Lumiél von Voidwalker (Königreich der Monde) ================================================================================ Kapitel 23: Elben singen und tanzen! ------------------------------------ Seit alters her war Ilmwacht ein sehr spezieller Ort Lumiéls. Ein kleines, ja geradezu winziges Dörfchen tief in den nordöstlichen Sümpfen und Mooren, die sich über weite Strecken und üppige, halb unter Wasser stehende Wälder bis zu den Ausläufern der großen Elbenstadt Esgaroth zogen. Genau dort hatten sich diese paar hundert Seelen eingenistet. Die Einwohner Ilmwachts galten nie als verschlossen, im Gegenteil. Fremde und Reisende wurden herzlich begrüßt, aufgenommen, versorgt. Ein Gasthaus gab es nicht, zu wenig hätte es einnehmen können, so weit abseits aller bekannten Routen. Doch die Dörfler zeigten den gleichen sturen Erfindungsgeist, der schon die ursprünglichen Siedler ausgezeichnet hatte. Statt die großen Steilküsten nahe des heutigen Varakas zu erklimmen, bestritten sie ihren Lebensunterhalt in einer gefährlichen Umgebung, rangen dem nachgiebigen Grund Boden zum Bauen, der giftigen Vegetation Früchte zum Verzehr und der blanken Wildnis Sicherheit zum Leben ab. Genau drei Dinge machten das kleine Dörfchen zu etwas Besonderem - selbst wenn man von seiner Lage absah: Da war zunächst der Umstand, dass es genau genommen ‚zwei‘ Dörfer waren. Nord-Ilmwacht lag dicht gedrängt an die ersten, aus massivem Granit bestehenden Ausläufer eines kleinen Aufweges, der sich zu einem Plateau herauf schlängelte. Dort oben wiederum thronte seit unzähligen Jahrhunderten eine massive Festung mit kräftigen Bollwerken, schweren Toren und einer Abteilung von Frauen, die für jeden Untoten das Ende bedeuteten. Ein Orden der Schwesternschaft Ereshkigals, Priesterinnen der Totengöttin. Es war das einzige bekannte Kloster in Lumiél und die Wahl seines Standortes gab seit jeher Rätsel auf - doch die Oberinnen hielten sich bedeckt und wenig auskunftsfreudig. Vielleicht erfuhren die Bewohner Nord-Ilmwachts irgendwann das Geheimnis, doch längst bilden die Schwestern und jene einen geradezu verschworenen Bund. Recht ähnlich verhält es sich mit dem etwas westlicher gelegenen Süd-Ilmwacht. Beide Dorfteile sind durch einen Streifen Waldes getrennt, den man mit gemächlichem Marsch in einer Stunde passiert hat. Wie es zu dieser Teilung kam, warum das Dorf nie zusammen wuchs - auch das zählt zu den Geheimnissen der Bewohner selbst. Süd-Ilmwacht rühmt sich keines Klosters. Dort wohnen mehrheitlich Händler, Handwerker und Schriftgelehrte, die alle nur jene eine Hoffnung verbindet: Eines Tages in ihrem Leben ein Gespräch mit Meister Halon führen zu können. Süd-Ilmwacht schmiegte sich an den gewaltigen Aufbau aus Granit und großen Kupfereinschlüssen, auf dessen Gipfel sich zu unbeschreiblicher Höhe der sogenannte Turm des Morgens erhob. Einer der zwei bekannten Magiertürme des Landes. Meister Halon, ein Gelehrter der Zirkel und Kundiger der weißen Nekromantie, galt als ein belesener, wenn auch strenger Mann. Das Alter, so erzählte man sich im Dorf, hätte ihm schon ein paar Furchen in das Gesicht gegraben, hin und wieder vergesse er auch etwas, doch niemand wagte ihm respektlos gegenüber zu treten. Man wusste den ‚alten Zausel‘, wie höchstens unbelehrbare Jugend ihn zu nennen wagte, sehr zu schätzen. Nicht nur, das er hin und wieder sich der Dörfler annahm, die unter Krankheiten, schweren Verletzungen oder Vergiftungen litten, von Zeit zu Zeit verließ er seinen Turm, wanderte mit einem kleinen Zugkarren den großen Rundweg herab und verkaufte seinerseits ein paar Formeln, Schriftrollen und Tränke an die Einwohner. Ein jedes Mal brandete ein halber Volksauflauf über seinen Stand hinweg, sobald er einen Fuß in das Dorf setzte. Für den Rest Lumiéls war Ilmwacht im Grunde unbedeutend. Eine kleine Kuriosität, die vielleicht eine Attraktion hätte werden können, hätte das Dorf nicht so tief in den Sümpfen gelegen, die nicht zu Unrecht als unsicher und gefährlich galten. Doch wer brauchte schon Lumiél? Das Dorf lief seit alters her vollkommen eigenständig. Es war wohl an die vier Jahrhunderte her, eine kalte Nacht im Winter. Eine Jahreszeit, die andernorts Schnee und Eis brachte, hier aber zog die klamme Nässe mit dicken Wolken über den Himmel und ergoss sich in nadelfeinen Streifen fast täglich auf die ohnehin üppig gefüllten Moore und Seen. In eben dieser Nacht wanderte jemand vor einer Tür auf und ab. Die Nervosität trieb ihn um, das Hoffen, das Bangen, die Vielfalt an Gefühlen. Unter den Sohlen seiner von Schlamm verkrusteten Schuhe zog der Stein dahin, ein ums andere Mal. Auf, ab, auf, ab. Geschrei erklang von drinnen, jenseits der Tür. Man hatte ihn des Raumes verwiesen. Er wusste nicht, warum. Eine der Schwestern hatte sich bemüht, ihn mit aller Höflichkeit hinaus zu komplementieren… mit aller Höflichkeit… und Dringlichkeit. Dort drinnen lag seine Frau, hochschwanger, im Augenblick ihrer Geburt. Er ahnte schon durch den Raumverweis, dass den Schwestern, die nun einmal mehr zu Ammen wurden, etwas aufgefallen war. Es gab Schwierigkeiten. Irgendetwas ging schief. Und insgeheim betete er zu allen Göttern, dass sie nur von kurzer Dauer und ohne Folgen bleiben mochten. Stunde um Stunde verging, die Beine wurden ihm schwer wie Blei und doch konnte er einfach nicht aufhören, vor der Tür entlang zu schreiten. So lange, bis sie sich