Die Geschichte des legendären Sullivan O'Neil von Izaya-kun (Das Tagebuch eines Gesuchten) ================================================================================ Kapitel 37: Neue Freunde und Feinde ----------------------------------- Der Wachmann schwieg und wartete geduldig auf eine Antwort, während seine Augen die Schenke absuchten. Der letzte Soldat, der noch an seiner Seite stand, postierte sich vor der Tür. Unbewusst hielt ich die Luft an und wich einen weiteren Schritt zurück in die Dunkelheit. Dass sie nachts zu uns kamen, war ein Vorteil. Es war stockduster und durch die geschlossenen Fensterläden drang auch kein Licht von der Straße herein. Unsicher sah ich Philipp an. Er hatte mich bisher noch nicht mögen gelernt und sicherlich waren die zwanzig Silberstücke mehr als nur verlockend für ihn. Es handelte sich dabei um viel Geld, doch er zeigte keine Regung. Entweder er hatte kein Interesse daran, mich zu verraten oder aber er kannte meinen Namen gar nicht. Mit einem Mal wusste ich gar nichts mehr. Hatte ich ihm meinen Namen jemals verraten? Hatte Jack ihm meinen Namen gesagt? Und von was für einem Mord sprachen die Wachen? Mir fiel als letztes auf, dass das Gesagte eine Lüge war und mein vor Angst und Schreck rasendes Herz pochte nun vor Wut. Wer hatte diese Lüge behauptet?! Robert?! Der Priester?! Oder gar Black?! O’Hagan?! Philipps ruhige Stimme durchbrach meine Gedanken und betäubte mich. Seine Gelassenheit schien auf mich über zu gehen, als er sagte: „Nichts gesehen, nichts gehört. Wie immer. Seit Ihr hier jede Woche auftaucht bleiben die Kunden nämlich aus.“, desinteressiert drehte er sich weg und nahm zwei Krüge. „Bier die Herren?“ Der Rotrock brummte bejahend. „Nur für mich.“, bestimmte er dann. Er legte eine Hand auf den Tresen und drehte sich halb zu mir. „Düster hier.“; stellte er fest. Nun war es Philipp, der bejahend brummte. Mürrisch stellte er den Krug vor den Soldaten. Der Rotrock griff ihn und stellte kühl fest: „Geht auf's Haus.“, dann nahm er einen kräftigen Schluck und stellte das Bier zurück. Philipp beobachtete ihn mürrisch und schweigend. „Und? Keine Gäste, sagtest du, Wirt?“ „Keine Gäste.“, bestätigte er. „Nur drei Fremde, über die ich nichts weiß.“ „Also doch Gäste.“, der Rotrock wirkte etwas amüsiert. Philipp brummte nur. Nach einem weiteren, kräftigen Schluck knurrte der Soldat: „Dein Bier schmeckt scheiße.“ Philipp sah ihn an. Sein Blick schien sagen zu wollen: „Dann trinkt es nicht.“, aber er schwieg und wartete geduldig weiter. Nach einiger Zeit hörte man Schritte. Die zwei Soldaten des Mannes kamen wieder hinunter, einer schrie auf und es krachte laut, gefolgt von Poltern und einen weiteren Schrei, als letztes dann ein dumpfer Aufprall. Einer der Rotröcke war auf die kaputte Stufe getreten und nun samt seinem vorderen Partner hinunter gekracht. Philipp schmunzelte. „Vorsicht die Herren, die dritte Stufe von oben is’ kaputt.“ Wütend richteten die Gestürzten sich wieder auf. Ich musste fast lachen und hielt mir den Mund zu. Um ihre roten Gesichter nicht zu sehen, schaute ich auf den Boden vor mir. „Drei Gäste, Sir.“, meldete der Dickere von den beiden und beschämt kamen sie zum Tresen. Der Hauptmann starrte sie finster an, dann räusperte er sich und richtete sich leicht auf. „Und? Wie viele belegte Zimmer?“ „Fünf, Sir.“, meldete der Dickere wieder. „Fünf.“, der Hauptmann zog eine Augenbraue hoch und sah Philipp fragend und lauernd an. „Bei drei Gästen?“ Der Wirt zuckte mit den Schultern. „Meine Frau und mein Junge.“ Das schien den Wachmann zufrieden zu stimmen und er leerte seinen Krug mit einem Zug. Anschließend spuckte er hinein und stellte ihn abfällig zurück auf den Tresen. „Widerwärtig. Einfach widerwärtig.“, murmelte er dabei. Mit einer Drehung sah er sich noch einmal um, dann wandte er sich wieder an Philipp: „Nun, dann durchsuchen wir doch mal den Rest.“ „Den Rest?