Wider Willen und Plan von Sean (Pokémon-Geschichte mit eigenen Charakteren.) ================================================================================ Kapitel 9: Im Dunkeln und im Regen ---------------------------------- Mikko wurde mit einem Schlag kreidebleich. „Lohgock... Lohgock ist... also...“, er hätte sich vielleicht bei Zeiten eine Ausrede zurecht legen sollen, aber am liebsten wäre es ihm gewesen, wenn vorerst niemand etwas von Lohgock erfahren hätte. Die Trainerin war mit seiner Antwort offenbar alles andere als zufrieden. „Wenn du es gestohlen hast, solltest du es besser sofort zugeben!“ merkte sie streng an. „Nein!“, Mikko schüttelte den Kopf, „Es ist freiwillig zu mir gekommen, wirklich!“ Sie sah wenig überzeugt aus. „Willst du mir erzählen, dass irgendein Trainer so ein starkes Pokémon einfach laufen lässt? Oder ist es abgehaun?“ Lohgock ließ einen lauten, protestierenden Schrei ertönen. Ärgerlich sah Mikko die fremde Trainerin an. „Nein. Und genau genommen geht es dich auch nichts an. Lohgock kann selbst entscheiden, was es tun will.“ Doch das Mädchen war wenig beeindruckt, wenn überhaupt fühlte sie sich herausgefordert. „Aber es gehört dir nicht, oder? Dann solltest du es auch nicht in Kämpfen einsetzen.“, kritisierte sie. „Aber...“, das war so ein Punkt, wo sie genau genommen nicht ganz Unrecht hatte, aber... „Lohgock will doch kämpfen!“, erklärte er, „Dass ich ihm nicht gewachsen bin weiß ich selbst.“ „Da gibt’s kein 'aber'–“, begann sie erneut, doch die Predigt blieb ihr offenbar im Hals stecken als Mikko plötzlich etwas warmes an seinem Rücken spürte und sich die kräftigen Arme Lohgocks von hinten um ihn legten. Das Pokémon ließ ein tiefes Gurren erklingen, das Mikko eher an ein Knurren denken ließ, und drückte den Schnabel gegen seine Wange. Zuerst zaghaft, dann aber bestimmt strich er mit der Hand über Lohgocks Kopf. „Doch.“, sagte er schließlich, „Lohgock ist mein Pokémon. Weil es sich nun mal so entschieden hat.“ Lohgocks Griff um ihn wurde für einen Moment fester, bevor es ihn losließ. Und plötzlich wurde ihm klar, dass die Kommunikation zwischen Trainern und ihren Pokémon gar kein so großes Geheimnis war. Es war nicht schwer zu verstehen, was Lohgock ihm sagen wollte. Oder Schwalboss, was das anging. Der Raubvogelschrei vom Himmel erinnerte ihn an sein anderes 'Geheimnis', das eben zum Sturzflug ansetzte und erst knapp über ihm abbremste, bevor es landete. Der Trainerin entwich ein kurzer, erschrockener Laut, doch sie fasste sich schnell. „Ich nehme an, dieses Pokémon ist genauso freiwillig bei dir aufgetaucht?“, fragte sie, doch ohne die vorherige Schärfe und mit einem Hauch von Humor. Mikko nickte, während er die beiden Pokémon in ihre Pokébälle zurück rief. Ein Schmunzeln. „Wer bist du eigentlich?“ Er zuckte mit den Schultern. „Mikko. Und du?“ „Lenja.“ Tuomo hatte das Handy zwischen Kopf und Schulter geklemmt, während er auf einem umgedrehten Eimer vor einem bunten Zirkuswagen saß und das farbenfrohe und mit Glocken besetzte Geschirr eines Tropius, das neben ihm schlummerte, mit einem Lappen bearbeitete. Eine ganze Weile hörte er nur zu und seine Aufmerksamkeit schien mehr seiner Arbeit als dem Gespräch gewidmet zu sein; der Eindruck täuschte. „Ich werd die Augen offen halten, aber versprechen kann ich dir nichts. Ich mein... nein, Jaska...“, er runzelte die Stirn, „Jaska, ich hab's verstanden, okay?