Perlentaucher Weihnachtsmärchen 2009 von abgemeldet (~ Jeden Tag ein OneShot über Twilight zum Fest der Sinne ~) ================================================================================ The Nightmare Before Christmas ------------------------------ So langsam wird's ernst. Der vorletzte OneShot steht für euch online =) Also genießt ihn noch einmal richtig. Viel Vergnügen! Autor: TzuTzu ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Port Angeles lag unter einer weißen Decke, die sich sogar bis nach La Push zog. Überall säumten Tannen und Lichterketten die Straßen und, wenn ich in die Schaufenster der wenigen Läden sah, die die Stadt zu bieten hatte, konnte ich selbst dort die weihnachtliche Stimmung erkennen. Natürlich hielt der Schnee die Bürger nicht von ihrem bunten Treiben ab – es lockte sie viel mehr aus ihren Häusern. Auf den Bürgersteigen tummelten sich so viele Leute, wie ich sie in Port Angeles noch nie gesehen hatte. Entweder sie erledigten noch letzte Einkäufe, bevor das Fest sie überrollte, oder sie schlenderten gemütlich die Straße entlang und genossen die frische Luft, oder sie taten es den Kindern gleich, die sich Schneebälle um die Ohren warfen. Laute Stimmen und festliche Musik schwirrten gen Himmel und hallten zwischen den Häusern, sodass sie voluminöser schienen, als sie waren. Trotz allem war es ein idyllisches Bild, das eigentlich nichts zerstören konnte. Eigentlich. „Williaaaaam...!!!“, quengelte Ava und hatte es sich anscheinend zum Ziel gesetzt, mir meinen Arm auszureißen. „Williaaaaam!! Jetzt geh gefälligst langsamer! Du allein bist nachher Schuld, wenn du weinst, weil unser Experiment gescheitert ist! Wir sind nämlich wegen dir auf dem besten Weg, dass es scheitert... Jetzt geh doch endlich langsamer!“ Sie zog und zerrte an meiner Hand, doch ich ließ mich nur minimal beeinflussen. Vielleicht auch etwas mehr als minimal... Okay, ich ließ mich ein großes Stück von Avas Bitten und Betteln beeinflussen... Ich verlangsamte meinen Schritt und sah sie im nächsten Moment lächeln. Es war eines von diesen Lächeln, die mein Herz schmelzen ließen. Sie hakte sich bei mir unter und tat wieder einen ihrer kleinen Schritte. Falls ihr euch jetzt fragt, was genau sie damit bezwecken wollte, hier eine kleine Erklärung: Ava und ich hatten uns am vorigen Abend wieder an der Bar meiner Mutter vergangen. Wir hatten schamlos so viele Flaschen ihres teuren Fusels geleert, wie wir nur konnten. Das Resultat stellte Ava nur teilweise zufrieden. Meine Mutter hatte getobt, was meine beste Freundin wie immer ungemein erheitert hatte, und uns nach Port Angeles verschleppt, weil sie nun neuen Wein kaufen musste und wir spüren sollten, welche Konsequenzen unsere allmählich regelmäßig werdenden Alkoholexzesse für sie hatten: Zeitverschwendung. Diese Strafe gefiel Ava nicht im Geringsten – zumindest nicht zuerst. Inzwischen hatte sie sich damit abgefunden und dank meiner Mutter auch eine Beschäftigung für uns gefunden. Ich wünschte mir in diesem Moment nichts sehnlicher als eine weniger am Steuer fluchende Mutter. Wieso hatte sie – ausgerechnet in Avas Anwesenheit – „Wenn du noch langsamer fährst, dann fährst du rückwärts!“ sagen müssen? Wieso? Sie musste doch mittlerweile gelernt haben, welche Wirkung solche Aussagen auf das verrückte Mädchen hatten! Wegen diesem kleinen Fluch starrten uns nun von überall Menschen an. Wir gingen langsam. Sehr langsam... Man hätte fast meinen können, dass wir standen. Ich befürchtete sogar kurz, dass wir wirklich bald rückwärts gehen würden, wenn wir weiter so machten. Ava hingegen schien das Ganze zu genießen. Sie strahlte von einem Ohr zum Anderen und winkte den gaffenden Leuten. Ich seufzte und senkte meinen Blick auf den Bürgersteig. Was ich nicht alles für dieses Mädchen tat. Aber hatte ich eine Wahl? Zuerst war sie meine beste Freundin, dann ließ sie sich von nichts abhalten, was sie sich einmal in den Kopf gesetzt hatte, und zum Schluss – ganz versteckt – stand die Tatsache, dass ich mich unsterblich in sie verliebt hatte. Natürlich war der letzte Punkt eine Katastrophe für mich, die Menschheit und meine Mutter. Nicht auszudenken, was Ava unternehmen würde, wenn sie wüsste, wie viel Einfluss sie wirklich auf mich hatte! Ich wäre innerhalb eines Tages nichts weiter als eine wandelnde Leiche. Deswegen, und weil ich Ava besser kannte als sie sich selbst, hielt ich es vor ihr geheim. Da ich sie so gut kannte, wusste ich auch, was ich unternehmen musste, um uns vor dem Erfrieren zu retten. Ich musste das tun, was Ava erwartete, deshalb setzte ich einen Fuß zurück, während sie weiterging. „Ava, wieso...?“, schauspielerte ich miserabel. Ich musste mich zusammenreißen. Sie würde mich auf jeden Fall durchschauen, denn nicht nur ich kannte sie gut, sondern sie auch mich. „Gehe ich rückwärts?“ Meine Freundin zog ihre Augenbrauen frustriert zusammen und starrte auf meine Füße. Ich wusste genau, was in ihrem Kopf vorging und hoffte, dass sie mich nicht ihren Zorn spüren ließ. Sie war ganz und gar nicht zufrieden damit, dass ich ihr Spiel so früh beendete. Ich erkannte in ihren Gesichtszügen, dass sie sich schon den nächsten Plan zurecht legte, wie sie mich möglichst schnell unter die Erde bringen konnte. Es war höchste Zeit, mir etwas einfallen zu lassen! „Die Regierung!“, rief ich aus und wurde von ein paar Erwachsenen schief angesehen. Ava hingegen begann zu strahlen. Wie ich das liebte... Ich durfte mich nicht von meiner Mission ablenken lassen! „Sie hat allen Menschen einen Impfstoff mit der Tetanus-Impfung gespritzt, der ihnen verbietet, rückwärts zu laufen. Du musst wissen, dass uns das eigentlich möglich ist – also so langsam laufen, dass wir rückwärtsgehen – aber das wollte die Regierung nicht, weil es für zu viel Tumult gesorgt hätte, weil... weil...“ Mein Hirn qualmte. „Weil wir sonst in der Zeit zurückreisen!