Der Wächter des Drachen von Xanderle (Fortsetzung von "Drachenherz" und "Die Söhne des Drachen") ================================================================================ Kapitel 22: Wabbawabba ---------------------- Oder: Lebenshilfe für Jedermann „Mutter...?“ Verdammt! Verdammt, verdammt, verdammt! Frustriert fuhr sich Takeru mit beiden Händen durch die Haare. Was? Was zum Teufel tat er hier eigentlich? Das alles hatte ganz anders geklungen, als das, was er eigentlich hatte sagen wollen. Er... Er hatte ja nicht einmal eine Ahnung, was er hatte sagen wollen. Alles mögliche, aber bestimmt nicht, was da eben aus seinem Mund gekommen war. Nach dem gestrigen Gespräch mit Lord Zuko war er durchaus bereit gewesen endlich einzulenken und auf den Herzog zuzugehen. Doch dann, als er ihn so mir nichts, dir nichts in seiner eigenen Wohnung neben Aya sitzend vorgefunden hatte, war Takerus Widerstand erneut erwacht. Wie konnte dieser Mann hier eine heile Welt und eine Familie erwarten? Dinge, die Takeru sich hart - sehr hart - hatte erarbeiten müssen. Dinge, die einmal so unendlich weit weg gewesen waren, dort in Ba Sing Se. Ein bitterer Geschmack in seinem Mund warnte ihn vor all zu alten Erinnerungen. Takeru hatte es immer vermieden, seine Mutter um die Schrecken der damaligen Erlebnisse wissen zu lassen. Sie hatte sich selbst genug Vorwürfe gemacht. Und jetzt? Jetzt hatte er anscheinend nichts besseres zu tun, als ihre Schuldgefühle zu verstärken; durch das, wovor er sie immer zu schützen versucht hatte, die Dunkelheit dieser Zeit. Jetzt drangen die verhassten, so lange vergrabenen Erinnerungen letztlich doch auf ihn ein. Erinnerungen an grausame Stimmen, grausame Hände und noch grausamere Absichten. Absichten, die er nicht erkannte hatte. Er war diesen Dingen damals entkommen. Die Zuversicht in seinem Herzen anscheinend nicht. Er hatte verlernt zu vertrauen. Hatte verlernt zu glauben. Erst hier - in einer Umgebung, die er selbst kontrollieren konnte - hatte er sich Stück für Stück die Normalität zurückerobert, hatte es gestatten können, dass die Zuversicht in seinem Herzen wieder die Oberhand gewann und eine Liebe zuließ, die er weit außerhalb seiner Reichweite gewähnt hatte. Hier stand er. Glaubte wieder. Vertraute wieder. Liebte wieder. Er hatte dem hoffnungslosen Jungen von damals gezeigt, dass dies möglich war. Warum machte er dann jetzt, wo es so darauf anzukommen schien, derart eklatante Rückschritte? War er immer noch so dumm und ohnmächtig, wie dieser armselige Tropf aus den Straßen Ba Sing Ses? Nein. Mit Sicherheit nicht. Er war Hauptmann Takeru - und wie er inzwischen wusste - leider auch Theophile Nezu, Kage und Ehemann Ihrer königlichen Hoheit Prinzessin Aya Ria Ursa Nezus, stellvertretender und zukünftiger Kommandant der fürstlichen Leibgarde. Und wenn er jetzt würde lernen müssen, einen unaussprechlich lächerlichen, zweiten Vornamen und das Attribut `hoheitlich´ oder `Prinz´ in seine Persönlichkeit zu integrieren, nun... er hatte schon lebensbedrohlichere Aufgaben bewältigt. Eines stand fest. Er würde er selbst bleiben. Aber dazu musste er erst wieder er selbst werden! Und das bedeutete zuallererst, sein inneres Gleichgewicht wiederherzustellen. Wie das Schicksal es wollte, beziehungsweise ein gewisser Alleinherrscher, dem vor knapp zehn Minuten zugetragen worden war, welch dramatische Szenen sich im dritten Stock seines Palastes abspielten, flanierte Iroh Tatzu punktgenau vor eben jener Tür auf und ab, durch die Hauptmann Nezu nun den Gang betrat. Natürlich hatte der General einen Plan. Das hier war schliesslich nicht der erste Dickschädel, den es aus der Reserve zu locken galt. „Ah! Hauptmann. Genau der Mann, nach dem ich gesucht habe. Ich brauche Eure Hilfe wegen des Turniers übermorgen.“ Oh, verdammt. Das Turnier. Das hatte er ja vollkommen vergessen! Takeru spürte das Kribbeln jäher, unvertrauter Verlegenheit im Nacken. Ja, dies war so ziemlich das erste Mal im Leben von Hauptmann Steinvisage, dass er aufgrund privater Belange seine Aufgaben vernachlässigt hatte. „König Nuro hätte gerne die Namen und Reihenfolgen der Teilnehmer“, sagte Iroh. „Natürlich“, murmelte Takeru. „Ich habe die Liste in meinem Büro. Ich bringe sie Euch sofort.“ „Oh, nicht nötig.“ Der General verschränkte die Arme hinter seinem Rücken und wippte auf den Zehenballen. „Ich werde Euch begleiten, dann können wir auch gleich die Details besprechen.“ „Wie Ihr wünscht.“ In Takerus Arbeitszimmer fehlte trotz der dort herrschenden, ans Pathologische grenzenden Ordnung, jegliche Spur der Namensliste, denn General Iroh hatte besagte Liste bereits vorher beim Adjutanten des Hauptmanns abgeholt. Allerdings wäre es der Aktion Sorgen-Gargoyle nicht zuträglich, dies dem ahnungslosen Opfer… äh, Patienten jetzt schon zu sagen. „Verdammt!“, entfuhr es Takeru heftig. „Ich hatte Liste samt Zeitplan hierhin…“ Unwirsch durchforstete er die Stapel auf seinem Schreibtisch ein zweites Mal. „Ähm… Stimmt etwas nicht?“, erkundigte Iroh sich sachte. „Ich kann diesen blöden Wisch nicht…“ In diesem Moment wurde Takeru bewusst, dass sein gereizter Tonfall sich nicht mit dem Rang seines Besuchers vertrug. „Verzeihung!“ Müde fasste er sich an die Nasenwurzel. „Ich werde die Papiere suchen und Euch zukommen lassen.“ „Hmm… Das kann warten. Aber Ihr… Mir scheint, das Euch die momentane Situation mehr zusetzt als erwartet.“ „Die momentane Situation?“ Takeru stiess ein kurzes, humorloses Lachen aus. „Wohl eher mein momentanes Selbst.“ „Ich werde das Gefühl nicht los, dass Ihr dringend etwas Ballast los werden solltet. Takeru zögerte. „Vermutlich.“ „Junge“, seufzte der General. „Dass Euch dieser Schritt schwer fällt, ist mehr als verständlich.“ „Wirklich? Mir wurde mehrmals zu verstehen gegeben, dass mein mangelndes Mitteilungsbedürfnis nicht nachvollziehbar sei.“ „Ach ja, Frauen. Für sie gehören Emotionen und Kommunikation irgendwie zusammen. Während wir meist schon mit dem Fühlen genug zu tun haben. Macht Euch keinen Kopf darum. Ihr seid nicht der erste, der damit überfordert ist, und ganz bestimmt auch nicht der Letzte. Außerdem ist es nur normal, wenn wir uns vor der Reaktion des Menschen, den wir am meisten lieben, auch am meisten fürchten. Meint Ihr nicht?“ „Ja.“ Takeru trat ans Fenster und starrte auf den Innenhof. „Und nein.“ Iroh legte erwartungsvoll den Kopf schief. Stießen sie etwa langsam zum Kern der Sache vor? Vorsorglich setzte er sich schon mal an einen kleinen, etwas abseits stehenden Tisch. Es war immer gut, einen Tisch in der Nähe zu haben, wenn man ernsthafte Gespräche führte. Wieso, wusste Iroh auch nicht. „Wenn ich Grund hätte, an Ayas Liebe zu zweifeln, hätte ich auch einen Grund, ihre Reaktion zu fürchten. Aber den habe ich nicht.“ „Ah! Und schon sind wir einen Schritt weiter, nicht wahr?“ Takeru sah in dieses alte, weise Gesicht und nickte. „Das sind wir. Aber es liegen noch etliche vor mir. Ich habe sehr viele Leute brüskiert. Ich weiß, dass Aya mir verzeihen wird, aber meine Mutter…“ „Ist Eure Mutter“, unterbrach Iroh den Fatalismus des Hautmanns. „Ihr habt nicht gesehen, wie verletzt sie war.