“, wollte der Wirt wissen, doch man ignorierte ihn. „Ein Mann in die Küche!“, befahl der Hauptmann schroff. Sofort setzte einer der Rotröcke sich in Bewegung. Grinsend sah der Hauptmann Philipp an. „Dachtest wohl, ich übersehe was, hm?“, doch nach einigen Sekunden lauten Suchens kam der Rotrock kopfschüttelnd wieder hinaus. Wütend funkelte man ihn an, dann deutete man zum Rückzug. „Wir kriegen dich noch, Saufkopf!“, waren die Abschiedsworte des Hauptmanns, ehe die Tür ins Schloss fiel. Das war das erste Mal, dass der Klang der schrecklichen Katze wie Musik in meinen Ohren klang. Ich atmete lautstark aus und sank auf einem der Stühle in mich zusammen. Wir lauschten wie die Rotröcke sich fluchend entfernten. Einer von ihnen versuchte durch die Fensterläden hinein zu sehen, vergebens. Zweien wurde unfreundlich befohlen, Wache zu halten. Philipp stampfte wütend zur Tür und schloss sie ab. „Dämliche Rotrockschweine!“, schimpfte er dabei. Dann drehte er sich zu mir. „Oliver Sullivan O'Neil also.“ „Ich habe diese Frau nicht erstochen!“, beteuerte ich und fuhr sofort wieder hoch. „Das ist mir klar.“, entnervt stampfte er zurück zum Tresen und säuberte den Krug mit dem Handtuch. „Ihr wart gestern Abend schließlich hier, oder nicht?!“, ich merkte nicht, dass er mich duzte. Ich sank nur zurück und sah ihm zu. Mein Herz raste, ich hörte das Blut in meinem Kopf. Sinnloser Weise sah ich zum abgedunkelten Fenster. „Sie suchen mich.“, flüsterte ich leise. „Aber wieso?“ „Das weiß nur der Teufel.“, Philipp gab auf, er war zu wütend für seine Arbeit. „Der Teufel.“, wiederholte ich leise. Dann schlug ich mir gegen die Stirn. „O'Hagan.“ „O'Hagan?“, fragend sah Philipp mich an, dann kam er näher. „Was meint Ihr? O'Hagan? Der O'Hagan hat es auf Euch abgesehen? Der O'Hagan?“ Stöhnend stützte ich meine Ellenbogen auf den Tisch und vergrub mein Gesicht in den Händen. „Werft Ihr mich nun raus?“ Der Wirt lachte und setzte sich vor mich. „Seid nicht albern. Jeder, der dem ans Bein pisst ist bei mir willkommen! Wieso hast du das nicht gleich gesagt?!“, diesmal sprach er per du und unsicher sah ich auf, aber sein Grinsen zeigte mir, dass Philipp es ernst meinte. Ein wenig erleichtert setzte ich mich aufrecht. „Wieso?“, fragte ich dann. „Was hat er getan?“ „Was er getan hat?“, Philipp machte eine umfassende Geste. „Sieh dir meinen Laden doch an! Seid seine Männer hier rein gestürmt sind und alles auseinander genommen haben, traut sich keiner mehr hier her! Das macht dieser Mistkerl bei jedem Wirtshaus, welches sich weigert seinen Soldaten Unterkunft und Verpflegung zu geben.“, er schnaubte verächtlich und schüttelte den Kopf. „Ausbeute. Sie zahlen keinen Heller und dafür benehmen sie sich wie die Schweine! Sie saufen, prügeln und bedrängen die Gäste. Und die Schenken, die den Dienst verweigern werden besonders hart beobachtet, so dass kein Gast mehr einen Fuß hinein setzt. Eine Minute über die Ausgangssperre und sofort geht es ins Zuchthaus! Eine kleine Prügelei und ab vor den Richter! Es ist eine Schande!“ Philipp hatte sich richtig in Rage geredet und wischte sich nun seufzend über die Stirn. Er versuchte wieder ruhig zu werden und kurz schwiegen wir. Ich gab ihm einige Minuten, sich wieder zu fassen, dann seufzte ich schwer und flüsterte: „Und nun will er mich festnehmen, nur weil ich nicht für schuldig erklärt worden bin. Er wird mir immer unsympathischer.“ „Nur deswegen? Wohl kaum.“, Philipp sah zur Tür, aber nichts regte sich. Mies gelaunt stand er auf und trottete in die Küche. Er kam mit einem Holzspan wieder und entzündete eine der Kerzen über uns. „Da muss es mehr geben, als nur eine kleine Meinungsverschiedenheit. O'Hagan hat zu viel zu tun, als dass er jedem frei gesprochenen hinter her rennen könnte, den er angeklagt hat.“ „Es ist aber wirklich nichts passiert. Und ich habe nichts getan!“ „Weswegen wurdest denn angezeigt?