Die Geschichte des legendären Sullivan O'Neil von Izaya-kun (Das Tagebuch eines Gesuchten) ================================================================================ Kapitel 20: Wieder Daheim ------------------------- Ich folgte dem Zuchtmeister nur zögernd. Mit jedem Schritt wuchs meine Angespanntheit und es war kein Ende in Sicht. Ich erkannte die kahlen Wände, die biblischen Bilder daran und die vergitterten Fenster wieder, genauso wie das Treppengeländer, an welchem ich oftmals herunter gerutscht bin, oder die endlos vielen Türen in allerhand Richtungen. Wir gingen jedoch nicht hinauf zum Kinderheim und auch nicht hinunter ins Untergeschoss, zu den Gefangenen. Wir blieben dort, wo ich als Kind nie hingedurft hatte: Im Erdgeschoss. Eine Tür führte vom Aufgang in einen langen, dünnen Flur. Sie war verschlossen, drei Mal. Der Zuchtmeister verzichtete auf Bewachung. Er hatte mich betrachtet und für sich entschieden, dass er mit mir sogar im Schlaf fertig werden würde. Und wahrscheinlich hatte er damit Recht. Wir durchliefen den Flur nur langsam und Kälte stieg in mir hoch. Ich weiß nicht, ob es Angst war, oder die Temperatur die mich erschauern ließ. Ohne, dass ich etwas sehen konnte, verlieh mir alles unheimlichen Respekt. Wehklagen und Wimmern drang durch die etlichen Türen hindurch. Am Ende des Flures dann erreichten wir eine weitere Tür. Sie war klein und dunkelbraun und wie die Erstere mehrmals verschlossen. Der Zuchtmeister öffnete sie und deutete mir einzutreten, woraufhin ich folgte. Die Umgebung hatte mich zurück in meine alte Rolle geworfen. Ich ging in kleinen Schritten, mit demütig gesenktem Kopf. Als er sie hinter mir zufallen ließ, zuckte ich ungemein zusammen, was ihn amüsierte. „Nun, da wären wir.“ Der Zuchtmeister ging an mir vorüber und öffnete die Fensterläden. Schwaches Licht drang ins Zimmer. Es war ein recht kleiner Raum und spärlich eingerichtet. Es gab ein doppelstöckiges Bett, einen winzigen Schrank, einen Tisch und zwei Schemel daran. Alles in allem wirkte es ärmlich und dreckig. Die Wände waren feucht und verliehen dem Zimmer Kühle und unheimlichen Gestank nach Schimmel und Fäulnis. Während er mich von den Fesseln befreite, nahm ich jedes noch so kleine Detail in mir auf. Eine alte, zerfranste Jacke hing am Fenster und auf dem Tisch lag eine rote Mütze. Jemand wohnte hier. „Dies ist dein Zimmer.“, ich ließ ihn gewähren und wagte es nicht, meinen blick zu heben, während mein jetziger Herr meine Arme drehte und musterte. Ihm missfiel mein Ausschlag, das sah man ihm an. Er war nicht zufrieden mit mir und das, wo ich nicht einmal fünf Minuten in seinen Diensten stand. „Wenn das nicht weg geht, müssen wir eine Salbe kaufen. Du wirst sie abarbeiten.“ „Es wird weg gehen.“, er sah mich an. Ich verstand seinen Blick nicht. Unsicher, ob er mich herausforderte, oder mich lobte für meine Art sah ich ihm entgegen. Der Mann schien nachzudenken und etwas in meinen Augen zu suchen. Doch scheinbar fand er es nicht. Er gab nach wenigen Sekunden auf und brummte, das Seil zusammenrollend: „Wie auch immer… Du wirst hier wohnen. Zusammen mit Charles, einem weiteren Sträfling und Pitt. Ihr müsst es unter euch klären, wer wo schläft, denn wie du siehst gibt es nur zwei Betten…“, ich musterte ihn. Der Alte schien nachzudenken, was wichtig sei und was nicht, was er erwähnen sollte, und was er sich sparen konnte. Er war sehr unschlüssig und verwarf die Ideen, noch ehe er sie aussprach. „Was werden meine Aufgaben sein?