“ „Aber... Du hast doch eine Tetanus-Impfung... Wieso kannst du das dann? Und wieso sollten wir in der Zeit zurückreisen, wenn wir rückwärts gehen?“, warf Ava ein. Sie war zu gut. Ich war ihr fast nicht gewachsen. Aber nur fast... „Ich habe mich nicht impfen lassen. Und es ist doch wohl offensichtlich, wieso wir dann in der Zeit zurückreisen! Wenn wir so langsam gehen, dass wir rückwärtslaufen, spulen wir sozusagen unser Leben zurück. Daher reisen wir auch in der Zeit zurück. Verstanden?“, entgegnete ich ihr und sah sie mit gerunzelter Stirn an. Ehrlich gesagt hatte nicht einmal ich die Hälfte von dem Verstanden, was ich mir zusammengesponnen hatte – meine Freundin anscheinend auch noch nicht so richtig. Sie hatte abwesend meine Hand genommen, was meinen Magen beinahe dazu brachte zu platzen, und spielte mit meinen Fingern. „Wenn dich also Ashleys Köter beißen würde, bestünde eine Chance, dass du an Tetanus erkranken würdest?“ Die Frage gefiel mir ganz und gar nicht. „Die Chance... bestünde“, sagte ich zögernd und beobachtete jeden einzelnen ihrer Gesichtszüge. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen und ihre Augen funkelten dunkel. „Erinner mich bei Gelegenheit daran, dass ich dir ein Wurstshampoo unterjubel und dir an deinen Hosenboden Hundeleckerchen nähe.“ Ganz bestimmt. „Ich speicher es ab“, murmelte ich und zog sie weiter, bevor noch irgendein anderer Mordplan in ihr aufkeimen konnte. „Wieso gehst du in die Stadt rein, William? Ich dachte, jetzt, wo wir bewiesen haben, dass man so langsam gehen kann, das man rückwärtsläuft, gehen wir zum Hafen und fangen Geldhaie...?“ „Geldhaie gibt es nur im Sommer, wenn sie zum Eierlegen nach hier kommen“, presste ich zwischen meinen Zähnen hervor. Ich malte mir das Szenario aus. Wir beide auf einem Steg mit Angeln, an denen Geld hing. Einer von uns beiden würde bestimmt ins Wasser fallen. In das eiskalte Wasser. Bei gefühlten minus dreihundertfünfundneunzig Grad Celsius. Derjenige wäre gestorben, ehe wir wieder im Auto meiner Mutter säßen. Und wahrscheinlich wäre ich derjenige gewesen. Ava zog einen Schmollmund und sah mich durch ihre Wimpern an. Vielleicht wäre Gelhaie-Angeln besser gewesen als dieser Blick. Es fühlte sich an, als würde sich ein Messer in mein Herz bohren. Wieder musste ich etwas unternehmen, wenn ich nicht vor die Avas gehen wollte. „Keine Angst. Ich habe im Sommer etwas vorgesorgt und einen Geldhai gefangen, der mir für seine Freiheit etwas Geld geboten hat. Von diesem ist noch etwas übrig, wodurch ich dich zu einem Kuchen einladen kann“, versuchte ich Ava aufzuheitern. Zu meinem Glück begann sie zu lächeln. Es wäre die Hölle gewesen, wenn ich das nicht geschafft hätte. Kaum vorzustellen, was sie dann mit mir getan hätte! Mir lief ein Schauer über den Rücken. „Einen Kuchen?“, hakte sie nach und klimperte mit ihren Augen. Mein Herz machte einen Satz. „Vielleicht auch zwei...“ Wieder ein Klimpern. „Okay... Drei... Vier... Fünf! Das ist mein letztes Angebot!“ „Fünf Stücke reichen mir“, grinste meine beste Freundin und steckte eine ihrer Hände in meine Gesäßtasche. „Wo steckst du das alles hin?! Du müsstest doch eigentlich aufgehen wie ein Hefekloß!“, beschwerte ich mich. „William, das ist alles eine Frage der Verteilung. Siehst du zum Beispiel diesen kleinen Finger hier?“ Sie hielt den Finger ihrer freien Hand hoch und bewegte ihn in einer athletischen Bewegung. „Da kommt ein halbes Stück Kuchen dran, und an den anderen natürlich das verbliebene Stück.“ Es machte keinen Sinn, aber alles was sie wollte. Ich würde einen Teufel tun und sie einen Tag vor Weihnachten gegen mich aufbringen. Sollte sie doch so viele Stücke essen, wie sie wollte. Würde ich sie eben nach Hause rollen müssen. Mir würde es – nebenbei bemerkt – nichts ausmachen. Denn wenn sie sich nicht bewegen konnte, konnte sie mir mein Leben auch nicht zur Hölle machen. Nach einem kurzen Fußmarsch betraten wir das kleine und einzige Cafe von Port Angeles. Ich klopfte mir noch den Schnee von den Schuhen, als Ava schon an mir vorbeipreschte, sich einen Platz irgendwo im Getümmel suchte und wie ein Kind mit leuchtenden Augen die Karte las. Ich seufzte und gesellte mich zu ihr. Sie war inzwischen dazu übergegangen dem Kellner auf und ab hüpfend ihre Bestellung aufzugeben – und es waren keine fünf Stücke, sondern sechs. Mir war es egal. Nachdem sie ihre Kuchen bestellt hatte, sagte ich dem Kellner was ich wollte und lehnte mich im Stuhl zurück. Die nächsten paar Minuten würde ich meine Ruhe haben. Ich musste mir nur Avas Gerede anhören und dann später ihre geschmiedeten Pläne über mich ergehen lassen. Dieses Problem würde ich wie immer lösen: Ich ließ es einfach auf mich zukommen und passieren. „Oh. Mein. Gott“, machte Ava plötzlich. Damit war mein Schicksal besiegelt. Ich würde mich nicht für ein paar Minuten ausruhen können. Irgendetwas hinter mir hatte die Aufmerksamkeit meiner besten Freundin geweckt und würde mich in den Untergang stürzen... Bevor ich es verhindern konnte, war Ava aufgesprungen und an mir vorbeigeschlüpft. Ich drehte mich besorgt um und sah sie bei zwei Jungen aus La Push stehen, die sich den Kuchen schmecken ließen. Einen von ihnen kannte ich. Er war im vergangenen Jahr noch auf die La Push High gegangen und hieß Paul Jackson. Den anderen hatte ich zwar schon einige Male gesehen, aber ich kannte seinen Namen nicht. Er hatte verzweifelt seinen Kopf in seine Hände gestützt und brachte seine Frisur durcheinander, während Paul Ava schief ansah. Beide sahen so aus, als könnten sie meine beste Freundin mit nur zwei Fingern in der Mitte durchbrechen. Ich musste sofort Schadensbegrenzung betreiben! Bevor jemand etwas sagen konnte, war ich neben Ava und versuchte, ihren Mund zuzuhalten. Sie wich meinem Griff aus und begann, über ihr ganzes Gesicht zu grinsen. Mit aller Kraft kämpfte ich gegen Ava an, doch sie gewann. „Yo Brüder“, begrüßte sie die beiden Bewohner La Pushs und vollführte eine formvollendete Handbewegung, die sie in einem Film im Englischunterricht gesehen hatte. Ich schlug beinahe auf dem Boden auf, weil ich mich hatte auf sie werfen wollen, jedoch war sie mir ausgewichen. „Hallo...?