Der Wächter des Drachen von Xanderle (Fortsetzung von "Drachenherz" und "Die Söhne des Drachen") ================================================================================ Kapitel 9: Verbrannte Erde -------------------------- Feuerpalast, vor siebzehn Jahren Aya hielt die Augen fest auf die Flamme in der tönernen Schale gerichtet. Sie war gar nicht groß. Brannte ruhig und gleichmässig. Sie blickte auf ihre Hände. Und wieder auf das Feuer. Die Flamme schien die genau richtige Größe zu haben. Die kleine Prinzessin holte tief Luft, schloss die Augen, streckte die Hände aus und ... schrie. „Es tut mir schrecklich leid, Mylord! So etwas hat sie noch nie getan!“ „Ich weiss.“, schnappte Zuko ohne sein Tempo zu verringern. Er spurtete durch die Gänge des Palastes, dass die verwunderten Wachen grade noch den Zipfel seines Odoro ums Eck flattern sahen. „Ich hatte sie nur für drei Sekunden aus den Augen gelassen.“ „Ich WEISS!“ „Ich ... bin untröstlich.“ Das verzweifelte Kindermädchens gab den vergeblichen Versuch, Schritthalten zu wollen keuchend auf und stütze sich an der Wand ab. Gut! Zuko hatte ohnehin Wichtigeres zu tun, als eine Amme zu beruhigen. Oder auf sie zu warten. Die Ärzte packten eben ihre Utensilien wieder fort, als der Feuerlord ins Zimmer stürzte. Lady Jin, die auf der Bettkante ihrer Tochter saß, blickte erleichtert auf. Es war auf unverkennbar, dass sie nur mit Mühe die Fassung bewahrte. „Aya?“ Zuko eilte auf das Bett zu. „Ihr ist nichts passiert.“, versicherte Jin schnell. „Nichts schlimmes.“, fügte sie hinzu und drückte einen tröstenden Kuss auf die tränennasse Wange ihrer Tochter. „Papa ...“ Verzagte Augen starrten Zuko an. Dieser Blick zeigte eindeutig, dass Aya mit einer Rüge rechnete. „Flämmchen!“, stiess Zuko aus und setzte sich zu ihr. „Was machst Du denn?“ „Ich ... ich hab nur die Flamme nehmen wollen!“ „Nehmen? Du hast ins Feuer gefasst!“ „Aber ich wollte doch nicht ...“ Trotz der noch anwesenden Ärzte, begann die Prinzessin erneut zu weinen. Das tat sie vor Fremden sonst nie! „Pst. Ist ja gut!“, murmelte Zuko und zog sie an sich, vorsichtig darauf bedacht, ihre verbundenen Hände nicht zu berühren. „Bald tut es nicht mehr weh!“, flüsterte er an ihre Schläfe. Mit einem kurzen Blick bedeutete er den Umstehenden, sich zu entfernen. „Ich wollte ... nichts schlimmes machen!“, schluchzte Aya. „Das weiss ich, Maus. Das weiss ich doch! Aber wir haben Dir doch gesagt, dass das Feuer nichts für Dich ist!“ „Warum können alle anderen Feuer machen, und ich nicht?“ „Aya ...“ Er küsste ihren Scheitel. „Man kann sich nicht aussuchen, ob man ein Bändiger ist, oder nicht.“ „Aber alle anderen können es!“ „Du kannst dafür andere Sachen.“ „Nein.“ Sie klang untröstlich. „Ich kann .. nichts!“ „Mäuschen!“ Jetzt streichelte Jin liebevoll über den Kopf des Kindes. „Das stimmt doch nicht! Du kannst so viel! Das dumme Feuer ist überhaupt nicht wichtig!“ „Doch!“, flüsterte Aya. „Es ist überall.“ „Aya ...“, seufzte Zuko. „Hier rennen so viele Feuerbändiger durch die Gegend und veranstalten unnütze, gefährliche Dinge. Wenn ich wenigstens bei einem meiner Kinder nicht ständig Angst haben muss, es stellt etwas brenzliges an, ist mir das ganz Recht.“ „Aber ....“ „Kein Aber!“, widersprach er. „Ich hab Dich genauso lieb, wie die anderen. Egal, ob Du Feuerbändigen kannst, oder nicht.“ Seine Tochter zuckte kläglich mit den Schultern und löste damit tiefe väterliche Bestürzung aus. Jetzt wollte Zuko es genau wissen! „Denkst Du, Mama hat Dich weniger lieb, nur weil Du es nicht kannst?“, fragte er leise. „Nein.“ „Aber von mir denkst Du es?“ Wieder dieses Schulterzucken. Aya konnte ja nicht wissen, wie sehr es ihrem geliebten Papa ins Herz schnitt. Er wechselte einen betroffenen Blick mit seiner Frau. Jin stand leise auf, drückte Aya einen Kuss auf die Schläfe, strich Zuko über die Wange und ging. Es schien an der Zeit, die beiden allein zu lassen. Ein wenig hilflos hielt Zuko sein Kind im Arm. Wie sollte er ihr nur begreiflich machen, dass ihr Unvermögen für ihn bedeutungslos war? Er hatte schon so oft versucht, ihre Ängste zu zerstreuen, hatte ihr tausende Male klarmachen wollen, dass die Liebe eines Vaters weder Grenzen noch Bedingungen kannte. In seiner Ratlosigkeit begann er leise, den Text eines alten Liedes zu zitieren. Seit Jahrhunderten wurde es den Kindern der Feuernation vor dem Zubettgehen vorgesungen. „So lieb wie die Sonne, so lieb wie den Mond. So lieb wie den Einen, der im Himmel thront, So lieb wie die Sterne, so lieb wie das Licht; Viel lieber als alles habe ich Dich. Auf der ganzen Welt fand ich noch nicht, ein einz´ges Ding, das ich mehr lieb als Dich. Selbst Erde und Wind und Wasser und Feuer, sind mir alle zusammen nur halb so teuer, Wie ein Lachen von Dir, aus voller Brust. So lieb hab ich Dich. Hast du das gewusst?“ Die kleine Prinzessin, eng an ihren Vater geschmiegt, hatte den letzten Vers leise mitgeflüstert. „Hast Du es gewusst, Aya?“ Sie nickte zögernd. „Und versprichst Du mir, dass Du es niemals mehr vergisst?“ „Ja.“ Ganz fest drückte er sie an sich. „Das ist gut, mein Flämmchen.“, murmelte er rau. „Das ist gut.“ Am Nachmittag fand Iroh Tatzu seinen Neffen am Fenster stehend vor, wie er sich den seltenen Luxus gönnte, seinem Nachwuchs beim Spielen zuzusehen. „Zuko. DA seid Ihr. Ich wollte Eure Meinung zu ...“ er stockte. „Ihr wirkt ja so nachdenklich.“ „Sie wissen gar nicht, wie sehr sie geliebt werden, oder?“, fragte Seine Lordschaft. Iroh folgte dem Blick des Herrschers und begriff. „Nein.“, seufzte er. „Das tun sie wohl nicht. Ich denke, es würde ihre kleinen Herzen überfordern.“ Er betrachtete kurz das eigenwillige, schroffe Profil zu seiner Rechten. „Aber wenn wir hartnäckig genug sind, bekommen die Aufgeweckten unter ihnen irgendwann eine Vorstellung davon.