Filius von Archimedes ================================================================================ Kapitel 1: Conscentia communis ------------------------------ Das Männchen, das den Eingang zu den Brutstätten nahe dem Thronsaal überwachte, sah auf die Kokons, in denen die noch leblosen Körper aus Fleisch warteten. Unter den zischenden Lauten der sich in lustvoller Ekstase windenden Mutter begann das Dasein in diese einzufließen, transportiert durch die pulsierenden Aorten, die tief den Nacken des einen und einzigen Weibchens infiltriert hatten. Es waren jene Adern und Venen, die sich über Meilen weithin in alle Bereiche des Basisschiffes erstreckten. Sie überwucherten die Eine, die alle war, um sie mit den hunderten und aberhunderten Nestern zu vernetzen, aus denen neue Krieger für ihr Volk hervorgehen würden. Zu ihren Füßen lag der nach der Paarung aufgezehrte Körper des namenlosen Commanders. Er würde von der Mutter noch vor dem nächsten Ausdünnen ersetzt worden sein, noch ehe der Kurs zum nächsten Planeten eingegeben worden war und das Schiff in den Hyperraum sprang. Nicht lange und die Sprösslinge erkämpften sich ihren Weg aus den Waben. Vom mentalen Wort der Einen geleitet, folgten sie ihrem Instinkt und der von Pheromonen geschwängerten Luft. Sie kratzten und bissen an der Epidermis, die sie umgab, mit ihren Krallen rissen sie blutige Öffnungen, bis sie schließlich in einem letzten Gewaltakt das Gewebe durchbrachen und zusammen mit einem Schwall aus Plasma und Schleim in die Gänge stürzten. Krieger einer der früheren Generationen empfingen sie und schafften sie an ihren vorherbestimmten Platz. Vielen von ihnen stülpten sie die Masken der Drohnen über, zu denen sie werden würden, denn nur einige von ihnen taugten als Material für die Brückencrew, und nur wenigen gewährte die Mutter die Gunst sich zu Führern zu entwickeln. Die schwachen und fehl gebildeten unter ihnen würden die anderen nähren. Die Eine, die alle war, so wusste das Männchen, war erschöpft, als sie auf ihr Gefolge blickte und wählte. Einer der Neulinge, schmierig und faltig und schwach, unfähig zu verstehen, kroch zu ihr. Alle witterten sie den Hunger der Einen und die Gier in ihr. Mit einem stummen Befehl zwang sie die Brut auf die Knie und nahm dann ihr Leben, um es dem ihren hinzuzufügen. Nicht ein einziges Mal während des Nährens schrie das neu gemachte Männchen, wie es ein jedes Mitglied der Menschenherden tat. Die Hülle, die zurückblieb, wurde beseitigt. Dann verließ die Eine, die alle war, die Brutstätte. Eine interstellarische Stunde verging, und das Schiff fiel bei Ereios, wie die Menschen den Weidegrund nannten, aus dem Hyperraum. Der neu ernannte Commander, stärkster unter den derzeitigen Kriegern, schickte die Jäger aus, und auch das Männchen, das den Eingang nahe dem Thronsaal überwacht hatte, flog mit ihnen. Das Surren der Schiffe hallte durch die Lüfte und versetzte die Herde in wilde Aufregung, sodass sie sich zerstreute. Die wenigen Menschen, die dem Erntestrahl entgingen, wurden im Dorf von den Kriegern, die durch den Ring der Vorfahren kamen, zusammen getrieben. Dort kreischten sie, laut und schmerzvoll für die Ohren, und der Gestank ihrer Furcht lag über den Hütten. Sie kämpften, flohen oder versuchten dem Nähren zu entgehen, indem sie den Jägern ihre Treue schworen. Manche von ihnen starben, manche entkamen und manche gingen als Anbeter mit