Order von Mebell (24 Tage - 24 Befehle (Oder: Der etwas andere Adventskalender)) ================================================================================ Kapitel 12: 12.Dezember ----------------------- 12.Dezember Farin ist vom einen Moment auf den anderen schlagartig hellwach. An der Zimmerdecke meint er, grüne Augen verblassen zu sehen, und braucht einen Moment, um zu realisieren, dass das das letzte Bild aus seinem Traum ist, das langsam verschwindet und schließlich wie der Rest des Traums nur ein bittersüßes Gefühl zurücklässt. Jetzt wäre es schön, jemanden zu haben, der ihm einen heißen Tee ans Bett bringt, sinniert Farin und starrt noch immer völlig antriebslos an die Decke. Ja, er ist wach und nein, er kann unmöglich wieder einschlafen, aber wirklich aufstehen möchte er auch nicht. Lieber im morgendlichen Zwielicht nach Traumfetzen haschen, ehe ihn das unvermeidliche Türschellen aus dem Nichtschlaf reißt. Farin wirft einen Blick zu dem alten Foto von ihm und Bela und atmet tief ein. Das seltsame Gefühl verstärkt sich. Schließlich erlöst ihn das schrille Klingeln. Mit den letzten Schwaden schweren Halbschlafs schüttelt Farin entschlossen die verwirrenden Gedanken und das Gefühl, von dem er sich nicht sicher ist, ob es nun angenehm oder unangenehm ist, ab und läuft zur Tür. Meine Güte. Wann war er zum letzten Mal so sentimental? Kopfschüttelnd reißt Farin die Tür auf und zieht den Korb hinein. Er vermeidet den Blick rundum, Bela kann sich ruhig zeigen, wenn er gesehen werden will. Der grüne Zettel verkündet fröhlich: "Zwölfter Befehl: Lerne ein Gedicht auswendig!" Okay, Bela wird wieder albern bis merkwürdig. Doch Farin überlegt nicht einmal mehr, ob er den Befehl ausübt, sondern greift routiniert nach dem Korb und bugsiert ihn auf einen der Küchenstühle. Einerseits ist es die Neugierde, was ihn noch alles erwarten wird. Andererseits genießt er dieses fremde Gefühl in ihm viel zu sehr, hängt an dem kleinen Monster in ihm. Es ist neu, es ist anders und irgendwo tut es ihm auch gut. Was kann daran schon falsch sein, an diesem kleinen Spiel? In Gedanken korrigiert sich Farin. All das hat als kleines Machtspielchen, als einer der üblichen Konkurrenzkämpfe zwischen ihnen begonnen, mittlerweile jedoch ist diese Seite der Angelegenheit etwas in den Hintergrund gerückt. Heute ist es auch ganz eindeutig nicht der Ehrgeiz oder der Wille des Übertrumpfens, der ihn zu seiner Aufgabe treibt. Viel eher möchte Farin den Schlagzeuger beeindrucken, ihm zeigen, was er alles für diese Freundschaft tun würde. Wobei auch das Wort „Freundschaft“ nicht mehr wirklich sicher ist. Seufzend widmet Farin sich nun dem Korb, er wird wohl doch alt. Normalerweise denkt er zwar auch über alles und jeden ausgiebig nach, nur heute sind schon morgens seine Kapazitäten erreicht. Auswendig lernen ist eine schöne, stumpfe Tätigkeit, bei der man seine Umgebung und die Zeit wunderbar vergisst. Gerade genau das Richtige für Farin. In dem Korb befindet sich neben dem eingerollten Gedicht noch eine bekannte Thermoskanne mit dampfendem Tee. Farin gießt sich einen Schluck des Getränks in seine Tasse, stellt erneut fest, dass es unverkennbar Pfefferminztee ist und macht sich an die Arbeit. * Farin gäbe wohl für einen heimlichen Beobachter ein eher merkwürdiges Bild ab. Auf und ab laufend in seiner Küche murmelt er immer wieder dieselben Wörter vor sich hin, ab und an verhaspelt er sich dabei. Darauf reagiert er mit einem lautlosen Fluch, stoppt aber nur kurz und beginnt erneut. Nachdem er zum zehnten Mal dasselbe Wort vergessen hat, schleudert er das Blatt Papier schließlich in eine Ecke (zumindest hat er das vor, das Papier beharrt störrisch auf seiner Beschaffenheit und segelt seelenruhig eine Weile in der Luft herum, ehe es in der Mitte der Küche auf dem Boden liegen bleibt.) Farin würdigt es keines Blickes mehr, sondern macht sich stattdessen auf die Suche nach der Dose Kekse, die er noch irgendwo für Notzeiten deponiert hat. Andere mögen es Frustessen nennen, Farin tauft es Restevernichtung. Die Dose findet sich ganz oben auf dem Schrank in der Küche, wahrscheinlich ein eher schlechter Versuch, die Kalorien zu verstecken. Farin klemmt sich seine Frustnahrung unter den Arm, stapft ins Wohnzimmer und lässt sich auf das Sofa fallen. Eigentlich ist er schon ziemlich bescheuert, mitzuspielen. Wieder muss Farin an den Palmenstrand und seine geliebte Ruhe denken, doch dieses Mal huscht der Gedanke nur ganz flüchtig an ihm vorbei. Nur ein kurzes Winken, dann ist er schon vorüber gezogen. Denn trotz Festtagspfunde, seiner Nahtoderfahrung vor zwei Tagen, den immer seltsamer werdenden Türchen – Irgendwo ist Farin gerade glücklich. Er lässt den Keks, den er gerade verspeisen will, sinken. Glücklich. Tatsächlich im kalten, ungemütlichen Deutschland zu dieser Jahreszeit glücklich inklusive dieses Adventskalenders. Die Erkenntnis schockt Farin sichtlich, kann er selber nicht wirklich begreifen was dieses Gefühl ausmacht. Wobei er sich damit wieder einmal selber belügt. Es sind die altbekannten vier Buchstaben mit dem schelmischen Lächeln. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)