“, erwiderte Paul mit zusammengezogenen Augenbrauen. Es war nachzuvollziehen, wenn man bedachte, dass Ava ihm jedes Mal Arbeit bereitete, wenn sie Chaos in La Push stiftete. Da Paul einer der Security war, hatten wir schon oft das Vergnügen gehabt, von ihm oder Sam Uley an Chief Swan ausgeliefert worden zu sein. „Was tut ihr denn hier?“, wollte Ava wissen und setzte sich einfach auf einen freien Stuhl am Tisch der beiden Männer. Jetzt sah auch der andere sie an und ich schluckte. Er passte perfekt zu ihr und ihrer Verrücktheit. In dem Kragen seines dünnen Pullovers steckte ein altersschwacher Teddybär. „Wir kaufen Geschenke“, führte Paul höflich eine Unterhaltung mit meiner besten Freundin. „Hat jemand Geburtstag?“, fragte sie und sah den Fremden mit dem Stofftier interessiert an. Sie hatte sein Potential entdeckt und schätzte nun wahrscheinlich ab, für welchen ihrer perfiden Pläne sie ihn benutzen konnte. Ich wusste mit einem Mal, dass wir am Ende dieses Tages nicht mehr leben würden. Sie würde es nun endgültig zu weit treiben. „Morgen ist Weihnachten, Miles“, klärte Paul sie auf und aß ein Stück von seinem Kuchen. „Was?!“, rief Ava entsetzt. „Morgen ist Weihnachten?! Wieso hast du mir das nicht gesagt, William? Ah! Ich weiß wieso! Du hast mir kein Geschenk gekauft!“ Sie sah mich lächelnd an, während ich meine Augen rollte. Es war klar, dass ich ihr nicht gesagt hatte, dass am nächsten Tag Weihnachten war. Wer vergaß dieses Datum auch schon? Eine dumme Frage. Ava Miles würde selbst ihren Kopf vergessen, wenn er nicht angeschraubt wäre, was wir schon einmal geprüft hatten. Natürlich hatte ich sie auch nicht daran erinnert, welcher Tag uns bevorstand, weil ich kein Geschenk für sie hatte. Ich hatte eines. Es war nur eine Kleinigkeit und das aus demselben Grund, wegen dem ich Ava nicht erinnert hatte. Für sie war Weihnachten nicht wichtig. „Weihnachten... Das Fest der Liebe“, seufzte sie, stützte ihren Kopf auf eine Hand und sah aus dem Fenster des Cafés. „Und mit wem verbringt ihr das? Mit Jared wahrscheinlich nicht, oder? Seitdem er mit Kim zusammen ist, macht ihr zwar noch etwas zusammen, aber sie ist auch oft dabei. Wo sind er und seine Perle eigentlich?“ Meine beste Freundin sah sich suchend um. Ich setzte mich kopfschüttelnd neben sie und sah die beiden jungen Männer entschuldigend an. „Ich will die beiden nicht sehen – erst einmal. Mir reicht, gesehen zu haben, in was ich da heute Morgen reingeplatzt bin, für die nächsten Wochen...“, murmelte Paul und brachte Ava zum Lachen. Ich hingegen wurde rot. „Jared und Kim sind da drüben. Sie versucht ihm gerade einen ganzen Kuchen aufzuschwatzen, damit sie einen Bonus bekommt“, mischte sich nun der Unbekannte ein und wies in Richtung Theke. Als er seine Stirn in Falten zog, gluckste Paul, während Ava sich erfreut umwandte. „Mit Erfolg. Und er wird ihr wahrscheinlich auch Trinkgeld geben. Sie hat Jared so um ihren kleinen Finger gewickelt...“, murmelte Paul. „Kim arbeitet hier?! Dann kann sie uns doch bestimmt den Kuchen billiger beschaffen!“, freute sich meine beste Freundin und begann, mit dem Stuhl zu wippen. „Das wünschst du dir, Miles. Aber sie schlägt nicht einmal für mich einen Rabatt raus. Der einzige, der davon etwas hat, ist Jared, dem sie abends immer den Kuchen mitbringt, der vom Tag übriggeblieben ist.“ „Dir würde ich auch keinen Kuchen mitbringen“, erwiderte Ava Paul strahlend und brachte ihn doch tatsächlich dazu, schwach zu grinsen. „Aber jetzt wieder zum Thema zurück! Wer ist dein netter Freund hier und mit welchen Lieben verbringt ihr die Festtage?“ „Gail Cornwell“, stellte sich der Fremde vor. „Und ich verbringe Weihnachten mit meiner Schwester, ihrem Mann und meinem Neffen.“ „Nancys Bruder!“, rief die Verrückte euphorisch aus und warf sich quer über den Tisch, um Gail zu begrüßen. „Wie geht es ihr und unserem ehemaligen Lieblingsgeschichtslehrer? Ich vermisse ihn so. Niemand konnte so Nachsitzen austeilen wie er! Hach ja... Leben die beiden immer noch in Vegas? Und wie geht es dem Leckerbissen? Kann man ihn schon in den Ofen schieben?“ Ich schlug mir verzweifelt meine Hände vor mein Gesicht und schüttelte den Kopf. Das konnte nicht wahr sein. Sie hatte es wirklich laut ausgesprochen, obwohl ich ihr gesagt hatte, sie solle die Klappe halten. Aber weswegen wunderte ich mich noch? Ava tat ausschließlich das Gegenteil von dem, was man ihr sagte. „Woher weißt du, dass Nancy und Christian zusammen sind und ein Kind haben?!“, platzte es erschrocken aus Gail. Paul drückte seinen Freund zurück auf den Stuhl und schüttelte nur den Kopf. „Ich bin im Besitz von übersinnlichen Fähigkeiten und weiß daher auch, dass du dringend Hilfe benötigst“, antwortete meine beste Freundin und winkte die Bedienung heran, die uns noch an unserem alten Platz suchte. In Gails Augen trat ein aufgeregtes Funkeln. Oh. Nein. Ava hatte einen neuen Anhänger gewonnen, mit dem ich noch immer nicht ganz warm war. Wenn er auch nur halb so durchgedreht war wie sie, würde Paul und mich so einiges in den nächsten Stunden erwarten. Ich mochte mir gar nicht ausmalen, in welches Chaos wir dieses Mal geraten könnten. Ein Schauer lief bei dem bloßen Gedanken, dass etwas passieren könnte, durch meinen Körper und weckte Avas Aufmerksamkeit. Sie hatte ein Funkeln in den Augen und den nächsten Plan schon auf der Zunge. Ich sah es ihr an. Ihre Wangen waren vor Aufregung leicht gerötet und das Mädchen rutschte auf seinem Stuhl umher. „Ich verbringe Weihnachten mit den Blacks“, wechselte Paul das Thema, wofür ich ihm ein dankbares Lächeln schenkte. Er erwiderte es mit strengem Blick auf Ava. „Oh! Die Blacks! Hab ich mich eigentlich vor einer Woche nur verguckt oder habe ich dich wirklich mit Rachel hinter'm Diner gesehen?