“, schwerfällig ließ er sich mir gegenüber auf den Stuhl sinken. „Was hast du ausgefressen?“ „Nichts. Ich wurde schanghait und auf ein Piratenschiff gebracht. Aber ich war an keinem Raubzug beteiligt und auch an keinem Mord! Nicht einmal an der dortigen Meuterei!“ Philipp brummte nachdenklich und betrachtete die Kerze. Dann schüttelte er den Kopf. „Ganz ehrlich, Oliver, wenn du die Wahrheit sagst, dann stimmt da was nicht. Ganz und gar nicht.“ „Wem sagt Ihr das?“, niedergeschlagen ließ ich meinen Kopf zurück in meine Hände sinken. Den ganzen Abend über verhielten wir uns ruhig, als würden wir nur darauf warten, dass man herein kam, um uns abzuführen. Ab und an hörten wir das Husten einer Wache von draußen oder aber, wie sie patrouillierten, um sich die Beine zu vertreten. Sie wollen mich festnehmen. Mich, Oliver Sullivan O'Neil. Und das, wo ich doch gerade erst frei gekommen war. Nur warum? Wirklich nur, weil ich mir solche Frechheiten erlaubt hatte? Ich schalt mich immer wieder für meine Dummheiten und verfluchte mich für meine Arroganz. Am liebsten wollte ich hinaus rennen und fliehen. Aber was brachte das? Wahrscheinlich würde ich den Wachen nur geradewegs in die Arme laufen. Das Beste Versteck war hier im schwarzen Kater. Aber woher wusste O'Hagan überhaupt, dass ich hier war? Wer hatte mich verraten? Jack? Oder hatte er mich einfach von Anfang an unter Beobachtung gestellt? Dann wusste er vielleicht auch von meinen Angelegenheiten mit Pater Johannes? Philipp blieb bei mir sitzen, bis einer der Gäste hinunter kam. Ich sah neugierig auf, meine erste Regung nach gut einer Stunde. Er war fast lautlos hinunter gekommen und ich fragte mich, wie lange er wohl dort gestanden hatte, ehe wir ihn bemerkten. Der Wirt schien ihn bereits zu kennen, denn Philipp fragte nichts und auch der Fremde sprach kein Wort. Er wartete nur ruhig am Tresen, bis man ihm einen Teller Suppe und ein Laib Brot dazu brachte. Ich betrachtete ihn in dieser Zeit genauer. Er war so weit entfernt vom Kerzenschein kaum zu erkennen, zudem war sein Gesicht unter der dunklen Kapuze seines Umhanges fast vollkommen verborgen. Auch den Rest seines Körpers konnte ich nicht sehen. Ich erkannte lediglich leicht gebräunte, vernarbte Haut und schmale, ausdruckslose Lippen. Eine silberne Schließbrosche in Form eines fliegenden Adlers blitzte im wenigen Licht und seine schwarzen Schuhe wirkten im Vergleich zu seinem Überwurf fast grau. Während er da stand und wartete, schien er meine neugierigen Blicke zu bemerken und drehte den Kopf fast mechanisch zu mir. Schnell starrte ich auf den Tisch. Seine Anwesenheit machte mich nervös und ich verstand nicht, warum. Nachdem Philipp ihm alles hingestellt hatte, griff er es wortlos und ließ ein Silberstück auf den Tresen fallen. Es drehte sich auf seinem Rand im Kreis. Dann verschwand er wieder nach oben. Ich sah ihm nach, daraufhin zu Philipp. Auch er schaute zur Treppe, als müsste er sicher gehen, dass der Gast wirklich verschwand. Irgendwann fiel das Silberstück zur Seite und wippte fast qualvoll laut auf und ab, ehe es vollends zum Stehen kam. Brummend schob der Wirt es in seine Tasche. „Was ein düsterer Geselle.“, er schlurfte zurück in die Küche. Neugierig sah ich zum völlig im Schwarz endenden Treppenaufgang. „Allerdings.“, murmelte ich dann. Seufzend vergrub ich mein Gesicht wieder in den Händen. „Aber er wird wenigstens nicht gesucht…!“ Lange saß ich so da, niedergeschlagen und in Gedanken versunken. Philipp stellte mir einen Krug Bier hin, den er mehrmals nachfüllte, um mich ruhig zu stellen, außerdem noch den Topf mit kalten Suppenresten des Tages. Das Meiste war bereits eine feste, breiartige Masse geworden, doch es stillte den Hunger und so reichte es mir. Ich war ihm sehr dankbar dafür. Es war eine geringe Art von Beistand, die ich nicht überall finden konnte – wenngleich ich mir auch nicht sicher war, ob es sich um eine kostenfreie Hilfe handelte. Es fiel mir schwer meine Gedankengänge zu sortieren, mehr als ohnehin schon. Die vergangenen Monate erschienen mir wie das pure Chaos. Irgendwann in der tiefen Nacht tauchte Jack in der Uniform der Rotröcke auf. Er schlich zur Tür, schloss auf, schlüpfte hinein und schloss sie eilig wieder, damit keiner der Wachposten ihn bemerkte. Dann seufzte er schwer und rief: „Ich bin zurück!