da gerade festhält, scheint mich jedenfalls nicht freiwillig wieder loslassen zu wollen. Und da ja mittlerweile klar sein dürfte, dass ich nicht unbedingt der Kräftigste bin, gebe ich mich mit einem lautlosen Seufzen geschlagen und bleibe einfach liegen. Dabei klopft mir mein Herz bis zum Hals, aber nachdem ich mich selbst davon überzeugt hab, dass das höchstwahrscheinlich nur Ruben ist, der sich mal wieder an mich geklettet hat – wahrscheinlich ist Christie schon aufgestanden und er verwechselt mich jetzt mit seinem besten Freund –, beruhige ich mich auch langsam wieder. Ist ja eigentlich auch lächerlich, nur wegen einem bisschen Gekuschel hier den Aufstand zu proben. Sobald er erst mal wach ist, lässt er mich doch eh wieder los. Der Vorsatz, einfach brav zu warten, bis Ruben von selbst aufwacht, hält allerdings nicht lange vor. Sein Atem kitzelt meinen Nacken und nachdem ich das fast zwei Minuten lang schweigend über mich ergehen lassen hab, versuche ich nun doch wieder, mich zu befreien, weil mir das eine Gänsehaut nach der anderen verschafft. An sich ist das ja ein echt angenehmes Gefühl, aber irgendwie wäre es mir doch wesentlich lieber, wenn das nicht Ruben wär, der mir da in den Nacken atmet. Als mir klar wird, dass ich das bei Simon nicht nur ganz anders sehen, sondern es sogar toll finden würde, laufe ich schlagartig knallrot an. Wenn er derjenige wäre, der mich jetzt so festhält ... Oh, bloß nicht dran denken! Jetzt, wo sich der Gedanke allerdings erst mal in mein Hirn geschlichen hat, lässt er mich nicht mehr los. Fast schon krampfhaft kneife ich meine Augen zusammen und versuche, an etwas anderes zu denken, aber das gelingt mir nicht. Und als mir auch noch einfällt, dass Simon mich gestern Abend in der Halle geküsst hat und dass ich mir deswegen vorgenommen hab, heute zu ihm zu gehen und mit ihm zu reden, wird mir ganz flau im Magen. Ich habe wahnsinnige Angst vor diesem Gespräch, das kann ich nicht leugnen. Aber trotzdem werde ich es durchziehen. Immerhin habe ich es nicht nur Jassi, Ruben und Christie, sondern auch Simon selbst fest versprochen. Ich weiß zwar nicht, ob er meine Worte wirklich verstanden hat, aber falls das so ist, will ich ihn auf keinen Fall enttäuschen. Er soll nicht glauben, dass er mir egal ist. Das ist er schließlich nicht. Ganz und gar nicht. Im Gegenteil. Als meine Gedanken an diesem Punkt ankommen, werde ich gleich noch röter und vergrabe mein Gesicht im Kopfkissen. Zum Glück schläft Ruben hinter mir immer noch tief und fest und kriegt so nichts von meinem Glühanfall mit. Ich möchte wirklich nicht schon so früh am Morgen von ihm gelöchert werden, warum ich hier das Ampelmännchen spiele. Wobei ... Genau betrachtet weiß ich gar nicht, ob es wirklich noch so früh ist, wie ich denke. Wie spät ist es eigentlich? Die Antwort auf diese Frage bekomme ich auf eine andere Art, als mir lieb ist. "Guten Morgen, ihr beiden Schlafmützen!", tönt es plötzlich von direkt vor der Schlafcouch, nachdem die Zimmertür vorher extra leise geöffnet und wieder geschlossen wurde. Im nächsten Moment wird auch schon die Bettdecke weggezogen und als ich daraufhin meine Augen aufreiße, sehe ich mich einem ziemlich munteren und schon vollständig angezogenen Ruben gegenüber, der auf die Couch herabsieht. In seinen Augen liegt ein seltsamer Ausdruck und sein Grinsen wirkt auch etwas merkwürdig. "Was wird das denn hier? Kuscheln ohne mich? Wie fies!", schmollt er, ehe ich fragen kann, was mit ihm los ist, und als von hinter mir ein genuscheltes und alles andere als wach klingendes "Halt die Klappe, Ruben!" kommt, werde ich schlagartig noch röter, als ich sowieso schon bin. Derjenige, der mich da gerade so umarmt und festhält, ist also gar nicht Ruben, sondern Christie? Soll das etwa heißen, dass ich gerade praktisch mit Christie gekuschelt hab? Ach Du heilige Scheiße! "Los, aufstehen, ihr Zwei! Frühstück ist schon fertig. Wir warten nur noch auf euch." Ruben packt meinen Arm und zieht mich daran von der Schlafcouch hoch. Ich bin so durcheinander, dass ich mich nicht mal dagegen wehre, sondern ihn einfach nur machen lasse. Ich lasse zu, dass er mich in Richtung Bad schiebt und mir vor der Tür meinen Rucksack, den er gerade im Vorbeigehen aufgeklaubt hat, in die Hand drückt. "Beeil Dich, ja? Ich hab Kohldampf", wird mir mitgeteilt und nachdem ich kurz genickt hab, bin ich auch schon wieder alleine. Immer noch ziemlich konfus mache ich mich fertig, ziehe mich an und als ich ins Zimmer zurückkomme, finde ich einen ziemlich verpennt aussehenden Christie auf der Schlafcouch sitzend vor. "Morgen, Jan", nuschelt er bei meinem Anblick und hebt schnell eine Hand, um sein Gähnen zu verstecken. Ruben ist irgendwo in den Tiefen des Kleiderschranks verschwunden und als er wieder auftaucht, grinst er mich an. "So, jetzt noch mal richtig: Guten Morgen!", strahlt er jetzt wieder absolut blendend gelaunt und ich bringe mit einiger Mühe ein schiefes Lächeln zustande. "Guten Morgen", grüße ich etwas