wieder öffnete. Einen kurzen Spalt nur. Er hatte den Wechsel gehört… den Wechsel des Geschreis. Die ganze Zeit über war es seine Frau gewesen, die in den Wehen gelegen hatte, die ihren Schmerz heraus brüllte. Dann erklang das Kreischen eines Säuglings. Sein Kind war auf die Welt gekommen… und lebte. Er hatte den Göttern danken wollen, in voller Inbrunst für ihre Gunst und Gnade, doch als die Tür sich öffnete, da brauchte er keinen Blick hinein werfen. Er musste das Gesicht der Schwester nicht sehen, er wusste es einfach. Seine Frau war verstummt. Sie rief nicht nach ihm, sie schrie nicht, sie… war einfach still geworden. Die Schwester brachte ihm sein Kind. Ein kleines Bündel zappelte und strampelte auf ihrem Arm, schaute aus großen Augen in die Welt. Ein kahler, noch von Blut verschmierter Kopf, kleine Finger, die ungelenk herum wirbelten und versuchten, etwas zu greifen, ohne die Fähigkeit dazu zu besitzen. Seine Frau hatte ihm ein Mädchen geschenkt und wie er es für diesen Fall mit ihr besprochen hatte, so sollte sie Mara heißen. Benannt nach der Großmutter seines Weibes. Man übergab ihm seine Tochter nicht. Jedenfalls nicht sofort - erst wollte man sicher stellen, das er sie würde halten können, ungeachtet der schweren Bürde, die man ihm auferlegen musste: Mara allein zu erziehen. Auch für die Schwestern, die die mehr als problematische Geburt verfolgt hatten, war es schwer, einen gestandenen Mann in Tränen ausbrechend auf die Knie sinken zu sehen. Sie hatten für sein Weib getan, was sie konnten, doch am Ende gab es keine Entscheidungen mehr zu treffen, keinen Spielraum. Das Kind würde sterben und seine Mutter ebenso. Letztere zu retten, war unmöglich geworden - doch sie konnten ihr noch ungeborenes Kind zur Welt holen. Man ließ ihr alle Riten zuteilwerden. Wie in Ilmwacht üblich, war die Zeremonie in kleinem Kreise abgehalten worden. Eine der Schwestern versuchte sich daran, dem Hinterbliebenen mit ihren Worten Trost zu spenden. Keine Reden darüber, das alles gut werden würde. Nein, sie spendete den Trost, den eine Jüngerin Ereshkigals spenden konnte: Seine Frau wäre vor das Gericht des Mermerus getreten und eine gute Seele wie sie hätte zweifellos Gnade und Erlösung gefunden. Eines Tages, wenn er selber den Weg alles Sterblichen ginge, würde sie ihn dort erwarten. Die Schwestern hatten nie versucht, das zu unterstützen, was sich im Rest des Landes wie eine Seuche ausbreitete: Die Verweigerung, sich mit der eigenen Endlichkeit auseinander zu setzen. Alle würden dereinst sterben und alle hätten sich zu verantworten für ihre Taten und Gedanken. Mara wuchs zu einem kleinen Energiebündel heran. Obwohl es für ihren Vater gerade in den ersten Jahren fürchterlich schwer war, bestritten sie auch weiterhin erfolgreich ihr Leben. Bis zu ihrem zehnten Lebensjahr erinnerte ihr fast puppenhaftes, rundliches Gesicht ihn an die, die er verloren hatte. Es gab eine Zeit, da hatte er den Schmerz zu ertränken versucht - wenige Monate, derer er sich kaum ein paar Wochen nach seinem Entschluss, es zu ertragen, schämte. Kaum aber, dass die junge Mara in die Jahre ihrer Reife eintrat, begannen sich die Züge ihres Vaters mehr und mehr durchzusetzen. Vielleicht sogar etwas mehr, als ihr eigener Vater es sich wünschte. Die Züge ihres Gesichtes wurden gröber, kantiger und bei den Göttern, sie schoss in die Höhe wie eine Schwarzwaldranke! Als sie zwanzig wurde, überragte sie ihren Vater um einen Kopf - und war fast so breit wie er selbst. An letzterem, so erklärte er im Scherze manches Mal, war er ja nicht ganz unschuldig. Die Familie hatte früher ihr Geld aus zwei Quellen schöpfen können. Während ihre Mutter mit Stickereien und Näharbeit ein Zubrot verdiente, schürfte ihr Vater draußen im Sumpf nach Lehm. Die schweren Karren und das müßige Handwerk hatten ihn zu einem stattlichen, kräftigen Mann gemacht, doch Mara hatte er nie für Näharbeiten begeistern können. Er versuchte immer wieder und wieder, sie an Arbeiten heran zu führen, die einem Mädchen gelegener sein sollten - zumindest seiner Ansicht nach. Doch der quirlige Wirbelwind bestand ebenso wie die temperamentvolle junge Frau darauf, ihrem Vater so nahe wie möglich zu sein. Also begann sie im Alter von sechzehn Jahren, nach vielen fehlgeschlagenen Versuchen mit anderen Berufen, ihm beim Ausschürfen des Lehmes zu helfen. Eine Tätigkeit, die nach kaum einem halben Jahr begann, auch ihre Figur zu prägen. Die weiblichen Züge verloren sich nicht restlos, doch so sehr ihr älter und älter werdender Vater auch die Unterstützung schätzte und ihren Willen, ihm beizustehen, so sehr war ihm auch klar, wie schwer es für ein Mannsweib werden würde, einen Gatten zu finden. Er wollte seine Tochter nicht als ewige Jungfer sehen, er wollte nicht in dem Wissen sterben müssen, das seine Linie vielleicht endete, weil er ihr ihren Willen gelassen hatte. Es gab manche Nächte, in denen ihn diese Sorge um den Schlaf brachte, doch wann immer er mit ihr darüber zu reden versuchte, blockte sie ab. Mara, so schien es, hatte ihren Weg gewählt. Gute drei Monate vor ihrem zweiundzwanzigsten Geburtstag begann es. Ilmwacht wurde heimgesucht… und das, ohne zu wissen, wovon. Am Anfang machte sich niemand weiter Sorgen darüber. Ein paar Kleidungsstücke verschwanden. Eine kleine Puppe - wenngleich man sich durchaus Gedanken machte, wie sie aus dem Zimmer des abgeschlossenen Hauses