“ Paul verschluckte sich bei dem, was Ava von sich gab, und wurde rot. Richtig rot. Gail schien belustigt. Er grinste, klopfte seinem Freund aber auf den Rücken. „Aw... Paul, DAS muss dir wirklich nicht peinlich sein! Der ein oder andere könnte sich echt eine Scheibe von dir abschneiden. Eine Frage hätte ich allerdings... Wie hast du es hinbekommen, dass sie...“ „Ava, dein Kuchen wird kalt“, unterbrach ich sie und schob ihr mein Stück hin. „Danke, William“, grinste sie und schob sich eine volle Gabel in den Mund. Dann zog sie ihre Stirn in Falten und sah mich wieder an. „Kuchen kann nicht kalt werden! Er ist es schon!“ Bei ihrem Protest hatte sie noch nicht geschluckt, weshalb einige Krümel auf meiner Hose landeten, die ich einzeln herunter schnipste. Ohne weiter darauf einzugehen, was mich überraschte, trieb sie weiter das Gespräch an: „Wir sind übrigens hier, weil wir Mrs Greatwoods Giftschrank geleert haben und nicht schnell genug geflüchtet sind.“ „Zum Glück“, murmelte Paul. „Ich will nicht wissen, welches Chaos ihr im besoffenen Zustand angestellt hättet, wenn ihr schon nüchtern den Strand abbrennt.“ „Betrunken ist Ava ein frommes, durchtriebenes Lämmchen, und ich möchte klarstellen, dass das mit dem Strand alleine ihr Verdienst war“, informierte ich ihn. Er zog zweifelnd eine Augenbraue hoch, doch ging nicht weiter darauf ein. Natürlich glaubte er mir nicht. Niemand, der Ava nüchtern kannte, glaubte, dass sie betrunken anständig war und sogar Hausaufgaben machte. „Wir sind hier, weil ich noch ein Zaubertier für meinen Neffen brauche“, tat es Gail Ava gleich und klärte uns über ihr Vorhaben auf. „Leider hatten wir bis jetzt keinen Erfolg und machen deshalb gerade Pause. Nicht wahr, Mr. President?“ Er hatte nicht wirklich gerade mit dem Teddybären gesprochen, oder? Verrückter Typ... Genau Avas Kragenweite. Entweder würden die beiden heute noch Bruder und Schwester werden oder sich auf den Tod nicht ausstehen können. „Zaubertier?“, fragte meine Freundin interessiert und sah ihr Gegenüber mit großen, funkelnden Augen an. Ich zog kurz in Erwägung, in diesem Moment zu verschwinden, weil dieses Funkeln nichts Gutes bedeuten konnte. Gail nickte. „Mr President hier...“ Er wies auf den Bären in seinem Kragen. „...ist ein Zaubertier und beschert demjenigen, der ihn umarmt Glück. Kim hat Mrs Sunday, die ihr Selbstvertrauen schenkt, und Jared hat den dazugehörigen männlichen Part, Mr Sunday. Er soll Einfühlungsvermögen schenken und hat das alles zu gut gemacht. Jared braucht ihn nicht mehr. Jetzt wird Mr Sunday vernachlässigt und von Katzen als Spielzeug benutzt.“ Ava war so aufgeregt wie schon lange nicht mehr. Und das war vor nicht ganz drei Tagen gewesen, als wir wieder eine unserer Embry-Observationen durchgeführt hatten. Meine beste Freundin hatte herausgefunden, dass Embry, ihr Sandkastenschwarm – oder auch Hamstermörder, wie sie ihn gerne nannte – unter der Dusche sang – und das auch noch grottenschlecht. Wirklich. Ich war noch nie jemandem begegnet, der so viele Töne nicht traf wie er. Ich war mir sogar sicher, dass er keinen einzigen Ton richtig getroffen hatte. Nicht einmal das Lied hatte ich erkannt! „Du brauchst also Hilfe, bei der Suche nach einem Zaubertier?“, hakte Ava nach und aß weiter ihren Kuchen. „So könnte man es sagen“, antwortete Gail und ich erkannte jetzt auch in seinen Zügen die ersten Zeichen von Verunsicherung. Er schien zu begreifen, welche Gefahr von dem Mädchen vor ihm ausging. Hoffentlich war er schlau genug, um den Tod zu erkennen, wenn er ihm ins Gesicht sprang. „Möchtest du helfen?“ Anscheinend doch nicht. Er hatte uns gerade in den Untergang geschickt. „Natürlich!“, rief Ava euphorisch aus und rappelte sich auf. Sie zog ihren Schal an und packte sich in ihre Jacke ein, die genauso bizarr war wie ihre Gummistiefel. Danach zog sie an meinem Arm und versuchte mich aufzurichten. Genervt stöhnend gab ich ihr nach. Paul und Gail folgten gezwungen. Ich zog etwas Geld aus meiner Tasche und legte es auf den Tisch. Es war mehr als genug und übertraf mein Budget bei Weitem. In den nächsten Wochen würde ich Ava so schnell nicht mehr bestechen können... Wir schlenderten zum Einkaufzentrum. Den Weg über hielt Ava strahlend meine Hand, während ich leise in meinen Schal lächelte. Paul und Gail gingen vor uns. Sie hatten ihre Köpfe zusammengesteckt und tuschelten miteinander. Ich konnte mir ihr Gespräch nur zu genau ausmalen. Ihre Mienen und heimlichen Blicke in unsere Richtung verrieten sie. Sie überlegten, wie sie Ava und mich am besten loswurden. Ich war der einfache Fall. Mir mussten sie einfach nur sagen, dass ich verschwinden sollte. Nie im Leben würde ich mich freiwillig gegen sie stellen. Mindestens dreihundertachtzig Prozent ihres Körpers bestanden aus Muskeln. Ich hatte erst das Wochenende – dank Ava – im Krankenhaus verbracht und wollte so schnell nicht wieder dorthin zurück. Mit Ava hingegen würden sie ein Problem haben. Sie ließ sich nicht, so wie ich, von den offensichtlichen Tatsachen abschrecken. Sie war es auch, die mich immer mit den Männern in Berührung brachte, obwohl ich es nicht wollte. Entweder beschatteten wir Embry, der wahrscheinlich noch mehr Muskelmasse besaß als die anderen, oder meine beste Freundin ritt mich in irgendwelche Schwierigkeiten, die Paul Jackson oder Sam Uley dann ausbaden mussten. Dagegen konnte ich nichts unternehmen. In dieser Hinsicht war das verrückte Mädchen wie eine Naturgewalt, die wiederum mit dem Höllenschlund gleichzusetzen war, der alles und jeden hineinsog, der sich auch nur auf ein paar millionen Kilometer näherte. Und wenn sie