Handbuch für Paranoide von Miezel ================================================================================ Kapitel 5: Psi -------------- Mhm ja, ich glaub das war die zweite Geschichte, die ich zu Papier (echt jetzt, Papier) gebracht habe. --------------------------------------------------------------------------------- Psi ist jetzt hellwach. Endlich raus aus diesem elenden und kranken Körper. Da liegt er nun zermatscht und zu nichts mehr zu gebrauchen. Erloschen. Wertlos. Achtlos weggeworfen, mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Psi stutzt, wieso Lächeln? Es macht Psi schon wieder wütend. Wieso lächelt das Ding? So nutzlos wie dieses Leben war und dann noch lächeln? Nichts war je richtig, nicht das Tun, nicht das Denken, nicht einmal das Aussehen war in Ordnung. Psi hatte kaum Widerstand gespürt, als sie erwachte. Alles war weich und hatte nachgegeben... und nun dieses Lächeln?! Hätte Psi einen Körper, sie würde jetzt aus der Haut fahren. Der kurze Augenblick der Entspannung und des Triumphes, als sie aus dem unwürdigen Körper sprang, war vorbei und nur das Gefühl jener so lang vertrauten Wut war geblieben. Psi wand sich ab. Sie ging auf die Suche. Je länger sie suchte, um so müder und auch wütender wurde Psi. Am Ende war sie so müde, dass der Schlaf mehr als eine Verlockung war und als Psi ankam schlief sie sofort ein. Ein süßes Baby. Wie niedlich die Löckchen. Die großen blauen Augen strahlten. Es war so war und weich. Ein so stilles und liebes Baby. Auch als es ein kleines bisschen älter wurde und zu krabbeln begann. Nie tat es etwas, was es nicht sollte. Es zog keine Tischdecken vom Tisch, ließ Papas CDs in Ruhe, nahm nichts weg. Ein wahrer kleiner Engel. Die Eltern achteten sehr darauf, dass es sich im richtigen Maß entwickelte und die Leistung stimmte. Das kleine Mädchen entwickelte sich prächtig. Nur manchmal saß sie da mit einem eigenartigen Gesichtsausdruck. Als würde sie nach innen lauschen, so als lauerte etwas anderes als ein Engel hinter der sanften Fassade. Dann kam die Sache mit dem Turm. Ein Turm aus bunten Bauklötzern. Einfach auf einander gestapelte Steine. Etwas windschief stand er da und ein glückliches Glucksen war zu hören. Das war das erste mal, dass Psi sich wieder regte. Sie war so halb und halb munter, noch weit entfernt wieder ihre alte Kraft und Macht zu haben. Aber ein wenig umsehen, dass ging schon. Was Psi sah, war bestimmt nicht, was Psi gewollt hatte. Pummlige kleine Händchen und ein Turm, der eine Katastrophe war. Psi benutzte diese Patschhändchen um einen richtigen Turm zu bauen. Unvollkommenes war Psi ein Greul. Nur waren diese Fingerchen zu ungehobelt, um für Psi´s Ansprüche ein akzeptables Ergebnis zu erzielen. Psi baute einen versetzten Turm, so auf Lücke. Erstaunlich für ein Kind diesen Alters, aber für Psi galten andere Maßstäbe. Diese verflixten Händchen. Sie gehorchten einfach nicht so exakt, wie Psi es wollte. Voller Wut über diese Unzulänglichkeit, zerstörte Psi den Turm, der von der großen fremden Frau gegenüber so bestaunt wurde. Psi tobte. Sie warf die Bauklötzer um sich, ohne Rücksicht auf irgend etwas zu nehmen. Das Toben verbrauchte Psi´s Kraft ungeheuer schnell. Noch während der letzte Baustein der Frau gegenüber um die Ohren pfiff, zog Psi sich zurück. Sie schlief wieder für eine kleine Weile, ungefähr 3 Jahre. Das Mädchen aber konnte sich nicht erklären, wieso ihre Mutti so laut schimpfte und sie so böse ansah. Warum hatte sie die Hand am Ohr und wieso tropfte es rot auf Muttis weiße Bluse? Sie begann zu weinen, weil ihr Turm kaputt war und weil Mutti schimpfte und unglücklich war und weil sie nichts von alle dem verstand und weil ihr Zeit fehlte. Kindergartenzeit. Alles war wie es sein sollte. Das Mädchen fügte sich in die Gruppe ein, erzielte gute Ergebnisse in den Beschäftigungen – die Leistung stimmte. Nur wenn Psi sich zurückmeldete veränderte sich alles. Der Blick wurde finster, der Mund verkniffen, die ganze Haltung verriet geballte Wut. Für kurze Zeit wurde aus dem Mädchen Psi und Psi wurde mit jedem mal stärker. Sie hasste alles