verschwinden könnte. Dann waren es ein paar Folianten, Schlüssel. Kleinigkeiten, die bestenfalls ärgerlich waren. Doch es wurde schlimmer. Es folgten Hühner, Messer, Waren aus den Lagern der Handwerker. Nähwerk, Schaufeln aus dem Bestand ihres Vaters, ein Schaf, zwei Schweine. Die Bewohner begannen des Nachts die Laternen im Dorf brennen zu lassen und kaum jemand ging zu diesen Zeiten noch ins Bett, ohne nicht wenigstens ein Messer in Reichweite zu haben. Zu groß war die Angst geworden, was des Nachts wohl im Dorf umgehen würde. Wenn es sich Schweine und Schafe holte, was sollte dieses Ding dann noch von den Bewohnern selbst abhalten? Viel war bekannt über allerhand dämonisches Gezücht. Die Wälder des Ostens besaßen nicht den Luxus einer Dryade, die im Namen der Göttin Phylia für Zucht und Ordnung sorgte und solchen Unrat hinaus kehrte. Schnitter und Grabläufer und Mooraugen, was es nicht für grässliche Gerüchte und Ammenmärchen gab! Niemand wusste so recht, welchen davon man trauen und sie für bare Münze nehmen konnte und welche einfach nur einer regen Fantasie entsprungen waren. Es wollte auch niemand herausfinden. Mit Dämonen legte man sich nicht an und Tieren konnte man Fallen stellen. Doch alle Fallen, die die Dörfler aufgebaut hatten, waren am nächsten Tag zerstört… und leer. Es gab häufig Spuren, doch mit denen wussten selbst die Jäger nichts anzufangen. Kein Tier, zweifellos. Etwas Zweibeiniges, groß und schwer - größer und schwerer als ein Mensch allemal. Die Angst vor der Nacht schlug erst dann in Panik und Zorn um, als knapp einen zwei Monate später Geschrei durch die beleuchteten Straßen hallte. Alle wie sie da waren, die Bauern, die Jäger, die Handwerker und Kaufleute, die Metzger und Alchemisten, kamen herbei. Mit Messern und Heugabeln, mit Schaufeln, Schmiedehämmern und Spitzhacken traten sie vor ihre Türen, traten hinaus in den seltsam dichten Nebel, der über den Boden kroch und folgten den Schreien. Natürlich waren sie längst verstummt, als man am Haus angelangte. Ein kleiner Hof in Nord-Ilmwacht, die Familie war bekannt und beliebt. Sie machten trotz des säuerlichen Bodens wunderbares Getreide, das dem hiesigen Brot einen einzigartigen Geschmack gab. Niemand hatte etwas gegen diese Leute - umso größer war das Entsetzen, als man das Haus betrat. Schlick und Schlamm hatten große Spuren hinterlassen, die Haustür stand schon bei Ankunft der Bewohner offen - das Schloss hielt dicht, war einfach mit samt einigen Holzsplittern und der Tür ins Innere gedrückt worden, bis es herausgebrochen war. Das Schlafzimmer der Eltern hatte sich im oberen Stock befunden… ihr Sohn schlief unten. Für Mara war es ein furchtbarer Anblick. Das erste Mal, dass sie einen toten Menschen zu Gesicht bekam. Es war etwas anderes, von Moorleichen, Grabläufern und Halluzinationen zu hören, die die merkwürdig riechenden Schwaden im Sumpf manchmal auslösten. Das hier… das war Adam, der gerade mal fünfjährige Sohn der Familie. Seine Augen waren weit aufgerissen, voller Panik, voller Entsetzen. Seine Glieder unwirklich verdreht, die Arme gebrochen, der Kopf… bei den Göttern, wie man seinen Kopf verdreht hatte! Mara übergab sich. Viel hatte sie zum Abendbrot nicht gegessen, doch alles würgte sie hervor, kaum, dass sie mit letzter Beherrschung fluchtartig das Haus verlassen hatte. Sie kannte Adam, sie mochte ihn. Ein aufgeweckter Junge, der ab und an zur Lehmgrube kam und sich mit ihr unterhalten hatte. Jeder hier… kannte Adam. Damit war schließlich doch noch eingetreten, was alle befürchtet hatten. Was immer das Dorf heimsuchte, es machte nicht bei Schafen und Schweinen halt, es ließ sich nicht von Fallen abschrecken. Die Schreie des Jungen waren durch das ganze Dorf geschallt und dennoch hatte niemand auch nur eine Spur der Kreatur gesehen, nicht einmal seine Eltern. Wie war das möglich? Doch nach allem, was sich gezeigt hatte, wurde Mara eines klar: Hiermit würde es nicht enden. Der Dorfrat berief eine Versammlung ein. Schon am Mittag des Folgetages pilgerte jeder Mann, jedes Weib, jedes Kind und alle Alten zum Kloster herauf, hinter dessen dicken Wänden und schweren Toren man sich sicher fühlte. Die Schwestern boten Zuflucht an, brachten jedoch auch schwerwiegende Probleme zur Sprache: Ein jeder, der sich bei ihnen verstecken würde, wäre eine Belastung für ihre Vorratskammern. Unwissend, wie lange dieses Wesen wüten würde, könnte die gesamte Existenzgrundlage der Flüchtlinge zusammen brechen und irgendwann würden auch die Gärten des Ordens nicht mehr genügen, um alle zu ernähren. Empörung kam auf. Ziellos erfasste sie in blinder Furcht die Schwestern, warf ihnen mangelnde Fürsorge vor, es wurde getuschelt, gelärmt, man beschwerte sich. Nach Rat wurde gebeten, nein, verlangt! Ein Bittgesuch an Meister Halon, so brachten andere lauthals vor. Man solle doch den Magier drängen, die Bestie zu bezwingen. Dafür waren die Zirkel doch da, nicht? Es war der Zeitpunkt, da die Oberin des Ordens ihrer Schwester sanft die Hand auf die Schulter legte und mit ernstem, strengem Blick an ihr vorbei vor das versammelte Publikum trat. „Ruhe!