“, fragte ich ihn offen interessiert. Wieder sah er mich an. Ich verstand, dass er ein Mann war, den man nie etwas fragte. Er gab Anweisungen, mehr nicht. Er war es gewohnt, Befehle zu geben und zu entscheiden. Ich beschloss lieber etwas zurückhaltender zu werden. An Bord war es gefragt gewesen, mitzudenken und zu handeln, noch ehe der Kapitän seinen Wunsch nur aussprach. Aber dieser Mann war nicht Wilkinson, das musste ich mir klar machen. Dennoch schien es ihn in gewisser Weise zu amüsieren, wie ich mich verhielt. Dass es sich bei mir nicht um einen normalen Seemann handelte war wohl mehr als nur offensichtlich. Vielleicht sah ich so aus, von der Kleidung her. Aber in Verhalten und Redensart unterschied ich mich zu sehr, wie es schien. „Nun… Als erstes wirst du lernen, den Rand zu halten, außer ich verlange Antworten und Kommentare.“ „Verstanden.“, sagte ich nickend, obwohl es wohl nicht verlangt war. Wie aus einer Gewohnheit heraus. Sein Grinsen kam erneut und er sagte etwas ironisch: „Scheinst ja gut dressiert.“ „Ich verstehe nicht.“ „Musst du nicht…“, er deutete mit der Hand zur Tür. „Morgen früh fängst du an, dann stehst du hier bereit. Ich klopfe dort an die Tür. Ein Mal. Nur ein Mal. Das ist das Zeichen für euch Ratten, dass Ihr anfangt zu arbeiten. Ich öffne, nachdem ich bis zehn gezählt habe. Dann steht ihr hier…“, er klopfte mit der Handfläche drei mal auf die Tischplatte. „…hinter diesem Tisch, in einer Reihe. Ich teile euch eure Arbeit zu und der geht ihr dann nach, bis zum Mittag. Dann bekommt ihr eure Rationen und dann geht es weiter, bis zum Abend. Und anschließend ist der Tag für euch vorbei.“ Ich nickte, zum Zeichen, dass ich verstanden hatte. „Und was sind unsere Aufgaben?“, fragte ich dann erneut. Er drehte sich ganz zu mir und verschränkte seine wuchtigen Oberarme. „Du denkst mit. Das gefällt mir zwar, aber dem Hausherrn wird es nicht gefallen.“ „Ich verstehe nicht…“ Nickend fuhr er fort: „Wenige von euch denken nach. Denken, was morgen passiert, denken, was in zehn Minuten passiert, denken, was sie wohl machen müssen. Sie tun, was gesagt wird, oder tun, was der Instinkt ihnen sagt und damit ist es erledigt. Wenige sind wie du, Kleiner. Denken darüber nach, wie sie das Beste aus ihrem Leben machen können. Die einen nennen das Intelligenz, aber die Mehrheit nennt das rebellisch. Halt den Mund und stell keine Fragen, mein Rat an dich.“, er schmunzelte. „Hab gleich gesehen, was du für einer bist. Mir gleich gedacht: Aus dem wird was. Aber nicht hier, Kleiner. Tu deine Arbeit, bis der Richter dich sehen will und bis dahin halt den Rand und kusche.“ Ich nickte nur und sah ihm unsicher entgegen. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. War der Rat ernst gemeint? Oder sollte ich es als Drohung auffassen? Der Zuchtmeister klopfte mir auf die Schulter. „Nun, ich geh pissen. Ich schließe ab, also kein Radau. Setz dich hin und tu was du willst. Ab morgen geht es rund hier, also genieß die letzten Stunden.“, und während er ging, fügte er lachend hinzu: „Du wirst dir wünschen, unten im Keller zu sitzen, bei deinen Kameraden, glaub mir!“ Ich stand noch lange so da, sah zur Tür und lauschte. Ich hörte zu, wie er abschloss und seine Schritte im Flur verschwanden. Unmittelbar nebenan musste sich das Zimmer der Tollen befinden. Ich hörte Stöhnen und Ächzen und als ich das Ohr an die kalte Wand hielt, wurde es lauter und schrecklicher. Langsam setzte ich mich auf den Schemel und sah zum Fenster hinüber. Es war nicht groß und der Ausblick war nicht der schönste der Welt, aber es war da und es gab einen Ausblick – immerhin. Ich sah zwischen den Eisengittern den Hof. Er war leer, keiner mehr stand dort und kein bisschen Grün war zu sehen. Die Straße davor war unbelebt, ebenso wie das leer stehende Haus auf der anderen Seite. Mit einem Mal fühlte ich mich unheimlich einsam und allein. Wie lange musste ich nun hier arbeiten? Wann würde der Richter mich sehen