“, versuchte er es mit mehr Nachdruck, „Aber der Junge könnte sonst wo sein, du hast keine Ahnung wie er aussieht... ja, verdammt noch mal.“, die Glocken des Geschirrs klirrten als Tuomo seiner Frustration mit rigorosem Schrubben freien Lauf ließ. „Seh ich ja alles ein“, fuhr er fort, „aber Hoenn ist groß und die Wahrscheinlichkeit, dass er...“, ein zunehmend entnervter Seufzer, „Okay, okay!“, der Lappen wurde in eine beliebige Ecke gefeuert. „Versprochen.“, murmelte Tuomo bevor er auflegte. „Himmel Herr Gott!“, fluchte er, woraufhin das verschlafene Pflanzen-Pokémon neben ihm fragend den Kopf hob und den Artisten aufmunternd anstubste. Lächelnd kraulte Tuomo den Kopf des Tropius. „Nah, du kannst nix dafür.“, erklärte er dem Pokémon, das scheinbar nie begriffen hatte, dass es – ausgewachsen wie es war – gut zwei Meter groß und an die hundert Kilo schwer war und so rannte es Artisten mit seiner Schmusebedürftigkeit regelmäßig über den Haufen. „Jaska nutzt einfach seine Krankenbettschonzeit. Wer geht schon hin und scheißt einen zusammen, der gerade aus'm Koma aufgewacht ist?“ Aber wie er sich das vorstellte, den jungen Trainer zu finden, der mit Lohgock abgehauen war, das konnte Tuomo nicht ganz nachvollziehen. Andererseits kannte Jaska eine Menge Leute, und sicher war er nicht der erste gewesen, den der andere angerufen hatte. Ein Pokémon wie Lohgock konnte man nur schwer verstecken, früher oder später würde er damit auffallen. Lenja war nicht mit Mikko zum Pokémon-Center zurück gegangen – obwohl sie schon wegen Nachtara einen Besuch nicht aufschieben konnte – mit der Begründung, dass es schon Tag sei. Kein Fakt, den Mikko als Teil einer Kausalkette in Erwägung gezogen hätte, aber wer war er, mit Lenja darüber zu diskutieren; je weniger Leute um ihn herum waren, die von Lohgock wussten, desto besser. Irja war inzwischen wieder besserer Laune, was angesichts ihrer nun wieder gesunden Pokémon nachvollziehbar war. Mikko für seinen Teil war einfach froh, dass er Irja nicht die Anwesenheit zweier hoch entwickelter Pokémon erklären musste, diese Entspannung hatte er nach Lohgocks Kampf dringend nötig. „Okay, wenn du auch nichts mehr zu tun hast“, begann sie, „können wir ja los nach Metarost City, durch den Blütenburgwald.“ Mikko rief sich eine Karte der Region ins Gedächtnis. Wiesenflur lag nördlich von Rosaltstadt – aber seine Eltern wähnten in ja auf Pokémon-Reise, da konnte er sich also nicht blicken lassen – und nordöstlich war Malvenfroh City, quasi das Zentrum Hoenns. „Warum gerade nach Metarost?“, hakte er nach, „Ist da irgendwas los?“ Irja warf ihm den inzwischen vertrauten das-musst-du-doch-wissen Blick zu. „Alle Trainer ziehen von hier aus durch den Blütenburgwald.“, erklärte sie ihm, „Da kannst du dich an nicht zu starken Pokémon austoben, trainieren, und in Metarost gibt es sogar eine Arena!“ Mikko fand die Argumentation wenig überzeugend. „Nur weil's alle machen, muss man ihnen ja nicht nachlaufen.“, befand er, „Malvenfroh liegt viel günstiger, von da aus kann man sich immer noch überlegen, wo man hin will.“, was eine beschönigende Beschreibung war; Mikko hatte einfach keine Ahnung, was genau er jetzt anstellen sollte. „Du bist seltsam. Aber von mir aus.“, entgegnete Irja, „Dann also erst mal nach Norden.“ Ein schnelles Geigenstück kündigte Lenja einen Anruf auf ihrem Handy an. Müde und nicht wirklich gut gelaunt, da sie sich gerade hingelegt hatte, meldete sie sich. „Ja?