“ gebot sie mit herrischer Stimme… und die Menge schwieg abrupt. „Seid ihr denn nur alle des Wahnsinns? Wir können nicht ganz Ilmwacht bei uns aufnehmen und durchfüttern und selbst wenn es möglich wäre, würde dieses Wesen dort draußen weiter umher ziehen. Vielleicht nistet es sich hier gerade erst ein und versucht sein Revier abzustecken? Seht euch doch an! Hinter Mauern wollt ihr euch verkriechen und ausharren, oder einen alten Mann vorschieben, der schon seinen Karren voller Wertsachen wieder mitzunehmen vergessen hat. Schämt ihr euch denn nicht? Wir haben die Bürger Ilmwachts stets zu respektieren gewusst. Ihr wart stolz auf das, was ihr euch mit schwerer Arbeit und Fleiß erworben habt, ihr habt es immer zu verteidigen gewusst, gegen die Kapriolen des Wetters, gegen die Tiere aus der Wildnis. Ist denn keiner unter euch, der auch jetzt diesen Mut aufbringt? Heute Nacht sah ich die Fackeln im Dorf, ich sah euch alle den Schreien dieser armen Seele folgen. Was hält euch ab, selbst zu verteidigen, was euer ist?“ Es war eine Moralpredigt, das war allen klar. Hier und dort senkten sich betreten und beschämt die Blicke, doch als die Oberin verstummte, da legte sich der Schleier der Stille über den gesamten Platz. Ihr Blick, prüfend, aufrufend, streifte über die Menge und fand nur Augenpaare, die betreten auf ihre Fußspitzen starrten. Sie alle schämten sich, aber Scham allein würde dem Dorf nicht helfen, es würde dem kleinen Jungen nicht helfen. Mara wusste die Antwort. Sie wusste, was alle hier zurück hielt. Es war die gleiche Furcht, die auch ihr tief in der Brust saß und klammer Hand ihr Herz umschloss. Dort draußen war etwas, das nur in der tiefen Dunkelheit der Nacht zuschlug. Es war groß, es war schwer und dennoch schnell und geschickt. Große Kraft hatte es und… dann war da dieser Nebel. Ilmwacht hatte seinen Grund und Boden dem Moor abgetrotzt. Hier dürfte es keinen Nebel mehr geben, jedenfalls nicht solchen. Alle vermuteten einen Dämon dahinter. Alle fürchteten sich, ausnahmslos. Aber nur ihr Blick begegnete fest dem der Oberin. Diese Augenblicke schienen sich zu einer kleinen Ewigkeit zu dehnen. Die Worte der Schwester hallten in Maras Kopf wieder. Der Stolz der Bewohner Ilmwachts. Die Verteidigung all dessen, was sie sich hart erarbeitet haben. Sie musste an ihren Vater denken, die Tage seiner Sorge und die, an denen er fröhlich pfeifend mit dem Spaten auf die Lehmgrube einhob. Sie musste an die Händler denken, das Marktfest, an Meister Halons Besuche… an die Minuten, in denen ein kleiner, neugieriger Junge am Rand der Grube gesessen, sie mit seinem Geplapper abgelenkt und ihr zugleich die Arbeit etwas leichter gemacht hatte. Die Oberin war eine alte Frau. Mit dem Alter kam die Weisheit: Sie sah die Veränderung. Als könne sie alle Erinnerungen und Gedanken direkt von ihrer Stirn ablesen. Bekräftigend und mit dem Ergebnis zumindest im Ansatz zufrieden, nickte sie ihr zu. Sie sah, wie jene Einzige, die ihrem Blick nicht auswich, sich durch die Menge schob. Nur ihr Vater wagte ihr nachzublicken, leise ihren Namen zu flüstern. Mara klopfte dem Schmied auf die Schulter. „Leih mir deinen Hammer und ich werde dieses Monster töten!“ Gewiss, sie hatte nicht geflüstert. Doch angesichts des Schleiers aus Schweigen und Stille, zerrissen ihre Worte doch das zarte Geflecht der Dorfgemeinschaft. Man hörte manchen nach Luft schnappen, ihr Vater rief sie mit einem Ton von Entrüstung und Furcht und viele Blicke legten sich plötzlich auf die Halbwaise. Selbst erschrocken über diesen Effekt, wollte sie einen Moment die Schultern einziehen und sich klein machen - doch bei ihrer Statur hätte das bestenfalls unfreiwillig komisch gewirkt. Viele versuchten sofort, die scheinheilige Einigkeit wiederherzustellen. Man redete auf sie ein, wie gefährlich das sei. Das sie Zeit ihres Lebens nie etwas anderes getan hätte, als Lehm für Ausbesserungsarbeiten und neue Hütten aus der Grube zu schaufeln. Dass sie nichts hätte, womit sie einem Dämon gegenüber treten könne und er sich zweifellos auch von einem Hammer nicht beeindrucken ließe. Die Stirn der Oberin legte sich in Zornesfalten, als sie dies mitansehen musste. Einmal mehr rief ihre Mark und Gebein durchdringende Stimme die Versammelten zur Raison. „Wenn es ihr Wille ist, einzustehen, wo euer Mut versagt, dann solltet ihr für ihren Erfolg Sorge tragen und nicht ihre Mühen untergraben!“ schimpfte sie die Dörfler erbost aus, „Und jetzt hört auf, wie die Lämmer drein zu schauen!“ Mara wusste nicht, worauf sie sich eingelassen hatte. Das wurde ihr spätestens klar, als man ihr gegen Nachmittag, als die Bewohner in ihre Häuser zurückgekehrt waren, den gewaltigen Hammer in die Hand drückte, der der ganze Stolzes des hiesigen Schmiedes war. Ein wuchtiges, großes Ding mit so viel Gewicht, das mancher Hänfling ihn kaum hätte heben können. Mara konnte ihn gut schwingen, doch sie spürte in jedem Knochen und jedem Muskel, das ihr Körper daran nicht gewöhnt war - und die Bäume, an denen sie den restlichen Tag trainierte, nun, die spürten ihre Unerfahrenheit ebenso. Ihr Vater hatte versucht, es ihr auf dem Rückweg auszureden. Natürlich hatte er das getan - was wäre er sonst für ein Vater gewesen? So manch anderer ebenso, doch am Ende hatte die Halbwaise genau ein solches Machtwort gesprochen, wie die Oberin es verwendet hatte. Der Tag strich dahin und sie versuchte, die eigene Nervosität herab zu würgen. Sich so sehr auf ihr Training zu konzentrieren, auf die kraftvollen Schwünge des Hammers, seine Balance, seine Trägheit, dass sie die eigene Sorge vielleicht würde vergessen können. Doch so leicht war das nicht. Sie zog das erste Mal in einen Kampf. Nie