wollen? Und was waren überhaupt meine Aufgaben? Ich spürte die Melancholie zu mir zurück kriechen. Ich verfluchte sie. Wieso konnte sie nicht auf dem Schiff bleiben, wo sie hingehörte? Ich war doch an Land. Es gab keinen Grund, nun seekrank zu werden. Und seufzend wandte ich mich meinen geröteten Handgelenken zu. Die Fessel war ich los, aber gereizt waren sie noch immer. Ich konnte nur hoffen, dass es weg ging, denn Salbe abzuarbeiten musste nun wirklich nicht sein. Ich hatte wahrhaftig andere und weitaus größere Sorgen… Ich blieb recht lange allein und wagte es irgendwann, mich auf das untere Bett zu legen. Es roch nach Urin, jedoch waren die Flecken auf den einst weißen Laken sehr alt und an den Rändern bereits braun. Und so lauschte ich den fremden Klängen, die in mir jedoch eine Art Erinnerungsgefühl wach riefen. Es ist ein Gefühl, welches man schlecht beschreiben kann. Man verbindet etwas mit einem Geruch, oder einem Geräusch und wenn dieses dann wieder aufkommt, fühlt man sich dorthin zurück versetzt. Und als ich die Augen schloss und lauschte, kam es mir fast so vor, als wäre ich nie weg gewesen. Als würde ich auf meinem Bett liegen, rechts und links weitere Kinder, still schweigend und auf einen nächsten und vielleicht besseren Tag wartend – vergebens. Ich hatte mir damals gewünscht, das Heim zu verlassen und nie mehr zurückzukehren und nun lag ich hier und merkte mit jedem meiner Sinne, es hatte nicht funktioniert. Als es bereits dunkel wurde und das Stöhnen und Ächzen verklang, nahm ich Schritte war und setzte mich auf. Ab und an war ich eingedöst, aber jedes noch so kleine Geräusch hatte mich hoch schrecken lassen. Gespannt sah ich zur Tür, welche mehrmals aufgeschlossen wurde. Dann erkannte ich den Zuchtmeister. Er ließ zwei Männer rein und ohne ein Wort verschwand er wieder. Ich stand auf, unsicher ob aus Höflichkeit, oder Unsicherheit und sah ihnen entgegen. Für einige Sekunden standen wir drei nur da und sahen uns an. Der erste von ihnen war recht klein, fast kleiner als ich. Er hatte schmale Augen, welche tiefgrün strahlten und außergewöhnlich helle Haut. Der Mann wirkte fast kränklich und war in meiner Altersklasse, aber seine vielen Muskeln zeigten, dass er nicht schwach war. Als er mich sah, knurrte er leicht, wie ein kleines Tier und ich meinte zu merken, dass er versuchte größer zu wirken. Der Zweite war es, bei weitem und er überragte auch mich um einen ganzen Kopf. So lang er wirkte, so dünn wirkte er. Fast, als käme er von einer Streckbank. Er stand etwas gebeugt und sein Hals ragte nach vorne. Fast, als sei er es gewohnt sich bücken zu müssen, um sich zu verständigen. Durch die Tür hatte er geduckt treten müssen und nun vergaß er scheinbar, sich wieder aufzustellen. Aber so ungleich sie auch waren, sofort erkannte ich ihre Gemeinsamkeit: Sie waren sich einig, dass ich hier nicht willkommen war. „Was machst du auf meinem Bett, häh?!“, schrie der Kleine plötzlich los und hechtete auf mich zu. Er stieß mich mit enormer Kraft weg. „Hau ab!“, erschrocken stolperte ich vor und drehte mich herum, aber das machte ihn nur umso hitziger. „Verfluchter Idiot! Verschwinde! Such dir ein eigenes Bett!“ Der Lange gluckste. „Genau.“, sagte er dann eifrig nickend. „Du bist hier nicht willkommen, also hau ab.“ „Ich kann schlecht durch die Tür ausbrechen.“, knurrte ich. Wütend trat der Kleinere gegen das Bettgestell. „Mir doch gleich! Finger weg von meinem Bett! Oder du erlebst dein blaues Wunder!“ Ich musste grinsen und sah zu dem Gnom hinunter, welcher mir gerade Mal bis zur Schulter reichte. „Und was willst du machen? An mir hoch klettern und mich ohrfeigen?