befangen zurück und beobachte, wie Ruben seinem besten Freund die Klamotten, die er gerade aus dem Schrank geholt hat, in die Arme drückt. "Los, geh Dich anziehen!", kommandiert er, hüpft zu mir und schnappt sich wieder mal meinen Arm. "Und beeil Dich, ja? Jan und ich gehen schon mal vor." Damit werde ich mitgezerrt und finde mich keine zwei Minuten später in der hellen, geräumigen Küche der Familie Renning wieder. Christies Vater sitzt schon am Tisch, seine Frau schenkt ihm gerade Kaffee ein und beide lächeln Ruben und mich an, als wir uns zu ihnen gesellen. "Greift ruhig zu und lasst es euch schmecken!", werden wir aufgefordert und an der unbefangenen Art, mit der Ruben dieser Einladung gleich ohne Umschweife Folge leistet, kann ich erkennen, dass er ziemlich oft hier sein muss. Schon wieder etwas, das mich an Jassi und mich erinnert. Ich benehme mich ganz genau wie Ruben jetzt gerade, wenn ich bei meinem besten Freund übernachte. Ich bin bei Jassi schließlich fast genauso zu Hause wie er bei mir. Hier halte ich mich allerdings etwas mehr zurück. So bin ich eben, wenn ich die Leute um mich herum nicht so gut kenne. Und Christies Eltern hab ich immerhin beide erst gestern kennen gelernt. Ich bin gerade dabei, mir ein Brötchen aufzuschneiden, als Christie in die Küche kommt. Er wirkt jetzt ein bisschen wacher als vorhin in seinem Zimmer, lächelt einmal in die Runde und setzt sich dann auf einen der freien Plätze. Kaum dass er sitzt, stellt seine Mutter ihm auch schon eine Tasse vor die Nase und legt ihm dann eine Hand auf die Schulter. "Gehst Du sie nachher besuchen?", fragt sie ihren Sohn, sobald dieser aufblickt, und Christie nickt leicht. "Ich wollte gleich nach dem Frühstück eben kurz rüber", antwortet er und seine Mutter lächelt. "Da wird sie sich freuen", sagt sie und während sie ihrem Sohn einen Kuss auf die Schläfe drückt und ihm über die Schulter streichelt, frage ich mich unwillkürlich, von wem die Zwei gerade reden. Allerdings halte ich meine Neugier im Zaum und stelle keine Fragen. Eigentlich geht mich das ja auch gar nichts an. "Ich komm mit!", mischt Ruben sich ein und ich werfe ihm einen raschen, fragenden Seitenblick zu, aber davon bemerkt er offenbar nichts. Das Frühstück verläuft so fröhlich, wie es bei uns zu Hause seit meinem Streit mit Franzi nicht mehr war. Christies Vater hat eine Menge lustige Geschichten über die Kunden seiner Gärtnerei auf Lager, die er zum Besten gibt. Und selbst die Geschichten, die eigentlich gar nicht wirklich witzig sind, erzählt er so komisch, dass wir Anderen einfach lachen müssen. Ich muss zugeben, ich fühl mich hier wirklich wohl. Je mehr Zeit ich hier verbringe, desto mehr komme ich mir vor, also würde ich alle hier schon ewig kennen. Man merkt Christies Eltern auch deutlich an, dass dieser herzliche Umgang miteinander nicht gespielt ist, sondern echt. Andi und Babsi necken sich die ganze Zeit, aber das sind nur liebevoll gemeinte Sticheleien und keine als Freundlichkeit getarnten Boshaftigkeiten, wie es bei meinen Eltern kurz vor der Scheidung der Fall war. Ich muss gestehen, ich beneide Christie ein wenig um seine Eltern. Es muss schön sein, so eine intakte Familie zu haben und von seinen Eltern so geliebt und anerkannt zu werden, wie man eben ist. Immerhin scheinen sich weder Babsi noch Andi daran zu stören, dass ihr Sohn Nagellack benutzt und sich schminkt. "Hey, nicht Trübsal blasen, Jan!", reißt Ruben mich aus meinen Gedanken und als ich ihn etwas konfus anblinzele, grinst er mich breit an. "Ich hab Dir ja gesagt, ich bin gerne hier. Jetzt weißt Du auch, warum das so ist. Hier geht's immer so zu. Ganz anders als bei mir zu Hause", murmelte er und seufzt kurz, schüttelt aber gleich darauf energisch den Kopf, als wollte er diese Gedanken vertreiben. "Willst Du gleich auch eben mitkommen?", fragt er mich dann und ich zögere kurz. "Ich will nicht stören", antworte ich leise und Ruben winkt ab. "Du störst doch nicht. Oder? Jan kann doch mitkommen, oder?", wendet er sich an seinen besten Freund und der nickt gleich. "Klar, wenn Du willst", bietet er mir an, lächelt leicht und ich muss ebenfalls lächeln. Doch, ich mag Christie wirklich – trotz diesem ... Unfall da gestern Abend. Er wollte mir ja nur helfen, sonst nichts. "Okay, dann lasst uns gehen." Damit steht Christie auf und Ruben und ich tun es ihm gleich. "Wir sind bald wieder da", informiert Christie seine Mutter und umarmt sie noch mal. "Ich hab Dich lieb, Mama", sagt er dabei leise und sie tätschelt ihm einen Moment lang den Rücken, ehe sie ihn wieder von sich schiebt. "Sag ihr, wir kommen sie später auch noch besuchen", bittet sie ihn und er nickt, ehe er an ihr vorbei in den Flur geht, um seine Schuhe und seine Jacke anzuziehen. Während Ruben und ich noch damit beschäftigt sind, uns ebenfalls dick einzupacken, verschwindet Christie kurz und als er eine knappe Minute später wiederkommt, hat er eine zartrosafarbene Rose in der Hand. "Wir können", sagt er, öffnet die Haustür und