zuvor hatte sie sich auch nur geprügelt - die anderen Kinder, selbst die Jungs, hatten einfach schon früher zu viel Angst gehabt. Erst fürchtete man ihren bärenhaften Vater, der seine Tochter schützte, später die bärenhafte Tochter. Doch sie bezweifelte, dass sie diese Kreatur ebenso einfach würde einschüchtern können. Der Tag neigte sich mehr und mehr dem Abend zu, die Sonne versank im Westen weit hinter den Wäldern und die Einzige, die bereit war, für Ilmwacht einzustehen, kehrte heim. Sie hatte sich nicht völlig verausgabt, wohlwissend, dass diese Nacht ihre erste Chance war, doch es ließ sich auch nicht abstreiten, das es viel Ausdauer und Kraft kostete, eine solche Waffe zu führen. Wie das wohl die ganzen Helden in den abenteuerlichen Büchern immer taten? Mara bezweifelte inzwischen, dass diese beliebten Romane den Tatsachen entsprachen. Sie selbst hatte sich darin versucht, lesen zu lernen, es dann aber aus Desinteresse ihrem Vater überlassen, hin und wieder etwas vorzutragen. Große Männer, breit wie Schränke, die mit der Kraft von drei Ochsen Trollen die Kiefer brachen! Ihr hatte dieses Bild immer gefallen. Nur, das sie anders als viele Mädchen, nicht den Helden anschmachtete, sondern sich selbst in seiner Rolle vorstellte. Es war spät, die Zeit des Abendbrotes längst vergangen. Draußen wurde es still, sah man von den Geräuschen der Waldtiere und des Sumpfes selbst ab und die Laternen kämpften ihren dieser Tage allnächtlich gewordenen Kampf gegen die Finsternis. Just in dem Moment, als Mara über die Klugheit ihrer Absicht ins Wanken und Zweifeln geriet, klopfte es an der Pforte. Ihr Vater zog die Tür auf, noch bevor sie die Treppen herabgeeilt war und seine Reaktion allein überraschte sie. Tief verbeugte er sich, voller Demut, wünschte eine ruhige Nacht und trat bei Seite, jemanden einzulassen. Die Oberin, die daraufhin zuerst eintrat, kannte sie schon. Ihr Gesicht, vom Leben gezeichnet, fuhr die Treppenstufen bis zu ihr herauf und nickte ihr ernst zu. Unweigerlich musste sie sich fragen, ob diese Frau überhaupt fähig war, zu lächeln. Konnte sie etwas anderes, als ernst zu kommandieren und erbost zu rügen? Vielleicht, so stellte sie mit einer gewissen Spur von Mitleid fest, gab es für Schwestern Ereshkigals gar nicht so viel Grund, zu lächeln. Was für ein trauriges, einsames Leben das wohl sein musste…? Als direkt hinter der Oberin noch jemand eintrat, verschluckte sich auch Mara im ersten Moment. Oh sie hatte ihn gesehen, sicherlich. Ein, zwei Mal. Meist auf dem Markt, umringt von einer großen Traube Neugieriger und Händler, die Hunderte von Fragen zu haben und wirr durcheinander zu stellen schienen. „Meister Halon!“ keuchte sie überrascht, hastete die wenigen verbliebenen Stufen herab und verneigte sich ebenso vor dem hohen Besuch in ihrem einfachen Heim. Erst, als sie aufsah, bemerkte sie etwas, das sie irritierte. Meister Halon war ein gutmütiger, wenn auch strenger Mann. Man sah ihn meist lächeln oder mit einem Schmunzeln alte Anekdoten erzählen, aus den Zeiten, als er noch jung war und voller Abenteuerlust durch die Lande zog. So, wie es seinen Berichten nach wohl alle Magier der Zirkel in ihren ersten Jahrhunderten taten. Oft hatte sie sich dann gefragt, wie alt Magier wohl werden konnten - oder wie alt Meister Halon war. Nun aber stand kein lächelnder, schmunzelnder oder Geschichten erzählender Greis voller Weisheit vor ihr. Nein, viel eher… ein gebrochener Mann. Schmerz und Kummer zogen tiefe Furchen in sein Gesicht und zeichneten ihn. Zu viert setzten sie sich in der kleinen, bescheidenen Wohnstube. Nur zögerlich begann der Magier des Turmes zu berichten, was ihn zu solcher Stunde hier heraus trieb. Auch Ilmwacht, so abgeschottet es vom Rest des Landes zu sein schien, hatte Stolz, Ehre, Traditionsgefühl und… wusste um Rüge und Verpflichtungen. Es fiel dem Magier sichtlich schwer, davon zu berichten, wie er die Bäuerin verführt hatte. Zumal gerade er, ein alter Mann, der außer Wissen scheinbar nichts aufzubieten vermochte. Die Gründe, wie diese Verbindung zustande hatte kommen können, blieben Mara völlig schleierhaft. Irgendetwas musste sie an ihm gefunden oder in ihm gesehen haben. Der Schmerz aber, der ihn umtrieb, resultierte aus dem Verlust seines Sohnes. So sehr Mara versuchte, es sich vorzustellen - sie konnte einfach keine Verbindung zwischen Meister Halon und Adam schaffen. Die Augen, die Nase, die Ohren, ganz gleich. Egal, woran sie sich zu orientieren versuchte, es gelang ihr einfach nicht. Vielleicht hatte sie Adams Gesicht falsch in Erinnerung? War das möglich, so kurz nach seinem Tode schon? Oder wirkte es nur so unwirklich, weil sie der Bäuerin nie solch eine Tat zugetraut hätte? Ihren Mann zu hintergehen, ihn zu betrügen, ihn auch noch über Jahre hinweg weiterhin zu belügen über die Herkunft desjenigen, den er als seinen eigenen Sohn ansah. Man bat sie um Verschwiegenheit. Nicht nur, um den Schmerz der Mutter nicht zu mehren, die erst ihren Sohn verloren hatte. Man würde sie ächten, ihr Mann würde sie vielleicht sogar verstoßen. Eine ganze Familie würde restlos zerbrechen, nachdem der Verlust sie schon geschwächt hatte. Ohnehin waren die einzigen vier, die davon Kenntnis trugen, nun in diesem Raum versammelt. Die Oberin selbst hatte seinerzeit die Geburt überwacht und im Geheimen alle paar Monate Kunde über den Jungen zum Turm senden lassen. Ein