“ Resigniert seufzend setzte Takeru sich nun ebenfalls an den Tisch. Sein Gesprächspartner hätte ob dieser Kooperationsbereitschaft beinahe die Augenbrauen gehoben. „Wisst Ihr“, sinnierte Iroh. „Man kann ein Kind nicht erziehen, ohne es unabsichtlich das ein oder andre Mal zu verletzten. Und manchmal… manchmal wird man eben selbst dabei verletzt. Ihr habt Eure Mutter wahrlich nicht oft enttäuscht, Takeru. Diese eine Entgleisung wird sie mit Sicherheit verschmerzen können. Und falls Ihr Euch wegen des Herzogs Sorgen macht… Er erwartet gar kein Entgegenkommen. Er ist derjenige, der Euch Euren Dickschädel am wenigsten übel nimmt, denn den habt Ihr - was man so hört - von ihm geerbt. Außerdem weiß er noch nicht, dass Ihr immer das Richtige zu tun pflegt. Somit erwartet er keine Aussöhnung; er hofft nur darauf. Das ist ein großer Unterschied.“ „Ich? Tue immer das Richtige?“ Takeru schnaubte. „Wer hat dieses Ammenmärchen in die Welt gesetzt?“ „Ihr!“, antwortete Iroh genüsslich. „Durch Euer Verhalten. Und selbst die Tatsache, dass Eure heutige Unterhaltung mit Eurer Mutter allem Anschein nach etwas aus dem Ruder lief, änderst daran nicht viel.“ „Die Sachen die ich gesagt habe… Ich habe sie mit völlig ungerechtfertigten, wütenden Vorwürfen überschüttet.“ „Ich dachte immer, dass sie das selbst zur Genüge tut.“ „Allerdings. Aber… ich war zu aufgebracht, um sie mit meinen zu verschonen.“ „Hm“, brummte Iroh. „Nun, Eure Kindheit war gelinde gesagt sehr… abenteuerlich. Habt ihr schon mal mit jemandem über die Zeit in Ba Sing Se gesprochen? Ich meine richtig gesprochen?“ „Hauptmann Osaru“, antwortete Takeru. „Das ist gut. Jeder braucht jemanden zum reden.“ „Es gibt allerdings Dinge, die… ich unausgesprochen liess.“ „Dinge, von denen auch eure Mutter nichts weiss?“ Takeru nickte knapp, mit abgewandtem Blick. „Hauptmann“, seufzte Iroh. „Es ist die Aufgabe der Eltern, ihre Kinder zu beschützen. Nicht umgekehrt.“ Er bekam keine Antwort. Zeit für einen Taktikwechsel. „Das, was Ihr Hauptmann Osaru nicht erzählt habt… ich vermute, es waren die Dinge, die Euch am meisten quälen?“ Die gütigen, klugen Augen des Generals loteten Takerus Gesicht aus. Es war schwer zu durchschauen, dieses scheinbar so reglose Gesicht. Doch Iroh Tatzu hatte auf dieser Welt schon zu vieles erlebt, um nicht zu erkennen, dass sich hinter der Fassade jemand verbarg, der auf dieser Welt mehr hatte mitansehen müssen, als gut für ihn war. Und Hauptmann Nezu musste seinerseits erkennen, dass diesen warmen, mitfühlenden Augen eine ganz eigene, unbezwingbare Kraft innewohnte. Sie wussten. Sie verstanden. Sie vergaben. „Han kennt nur den schwächsten meiner drei Dämonen“, hörte Takeru sich sagen. „Wir… wir unterhielten uns damals darüber, wann wir unseren ersten Toten gesehen haben.“ „Hm“, meinte Iroh leise. „Ein heikles Thema für einen Kage.“ „Sehr. Han hatte damals gerade seinen ersten Tribut zahlen müssen.“ Wenn die Kage gezwungen waren ein Leben tatsächlich zu nehmen, so nannten sie es den Tribut. Ein Tribut, den zu zahlen die Pflicht manchmal von ihnen verlangte. „Leider war der erste Tote, den Han zu Gesicht bekam, ausgerechnet ein Mann, der durch seine Hand gestorben war. Es setzte ihm zu. Mehr als er erwartet hatte.“ „Das kann ich mir vorstellen.“ Der General nickte. „Doch wenn ich mich Recht entsinne, musstet Ihr Euren ersten Tribut schon viel früher zahlen.“ „Ja. Ayas Sechzehnter. Dieser Tag hat mich in mehrfacher Hinsicht gezeichnet.“ Die blassen Narben in Takerus Gesicht zuckten kurz. „Doch das waren beileibe nicht die ersten Toten, die ich gesehen hatte.“ „Ihr habt also Han davon erzählt; von Eurer ersten Begegnung mit dem Tod.“ „Ich… ich war vier. Zumindest glaube ich das. Der Mann war Kesselflicker. Zwei Halbwüchsige… Sie schnitten ihm die Kehle durch. Für eine Hand voll Silbermünzen und ein paar Kupfertöpfe haben sie ihm die Kehle durchgeschnitten. Und… leider war es kein sauberer Schnitt. Ich stand dabei. Er blickte mir ins Gesicht. Er … er blickte mich an, während ich zusah wie er langsam starb.“ Takeru schloss die Augen und atmete tief durch. „Er war so fassungslos. Er dachte, ich gehöre dazu. Dachte…“ „Du warst erst vier, Junge.“ Iroh legte sacht eine Hand auf Takerus Schulter. „Der Mann dachte bestimmt nicht, dass Du dazugehörst.“ „Ich weiss es nicht“, sagte eine Stimme, die irgendwie so gar nicht wie die des Hauptmanns klang. „Und doch war das nicht die schlimmste Eurer Erinnerungen?“ , fragte Iroh leise. Trotz seiner Erfahrung erschütterte es ihn immer wieder, wie viel manchen Menschen aufgebürdet wurde. „Nein… Ich weiss es ehrlich gesagt nicht so genau. Damals waren die Dinge eben so. Ob es tatsächlich so schlimm war oder nicht…“ Takeru zuckte mit den Schultern. „Ich… ich fand es… Natürlich hat es mich erschreckt. Aber es… es war eben so. Schrecklich, wirklich schrecklich, wurde es erst in den Träumen. Und die wurden schlimmer, je älter ich wurde. Vielleicht, weil ich es erst da langsam begriff. Genauso, wie ich erst später begriff, dass das, was dem Kesselflicker geschah, bei weitem nicht das Schlimmste war, was einem in diesen Straßen zustoßen konnte.“ „Was?“ Die Frage wurde sehr behutsam gestellt. „Was habt Ihr noch gesehen? „Ich...“ „Ihr müsst es nicht erzählen.“ „Es ist nicht…“ Ach, Herrgott, was sollte es? Die Mauern umschlossen ohnehin schon zu viel. Viel zu viel! Takeru spürte einen kurzen, scharfen Riss in seinem Inneren, als die Dämme seiner Beherrschung brachen. Das Brennen in seinen Augen schien dagegen so unbedeutend, dass er es gar nicht wahrnahm. „Da war dieses Mädchen… Es war dunkel. Wie immer. Ich versteckte mich in der Gasse der Freuden. Wart… wart Ihr schon einmal dort?“ Der Hauptmann sah aus dem Fenster und - wie Iroh vermutete - Meilenweit fort. „Ja“, antwortete Iroh leise. „Und ich weiss leider auch, dass ihr Name nichts als Hohn ist.“ „Ja. Aber es war die Ecke, wo es am meisten zu holen gab. Kalt... Ich weiss noch, wie kalt es war. Der Regen ging schon in Schnee über. Das war schlecht. Weniger Leute auf der Strasse. Außerdem ist es nicht leicht mit eiskalten Fingern zu stehlen.“ Takerus Blick ruhte jetzt auf seinen Händen. Sie schienen sich der Kälte zu erinnern, denn plötzlich zuckten seine Finger, nur um sich dann, ebenso unbewusst, wieder zu schliessen. Als wollten sie sich mit aller Macht an die Unerschütterlichkeit der Gegenwart klammern. Mit erzwungener Ruhe fuhr Takeru schliesslich fort. „Aus einem der Häuser kam Schreien. Lautes Schreien. Zwei Frauen kamen heraus. Zwei Frauen und ein Mann. Eine der Frauen konnte nicht mehr gehen. Sie… war jung. Wie jung? Das wusste ich damals nicht. Heute würde ich sagen… vierzehn? Vielleicht ein Jahr mehr oder weniger… Sie hatte Schmerzen. Schreckliche Schmerzen. Ihr Gesicht…“ Takeru starrte ins Leere, ins Herz der Dunkelheit. „Sie schrie, schrie die ganze Zeit über, und hielt sich den Bauch. Zuerst… zuerst dachte ich, das Blut käme von dort. Von ihren Fingern, die sich in ihren Bauch verkrallt hatten. Aber es war an ihren Beinen. Da war… soviel davon! Und an den Händen der anderen Frau. Der Mann… Die ganze Zeit über brüllte er `Hast Du´s weggemacht?