“ Von Philipp erhielt er keine Antwort. Der Wirt hantierte in der Küche herum und ehe er dort nicht fertig war, konnte ich nicht schlafen gehen. Und so saß ich noch immer an meinem Tisch. Ich grüßte Jack müde und leicht benommen mit einem lieblosen Wink, bemüht ein wenig zu lächeln. Jack verbeugte sich knapp und ging zum Tresen. Umständlich schlüpfte er aus den Stiefeln, während er zu seinem Ziehvater hinein zischte: „Draußen stehen Rotröcke. Ist etwas passiert?“ „Das Übliche.“, war die gelangweilte Antwort. „Schikane.“ „Verstehe.“, Jack warf seine Schuhe hinter den Tresen, dann wandte er sich zu mir. „Ihr seid noch da.“, stellte er fest. Ich nickte nur und sah in mein Bier. „Scheint so.“ „Das freut mich. Ich denke Ihr wisst es schon, aber man sucht Euch.“, Jack warf einen kurzen Blick zur Küchentür, doch der Wirt ließ nur Töpfeklappern vernehmen. Scheinbar zufrieden gesellte Jack sich zu mir. „Man sucht Euch.“, wiederholte er. „Das weiß ich.“, der Junge fummelte einen Rest Speck aus meinem leeren Topf und steckte es sich in den Mund. Ich fragte mich, ob diese Mahlzeit eigentlich für ihn gedacht war. Ich seufzte, als ich feststellte, dass ich schon wieder zu denken begann. Es hatte mich ganze drei Bier gekostet, mein Hirn zum Schweigen zu bringen und nun brachte dieser Junge das Uhrwerk wieder zum Drehen. Wieder spürte ich Aggressionen tief in mir drin. Leicht desinteressiert sah ich ihn an. Meine Augen waren mit Sicherheit glasig und unter ihnen tiefe Augenringe. Ich fühlte mich langsam und betäubt. Im Dämmern beschloss ich, den Alkohol wieder zu reduzieren. Es würde die Wachen zwar sicherlich freuen, würde ich betrunken direkt in ihre Arme torkeln, aber diesen Gefallen hatten sie sich nicht verdient. „Und? Hast du dir die Sache überlegt?“ „Habe ich.“, Jack nickte entschieden. „Ich werde Euch helfen. Nach dem, was ich heute gehört habe, wäre es unverzeihlich, wenn ich Euch nicht helfen würde.“, mein Blick wurde fragend, aber meine Zunge erschien mir zu schwer, um nachzuhaken. Jack schien das zu merken. Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. Die Kerze über uns flackerte kurz und mir fiel auf, dass er nicht nur außerordentlich müde war, sondern auch noch ein rechtes, blaues Auge hatte. „Sie haben allerhand über Euch geredet. Über den Mord gestern Abend. Erst war ich schockiert, das gebe ich zu, doch dann habe ich nachgedacht. Das kann gar nicht passiert sein. Ich saß fast die ganze Nacht hier unten. Ich hätte Euch gesehen, wärt Ihr an mir vorbei geschlichen.“, ich nickte und seufzte leise. Jack schwieg ebenfalls. Er schien auf eine Antwort zu warten, doch ich hatte beschlossen, erst wieder klarer zu werden. Es brachte nichts, als halber Idiot Pläne und Ideen zu schmieden, nur um sie am nächsten Tag wieder zu verwerfen. Und so fuhr er fort: „Ich werde Euch helfen. Mit dieser Frau. Ihr werdet ungerecht behandelt, wie wir alle hier. Und das mindeste, was wir tun können, ist zusammen zu halten und uns zur Wehr zur setzen. Vielleicht können wir damit das Leben dieses Volkes nicht ändern, aber vielleicht das Eure und jenes dieser Frau und allein das ist es mir wert.“ „Du hast dir scheinbar zurechtgelegt, was du sagen wirst. Du sprichst sehr überlegt.“, murmelte ich abwesend in mich hinein. Jack zuckte mit den Schultern. „Kann schon sein.“ Philipp rief aus der Küche zu uns herüber: „Reden kann der Bengel gut und viel, mehr aber auch nicht!