“ Zuko sah seinem Onkel in die Augen. Hatte dort jemals etwas anderes gestanden als Respekt, Güte und Liebe? „Eine vage.“, gab er zu und umarmte den alten Mann fest. Feuerpalast, vor vierzehn Jahren Oberfeldwebel Nezu schritt unruhig vor dem Büro Kommandant Kurotos auf und ab. Das sonst so ruhige Gesicht des jungen Mannes wirkte angespannt und besorgt. Er ging zum Fenster, starrte eine Weile hinaus, nahm dann seine rastlose Wanderung wieder auf. Für den jüngsten Musterknaben in Zukos Armee ein durchaus ungewohntes Verhalten. Die Tür öffnete sich. „Oberfeldwebel?“, fragte Adjudant Sheng. „Ja?“ „Sie dürfen jetzt einzutreten.“ „Danke.“ Ohne Umschweife betrat Takeru die Räume des stellvertretenden Oberbefehlshabers der Streitmächte Zukos II. Wie immer sah der Kommandant keinen Sinn darin, Zeit zu verplempern. „Nezu. Was kann ich für Sie tun?“ „Kommandant ... es handelt sich um eine sehr dringende Angelegenheit.“, brachte Takeru heraus. „Davon gehe ich aus.“, erwiderte Ru Kuroto mit hochgezogenen Brauen. Er wusste so gut wie jeder andere, dass Takeru Nezu trotz seiner erst siebzehn Lenze keinen Hang zu Übertreibungen, Nörgeleien oder auch nur zu Kommunikation im Allgemeinen hatte. Auch heute war der Junge nicht besonders geschwätzig. Leider hatte der Kommandant noch nicht gelernt, von zusammengepressten Lippen abzulesen. „Nun?“, fragte er also. „Ich fürchte, ich entspreche nicht den nötigen Anforderungen, um weiterhin im Dienste Seiner Lordschaft zu stehen.“, stiess der Jüngere hervor. Ru, der eben die willkommene Gelegenheit zu einem Schluck Tee hatte nutzen wollen, verschluckte sich. Nicht den Anforderungen entsprechen? Sprach der Junge von sich? „Was?“, krächzte der Kommandant, sich das Kinn mit einer Serviette betupfend. „Ich sagte ...“ „Ja doch. Ich habe Sie gehört. Aber warum?“ „Weil ich kein geeigneter Kandidat bin.“ „Aha! Und erneut: warum?“ Wieder presste Takeru die Lippen aufeinander. „Ich habe gebändigt.“, gestand er, die Augen fest auf den Boden gerichtet. „Ah.“ „Ja.“ „Und?“ „Kein Feuer.“ „Ist anzunehmen.“ „Erde!“ „Das ist bei Ihrer Herkunft wohl das Naheliegendste.“ „Ich wusste es nicht. Also ... dass ich es kann. Das müsst Ihr mir glauben. Sonst hätte ich nie ...“ „Gut. Erstens: Gratulation zur neuen Begabung. Zweitens: Was ist so schlimm daran?“ „Was daran schlimm ist?“, fragte der junge Unteroffizier konsterniert. „Äh. Ja.“ „Paragraph 314 der Dienstverordung des Reiches. `Jegliches Bändigen innerhalb der fürstlichen Streitkräfte ist auf das Element des Feuers und/oder der Elektrizität zu beschränken. Zuwiderhandlungen ...´“ „Paragraph wie viel?“ „314“ „Sind Sie sicher?“ „Ja.“ „Ach Du heilige ... Kennen Sie die gesamte Dienstverordnung auswendig?“ „Die exakten Details musste ich nachlesen.“ „Wie beruhigend.“ „Ich werde meine Rangabzeichen abgeben und ...“ „Ho! Langsamlangsam! Mal nicht so schnell. Ich bin mir sicher, es gibt einen Gegenparagraphen, oder etwas ähnliches.“ „Ich habe nichts derartiges gefunden.“ „Hm. Dann gäbe es immer noch das Gesetz der Gleichbehandlung Aller. Egal welchem Geschlecht, welcher Nation oder welcher Religion sie angehören.“ „Aber ...“ „Glauben Sie mir, Oberfeldwebel, dieses Gesetz wiegt schwerer als ein verstaubter Paragraph. Darum wurde es erlassen. Seine Lordschaft war sich bewusst, dass es Jahrzehnte dauern würde, alle sinnlosen, unmenschlichen Paragraphen oder Gesetzte aufzuheben. Darum hat er einige grundlegende, übergeordnete Gesetzte erlassen. Um einen solchen Unsinn zu verhindern.“ „Seid Ihr sicher, Kommandant?“ „Oh ja. Ich BIN sicher. Er wird den Teufel tun und den zur Zeit vielversprechendsten Offiziersanwärter aus einem so dummen Grund aus dem Dienst scheiden lassen. Außerdem,“, fügte er hinzu und rieb sich das Kinn. „könnten wir das zu unserem Vorteil nutzen. Wer weiss noch von Ihrer ... Gabe?“ „Han Osaru.“ „Ah. Gut. Der Junge ist in Ordnung. Bitten Sie ihn, die Sache für sich zu behalten. Ich habe gerne ein paar Überraschungen in der Hinterhand. Und ein Erdbändiger als Leibwächter in der persönlichen Leibgarde des Feuerlords ist durchaus als solche einzustufen.“ „Ihr möchtet es geheim halten?“ „Oh ja. Will ich. Na ja, ein paar Leute muss ich schon einweihen. Seine Lordschaft. General Iroh. Und ein paar weitere unbedeutende Persönlichkeiten.“ So kam es, dass ein junger Unteroffizier namens Takeru Nezu zwei Wochen später in weite Ferne geschickt wurde. Sein Besuch bei der ehrenwerten Toph Bei Fong war offiziell inoffizieller Natur. Natürlich. Zukos Freundin war hin und weg von ihrer neuen Aufgabe und bearbeitete ihren „Rohdiamanten“ mit Begeisterung. Außerdem fand sie es wundervoll, wieder mal ein Mannsbild unter der Fuchtel zu haben, dass 23,68 Stunden am Tag die Klappe hielt. Von ihrem werten Gatten konnte sie dergleichen nämlich leider nicht behaupten. Gegenwart Nach dem morgendlichen Gespräch mit Lord Zuko war Takeru zutiefst erleichtert. Er hatte zwar mit keiner drakonischen Strafe gerechnet, dass die ruppige Behandlung des Herzogs durch die Hand eines Soldaten jedoch auf Beifall stiess, erstaunte ihn dann doch. Seine Lordschaft hatte sich offenbar wieder einmal dazu entschieden, unberechenbar zu sein. Gegen Mittag schien es ganz so, als sei im Palast alles wieder im Lot. Es war der letzte Tag der Sonnwendfeier und alle erwarteten das abschliessende Fest mit großer Vorfreude. Ach, wem wollen wir etwas vormachen? Eigentlich warteten alle nur auf den großen Knall! Wie würde Seine Lordschaft auf den „Vorfall“ reagieren? Was war der „Vorfall“ überhaupt gewesen und vor allem: WAS würde es zu Essen geben? Der Mann, der die Antwort auf alle drei Fragen kannte, umkreiste in ebendiesem Augenblick Hauptmann Nezu. Dieser stand ruhig da, drehte sich nur gelegentlich, um seinen Widersacher im Blickfeld zu behalten. In der Hand hielt er locker einen langen Kampfstab, dessen Ende auf dem Boden schleifte. „Was ist? Braucht Ihr erst eine Einladung?