´. Ich weiss noch… dass ich vor diesem Brüllen am meisten Angst hatte“, raunte Takeru. „Ich begriff damals nicht, dass sie verblutete. Dass sie noch ein halbes Kind war. Aber… ich habe nie wieder… jemanden, oder Etwas, so schreien gehört, wie dieses Mädchen. Ein Mensch… Ein Mensch dürfte gar nicht in der Lage sein solche Laute von sich zu geben.“ „Agni… Ist das auch passiert, als ihr vier wart?“ „Manchmal scheint mir, fast alles passierte als ich vier war“, antwortete Takeru tonlos. „Ihr spracht von Dreien.“ Irohs Augen waren bekümmert. „… was ist mit dem schlimmsten Eurer Dämonen?“ „Der Schlimmste?“ Takeru bewegte sich unruhig auf seinem Stuhl. „Nein, nicht der Schlimmste. Nur… beharrlicher. Gesehen hatte ich Schlimmeres. Heute weiss ich das. Aber dies… dies war nichts, was ich nur sah. Es war etwas, was mir passierte. Das eigene Elend ist immer das größte, nicht wahr?“, flüsterte er in bitterer Selbstanklage. „Wie schäbig ich war…“ Takeru fuhr sich über das Gesicht, als könne er die Schemen von damals vertreiben. „Ich sah all diese Dinge. Fürchterliche Dinge. Und… alles was ich fühlte war die Kälte. Den Regen, oder die Hitze. Meinen eigenen Hunger. Immer war es der Hunger! Das war wahrscheinlich auch der Grund…“ Einsamkeit lauerte in der langen Pause, die nun folgte. Einsamkeit und Selbstvorwürfe. Sie dröhnten Iroh in den Ohren. Doch er sass da und wartete. Wartete auf ein Kind, das sich seit Jahrzehnten in den Tiefen dieser Festung aus Schweigen und erzwungener Kälte verkrochen hatte. Wartete, bis es sich ans Tageslicht traute. „Wisst Ihr, was man über das Leben auf der Straße sagt, General?“ Takerus Stimme klang mit einem Mal wieder vollkommen emotionslos. „Du hast zwei Chancen. Schlag Dich durch oder schlaf Dich durch. Ich hatte damals von der zweiten Möglichkeit noch keinen blassen Schimmer.“ Ein bitteres Lächeln verzog den Mund des Hauptmanns. „Allerdings wäre sie mir fast aufgezwungen worden.“ „Um Himmels Willen!“, entfuhr es Iroh unfreiwillig. „Ich glaube der Himmel hatte damit am wenigsten zu tun. Eines Nachts… beging ich einen Fehler. Mir war eingeschärft worden, nur Leute zu bestehlen, die allein unterwegs waren. Doch an diesem Abend hatte ich eine Gruppe von vier Männern entdeckt, die ganz offensichtlich sehr viel Geld bei sich trugen. Besonders einer davon. Ich schlich mich an die Gruppe heran. Wider besseren Wissens. Ich hatte es fast geschafft, hatte die verdammte Geldbörse schon in der Hand.“ Iroh beobachtete den Hauptmann genau. Es war seltsam mit welcher Gleichgültigkeit er diese Episode erzählte. Als erstatte er nur Bericht - einen vor langer Zeit sorgfältig ausformulierten Bericht - über ein anderes Leben, den man abhaken und archivieren konnte. „Was geschah dann?“ Die leise Frage brachte den Redefluss wieder in Gang. „Die Münzen. Sie klimperten. Da war ein einziger Augenblick der Stille in diesen sonst so lauten, verkommenen Gassen. Und ausgerechnet in diesem Moment mussten die Münzen im Beutel dieses Mannes anfangen zu klimpern. Sie entdeckten mich. Natürlich. Leider befanden wir uns in einer Sackgasse. Ein weiterer, dummer Fehler, den ich hätte vermeiden sollen.“ Wieder dieses distanzierte, fast verzerrte Lächeln. „Erst kreisten sich mich nur ein. Schupsten mich herum. Bis einer von ihnen meinte, was für ein hübsches, blondes Vögelchen ihnen da ins Netz gegangen sei. Seltsam“, murmelte Takeru gedankenverloren. „Dass mir von all Dem diese Worte am klarsten in Erinnerung geblieben sind. Hübsches, blondes Vögelchen. Sie grölten es wieder und wieder. Ihre Hände wurden grober. Der Ärmel meiner Jacke zerriss. Mein Hemd ebenfalls. Irgendwann fiel ich zu Boden.“ „Agni…“, hauchte Iroh. „Auf einmal waren da so viele Arme. So viele Hände. Sie waren schmutzig. Grob. Überall. Irgendwann packte mich einer von ihnen am Kragen und zog mich zu sich. Seine Augen machten mir Angst. So viel Angst, dass ich mich losreissen konnte.“ „Agni sei…!“ „Ich glaube, damals bändigte ich das erste Mal. Unbewusst. Aber als sie mir hinterher wollten, steckten sie plötzlich im Boden fest. Sonst hätten sie mich wieder erwischt.“ „Himmel, Junge… Das habt Ihr all die Jahre mit Euch herum getragen?“ „Nun, ja.“ Takeru zuckte mit den Schultern. „Ich war immerhin davongekommen. Die wirkliche Bedeutung dieses Geschehnisses wurde mir erst Jahre später bewusst. Damals wusste ich nur, dass ich Angst hatte. Todesangst. Ich wollte einfach nur weg, entkommen. Um jeden Preis.“ „Das seid Ihr!“ In stummer Zusprache drückte Iroh diese kampferprobten Hände, die jetzt verkrampft und ratlos vor ihm auf dem Tisch lagen. „Ihr seid dem entkommen.“ „Von da an hatte mich diese Angst für lange Zeit im Griff. Ich überwand sie erst langsam. Und wirklich besiegen… Ich glaube, besiegen konnte ich sie erst durch die Sache mit den Bienenfaltern. Ich begann zu begreifen, dass ich im Stande war Dinge, die mir wichtig sind, zu beschützen. Ich lernte, darum zu kämpfen; lernte, mir eine sichere Welt zu schaffen. Und jetzt, da meine Welt sicher ist. Und wundervoll… Jetzt ist da auf einmal mein Vater. “ „Er bedeutet Unsicherheit.“ „Ja“, bestätigte Takeru leise. „Mehr als das. Ich verliere meinen Blick auf die Dinge! Auf mich. Eigentlich bin ich jemand, der sich selbst recht gut kennt. Doch jetzt… Ich weiss nicht, was sich verändern wird. Wer sich verändern wird. Ich vertraue nur wenigen Menschen. Und es ist wohl allgemein bekannt, wie schwer es mir fällt, Leute an mich heran zu lassen. Aber ihn... Ihn muss ich an mich heranlassen. Ohne ihn zu kennen. Das macht mir...“ Er atmete tief durch. „Angst.“ Als die Erkenntnis dessen, was er eben gesagt hatte, zu ihm durchdrang, runzelte Takeru die Stirn. „Ich habe einfach nur Angst“, murmelte er erstaunt. „Das ist alles.“ „Ihr klingt erleichtert.“ „Das bin ich!“ Hauptmann Nezu blickte auf, ein selbstironisches, kleines Lächeln kräuselte seine Lippen. „Mit Angst kann ich umgehen. Sie ist ein alter Bekannter.“ „Aber sie vermag sich zu maskieren. Doch ich schätze, Ihr habt sie eben entlarvt.“ „Dank Euch!“ „Dank mir?“ Iroh lächelte. „Ich habe nur zugehört.“ „Nein. Ihr habt mich dazu gebracht, mir selbst zuzuhören.“ „Hm.“ Iroh wiegte nachdenklich seinen Kopf. „Manchmal bedarf es eines neutralen Fixpunktes um gewisse Dinge zu verstehen. Den können weder Aya, noch Eure Eltern, noch Osaru oder mein Neffe Euch bieten. Dazu lieben sie Euch viel zu sehr. Mir liegt Ihr zwar wirklich auch sehr am Herzen, aber es besteht trotzallem keine Gefahr, dass ich wegen ein paar unbedachter, oder zu klarer Worte Eurerseits einen Weinkrampf bekomme. Es ist nur verständlich, dass es Euch leichter fällt, Euch mir anzuvertrauen. Außerdem...