geht voraus. Ich bin etwas verwirrt und daher froh, dass Ruben sich wie so oft auch jetzt meinen Arm schnappt, um mich mitzuzerren. "Wohin gehen wir eigentlich?", frage ich und komme mir im nächsten Moment unheimlich blöd vor, weil die Antwort ja praktisch auf der Hand liegt. "Auf den Friedhof", beantwortet Ruben meine Frage und schleift mich etwas schneller vorwärts, um Christie einzuholen. Der ist schon ein Stück vorausgegangen, wartet aber am Friedhofseingang auf uns, so dass wir das Gelände gemeinsam betreten können. Mir liegt die Frage auf der Zunge, wessen Grab er hier heute besuchen will, aber ich beiße mir auf die Unterlippe und sage nichts. Das ist ja wohl seine Privatsache und geht mich absolut nichts an. Die Hände tief in den Taschen vergraben und in beinahe vollkommenem Schweigen – sogar Ruben hält entgegen seiner sonstigen Gewohnheit jetzt gerade mal komplett die Klappe – latschen wir Drei durch die Gräberreihen. Christie scheint den Weg ganz genau zu kennen, aber das ist wohl auch nicht weiter verwunderlich. Er wohnt ja schließlich gleich neben dem Friedhof. Wäre ja wohl ziemlich komisch, wenn er sich hier nicht auskennen würde. Erst als wir offenbar schon so gut wie am Ziel sind, bricht Christie das Schweigen wieder. "Wir besuchen meine leibliche Mutter. Heute ist ihr fünfzehnter Todestag", erklärt er mir ruhig und wenn Ruben nicht immer noch an meinem Arm hängen und mich weiterziehen würde, würde ich jetzt mit Sicherheit wie angewurzelt stehen bleiben. "Aber ... ich dachte ...", stammele ich und breche gleich wieder ab, weil ich einfach nicht weiß, was ich dazu sagen soll. "Tut mir leid", bringe ich schließlich noch irgendwie heraus und schäme mich gleich darauf in Grund und Boden für diese nichtssagenden Worte. Bravo, Jan. Das hab ich ja mal wieder ganz großartig hingekriegt. Wo kann man sich für die Ernennung zum Obertrottel des Jahres anmelden? Den Preis gewinn ich locker. "Ist schon okay." Christie lächelt leicht und ich versuche, ebenfalls zu lächeln, aber es bleibt bei dem ziemlich kläglichen Versuch. "Weißt Du, ich hab nie bei ihr gelebt. Sie hat mich gleich nach der Geburt zur Adoption freigegeben. Sie war Mamas jüngere Schwester. Meine Eltern konnten keine eigenen Kinder bekommen und meine leibliche Mutter war nicht mal achtzehn, als sie mich bekommen hat. Sie hätte sich nie richtig um mich kümmern können. Deshalb haben Mama und Papa mich adoptiert, als ich gerade mal ein paar Stunden alt war", erzählt er weiter und ich kann ihn nur aus großen Augen anstarren. "Ich bin meiner Mutter wirklich dankbar dafür, dass sie sich so entschieden hat. Und ich bin froh, dass sie mich nicht hat wegmachen lassen, als sie gemerkt hat, dass sie schwanger war. Sie ist nämlich nicht ganz freiwillig schwanger geworden." Noch immer klingt Christies Stimme vollkommen ruhig und beiläufig, während mir fast die Augen aus dem Kopf fallen. Hab ich das gerade alles wirklich richtig verstanden? Wenn ja, dann ... Oh Mann, ich weiß gerade nicht, wer mir mehr leid tut: Christies leibliche Mutter, weil ihr so was Schreckliches passiert ist – "nicht freiwillig schwanger geworden" kann man ja wohl nicht falsch verstehen –, oder Christie selbst, weil er ganz offenbar weiß, dass sein leiblicher Vater ein ... ein verdammt mieser Kerl ist, um es mal diplomatisch auszudrücken. "Aber sie hat mich nicht weggegeben, weil sie mich gehasst hat, sondern weil das einfach besser für mich war. Sie hat mich geliebt, das weiß ich. Sie hat meinen Namen ausgesucht und war sogar meine Taufpatin. Und sie hat für mich die besten Eltern gefunden, die es gibt. Dafür bin ich ihr wirklich dankbar", beendet Christie schließlich seine Erzählung und ich muss mich erst mal räuspern, um überhaupt einen Ton rauszukriegen. "Und ... und Dein ... Du weißt schon", stottere ich dann und möchte mich gleich selbst dafür schlagen, dass ich so verdammt unsensibel bin. Das Thema ist sowieso schon so verdammt heikel und ich Idiot habe nichts Besseres zu tun, als noch weiter nachzubohren und blöde Fragen zu stellen, deren Antworten mich absolut nichts angehen. Ich bin doch echt ein Held. Kann mich mal bitte jemand erschießen, damit ich nicht noch mehr Scheiße baue? "Der sitzt lebenslänglich. Nicht wegen meiner Mutter, sondern weil er nach der ersten Haftstrafe gleich noch zwei Mal rückfällig geworden ist. Aber mit diesem Mann hab ich nichts zu tun. Er weiß zwar, dass es mich gibt – es gab damals einen Vaterschaftstest als Beweis in dem Verfahren gegen ihn –, aber er kennt weder meinen Namen noch meine Adresse, also kann er sich nicht bei mir melden. Und ich hab ihm von mir aus nichts zu sagen. Ich hab einen Vater, der immer für mich da war und ist. Einen anderen brauche ich nicht." Christies Gesicht wirkt entschlossen bei diesen Worten, aber er sieht weder Ruben noch mich an, sondern blickt auf die Rose in seiner Hand. Ich glaube, ich kann mir nicht mal annähernd vorstellen, wie es sein muss, jeden Tag mit diesem Wissen leben zu müssen. Das