“, fragte Zuko provokant. „Bereit, wenn Ihr es seid, Hoheit.“ „Das werden wir sehen. Momentan wirkt Ihr auf mich eher wie die umnebelte Besitzerin einer Opiumhöhle.“ „Und Euch scheint der Sinn eher nach einem Tänzchen zu stehen.“ „So?“ Der Feuerlord hob spöttisch die Braue. „Dann wird diese Primaballerina Euch ...“ Mitten im Satz schoss Zuko nach vorn, täuschte rechts an, wirbelte um die eigene Achse und liess seinen Stab mit zischender Wucht in die linke Flanke des Hauptmanns krachen. Es krachte wirklich. Holz prallte auf Holz. Die Deckung dieses verdammten Kerls war wie üblich unüberwindbar. Eben noch ganz entspannt, stand da mit einem Mal ein massives, menschliches Bollwerk. „Zu langsam.“, murmelte Takeru, da er wusste wie sehr seine Seine Lordschaft dieses Geplänkel genoss. „Ach ja?“ Ohne Vorwarnung nutzte Zuko die Nähe zu seinem Gegner und fegte mit einem seitlichen Tritt die Beine des Kage vom Boden. Natürlich war das gegen die Regeln. Aber wen interessierten die schon? Er hatte seine gezinkte Rechnung allerdings ohne den flinken Wirt gemacht. Hauptmann Nezu hatte schnöden Bodenkontakt offenbar nicht nötig. Er nutzte den unfreiwilligen Schwung seiner Beine zu einem Rückwärtssalto, landete einen Meter entfernt geschmeidig in der Hocke und holte noch in der Luft zum Schlag aus. In letzter Millisekunde konnte Zuko verhindern, von den Beinen gerissen zu werden. „Na, na, na. Was sind denn das für Mätzchen? Mein getreuer Musterknabe verstösst gegen die Regeln?“ „Da ich neben Rinnsteinratten aufwuchs, müsst Ihr Euch schon etwas mehr anstrengen, Mylord.“ „Ich befürchte fast, es wäre vergebliche Liebesmüh.“, schnaubte Zuko und gab dem Jüngeren ein Zeichen, das Training zu beenden. „Ihr könntet wenigstens so tun, als läge es im Bereich des Möglichen, Euch zu besiegen. Vor nicht ganz drei Monaten hattet Ihr diesen Anstand noch.“ „Nun, was den Schwertkampf angeht kann ich Euch nach wie vor nicht das Wasser reichen.“ „Ha!“ Zuko stellte seinen Kampfstab zurück in den Waffenständer. „Nicht nach dem, was Meister Giang mir sagte. Er war recht besorgt weil Ihr wie ein Besessener trainiert habt. Ich sagte ihm, er soll sich lieber gleich daran gewöhnen.“ „Ich kann mir keine Schwachstellen leisten, Mylord.“ „Hm. So kann man das auch sehen. Doch wir wissen beiden, dass Ihr im Ernstfall keine habt.“ „Jeder hat Schwachstellen.“ „Sicher. Und Eure sind gefährlich. Glaubt nicht, ich hätte nicht bemerkt, dass Ihr mit Absicht so getan habt, als wäre Eure Deckung auf der Linken etwas schwächer. Ihr WOLLTET, dass ich von dort angreife.“ „Tat ich das?“ „Wirklich rührend, wie Ihr versucht den Harmlosen zu spielen. Aber ich weiss, dass Ihr siebenundzwanzig Arten kennt, einen Menschen geräusch- und spurlos auszuschalten. Und das mit nur einem Finger. Macht, wenn man alle zusammenzählt zweihundertsiebzig Arten. Von Euren anderen Extremitäten will ich gar nicht erst anfangen.“ „Das nächste Mal lasse ich Euch gewinnen.“ „Na bitte. Geht doch. Und jetzt entschuldigt mich. Ich habe einen Herzog an die Luft zu setzten.“ Die Luft, die Masaru Shouta atmete, war in der Tat recht dünn. Dummerweise wusste er das noch nicht. Ignoranz ist eine schöne Sache, solange niemand es wagt, den Schleier der Unwissenheit zu lüften. In der Familie der Shoutas war es traditionsgemäss eher eine massive Wand, denn ein Schleier. Im Augenblick stolzierte der Herzog in Zukos sonnendurchflutetem Arbeitszimmer auf und ab und wartete. Er brannte darauf, zu erfahren, wie Seine Lordschaft mit diesem Flegel von Leibwächter zu verfahren gedachte. Er jedenfalls würde ihm nahelegen, an dem Kerl ein Exempel zu statuieren. Die Tür öffnete sich energisch und schloss sich ebenso wieder. „Hoheit!“ „Herzog!“ Plötzlich umwehte Masaru ein leichter Frosthauch. „Ihr wolltet mich sprechen, Mylord?“ „Ja. Bevor Ihr geht, wollte ich die Gelegenheit nutzen, Euch eine gute Heimreise zu wünschen.“ „Bevor ich ... gehe?“ „Eine weitere Verzögerung ist nicht erwünscht.“ „Hat denn jemand nach mir geschickt?“, wollte Masaru verwirrt wissen. „Meine Mutter vielleicht?“ „Nicht, dass ich wüsste. Es ist nur so, dass Ihr außerhalb des Palastes besser aufgehoben seid.“
 „Ich verstehe nicht ...“ „Ihr ...“, artikulierte Zuko überdeutlich, „... werdet uns verlassen. Um die Gerüchteküche nicht überkochen zu lassen, dürft Ihr dem heutigen Fest noch beiwohnen. Morgen werdet Ihr dann die Güte haben, in aller Frühe abzureisen.“ „Durchlaucht, ich habe den Eindruck, Ihr habt vielleicht ein falsches Bild von dem, was gestern vorfiel.“ „Ich fand es eigentlich recht eindeutig.“ „Ach so? Dann kann ich mir denken, was dieser Wachhund Euch erzählt hat ...“ „Tatsächlich? Der Hauptmann ist selten sehr mitteilsam. Aber ich kann eins und eins zusammen zählen. Und das Ergebnis,“, fügte Mylord sehr leise hinzu, „hat mir ganz und gar nicht gefallen. Ihr werdet Euch von meiner Tochter fern halten. Sowie auch vom Rest meiner Familie, sowie auch vom Palast. Auf Euren Ländereien könnt Ihr tun uns lassen, was Ihr für richtig haltet. Außerhalb haltet Ihr Euch an die Regeln, oder ich sehe mich gezwungen Eurer Familie sämtliche Privilegien und Euch die Herzog-Würde zu entziehen.“ „Aber dieser Kerl hat ...“ „Mein vollstes Vertrauen! Wenn Hauptmann Nezu es für nötig hielt , einzuschreiten, dann WAR es das auch. Als ich Euch bei Eurer Ankunft sagte, ich sei mir sicher, Ihr würdet Aya mit Respekt behandeln, dann weil ich weiss, dass der Hauptmann etwas anderes niemals dulden würde.“ „Ihr stellt sein Wort über das meine?“ Stocksteif und blass stand Masaru im Raum. „Durchaus.“ „Dann gibt es nichts weiter zu sagen, Mylord.“ „Wie wahr.