Schutzengel von Arle ================================================================================ Kapitel 1: Erwachen ------------------- Er hatte das Gefühl zu schweben. Er wusste nicht wo er war und auch sonst erschien ihm sein Kopf seltsam leer. Befreiend. Ungebunden. Träge wälzten sich die Schatten von Gedanken durch sein Hirn, ohne dass er einen von ihnen hätte fassen können – oder fassen wollen. Alles erschien ihm so seltsam erfüllt, so frei von jeder Notwendigkeit und doch so beruhigend und sicher. Irgendetwas tief in seinem Inneren fühlte sich an die Zeit im Mutterleib erinnert, auch wenn er bewusst über keine Erinnerung verfügte. Es gefiel ihm hier. Er wollte hier bleiben. Ewig. Für immer den Zustand inneren Friedens genießen. Er öffnete die Augen. Um ihn herum war alles weiß. Und doch schien seine Umgebung in Bewegung zu sein, einer Nebelbank gleich, hin und her zu schweben. Er hatte die Augen nicht öffnen wollen. Doch für einen Moment hatte eine Erinnerung sein Bewusstsein gestreift. Die Erinnerung daran, dass er es schon einige Male verweigert, sich erneut dem tiefen Schlummer hingegeben hatte, der ihn auch jetzt mit sanfter Wärme umfing. Er versuchte sich zu bewegen und stellte mit einem Anflug von Beunruhigung fest, dass er es nicht konnte. Er versuchte es noch einmal. Nichts. Er wollte sprechen – und wusste nicht wie. Er versuchte sich zu konzentrieren – und wusste nicht worauf. Ein ungutes Gefühl begann sich in ihm auszubreiten. Und dann erkannte er mit Schrecken, woher diese Leere in seinem Kopf stammte. Seine Erinnerung. Sie reichte kaum bis zu dem Moment, als er das erste Mal erwacht war. Und seine Sinne? Er hörte nichts. Nicht das leiseste Geräusch. Die weißen Nebel tanzten vor seinen Augen und ließen ihn allmählich auch an ihrer Funktion zweifeln. Geschmack? Negativ. Aber ein Gefühl, das hatte er! Einen Moment lang erschien ihm dieser Gedanke tröstlich. Doch dann begriff er, dass all diese Dinge aus seinem Inneren kamen. Einem dumpfen, unbestimmten Inneren. Er vermochte nicht einmal seine Lage im Raum festzustellen. Beweg dich, befahl er sich. Beweg dich, beweg dich, beweg dich! Mit unendlicher Anstrengung gelang es ihm den Kopf ein wenig anzuheben. Er sah an sich herab. Der Nebel war nicht so dicht, wie er zunächst angenommen hatte, doch was er sah war... Er hatte einen Körper erwartet. Seinen Körper! Etwas aus Fleisch und Blut! Doch er vermochte nicht einmal klare Konturen auszumachen. Nur seltsam schimmernde, nein leuchtende Formen, die alles hätten sein können und sich ständig zu verändern schienen. Angst stieg in ihm auf. Er versuchte sich zu vergegenwärtigen, was er zu sehen erwartet hatte und musste feststellen, dass er es nicht konnte. Er hatte kein Bild vor Augen. Er konnte sich nicht erinnern wie er aussah! Er wollte die Arme heben, sein Gesicht berühren, doch sein Körper gehorchte ihm nicht. Wer bin ich? Wie ein Blitz zuckte die Frage durch seinen Geist. Panik stieg in ihm auf. Er wollte nicht hier sein. Er wollte weg von hier. Schnell. Oder dieser Ort würde auch den Rest seines Selbstes für immer verschlingen. Hilfe! Hilfe! Plötzlich kam Bewegung in seinen Körper. Als wolle er seinen Gefühlen Ausdruck verleihen wand und krümmte er sich, schossen seine Arme in die Höhe und griffen seine Hände, auf der Suche nach Halt, immer wieder ins Leere. Er hatte Angst. Schreckliche Angst. Was war passiert? Was hatte man ihm angetan? Das Aufflackern einer Erinnerung und das Bild blutigen Schnees. Heiße Tränen rannen über seine Wangen. Hilfe... Dann sah er gleißendes Licht. Eine Lichtgestalt, die die Nebel zu teilen schien und, je näher sie kam, mehr und mehr menschliche Formen annahm. „Komm.“ Die Stimme schien plötzlich alles zu erfüllen, diesen Ort wieder zu etwas Unbedrohlichem, Schönem zu machen. Eine sanfte, ermutigende Stimme. Eine seltsame Aura umgab sie, die ihn wie magisch anzog. Und obwohl sich alles in ihm dem Licht zuwenden, ihm folgen wollte, zögerte er. Die Angst, die ihn noch immer beherrschte, verbot jede Regung. „Komm. Hab keine Angst. Ich bin hier um dir zu helfen.“ Eine Hand streckte sich ihm entgegen, dann eine zweite. Und beide warteten sie geduldig. Er sah zurück. Die weißen Nebel zogen unverändert ihre Bahnen. Berührten und durchwoben einander und versprachen ewige Ruhe. Er wandte sich ab. Noch immer wartete die Lichtgestalt, deren Züge immer mehr die eines Menschen annahmen. Langsam, zögernd trat er näher. Sein Körper schien sich jetzt leichter bewegen zu lassen, als habe ihn die Anwesenheit dieses Geschöpfes von seinen Fesseln befreit. Und ganz allmählich nahm auch er wieder Gestalt an. Ich kann sehen, dachte er und legte vorsichtig seine Hand in die seines Retters. Sanft umschlossen die Finger sie und hielten sie sicher. „Alles wird gut“, erklang die beruhigende Stimme von neuem und erinnerte ihn daran, dass auch sein Gehör zu funktionieren schien. Tränen rannen ihm übers Gesicht und er wusste nicht warum. Vielleicht war es die Erleichterung die ihn erfasst hatte und die sich nun einen Weg nach draußen bahnte. „Hab keine Angst. Von jetzt an wirst du nie mehr allein sein.“ Er nickte nur, zu mehr war er in diesem Moment nicht fähig. Und obwohl die Züge des Anderen kaum zu erkennen waren, erkannte er doch das Lächeln das er ihm schenkte. Er nahm ihn mit sich. Sie schienen zu fliegen. Schnell und einem Ziel entgegen, das nur der Fremde kannte. Und plötzlich durchbrachen sie den Nebel, ließen sie ihn hinter sich, war die Luft um ihn herum kühl und klar. Einen Moment lang glaubte er, das Blau des Himmels gesehen zu haben. Wärme umgab ihn, hüllte ihn ein – der Fremde war immer noch bei ihm. Kraftlos lag er in den Armen des Mannes, der ihn aus der weißen Hölle befreit hatte. Eng an seine Brust geschmiegt, seinem Herzschlag lauschend, der ruhig und gleichmäßig ging. Ein Gefühl der Geborgenheit stieg in ihm auf und mit ihm kehrte die vertraute Müdigkeit zurück. „Willkommen in der Welt der Götter.“ Die freundliche Stimme strich über sein Haar und schien ihm doch so fern. Wo..., dachte er noch, dann versank er in tiefem, wohltuendem Schlummer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)