um sich herum und zerstörte das, was sie hasste so weit wie möglich. Es fielen ihr Sandburgen, Puppenkleider, Bilder und manchmal auch Nasen zum Opfer. Die Attacken dauerten nie lange, denn Psi verausgabte sich jedes Mal und verbrauchte ihre neu gewonnene Kraft gänzlich. Danach schlief Psi wieder in dem Kind. Die Übergriffe fielen im Tagesablauf kaum auf. Psi hatte im Laufe ihrer vielen Existenzen gelernt, worauf sie achten musste. Alles was wesendlich stärker war als sie und sie entdecken konnte, musste vermieden werden, wollte sie nicht noch einmal durch Medikamente gelähmt werden. Es waren also nie Erwachsene in der Nähe, wenn sie ihrer Wut freien Lauf ließ. So kam es, dass kein „Großer“ daran glauben mochte, dass das Engelchen sich derart daneben benehmen konnte. Außerdem – die Leistung stimmte. Schulzeit. Für Psi wurde es schwieriger unentdeckt zu bleiben. Das Mädchen ahnte, dass da etwas war. Ihr fehlte hin und wieder Zeit. Psi hatte sich eine Strategie zurecht gelegt. Sie kam oft nur Sekundenweise um nachzusehen ob die Luft rein war und nur wenn sie sich wirklich unbeobachtet fühlte, trat sie in Erscheinung. Psi agierte nur noch außerhalb der gewohnten Umgebung des Mädchens, da aber mit aller Macht. Sie liebte zum Beispiel Autoreifen zu zerstechen. Das Zischen der Luft bereitete ihr Vergnügen. Oder sie stahl, was ihr zwischen die Finger kam. Diese Schätze hortete sie in einem alten Luftschutzbunker im Berg. Dort kam nie jemand hin, weil er nass, dunkel und kalt war. Zudem sah das Ganze nach Einsturz aus. Es war das perfekte Versteck. Sie hätte die Dinge auch wegwerfen können, denn sie hatten eigentlich keinen Wert für Psi. Nur das Beschaffen bereitete ihr Vergnügen. Anderen etwas wegnehmen, sie leiden sehen, sie bedrohen und fertig machen, das war es, was das Leben lebenswert machte. Das Mädchen wunderte sich immer häufiger über die verlorene Zeit. Sie bemühte sich nach Kräften es zu vertuschen und es gelang ihr ganz anständig. Als sie dann allein lebte, beschloss sie herauszufinden, was in der Zeit geschah, von der sie nichts wusste. Sie kaufte sich eine Kamera und überwachte sich selbst. Einige Zeit geschah nichts. Sie wollte sich schon damit zufrieden geben, doch dann eines Abends veränderte sie sich. Aus ihr wurde Psi. Psi fühlte sich sicher. Das ließ sie arrogant und unvorsichtig werden. Sie fühlte sich so sicher, dass sie Klamotten in der Wohnung versteckt hatte. Nicht dieses verspielte bunte Zeug des Mädchens. Das passte so gar nicht zu Psi. Sie bevorzugte einfarbige Kleidung: dunkel, sportlich und geradlinig. Die langen Locken, die sonst offen auf die Schultern fielen, verschwanden unter einer dunklen Perücke. Aus weiß wurde schwarz. Psi war relativ zufrieden. Es war zwar nicht perfekt, aber das Beste, was sie aus dieser Niete herausholen konnte. So ging Psi auf Spaßtour und ahnte nicht, das sie entdeckt worden war. Am nächsten Tag war etwas von einem Raubüberfall auf einen alten Mann zu lesen und von der Brutalität des Vorgehens. Auch eine Täterbeschreibung stand da. Der Mann hatte es nicht überlebt. Das Mädchen begriff alles, als sie sich im Video sah. Sie wusste nun, wo ihre Zeit blieb, verstand, wo die Dinge herkamen, die Psi manchmal unachtsam mit nach Hause brachte und sie verzweifelte. Sie lehnte sich auf, als Psi das nächste Mal erwachte und kämpfte mit ihr. Das Mädchen und Psi fielen von der Brücke. Psi hatte gewonnen und als sie aufschlug – war Psi hellwach und wütend. Wie konnte diese alberne, dumme, kleine Gans sich gegen Psi wehren, sie sogar bekämpfen. Glücklich hätte sie sich schätzen müssen, dass Psi sie durch ihre Anwesenheit ehrte. Psi sah sich den zermatschten Körper an. Etwas stimmte da nicht. Jetzt sah sie es. Das Ding lächelte. Es hatte tatsächlich ein Lächeln im Gesicht und Psi begann zu zweifeln, ob sie wirklich gewonnen hatte. --------------------------------------------------------------------------------- Nun ja, hat nicht jeder von uns so ganz im Verborgenen eine kleine Psi? Wie sieht denn eure aus? Laßt mal hören LG Mau Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)