“ Ein paar Stunden bei Hofe blieben Masaru Shouta also noch. Er wusste sie zu nutzen. Denn in der Tat gab es etwas, wovon der Herzog von Yun etwas verstand. Und das war sein Stolz. Nun, da dieser Stolz eine fatale Niederlage erlitten hatte, erwachten die Rachegelüste seines blauen Blutes. Und mit ihnen ein ungeahnter Einfallsreichtum. Die Shoutas hatten Freunde bei Hofe. Diese Freunde galt es zu finden. Die Shoutas hatten Bündnisse geschlossen. Diese Bündnisse galt es einzufordern. „WAS?“, keuchte Baron Jeh Wang drei Stunden später entsetzt. „Aber ... aber ... das ist HOCHVERRAT!“ „SCHT!“, zischte Masaru. „Seid doch leise! Und nein, es ist KEIN Hochverrat. Unser Ziel ist nicht die Prinzessin, sondern ihr anmaßender Wächter.“ „Nezu? A ... aber er ist ... na ja. GUT! Verdammt gut! Und eine Art Volksheld ist er auch.“ „Oh. Bitte um Verzeihung.“, schnurrte der Herzog trügerisch sanft. „Wenn Euch Eure Amme zuckersüsse Gute-Nacht-Geschichten über ihn vorgelesen hat, ist das natürlich etwas anderes. Wie kann ICH da erwarten, dass Ihr meiner Familie gegenüber Loyalität beweist?“ „Ich ... das meinte ich nicht!“, stammelte Jeh. „Nein? Dann sagt mir, was Ihr meint.“ „Wenn er Euch wirklich beleidigt hat ...“ „Zweifelt Ihr etwa daran?“ „Nein, Euer Gnaden! Natürlich nicht. Ihr seid mein Lehnsherr. Ich werde tun was Ihr verlangt. Nur ... bis jetzt hat niemand es geschafft den Hauptmann auszuschalten.“ „Weil noch niemand ihn selbst im Visier hatte. Mal sehen, wie gut Zukos überschätzter, dreckiger Schlammwühler noch ist, wenn er sich ausnahmsweise selbst schützen muss. Außerdem bin ich nicht dumm! Wir brauchen ein Ablenkungsmanöver. Genau dafür brauche ich Euch. Ihr habt freien Zugang zu den Stallungen, nicht wahr?“ „Äh ... ja.“ „Gut, gut. Darüber hinaus vertraut man Euch.“ „Äh!“ Jeh Wang war sich fast sicher, dass dieser Status sehr bald der Vergangenheit angehören würde. Andrerseits hatte Masaru ihm versichert, er bräuchte nichts illegales zu tun. Nur ein kleiner Gefallen. Vielleicht würde er ja glimpflich davon kommen. Würde er dem Herzog die verlangte Hilfe verweigern, wäre jedenfalls seine ganze Familie dran, soviel stand fest. Der Baron versuchte verzweifelt, zwischen beiden Übeln das kleinere zu wählen. „Ihr werdet morgen kurz vor zwei Uhr in den Stall gehen, wo das Hirschzebra unsrer kleinen Eisprinzessin schon bereitstehen wird.“, unterbrach Masaru diesen Gedankengang. „Wird es?“ „Aber ja. Sie reitet immer um diese Zeit aus. Ihr werdet dem Vieh das hier unter den Sattel schieben.“ Ein kleines, flaches Säckchen wurde Jeh in die Hand gedrückt. „Was ist das?“, fragte er ängstlich. „Nichts Gefährliches. Bei einer Temperatur zwischen achtunddreissig und neununddreissig Grad löst sich die Hülle komplett auf und lässt eine harmlose, aber höllisch juckende Substanz frei. Sprich, Ayas Gaul fängt irgendwann an zu bocken. Den Rest übernehmen andere. Ich muss diese exklusive, kleine Truppe nur noch zusammenstellen. Ihr seht also, Eure Weste bleibt bei der ganzen Sache fast so rein, wie das Laken einer Jungfrau.“ „Und was werdet Ihr tun?“ „Ich? Ich werde dafür sorgen, dass eine Legende zur ewigen Ruhe gebettet wird. Während der Hauptmann wieder einmal damit beschäftigt sein wird, Zukos kostbare Tochter zu retten, wird er selbst zur Zielscheibe werden. Meine Alchimisten verfügen über einige äußerst wirkungsvolle Nervengifte. Nezu wird wehrlos. Er wird erledigt. Er wird entehrt. Denn niemand wird das Gift nachweisen können. Und niemand wird diesem Emporkömmling auch nur eine Träne nachweinen, wenn fünf lausig bewaffnete Banditen es geschafft haben, ihn kalt zu machen. Für einen Heldenepos wird der Name Takeru Nezu dann jedenfalls nicht mehr taugen.“ Das böse Lächeln um die Mundwinkel des Herzogs liess Jeh schaudern. Er wünschte inbrünstig, seine Familie wäre nicht von der Gnade der Shoutas abhängig. Masaru schien die Realität jedenfalls weit hinter sich gelassen zu haben. Umso gefährlicher war er. Während Masaru in aller Heimlichkeit und Eile seine tödlichen Ränke schmiedete, plagten das Ziel seiner Rache ganz andere Probleme. Die brennendste Frage Hauptmann Nezus war nach wie vor ungeklärt. Was zum Teufel lag seinem Schützling auf der Seele? Hatten sich Lord und Lady gar getäuscht, oder war ihre Tochter wirklich verliebt? Falls ja, konnte er diesen aufgeblasenen Gecken Shouta wenigstens von der Liste der möglichen Kandidaten streichen. Aber wer könnte es sonst sein? Sprach sie mit den stattlichen Söhnen des Konsuls, mit denen sie aufgewachsen war, wirkte Aya absolut entspannt. Plauderte sie mit ihrem attraktiven Astronomie-Lehrer zeigte sie sich völlig normal. So scharf Takeru sie auch beobachtete, nichts in ihrem Verhalten liess Rückschlüsse auf den mutmasslichen Inhaber ihres Herzens zu. Die neuerdings so unvermittelt auftretende Melancholie überfiel sie nur, wenn sie sich allein wähnte. Ihre Mine wurde wehmütig, ihr Blick schweifte ab. Seine Hoffnung, der letzte Tag der Sonnwendfeiern und das abschliessende Fest am Abend könnten vielleicht Antworten bringen, zerschlug sich ebenfalls. Denn auch in Gegenwart ihrer unzähligen Verehrer blieb die Prinzessin unverbindlich, höflich und charmant wie immer. So verliess Aya das Fest schliesslich, ohne dass man irgendwelche Fortschritte der Mission „Herzblatt“ zu verzeichnen hatte. Auf dem Weg zu ihren Gemächern, schritt Hauptmann Nezu, stumm wie immer, hinter ihr. Um die Ecke vor ihnen bogen einige schnatternde Hofdamen, die sich offensichtlich etwas frisch gemacht hatten. Als sie der Prinzessin ansichtig wurden, knicksten sie eilig und gingen mit sittsam gesenktem Blick weiter. Die einzige, die sich nicht an dieses ungeschriebene Gesetz hielt, war Kaori Ren. Unter schweren Lidern warf sie ihrem Liebhaber einen langen, schwülen Blick zu. Aya beschleunigte ihre Schritte und biss die Zähne aufeinander bis sie schmerzten. Während Hauptmann Nezu wie üblich ihre Gemächer inspizierte, stand sie ungeduldig im Vorzimmer und knetete ihren Seidenfächer zwischen den Fingern. Ihre Unruhe wurde bemerkt. „Ist etwas, Hoheit?