“, dann kam er hinaus und spuckte in den Kautabak-Eimer neben dem Tresen. Ein leises, hohles Klong! Ertönte kurz. „Du verbrennst dir die Finger, Junge. Kümmere dich lieber um deine Arbeit, statt das Leben anderer in Gefahr zu bringen. Ich weiß zwar nicht, worum genau es geht, aber-...“ „Ich weiß, was ich tue.“, antwortete Jack leicht trotzig und bemüht ruhig. „Ich bin alt genug.“ „Sicher bist du das.“, Philipp seufzte und fuhr sich über das zause Haar. Es schien fast, als würde er bereits jetzt jegliche Diskussionen aufgeben. „Geh rauf und kümmere dich um deine Mutter. Sie hat nach dir gefragt.“ „Sie fragt den ganzen Tag nach mir.“, Philipp seufzte und räumte das Besteck ab, Jack und ich schwiegen. Nachdem der Wirt verschwunden war, zischte der Junge: „Ich werde Euch trotzdem helfen!“, und verschwand dennoch gehorsam die Treppe hinauf. Ich sah ihm benommen nach, dann stand ich auf. Mit einem Mal war mein Kopf unheimlich schwer und meine Knie zitterten. Ich musste mich am Tresen halten, auf dem Weg zur Küche und als ich die schmutzige Decke vor dem Ofen sah, sank ich fast dankbar darauf. Der Wirt klopfte mir beim Vorbeigehen auf die Schulter. Er murmelte etwas, was klang wie: „Nacht. Morgen sieht alles anders aus.“, ehe er die Kerze nahm und hinaus schlurfte. Ich schwieg und drehte mich auf die Seite. Ein wenig kühl war es schon. Der Ofen war aus, die restliche Hitze wärmte meinen Rücken, doch auch diese würde wohl bald erlöschen. Ein wenig schaudernd beobachtete ich den verschwindenden Kerzenschein und zog einen Deckenzipfel so weit über mich, wie es ging. Sie roch nach Hund und Schimmel, aber der Alkohol und meine Müdigkeit ließen es mich bereits nach wenigen Minuten vergessen. Zudem passte es zu mir, so, wie ich dalag. Immer mehr driftete ich ab in die Welt des Schlafs und mit jeder Minute meinte ich mehr, wieder in meinem alten Klosterzimmer zu sein. Ich begann, davon zu träumen. Von meiner Zeit im Kloster, meine Zeit in Ruhe und Frieden und mein Leben vor meiner Reise mit Black. Es tat gut, solches zu sehen. Mehr, als die Feuerprobe immer wieder und wieder zu wiederholen. Dennoch war es nicht erholsam. Annonce lag im Schlaf, aber selbst dort erklangen stets die Geräusche der Nacht. Betrunkene, die während der Ausgangssperre herum liefen und von den Wachmännern aufgegriffen worden waren schrieen und wüteten, Kinder weinten, Frauen stöhnten. Ein Straßenhund bellte und die Ratten arbeiteten sich mit kratzenden Krallen über die Steinböden. Ich war mitten in der Nacht wach geworden und nun hinderten mich all diese Geräusche daran, wieder einzuschlafen. Ich wusste nicht, was ich von all diesen Dingen halten sollte und am wenigsten, was nun zu tun war. Ich hatte ein freies Leben gewollt. Stattdessen sollte ich nun verfolgt und im gnädigsten Fall aufgeknüpft werden. Ich rechnete damit, dass mitten in der Nacht jemand an die Tür klopfte, um eine erneute Untersuchung durchzuführen. Sollte ich mich dann stellen? Was geschah dann? Es gab keine Beweise für meine angebliche Tat. Aber brauchte O’Hagan solcherlei überhaupt? Wohl kaum. Wieso verfolgte dieser Mann mich? Ich konnte ihn unmöglich so dermaßen gekränkt haben und allem Anschein nach gab es mehr Menschen, als nur mich, die sich ihm widersetzten. Und hängte man diese? Philipp und Jack sahen meiner Meinung nach noch sehr lebendig aus. In der Küche wurde es immer kühler, die staubige Decke half kaum. Ich rückte etwas näher an den Ofen heran. Er lag viel zu weit über mir, als dass sein wärmendes Metall auch nur irgendetwas gebracht hätte, aber ich wollte das Feuer nicht entzünden. Ein rauchender Schornstein mitten in der Nacht? Das wäre zu auffällig. So blieb mir nichts anderes übrig, als ganz still dazuliegen und nicht an die Kälte zu denken. Ich umwickelte meine Füße mit einem Lappen, zog die Beine an und klemmte meine Hände zwischen die Oberschenkel, um so warm zu werden, wie nur irgendwie möglich. Mit über den Kopf gezogener Decke atmete ich