ihnen. Einige Menschen waren in die Wälder gelaufen, um dem Ernten zu entkommen, und das Männchen, das den Thronsaal bewacht hatte, hetzte eine der Frauen durch das Unterholz. Sie war langsam und nicht allein. Sie hatte sich verborgen zwischen den Ästen und dem Gestrüpp. Das Männchen hörte ihr Keuchen und witterte ihre Angst, aber erst das Junge, ein halbwüchsiges Männchen, das sie mit sich zerrte, verriet ihre Position durch sein Winseln. Über Stock und Stein wurden sie getrieben, bis die Mutter schließlich strauchelte und fiel. Ihr Junges riss sie mit sich. Mit einem Zischen türmte das Männchen sich über ihnen auf, die Hand bereits ausgestreckt, das wimmernde Jungtier zu packen, um die widerwärtigen Laute zu ersticken. Da warf sich die Mutter zwischen sie beide. Sie stellte sich ihm in den Weg und sagte, es müsse zuerst an ihr vorbei, wollte es das Kind, und nur der Tod ließe sie weichen. Sogar einen Ast ergriff sie, um damit auf es einzuschlagen. Das Männchen hörte die Worte und sah ihr Tun, doch verstand es nicht deren Bedeutung. Die Einen, die alle waren, kämpften nicht für ihre Brut, die Brut diente den Einen, sie waren Schutz und Nahrung. Das Männchen konnte nicht verstehen, warum die Menschenfrau das Junge verteidigte, konnte sie schließlich neue machen. Ließe die Mutter ihre Last zurück, wären ihre Chancen zu entkommen größer. Alle Jäger folgten immer der leichtesten Beute und nur selten jagten sie einen einzelnen Menschen. Die Ausnahme waren die Läufer, da es den Führern Vergnügen bereitete, sie zu erlegen. Der Instinkt der Mutter hätte ihr sagen müssen, dass das Männchen dem Jungtier gefolgt wäre. Warum ließ sie es nicht zurück? Das Männchen konnte nicht verstehen. Es reckte den Kopf, trat lauernd einen Schritt nach vorn und streckte die Hand nach der Mutter aus. Sie schlug auf es ein, wieder und wieder, bis der Ast unter der Gewalt barst und sie mit einem Wimmern zusammensackte. Das Männchen zögerte, sah auf sie hinab und streckte dann abermals die Hand aus. Unter ihrer Brust schlug ein lebendiger Puls. Es blickte in ihre Augen, die voller Furcht waren. Sie bettelte nicht für sich selbst, was das Männchen nicht verstand. Sie weinte um ihr Kind, das nicht davon gelaufen war, sie bat um Mitleid und flehte, es möge verschont werden. Das Männchen verstand das nicht. Aber es wollte, oh, wie es wollte. Es ballte die Hand zur Faust, denn der Hunger war groß. Es zögerte noch einmal, dann nährte es sich. Die Jäger kehrten auf das im Orbit liegende Basisschiff zurück. Die Ernte war ergiebig gewesen, jedoch war die Eine erzürnt. Kein Gedanke blieb ihr verborgen, so auch nicht die Tat des Männchens. Es konnte nicht verstehen, warum es den Jungen im Wald zurückgelassen hatte, aber zurückgelassen hatte es ihn. Der Ruf der Einen tönte in den Allen, die eins waren, wider. Als das Männchen seinen Jäger in den Hangar geflogen und seine Position am Eingang des Thronsaales eingenommen hatte, waren sie versammelt, und die Eine trat ihm gegenüber, in ihrem Griff der furchtsame Junge von Ereios. „Nähre dich!“, befahl sie in ihm ohne Gnade. Und das Männchen gehorchte ohne zu zögern, weil es immer gehorchte. Denn von Beginn an war das Wort, und das Wort war bei ihr, und sie war das Wort. Wo sie begann, da begannen sie, wo sie endete, da endeten sie. Und ihr Name war Königin. Und ihr Name war Wraith. 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