“ Der General strich über seinen Bart. „Ohne mich rühmen zu wollen. Ich hab ein Händchen dafür, Leuten auf den Docht zu fühlen.“ „Das habt Ihr zweifellos. Und ich bin im Augenblick sehr dankbar dafür, General.“ „Oh, nichts für ungut. Könnt Ihr mir einen Gefallen tun und Eure Bußfertigkeit zuerst bei Aya unter Beweis stellen? Das Mädel vergöttert Euch einfach zu sehr. Unnötig, sie noch länger leiden zu lassen.“ Das Mädel litt tatsächlich ziemlich. Doch Aya Ria Nezu, geborene Tatzu, war nicht umsonst die Nachfahrin etlicher Kriegsfürsten und Strategen. Nachdem die erste Bestürzung über Takerus bittere Vorhaltungen überwunden war, hatte Aya einen Schlachtplan entwickelt. Sie wusste zwar, dass der Wolf nur um sich schnappte weil er verwundet war, und ihr Herz blutete für ihn, aber umso dringender musste ihm geholfen werden. Er wusste es schließlich! Er wusste, dass ihre damalige Gleichgültigkeit nur vorgetäuscht gewesen war. Und er wusste, dass sie ihm ohne Wenn und Aber zur Seite stand. Ja. Ungefähr genauso, wie er eigentlich auch wusste, dass sein Vater nichts für den Zerfall seiner Familie gekonnt hatte. Sie seufzte als Verständnis, Mitgefühl und Liebe wieder einmal drohten, ihren Schlachtplan zunichte zu machen. Nein! Sie würde das jetzt durchziehen. Wenn die Einsicht nicht zum Gatten kam, musste sie den Gatten eben zur Einsicht zwingen. Oder - in diesem Fall - zur Teestunde seines Vaters. Wenn er gezwungen würde, endlich länger als neunzig Sekunden im gleichen Raum mit dem Herzog zu verbringen, würde er schon sehen, dass... dass... Na ja, er würde schon sehen! Entschlossen ging Aya zu ihrer Mutter, holte die alten Gruppenbilder der Mitarbeiter der Weberei, ließ Meister Karu ausrichten, sie komme heute leider nicht zum Gesangsunterricht und machte sich dann auf zur Teestunde mit ihren Schwiegereltern. Wenn `jemand´ sich nicht der Pflichtverletzung schuldig machen wollte, müsste `jemand´ Punkt drei Uhr Nachmittags dort auftauchen. Schliesslich kannte SIE die Dienstpläne fast ebenso gut wie dieser gewisse `jemand´, der um exakt diese Uhrzeit von einem Ehemann zu einem Kage avancieren würde. Drei Uhr und elf Minuten am Nachmittag Takeru wusste ziemlich genau, warum er stand wo er stand - rechts der Tür zu den prächtigen Gästezimmern, die seine Eltern derzeit bewohnten. Er stand dort, weil seine Ehefrau es sich in den Kopf gesetzt hatte ihm etwas vor Augen zu führen. Er akzeptierte es. Sowohl seinen Standort, als auch die Lektion. Er akzeptierte die Tatsche dass eine scheinbar unbekümmerte Aya ihn scheinbar kaum bemerkte, seine Mutter ihn mit einer scheinbaren Gleichgültigkeit scheinbar übersah, von dem er bislang nicht gewusst hatte, dass sie sie besass, und der Herzog ihn die scheinbar ganze Zeit über voller Hoffnung observierte. Er akzeptierte es. Wohl fühlte er sich dabei allerdings nicht. Wenn auch nur EINER der Anwesenden ihn tatsächlich nicht beachtet hätte, wäre ihm wesentlich wohler gewesen. Scheinbar. Doch so erweckte das heimliche aber fundierte Wissen, im Fokus aller Anwesenden ganz oben zu stehen, im Hauptmann das Gefühl, als Kreisverkehr für eine riesige Ameisenkolonie herzuhalten. Seine Instinkte - darauf trainiert selbst subtilste Gefahren und Beobachter zu entlarven - liefen auf Hochtouren und überlasteten. Ein guter Grund, sich in einen scheinbar reglosen Marmorblock zu verwandeln, wie er fand. Doch selbst als Marmorblock konnte man nicht umhin, die Gespräche im Raum mitzuverfolgen, die schimmernde Wehmut im Blick des Erzherzogs zu bemerken, als dieser die Bilder seines kleinen Sohnes zu Gesicht bekam. Zu sehen, wie liebevoll er mit Yuna umging, wie hochachtungsvoll und herzlich er mit seiner Schwiegertochter sprach. Und wie bedacht er sich bemühte, seinen Sohn nicht unter Druck zu setzen. In der Tat war Seine Gnaden bis jetzt so ziemlich der einzige gewesen, der nicht versucht hatte, Takeru zu beeinflussen. In der Mine Hauptmann Nezus zuckte es kurz, als er in seinem derzeit recht komplexen Innenleben etwas Unerwartetes aufstöberte. Respekt. Respekt, gemischt mit einem guten Schuss Dankbarkeit, dass ihm die Distanz, die er im Augenblick noch brauchte, so bereitwillig gewährt wurde. Anscheinend wusste dieser Mann, der ihn eigentlich gar nicht kennen sollte, sehr genau was in ihm vorging. Vielleicht weil er… weil sie… Takerus schmale Augen nahmen seinen Vater ins Visier. Waren sie sich etwa wirklich so ähnlich, wie alle Welt behauptete? Konnte es dieses unsichtbare Band tatsächlich geben? Als auf eine Bemerkung Ayas hin ein Lächeln über das Gesicht des Herzogs glitt, wünschte er sich fast, dass dem so wäre. Doch als Takeo den Blick hob und ihre Augen sich beinahe trafen, starrte Hauptmann Nezu bereits wieder an die gegenüberliegende Wand. Sein Vater. Er hatte einen Vater. Etwa zur gleichen Zeit, im Arbeitszimmer Seiner Lordschaft. „Nun, Onkel. Wie lautet der Lagebericht? Hat es geklappt?“ „Ja, das hat es. Unser guter Hauptmann hat sich einiges von der Seele reden können.“ „Gut!“ Zuko nickte. „Ich wusste, wenn ihn jemand zum sprechen bringt, dann seid Ihr das.“ „Hm. Danke. Aber im Lauf der Jahre hast Du Dich selbst zu einem sehr passablem Zuhörer gemausert, mein Junge.“ „Ich? Wenn der Mond im siebten Haus steht und Pluto aus seiner Umlaufbahn schliddert.“ „Ihr hättet das ebenso gut hinbekommen wie ich. In der Tat...“ Iroh strich sich über den Bart. „Warum habt Ihr das Ganze mir überlassen?“ „Der Junge wird momentan von allen Seiten - gewollt oder nicht - unter Druck gesetzt. Unnötig, das noch zu verstärken. Wenn ich ihn dazu gebracht hätte seinen Ballast bei mir abzuladen, hätte er mich, seinen Lord, seinen Schwiegervater und seinen Arbeitgeber in der Runde sitzen gehabt. Ich schätze es gibt Situationen, in denen ihm das die Sache nicht gerade erleichtert.“ „Gesprochen wie ein wahrer Mentor!“ Iroh strahlte. „Danke. Alles abgeguckt.“ „Dazu bedarf es guter Augen.“ „Oder jemanden, der einem die Augen öffnet. So wie... einen Onkel, zum Beispiel.“ Zurück im Gästezimmer Als es klopfte, drehte Hauptmann Nezu sich beinahe erleichtert in Richtung der sich öffnenden Tür. Und das, obwohl er sich öffnende Türen und Fenster eigentlich generell nicht besonders leiden konnte. Ein junger Leutnant stand im Türspalt und entlud einen wortreichen, etwas konfusen Bericht in den Raum. „Der… Was?“, raunte Takeru zurück. „… Erdkönig… besteht… Hauptmann Keru… finden … Änderung… Turnier abblasen!“ Dies war alles, was die auf dem Sofa sitzende Versammlung dem verzweifelten Wortschwall des Leutnants entnehmen konnte. „Dann SAGEN Sie ihm, … keinen Fall… Schrullen … einer Krabbelstube?“ Dies war alles, was die auf dem Sofa sitzende Versammlung dem prägnanten Wortschwall des Hauptmanns entnehmen konnte. „DAS soll ich sagen?“, quietschte der jüngere Soldat. Endlich ein Satz, den alle verstanden hatten. „Nicht wortwörtlich!“, knirschte die Killerqueen mindestens ebenso verständlich wie der überlastete Kollege. „A… aber wie denn dann?“ „Sie… Ich kümmere mich selbst darum!