merkwürdiges Geflecht von scheinbaren Intrigen und Absprachen tat sich vor Mara auf, das sie so nie vermutet hätte. Doch als wäre dem nicht genug, als fühlte sie sich nicht schon ein klein wenig mit all diesen schockierenden Neuigkeiten überfordert, eröffnete man ihr erst im Anschluss an jene Offenbarung, weshalb jener hohe Besuch sich bei ihnen eingefunden hätte. Ihrer Jagd nach der Kreatur wegen natürlich - wie auch sonst sollten die Zusammenhänge beschaffen sein? Der Vater, der sich nie zu erkennen gegeben hatte, sann auf Vergeltung. Vielleicht wäre der Oberin lieber gewesen, dass er es Gerechtigkeit genannt hätte, doch Rache blieb es allemal. Nun war ein Magier weißer Nekromantie nicht dazu geeignet, den Feind zu finden, zu stellen oder gar zu bezwingen. Er verstand sich mehr auf Heilung und Schutz - also tat er für die Jägerin, was er konnte. Er überreichte ihr eine kleine Phiole, mit den Worten, sie vor dem entscheidenden Kampf zu verwenden. Wie das Elixier darin wirkte, vermochte er ihr nicht zu erklären. Mara spürte, wie unangenehm ihm das war. Er konnte es zweifellos beschreiben - aber sie es nicht verstehen. Weil er von Dingen würde reden müssen, die außerhalb, weit außerhalb ihres Horizontes lag. Also nahm sie ihm diese Last ab und erkundigte sich, ohne beleidigt zu sein, nach dem eigentlichen Effekt. Auch dabei hielt er sich recht vage und sprach davon, dass es sie beschützen würde. Die Oberin, die dem Magier die Kunde persönlich überbracht und ihn hierher geführt hatte, gab der Halbwaisen im Anschluss ihre ganz eigene Stärkung mit auf den Weg. Eine Segnung durch die Göttin Ereshkigal, geführt von der Hand einer ihrer höchsten Dienerinnen. Mara wusste nichts recht zu erwidern, also bedankte sie sich und empfand die Worte als schrecklich unzureichend. Als ihre Gäste sie wieder verließen, war die junge Frau noch aufgewühlter als zuvor. Waren all die Dinge, die sie erfahren hatte, denn wirklich für ihre Ohren bestimmt? Stand es so schlimm um sie, dass man ihr irgendwelche Elixiere geben musste? Wussten die anderen vielleicht bereits, worauf sie sich da einließ? Unsicher saß sie auf einem Schemel am Fenster, den schweren Großhammer auf ihren Oberschenkeln abgelegt und spielte unbewusst an der kleinen, robusten Phiole herum, die man ihr gegeben hatte. Ihr Blick fiel nach draußen, in den Wald, zu den anderen Häusern, auf die Straße selbst. Sie suchte Anzeichen, dass etwas nicht richtig wäre. Suchte nach dem Nebel, der über den Boden kroch und hoffte doch inständig, nichts zu finden. Natürlich… wurde sie enttäuscht. Zu einer Zeit, als längst ein jeder schlief und auch Mara die Lider schwer wie Blei wurden, begann er sich zu bilden. Dieser watteweiche, weißgraue Teppich, der so dicht war und über Schuh und Fuß kroch, dass man nicht den Boden darunter sehen konnte. Sie nahm allen Mut beisammen, besann sich auf ihren Vater, auf Adam, auf den Schmerz in Meister Halons Gesicht und den Stolz im Blick der Oberin. Mit viel Mühe verdrängte sie die Frage, was wohl geschehen würde, wenn sie mit dem Hammer einfach die Tür blockieren würde und sich nach oben in ihr Bett scherte. Die ersten Schritte hinaus waren die Schwersten. Sie fröstelte sofort, doch die Nachtkälte trieb ihr zumindest die Müdigkeit wieder aus. Lautlos zog sie die Tür zu und begann ihren Rundgang durch Nord-Ilmwacht. Fast eine halbe Stunde lang wanderte sie zwischen den Häusern umher, den Hammer über der Schulter, und fand nichts, sah nichts. Der Nebel war ungewöhnlich, aber vielleicht hatte er sich auch auf normalem Wege gebildet? Auf natürlichem Wege? Doch dann erweckte etwas ihre Aufmerksamkeit. Es war ein verstörendes Bild, das sich dort ergab. Eine Alte schob sich über die Straße. Schwerfällig waren ihre Bewegungen. Sie sah sich immer wieder um, erspähte aber Mara nicht, die ihrerseits mit einer frischen Brise zu kämpfen hatte, die ihr entgegen stob. War das nicht die Mutter des Bäckers? Aber gute Güte, der wohnte doch in Süd-Ilmwacht?! War die gute Frau denn schon so alt, das sie in der Nacht wirr umher lief und sich bis hierher verirrte? Sie erkannte ja nicht einmal, dass die Tür, die sie zu öffnen versuchte, nicht jene ihres eigenen Hauses war! Halt. Argwöhnisch kniffen sich die Augen Maras zusammen, während sie die Alte genauer musterte. Ja, zweifellos, das war die alte Mutter des Bäckermeisters. Zumindest… sah sie sehr nach ihr aus. Einen langen Moment wünschte sich Mara, sie hätte Meister Halon danach gefragt, was die hiesigen Dämonen für Fähigkeiten besaßen. Mehrfach hatte die Alte in ihre Richtung geschaut und sie trotz der Laternen nicht bemerkt, aber die Mutter des Bäckers kämpfte auch mit ihrem Star. Kaum aber, dass der Wind drehte, veränderte sich das Verhalten der Alten. Sie ließ von der Tür ab, reckte das gebeugte Kreuz und hielt die Nase empor, als wolle sie damit Regentropfen fangen. Ruckartig riss sie sich herum, direkt zu ihr und… erstarrte. Vielleicht versuchte sie noch immer etwas zu sehen, etwas zu erkennen. Sie harrte einfach aus. Schließlich, als ihr diese Sache zu unheimlich wurde, gedachte die Halbwaise dem ganzen Spuk ein Ende zu setzen. Das war nicht mehr als eine alte Frau, die sich verlaufen hatte, redete sie sich ein. Und sich etwas merkwürdig verhielt. Und besser riechen konnte als jeder Wolf… gute Güte. „Kann ich-“ setzte sie gerade an, doch schon beim ersten Ton ihrer Stimme kam Bewegung