muss wirklich grausam sein. Und, ganz ehrlich, dafür, dass er das ganz offenbar schafft, hat er meinen vollsten Respekt. Ich könnte mit so einem Wissen ganz bestimmt nicht umgehen. "Ich geh eben zu ihr. Wartet ihr beide so lange hier?", durchbricht Christies Stimme meine Gedanken und ich kann nur nicken. Eine verbale Antwort krieg ich jetzt nicht zustande, aber das muss ich auch gar nicht. "Klar, machen wir", übernimmt Ruben das Antworten für uns beide. "Grüß sie von uns, ja?", schiebt er noch schnell hinterher und zieht mich ein Stück beiseite zu einer Bank am Anfang der Gräberreihe. Christie geht noch fast bis zum Ende durch und bleibt dann schließlich vor einem Grab stehen, das von einem weißen Grabstein geziert wird. Ich beobachte, wie er in die Hocke geht und die Rose auf das Grab legt, dann wende ich hastig den Blick ab. Das geht mich jetzt wirklich nichts mehr an. "Ganz so leicht, wie das jetzt gerade klang, war's für Christie nicht, als er von der ganzen Sache erfahren hat. Ganz und gar nicht." Ruben, der meinen Blick bemerkt hat, seufzt leise und ich nicke langsam. "Kann ich mir denken." Auch wenn ich es mir nur sehr schwer vorstellen kann. Ich glaube, mir hätte so eine Nachricht völlig den Boden unter den Füßen weggezogen. "Seine Eltern haben's ihm in den Sommerferien erzählt. Ich weiß noch, dass es ein Donnerstag war. Er hat abends um halb elf bei uns geklingelt und war völlig verstört. Normalerweise hätte Paps wegen der späten Störung einen Anfall gekriegt, aber er wusste schon vor Christies Geburt über die ganze Sache Bescheid, deshalb hat er nichts gesagt. Er hat Christie einfach nur in mein Zimmer geschickt. Ich hab mich total erschrocken, als ich ihn gesehen hab. Er war leichenblass, hat gezittert ohne Ende und wollte partout nicht mit der Sprache rausrücken, was mit ihm los war. Er hat die ganze Zeit nur "Du wirst mich hassen, wenn ich's Dir sage" und solchen Unsinn gestammelt, ist irgendwann in Tränen ausgebrochen und hat dann stundenlang geheult. Er konnte gar nicht mehr aufhören und ich konnte ihn auch nicht beruhigen." Rubens Stimme klingt leise und belegt und mein Blick huscht unwillkürlich zu Christie, der noch immer vor der Grab hockt und offenbar stumme Zwiesprache mit seiner toten Mutter hält. So sanft und sensibel, wie er ist, muss das für ihn wirklich ein furchtbarer Schock gewesen sein. Irgendwie tut er mir wahnsinnig leid. Ich will mir wirklich lieber nicht vorstellen, wie es sein muss, mit so einer Gewissheit zu leben. Das ist doch grausam. So was sollte echt niemand durchmachen müssen. "Irgendwann ist er dann eingeschlafen, aber ich hab die ganze Nacht kein Auge zugemacht", holt Ruben mich aus meinen Gedanken und ich konzentriere mich wieder auf das, was er mir erzählt. "Ich hab mich total nutzlos gefühlt, weil ich meinem besten Freund einfach nicht helfen konnte. Am nächsten Morgen wollte er nichts essen und auch immer noch nicht richtig mit mir reden. Er hat den ganzen Tag nur in einer Ecke meines Bettes gehockt, Löcher in die Luft gestarrt und immer wieder ganz plötzlich geheult. Ich war mit der Situation total überfordert, aber egal, was ich auch probiert hab, ich hab kein einziges Wort aus ihm rausgekriegt. Das hat erst mein Vater geschafft." Ruben seufzt leise und zupft gedankenverloren an seinem Gips herum, aber sein Blick ruht unverwandt auf seinem besten Freund. "Paps kam irgendwann rein, hat mich zu meiner Mutter geschickt und dann fast zwei Stunden lang mit Christie über seine leibliche Mutter und die Entscheidung, die sie getroffen hat, gesprochen. Sie ist damals wohl zu ihm gekommen, um sich Rat zu holen, und hat sich nach mehreren Gesprächen mit ihm dafür entschieden, ihr Baby zu behalten. Jedenfalls hat Paps Christie klargemacht, dass sie ihn nie für dass gehasst hat, was sein leiblicher Vater ihr angetan hat, sondern dass sie ihn stattdessen als Geschenk angesehen hat, das sie ihrer älteren Schwester machen konnte. Babsi hat sich immer Kinder gewünscht, aber sie und Andi sind beide unfruchtbar. Deshalb hat Corinna – so hieß Christies Mutter – ihr Kind nicht abtreiben lassen, sondern sich dafür entschieden, es zu bekommen, damit ihre Schwester und ihr Schwager es adoptieren konnten. Meine Mutter hat mir das alles erklärt, während Paps mit Christie gesprochen hat", murmelt Ruben und seufzt leise, fasst sich aber schnell wieder. "Als ich dann nachher wieder in mein Zimmer durfte, hat Christie sich anfangs nicht mal getraut, mir in die Augen zu sehen. Er wusste, dass ich Bescheid wusste, und hat echt geglaubt, dass ich wegen der ganzen Sache schlecht von ihm denken würde. Aber das hab ich ihm ganz schnell wieder ausgeredet. Er kann ja schließlich am allerwenigsten dafür, wie und von wem er gezeugt worden ist. Außerdem wär ich ja wohl ein ziemlich mieser bester Freund, wenn ich ihn deshalb anders behandelt hätte als vorher, oder? Schließlich ändert sich durch so was ja nicht gleich die ganze Persönlichkeit. Christie ist und bleibt Christie. Punkt." Ruben