“ Damit brach Takeru ein ohnehin fruchtloses Gespräch ab und wandte sich an die auf dem Sofa sitzende Versammlung. „Wenn Ihr mich bitte kurz entschuldigt.“ Ein knappes Nicken, und er verliess den Raum. Aya warf einen bangen Blick auf die Tür, durch die Takeru verschwunden war. In letzter Zeit schien er keine freie Minute mehr zu haben. Sie hatte auch den Eindruck, dass er nicht genug ass, kaum noch schlief… „Prinzessin?“, unterbrach Takeo Nezu ihre Gedanken. „Aya“, verbesserte Aya schnell. „Nun, Aya… Seid Ihr sicher, dass er… Dass ihm das hier recht ist?“, erkundigte Takeo Nezu sich leise. „Nein“, gab Aya zu und blickte auf ihre im Schoss gefalteten Hände hinab. „Vermutlich wird er mir nachher ordentlich die Leviten lesen. Aber ich weiss nicht, was ich noch tun soll.“ „Vielleicht solltet Ihr ihn einfach lassen.“ „Ihn lassen?“ Aya blinzelte. „Das hatte ich versucht, aber…“ „Er braucht Zeit.“ Takeo drückte die Hand seiner Schwiegertochter. „Das ist das Mindeste, was wir ihm zugestehen sollten.“ „Zeit?“, warf Yuna ein. „Wie viel Zeit denn noch?“ Die Bitternis von Takerus Vorwürfen brannte noch zu frisch in ihrer Erinnerung, um sie jetzt schon wieder milde zu stimmen. „So viel Zeit wie er braucht, Yunicha. Ich würde ihm alle Zeit der Welt zugestehen, wenn er mich dadurch irgendwann akzeptieren könnte.“ „Falls er es je wird!“ „Yuna! Was…“ „Ich verstehe den Jungen einfach nicht!“, platzte es aus Yuna heraus. „Wie kann er nur so sein? Wie kann er so… so selbstherrlich und ungerecht…“ „Das ist genug, Yuna!“, unterbrach der Herzog sie ruhig. „Du magst im Augenblick nicht besonders gut auf ihn zu sprechen sein, aber das rechtfertigt nicht diese Schmähungen. Ich weiss nicht, was ihr alle von ihm erwartet. Für mich sind seine Reaktionen auf mich zwar schmerzlich, aber verständlich. Und sehr, sehr menschlich.“ „Menschlich…“ Yuna holte tief Luft. „Ja. Du hast Recht. Und ich… ich bin auch nicht wirklich zornig auf ihn. Eher… Es ist nur… Wir sind es im Allgemeinen nicht gewohnt, dass Dein Sohn menschlich reagiert.“ „Sondern?“, fragte der Herzog. „Sachlich. Ziemlich unterkühlt.“ „Vernünftig“, verbesserte Aya. „Er ist vernünftig. Normalerweise sind seine Entscheidungen durchdacht, logisch und… Oh Agni, Ihr habt Recht, Hoheit. Ich hätte das hier nicht tun sollen. Entschuldigt mich bitte!“ Als Aya durch die Tür trat, beendete Takeru gerade ein Gespräch mit Konsul Fu. Offenbar hatten die beiden es geschafft, die Krise bezüglich des bevorstehenden Turniers noch abzuwenden. Der Assistent ihres Vaters schenkte ihr ein kurzes, warmes Lächeln, verbeugte sich und eilte in wichtiger Mission wieder von dannen. „Gab es ein Problem?“, fragte Aya ihren Gatten vorsichtig. „Nichts besonders wichtiges. König Nuro forderte eine Neu-Gruppierung der Kämpfer.“ „Oh“ „Ja.“ „Tut er das nicht jedes Jahr?“ „Fast.“ „Nun… ja… Ich… ich bin fertig mit meinem Besuch. Wir können gehen.“ Takeru neigte den Kopf und folgte ihr. Dabei fragte er sich kurz, warum er den Drang verspürt hatte, sich noch von seinen Eltern zu verabschieden. Zurück in den eigenen vier Wänden beäugte Aya bekümmert die abweisende Rückenpartie ihres Mannes. Er hatte die Arme gegen den Kaminsims gestemmt und starrte in die kalte Asche. Agni. Was hatte sie sich nur gedacht. Sie war zu weit gegangen. Natürlich war sie zu weit gegangen. Hatte sie ihn nicht erst gestern noch ihres Rückhalts versichert? Hatte sie nicht von ihm verlangt, seine Gefühle zu äußern, auch die Schattenseiten mit ihr zu teilen? Und heute? Heute, als er genau das getan hatte, war sie davor zurückgeschreckt, war ihm in den Rücken gefallen und hatte ihn zu einer Konfrontation gezwungen, zu der er augenscheinlich noch nicht bereit war. Sie war zu weit gegangen. In ihrem Wissen, dass er ihr ohnehin alles verzeihen würde, hatte sie ihn verletzt. „Takeru…“ „Nein“, raunte er. „Lass mich bitte zuerst sprechen“ Aya schluckte, doch der Knoten in ihrer Kehle wollte sich nicht lösen. „Es tut mir leid, Aya!“ „Was?“, stammelte sie überrascht. „Ich habe Dinge gesagt, die… unverzeihlich sind. Ich habe mich furchtbar aufgeführt und das tut mir sehr leid.“ „Furchtbar? Du hast nur…“ „Nur?“ Takeru stiess sich vom Kaminsims ab und drehte sich um. „Aya…“ Sacht legte er die Hände um ihr Gesicht. „Wie kannst Du selbst dann noch nach Rechtfertigungen für mich suchen, wenn ich Dich so schrecklich kränke?“ „Wie könnte ich es nicht? Ich hab Dich doch auch verletzt. Was ich heute Nachmittag getan habe, war... unfair! Es tut mir so leid! Ich… Ich hatte schließlich von Dir verlangt, mich in Deine Sorgen mit einzubeziehen. Und ausgerechnet, als Du mir einen Teil Deines Schmerzes und Deiner Wut endlich gezeigt hast, vergesse ich plötzlich, dass ich versprochen hatte, ohne Wenn und Aber hinter Deiner Entscheidung zu stehen und falle Dir in den Rücken! Es tut mir so leid!“ Sie warf die Arme um ihn und drückte ihn an sich. „Ich bin auf Deiner Seite!“,, flüsterte sie „Das werde ich immer sein. Ich war nur so aufgebracht. Da war auf einmal so viel Groll in Dir. Und als Du mir dann auch noch Gleichgültigkeit vorgeworfen hast...“ „Nein, Liebes!“, murmelte er, die Wange an ihren Scheitel geschmiegt. „Ich weiss, was Du für mich empfindest. Ich weiss es. Nur begreifen kann ich es nicht. Aber vielleicht ist auch das etwas, wofür ich eben länger brauche als andere. Und was ich heute Vormittag sagte… Das… das war mit Abstand das Dümmste, was ich je von mir gegeben habe.“ „Das Allerdümmste!“, wisperte Aya glücklich und verstärkte die Umarmung, lauschte seinem Herzschlag, genoss seine Wärme. „Dann verzeihst Du mir?“ „Ist das jetzt das zweitdümmste, was Du je von Dir gegeben hast?“ „Aya…“ „Natürlich verzeihe ich Dir!“ „Einfach so?“ „Nein, nicht einfach so. Du hast es nicht nötig, dass Dir einfach so verziehen wird. Schliesslich bist Du Hauptmann Nezu und hast Gründe für Dein Verhalten.“ „Ach… Tatsächlich?“ „Takeru, es ist nur normal, dass das Auftauchen Deines Vaters alles wieder an die Oberfläche bringt. All die Dinge, von denen Du gehofft hast, sie lägen hinter Dir…“ Dinge, die Aya nur erahnen konnte. Sie seufzte und kämpfte den Drang nieder, weiter in ihm zu bohren. Irgendwann. Vielleicht würde er ihr irgendwann wenigstens ein paar der Schatten offenbaren, die seine Seele manchmal zu verdunkeln schienen. Doch dann schien es, als würde ihr immerhin ein Teil ihres Wunsches gewährt. „Ich war die letzten Tage nur noch in Verteidigungsstellung“, gab Takeru zu. „Ohne zu sehen, gegen wen sich meine Gegenwehr richtete. Das schlimmste ist, ich habe Dir weh getan. Das wollte ich niemals!“ Aya legte sacht die Fingerspitzen über seine Lippen. „Ich wollte mein Versprechen, Dich nicht unter Druck zu setzen, eigentlich auch nicht brechen. Aber Du hast Dich so vehement geweigert, Deinen Vater auch nur zu sehen… Ich wollte Dir nur zeigen, wie er ist.“ „Ja. Und dieser überaus perfider Plan ist sogar aufgegangen.“ Sie bekam einen Kuss auf die Stirn. „Wirklich?“ „Wirklich“, bestätigte er. „Ich denke… ich… werde ihn mögen.“ „Du… Wirklich?