konsequent durch die Nase, um die Luft unter dem Stoff aufzuheizen, aber selbst das half nichts. Seufzend setzte ich mich auf und umklammerte meine dünnen Arme. Sie zitterten leicht. Wenn das so weiter ging, würde ich an einer Grippe sterben, ehe ich den Galgen auch nur sehen dürfte. Mir die Oberarme reibend warf ich einen Blick zum Fenster. Es war geschlossen, so dass ich nur Schwarz sah, wie fast auch im restlichen Raum. Vor wenigen Minuten war der Nachtwächter herum gelaufen. Er hatte gesungen: Hört, Ihr Herrn, und lasst euch sagen, unsere Glock' hat vier geschlagen. Vierfach ist das Ackerfeld… Mensch, wie ist dein Herz bestellt? Also dauerte es immer noch gut zwei Stunden, ehe ich wieder herum laufen, etwas Essen oder Trinken konnte. Seufzend stand ich auf und sah mich um. Jedoch lagen weder Kartoffeln herum, noch konnte ich andere Arbeit finden, um mir die Zeit etwas zu verkürzen. Die Treppe reparieren konnte ich auch nicht, aufgrund der Gäste und das meiste an Putzarbeit hatte ich bereits am Vorabend verrichtet. Also was tun? Ich begann auf und ab zu laufen, wie ein eingesperrtes Tier. Die Luft in der Küche war unerträglich, aber ich wollte dennoch nicht in die zugige Schenke. Seufzend öffnete ich die Ofentür, aber auch sein Inneres war vollkommen abgekühlt. Etwas enttäuscht schob ich sie wieder zu. Ich werde erfrieren…, dachte ich. Oder ich bekomme Fieber. Hoffentlich stecke ich die Rotröcke an, wenn sie mich abführen. Oder O’Hagan. Ich lachte leise, als ich mir den Gouverneur vorstellte, im Bett mit roten Wangen und glasigen Augen. In meiner Fantasie jammerte er wie ein Kind seinem Tode entgegen und wenn er Fieberträume hatte, kreischte er wie ein kleines Mädchen. Dann zuckte ich zusammen. Ich hatte Schritte gehört, in der Schenke. Wie ein gedrillter Hund fuhr ich herum und huschte hinter den Türrahmen. Mein Herz raste und mit einem Mal waren Kälte und Müdigkeit vergessen. Jemand war in der Schenke. Aber er war nicht die Treppe herunter gekommen! Hatte Jack abgeschlossen? Das hatte er doch?! Erneut hörte ich schleichende Schritte, sie näherten sich der Küche. Wer auch immer dort war, er hatte mich gehört und nun bemerkt. Ich drückte mich gegen die Wand. Panik stieg in mir hoch. Ein Rotrock! Hektisch sah ich mich in der dunklen Küche um. Meine Decke würde jedem verraten, dass ich da war. Das war mein erster Gedanke. Es gibt kein Entkommen mehr! Dann entdeckte ich das kleine Küchenmesser auf dem Tisch. Ich packte es und umklammerte zitternd den Griff, die Augen starr auf die Tür direkt neben mir gerichtet. Ich sah es bereits vor mir: Das Gesicht des Rotrockes. Wie er ins Zimmer schlich und sich umsah, mich nicht bemerkend. Ich würde direkt neben ihm stehen, ihn überraschen… Er würde so nahe bei mir sein, dass ich hören könnte, wie er Luft holte. So nah, dass ich ihn vielleicht sogar riechen könnte. Ich würde vorstürzen, sobald er an mir vorbei war und ihm das Messer von hinten in den Rücken rammen. Ich würde ihn zu Boden werfen, überwältigen und töten… Er war allein, und er würde allein bleiben. Und er würde mich nicht festnehmen, niemals! Doch im Zimmer neben mir regte sich nichts. Es herrschte absolute Totenstille und das verunsicherte mich umso mehr. Mir fiel auf, wie laut ich atmete und so hielt ich die Luft an und schluckte kurz. Mein Körper war ungemein angespannt und ich meinte, die Anwesenheit des anderen zu spüren. Die Ratten irritierten mich und ich begann mir Geräusche einzubilden. Lief er? Stand er? War er geflohen? Sollte ich nachsehen? Und mit jeder Sekunde, in der meine Ungewissheit wuchs, stieg auch meine Angst. Es klapperte direkt hinter mir, mitten in der Küche, aber das konnte doch gar nicht sein? Wie sollte er hier hinein gekommen sein? Einmal, ganz kurz. Ich zuckte zusammen und tat es als Einbildung ab, doch dann hörte ich es erneut, lauter, intensiver. Echt. Sofort fuhr ich herum. Er war da! Kaum hatte ich mich umgedreht, packte mich eine Gestalt von hinten durch die Küchentür. Sie griff mich an den Haaren, riss schmerzhaft meinen Kopf in den Nacken und hielt mir eine Klinge an den Hals. Es ging so schnell, dass ich nicht einmal Luft holen konnte und nur wie zu Stein erstarrte. „Lasst die Waffe fallen.