klingt abschließend und nachdem ich mir seine Worte noch einmal durch den Kopf habe gehen lassen, nicke ich zustimmend. Er hat ja schließlich auch Recht. Christie ist ganz sicher der Letzte, dem man die Taten seines Erzeugers vorwerfen kann. Bis auf ein paar Gene hat er mit diesem Mann ja auch nichts gemeinsam. Das, was dieser Typ getan hat, könnte Christie nie tun. Dafür ist er viel zu lieb und zu sanft. Nein, so was passt ganz und gar nicht zu ihm. "So, wir können." Ich hab Christie gar nicht näherkommen hören, deshalb kann ich ein Zusammenzucken nicht verhindern. Sofort verfluche ich meine elende Schreckhaftigkeit, aber Christie scheint mir das nicht übel zu nehmen. Er lächelt jedenfalls, aber als ich noch einmal etwas näher hinsehe, erkenne ich, dass er offenbar ziemlich angespannt ist. "Ruben hat Dir den Rest auch erzählt, oder?", erkundigt er sich betont gleichgültig und ich nicke langsam. "Ja, hat er", bestätige ich. "Aber Du musst Dir keine Sorgen machen. Für mich ändert das gar nichts. Absolut nicht", versichere ich ihm dann wahrheitsgemäß. Genau betrachtet ändert es ja auch wirklich nichts. Er ist nach wie vor derselbe Mensch. "Im Gegenteil. Ich bin echt froh, dass wir uns kennen gelernt haben und Freunde geworden sind." Nach allem, was Christie gestern für mich getan hat, ist Freundschaft ja wohl das Wenigste, was ich ihm anbieten kann. Aber das tue ich nicht nur, weil ich glaube, dass ich ihm das irgendwie schuldig bin oder so. Ich möchte wirklich gerne mit ihm befreundet sein. "Ich auch." Bei diesen Worten lächelt Christie wieder, aber dieses Mal wirkt er dabei nicht befangen, sondern erleichtert – und auch ein kleines bisschen erfreut, wenn ich mich nicht täusche. "Und ich erst!", klinkt Ruben sich in das Gespräch ein, hakt sich bei seinem besten Freund und mir gleichermaßen ein und schleift uns grinsend in Richtung Friedhofsausgang. "Mit Jan sind wir jetzt die drei Musketiere!", beschließt er dabei fröhlich und ich muss kichern. "Ach, sind wir das?", fragt Christie amüsiert und Ruben nickt bekräftigend. "Klar. Du bist Aramis, weil Du ja sogar dann Schlag bei Mädchen hast, wenn Du das eigentlich gar nicht willst", fängt er seine Begründung an und schwenkt dann zu mir. "Du bist Arthos, weil Du auch so schweigsam und in Dich gekehrt bist – am Anfang jedenfalls. Und ich bin Porthos", endet er und kichert nun ebenfalls. "Ich mein, das passt doch, oder? Ich hab ne große Klappe und wenn sich von uns Dreien einer mit seinen blöden Sprüchen in die Scheiße reinreitet, bin das ja wohl auch ich." "Stimmt. Das kann wirklich keiner so gut wie Du." Christie grinst und ich beiße mir auf die Unterlippe, um nicht laut loszulachen. Das käme so nah am Friedhof sicher nicht besonders gut – vor allem nicht, weil heute ja schließlich Allerheiligen ist. "Na dann: Einer für alle und alle für einen!" Ruben strahlt kurz in die Runde und schleift uns dann beide weiter zur Gärtnerei. Gemeinsam gehen wir wieder hoch in Christies Zimmer und ich helfe den beiden, die Schlafcouch zusammenzuklappen und das Bettzeug wieder zu verstauen. Danach packe ich mein Zeug in meinen Rucksack und versuche dabei fast schon krampfhaft, nicht an das Gespräch mit Simon zu denken, das mir bevorsteht, sobald ich zu Hause bin. Ich habe wirklich tierischen Schiss davor, zu ihm zu gehen, aber ich will und werde nicht kneifen. Das bin ich ihm, mir und auch meinen Freunden einfach schuldig. Außerdem habe ich es versprochen und seine Versprechen muss man halten. Simon war schließlich auch bei Vickys blöder Ballettaufführung, weil er es meiner kleinen Schwester versprochen hatte. Da kann ich jetzt keinen Rückzieher mehr machen. Wie würde das denn auch aussehen? Nein, das geht wirklich nicht. "Christie und ich bringen Dich noch zum Bus", holt Rubens Stimme mich aus meinen Grübeleien über Versprechen und ich zucke erschrocken zusammen, nicke dann aber. "Danke", nuschele ich, doch Ruben winkt ab. "Ist doch selbstverständlich", behauptet er, hakt sich wie sonst auch bei mir ein und schleift mich die Treppen runter und aus dem Haus. Christie folgt uns und sobald er uns eingeholt hat, sehe ich, dass er schmunzelt. An der Haltestelle angekommen erfahre ich durch einen raschen Blick auf den Fahrplan, dass ich nur noch ein paar Minuten warten muss, bis mein Bus kommt. Während Ruben auf mich einquasselt, mich an unsere Verabredung wegen des Referats morgen erinnert und mir wieder und wieder einschärft, dass ich ihn heute Abend auf jeden Fall anrufen soll, überlege ich hin und her. Soll ich das, was mir gerade durch den Kopf geht, wirklich machen oder nicht? Als Ruben endlich mal eine kurze Atempause einlegt, gebe ich mir selbst einen Ruck. "Du, Christie?", wende ich mich an seinen besten Freund, krame mein Handy aus meiner Jackentasche und halte es Christie hin, als er mich fragend anblickt. "Gibst Du mir Deine Nummer? Dann kann ich Dich nachher auch anrufen, wegen ... Du weißt schon. Natürlich nur, wenn Dir das recht ist", schränke