“ Immer noch perplex blickte Aya zu ihm auf. „Ich wurde heute das seltsame Gefühl nicht los, dass er mich versteht. Und er ist der Einzige, der bereit war, einfach nur zu warten, mir die Zeit zu geben, die ich brauche. Das fand ich… bemerkenswert.“ „Er findet Dich auch bemerkenswert! Allerdings nicht so sehr, wir ich das tue.“ Im Einklang mit diesen Worten fand sich Takeru aufs Extremste bekuschelt. „Gut! Sollte ich Dich je dabei ertappen, nicht mehr die Person zu sein, die mich von allen am bemerkenswertesten findet, werde ich entsprechende Schritte einleiten.“ „Die wären?“ Als Antwort hob der Hauptmann das Kinn seiner Frau, um ihr einen Kuss zu geben, der ihrer Meinung nach mehr als bemerkenswert war. Da konnte sie ihm auch vergeben, dass er ihren Plan eben noch als perfide bezeichnet hatte. Später, des Nächtens In eingeweihten Kreisen war durchaus bekannt, zu welch hoher Kunst Prinzessin Aya und Ihr persönlicher Leibwächter die wortlose Kommunikation im Laufe der Jahre erhoben hatten. So hätte es diese erlauchten Kreise auch nicht weiter verwundert, dass - nachdem die erste, extrem leidenschaftliche und körperbetonte Phase besagter Kommunikation abgeschlossen war - die Prinzessin zufrieden einschlief. Nicht so der Hauptmann. Ihn hatten die Ereignisse und vor allem auch die Gespräche dieses Tages ungewohnt aufgewühlt zurückgelassen. Bald zeigte sich allerdings der unschlagbare Vorteil nonverbaler Kommunikation. Sie funktionierte selbst im Schlaf. Takeru hatte sich eben erst so richtig schön eingegrübelt, als seine Frau zu spüren schien, dass etwas nicht stimmte. „Was ist?“ Aya gähnte im Halbschlaf und kuschelte sie sich enger an ihn. „Kannst Du nicht schlafen?“ „Nein. Nicht wirklich.“ Sofort stützte Aya sich auf einen Ellbogen, um ihm ins Gesicht zu blicken. „Was?“, flüsterte sie, während sie über seine Wange strich. „Was ist?“ „Ich… ich habe Dir nie wirklich viel über meine Kindheit erzählt, oder?“ „Nein.“ „Heute Nachmittag… ich hatte ein Gespräch mit Deinem Großonkel.“ „Onkel Iroh?“ „Ja. Es ging eben darum. Um meine Vergangenheit. Ich hab keine Ahnung, wie er mich dazu gebracht hat.“ „Anscheinend hat er mehr Talent dafür als ich“, murmelte Aya leise. „Ich… was? Nein! Bitte denk nicht… Himmel… Wahrscheinlich hätte ich mich Dir eher anvertrauen sollen, als ihm, aber…“ „Takeru“, unterbrach Aya verwundert seinen ungewohnt konfusen Redefluss. „Denkst Du ich sei Dir deswegen böse?“ „Nicht?“ „Nein! Ich bin einfach nur froh, dass Du jemanden zum reden gefunden hast. Onkel Iroh, Han, mein Vater oder ich… Die Hauptsache ist, dass es Dir gut getan hat. Und über manches lässt sich mit einem etwas Außenstehenden besser reden.“ „Der Grund dafür war jedenfalls nicht, dass ich Dich ausschliessen wollte.“ „Das weiss ich doch.“ „Es ist nur… Es fällt so unglaublich schwer. Ich… ich habe Angst. Angst, dass es Dein Bild von mir verändert. Dass es die Rollen umkehrt und ich… nicht mehr derjenige bin, der Dich beschützen kann.“ „Takeru…“ Sie griff nach seiner Hand und schmiegte sie gegen ihre Wange. „Dabei habe ich übersehen, dass Du wahrscheinlich ohnehin die Stärkere von uns bist.“ „Ich? Stärker?“ Er nickte. „Nein“, sagte Aya leise. „Ich habe nur sehr viel weniger Narben als Du. Deshalb bin ich noch lange nicht stärker. Aber ich könnte es sein. Für Dich! Und wenn Du willst, dann werde ich diesmal diejenige sein, die Dich beschützt. „Ja“, raunte er. „Ich glaube, wenn es um meine Vergangenheit geht, brauche ich jemanden, der das tut. Und das… das kannst nur Du sein…Meine Aya.“ Der Mond spendete nur wenig Licht, doch Aya konnte das Schimmern in seinen Augen sehen. Es war das erste Mal, dass er sie seine Tränen wirklich sehen liess. „Dann erzähl es mir!“, wisperte Aya und strich wieder liebevoll über seine Wange. „Erzähl es mir und wir stellen uns gemeinsam den Erinnerungen. Ich hab Dein Herz!“ Eine warme, unendlich behutsame Hand legte sich über die Stelle unter der Takerus Herz schlug. „Ich halte es. Ganz fest. Und ich werde nicht zulassen, dass es noch mehr ertragen muss!“ So fand der Blutwolf Schutz und Trost bei seiner Prinzessin, die er mehr als sein halbes Leben lang beschützt hatte. Sie hielt ihn, hörte zu. Und sie weinte um ihn. Doch noch immer hielt sie sein Herz, hielt es ganz fest. Und er merkte, dass er so nicht mehr ertragen musste, sondern weniger. Ja, Takeru hatte das Gespräch mit General Iroh bitter nötig gehabt. Jemand neutralen. Der zuhörte. Nur zuhörte, ohne die Dinge auf die ein oder andere Weise zu beurteilen. Und das war es zweifellos gewesen, was den Weg geebnet hatte, was einen Teil der Last von ihm genommen hatte. Doch dies - sie - war seine Erlösung. Wie sehr er sie doch brauchte. Jemand der für ihn weinte. Wie er es nie vermocht hatte. Deren Herz ihn verstand, durch wie viele Schlachten sein eigenes auch verwundet worden war. Jemand der ihn liebte, auch wenn er selbst sich nicht mehr begriff. Und sein Schmerz schwand, wurde eine blasse Erinnerung, Denn ausgerechnet was er am meisten gefürchtet hatte - ihre Tränen - bannten seine Furcht. Leider kam Takeru auch am nächsten Tag nicht dazu, sich bei seiner Mutter zu entschuldigen, denn der Herzog und seine Frau hatten sich entschlossen einen alten Freund Seiner Gnaden zu besuchen, der unweit des Palastes wohnte, und es hiess, sie kämen wohl erst recht spät wieder. Wenn der Prinz allerdings wolle, so könne er… „Hauptmann!“, knurrte Takeru. „Äh… wie meinen?“, fragte Leo, der betagte Diener des Erzherzogs. „Hauptmann Nezu. Nichts weiter.“ „Nun… wie Ihr wünscht, Hoheit!“ Leo brachte seine Nasenspitze fast bis an seine Kniescheiben und zeigte somit eine für sein Alter ganz erstaunliche Beweglichkeit. „Haupt…“ „Wenn Lord Nezu es wünscht, werde ich Ihrer Gnaden gerne ausrichten, dass Ihr sie zu sprechen wünschtet.“ „Nicht nötig. Ich werde morgen mit ihr sprechen.“ „Sehr wohl!“ Takeru zögerte. Warum wusste er selbst nicht. „Kann ich noch etwas für Euch tun, Hoheit?“ „Sie könnten aufhören, mich Hoheit, Lord oder was weiss ich was zu nennen!“ „Jawohl, Master Takeru.“ „Sie…“ „Gibt´s Probleme, Leo?“ „Nein, Master Yoshio, keine Probleme.“ Yoshio Saburo bildete sich spontan eine andere Meinung. Sein riesiger Vetter, der äußerst präsent zwischen Tür und Angel äh… präsent war, schien sich durchaus in die Kategorie `Probleme´ einordnen zu lassen. Problemlos. „Ermmmäh…“ Nervös fuhr sich Yoshio mit der Hand über den Nacken. „Vetter Takeru, wenn ich mich nicht irre?“ Zögernd wurde die Hand, die eben noch zur moralischen Unterstützung Yoshios Nacken gestärkt hatte, ausgestreckt. „Ja.“ Die Hand wurde geschüttelt. Sehr zu Yoshios Bedauern, denn eigentlich hatte er vorgehabt, sie künftig noch zu benutzen. „Arrgh! Ahahau…“ Versuchsweise bewegte der junge Graf die Finger seiner Rechten. „Ah. Gut! Nichts kaputt, lässt sich noch bewegen.“ „Wie bitte?“, erkundigte sich Takeru. „Ich meine… die Hand. Sie… lässt sich noch… also bewegen.“ Hauptmann Nezu runzelte die Stirn. Natürlich liess sich die Hand bewegen. Warum auch nicht? Schliesslich war sie eben vollkommen intakt gewesen. Oder etwa nicht? „Eine alte Verletzung?