“ „Nein!“, stiess sie aus. Angesichts seiner verdammten, immerwährenden Pflichtschuldigkeit hätte sie am liebsten geschrien. „Ihr dürft Euch zurückziehen.“ „Wie Ihr wünscht.“ Er verneigte sich. Wie sie wünschte? Wie SIE wünschte? Etwas in ihr platzte. „Auf ein Wort noch!“ „Ja, Prinzessin?“ „Es wäre mir lieb, wenn Eure ... Gespielin sich an die Etikette hielte. Ich finde es ein wenig geschmacklos, wenn sie Euch so begafft.“ Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, spürte Aya wie ihr Gesicht vor Verlegenheit taub wurde. Was hatte sie sich nur gedacht? Es stand ihr nicht im mindesten zu, sich über das Privatleben des Hauptmanns zu äußern. Sie wusste es. Er wusste es. Ruhig stand er da und bohrte das Eis seiner Augen in ihren Blick. „Wie ... Ihr wünscht.“ Diesmal klang es weder unverbindlich, noch unterwürfig. Es war der Augenblick, indem Aya sich hätte entschuldigen müssen, doch wie ein gescholtenes Kind fand sie keine Worte. Wie hätte sie denn auch zurücknehmen können, was sie gesagt hatte? Als die Tür ins Schloss fiel, zerbrach ihr Fächer. Die gesplitterten Elfenbeinstäbe bohrten sich in ihre Haut. Verständnislos starrte sie auf die Blutstropfen. Agni! Was hatte sie getan? In der kleinen, kargen Kammer, die an das Schlafgemach der Prinzessin grenzte, legte Hauptmann Nezu seinen Waffengürtel ab. Seine letzten Zweifel waren verfolgen. `Es ist also doch wahr.´, dachte er. `Sie ist verliebt. Und sie ist unglücklich.´ Anders war ihr seltsames Verhalten nicht zu erklären. Normalerweise würde sie sich lieber die Zunge abbeissen, als schnippisch zu werden. Die ätzende Missachtung hatte nur schwer in ihre warme Stimme gepasst. Aber ... WER? Wem, um alles in der Welt, galten ihre Gefühle? Wer konnte dieses Glück einfach so von sich weisen? Wer konnte so blind sein, Aya Tatzu nicht zu lieben? Takeru zwang sich, die Fäuste zu lockern. Das Grübeln hatte keinen Zweck. Es hatte ihn noch nie weiter gebracht. Er beschloss, sich dem Einzigen zuzuwenden, das ihn in seinem Leben bisher vorangebracht hatte und tauschte seine Uniform gegen schlichte, weisse Trainingskleidung. Das Schliessen seiner Tür wurde bemerkt. Und es verursachte unendliches Herzeleid. Seit Ewigkeiten lag Aya da und starrte blicklos an den bestickten Baldachin ihres Himmelbetts. War er jetzt bei ihr? Sprach er mit ihr über die alberne, vollkommen unangebrachte Bemerkung seiner `Schutzbefohlenen´? Lachten die beiden über sie? Nein ... Hauptmann Nezu würde sich niemals dazu hinreissen lassen, auch nur ein einziges, schmähendes Wort über ein Familienmitglied seines Herrschers zu verlieren. Aber er war bei ihr. Liess sich berühren. Von dieser ... Tat sie mit ihren Händen jetzt das, was sie ihm zuvor mit den Augen versprochen hatte? War es so? Tränen rannen in das Haar an Ayas Schläfen. Immer mehr, bis sie sich schliesslich auf die Seite rollte und zusammenkrümmte. Sie konnte die Bilder, die ihre brennende Eifersucht malte, nicht mehr aufhalten. Die Arme um sich geschlungen, gestattete sie zum ersten Mal seit langer Zeit, dass schmerzhafte Schluchzer sie schüttelten. Es war egal. Er würde es ohnehin nicht hören. Nicht, solange er bei dieser Frau war. Erst in den frühen Morgenstunden erstarb das leise, verzweifelte Weinen. Es hatte an Takerus Nerven gezerrt, bis er meinte, die trostlosen Laute müssten aus ihm selbst kommen. Er schloss die Augen, obwohl er wusste, dass der Schlaf nicht kommen würde. Ihr Kummer hatte ihm alles gesagt, was er wissen musste. Morgen würde er zu Seiner Lordschaft gehen, und dessen Verdacht bestätigen. Vielleicht würde Zuko einen Weg finden, das Unglück seiner Tochter zu beenden. Vielleicht hätte er Mittel und Wege den Mann den sie liebte ausfindig zu machen. Doch um wen auch immer es sich handelte ... er war ihrer nicht würdig. Niemand war das. Am nächsten Tag klopfte es kurz vor Mittag an die Tür zu Gräfin Rens Gemächern. Dieses schroffe Pochen konnte nur von einem Menschen stammen. Kaori straffte sich und bereitete sich auf die bevorstehende Auseinandersetzung vor. Scheinbar trug ihre kleine List erste Früchte. Jetzt galt es klug zu agieren und Ruhe zu bewahren. Sie drapierte sich möglichst dekorativ auf ihrem Diwan. „Herein?“, rief sie scheinbar entspannt. Wie erwartet trat Hauptmann Nezu ein. Einmal mehr fragte Kaori sich, warum sie die Augen nicht von diesem Kerl lassen konnte. An ihrer Vorliebe für Uniformen allein konnte es nicht liegen. Er war schliesslich nicht der erste Offizier, der die Ehre hatte ihre ... Aufmerksamkeit erregt zu haben. Leider erregte er wie immer sehr viel mehr als nur das. Verdammt! Um sich nichts anmerken zu lassen, schwang Kaori graziös die Beine vom kostbar verzierten Sofa und setzte sich auf. „Ah! Hauptmann.“, schnurrte sie. „Was führt Euch zu dieser ungewohnten Stunde zu mir? Ich hoffe doch, es ist die Sehns ...“ „Lass diesen Unsinn!“ „Bitte?“ Die Gräfin versteifte sich. „Du weisst, weshalb ich hier bin.“ „Tatsächlich? Dann bin ich wohl unwissender, als Du denkst.“ „Schön.“ Die gletscherkalten Augen des Kage verengten sich. „Spiel Dein Spiel ruhig weiter. Aber beleidige bitte nicht meine Intelligenz, indem Du annimmst, ich ginge darauf ein.“ „Worauf, zum Teufel, willst Du hinaus?“ „Euer Schachzug, Gräfin, war ebenso erfolglos wie hinterhältig. Somit könnt Ihr auch Euer ungebührliches Verhalten wieder ablegen.“ „Mein Schachzug? Ich weiss nicht, was Du...?“ „Deine kleine Indiskretion. Du hättest wissen müssen, dass seine Lordschaft sich herzlich wenig um meinen Lebenswandel schert, sofern er meine Pflichten nicht beeinflusst. Wenn Dir die bisherige Art unsrer Beziehung nicht mehr zusagt, werden wir sie wohl beenden müssen.“ „Oh, DAS.“ Kaori zwang sich zu einem amüsierten Lachen. „Ich glaube, da liegt ein Missverständnis vor. Und ich muss mich bei Dir entschuldigen. Ich ... dummerweise hatte ich Ming von uns erzählt. Ich dachte, ich könnte ihr vertrauen, aber vor drei Tagen hat sie sich wohl verplappert.