keine Naturgewalt war, die die Menschheit bedrohte, war sie wie ein Autounfall, von dem man seinen Blick nicht abwenden konnte. Selbst jetzt im Moment wurde sie von allen Seiten gemustert. Ihre schwarzen Haare waren in kleine Zöpfe gebunden, die alle vom Kopf abstanden. Die dicke Hornbrille war von Avas Nase gerutscht und berührte mit dem Rahmen die geröteten Wangen meiner besten Freundin. Natürlich schämte sie sich für nichts. Ihre Wangen waren einfach nur rot, weil sie fror und ihr Gesicht nicht noch weiter in ihrem quietschgelben Schal vergraben konnte. Ihre Jacke war violett und mit einem der komplexesten, farblich zu ihr unpassendsten Muster versehen, die ich je gesehen hatte. Dazu trug Ava natürlich keine Hose, denn die schränkten ihre Beine in der Freiheit ein. Selbst bei Minusgraden trug meine Freundin einen ihrer seltsamen Röcke, an die ich mich schon gewöhnt hatte. Zu sehr, nach meinem Geschmack. Ich hatte mich schon einige Male dabei erwischt, wie ich mich am Abend gefragt hatte, welchen Rock Ava tragen würde. Leider musste ich gestehen, dass mir bei jeder Vorstellung von Ava in einem Rock warm wurde und mein Magen kribbelte. Natürlich war damit das Outfit meiner besten Freundin noch nicht vollständig. Sie ging niemals ohne ihre Lieblingsschuhe aus dem Haus. Es waren grüne Gummistiefel mit rosa Blumen. Wir traten in die Mall und klopften uns den Schnee, der auf uns gefallen war, von der Kleidung. Danach steuerten wir sofort den ersten Spielwarenladen an, den wir – oder besser Ava und das auch noch laut brüllend und mit Worten der Entzückung um sich werfend – entdeckten. Wie ein Lämmchen, das zur Schlachtbank geführt wird, folgte ich meiner besten Freundin mit gesenktem Kopf und versuchte, ihr Gebrabbel auszublenden. Ich war ja schon froh, dass ich eine Pause von ihr hatte, jedoch war ich irgendwie auch enttäuscht. Inzwischen war sie nämlich dazu übergegangen, Gail ein Ohr abzukauen. Wie ein Gentleman ließ der arme, junge Mann mit einem Lächeln alles über sich ergehen und nickte hin und wieder. Mein Magen brannte leicht und schien sich gegen mich aufzulehnen. Immer, wenn ich Gail und Ava ansah, schien sich das Organ in meinem Bauch umzudrehen und bescherte eine Welle der Übelkeit. Als ich meinen Blick abwandte, sah ich geradewegs Paul an, der mich angrinste. „Okay!“, verkündete Ava, als wir ungefähr in der Mitte des Ladens standen. „Wir gehen wie folgt vor: Gail und Paul sind Team Schmetterling und nehmen Backbord.“ „Äh... Schmetterling? Backbord?“, unterbrach Paul sie und erntete als Antwort eines von Avas Strahlen, bei dem es so schien, als würde ein Feuerwerk in ihren Augen explodieren. In meinem Magen rumorten Ameisen. „Genau, Paul. Schmetterlinge und Backbord. Wenn du nicht aufpasst, bist du gleich Team Ballerina und bekommst die rote Karte... William und ich sind übrigens Team T-Rex und nehmen die linke Seite.“ „Ava, ich bin dir wirklich dankbar für deine Hilfe und möchte dich nicht kritisieren, aber Backbord ist links“, korrigierte Gail nun meine beste Freundin, die ihn mit gerunzelter Stirn musterte. „Ich habe eine Rechts-Links-Schwäche“, informierte Ava ihn mit einem finsteren Blick, der durch ein Zucken ihrer Mundwinkel gebrochen wurde. Ich begann, ebenfalls zu lächeln. „Das entschuldigt natürlich alles“, witzelte Gail und tätschelte Avas Kopf. „Okay! Genug getrödelt! Wenn ihr hier morgen noch stehen wollt, schlage ich euch einen Besuch im Bedarf für Campingausrüstung auf der anderen Seite vor“, beschloss meine beste Freundin und schlug die Hände zusammen, die sie sich dann rieb. „Die Spielregeln sind einfach: Wer zuerst das Zaubertier findet, bekommt Williams letztes Unterhemd.“ „Ava...“, ermahnte ich sie. Sie schlang ihre Arme mit einem bezaubernden Strahlen um mich und küsste meine Jacke in der Nähe meiner Brust. Mein Herz drohte, aus mir zu springen. Dahin waren die Vorwürfe, die ich ihr an den Kopf werfen wollte. „Keine Angst, William, wir gewinnen. Du darfst dein Unterhemd auf jeden Fall behalten“, erklärte sie mit einem schelmischen Funkeln in den Augen. Das war nicht gut. Ich wusste sofort, dass wir nach diesem Tag um unsere Leben bangen mussten. Wir würden nie wieder unbeschwert über eine Straße gehen können. Jede Ecke, um die wir bogen, würde eine Todesfalle sein. Jede Stunde, die wir außerhalb unserer Häuser verbrachten, würde uns den Tod ein Stück näher bringen. Ich war mir sicher. Dieser Tag würde der Schlimmste in meinem Leben werden. „Auf die Plätze!“, unterbrach Ava meine Gedanken und löste sich etwas von mir, um sich in eine Startposition zu begeben. „Fertig?“ Sie beugte sich etwas vor und schielte aus den Augenwinkeln zu Paul und Gail, die sie verwirrt ansahen. „Los!“ Und damit war meine beste Freundin hinter dem nächsten Regal verschwunden. Ich seufzte und wandte mich den beiden Männern zu, die meiner besten Freundin verwirrt nachblickten. „Wenn ihr mich entschuldigt, ich muss die Irre einfangen, bevor sie noch auf die Idee kommt, dass man die Regale als Dominosteine benutzen könnte. Das letzte Mal musste ich nach Ladenschluss aufräumen, weil sich die liebe Ava gerne aus dem Staub macht.“ Danach versuchte ich, Ava zwischen den Regalen zu finden. Es war fast so, als hätte der Boden sie verschluckt. Natürlich war das nicht der Fall. Als ich Ava endlich fand, hatte ich jeden Winkel des Geschäfts gesehen. Derjenige, der dekoriert hatte, musste Weihnachten lieben. Überall klebte Kunstschnee und wo auch immer ich hinsah, sah ich Lichterketten oder Weihnachtsmänner. Einige Male war ich sogar beinahe in Rentiere hineingerannt, war aber dem Unglück noch im letzten Moment entkommen. Ich entdeckte meine Freundin schließlich mit einer Tüte in der Hand an einen überdimensionalen Weihnachtsmann lehnend. Sie beobachtete mich dabei, wie ich mich ihr näherte und begann zu grinsen, als ich vor ihr stehen blieb. Ich hätte mich am liebsten umgedreht und wäre verschwunden. „Haben sie dich festgehalten?