“, die Müdigkeit wich Überraschung, „Hi! Nein, ist okay, ich hab Zeit.“, dann hörte sie eine ganze Weile nur zu. „Oh... wirklich... Moment, warte mal.“, sie setzte sich im Bett auf und strich sich die etwas verwuschelten schwarzen Haare aus dem Gesicht. „Ein Junge mit einem Lohgock, das eindeutig stärker ist als er, ja?“, sie lächelte während ihr Gesprächspartner antwortete, „Uhun, kann man so sagen.“, sie nickte, obwohl das beim Telefonieren reichlich sinnlos war, „Ja, alles klar. Mach ich.“, dann legte sie auf. Sie hatte es ja gewusst, dass da mit Mikko und seinem Lohgock was nicht stimmte, aber das war schon heftig. „Wenn du schon das Ziel aussuchst, kann ich zumindest die Route bestimmen!“, erklärte Irja unbeirrt, als Mikko die von ihr geplante Route anzweifelte. „Vertrau mir, ich weiß was ich tu!“ Schlussendlich konnte es ihm vermutlich egal sein, und wenn seine ungebetene Reisebegleitung etwas Ahnung von der Umgebung hatte, konnte ihm das nur helfen. Also gab er am Ende doch wieder nach, ein Trend der sich in seinem Leben breit gemacht hatte. Und so fand er sich wenig später bei unangenehm kalten Nieselregen auf dem Weg gen Norden. „Weißt du, wenn die anderen davon erzählt haben, wie toll es ist, Pokémon-Trainer zu sein, haben sie diesen Teil irgendwie ausgelassen.“, beklagte er sich, als eine weitere Windböe ihm eine Ladung Regen ins Gesicht wehte. „Welchen Teil?“, fragte Irja, die ein paar Schritte vor Mikko unbeirrt neben ihrem Moorabbel her stapfte, das das Wetter offenbar genoss. „Na das hier! Regen!“, er unterstrich seine Aussage mit einer alles umfassenden Geste, „Wer macht so was freiwillig!?“ Sie grinste und sah sich über die Schulter nach ihm um. „Du.“, antwortete sie schlicht. Und das schlimmste war, sie hatte Recht. Genau genommen konnte kein noch so stures Pokémon ihn dazu zwingen, irgendwo im nirgendwo durch den Regen zu laufen. Lohgock hätte vermutlich nichts dagegen gehabt, das ganze in einem trockenen Pokémon-Center auszusitzen, hätte es sich nicht in seinem Pokéball befunden. „Wir sind ja bald am Fluss, da gibt es eine Fähre...“, meinte Irja schließlich. Mikko war skeptisch. „Hast du so was nicht schon vor ner Stunde oder so gesagt?“ Sie wurde rot und wandte sich wieder nach vorne. „Wir müssten wirklich bald da sein. Bei dem Wetter kommt es einem viel weiter vor, als es ist.“ Gut zwei Stunden später hatte der Regen an Intensität zugenommen und schlussendlich war nicht mehr zu leugnen, dass weder Mikko noch Irja genau wussten, wo sie waren. Am Nachmittag hätte es eigentlich noch gut hell sein sollen, aber das aufziehende Gewitter verdunkelte den Himmel jetzt schon und allmählich wurde es schwer den angelegten Weg vom Unterholz zu unterscheiden. „Erfrieren eigentlich viele Trainer vor Erreichen der ersten Pokémon-Arena?“, fragte Mikko mit ihn selbst überraschendem Humor in die schon länger an herrschende Stille hinein. Die Winter in Hoenn wurden ja nicht so kalt wie in anderen Regionen, aber kombiniert mit anhaltendem Regen fühlte er sich doch gut durch gefroren. „Hey, immerhin ist es nicht mehr so windig!“, bemerkte sie optimistisch, „Jetzt ein Vogel-Pokémon...“ Mikko blieb wie angewurzelt stehen. Er war aber auch selten dämlich. „Natürlich! Dann könnte es uns in ein paar Minuten sagen, wo der verdammte Fluss ist!“ Irja seufzte. „Ja, könnte es, aber so toll kann dein Liekki nun echt nicht flattern und wenn du nicht gerade was größeres aus deinen Pokébällen zaubern kannst, hilft uns der Plan auch nicht weiter.