“ Ein Wutschrei, dann stürzte der Zwerg brüllend auf mich zu. Ich fuhr zurück, aber zu spät und so krachten wir zu Boden. Eine Prügelei entstand, wenngleich sie von außen ungemein irrsinnig aussehen musste. Während ich versuchte aufzustehen und den Kleinen immer wieder von mir warf, rappelte er sich hoch, sprang an meinen Oberkörper und klammerte sich dort fest wie ein Affe. Und das mit solcher wucht, dass ich erneut zu Boden sackte. Währenddessen schlug er mit den Fäusten auf mein Gesicht ein. Er war so klein, dass es sich als äußerst schwierig erwies, ihn abzuwehren. Er sprang flink auf den Schemel und mit einem mal hang er bereits an meinem Rücken, nur um erneut zu fallen und mit einem Satz an meiner Schulter zu hängen. Dabei schrie und tobte er wie ein Wilder und donnerte mir die schrecklichsten Flüche an den Kopf. Eine Reaktion des Langen blieb aus und auch der Zuchtmeister schien nichts zu bemerken. Und das, obwohl nach wenigen Minuten jeder Schemel umgefallen war und auch der Tisch um einiges weiter links. Dann irgendwann schwanden unsere Kräfte. Der Kleine, der Größere hatte ihn Charles gerufen, schnaubte mit hochrotem Kopf und wischte sich den Speichel von dem Mund. Seine Augen hafteten an mir wie Kletten, als würde er mit sich ringen nicht noch einen Sprung zu wagen. Auch ich rang nach Atem und meine Nase blutete, aber größeren Schaden hatte ich nicht genommen. Pitt – der zweite musste Pitt sein – lachte, aber ein finsterer Blick von Charles ließ ihn verstummen. Demonstrierend und mich nicht aus den Augen lassend setzte der Kleinere sich auf das Bett. Er strich das Kopfkissen neben sich zu Recht. Ich fragte mich, was ihn annehmen ließ, dass er diesen Kampf gewonnen hatte, aber gleichzeitig fühlte ich mich zu gut, als dass ich darauf eingehen wollte. Ich hatte nie vorgehabt, mich um einen Schlafplatz zu prügeln und ich hatte wahrlich nicht damit gerechnet, dass er bei einer einfachen, höhnischen Bemerkung so dermaßen an die Decke gehen würde. Dennoch wollte ich mich nicht demütigen lassen. Ich empfand es als Schikane und herabwürdigend nach diesem Kampf auf dem Boden schlafen zu müssen, doch blieb mir eine andere Wahl? Pitt trollte sich und hangelte unbeholfen auf das obere Bett hinauf, in welches er sich zugleich legte um zu schlafen. Keiner sagte Gute Nacht. Weder zu mir, noch zum anderen. Und keiner würdigte mich eines weiteren Blickes. Ich schwieg und das ließ die zwei annehmen, ich hätte aufgegeben. Schweigend schob ich einen Schemel zum Fenster und sah hinaus, das Blut von meiner Nase wischend. Ich beschloss, das am nächsten tag zu klären, oder am Tag darauf. Die Reise hatte mich müde gemacht und seit Wochen hatte ich kein Bett mehr gehabt. Die Tatsache, dass ich ohne Fessel schlafen durfte tat mir zwar gut, aber ein Bett, eine Decke und ein Kissen wären mir lieber. Ich nahm mir vor, einen Schlafplatz zu ergattern, wenigstens für eine Nacht. Wie, das überlegte ich mir noch. Dann, wenn Zeit dazu ist. Als erstes war wichtig, nicht so zu wirken, als sei ich der Verlierer dieses kleinen Streits. Es ging mir dabei weniger um ehre und Stolz. Eher beschäftigte mich der Gedanke, dass ich unterwürfig wirkte und tat, was sie wollten. Wenn sie das Bild von mir bekämen, mit mir könnten sie alles machen, würde meine nächste Zeit hier alles andere als angenehm werden. Auf keinen Fall durfte ich alles nur herunter schlucken. Ich war darum bemüht selbstsicher zu wirken, während ich so in die Nacht starrte. Einige Motten flogen um die Laterne herum, welche am Hofeingang stand. Sie waren wie blind und flatterten wild, in ihren eigenen Tod. Eine zeit lang beschäftigte mich dieser Gedanke. Die Melancholie hatte mich noch immer und ließ Gedankenschleifen entstehen, aus denen ich nicht heraus kam. Sie lenkten mich von der Demütigung ab, aber zugleich schwächten sie mein Selbstbewusstsein. Desto länger ich dasaß, desto mehr vergaß ich den Gedanken, dass ich mich durchsetzen wollte. Ich verlor meine straffe Haltung. „Man wirkt, wie man ist.