“ Zerknirscht trat sie vor ihn und strich über den Kragen seiner Uniformjacke. „Es tut mir leid.“, flüsterte sie und schob die Unterlippe vor. „Bist Du mir jetzt sehr böse?“ „Böse? Nein.“ Er pflückte ihre Hand von seiner Schulter. „Deine Intrige hat mich nicht einmal überrascht. Doch wenn Du unser Arrangement beibehalten möchtest, ändere Dein Verhalten!“ „Mein Verhalten?“ „Gestern Abend hast Du Ihrer Hoheit den ihr zustehenden Respekt verwehrt.“ „Was? Weil ich nicht zu Boden sah?“ Kaori schnaubte abfällig. „Es gibt kein Gesetzt, das etwas derartiges verlangt.“ „Der Anstand verlangt es!“ Bei seinem Tonfall reckte Kaori unweigerlich ihr Kinn. „Schön.“, sagte sie. „Das nächste Mal, wenn ich unserer ach so kostbaren Prinzessin über den Weg laufe, werde ich mich mustergültig benehmen. Agni behüte, dass ich ihr prüdes, kleines Weltbild auf den Kopf stelle.“ „Genug!“, knirschte der Hauptmann. „Entweder Du änderst Dein Benehmen, oder den Status unserer Beziehung. Mir ist es gleichgültig. Und nun entschuldigt mich bitte, Gräfin.“ Ein kurzes Neigen des Kopfes und weg war er. Wütend starrte Kaori auf die geschlossene Tür. Ihr Plan war nach hinten los gegangen. Komplett. Und als sei das nicht genug, war sie auch noch durchschaut worden. Was sie wirklich erschütterte, war die Tatsache, dass ihn das alles völlig kalt zu lassen schien. Er hatte es nicht einmal für nötig gehalten, sie deswegen abzuservieren. In Wahrheit war Takeru sogar froh, um diesen erneuten Beweis ihres manipulativen Wesens. Ihre Abgebrühtheit war schliesslich einer der Gründe, weshalb er auf ihre Avancen überhaupt eingegangen war. Bei ihr plagten ihn wenigstens keine Gewissensbisse wegen der eigenen Gefühlskälte. Sie war ein berechnendes, selbstbezogenes Biest, dem es nur darum ging, der eigenen Eitelkeit zu schmeicheln. Kurz gesagt, eine Frau, die sich innerhalb weniger Sekunden abschütteln und vergessen liess. Genau das, was Takeru Nezu brauchte, wenn ihn ab und an gewisse Bedürfnisse plagten. Are scharrte ungeduldig mit den Hufen. Gleich müsste es soweit sein. Der innere Chronometer der Hirschzebra-Stute war so zuverlässig wie jede Sanduhr. Kein Wunder; konnte man nach ihrem Besitzer fast die einzelnen Sandkörnchen zählen. Als jener Zweibeiner endlich den Hof der Stallungen betrat, schnaubte sie zufrieden. Wie immer überprüfte er zuerst sorgfältig die Sattelgurte von Mae, einer jüngeren Stute. Und wie immer fand Are dieses Verhalten inakzeptabel. Kess stupste sie gegen die Schulter ihres Besitzers. „Ruhig, Mädchen!“, murmelte Takeru und fuhr mit der Hand begütigend über die weiche Schnauze. „Sie scheint heute ungewöhnlich nervös.“, sagte er in Richtung des Stallmeisters, als das Tier den Kopf warf. „Liegt bestimmt an ihrer neuen Box. Ich werd sie wieder umquartieren.“ „Hm. Vielleicht braucht sie auch nur Bewegung. Sie hatte seit drei Tagen keinen ordentlichen Auslauf.“ „Oh, auf der Koppel hat sie sich aber mächtig ausgetobt.“ Als Are trotz des Austobens unruhig ihr Zaumzeug bearbeitete, runzelte ihr Herr die Stirn. „Ich sag Euch, es ist die neue Box.“, sagte der Stallmeister. „Passt ihr gar nicht, so weit weg von ihrer kleinen Freundin hier zu stehen.“ Er deutete auf Mae, die Stute der Prinzessin „Ich werd sie wieder nebeneinander unterbringen.“ „Gut.“ Als die Prinzessin den Hof betrat, wurde das Thema „Hirschzebras und ihre Allüren“ kurzerhand beendet. Nachdem er Ihrer Hoheit in den Sattel geholfen hatte, stieg Hauptmann Nezu ebenfalls auf. Sein Reittier tänzelte zur Seite und er straffte energisch die Zügel. Heute Abend würde er sich ausgiebig Zeit nehmen, um die Stute etwas zu fordern. Durch die Festivitäten der letzten Tage hatte sie eindeutig zu wenig Bewegung bekommen. Und wenn es etwas gab, dass die ansonsten so ausgeglichene Are aus der Ruhe brachte, dann war es Untätigkeit. Die Stute war ein Geschenk Zukos II an seinen hoch geschätzten Offizier gewesen. Es gab nur zwei Tiere in den Stallungen, die schneller waren. Beides Hengste. Doch Are war ausdauernder, zäher, treuer. Mit einem ruhigen Gemüt, das auf den leisesten Wink ihres Herrn reagierte. Und hier lag auch eines der Probleme des ehrenwerten Stallmeisters, denn so sanft die Stute im Umgang war, so bockig wurde sie, wenn jemand anderer als Hauptmann Nezu in ihren Sattel steigen wollte. So blieb oft nur die Koppel und die Nähe zu ihrer kleineren Freundin Mae, um ihren Bewegungsdrang in Zaum zu halten. Heute war sie jedoch so nervös, dass selbst Takeru Mühe hatte, sie zu zügeln. Zudem färbte ihre Rastlosigkeit auf Ayas Stute ab. „Hoheit, vielleicht sollten wir den Ausritt verschieben.“ Verschieben? Aya biss sich auf die Lippen. Der Missgriff von gestern Abend brannte noch immer beschämend klar in ihren Erinnerungen. Sie hatte gehofft, dieser Ausritt würde ihr die Gelegenheit für eine kurze Entschuldigung bieten. Wenn sie es schaffte, das Ganze möglichst unbefangen vorzubringen, bauschte sich die Sache vielleicht nicht allzu sehr auf. Mit etwas Glück würde der Hauptmann ihrer überzogenen Reaktion dann keine Bedeutung mehr beimessen. „Oder wir sollten schleunigst losreiten, bevor die beiden noch unruhiger werden.“, sagte sie daher und schaffte es sogar, einen leicht amüsierten Tonfall anzuschlagen. „Wie Ihr wünscht.“, erwiderte ihr Kage und neigte den Kopf. Ein ungutes Gefühl setzte sich hartnäckig kribbelnd in seinem Nacken fest. Wenig später würde Takeru sich wünschen, seinen Instinkten mehr vertraut zu haben. Wenig später würde auch Aya sich wünschen, seinen Instinkten mehr vertraut zu haben. Mehr als alles andere. Sie hatten die Stallungen bereits weit hinter sich gelassen und näherten sich einigen niedrigen Hecken, an denen sie üblicherweise das Tempo anzogen. Eine Unterhaltung wäre dann nicht mehr so ohne weiteres möglich. Aya gab sich einen Ruck. „Ach, wegen dieser Sache von gestern ...