“, wollte sie wissen. „Oder bist du rückwärts gelaufen?“ „Ich habe dich gesucht“, klärte ich sie auf und sah in die Regale. Lauter Plüschtiere. „Was ist in der Tüte?“ „Unser Sieg“, sagte Ava schulterzuckend und legte den Kopf schief. „Aber vielleicht willst du ja lieber dein letztes Unterhemd verlieren...“ „Ganz sicher nicht.“ Und das wollte ich wirklich nicht, denn es war wirklich mein Letztes. Die anderen waren alle einer von Avas brillanteren Ideen zum Opfer gefallen. Diese Idee hat mit meinen Unterhemden und einem Strandbrand zu tun. Das mochte ich hier jedoch nicht weiter erläutern. Mir steckte der Schreck jetzt noch in den Knochen und ich befürchte, dass ich professionelle Hilfe benötige, wenn ich Genaueres erklärte. Ich wollte das Thema wechseln. „Wieso genau soll das...“ Ich wies auf die Tüte in Avas Händen. „Unser Sieg sein? Das mit den Zaubertieren ist doch kompletter Dünnsch...“ „William!“, fuhr meine Freundin entsetzt dazwischen. Ihre Augen waren weit aufgerissen und sie starrte mich ungläubig an. „Hast du es wirklich nicht bei Gails Bären gesehen?“ „Ava, was soll man bei einem Stofftier sehen? Wenn du meinst, dass das Ding eher auf den Müll, als aufgehoben gehörte... Ja, das habe ich gesehen.“ „Du hast es wirklich nicht gesehen...“, flüsterte sie und senkte den Blick, doch sofort schoss dieser wieder nach oben und Ava kicherte. Meine Nackenhaare stellten sich auf. „Das bedeutet, ich habe noch nicht genug guten Einfluss auf dich gewirkt. Das wollen wir doch direkt mal ändern. Zu Weihnachten schenke ich dir einen Gutschein für einen Monat Ava-Trainings-Camp.“ „Nein, danke“, lehnte ich sofort ab. Ich wollte mir erst gar nicht vorstellen, was genau ich in diesem Camp durchleben musste. Lieber ablehnen, was genauso viel brachte. Meine beste Freundin war sowieso zu jeder Tages- und Nachtzeit an meiner Seite. „Das ist nicht gerade höflich. Deine Mutter muss dir doch beigebracht haben, dass man Geschenke immer mit einem Lächeln auf den Lippen annimmt und jede Meinung darüber für sich behält. Selbst ich weiß das.“ „Und du sagst trotzdem gerade heraus, was du von den Geschenken, die du bekommst, denkst.“ „Ich habe ja auch nur gesagt, dass ich weiß, wie man sich verhält und nicht, dass ich es auch mache“, lachte Ava und stieß sich von dem Weihnachtsmann ab, um vor mich zu treten. „Aber um dich nicht weiter im Dunkeln tippen zu lassen... Der Bär von Mr. Ich-Bin-Sogar-Mit-Stofftier-Im-Kragen-Heiß hatte ein... ein Leuchten um sich...“ Die wirkte nachdenklich. „Es war so ein gelbes Schimmern oder so...“ „Du willst mir nicht wirklich gerade verkaufen, dass es Stofftiere gibt, die Magie ausüben?“, fragte ich entsetzt. „War klar. Das glaubst du mir nicht, aber die Geldhaie. William, wir müssen wirklich noch einmal an deinem Weltbild arbeiten“, seufzte Ava kopfschüttelnd und sah mich enttäuscht an, was jedoch schnell verflog. „Okay. Wenn du mir nicht glaubst, musst du mir wenigstens helfen.“ „Das tue ich immer und die meiste Zeit davon unfreiwillig.“ „Das ist auch volle Absicht“, grinste sie. „Aber zurück zu meinem Problem: In diesem ganzen Laden gibt es kein glitzerndes Kuscheltier, deswegen werde ich mich als Dr. Frankenstein versuchen.“ Mir wurde schlecht. „Und wobei genau brauchst du meine Hilfe?“ Ich war leicht verunsichert. Sollte ich ihren Blitzableiter spielen? Irgendein Organ spenden? „Ach... Dein Part ist eigentlich ganz einfach...“, informierte sie mich unschuldig. „Du musst eigentlich nur ein bisschen tollpatschig sein.“ „Toll...?“ Ich kam nicht dazu, zu Ende zu sprechen. Ava hatte mich im nächsten Moment gegen das nächste Regal gedrückt – oder eher geschubst. Sie mochte so klein sein, dass sie in Spinde gesperrt werden konnte, aber den ganzen Süßkram, den sie aß, wusste sie in Kraft umzuwandeln. Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass ich versuchte mich am Regal festzuhalten und bei meiner Gleichgewichtsfindung nur noch mehr Schwung gewann. Auf jeden Fall fiel ich gegen das Regal und riss es mit mir. Es regnete kunterbunte Stofftiere und ich hörte aufgebrachte und verärgerte Stimmen. Ich lag mit dem Rücken auf dem Regal, das unangenehm in mein Fleisch schnitt und starrte an die Decke. Dort hing tatsächlich ein Schlitten mit allem drum und dran. Rentiere, Weihnachtsmann, Geschenke. Sogar eine leichte Wolke und Sterne. „Ist mit Ihnen alles in Ordnung, Sir?“, fragte mich ein Verkäufer, der sich über mich beugte. „Alles super. Das ist Normalzustand“, antwortete ich ihm und versuchte, mich aufzurichten. Dabei stützte ich mich unglücklich ab und rutschte tiefer mit meinem Hintern in das Fach, in dem ich nun feststeckte. „William, wie ist das passiert?“, hörte ich Gail. Er stand mit Paul nicht weit von mir entfernt und musterte mich mit einem leichten Grinsen. „Ava Miles“, knurrte ich und startete einen neuen Versuch, mich aus meiner misslichen Lage zu befreien. „Ava tut dir so etwas an?“, wollte Paul interessiert wissen. Ich warf ihm einen giftigen Blick zu. „Dumme Frage... Aber wieso ist sie so stürmisch weggelaufen? Hat sie Angst vor dir?“ Wieder ein Blick meinerseits und ein frustriertes Stöhnen, als ich weiterhin stecken blieb. „Noch eine dumme Frage. Sie hat natürlich keine Angst vor dir. Wieso hat sie das getan?“ Paul kam auf mich zu und zog etwas an meinen Armen. Er schenkte mir und meinem Hintern die Freiheit. Glücklich rieb ich über die schmerzenden Stellen und sah mich nach Ava um, die weit und breit nicht zu sehen war. Was hatte die Irre geplant? „Sie ist 'stürmisch weggelaufen'?