The end is the beginning is the end von Alibear ================================================================================ Kapitel 1: Prelude to madness ----------------------------- Der Anfang war das Ende von allem. So lange hatte er darauf hingearbeitet, dass diese Welt endlich einen Frieden sah, der ewiglich andauern würde. Dass endlich alle Diskrepanzen überwunden wurden und sich Osten und Westen in den Armen lagen, damit das nukleare Wettrüsten Geschichte und gemeinsame Welterneuerung Gegenwart wurde. Dass wirklich solch ein kindlich naiver Wunsch aus solch einem überragenden Intellekt wie dem seinen stammen konnte, zeigte doch, dass er auch nur ein Mensch war. Nicht der intelligenteste Mann der Welt, kein Superheld, so wie ihn die Welt immer darstellen wollte. Nur ein Mensch mit einem dringlichen Wunsch, der erfüllt werden musste, um sie vor ihrem sicheren Untergang zu retten. Und um die Welt vor dem nuklearen Untergang retten zu können, musste sie ein anderer Untergang ereilen. Ein Untergang, eine Katastrophe, die ihre Vernunft, ihr rationales Denken, ihr Mitgefühl aufleben und die sie wieder dessen gewahr werden ließ, was wichtig war. Es hatte sich nur jemand wagen müssen, diesen letzten Schritt zu gehen, um die Katastrophe geschehen zu lassen. Jemand musste es sich wagen, die ökonomischen und geistigen Mittel besitzen, ein solches Unterfangen auf die Beine zu stellen. Nur wenige hätten dies bewerkstelligen können – und er war einer von ihnen. Somit wurde aus dem von der Öffentlichkeit lobgepriesenen Helden der Ursprung ihrer schlimmsten Alpträume – doch würden sie es, dank seines bis ins kleinste Detail durchdachten Plans, niemals erfahren und auf den Überresten ihres Unglücks eine neuere, bessere Gesellschaft erschaffen. Und dies hatte alles nur er erreicht. Keine Lorbeeren, keine Siegesfeier, keine Huldigung für diese Tat – einzig allein der Gedanke, dass er der Welt geholfen hatte, dass er sie aus ihrem Elend hatte befreien können, war genug für ihn, um sich als König der Welt zu fühlen. Auf einer Stufe mit seinen Idolen, den einzigen Personen, mit denen er sich hatte identifizieren, hatte messen können. Es hätte alles so enden können, alles so anfangen können – alles wäre perfekt gewesen. Doch gab es keinen perfekten Plan – so etwas war unmöglich. Immer existierte etwas, dass die Perfektion zerstören konnte. Nun saß er hier, in seinem Refugium, in seinem Sanktuarium - einem der wenigen Räume, die unbeschadet von den vorangegangenen Ereignissen, noch nicht der antarktischen Kälte anheim gefallen waren. Saß alleine in diesem Raum, gefangen in seiner Meditation und dachte über die Worte nach, die ihn hatten zweifeln lassen. Vor wenigen Tagen saß er noch hier, überzeugt von sich und seinen Taten, wartete auf den Besuch einer bestimmten Person – und wurde, als diese wirklich nochmal auftauchte, von dieser von seinem hohen Ross gestoßen. Jetzt, retrospektivisch gesehen, wäre es wünschenswert gewesen, hätte dieses letzte Treffen nie stattgefunden. Wenn ihn diese eine Person nicht noch einmal heimgesucht hätte, nur um ihn mit ihren Sätzen aus der Bahn zu werfen, unsicher zu machen… „Letzen Endes?“ dröhnte die Stimme in seinen Ohren, verhöhnte seine Naivität, seinen Leichtsinn hinsichtlich seines voreiligen Triumphes. „Nichts endet, Adrian. Nichts endet jemals.“ Dann war Ostermann ins Nichts verschwunden, eigenhändig ausradiert aus dieser Welt – und hatte ihn allein zurückgelassen, wohlwissend, dass diese Worte Adrian zum Nachdenken anregen würden. Jedermann wusste, dass Ostermann die Zukunft sehen konnte, jeder Zeitpunkt der Geschichte für ihn simultan ablief, er in der Zeitleiste überall und nirgendwo existierte. Somit wusste Adrian auch, wie er dessen letzte Worte deuten musste. Und diese Deutung ließ nur eine Tatsache zu – dass der angebliche Anfang nach dem Ende eigentlich nur ein neues Ende war. Das Ende einer Welt, von der er dachte, sie endlich endgültig geschaffen zu haben. So wie er hier saß, in seinem Refugium, seiner Zuflucht, geistesverloren die Deckenverzierung mit ihren Sternenbildern musternd – da war Coma Berenices, dort Corona Borealis, hier Ophiuchus – konnte er regelrecht hören, wie die Welt, die er geschaffen hatte, wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel. Seit Tagen hatte er nun schon die Nachrichten verfolgt. Verfolgt, wie die Welt sich, nach seinem Anstoß in die Richtung Neuanfang, weiterentwickelte – von anfänglichen positiven Begebenheiten wie die Niederlegung der Waffen in allen