“ Mikko ballte in seiner Tasche die Hand um Schwalboss' Pokéball. Er könnte genau das tun. Er sah zum Himmel auf, wo sich rabenschwarze Wolken auftürmten. Noch war das Gewitter weit weg; wenn es einmal über ihnen war, war ein Flug keinem Pokémon mehr zuzumuten. Er schluckte. „Ich kann.“, erklärte er entschlossen und warf den Pokéball. Schwalboss ließ seinen Ruf ertönen und breitete die Schwingen aus, gerade als Irja sich erschrocken umdrehte, die Augen geweitet. „Was zur Hölle–“ Das Vogel-Pokémon zeterte unzufrieden ob er Wetterumstände, in die Mikko es gerufen hatte. „Ja, tut mir Leid, Schwalboss.“, entschuldigte er sich, „Aber kannst du uns helfen, den Fluss zu finden?“ Es schüttelte das feuchte Gefieder, nickte, und schlug mit den Flügeln, woraufhin es sich sekundenschnell in den Himmel erhob. Mikko folgte ihm mit Blicken, doch Schwalboss war bald im Regen verschwunden. Irja starrte ihn fassungslos und vorwurfsvoll an. „Wann hast du das denn bitte gefangen? Ich mein, nicht dass ich nicht froh bin, dass du es hast, aber...“ Mikko zuckte verlegen mit den Schultern. Vielleicht hätte er doch noch ein paar Minuten warten und sich eine passende Erklärung überlegen sollen; wann würde er das endlich lernen? „'Gefangen' ist nicht ganz das richtige Wort...“, begann er, „Es ist irgendwie ziemlich anhänglich, und nachdem es bei mir zu Hause aufgetaucht war, haben meine Eltern geradezu darauf bestanden, dass ich Trainer werde... gewissermaßen. Und darum... darum halt...“ „Oh. Okay. Das erklärt das.“, sie rückte ihre Tasche zurück und streichelte Moorabbels Kopf. „Ich hab gleich gedacht, Trainer die gerade anfangen, also besonders die, sind sonst eigentlich, also normalerweise, etwas enthusiastischer. Aber du wolltest gar nicht richtig, oder?“, sie klang enttäuscht. Aber leider hatte sie absolut recht. „Ja.“, gab er zu, „Ich hatte nie wirklich vor, Trainer zu werden.“, aber es tat so unglaublich gut, die Wahrheit zu sagen. Oder zumindest einen Teil davon. „Dann solltest du es auch sein lassen!“, jetzt schien Irja erst recht ärgerlich, „So halbherzig erreichst du eh nichts, da kannst du auch gleich wieder nach Hause gehn.“ „Ich kann nicht!“, gab er laut zurück, „Wenn ich es einfach hätte bleiben lassen können, hätte ich genau das getan!“ Irja sagte nichts, sondern wandte ihm den Rücken zu. „Da kommt dein Pokémon.“, bemerkte sie kühl. Mit Schwalboss Hilfe fanden sie den Weg zum Fluss problemlos; sie waren etwas zu weit nördlich gelaufen und konnten nun eine Station später in die Fähre einsteigen, die zu ihrem Glück sehr regelmäßig verkehrte. Als Mikko Schwalboss in den Pokéball zurück rief grollte über ihnen der erste Donner. Jaska ließ sein Handy mit einem grimmigen Lächeln zuschnappen. Er schaltete das Gerät aus und machte sich auf den Weg zurück in sein Zimmer, das er zum Telefonieren verlassen hatte. Der Junge hatte doch tatsächlich die Dreistigkeit besessen, Eljas' Lohgock in einem Kampf einzusetzen, wahrscheinlich froh in dem Glauben, das habe keinerlei Konsequenzen. Aber jetzt wusste er, wo er war, und noch besser, wohin er auf dem Weg war. Sein Timing könnte gar nicht besser sein; in Malvenfroh würde Tuomo auf ihn warten, und er mochte von dem anderen Trainer nicht immer nur gutes gedacht haben, aber wenn es um Eljas ging würde er keine halben Sachen machen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)