“, raunte mir eine dunkle und leise Stimme ins Ohr, seelenruhig, aber bedrohlich. Ich gehorchte ohne zu zögern und erhob demonstrierend die leeren Hände. Ein Ruck und ich knallte mit dem Gesicht gegen die Wand. Der Fremde lehnte seinen Oberkörper gegen meinen Rücken und zwang mich so, dem Messer an meinem Kehlkopf stand zu halten, während seine ruhige Hand mich untersuchte. Als sie fertig war, stieß man mich vor zum Ofen. Ich drehte mich um und stand dem Mann des Vorabends gegenüber. Er stand gelassen vor mir, in seinem schwarzen Umhang gehüllt und sah mich finster an. Ich erkannte fast eisblaue Augen, beißend hell und eine Narbe, die seiner linke Augenbraue diagonal durchtrenne. Sein Blick durchbohrte den meinen und verunsicherte mich. Ich konnte nicht sagen, ob er meine Augen betrachtete oder mein Gesicht, zudem beunruhigte mich seine Ruhe. Es schien, als würde er sämtliche Gelassenheit aus mir heraus saugen. Langsam tat er einen Schritt nach links, fast lautlos und versperrte mir so den Ausgang. Der Mann stellte den Kopf schief, seine Kapuze verdeckte seine Gesichtshälfte im Schatten und er fragte flüsternd: „Was wird hier gespielt?“ Er sprach unheimlich langsam, die ganze Zeit über. Es schien, als würde er ununterbrochen nachdenken, selbst während des Sprechens. „Ich weiß nicht, was Ihr meint.“, kurz sah ich zum liegenden Messer, dann wieder zu ihm. Er war meinem Blick nicht gefolgt. „Ich dachte, Ihr wärt ein Einbrecher.“ „Was treibt Ihr in der Küche?“, der Mann kam einen Schritt auf mich zu, sich ansonsten nicht regend. „Nachts?“, doch dann sah er die Decke hinter mir und stellte den Kopf wieder aufrecht. „Ihr schlaft hier.“, stellte er nachdenklich fest. Sofort sah er mich wieder an. „Wieso?“ „Wieso nicht?“, fragte ich trotzig. Ich sah ihn schmunzeln. „Ah, Ihr könnt Euch also kein Zimmer leisten.“, dann senkte er den Blick etwas und alles was ich noch sehen konnte, war sein Mund. Sein rechter Mundwinkel war leicht angehoben. „Verzeiht, ich wollte Euch nicht wecken. Ich dachte ebenfalls, Ihr wärt ein Räuber. Da haben wir wohl das gleiche gedacht.“ „Vielleicht.“, ich fasste mich wieder etwas. Dieser Mann schien mir nichts tun zu wollen, sonst hätte er es wohl bereits getan. Diese Tatsache beruhigte mich. Ich ignorierte seine Anspielung auf mein kleines Geldproblem. Etwas kühl fügte ich hinzu: „Allerdings gibt es hier wohl nichts zu klauen oder?“ „Dann sind wir wohl beide Idioten.“, er drehte um. „Angenehme Nachtruhe.“ „Und Ihr?“, er hielt inne, drehte sich aber nicht zu mir. „Was macht Ihr hier? Nachts? Euer Zimmer ist oben, soweit ich weiß.“ „Ich dachte, es wären Einbrecher im Haus.“, er sah mich über die Schulter hinweg an. Zumindest glaubte ich das, denn seine Augen erkennen konnte ich nicht. „Deswegen kam ich hinunter.“ „Sehr aufmerksam von Euch.“, stellte ich fest. Ich machte keinen Hehl daraus, dass ich seine Aussage für eine Lüge hielt. Wieder grinste er leicht. „Der gute Einfluss meiner Mutter, schätze ich.“ Ich hob das Messer auf und legte es zurück auf den Tisch. Das machte ihn aufmerksam. Der Mann kam zu mir und drehte es herum. Vorher hatte es auf der rechten Seite gelegen, nun lag es auf der linken. „Nicht so auffällig. Der Wirt…“, erklärte er dabei. „…legt es so herum… Er schält mit der verbotenen Hand.“, dann sah er mich wieder an. „Ihr auch.“, ich nickte zu seiner Linken. „Ihr habt es mit links gegriffen.“ „Sehr aufmerksam.“, bemerkte er, deutlich amüsiert. „Wohl der gute Einfluss meines Vaters.