ich schnell ein und werde dafür mit einem Lächeln belohnt, durch das ich endgültig verstehe, was Vicky am Freitag so an ihm gefallen hat. "Das würde mich freuen." Christie nimmt mein Handy entgegen, speichert schnell seine Nummer ein und gibt es mir dann zurück. "Und denk dran, was ich Dir gestern gesagt hab, okay? Du musst Dir ganz bestimmt keine Sorgen machen", ermutigt er mich noch mal, aber bevor ich etwas erwidern kann, sehe ich den Bus um die Ecke biegen. "Okay, dann ... Ich meld mich heute Abend. Bis nachher und ... Danke für alles." Damit umarme ich sowohl Ruben als auch Christie noch mal, ehe ich mich beeile, in den Bus zu klettern. "Viel Glück, Jan!", wünscht Ruben mir nicht gerade leise, ehe die Bustüren sich hinter mir schließen, und hält beide Hände hoch, so dass ich sehen kann, dass er mir ganz fest die Daumen drückt. Christie steht neben ihm, lächelt aufmunternd und winkt mir noch einmal zu. Ich winke zurück, suche mir einen Sitzplatz und lasse mich darauf fallen, während der Bus anfährt. Sobald Ruben und Christie aus meinem Blickfeld verschwunden sind, werfe ich einen Blick auf das Display meines Handys. Gerade halb elf durch, also werd ich wohl so gegen elf zu Hause sein. Beim Gedanken daran, was mir dann bevorsteht, wird mir gleichzeitig heiß und kalt. Soll ich erst noch nach Hause gehen und meinen Rucksack wegbringen? Nein, beschließe ich kopfschüttelnd, das werd ich besser nicht tun. Ich kenn mich doch. Wenn ich erst mal in meinem Zimmer bin, verkrieche ich mich da und gehe ganz bestimmt nicht mehr zu Simon. Ob ich ihm eine SMS schreiben und ihm Bescheid sagen soll, dass ich auf dem Weg zu ihm bin, wie ich es ihm gestern Abend in der Halle versprochen hab? Aber was, wenn er das gar nicht gehört hat? Dann blamiere ich mich nur wieder und das muss wirklich nicht sein. Ich werde, nehme ich mir stattdessen vor, gleich einfach direkt bei ihm klingeln. Das ist einfach besser für meine Nerven und auch für mein armes Herz. Das dreht ja jetzt schon beinahe durch. Unhörbar seufzend lehne ich meinen Kopf an das kühle Glas der Fensterscheibe und schließe die Augen. Ich bin unheimlich nervös, aber ich kann nicht leugnen, dass ich mich trotzdem auf das Wiedersehen mit Simon freue. Immerhin ist die ganze Sache mit dem Küssen ja gestern Abend von ihm ausgegangen. Und wenn ich jetzt so darüber nachdenke, wie er mich vor dem ersten Kuss gewarnt hat und was er nachher zu Flo gesagt hat, dann wollte er mich ja wohl wirklich küssen – mich, nicht Flo und auch sonst niemanden. Aber ist das heute auch noch so? Oder sieht das heute ganz anders aus? Bereut er heute vielleicht, was er gestern Abend getan hat? Verdammt, diese Ungewissheit macht mich noch wahnsinnig! Über meine Grübeleien verpasse ich um ein Haar meine Haltestelle. Gerade noch rechtzeitig schaffe ich es, aus dem Bus zu kommen. Etwas außer Atem und mit heftigem Herzrasen bleibe ich einen Moment an der Haltestelle stehen und sammele mich kurz, ehe ich mich auf den Weg nach Hause mache. Mit jedem Schritt wächst meine Nervosität und die Strecke ist mir noch nie so elend lang und gleichzeitig so verflucht kurz vorgekommen. Nach einer Ewigkeit von nicht mal fünf Minuten hab ich die Haustür endlich erreicht, fummele aus lauter Gewohnheit meinen Schlüssel aus der Tasche und schließe auf, ehe ich mich darauf besinne, dass ich ja eigentlich bei Simon klingeln wollte. Aber jetzt stehe ich schon im Hausflur, also schlucke ich meine Nervosität und meine Bedenken herunter, so gut es irgendwie geht, greife mit zitternden Fingern nach dem Treppengeländer und mache mich an den Aufstieg in den ersten Stock. Vor Simons Tür angekommen klopft mir das Herz endgültig bis zum Hals und ich bin mir sicher, dass ich gleich einfach umkippen oder zumindest ultrapeinlich rumstottern werde, sobald ich Simon erst mal leibhaftig gegenüberstehe. Trotzdem gebe ich mir einen Ruck, drücke den Klingelknopf, warte und kämpfe meine wieder aufflammende Panik so wie möglich nieder. Ich kann allerdings trotzdem nicht verhindern, dass ich heftig zusammenschrecke, als urplötzlich der Summer gedrückt wird. Die Tür vor meiner Nase geht nur einen kleinen Spalt breit auf und als ich Schritte höre, die sich wieder entfernen, wische ich mir meine feuchtgewordenen Hände an meiner Jeans ab und schlucke erst mal den fetten Kloß herunter, der sich in meinem Hals breitgemacht hat. Dann schiebe ich die Wohnungstür auf, trete ein und schließe sie hinter mir leise wieder. Mein Herz bollert mittlerweile so elend laut, dass es zumindest meiner bescheidenen Meinung nach schon an ein Wunder grenzt, dass es außer mir niemand zu hören scheint. Aus der Küche dringen das Klappern von Geschirr und der Duft von Kaffee zu mir und ich schlussfolgere daraus, dass Simon sich wohl dort befindet. Ich will gerade zu ihm gehen, als aus dem Zimmer ganz hinten – Simons Schlafzimmer, wenn ich mich nicht irre – eine Person kommt, die ich nur zu gut kenne. "So, Simon, ich bin dann ... Oh, hey, Kurzer. Was