Tagebuch von abgemeldet (von Marie Schneider) ================================================================================ Kapitel 1: Eintrag 1 -------------------- Liebes Tagebuch Du stehst ja schon eine Weile leer in meinem Regal. Nun konnte ich mich endlich dazu ermutigen etwas in dich hinein zu schreiben. Mein erster Eintrag wird ein trauriger Eintrag sein. Mein Bruder, Karl Heinz, ist nach Frankreich geflogen, um an der Juniorenmeisterschaft teilzunehmen. Natürlich haben wir ihn beim Flughafen verabschiedet. Schon als ich den Flughafen sah wurde mir mulmig zu Mute. Karl sass neben mir. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht streichelte er unseren Hund, Oliver. „Siehst du, Mariechen, das ist der Flughafen!“ , sagte er. Oliver wedelte aufgeregt mit dem Schwanz und bellte. Ich lächelte und kraulte Oliver hinter dem Ohr. Karl Heinz wollte ihn unbedingt dabeihaben. Er hat so lange bei den Eltern und bei seinem Trainer gequängelt. „Olli kann es auch kaum erwarten.“ Wie zur Antwort bellte der Hund. Mittlerweilen suchte Papa einen Parkplatz. „Da, Schatz!“, rief Mama und zeigte mit dem Finger aus ihrem Fenster. Nach dem er sauber ein parkiert hatte, stiegen alle aus dem Auto. Papa öffnete den Kofferraum und nahm den schweren Koffer heraus. Karl nahm seine Sporttasche. Ich nahm Olli an die Leine. Als wir zu den Ticketschaltern kamen warteten bereits jede Menge Eltern mit Kindern. „Kalle!“ Ich kannte die Person, die auf ihn zu sprang. Es war Hermann Kaltz. Er kam öfters vorbei um mit Karl Fussball zu spielen. Karl nahm mich an der Hand und ging zu den Teammitgliedern rüber. Obwohl ich das eigentlich gar nicht wollte. „Hey, Leute! Na, schon Schiss?“ Hermann antwortete grinsend: „Das soll wohl ein Witz sein? Wir sind die Besten der Besten! Wenn wir nicht gewinnen, wer dann?“ „Ich habe gehört, dass dieses Jahr sogar Japan es geschafft hat.“ Alle lachten. Ich verstand das nicht und schaute zu Karl hinauf. Sein Gesicht war ernst. Dann bemerkte er meinen fragenden Blick. Er erklärte es mir. „Japan wird seit jeher als die Verlierermannschaft angesehen. Aber ich denke, wenn sie es an die Meisterschaft geschafft haben, müssen sie auch etwas zu bieten haben.“ „Sag mal, wäre diene Schwester nicht besser bei ihrer Mutter aufgehoben. Die versteht ja nicht von was wir reden.“ Ich musste zugeben, dass es stimmte und wollte Olivers Leine schon an Karl abgeben. Doch dann schubste Hermann den Jungen und sagte wütend. „Was soll der Scheiss? Sie kann doch hierbleiben, wenn sie hierbleiben möchte.“ „Ich dachte nur, sie will vielleicht lieber Weiberkram hören!“ „Weiberkram? Seid wann sind wir frauenfeindlich?“ Karl ging dazwischen: „Hermann! Beruhig dich! Ich fand es ja auch nicht so toll, was er gesagt hat! Aber wir sind doch ein Team und so müssen wir uns verhalten.“ Ich wurde schuldbewusst. Schüchtern sagte ich: „Ich geh dann mal…“ „Mariechen, du musst nicht gehen…“, meinte Karl. Ich hörte Hermann dem Jungen zu flüstern: „Siehst du, was du angerichtet hast!“ „Es ist doch besser…so.“ „Hör zu, Mariechen…das war doch nur so ein dämlicher Spruch. Ich, für meinen Teil, möchte dich gern hier haben…Ich brauche dich hier. Manche von uns haben Angst vor dem ersten Spiel. Ich, dagegen, habe Angst vor dem Heimweh. Und ich würde mich wirklich besser fühlen, wenn du meine Hand halten würdest. Bis wir ins Flugzeug steigen…“ „Boa! Das war das Kitschigste, dass ich je aus deinem Mund gehört habe!“, meinte Hermann mit einem schiefen Grinsen. Karl meinte nur cool: „Das hast aber nicht gehört. Dasselbe gilt für euch alle. Haben wir uns verstanden?“ Ich blieb bei ihm, bis der Zeitpunkt des Abschiedes gekommen war. Papa umarmte meinen Bruder und sagte: „Mach mich stolz, Junge.“ Mama umarmte ihn und weinte nur. Ich weinte auch. „Ich werde dich vermissen.“, sagte ich. „Ich dich auch.