“ Ich zuckte mit den Schultern. Sein Blick wurde ernster, forschender. Ich spürte, dass er nichts mit mir anzufangen wusste. Er hatte keine Ahnung, wie ich einzuschätzen war. Ich verstand nicht, wieso, aber er war mir sympathisch. Sein Misstrauen, seine Aufmerksamkeit und seine Vorsicht. Das gefiel mir. „Ich denke, dieser kleine Zusammenstoß sollte unser Geheimnis bleiben.“ „Wieso? Weil man von Eurem Spaziergang erfahren könnte?“ „Ihr meint, es wäre…unverständlich, wieso ich hier herum laufe?“ Ich lächelte leicht. „Nein. Nur, wieso Ihr das komplett angekleidet tut, schleichend und dann auch noch, ohne den Wirt zu bitten, aufzuschließen. Es schien fast, als hättet Ihr von anfang an vorgehabt, in die Küche zu gehen.“ „Vielleicht habt Ihr Recht.“, sein Gesicht verschwand wieder größtenteils. „Vielleicht habt Ihr hier ja etwas…zu verbergen?“, ich sah mich demonstrierend um. Als ich den Mann wieder ansah, erkannte ich ein Grinsen. „Einigen wir uns darauf, dass ich eine Naschkatze bin, die sich gerne ein, zwei Brotstücken gratis besorgt.“, er hob seinen Arm und etwas flog leicht durch die Luft. Dann fiel ein kleine Silbermünze auf den Küchentisch. Wie am Tresen zuvor drehte es sich erst eine Weile, ehe es auf dem Holzbrett liegen blieb. „Sagen wir… für die gesamte, restliche Woche.“ Ich sah es an, dann ihn und anschließend nickte ich. „In Ordnung.“ „Übrigens, esse ich gern ab und an mal…allein.“, er betonte das letzte Wort mit besonderem Nachdruck. Ich verstand den Wink und nickte leicht. „Verstanden.“ Er drehte erneut ab. „Gute Nacht. Ach nein… Möge Gott über Euch wachen.“, und so verschwand er die Treppe hinauf. Ich sah unsicher nach, dann zum Silberstück hinüber. Ich konnte es mir nicht nehmen lassen, es zu testen und tatsächlich war es echt. Die Schritte des Fremden waren so leise, dass ich nicht hören konnte, ob er die Treppe wirklich hinauf ging. Erst als ich seine Zimmertür hörte, war ich beruhigt und sank zurück auf meine Decke. Nachdenklich drehte ich das Geldstück zwischen meinen Fingern. Wer war dieser Mann? Ohne Frage war sein letzter Satz eine Anspielung auf meine Herkunft gewesen. Ich wartete lange, bis ich völlig sicher war, dass er sich oben befand, dann stand ich wieder auf, verstaute das Stück in meiner Hosentasche und begann die Küche zu durchforsten. Langsam und vorsichtig, vor allem leise. Egal, was er gewollt hatte, es hatte sich in dieser Küche befunden. Ob ich ihn überrascht hatte? Was mochte es wohl sein? Doch ich wusste nicht, wonach ich suchen sollte und so fand ich nichts. Weder zwischen den Erbsen, Linsen und Kartoffeln, noch in den Schubladen oder Schränken. Ich sah in jedem Krug nach und testete sogar die Bodendielen. Nirgends war etwas zu finden. Es war zum verzweifeln…! Vor allem, da ich sehr leise sein musste. Als ich aufgab, ging nicht wenig später die Sonne bereits auf. Der erste, der wach war, war Philipp. Er kam die Treppe hinunter und bog sofort in die Küche ein. Ich war eingenickt und lag zusammengekauert vor dem Ofen. Mit einem leichten Tritt weckte er mich und brummte: „An die Arbeit, es ist Tag.“ Gequält stöhnend drehte ich mich auf die andere Seite. „Lasst mich schlafen…“ „Nicht, ehe du deine Schulden bezahlt hast, du Lump!“, knurrte er und zog mich in Sitzposition. „Aufstehen, sage ich oder soll ich dich erst mit Wasser abschütten?“ Müde wehrte ich mich und hielt ihm meine Silbermünze entgegen. „Da, und jetzt lasst mich! Ich bin müde, verdammt noch mal…“, ohne eine Antwort abzuwarten sank ich zurück, rollte mich zusammen und zog die Decke über meinen Kopf. Damit waren meine Schulden bezahlt, also sollte er mich lassen. Philipp stand da, wie angewurzelt. Völlig verdattert und verwirrt hielt er das Silberstück in der Hand. Sein Blick zu mir war misstrauisch. „Wenn du das einem Gast geklaut hast…“, drohte er mir, eine Antwort bekam er aber nicht. Ich wollte schlafen. Und nachdenken... Was wollte dieser Kerl hier in der Küche? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)