für ne Überraschung", kommt es von Flo und ich bleibe wie angewurzelt stehen, während er sich erst mal sein Shirt komplett überzieht. Er sieht ziemlich überrascht aus über meine Anwesenheit, fängt sich aber schnell wieder und grinst mich gleich darauf an. Ich würde mich am liebsten auf dem Absatz umdrehen und weglaufen, aber ich kann mich nicht bewegen. Mein Körper gehorcht mir einfach nicht und in meinem Kopf überschlagen sich die Gedanken. Was macht Flo denn so früh schon hier? Hat er etwa hier übernachtet? Haben Simon und er letzte Nacht vielleicht ...? Nein, darüber will ich lieber gar nicht so genau nachdenken. Das kann Simon mir doch nicht antun! "Mann, Kurzer, Dein Gesicht ist wie ein offenes Buch." Flo schüttelt ganz leicht den Kopf, grinst aber immer noch. Mir hingegen ist zum Heulen zumute. "Ich kapier echt nicht, wie Simon so blind sein kann. Aber egal. Ist ja eigentlich sein Problem und nicht meins. Na ja, eigentlich jedenfalls. Ach, scheiß drauf." Flo seufzt kurz, ehe er sich ein bisschen zu mir beugt und mich ernst ansieht. "Du musst echt keine Angst haben, Kurzer. Zwischen Simon und mir ist letzte Nacht absolut gar nichts passiert. Da läuft schon seit Monaten nichts mehr, wenn Du's genau wissen willst. Ich hab mich gestern Abend nur ziemlich abgeschossen und deshalb hier gepennt. Ich hab im Moment ein bisschen Stress mit meinem Freund und brauchte jemanden zum Reden, sonst nichts. Du siehst also, Du musst Dir meinetwegen wirklich keine Sorgen mehr machen. Ich bin in festen Händen und Simon ist auch nicht mehr an mir interessiert. Da gibt's nämlich einen Anderen, der ihm ganz schön den Kopf verdreht hat. Und dieser Andere steht zufälligerweise gerade genau vor mir." Flo fängt wieder an zu grinsen und mir wird schwindelig. Ist das, was er da gerade gesagt hat, wirklich die Wahrheit? Heißt das, Simon ist auch ... Kann es wirklich sein, dass er ... dass er ... in mich ...? Ich schaffe es nicht mal, diesen Gedanken zu Ende zu bringen. Außerdem kriege ich auch nicht ein einziges Wort heraus. Alles, was meinen Mund verlässt, ist ein ultrapeinliches Geräusch, das wie eine Mischung aus Quietschen und Krächzen klingt und mir mal wieder sämtliches Blut ins Gesicht treibt. Dieser Anblick scheint Flo ungeheuer zu belustigen, denn sein Grinsen wird noch eine Spur breiter und er strubbelt mir durch die Haare. "Du bist echt putzig", teilt er mir dabei mit, aber ehe ich in irgendeiner Form darauf reagieren kann, kommt Simon aus der Küche und mein Hirn tritt endgültig in den Streik. Er sieht total müde aus, seine Haare sind völlig zerzaust und seine Hände umklammern seine Kaffeetasse, als würde einzig und allein sie ihn noch aufrecht halten. "Willst Du auch?", fragt er in Flos Richtung, aber als sein Blick zu mir weiterwandert, weiten sich seine Augen und er sieht mit einem Schlag sehr viel wacher aus. "Morgen", begrüßt er mich nach einem Moment des Schweigens und ich versuche verzweifelt, mein Sprachzentrum wenigstens so weit zum Arbeiten zu bringen, dass ich seine Begrüßung erwidern kann, aber das gelingt mir nicht. Mein Hirn ist Toast, meine Beine sind Pudding, mein Herz rast wie ein Presslufthammer und ich werde gleich noch etwas röter, als ich bemerke, dass ich die ganze Zeit wie hypnotisiert auf Simons Lippen starre – die Lippen, mit denen er mich gestern geküsst hat und von denen ich mich am liebsten jetzt schon wieder küssen lassen würde. Meine Gedanken drehen sich nur noch darum, aber ich höre trotzdem, wie Flo neben mir abgrundtief seufzt. "Jetzt geht das schon wieder los!", murrt er und ich kann aus dem Augenwinkel sehen, dass er den Kopf schüttelt. Dabei zieht er ein ziemlich frustriertes Gesicht. "Ihr Zwei kriegt's selbst in hundert Jahren alleine nicht gebacken, kann das sein? Aber ich glaub, ich weiß, was ich da mache." Mit diesen Worten geht er an mir vorbei in den Flur, schnappt sich seinen Mantel von der Garderobe und zieht ihn an. "Was ihr beide unbedingt braucht ist nichts anderes als ein bisschen ungestörte Zweisamkeit. Und genau die werd ich euch jetzt verschaffen. Ihr könnt mir nachher dafür danken", sagt er dabei, nimmt den Schlüssel vom Schlüsselbrett und grinst noch mal in unsere Richtung. Dann öffnet er die Wohnungstür, winkt kurz mit dem Schlüssel und zieht die Tür von außen wieder zu. "Ich lass euch irgendwann später wieder raus. Oder ich ruf Morgaine an und schick sie vorbei, um euch zu befreien", kommt es gedämpft durch das Holz und im nächsten Moment höre ich, wie der Schlüssel im Schloss gedreht wird. Dadurch bin ich, wie mir schlagartig klar wird, mit Simon in seiner Wohnung eingeschlossen und als mir bewusst wird, was das bedeutet, verdreifacht sich mein Herzschlag. Das kann doch wohl nicht Flos Ernst sein, oder? Ach Du heilige Scheiße! Hilfe! "Wa– ...? Bist Du jetzt vollkommen übergeschnappt, Flo?" Im Gegensatz zu mir gelingt es Simon recht schnell, seine Starre abzuschütteln und an mir vorbei zur Wohnungstür zu gehen. Er knallt seine Kaffeetasse so heftig