“; hatte Black einmal zu mir gesagt. „Und man wird, wie man wirkt.“ Und nun verstand ich allmählich, was er damit meinte. Als Charles aufstand und mürrisch die Fenster schloss, nur, damit ich nichts mehr hatte aus dem ich hinaus starren konnte, sah ich nicht einmal auf. Ich ließ ihn gewährend und als er sich grinsend ins Bett legte, sich naiv freuend über einen weiteren Sieg, lehnte ich mich mit der Schläfe gegen die kühlen Gitterstäbe. Aus irgendeinem Grund fehlte mir die Kraft, sie einfach wieder aufzuschieben. Und ich mied den Gedanken, auch nur ansatzweise ein weiteres Mal mit ihm aneinander zu geraten. Ich fühlte mich zu schwach dafür, nicht kräftig genug, als hätten all die Gedankenschleifen mich ausgesaugt. Wenn man sich schwach fühlt…, dachte ich, bitter lächelnd. Dann wirkt man auch schwach. Und wenn man so wirkt, ist man es. Für andere und später auch für sich selbst… War es bei mir schon zu spät, etwas daran zu ändern…? Ich erwachte, als Charles und Pitt bereits auf waren. Der Größere der beiden öffnete die Fenster, wobei er mich anstieß und sich leise entschuldigte. Noch immer saß ich auf dem Hocker und als ich mich langsam aufsetzte, schmerzte jeder meiner Knochen. Gewohnheitsgemäß wünschte ich keinem der beiden einen Guten Morgen und auch ich erwartete nichts dergleichen. Ich spürte die Unfreundlichkeit, welche in der Luft lag, wenngleich sie auch größtenteils nur von Charles ausging. Pitt schien ein freundlicher Mensch zu sein, jedoch etwas verunsichert. Als ich ihn genauer musterte, wurde mir klar, dass er einer dieser typischen Menschen war, die es zu nichts brachten. Die, egal was sie anstellten, immer versagten und nie gelobt wurden. Solche, die sich an andere hängen, an Stärkere und so auf den falschen Weg gerieten. Es gab Unmengen solcher Männer. Fast die gesamte Mannschaft hatte daraus bestanden. Nur bei keinem, den ich kannte, war es so stark ausgeprägt wie bei ihm. Während er im Raum umher lief und alles etwas gerade rückte, saß Charles mürrisch auf seinem Bett und kaute an seinen Nägeln. Dabei sah er die ganze Zeit über mich an, als würde er sich wünschen, ich wäre einer seiner dreckigen Finger. Und ich wäre es, den er da zerbiss. Ich gab mir Mühe es zu ignorieren und hinaus zu sehen. Die Sonne ging gerade auf und wenngleich Annonce dreckig und herunter gekommen war, war dies doch einer der wenigen Momente im Leben, die ich so mochte: Sonnenaufgänge. Ich liebte die starken Farben und das langsame Erwachen der Umgebung. Ganz gleich, ob in der Stadt, oder auf dem Meer. Noch immer hatte ich mir fest vorgenommen, stark zu wirken und mich zu wehren, aber ich schob den Gedanken weiter fern. Als würde eine Konfrontation mir nur schaden, als hätte ich Angst davor. Ich fühlte mich geschwächt und kränklich. Mein altes Melancholieproblem. Aber wem sollte ich davon erzählen? Einem Arzt? Damit ich ins Tollhaus käme? Niemals! Wie angekündigt klopfte es dann an der Tür. Und während der Zuchtmeister langsam und in aller Ruhe aufschloss, stellten die zwei sich nebeneinander. Ich stellte mich dazu, rechts neben Pitt. Auch hier gab es keine Begrüßu8ng, sondern nur mürrische Blicke. „Pitt, du kümmerst dich ums Mittag.“, knurrte der Meister lediglich. „Und du, Charles, gehst zur Hausmutter. Sie braucht Aushilfe.“ Und das war alles, was gesagt wurde. Er trat beiseite und die beiden Männer gingen hinaus. Ohne Widerworte, ohne Fragen zu stellen, schweigend und gehorsam. Es widerte mich an, wie sie da hinausgingen. Fast wie dressierte Hunde. Und das schlimmste war, dass man es mir ansah. Der Zuchtmeister grinste und folgte meinem Blick. „So geht das. Schneid dir eine Scheibe ab.