Filius von Archimedes ================================================================================ Kapitel 3: Cognosce te ipsum ---------------------------- Die Wraith betrachteten ihn als Abnormität. Die Menschen hatten ihn dazu gemacht. Für eine lange Zeit hatte Michael nicht gewusst, wohin er gehen sollte, wohin er gehörte oder wer er war. Das war nicht überraschend, denn die Menschen hatten ihn seiner Heimat beraubt und seiner Natur. Sie hatten ihm das Verstehen gegeben, die Fähigkeit eigenständig zu denken, etwas, das kaum je ein Wraith für sich entdeckte, fürchteten doch alle die Abwesenheit der geistigen Herrschaft der Einen, die alle war. Doch um welchen Preis? Sie hatten ihm gegeben, was die Menschen zu Menschen machte, - und es war nicht das Verständnis von Mitleid -, um ihm dann zu verweigern, einer von ihnen zu sein und Gebrauch von diesem Geschenk zu machen, das Befreiung und Fluch gleichermaßen war. Und für die Wraith war er nun schwach. Das Erbe der Menschen war ein Makel der jedem ihrer Art anhaftete. Er aber war ein Mensch gewesen. Er war erwacht, um zu verstehen, was die Königinnen verstanden, eine Gabe, die nur den treuesten und fähigsten unter den Wraith gewährt wurde. Er war mit seinen Gedanken allein. Dies machte ihn zum Abtrünnigen, deshalb hatten sie ihn aus ihrer Mitte verstoßen. Und dennoch hatte er sich weiterhin nach ihnen gesehnt. Heute war sich Michael sicher, dass es nicht nur der Hunger gewesen war, der nach Absetzen von Becketts Behandlung zurückgekehrt war, oder sein unbändiger Instinkt zu überleben, die ihn hatten die Gesellschaft der Wraith suchen lassen. Es war diese Gemeinschaft gewesen, nach der er sich verzehrt hatte und jene geistige Einheit, die die Wraith miteinander teilten. Für die Menschen machte ihn dies zu einem Fremdling, zu keinem von ihnen, zu einem Wraith. So wollten ihn also weder die einen noch die anderen. Er war einzig. Es gab niemanden, der ihn definierte, niemanden, zu dem er gehörte. Noch nicht. Michael ging durch die Gänge eines seiner Laboratorien. Es war nicht länger Rache, die ihn voran trieb. Wohl war sie es in den ersten Wochen und Monaten gewesen, geboren aus Einsamkeit und nicht zu wissen, wer oder was er war, und auch, weil beide Rassen ihm nach dem Leben trachteten. Jetzt war es der Gedanke an Gerechtigkeit und an eine bessere Welt. Es war eine Welt ohne Menschen und ohne Wraith, von der er träumte, eine Welt, in der sie alle eins waren, eine Welt in die er gehörte. Er träumte von einer Rasse, die alles in sich zusammenfügte, was Menschen und Wraith über Jahrtausende an Fähigkeiten hervor gebracht hatten. All sein Forschen, all sein Bestreben und all seine Bemühungen führten ihn zu diesem Ziel. Nur eine Komponente fehlte, ein Geschöpf, das bereits all dies war, nicht geschaffen aus Wahnsinn und Hass, kein Hybrid, wie es die anderen waren, sondern geboren. Ein Kind, einzig wie er. Michael betrat den Raum, in dem die Athosianerin auf die Geburt vorbereitet wurde. Sie hatte betäubt werden müssen, hatte sie doch mehr Gegenwehr geleistet, als er es ihr in ihrem Zustand zugetraut hätte. Nun war sie wach, wenn auch zu erschöpft, um sich zu wehren. Und Michael war dankbar. Er wollte, dass sie ihr Kind sah, und wenn es nur einmal sein würde, bevor er mit ihm durch das Stargate auf einen anderen Planeten reiste. Er war nicht grausam, er würde sie nicht im Ungewissen lassen, was mit ihm passierte. Die Heiler gaben ihr ein Mittel, das die Wehen auslöste. In Faszination betrachtete Michael das Schauspiel. Er hatte vieler Geburten der Wraith beigewohnt, wenn man denn überhaupt von Geburten sprechen konnte. Keine war je gewesen wie diese. Die Frau schrie unter Schmerz, das Gesicht war verzerrt, ja beinah schon entstellt. Sie schrie ihre Schwäche allen entgegen und dennoch besaß sie in diesem Moment Würde. Dass er zu dieser Ansicht gelangte, so wusste Michael, lag an der Perspektive, welche die Menschen ihm mit ihren Experimenten an ihm ermöglicht hatten. Wie er dieser Frau einst gesagt hatte: Nur wenige Wraith sahen mehr in den Menschen, an denen sie sich nährten, als ein reines Mittel zum Überleben. Er jedoch hatte von den Menschen gelernt, dass ein jedes Leben Würde besaß. Auch hatte er lernen müssen, dass die Menschen sie nicht respektierten, gehörte man nicht zu ihnen. Er hatte von ihnen gelernt, was Mitleid war, aber auch, was es hieß, wenn es verwehrt wurde. Die Menschen verdienten seinen Zorn. Ebenso die Wraith, für die ein Leben nur dann Wert besaß, wenn es nützlich war. Michael beobachtete, wie der kleine Körper, schmierig und faltig und schwach, dem Menschenleib der Athosianerin genommen wurde. In stummem Flehen blickte sie ihn an, sorgenvoll und furchtsam, eine Mutter, wie keine Königin es je gewesen war, und für einen Moment befiel Michael jenes zögerliche Gefühl, das er vor so vielen Jahrhunderten auf Ereios erstmals gespürt hatte. Heute verstand er. Dem Mann, dessen Existenz allem Lebendigen grotesk und unversöhnlich erschien, wurde der Junge von einem Lakaien in die Arme gelegt. Seine Geburt läutete eine neue Zeit ein. Sie beendete die Herrschaft der Menschen und der Wraith, diese Krankheit, welche die Galaxie verseuchte und Ausgestoßene zur Knechtschaft zwang. Das Kind würde für ihn zum Richter aller Lebendigen werden und sein Erlöser. Er würde mit ihm zusammen die neue Welt gestalten, die er erhoffte. Michael sah auf Teyla hinab und reichte ihr die Hand. Er ahnte, sie würde ihn nicht begleiten, selbst wenn er sie darum bat. Er sah die Abscheu in ihren Augen, und er wünschte es wäre anders, dass sie Freunde sein könnten und nicht Feinde, wie sie es immer gewesen waren. Aber sie schüttelte ihren Kopf und wies in ab. Er wusste, sie konnte sie nicht verstehen, seine Vision von einem Paradies, dessen Tor er hütete und dass er sein musste, was notwendig war, um es aufzustoßen. So würde er ihr lediglich den Anblick ersparen, den Jungen zu seiner Bestimmung finden und die Welt, wie sie sie kannte, vergehen zu sehen. Er würde sie belohnen mit einem gnädigen Tod, für jenes Mitgefühl, das sie gezeigt hatte, wo Menschen und Wraith es ihm gleichermaßen versagt hatten. Er würde Mitleid gewähren, wo Mitleid gewährt worden war. „Ich werde gut für ihn sorgen“, sagte Michael, als er ihr über den Kopf strich, er den Geburtsraum verließ und das schreiende Kind auf dem Arm wiegte. Durch das Kind endete alles und wurde alles neu. Und Michael nannte es Sohn. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)