“, hakte ich nach und sah zu Gail, der nickte. „So stürmisch, dass sie gegen mich gelaufen ist“, informierte dieser mich und deutete auf seine Brust. Da fiel mir etwas auf, von dem ich nicht wollte, dass es mir auffiel. Langsam begann ich zu begreifen, was Ava geplant hatte. Die Tüte, unser Sieg, Dr. Frankenstein, gegen Gail laufen. Sie hatte doch nicht das vor, das ich dachte, dass sie vorhatte? Wenn doch, dann würden wir ab morgen auf der schwarzen Liste der La Push-Gang stehen und unseres Lebens nicht mehr froh werden. „Ähm... Gail...?“, tastete ich mich vorsichtig an das Thema heran. „Wie sehr hängst du an deinem Stofftier?“ „Mr. President? Sein Leben kommt noch vor meinem“, verkündete der Angesprochene feierlich. Natürlich. Das musste sein. Ava machte keine halben Sachen. Wenn sie uns ins Unglück stürzte, dann tat sie es richtig. Wie leitete ich also meinen und den Untergang meiner besten Freundin am besten ein? Gab es dafür ein Handbuch? Ava wüsste, was in dieser Situation zu tun wäre, aber sie würde es anders tun. Ohne sie, wäre ich niemals in diese Situation geraten. „Okay... Dann sollten wir jetzt schleunigst Ava suchen, da sie deinen Bären hat“, überwand ich mich schließlich und zog sofort den Kopf ein. Es geschah nichts. Fast nichts. Gail wurde nur unnatürlich blass und begann zu zittern. Paul war sofort an seiner Seite und zerrte seinen Kumpel an den Schultern aus dem Laden. Ich folgte ihnen mit gesengtem Blick. Mein Rücken und meine Oberschenkel schmerzten von dem Sturz, weshalb ich leicht humpelte und, als ich stolperte, scharf die Luft einsog. Sobald ich wieder in Avas Nähe war, musste ich mich zusammenreißen. Ein weiteres Mal, dass sie sich als Krankenschwester versuchte, würde ich nicht überleben. Das letzte Mal war ich beinahe aus dem Fenster gefallen, als sie mich hatte mit Suppe baden wollen. Paul, Gail und ich standen inzwischen vor dem Schaufenster des Geschäftes. Während Paul mit Sam telefonierte und Gail in der Luft schnupperte, was mich kaum noch überraschte, lehnte ich an einer Laterne und rieb meinen Hintern. Ich machte mir Gedanken um Ava und ihren Plan, Wo konnte meine beste Freundin sein? Wie weit war sie mit ihrem Vorhaben schon vorangeschritten? Ob wir unsere Namen schon ändern und auswandern mussten? „Sam sagt, du sollst nach Hause, Gail. Jared wird mir helfen, Mr. President vor der Spindfee zu retten“, klärte Paul uns auf, als er das Telefonat beendet hatte. „Ich soll einfach so nach Hause?! Sie hat Mr. President entführt und wird ihm wahrscheinlich etwas antun! Du würdest dich auch nicht von Sam nach Hause schicken lassen, wenn Ava dabei wäre, Rachel das Gleiche anzutun!“, schimpfte Gail und stampfte mit einem Fuß kindisch auf den Boden. „Ich glaube nicht, dass Ava Miles das jemals bei einem lebenden Menschen tun würde“, zweifelte der andere. „Oh, glaub mir... Sie hat es schon oft genug versucht“, murmelte ich und stieß mich von der Laterne ab. „Aber das war nur mit mir. Also kein Grund zur Sorge. Mir ist gerade eingefallen, dass sie am Strand sein könnte.“ „Sie ist nicht am Strand“, korrigierte mich Gail und sah in Richtung des Stadtzentrums. „Sie versucht uns in der Masse loszuwerden.“ „Gail, ich denke nicht, dass du mit...“, versuchte Paul noch einmal, seinen Freund davon zu überzeugen, an diesem Rettungskommando nicht teilzunehmen. „Und ob!“, protestierte Angesprochener und machte sich auf den Weg. Seine Bewegungen waren geschmeidig und fließend und gleichzeitig aggressiv. Die Menschen, die uns entgegenkamen, wichen vor Gail zurück und machten den Gehweg frei. Als wir ungefähr die Stadtmitte erreicht hatten, blieb der junge Mann abrupt stehen und sog tief die Luft ein. Mir fiel auf, dass wir, umso näher wir dem Zentrum kamen, umso weniger Leuten begegneten. „Hier lang“, knurrte er und beschleunigte seinen Schritt. Ich seufzte und versuchte, mitzuhalten. Nach kurzer Zeit blieb Gail stehen und drehte sich um sich selbst. Stirnrunzelnd musterte er die Umgebung. „Ich rieche sie nicht mehr. Du, Paul?“ Paul zuckte mit den Achseln und ließ seinen Blick umherschweifen. Hatte ich das richtig verstanden? Er roch sie nicht mehr? Was war er? Ein Hund? So wie er aussah eine deutsche Dogge... Quatsch! Das konnte nicht sein! Jetzt fing ich schon an, wie Ava zu denken... Schnell wandte ich meinen Blick von ihm ab und sah in eine Seitenstraße, in der Ava stand und mir winkte. Sie sah bedrückt aus. Ava und bedrückt passte nicht zusammen. Das war wie Feuer und Eis. Hass und Liebe. Tag und Nacht. Vampire und Werwölfe. Und Ava und bedrückt eben. Ich stieß Luft aus und schüttelte den Kopf. Damit waren wir geliefert. In ihren Händen hielt sie – zu meinem Leidwesen – zwei Stofftiere, die ich nicht identifizieren wollte, aus Angst zu sehen, dass sich meine Befürchtungen bestätigen würden. Mit einem Auge auf Paul und Gail schlüpfte ich zu Ava, die mich weiter in die Straße und dann in eine Gasse zog. Sie seufzte kurz und setzte sich auf eine modrige, von Schnee befreite Kiste. „Wir haben ein Problem“, gestand sie. „Und ich meine keines von der gewöhnlichen Sorte, die wir sonst so absichtlich, unabsichtlich haben.“ Das war ganz und gar nicht gut. Selbst wenn ihr Geld gestohlen wurde – oder besser gesagt: als – gab der Grund für meinen Zustand als Nervenbündel nicht auf. Stattdessen drohte sie dem Dieb oder verpasste ihm eine Abreibung, die sich in Port Angeles' und La Pushs Unterwelt herumsprach und jeden das Fürchten lehrte. „Ich habe gedacht, dass das Ergebnis anders sein würde“, murmelte sie und sah die beiden Stofftiere an. Ich tat es ihr gleich und sog scharf die Luft ein. Wir waren verloren! Sie hatte dem Bären Arme und Beine abgeschnitten und die an einen babyblauen Hasen genäht, dessen Glieder nun am Torso des Bären befestigt waren. „Gail wird uns umbringen!“, zischte ich verärgert und verängstigt zugleich. Ich sah kurz über meine Schulter, um sicher zu gehen, dass die beiden Männer uns nicht gefolgt waren. Vielleicht hatten wir noch eine Chance, zu fliehen? Meine Hoffnung verflog, als ich Stimmen hörte, die sich uns näherten – und eine klang sehr wütend. Streichen wir das! Sie klang rasend! „Der wird uns doch nicht umbringen... Obwohl es ihm zuzutrauen wäre...