auf den Schuhschrank, dass der Kaffee überschwappt, und rüttelt dann an der Klinke, aber die Tür ist offensichtlich wirklich abgeschlossen. "Flo, lass den Scheiß! Mach die Tür auf!", verlangt Simon, bekommt aber von draußen nur ein lapidares, eindeutig belustigt klingendes "Nö" zur Antwort. "So habt ihr Zwei endlich mal die Zeit und auch die Gelegenheit, euch auszusprechen. Ich wär schön blöd, wenn ich die Tür jetzt wieder aufschließen würde. Nee, ihr beide bleibt schön da drin. Ich komm heute Abend irgendwann wieder und lass euch raus. Viel Spaß und bis nachher!" Danach höre ich Flos Schritte die Treppe hinunterpoltern und keine Minute später fällt auch schon die Haustür ins Schloss. "Ich fass es nicht!" Simon stapft an mir vorbei zum Wohnzimmerfenster, wirft einen Blick hinaus und fängt gleich wieder an zu fluchen. "Na warte, Flo! Wenn ich Dich erwische, dann bring ich Dich um!", droht er aus dem Fenster und als ich es endlich schaffe, mich in Bewegung zu setzen, neben Simon zu treten und selbst auch einen Blick nach draußen zu werfen, sehe ich Flo auf dem Weg zum Hauseingang stehen. Er winkt fröhlich grinsend zu Simon und mir nach oben und dreht sich dann um, um in Richtung Bushaltestelle zu sprinten. Irgendwie erweckt er den Eindruck, als würde ihm diese ganze Sache hier eine Menge Spaß machen. Ich weiß nicht genau, was ich davon halten soll, aber ehe ich richtig darüber nachdenken kann, drängt Simon sich auch schon wieder an mir vorbei, schnappt sich sein Telefon und tippt ungeduldig eine Nummer ein. "Morgaine?", meldet er sich und streicht sich mit einer unwirschen Handbewegung ein paar Haare aus dem Gesicht. "Ich bin's. Ja, ich weiß, wie spät es ist. Was auch immer. Hör zu, Du musst mir einen Gefallen tun. Und zwar ... Was? Eine SMS? Nein, die ist nicht von mir. Also, was ich sagen wollte: Du musst zu mir kommen und ... Was gibt's denn da bitteschön zu lachen? Was? Ja, hat er. Und genau deshalb sollst Du ja ... Wie, "Nein"? Was soll das denn heißen? Du kannst doch nicht ... Morgaine! Morgaine, wenn Du jetzt auflegst, dann ... Das darf doch nicht wahr sein! Ist denn plötzlich die ganze Welt verrückt geworden?" Mit ziemlich grimmigem Gesicht knallt Simon das Telefon wieder zurück auf die Ladestation, schließt die Augen und atmet mehrmals betont tief durch, ehe er sich mir zuwendet. "Meine Freunde spinnen. Und zwar alle. Ich hab gerade versucht, Morgaine herzubestellen, damit sie uns die Tür wieder aufschließt, aber Flo hat ihr offenbar ne SMS geschickt und sie aufgefordert, sich "bloß nicht einzumischen". Und anstatt uns zu helfen, ist sie auf dem gleichen Trip wie er. "Viel Erfolg und viel Spaß" hat sie mir gerade gewünscht. Und dann hat sie einfach aufgelegt", erzählt er mir und ballt seine Hände zu Fäusten. "Ich brauche neue Freunde. Definitiv. Und zwar dringend", grollt er weiter und ich weiß nicht so recht, was ich dazu sagen soll. Einerseits ist die ganze Situation hier so schräg und abgefahren, dass mir das sicher kein Mensch glauben würde, aber andererseits ist da eine kleine Stimme in meinem Kopf, die mir zuflüstert, dass das Ganze ja eigentlich gar nicht so schlimm ist. Immerhin sind Simon und ich jetzt total ungestört. Eigentlich ist das ja wirklich die ideale Gelegenheit zum Reden. Allerdings müsste ich dafür wohl meinen Mund aufmachen und was sagen, aber das gelingt mir blöderweise einfach nicht. Ich bringe nicht ein einziges Wort über die Lippen, sondern stehe einfach nur blöd rum wie bestellt und nicht abgeholt und möchte mich selbst dafür in den Arsch treten, dass ich schon wieder so versage. Da komm ich extra zum Reden her und dann krieg ich meine Zähne einfach nicht auseinander. Das ist doch scheiße, verdammt! "Jan?", holt Simons Stimme mich aus meinen Gedanken und als ich ihn anblicke, wirft er mir einen etwas zerknirschten Blick zu. "Tut mir leid, dass dieser Idiot Dich da mit reingezogen hat", entschuldigt er sich dann und ich nicke lahm, kriege aber immer noch keine verbale Antwort raus. "Ich fürchte, das könnte länger dauern. Flo ist so verrückt, der zieht diesen Scheiß wirklich durch. Am besten, wir machen uns schon mal auf einen langen Tag gefasst", warnt Simon mich weiter, fährt sich mit beiden Händen durch die Haare und seufzt dann abgrundtief. "Mach's Dir ruhig schon mal bequem. Ich zieh mir mal eben schnell was anderes an." Bei diesen Worten zupft er an dem Shirt, das er trägt, und ich merke erst jetzt, dass das ganz offenbar ein Pyjama ist. Sofort wird mein Gesicht wieder flammend rot, aber ich nicke trotzdem und lasse mich langsam auf die Couch sinken, während Simon in seinem Schlafzimmer verschwindet und sich da ein paar Klamotten heraussucht. Und während ich im Wohnzimmer auf ihn warte, klopft mein armes Herz zum Zerspringen. Sobald Simon wieder zurückkommt, wird es schließlich Ernst. Hilfe! ~*~ Habt ihr Flo auch so lieb wie ich? Echt, ich liebe ihn. Mit jedem Auftauchen mehr. XD Bis morgen! Karma Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)