in die Vettel. Der Nebel schien an ihren Beinen abrupt herauf zu kriechen, doch was Mara anfangs für einen Angriff der Bestie auf die Alte hielt, entpuppte sich rasch als irgendeine Magie! Wie sonst ließ sich erklären, dass der Buckel so abrupt verschwand und sie flink davon spurtete, in Schrittgrößen, die ihre kümmerlichen, gebrechlichen kleinen Beine niemals hätten hergeben dürfen? Mara setzte der Alten nach und bemerkte auf der Straße überall große, breite Spuren von Schlick und Schlamm. Aus den Mooren war das, hatten sie im Heim Adams gesagt. Wenn dies das Monstrum war, das sie jagte, dann besaß es die Fähigkeit, sich das Aussehen von anderen zu stehlen! Es hätte sogar zum Zeitpunkt der Gräueltat, als alle Einwohner sich im und um das Haus versammelten, noch in der Menge stehen und diebisch über sie alle lächeln können! Die blanke Wut, geboren aus der Empörung über diese Vorstellung, ließ Maras Schritte gewaltig werden. Wuchtig trat sie auf den Boden und rannte dem Wesen nach, das in die Sümpfe zurück floh. Sie folgte der Kreatur über fast zwei Stunden, ehe es dieser gelang, sie doch noch abzuhängen. Überall war plötzlich Nebel, er kroch aus jeder Ritze hervor, so schien es. Geräusche hier und dort, Lockrufe, Vogellaute, der ganze Sumpf schien sich gegen sie verschworen zu haben. Ohne jeden Zweifel wäre Mara in dieser Nacht umgekommen. In einem Morast versunken oder in einem der zahllosen Wasserlöcher ertrunken. Doch die Arbeit in der Lehmgrube hatte sie vieles gelehrt. Sie wusste, wo sie ihren Fuß setzen konnte und wo nicht. Dazu musste sie nicht den Boden sehen, es genügte ihr, zu wissen, was nur in wässrigem oder dickflüssigem Boden wuchs und welche Pflanzen auf festen Untergrund angewiesen waren. Sie hielt sich an Bäume und Büsche, an Gras und mied die Schilfrohre und prächtigen Seeblüten. Ganz ohne es zu wissen, entging sie damit einer Falle nach der anderen, die man im Gegenzug ihr gestellt hatte. Doch als die Nacht endete und sich die Spur verlor, musste Mara einsehen, dass sie nicht nur tief in die östlichen Sümpfe vorgedrungen war, nein, sie hatte sich auch heillos verlaufen. Erst, als die Sonne aufging und über die Wipfel brach, suchte sie sich einen hoch gewachsenen, starken Baum und kletterte daran herauf. Was immer dieses Ding war, es war vielleicht stark, aber auch groß und schwer - es würde wohl kaum in einen Wipfel klettern können. Fast bis zum Nachmittag schlief Mara durch, ehe sie wieder erwachte. Zunächst bemühte sie sich, von ihrer Höhe aus einen Überblick zu bekommen. Wenigstens über das Stückchen um sie herum, doch weder fand sie Anzeichen des Dorfes, noch der Kreatur. Ziellos wanderte sie mit schwindender Hoffnung und wachsender Frustration in die Richtung, die sie für Westen hielt. Es war, wie sie rasch feststellte, viel schwerer als gedacht, den Lauf der Sonne zu verfolgen und ganz ohne es zu wissen, begab sie sich sogar in die völlig entgegengesetzte Richtung. Als es wieder dunkelte, machte sie sich erneut auf Angriffe gefasst. Doch der Nebel blieb aus. Die Lockrufe, die Tiergeräusche… nur das Zirpen von Grillen und das Quaken der Kröten war zu hören. Es dauerte bis in die Nacht hinein, da glaubte Mara etwas im Wind zu hören. Zartes Geflüster, leise Rhythmen und Melodien. Sie steuerte darauf zu und je länger sie in jene Richtung schritt, umso klarer wurden die Laute. Dort sang jemand. Mehrere sogar, ein kleiner Chor. Schließlich trat sie völlig unverhofft aus einer Reihe dicht gewachsener Büsche hervor und fand sich an einem merkwürdigen Ort wieder. Ein großer See, auf dem der ihr wohlvertraute Nebel merkwürdige Formen schuf. Fester Grund umringte ihn, auf dem die Büsche und Bäume eine Art von Sichtschutz zu formen versuchten. Wie gezielt und merkwürdig die Vegetation hier wuchs, irritierte Mara zunächst mehr als die Gesänge selbst. Ihre Laute waren so fremdartig. Schön anzuhören, sehr melodiös, und doch lag darin ein unterschwelliger Ton der Bedrohlichkeit. Am anderen Ufer erkannte sie, nachdem ihr Blick weit über den See geschweift war, eine Gruppe von Gestalten. Auf die Entfernung und schlechte Beleuchtung konnte sie nicht erkennen, um wen es sich handelte, ja nicht einmal, um wie viele Personen. Doch sie schienen zu tanzen, zu singen. Es wirkte, als hätte sie… eine Feierlichkeit gestört? Nun, noch hatte sie ja niemand bemerkt. Sie könnte einfach wieder gehen und weiter nach- Doch Stopp! Mitten in der Gruppe des Chores ragte etwas auf. Durch die Formspiele des Nebels hatte sie es zunächst nicht bemerken können, es für einen Teil dieses Wirrwarrs gehalten. Doch dort stand etwas, das die Gestalten um es herum deutlich überragte. „Hallo?“ rief Mara lauthals herüber und grämte sich schon im nächsten Moment, „Ach, das war dumm!