“, dachte meine Freundin laut nach und kratzte sich mit dem Hasen-Bären – oder Bären-Hasen? Ach, verdammt! Egal! – am Kopf. „Mach dir nicht in dein letztes Unterhemd! Es wird schon schiefgehen.“ Wie immer also. Ich stützte mich an die nächste Wand und beobachtete die Schatten, die sich unserer Gasse näherten. Wenn wir uns aufrichtig genug entschuldigten, kamen wir vielleicht mit unseren Leben davon. Ein kurzer Blick zu Ava zerschmetterte wieder alles. Sie lächelte wieder in vollen Zügen. „Weißt du... Ich habe eigentlich gedacht, dass sich diese Aura übertragen würde, aber irgendwie hat das nicht so ganz funktioniert, wie ich wollte. Deshalb habe ich daran gedacht, den Tieren Elektroschocks zu geben, aber dafür hat mein Handyakku nicht ausgereicht. Dann wollte ich sie wieder in die ursprüngliche Form bringen, aber das wäre mir zu viel Arbeit gewesen.“ Hättest du es nur einmal getan...! Ich kaute an meinen Fingernägeln, als Paul und Gail um die Ecke bogen. Gail zitterte am ganzen Körper und sein Gesicht war der pure Ausdruck des Zorns. Paul hingegen wirkte eher besorgt und hielt seinen Freund an einer Schulter fest, der so aussah, als wolle er sich gleich auf Ava stürzen. „Okay, William, es ist glaube ich Zeit, zu verschwinden...“, bemerkte Ava und richtete sich auf. „Oder willst du Hans und Franz hier, Gail?“ Sie hielt Angesprochenem die Kuscheltiere hin. Sein Zittern erstarb für einen kurzen Moment, bevor es noch schlimmer wurde. Er bleckte die Zähne. In diesem Moment erinnerte er mich mehr an einen American Staffordshire Terrier als eine deutsche Dogge, die mir wahrscheinlich lieber gewesen wäre... oder auch nicht. Bei der Wut wollte ich, dass Gail gar kein Hund war, sondern ein Wurm. Ein sich windelnder und kringelnder, ungefährlicher Wurm, der uns weder verletzen noch töten konnte. Oder ein Marienkäfer. Oder ein flauschiger Hase – lieber doch nicht. Hasen konnten beißen und kratzen. Würmer und Marienkäfer. „Du hast... Mr. President umgebracht?!“, presste der leider Nicht-Marienkäfer zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Nennen wir es nicht 'umgebracht'. Das hört sich so grausam an und er lebt ja noch... Er sieht eben nur nicht mehr so aus, wie ich ihn dir geklaut habe... Sagen wir also lieber 'positiv modifiziert' oder 'aufgewertet'. Wir könnten natürlich bei dem ursprünglichen Zustand auch 'restauriert' sagen...“ „Ich gebe dir fünf Sekunden Vorsprung“, unterbrach Gail sie und drückte seine Hände fester zu Fäusten. „Ava, ich glaube...“, begann ich und ging, den Blick nicht von dem Zitternden abwendend, auf meine Freundin zu. „Ich stimme dir voll und ganz zu. Paul, du sorgst dafür, dass wir mehr Vorsprung haben. Los, William, ab durch die Wolken!“, plante Ava und zog eine Feuerleiter zu sich herunter, um diese dann zu erklimmen. Ich folgte ihr hastig und mich immer wieder umschauend. „Jetzt weiß ich wenigstens, wie sie immer wieder verschwindet“, hörte ich Paul murmeln, bevor wir außer Hörweite waren. Wenn er nur wüsste. Dies war eines von Avas weniger gefährlichen Fluchtmanövern. Wenn ich mich nicht schnell genug in Sicherheit brachte, konnte ich hin und wieder mit gebrochenen Knochen enden. „Hey, William?“, erhaschte Ava meine Aufmerksamkeit, als sie gerade die Feuerleiter des angrenzenden Hauses hinunterstieg. „Was?“, erwiderte ich abweisend. „Du glaubst mir doch, dass ich das nicht wollte, oder?“ „Ja.“ Das war die Wahrheit. Man konnte von Ava sagen, was man wollte, aber sie verletzte Menschen nie so, dass diese die Grenze zwischen Wahnsinn und Vernunft überschritten. Außer bei meiner Mutter natürlich, aber das war eine andere Geschichte. „Zwei Gute Aspekte hat die Sache ja“, fuhr sie fort. „Wir haben jetzt Familienzuwachs und Chaosstiften wird in der nächsten Zeit mehr Spaß machen.“ Das war es. Ich trat mit einem Fuß neben die Sprosse der Leiter, verlor dann ganz mein Gleichgewicht und segelte an Ava vorbei zum Boden. Spaß nannte Ava alles, was Chaos verursachte und dazu noch ausgeklügelte Pläne verlangte. Ich konnte mir das nächste Szenario kaum ausmalen. Es war jedenfalls schlimmer als ein Brand, bei dem der Strand La Pushs beinahe abbrannte. Als ich auf dem Boden landete, hörte ich ein unangenehmes Knacken. Mein Brustkorb fühlte sich an, als würde er verätzen. „William!“, rief meine Freundin und sprang von ihrer Position – wenn ich das anmerken darf, sehr nah am Boden – neben mich. Sie landete und beugte sich dann zu mir. „Wie schlimm ist es. Siehst du drei oder zehn Aliens?“ „Wenn es nach Schmerzen geht: hundert“, röchelte ich. Ich versuchte erst gar nicht, mich aufzurichten. „Du lügst! Es hat sich mindestens wie eine 497 angehört!“ Ich versuchte, nicht zu lachen und so flach wie möglich zu atmen. „Ich glaube, ich habe mir eine Rippe gebrochen...“, murmelte ich und zuckte bei den Schmerzen, die durch mich rauschten, zusammen. „...oder auch zwei? Soll ich einen Krankenwagen rufen, bevor ich weiter das Weite suche, um den Todesstrahlen deiner Mutter zu entkommen?“, fragte meine Freundin. „Ich bitte darum.“ „Okay.“ Damit zog Ava ihr Handy aus der Tasche, wählte eine Nummer und gab den Unfall durch. Danach verabschiedete sie sich: „Ich wünsche dir noch frohe Weihnachten, William. Liebe dich!“ Die Schmerzen waren für kurze Zeit vergessen. Mein Bauch kribbelte und mein Herz begann, schneller zu schlagen. Meine Wangen färbten sich leicht rot und ich versuchte, Avas Gesicht durch einen Tränenvorhang zu erkennen. Natürlich meinte sie freundschaftliche Liebe, aber trotzdem wollte ich ihr Gesicht sehen, wenn sie mir sagte, dass sie mich liebte. „Dir auch und das weiß ich“, keuchte ich fröhlich grinsend. Frohe Weihnachten. Wie wahr, wie wahr... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)