“ „Wie… äh… was?“ „Leidet Ihr an einer alten Verletzung?“, wiederholte Takeru wie er fand sehr geduldig. Yoshios Augen wanderten vom Gesicht des Hauptmanns zu seiner rechten Hand und wieder zum Gesicht des Hauptmanns. Dass sein Mund dabei offen stand, soll nur am Rande erwähnt werden. Entweder war dieser Orden-behangene Lichtfest-Baum da war der Ober-Hof-Komiker oder er… „Verzeihung! Ich hätte Eure Hand nicht so kräftig gedrückt, wenn ich gewusst hätte, dass sie Euch schmerzt.“ Aha. Wenigstens gab er zu, KRÄFTIG zugedrückt zu haben. Da er fast sicher war, dass die Knochen sich ihrer alten Position nun wieder leidlich sicher waren, schüttelte Yoshio seine Hand vorsichtig aus. „Nein, nein“, murmelte er. „Geht schon wieder. Ihr habt nur… einen wirklich kräftigen Händedruck.“ „Ich… Verzeihung!“ „Nein. Mir tut es leid. Ich bin scheinbar nichts gewohnt.“ „Ich denke eher…“ „Hm?“ „Es könnte sein, dass ich im Eifer des Gefechts zu fest…“ Sieh an. Vetter Takeru war also auch nervös. „Wollt Ihr nicht hereinkommen?“, fragte Yoshio zuvorkommend. „Ich… will nicht stören.“ „Tut Ihr nicht. Oder stört uns der Hauptmann, Leo?“ „Seine Hoheit könnte niemals…“ „Leo!“, mahnte Yoshio milde. „Der… Hauptmann könnte niemals stören!“, lenkte der Butler gnädig ein. „Da seht Ihr´s. Bitte!“ Mit einer ausladende Geste forderte der junge Graf Takeru zum Eintreten auf. „Danke.“ „Tee?“ „Ähm… Falls Kaffee nicht… ähm… ja.“ „Kaffee also? Leo, haben wir…?“ „Selbstverständlich. Seine Gnaden ist passionierter Kaffee-Trinker. Ich schätze dies ist eine Vorliebe, die Master Takeru von ihm geerbt hat, falls mir diese Bemerkung gestattet ist.“ Master Takeru wollte mal nicht so sein. Na ja, EIGENTLICH wollte er schon, enthielt sich aber einer Antwort. Leo, dem die Charakterzüge des Prin… nein, Hauptmanns lächerlich vertraut schienen, witterte die Gelegenheit und legte noch eins drauf. „Seine Gnaden ist überglücklich, seine Familie wiedergefunden zu haben!“, erklärte er, während er die Herrschaften in den grünen Salon führte. „Es hat ihm das Herz gebrochen, als er Euch damals verlor. Völlig das Herz gebrochen. Ich dachte nicht, dass er jemals wieder glücklich würde… Hoheit.“ Mit dem letzten Wort hatte der alte Diener sich umgedreht und blickte Takeru ruhig und erwartungsvoll in die Augen. Takeru wollte schon den Mund öffnen, um den Titel zu berichtigen, entschied sich jedoch anders. „Bitte, tut ihm nicht weh, Master Takeru“, bat Leo. „Er würde es nicht verkraften Euch noch einmal zu verlieren.“ „Nein“, bestätigte Yoshio leise. „Das würde er nicht.“ Takeru verlebte eine erstaunliche und seltsame Stunde mit seinem Cousin. COUSIN! Sowas hatte man doch nicht. Zumindest nicht er. Das Erstaunliche und Seltsame war, dass er den jungen Mann mochte. Selbiges galt sogar für den alten Kauz, der den Kaffee brachte. Nicht einmal dessen Hang um ihn herumzuscharwenzeln, ihn mit blumigen Titeln zu überhäufen, und ihm zu sagen, er würde seine Tasse exakt auf die gleiche Art und Weise halten wie Seine Gnaden dies tat (falls ihm diese Bemerkung gestattet sei) und er müsse jetzt gar nicht so dreinschauen, das würde auch bei Seiner Gnaden nicht funktionieren (falls ihm diese Bemerkung gestattet sei) schmälerte Takerus Wohlbefinden. Yoshio und Leo schienen irgendwie zu wissen, wie sie mit ihm umzugehen hatten. Und das erstaunlich Seltsame war, dass ihn dies überhaupt nicht störte. Als Hauptmann Nezu schließlich seinen Besuch beendete, stand Yoshio neben Leo im Rahmen der breiten Flügeltüren und sah seinem Vetter hinterher. „Leo, altes Haus… ich bin der Meinung, das haben wir verdammt gut hingekriegt.“ „Ja, Master Yoshio. Und das, obwohl Ihr wieder einmal das Tischtuch ruiniert habt.“ „Ah… Schnickschnack. Ich wette, dem Kerl sind saubere Tischtücher vollkommen egal. Er ist schließlich Soldat.“ Dieser lachhaft eklatante Irrtum sollte erst in vier Jahren aufgeklärt werden. Da er seiner Mutter nicht hatte habhaft werden können, beschloss Takeru nach Dienstschluss, sich wenigstens seines anderen, nicht minder brisanten Problems anzunehmen. Und da er genau wusste wo Hauptmann Osaru sich an diesem Abend aufhalten würde - nämlich in seinem Quartier, um sich vor morgen ordentlich auszuruhen - fand sich Takeru gleich nach einem späten Abendessen dort ein. Er klopfte energisch. Nach exakt sechs Sekunden öffnete sich die Tür. Nach exakt 0,12 Sekunden wurde sie ihm vor der Nase zugeschlagen. Verdammt! „Han?“ Schweigen. „Han, ich will mich entschuldigen!“ Wieder keine Reaktion. „Verdammt!“, fluchte Takeru jetzt laut. Er kannte Han gut genug, um zu wissen, was dieses Schweigen bedeutete. Han Osaru mochte auf den ersten Blick zwar ein zugänglicher Zeitgenosse sein, der seinen Mitmenschen gegenüber überaus nachsichtig schien, überschritt man jedoch die Grenzen seiner Belastbarkeit, hatte man ein ernsthaftes Problem an der Backe. Erst einmal beleidigt, konnte Han unglaublich nachtragend sein. Takeru drehte auf dem Absatz um. Gut, dann eben der Balkon. Aus Hans Zimmer drang nicht der kleinste Lichtstrahl. Ernsthaft? Es war gerade mal neun Uhr. Das konnte doch… „Verlaufen?“ Takeru wirbelte herum. Vor ihm stand Han Osaru, mit den Hüften an die Balkonbrüstung gelehnt, die Knöchel seiner Füsse entspannt gekreuzt. „Na, na… Sind wir etwa erschrocken? Solltest keinen Hausfriedensbruch begehen, wenn Dir das plötzliche Auftauchen des rechtmäßigen Bewohners gleich eine Herzattacke beschert.“ „Warum wolltest Du nicht mit mir sprechen?“, fragte Takeru, Hans Sarkasmus ignorierend. „Wer sagt, dass ich es jetzt will?“ „Die Tatsache, dass Du es tust.“ Han schnaubte. „Ach ja? Sieh an!“ Er verschränkte die Arme. „Unser Herr Nezu ist ja mal wieder oberschlau.“ „Han… Es tut mir wirklich leid!“ „Dass Du mal wieder oberschlau bist?“ Takeru versteifte sich. „Du führst Dich auf wie im Kindergarten.“ „Und DU führst Dich auf, als wärst Du nie in einem gewesen! Dort lernt man nämlich - unter anderem - seine Freunde nicht zu verdreschen.“ „Verzeihst Du mir, wenn ich Dich den Gefallen erwidern lasse?“ „Oh. Du LÄSST Dich schlagen?“ „… Ja.“ „Wie großzügig. Aber ich will mir keinen Ärger mit Lord Zuko oder dem Erzherzog einhandeln.“ Das sass. Takeru sog scharf die Luft ein. „Bei derartig vielen fürstlichen Gönnern, in deren Gunst sich das Blutwauzilein derzeit sonnt, ist mir die Gefahr zu groß, eine Armee auf den Hals gehetzt zu bekommen, sollte ich es wagen, das Blutwauzilein zu hart anzugehen.“ Leises Grollen kam aus der Kehle des Blutwauzileins. „Ach Du liebes Bisschen… Hab ich Dir die Laune verdorben, Hoheit?“, fragte Han zuckersüss. Takeru atmete durch. Tief. Dann tat er etwas, was sein Freund für den Rest seiner Tage nicht mehr vergessen sollte. Han zuckte zusammen und wollte sich schon in Verteidigungsstellung werfen, als er ungläubig blinzelte. Hauptmann Nezu hatte sich auf die Knie geworfen. „Was…?“ „Verzeih mir!“ „Was soll das?“ „Bitte verzeih mir, Han.