“, und als er meinen mürrischen Blick sah, wurde sein Grinsen breiter. „Hast wohl gedacht, als Arbeiter geht’s dir besser, als als Sträfling, was?“, einige Sekunden schwieg er, fast, als würde er eine Antwort erwarten. Doch ich hatte mir vorgenommen, zurückhaltender zu werden und dem folgte ich. Außerdem fehlte mir die innere Kraft, um etwas zu sagen. Meine Niedergeschlagenheit betäubte mich ungemein. Ich fühlte mich, als hätte ich getrunken. „Nun, ich werde dir zeigen, was du zu tun hast. Keiner weiß von Anfang an alles. Aber ab morgen wirst du alleine arbeiten. Ich gebe dir eine Aufgabe und du erledigst sie. So, wie die beiden Trottel dort.“ „Aber ich bin kein Trottel.“, entgegnete ich ruhig und ein wenig spaßend. „Zumindest nicht so einer, wie diese Beiden.“, er fügte mit bedrohlichem Unterton hinzu: „Gestern haben wir uns ganz nett unterhalten. Aber das wird keine Gewohnheit, merk dir das. Ab und an wenn ich gute Laune habe rede ich mal mit euch Idioten. Aber denk nicht, weil du lesen und schreiben kannst, bist du was Besonderes. Im Gegenteil. Du bist ein Arbeiter, wie jeder andere hier. Dreck wert, mehr nicht. Wir können dich ja nicht einmal ausstellen und mit deinen Ärmchen bist du nicht einmal für Feldarbeit zu gebrauchen.“, mein Humor schwand. Ich mochte es nicht, wie er mit mir sprach. So abfällig hatte nicht einmal Wilkinson mit mir gesprochen. Es kostete mich alle Beherrschung, nichts einzuwenden. Der Zuchtmeister krempelte sein Hemd hoch, wie als Signal, dass der Arbeitstag nun begann. „Als erstes werde ich dir unsere Tollen zeigen. Auf wen du achten musst, wer es dick hinter den Ohren hat und welchen du härter anfassen musst. Danach erklär ich dir, was du hier machen wirst. Ich will, dass du den Rand hältst. Auch kein Ja, Sir., oder Nein, Sir., oder Verstanden. Es interessiert mich nicht, was du verstanden hast und was nicht. Entweder, du verstehst etwas, oder du lebst mit den Konsequenzen.“, er legte den Kopf schief und sah verächtlich auf das Blut, das auf meinem Hemd war und vom Nasenbluten des Vortags zeugte. „Wie ich sehe, hast du hier Freunde gefunden. Sehr gut, dann muss ich mir darüber ja keine Gedanken machen.“, dann ging er hinaus. Ich folgte schweigend und schloss die Tür hinter mir. „Wenn du nicht parierst, kommst du ins Tollhaus. Faulheit und Ungehorsam sind Sünden und stehen für Gottlosigkeit. Also überleg dir, wie gottesfürchtig du bist.“, spottete der Mann. Ich starrte ihn von hinten an, auf seine dunklen Flecken am Hals und auf den Schweiß, welcher unter seinen Haaren hang. Wut stieg in mir hoch, unbändige Wut. Meine Hoffnung war gewesen, dass zumindest er mich sympathisch fand, aber sie war soeben zerschlagen worden. Und wenn nicht jetzt, dann zumindest, als er die erste Tür zum Zimmer der Irren öffnete und dabei knurrte: „Verbrecher wie euch kann ich nicht leiden. Die Scheiße bauen und dann noch leben wollen, ohne Strafe dafür. Aber Leute wie dich, die unschuldig tun… Leute wie dich, die gelehrt sind und Menschen wie Pitt, Charles, oder solche Idioten ausnutzen, die mag ich noch weniger. Die find ich am schlimmsten. Wenn es nach mir geht, dann solltet ihr alle brennen, aber nach mir geht es ja nicht, Deswegen kann ich nur eins tun für unser gutes Land: Helfen euch büßen zu lassen für eure Sünden. Und nun an die Arbeit.“ Er schob mich vor und ich war mehr als nur verwirrt, was er meinte. Aber noch ehe ich fragen konnte, erstarrte ich wie zu Stein. Denn der Anblick, welcher sich mir bot, war das schrecklichste, was ich je in meinem Leben sah… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)