“, sagte sie leichthin über die Schulter. „Ich wollte mich gewiss nicht in Eure privaten Dinge einmischen. Ich war einfach müde und ...“ „Eine Entschuldigung ist nicht nötig Hoheit. Das Benehmen der Gräfin war unangebracht.“ „Nun, so schlimm war es auch wieder nicht.“ Als hätte sie die infame Lüge ihrer Herrin gespürt, schlug Mae plötzlich aus. Ein wenig erschrocken zog Aya die Zügel straffer. „Die beiden sind heute wirklich seltsam.“, meinte sie. „Vielleicht sollten wir ihnen ihren Willen lassen, und ... HO!“ Ihre Stute begann nun ernsthaft zu bocken. „Wir kehren zurück!“, beschloss Hauptmann Nezu und griff nach Maes Zaumzeug. Bevor er es allerdings zu fassen bekam, scheute das Tier, bäumte sich auf und vollzog mehrere wilde Sprünge. Ayas längst vergessene Angst vor dem Reiten drohte wieder an die Oberfläche zu kommen. Sie zwang sich zur Ruhe, doch ihre Hände krampften sich verzweifelt um die Zügel. „Aus dem Sattel!“ WAS? War er verrückt? „Aus dem Sattel, bevor sie durchgeht!“ Halbherzig versuchte Aya den Fuß aus dem Steigbügel zu ziehen, doch ihr Absatz hatte sich in den Falten ihres Mantels verfangen. Takeru verlor keine Zeit, schlug seinem Tier kurz die Hacken in die Flanke. Während Are losstürmte, beugte er sich aus dem Sattel und bekam schliesslich die Zügel von Ayas Stute zu fassen. Sein fester Griff zwang das Hirschzebra zwar zum Stillstand, doch es hörte nicht auf zu bocken. Also sprang er aus dem Sattel, hielt Maes Halfter dicht am Maul und versuchte sie zu beruhigen. „Ho, Mae. Ruhig!“ Für einen kurzen Moment sah es so aus, als hätte er damit Erfolg. Schnell nutze er diesen Augenblick, um Ayas Stiefel aus dem Steigbügel zu ziehen. Der Hauptmann hörte das feine Surren hinter sich sehr wohl, doch mit zwei vollauf beschäftigten Händen war es für eine Reaktion zu spät. Er spürte einen kleinen Stich im Nacken. Das war kein gutes Zeichen! „Prinzessin, Ihr müsst absteigen.“, sagte er ruhig und streckte ihr die Hand entgegen. Dankbar nahm Aya die Hilfe an und rutschte wenig elegant vom Sattel ihrer wild gewordenen Stute. Als er sie auffing brachte diese unvermutete Nähe ihren Puls zum rasen. Wie stets. „Danke! Ich weiss wirklich nicht, was in sie gefahren ist.“, murmelte sie etwas atemlos. Das Brennen in Takerus Nacken machte schnell einer seltsamen, prickelnden Taubheit Platz. Es sah ganz so aus, als habe er nicht mehr viel Zeit. „Hoheit, Ihr müsst mir jetzt gut zuhören.“ Aya kannte diesen Tonfall. Sie sah auf und ihr wurde kalt. „Was?“, flüsterte sie. „Ihr werdet Are nehmen und so schnell wie möglich zum Palast zurückkehren.“ „Und was ist mit Euch?“ „Nichts!“ „Nein! Sie kann uns beide tragen. Mich allein wird sie nicht mal in den Sattel lassen.“ „Wenn ich Euch hochhebe, wird sie!“ „Aber ... warum?“ Sie versuchte, die Antwort in seinen Augen zu finden. Sie waren seltsam. Die Pupillen unnatürlich geweitet. „Was ist?, wisperte sie. „Was ist mit Euch?“ „Tut was ich sage!“, zischte er knapp. Takeru wusste nicht, was ihn erwischt hatte. Er wusste nicht, wie viel Zeit oder Kraft ihm noch blieb. Er wusste nur, dass sich vom Südwesten her vier bis fünf Mann näherten und dass er die Prinzessin sofort von hier fortschaffen musste. Nur sie schien es nicht zu wissen. Statt seinen Anweisungen Folge zu leisten, schüttelte sie den Kopf und blickte ihn besorgt an. Er umfasste kurzerhand ihr Handgelenk, zog sie zu seiner Stute und hob sie in den Sattel. Are tänzelte unwillig. „Ist ja gut, Mädchen. Ist gut.“ Das Hirschzebra beruhigte sich tatsächlich und duldete die ungewohnte Last. Aus den Augenwinkeln konnte Takeru die näher kommende Bande sehen. Sie hatten ihre Schwerter bereits gezogen. Leider war er nicht der einzige, der die Halunken bemerkt hatte. Aya keuchte erschrocken auf. Aber bevor sie sich über die Situation klar werden konnte, traf ein energischer Schlag Ares Hinterbacke. „Lauf!“, befahl Hauptmann Nezu seiner vierbeinigen Gefährtin. Die Stute schien zu spüren, was er von ihr wollte und galoppierte los. Der Tag hätte vermutlich ein anderes Ende genommen, wäre ihre Reiterin ebenso gehorsam gewesen. Nach einigem Ziehen und Zerren schaffte Aya es tatsächlich, Are zu kontrollieren. Sie war um so vieles größer als Mae. Um so vieles stärker. Doch nachdem sie ihre neue Reiterin akzeptiert hatte war sie erstaunlich leicht zu lenken. Auf einer kleinen Anhöhe kam das Tier schliesslich zum Stillstand und Aya blickte sich um. Die fünf Männer hatten den Hauptmann beinahe erreicht. Angesichts seines Könnens eigentlich kein Grund zur Sorge, aber warum hatte in seinen Augen dann genau das gestanden? Und warum waren seine Bewegungen so kraftlos? Irgendetwas stimmte nicht! Aya überlegte fieberhaft. Warum hatte er nicht mit ihr in den Sattel steigen wollen? Are wäre kräftig genug, um sie beide zu tragen. Diese Bande war zu Fuß und hätte die Stute trotz der doppelten Last niemals eingeholt. Und warum stand er einfach nur da, während diese Schurken ihn langsam einkreisten? „Hör auf Fragen zu stellen!“, flüsterte sie verzweifelt. „Tu etwas!“ Die Schwäche ergriff mehr und mehr Besitz von Takeru. Sie breitete sich in seine Extremitäten aus, summte in seinem Kopf, umnebelte seine Sicht. Da waren diese bewaffneten Halunken. Fünf. Sie kamen näher. Vielleicht könnte er es schaffen, ein paar zu beseitigen, wenn er seine verbleibenden Kräfte zum richtigen Zeitpunkt bündelte. Doch er bezweifelte, dass er alle erwischen würde. Neben dem hohen Sirren in seinen Ohren nahm er ein dumpfes, rhythmisches Geräusch wahr. Hufschläge? „Los! Schnappt ihn euch!“ Der Hauptmann ignorierte den Rufer, der ohnehin nur das Offensichtliche zur Sprache gebracht hatte, und drehte sich in Richtung des näher kommenden Geräuschs. Jetzt packte ihn das nackte Grauen. „Nein!