“ „Bist Du meschugge? Was machst Du da auf dem Boden?“ „Ich bitte Dich um Verzeihung.“ „Steh auf.“ „Mein Verhalten war…“ „Steh auf Mann! Das ist doch…“ „…unentschuldbar. Ich werde jede Strafe akzep…“ „Steh auf!“, brüllte Han entnervt. „Verzeihst Du mir?“ „Meinet… Wenn Du endlich aufhörst mir auf die Schuhe zu sabbern!“ Ebenso schnell, wie er auf dem Boden gelandet war, stand Hauptmann Nezu wieder auf. Ein zufriedenes Lächeln im Ges… Äh… WIE bitte? „Sag mal… Hast Du mich gerade verarscht?“, zischte Han. „Wie kommst Du darauf, ich würde so etwas tun?“ „Vielleicht durch Dein dämliches Gegrinse!“ „Welches?“, fragte Master Gargoyle, wobei sich in seiner Mine kein Muskel regte. „Taku, ich schwöre… Es kommt der Tag, an dem ich Dich… Uffmmnghuh… Taku… meine Rippen!“ Da Hauptmann Osarus Hang zur Unversöhnlichkeit den Göttern sei Dank nur halb so groß war wie seine Fähigkeit zur Vergebung, legte er seinen Groll ad acta, holte zwei Schälchen Sake aus seinem Quartier (da Takeru grundsätzlich nichts trank, würde Han sich wohl oder übel beider Rationen annehmen müssen) setzte sich neben seinen Freund auf die Bank und betrachtete - die Beine weit von sich gestreckt - den Nachthimmel. „Ach, Takeru! Es ist zu schön. Du. Ich. Das sanfte Mondlicht...“ „Zwing mich nicht, Dir weh zu tun.“ Han schnaubte und schlürfte genüsslich an seinem Reisschnaps. „Wie bist Du damals eigentlich darauf gekommen, ausgerechnet mich mit Deiner unverbrüchlichen Freundschaft zu beehren?“, fragte Takeru leise. „Dich konnt´ ich damit eindeutig am meisten nerven.“ „Ich meine es ernst, Han. Warum so einen verstockten Eisenbieger wie mich? Die anderen Kadetten haben mich anfangs gemieden wie die Pest.“ „Du warst ja auch ein Ekel. Immer so korrekt. Und ein unausstehlicher Streber obendrein. Nicht zu vergessen, dass ich ohne Dich Klassenbester gewesen wäre!“ „Warum also?“ „Schätze, ich wollte wissen, ob man Dich auch mal zum Lachen bringen kann.“ „Sicher“, seufzte Takeru „Wer bin ich, auf eine vernünftige Antwort zu hoffen?“ „Was? Zum Großteil war das wirklich der Grund. Du warst so dermaßen ernst, irgendwer musste etwas unternehmen. Außerdem...“ „Ja?“ „Du, als vaterloses Erdferkel in der Armee der Feuernation. Ich, eine Enttäuschung für meine Sippe, weil ich mich weigerte eine Laufbahn als General anzustreben… Und nicht zu vergessen meine Prügelei gegen die Vollidioten aus dem 3. Jahrgang, bei der Du dachtest, Dich einmischen zu müssen.“ „Sechs gegen einen war einfach zu unfair.“ „Ja. In Grund und Boden hätt´ ich die Kerle gestampft, wenn Du mich nicht gezügelt hättest. Aber danach blieb mir ja gar nicht anderes übrig, als mich Deiner anzunehmen, nicht wahr?“ „Zweifellos. Jedenfalls bin ich verdammt froh, dass Deine Wahl auf mich fiel.“ „Na, und ich erst …“ Han griff nach dem zweiten Schälchen Sake. „Solltest Du es Dir allerdings zur Gewohnheit werden lassen, mir eine zu verpassen...“ Vorsichtig betastete er seine immer noch leicht geschwollene Wangenpartie. „Nein. Und es tut mir wirklich leid. Dass ich tatsächlich zugeschlagen habe...“ „Ich werd einen persönlichen Feiertag daraus machen. 17. Aschregen. Der Tag an dem Prinz Takeru die Beherrschung verlor. Kanpai!“ Laut schlürfend verleibte Han sich den Reisschnaps ein. „Glaubst Du, ich kann an diesem Datum künftig Urlaub bekommen?“, hustete er, denn eigentlich war er dieses Zeug überhaupt nicht gewohnt. „In Deinen Träumen.“ „Dacht ich´s doch.“ „Nimmst Du meine Entschuldigung nun an?“ „Sei nicht albern, Taku.“ „Du hast es noch nicht gesagt.“ „Komm schon! Dieser kleine Klaps? Du musst schon weit mehr tun, um diese Freundschaft zu gefährden.“, meinte Han jovial, gänzlich außer Acht lassend, dass er vor nicht ganz einer halben Stunden noch den Beleidigten gemimt hatte. „Ich werde mich hüten.“ „Tja“, grinste Han. „Adel verpflichtet eben doch. Ganz das brave Zuckerbübchen, was? Aber sag mal... wo wir grade von Adel sprechen. Wann hast Du eigentlich vor, Dich mit ihm auseinandersetzen?“ „Mit... ihm?“ „Ja. Ihm. Deinem Vater. Den Kerzendocht-Mann werd ich wohl kaum meinen.“ „Morgen.“ „Was?“ Han entfuhr ein Keuchen. „Morgen? Und das, nachdem Du ihn tagelang mit Blicken ins Innere eines Eisbergs befördert hast? Ich bin enttäuscht! Echt jetzt. Aber na ja… hast schon Recht. Wenn Du nicht bald einlenkst, endet das Ganze noch in schwelender Bitterkeit, Resignation, schrillen Vorwürfen, kaputten Vasen und Brandflecken im Teppich.“ „Deine Eltern kommen also immer noch nicht besser miteinander aus?“, fragte Takeru und beobachtete Han aus den Augenwinkeln. „Da sie noch keine Möglichkeit gefunden haben, den schönen Schein zu wahren und sich trotzdem gegenseitig aus dem Weg zu räumen: nein.“ „Das tut mir leid.“ „Mhm. Hab ja Dich. Wieso ist der verdammte Schnaps schon alle? Also echt, Taku. Nicht mal ordentlich besaufen kann man sich mit Dir!“ „Die Flasche steht neben Dir.“ „Hast Du sie…?“ „Ja.“ „Ah! Besten Dank. Kanpai!“ Die Grillen zirpten, die Brise wehte, der Mond schien und der Sake tat seine Wirkung. Die perfekte Idylle für einen Überraschungsangriff. „Hast Du eigentlich nie bereut, dass Du es bei diesem Mädchen nicht noch einmal versucht hast?“ Wie von einer Krötentarantel gestochen fuhr Han in die Höhe. „Was? Nein!“, stieß er aus. „Was? Keine Ahnung, von wem Du überhaupt sprichst!“ „Lügner.“ „Ich will nicht über sie sprechen.“ „Sagt unser Kommunikationswunder.“ „Takeru...“ Zur Abwechslung war es diesmal Hauptmann Nezu, der angeknurrt wurde. „Du kannst nicht versuchen, mir eine heile Familie zu verschaffen und Dich dann wundern, wenn ich versuche, den Gefallen zu erwidern. Wie hieß sie noch...?“ „Halt die Klappe!“ „Emo... Emi...“ „Ich sag Dir, halt die Klappe!“, zischte Han warnend. „Emely.“ Mit geballten Fäusten, die vor Wut bebten, stand Hauptmann Osaru da. „Ja“, murmelte Takeru und betrachtete seinen Freund nachdenklich. „Emely. Das war´s.“ „HALT DIE KLAPPE!“ „Du wolltest doch dieses redseliges Besäufnis.“ „Ja. Macht aber leider keinen Spass wenn man der Einzige ist, der sich volllaufen lässt. Ich verschwinde!“, knirschte Han und bückte sich nach der Flasche mit dem Sake. „Und mach Du mit Deinem alten Herrn doch, was Du willst.“ Das war, wie Takeru fand, ein ganz hervorragender Vorschlag. Er würde mit seinem Vater endlich das tun, was er wollte. Was er tief in seinem Innern wirklich wollte. Ihn kennenlernen. Nachtrag der belanglosen Art: Leider musste Hauptmann Nezu als er den Weg in die eigenen vier Wände antreten wollte feststellen, dass sein Freund ihn schon wieder ausgesperrt hatte. „HAN!“ „Außen rum, Zuckerbübchen!“ „Han, mach die verdammte Balkontür auf!“ „Nnnnein!“ „HAN! Ich schwöre bei Esba, wenn Du nicht sofort diese Tür öffnest…“ „Ich höre nur Wabbawabbawabba! Immer Dein Wabbawabba. Wabbawabba dies, Wabbawabba das. Wabbawabba Dienstvorschrift...“ Durch die Tür konnte man deutlich Hans Kichern hören. „Komm morgen ja nicht zu mir gerannt, wenn Dir der Schädel brummt!“, grollte Takeru. „Wabbawabba!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)