Never liked doing it all von abgemeldet (until I did it for you) ================================================================================ Kapitel 2: Geste/Distanz ------------------------ Meine Mum lag im Krankenhaus. Im Sterben, um genauer zu sein. Und ich besuchte sie öfters. Einmal in der Woche für ein vielleicht zwei Stunden und die meiste Zeit schwiegen wir uns an. Es war anstrengend. Aber ich wusste einfach nicht was ich sagen sollte. Nichts außer Was für ne schlechte Mum bist du eigentlich? und ähnlichem. Meine Mum und ich…wir hatten einfach nicht viel gemeinsam. Wirklich nicht. Bevor sie ins Krankenhaus gekommen war, hatten wir lediglich alle paar Monate für wenige Minuten am Telefon miteinander gesprochen. Es war einfach eine Distanz zwischen uns, die mit den Jahren nur größer geworden war und nun wusste ich nicht was ich ihr sagen sollte. Und sie anscheinend auch nicht, was sie mir sagen sollte. Also saßen wir hier in diesem Krankenzimmer und schwiegen uns an. Wir schwiegen. Die Ereignisse der Woche hatte ich schon sozusagen ihr mitgeteilt. „Ich war heute morgen Brunchen mit Annie.“ und schon hatten wir den heutigen Tag zusammengefasst. Was sollte ich darüber weiter sagen? Ihr vielleicht über den Tratsch über den neuen Sozialfall erzählen, der Erin und mich so verärgert hatte? Bestimmt nicht, soviel weiß ich dann doch noch über sie. Sie war schließlich auch ein Sozialfall, irgendwie. Und was blieb dann noch zum erzählen? Sollte ich ihr erzählen, dass ich heute zum Abendessen bei meinem Vater und seiner neuen Frau eingeladen war? Wohl eher auch nicht. Also, wusste ich nicht was ich ihr sagen sollte. Ich könnte ihr etwas von meinem Bruder Patrick erzählen, aber die beiden hatten sich noch weniger zu sagen, als ich ihr. „Wie ist denn so das essen?“ „Ganz gut.“ Und schon war das nächste Gespräch beendet. Ein Gespräch von dem ich glaubte, dass ich es auch schon öfter geführt zu haben. Und seien wir mal ehrlich, übers essen reden? Übers Krankenhausessen? Man musste kein Experte sein um zu sehen, dass wir keine Gesprächsthemen hatten, dass da zwischen uns einfach eine Distanz war, die wir anscheinend nicht überbrücken konnten. Nicht wirklich zumindest. Ich kann mich an Moment erinnern in denen sie mir nah gewesen war, ich weiß dass es sie gegeben hatte, aber irgendwie konnte ich nie einen solchen Moment finden, wenn es mal wirklich wichtig wäre. Sollten wir uns nicht noch einmal nah sein, bevor sie starb? Sollte…Ich weiß auch nicht. Ich wollte einfach nicht, dass sie starb und sie dann für immer weg war, wenn da nichts zwischen uns war, als diese Distanz. Sie war meine Mutter, keine sonderlich gute, war sie auch noch nie gewesen, aber sie war meine Mutter. Meine Mutter und ich war meiner Stiefmutter, selbst Annies Mutter soviel näher als ihr. Meine Stiefmutter, bei der ich manchmal wünschte, sie wäre meine echte Mum, die ich irgendwie zu meiner Familie zählte und dann war da Annies Mum. Annies Mum, die so was wie meine zweite Mum war. Eine Frau, die ich ebenfalls zu meiner Familie zählte. Super, wenn ich mir meine Familie ansah, so wie ich sie sah, wie ich sie wählen würde, bestand sie aus Erin und Annie, aus meinem großem Bruder Patrick und seiner Freundin Sam, aus meiner Stiefmutter Susanna und aus Annies Mum Christa. Das war die Familie wie ich sie im engen Kreis sah. Und selbst im weitesten Sinne, tauchte meine Mum da nicht drin auf – zugegeben mein Vater Sven auch nicht – und irgendwie war es traurig. Oder? Ich meine, meine eigene Mutter, meine Mutter, die ich Mum nannte, sollte zu meiner Familie zählen? Oder etwa nicht? Genervt stieß ich einen Seufzer aus, während ich mir mal wieder wünschte, eine ganz normale Familie zu haben. „Du musst mich nicht besuchen kommen, Jimmy.“ Hörte ich meine Mutter leise flüstern. Und es tat weh. Weil sie wusste, das sie mir nicht nah war, dass sie mir eine Fremde war. „Nein Mum, das mach ich doch gerne.“ Log ich. Denn auch wenn sie mir nicht nah war, und dass das was ich über sie wusste, sie mir auch nicht sympathisch machte, war sie immer noch meine Mum. „Lüg mich nicht an, Jimmy.“ Begann sie. „Ich weiß, ich bin keine gute Mum und ich weiß, du magst mich nicht sonderlich.“ „Mum, nein, so ist es nicht.“ Ich weiß es war schon wieder eine Lüge, aber ich konnte ihr doch nicht die Wahrheit sagen, ich konnte ihr doch nicht so wehtun, oder? Nein, das war eine dumme Frage. Natürlich konnte ich ihr nicht so wehtun, sie war meine Mum, ich wollte ihr nicht wehtun. Auch wenn ich sie nicht mochte, wollte ich sie nicht verletzten. „Jimmy, es ist okay, wirklich.“ Und das tat sogar mir weh. „Weißt du, ich möchte dir etwas erzählen.