Ländern und sogar Hilfsgelder zum Wiederaufbau New Yorks hin zur erneuten Katastrophe. Was er erreicht hatte, sollte nicht lange halten – Ostermann sollte recht behalten, wohl eher, als ihm lieb war. Ein Schriftstück, das einer volkshetzenden Zeitung in die Hände gefallen war, sollte alles wieder zum Einsturz bringen. Scheinbar konnte man es kaum abwarten, in einer Welt, die so wunderbar vollkommen und frei von Missgunst war, einen Schandfleck zu finden, um ihn ihr unter die Nase zu reiben. Der New Frontiersman setzte diese Anstachelung in Gang, veröffentlichte brisantes Material, das Adrian diffamieren und für immer als einen Verrückten/Tyrannen darstellen sollte. Ein einziges Schriftstück hatte ausgereicht, um alles zu ruinieren. Kaum war herausgekommen, dass alles Geschehene der Plan eines einzelnen war, die Schuld an Adrian Veidt lag, hatte die Welt wieder in ihr altes Bild zurückgefunden. Russland bezichtigte die USA einer Lüge, eines miesen Tricks, um sich Mitgefühl zu erschleichen, für Waffenruhe und Niederlegung zu sorgen, nur um sich eine Chance aufzubauen, Mutter Russland in den sorglosen Rücken zu fallen. Die USA ließen sich solch eine Anschuldigung nicht bieten, schließlich waren sie genauso Opfer dieses Komplottes. Schon waren die Fronten wieder aufgebaut, fing das Wettrüsten wieder an, der psychische Terror des kalten Krieges nahm erneut an Fahrt auf. Und alle Bemühungen waren gescheitert, umsonst gewesen – sein Ruf ruiniert. Adrian Veidt - statt als im Hintergrund stehender Erlöser - galt nun als übelster aller Tyrannen. Rufmord noch und nöcher, von allen Sendern schallte es ihm entgegen. Adrian Veidt, der Zerstörer New Yorks, der Mörder Tausender. Jetzt war es nicht nur der Vegetarismus, der ihn mit Hitler in Verbindung brachte. Den Blick von der gewölbten Decke abwendend, setzte er sich auf und fing an, durch die Überreste seiner Festung, seines Karnak zu wandern – dem einzigen Ort auf Erden, den er noch als seine Heimat ansehen konnte. Die teils durch hereinkommenden Schnee, teils durch unendliche Stille erfüllten Hallen waren jetzt sein Elysium – doch war es nicht vollkommen, würde ihn hier doch der Tod anstatt ewiges Leben erwarten. Adrian würde nie wieder von hier entkommen können, nirgendwo anders auf Erden einen Schritt setzen können. Er war allein. Niemand war hier, der dieses Exil mit ihm teilte – seine Bediensteten, gestorben durch seine Hand. Seine Kleine, gestorben durch seine Hand. So viele gestorben durch seine Hand. War es wirklich richtig gewesen? Der richtige Schritt, um die Welt zu erneuern, zu verbessern? Warum konnte der Tod nicht schnellen Schrittes zu ihm eilen, mit seinem Ross im vollen Galopp erscheinen und ihn mitnehmen, um ihn von dieser Erde zu tilgen und seiner gerechten Strafe zu überführen? War es ihm nicht vergönnt, kurz und schmerzlos all dies zu beenden? War es seine Strafe, allein durch diese Mauern zu wandeln, immer wieder in Gedanken und Depressionen versunken? Hier umher zu wandeln, dabei immer wieder akustische Halluzinationen wahrnehmend: Die sanften Pfoten seiner anmutigen Bubastis, wie sie hinter ihm her zu trotten schien. Die eiligen Schritte seiner Bediensteten, wie sie ihrer Arbeit nachgingen, um ihn wohl zu stimmen. Die Stimmen, Klagen Tausender, die er geopfert hatte für diesen fragilen Frieden, die ihm immer wieder diese eine Frage, dieses eine Wort entgegen riefen: Warum? Wobei eine Stimme am lautesten durch die Menge hervortrat – die Stimme eines einzelnen Mannes, seines ersten Opfers. Jemand, der verdient hatte zu sterben - aber durch die falsche Hand und aus dem falschen Grund. Das Leid der griechischen Tragödie wurde für Adrian Veidt war – die, die zu den allerhöchsten Höhen hinaufstiegen, fielen auch in die tiefsten Schlunde der Hölle hinab. Die größten Köpfe wurden als erstes Opfer des Wahnsinns, da sie diesem das meiste Potential lieferten - die beste Grundlage für ihren Spuk. Anders hätte es sich Adrian nicht erklären können, dass er immer und immer öfter Hände an seinem Körper spürte. Grobe, zerstörende, den Tod verheißende Hände, die ihn berührten, umfassten, umfingen wenn er einen Moment lang stehen blieb, um sich seiner Situation vollkommen gewahr zu werden. Hände, die sanft zu ihm waren, auch wenn er es nicht verdiente, ihn beruhigen wollten, ihn vorbereiten wollten für den letzten Schritt, der ihm noch bevorstand. Hände des Mannes, der als erstes durch seine Hand gefallen war. Hände, die nicht sein durften. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)