“ „Steigt auf!“, drängte Aya. Sie war blass, hatte ganz offensichtlich schreckliche Angst. Und doch war sie hier. „Geht!“ „Hauptmann ...“ „GEHT!“ „Los, MACHT endlich hin und schnappt euch den Typen!“, brüllte der Anführer des kleinen Trupps. Takeru spürte, wie seine Beine nachzugeben drohten. Er schwankte. „Hauptmann!“ „Hoheit ... Das ist ein Befehl!“ „Nein!“ „Verschwindet!“ „Nicht ohne Euch!“ Letztendlich unterlag Takeru der Schwerkraft. Er sank auf die Knie. Die Erde. Er war jetzt näher an der Erde. Vielleicht ... Er ballte die Fäuste und rammte sie mit aller Macht in den fruchtbaren Boden. Doch statt einen schützenden Wall zu bilden, antwortete das Element seiner Ahnen nur mit einem leichten Zittern, dann verlor sich die Kraft. Das Gift lähmte offenbar nicht nur Muskeln und Nerven, sondern blockierte auch seine Energien. „Takeru!“ Ihr erschrockenes Flüstern war dicht an seinem Ohr. So nah! Viel zu nah! Sie war nicht länger in Sicherheit. Somit war ihm nicht gestattet aufzugeben. So einfach war das. Takeru biss die Zähne zusammen. Ihm blieb nur ein Ausweg. Vielleicht würde es reichen. Er zwang sich auf die Beine, spannte jeden einzelnen Muskel seines Körpers an und pumpte mit schweren, schnellen Atemzügen Luft in seine protestierenden Lungen. Sein Herz schlug rasend schnell, das Toxin breitete sich nun wesentlich rascher in seinem Kreislauf aus. Aber das hatte er schliesslich vorher gewusst. Der Berserker-Rausch war jedoch seine einzige Möglichkeit genug Kraft für einen letzten Kampf zu mobilisieren. Mit geschlossenen Augen stand Zukos Blutwolf da und wartete auf das Einsetzen des Kyobos. Als er schliesslich den Blick hob, war das kristallblaue, zu Eis erstarrte Brennen darin die letzte Warnung, die seine Feinde bekamen. „Verdammt, wieso steht er denn wieder?“, schrie der kleinste der Banditen. Bisher schien er eigentlich der Mutigste gewesen zu sein, denn er stand am nächsten. „Egal! Mach ihn kalt!“ „Aber wie ...“ Entgeistert starrte der Kurze auf den glänzenden Griff eines Wurfdolchs, der mitten aus seiner Brust ragte. „...so?“, krächzte er, bevor er umkippte. „Scheisse!“, schrie der Schurke rechts von ihm und stolperte hastig rückwärts, als die unheimlich glitzernden Augen nun ihn ins Visier nahmen. „Verpasst ihm noch ne Ladung!“, kreischte er hysterisch. „Lo ...“ Diesem beeindruckend unmoralischem Lebenslauf wurde ebenfalls ein jähes Ende gesetzt. Sobald Ellbogen ein gewisses Tempo erreichen, vertragen sie sich nun mal nicht mehr so gut mit Kehlköpfen, die versuchen ihren Weg zu blockieren. Verzweifelt blickte Aya sich um. Irgendwo musste doch eine Waffe liegen. Ein Stab. Ein Schwert. Irgendetwas. Wenn sie wollte, könnte sie damit umgehen! Sie musste es nur genug wollen. Ihr Blick fiel auf den Anführer der Bande. Er setzte ein seltsames Rohr an die Lippen, holte tief Luft und blies hinein. Der kleine Pfeil flog so schnell, dass man ihn überhaupt nicht sah. Doch er traf sein Ziel. „NEIN!“ Hauptmann Nezu griff nur achtlos an seinen Hals, zog sich das Ding aus der Haut und ging weiter auf seinen nächsten Feind zu. Er kam nur zwei Schritte weit. Sein rasendes Blut hatte das Gift zu rasch verteilt. Es lähmte ihn. Seine Beine versagten endgültig ihren Dienst. Er fiel erneut auf die Knie. Mochten die Götter ihm beistehen. Er hatte seinen Schwur gebrochen, hatte nicht vermocht, sie zu schützen. „Nein!“ War das ihre Stimme? Hastige Schritte, dann kniete jemand neben ihm, stütze ihn. „Takeru?“ „So, jetzt murkst ihn endlich ab!“ „Und wenn er nochma aufsteht?“ „Quatsch! Der is erledigt. Wir müssen nur noch ein Schwert in seinen Bauch rammen, und dann war´s das.“ „Na schön. Aber dann krieg ich die Frau!“ „Spinnst Du? Die ist tabu!“ „Aber ... sie ist verdammt hübsch!“ „Schnauze! Lass die Griffel von dem Weibsstück! Wenn wir ihr was tun, sind wir erledigt, hat der Boss gesagt.“ „Aber ...“ „SCHNAUZE HAB ICH GESAGT! Erledigt endlich diese Bulldogge. ER ist das Ziel!“ Sie wollten nicht sie? Durch das Brennen in seinen Eingeweiden und den rauschenden Pulsschlag in seinen Ohren war das die einzige Nachricht, die zu Takeru noch durchdrang. Sie wollten nicht sie! Erleichtert brach er vollends zusammen. „Nein.“, flüsterte Aya. Flehend sah sie auf. Doch auf den Gesichtern der drei umstehenden Männer fand sie nur Abgestumpftheit und Gier. „Bitte ...“ „Herrgott, muss ich´s selbst machen?“, fauchte der Anführer der Bande. Er kam näher, hob seinen Säbel. „NEIN!“ Wie aus dem Nichts loderte eine Feuersäule auf. Sie umtoste die Prinzessin und den Hauptmann wie ein flammender Wirbelsturm. Aya hörte Schreie, sah das wabernde Inferno. Doch sie spürte einzig die Reste ihres brennenden Zorns. So brennend, dass er sie von Kopf bis Fuß durchglühte. So brennend, dass er rau aus ihrer Kehle brach. So brennend, dass die Welt rotglühend zerbrach. Etwas kühles, seidiges war unter ihren Fingerspitzen. Aya blinzelte den Tränenschleier fort und zwang ihren Blick nach unten. Langsam, als zögere sie dadurch die Wahrheit hinaus. Hatte sie ihn auf den Rücken gedreht? Seinen Kopf in ihren Schoss gebettet? Die Finger in sein Haar gekrallt? Warum regte er sich nicht? „Hauptmann?“ Ihre blutleeren Lippen hatten Mühe das Wort zu formen. Er öffnete die Augen und sah sie an. Mit letzter Kraft hob er langsam eine Hand um über eine ihrer Haarsträhnen zu streichen. „Aya ...“ Er hatte so ein schreckliches Leuchten in den Augen. Dieses überirdische Strahlen, das nichts Gutes verhiess. Man sagte, Sterbende hätten diesen Ausdruck ... „Takeru!“ Mit einem Schlag war ihr kostbares, jahrelang gehütetes Geheimnis nichtig geworden. Es gab nur noch eines, das Aya zu tun blieb. „Ich liebe Euch!“, wisperte sie tränenerstickt und strich sanft das kurze Haar aus seinem Gesicht. Doch der Hauptmann hatte das Bewusstsein bereits verloren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)