“ Begann sie erneut, sah mich an, und ich konnte nicht anders, als mit zugeschnürter Kehle zu nicken, auch wenn ich eigentlich nicht hören wollte. „Ich war jung und naiv und plötzlich war ich ganz alleine mit zwei Kindern. Dein Vater hatte mich verlassen, zurück gelassen, als er erfahren hat, dass ich schwanger mit dir bin –Wenn wundert es da eigentlich, dass ich auch mit meinem Vater nicht gut auskam? – und…es war nicht einfach. Ich war so verletzt und so wütend. Aber dein Vater war nicht mehr da. Also war ich wütend auch dich, all die Jahre lang.“ Ihre Stimme brach ein wenig, als sie die Worte, die Wahrheit aussprach. Resigniert rollte ich mit den Augen, so viel hatte ich auch gewusst, ohne dass sie es mir hätte sagen müssen. Es war kein großes Geheimnis gewesen, dass sie wütend auf mich war, oder gewesen ist. Es war schon immer so gewesen, und ein Teil von ihr würde immer wütend auf mich, und es war okay. Nicht weil es nicht weh tat oder…aber es okay, denn ich konnte damit umgehen. Ich wüsste ehrlich nicht, wie ich reagieren sollte, wenn sie nicht mehr zornig sein würde. „Es ist schon okay, Mum. Ich verstehe es, ehrlich.“ Entgegnete ich ihr dann, bevor sie fortfuhren konnte. Ich wollte es nicht hören, ich wollte nicht, dass sie sich das selber antat. Und dann verfielen wir wieder in Schweigen. Schweigen. Fast bereute ich es schon sie davon abgehalten zu haben, vielleicht…Es wäre ein intimes Gespräch gewesen, vielleicht wären wir uns mal wieder Nahe gewesen. Es war unwahrscheinlich, wir hätten uns eher gestritten, aber es hätte sein können. Es…es war Wunschdenken, nichts weiter. Wir würden uns nie nah sein, wir würden uns nie nahe stehen, wir würden es nie tun. Dafür war zu viel passiert, vielleicht auch zu wenig, ich wusste es nicht genau, aber es machte es uns unmöglich. Es sorgte dafür, dass wir jetzt hier, nebeneinander saßen und schwiegen, dem Piepsen der Geräte lauschten und nichts taten. Es war kein angenehmes Schweigen, nicht…wir schwiegen nicht einfach so, um der Stille wegen, sondern weil wir uns nichts wirklich zu sagen hatten. Nichts, keine Sachen von Bedeutung und auch keine ohne Bedeutung. Einfach nichts. Nach einigen Minuten Schweigen mehr, hielt ich es einfach nicht mehr aus, ich konnte einfach nicht hier sitzen und nichts sagen, also stand ich auf. „Naja, ich werde mich dann mal auf den Weg machen, ich geh noch essen mit“ Ich stoppte, erinnerte mich daran, dass ich Dad nicht erwähnen sollte, nicht ihr gegenüber, nicht wenn ich wusste, wie weh er ihr getan hatte. „…Mit Annie.“ Log ich und schaffte es sogar noch zu lächeln, obwohl mir zum heulen zumute war. „Tue mir den Gefallen und grüß sie von mir.“ Antwortete sie mir, mit dieser gebrochenen Stimme. Diese gebrochene Stimme, die sie immer dann hatte, wenn es ein wunder Punkt war. Wunde Punkt, davon gab es einige, mein Bruder Patrick – wahrscheinlich war er ihr größter – mein Dad, Patricks Dad – aber über den redeten wir eigentlich nie – und noch einige andere. Aber Annie Fitzgerald, meine beste Freundin, war eigentlich kein einziger dieser wunden Punkte. Eigentlich ganz und gar nicht, wirklich nicht. „Mum?“ fragte ich verwirrt, nicht wissend, ob ich wirklich erfahren wollte, was nicht in Ordnung war. „Ach Jimmy.“ Wisperte sie, während ihre Stimme noch mehr brach. „Es ist nur…ach, es ist nichts.“ Sie log, ich wusste dass sie log und irgendwie war ich ihr dafür dankbar, für ihre Lüge. Ich beschloss es auf sich beruhen zu lassen und war schon fast aus dem Krankenhauszimmer, doch dann konnte ich nicht gehen. Nicht so. Mit schnellen hastigen Schritten war ich zurück am Krankenbett, denn ich wusste, wenn ich nur einen Moment zögern würde, dann würde ich aus dem Raum fliehen. Würde vor ihr und unsere Beziehung, die nur aus Distanz bestand fliehen. Ich würde fliehen. Mit Tränen in den Augen beugte ich mich zu ihr herunter und presste ihr einen Kuss auf die Schläfe. Bevor ich es mir anders überlegen konnte, setzte ich noch gewispertes „Ich liebe dich, Mum.“ hinterher. „Danke.“ Brachte sie mir nur entgegen, drückte meine Hand kurz und dann war ich auch schon aus dem Zimmer geflohen. Ich hatte sie angelogen, oder? Es war eine Lüge gewesen, dass ich sie liebe, das hatte immer gedacht, dass ich sie nicht lieben würde. Aber in dem Moment, in diesem verdammten Moment in diesem Zimmer, war ich mir nicht mehr sicher ob es wirklich eine Lüge war, oder ob es doch der Wahrheit entsprach. Ich wusste nicht, ob der Kuss auf die Schläfe, das „Ich liebe dich“ nur eine Geste war, eine Geste die ich einer sterbenden Frau gewährte, oder ob es mehr war. Ich war mir nicht mehr sicher. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)