“ Und dann ging er. Kapitel 2: Eintrag 2 -------------------- Liebes Tagebuch Es ist mittlerweile vier Uhr morgens. Ich konnte nicht schlafen also bin ich in das Zimmer meines Bruders gegangen. Wie ich es normal immer machte. Aber dann kam ich in das Zimmer und sah, dass er nicht da war… Natürlich, er war ja gestern gegangen. Es ist komisch, dass er weg ist. Vor allem in seinem Zimmer. Wenn ich mir die mit Fussballpostern tapezierten Wände ansehe, die vielen Fussbälle oben auf dem Schrank, die Autogrammkarten, die an der Pinnwand hängen und die Fotos auf der Kommode ansehe, denke ich, er würde gleich durch die Tür rein kommen. Wie auch immer, ich werde versuchen etwas zu schlafen. Heute habe ich Schule. Ich weiss nicht, wie ich es schaffen werde aufzustehen, aber irgendwie wird es schon gehen. Okay, ich werde ganz sich nie mehr so lange wach bleiben! Ich schwöre es! Meine Mutter hat mich heute Morgen geweckt. Schon da war das „Ich will weiterschlafen“- Gefühl da. Meine Augen konnte ich nicht mal fünf Sekunden aufbehalten. Der Weg in die Schule war furchtbar. Ich hatte sogar Mühe einen Fuss vor den anderen zu setzen. Ich konnte noch nicht einmal in der Schule richtig aufpassen. Dabei mag ich meine Lehrerin Frau Hansen sehr. Wir hatten heute Sport bei Herr Albrecht und spielten Fussball. Ich finde, wenn mein Bruder Fussball spielt ist das toll, aber wenn ich es in der Klasse spiele ist es doof. Karl Heinz wollte mir einmal Fussball spielen beibringen. Aber das hat er bald aufgegeben, denn ich war nicht gerade eine gute Schülerin. Jeder in meiner Schule weiss, wessen Schwester ich bin, genauso weiss jeder, dass ich nicht gut darin bin, Fussball zu spielen. Sogar sehr schlecht darin bin. Aber ich konnte dennoch nichts daran ändern, dass ich wütend wurde als Michael mir nach einem missglückten Schuss zurief: „Hey, blinde Kuh! Hierher solltest du schiessen, dumme Gans!“ Herr Albrecht ermahnte ihn zwar, aber die Beschimpfungen gingen im Stillen weiter. Am Ende hatten wir das Spiel verloren und mussten die Tore verräumen. „Das ist alles Maries Schuld“, zischte der Vollidiot. „Lass ihn“, meinte meine beste Freundin Sandra. Aber mich juckte es so in den Fingern und ehe ich mich versah, warf ich den Fussball in meinen Händen nach ihm und ich hatte tatsächlich voll auf seinen Kopf getroffen. „AU!“, rief er laut und ich schreckte zusammen. Er meldete diesen Vorfall natürlich dem Lehrer, der mir aufgetragen hatte, den Ball zu versorgen. Petze! Man rief zu Hause an und teilte meiner Mutter mit, was ich getan hatte. Als ich nach hause kam war der Ärger schon vorprogrammiert. Ich hörte schon vor der Haustür, wie sich meine Eltern stritten. „Deine Tochter hat diese Art doch von dir abgeschaut!“, schrie Mama. „Natürlich ist es wieder einmal meine Schuld, wenn die Kleine etwas Dummes anstellt!“, schrie Papa. Ich nahm mit Absicht nicht unseren Hausschlüssel, sondern klingelte. Es wurde still und ich hörte, wie Mama sich zur Tür begab. Die Tür öffnete sich. „Marie, warum hast du nicht den Schlüssel benutzt?“ „Vergessen.“ „Marie. Komm doch bitte zu deinem Vater.“ Es war keine Bitte, sondern ein Befehl. Ich gehorchte und kam in die Küche. Er sagte, dass ich mich setzten sollte. Mama setzte sich neben mich. „Was ist in der Schule vorgefallen?“, fragte er. „Michael hat mich beschimpft und ich habe ihm beim Aufräumen den Fussball an den Kopf geschmissen.“ „Ist das alles?“ Ich nickte. Papa starrte mich eine Weile lang an. „Gut“, sagte er schliesslich. „Hör mir mal zu, egal, was er dir gesagt hat, egal wie verletzend seine Worte waren. Du darfst ihm nicht wehtun.“ Ich musste weinen. „Auch wenn er ein Vollidiot ist?“ Er lächelte und nickte. Mama streichelte mir den Kopf. Ich bin noch ohne Hausarrest davongekommen. Ich hoffe, mein Bruder ruft bald zu Hause an und dann erzähl ich ihm alles. 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