“ fluchte sie leise zischend. Sie hätte sich anschleichen können, um erst einmal zu sehen, mit wem sie es da zu tun hatte! Abrupt brachen Tanz und Gesang auseinander wie Glas, das auf den Boden schlug. Die Szenerie am anderen Seeufer erstarb zur Gänze. Jene, die sie als Feiernde vermutete, verschwanden mit einer unglaublichen Agilität in die Büsche und Bäume - und das große Ding, das in ihrem Zentrum gestanden hatte, warf sich mit einem großen Platschen in den See. Sie sah die Schneise, die es zog. Dieses Ding kam direkt auf sie zu… und bei den Göttern, war es schnell! Unsicher wie nie zuvor schlug ihr das Herz vom Hosenboden bis zur Kehle, als sie den Hammer von ihrer Schulter hob und sich bereit machte, einem Feind zu begegnen. In Gedanken sandte sie Stoßgebete an Ereshkigal, sie möge über ihre Seele wachen - nur für den Fall der Fälle -, an Damaste, sie möge ihren Vater beschützen und nicht zuletzt… an Arimasper, den Herrn des Blutes, den Kriegsgott, das er ihre Schläge präzise und kraftvoll führen solle. Was sich kurz darauf dort am Ufer erhob, verschlug ihr fast die Sprache. Etwas so Grässliches hatte Mara noch nie zuvor gesehen. Ein Monster, wahrhaftig! Diese Kreatur überragte selbst sie um zwei Köpfe, der gewaltige Leib triefte von Seewasser, umschlungen von Algen und Farnblättern, Lianen, bewachsen mit Krebsen und Muscheln und Schnecken. Keine Haare auf dem kahlen, platt wirkenden Schädel, nur gewaltige Füße, die in einem Klumpen aus morastigem Erdreich ausliefen. Das Gesicht die verzerrte Maske eines Menschen, die Augen so tief in den Höhlen, das sie nur im Moment seines tief röhrenden Wutschreies die milchig-weißen Pupillen erkennen konnte. Mara wurde von ihrer eigenen Angst fast übermannt. Es war der Moment der Wahrheit, der Augenblick, an dem sich entscheiden sollte, ob die Oberin damit Recht gehabt hatte, ihr Vertrauen in sie zu setzen. Sekundenbruchteile vergingen, in denen der Zwiespalt in ihr wuchs und wuchs und sie zu verschlingen drohte - bis sie eine Entscheidung fällte. Nicht aus Vernunft heraus, keineswegs. Diese Kreatur war größer und stärker als sie es je hätte werden können, sie würde sie in der Luft zerreißen können. Doch da waren wieder die Gesichter gewesen. Das Lächeln ihres Vaters, die Stimme Adams, der stolze Blick der Oberin… und der Kummer im Gesicht des Magiers, den Ilmwacht so schätzte. Die Scham in den Gesichtern der anderen Dörfler. Ein kräftiger Schwung trug den Hammer horizontal direkt auf den Schädel der Bestie zu. Ein solcher Hieb, ganz gleich wie dick der Knochen auch wäre, würde dieser Missgeburt sicherlich alle Lichter löschen! Eine Hoffnung Maras, die durchaus stimmte - doch dazu müsste sie auch treffen. So schwerfällig, wie sie die Waffe führte, bewegte sich auch ihr Feind. Im Wasser hatte er eine ungeheure Grazie und Geschwindigkeit gezeigt, doch hier, auf festem Grund, da schien er so… behäbig und träge. Mara sprang vor einem wuchtigen Hieb seiner Pranke zurück, führte den nächsten Hammerschlag. Beide entkamen in abwechselnder Reihenfolge den Attacken ihres Feindes und erst kurz, bevor es zu spät war, bemerkte Mara, das ihr Feind sie beständig weiter auf den See zuzutreiben versuchte. Nur einen Herzschlag benötigte sie, seine Intelligenz zu begreifen. Im Wasser war er ihr überlegen, mehr als das - und noch zwei Schritte, und sie würde darin stehen. Was, wenn der Nebel kein Zufall wäre? Was wenn er auch, so wie die alte Vettel, ein Zauber dieses Monsters wäre? Er würde sie ertränken. Einfach so. Die Verzweiflung begann ihre Schläge zu führen. Sie wirbelte erneut in einer Horizontale, doch der Gegner wich zurück, ehe er nachsetzte. Genau das, worauf sie gehofft hatte. In einer kleinen Pirouette drehte sie sich komplett herum, beschleunigte den Hammer immer weiter, bis sie eine volle Drehung beendet hatte… und der Kopf der gewaltigen Waffe voller Wucht auf die Flanke ihres Feindes traf. Die Kreatur brüllte voller Zorn und Schmerz, als Knochen in unzählige Splitter zertrümmert wurden. Von der Trägheit des Hammers gestoßen, wurde das schwerfällige Monstrum zu Boden geschleudert und Mara, blind vor Wut, Angst und Aufregung, ließ ihm keine Zeit, sich zu erholen. Noch bevor das Wesen den Versuch wagen konnte, sich aufzurichten, war sie über ihm, trat ihm auf die Brust und pinnte ihn damit an den Boden, hob den Hammer empor und ließ das Gewicht aus der größten Höhe, die ihr möglich war, ungebremst auf seinen Schädel nieder fahren. Ein widerwärtiges Knacken erklang, ein Gurgeln schloss sich an, ehe es am Seeufer still wurde. Mara ließ den Hammerstiel los. Zittrig war sie vor Aufregung, Adrenalin peitschte durch ihre Adern. Mit fahrigen, unsicheren Schritten trat sie von ihrem Feind zurück, sank auf die Knie und tastete nach etwas zu trinken. Ihre Kehle… fühlte sich so furchtbar trocken an. Sie bemerkte nicht einmal, wie sie den Trinkschlauch verfehlte und stattdessen die Phiole leerte. Sie konnte ebenso die Augen nicht von diesem Monster ablassen. Es hatte sie zu töten versucht… auf eine heimtückische, hinterlistige Art und Weise hatte dieses Ding, von dem sie nicht einmal wusste, was es eigentlich war, sie zu töten versucht. Eine Erkenntnis, die sie schwer traf. Sie hätte hier sterben können. „Das war ein schwerer Fehler.“ erklang eine andere Stimme unweit hinter ihr. Aufgeschreckt wirbelte Mara auf die Füße springend herum und… starrte auf mehrere Bögen, straff gespannt, deren Pfeile auf sie zeigten. Die Gestalten, die am anderen Seeufer gestanden hatten, gekleidet in lang fallende Gewänder. Nur einer, der, der mit ihr sprach, hatte seine Kapuze zurückgezogen. Tiefschwarze Haare ergossen sich über seine Schultern. Ein schmales, fein geschnittenes Gesicht, makellos, fast feminin. Darin kalte, zornige Augen, die auf der bezwungenen Kreatur lagen und dann brennend zu ihr wanderten. Nur die Ohrspitzen, die unter den Haaren hervor lugten, verrieten Mara, um was es sich bei den Sängern gehandelt hatte. „Warum…?“ keuchte sie fassungslos. Elben. Das Singen… das Tanzen… sie hatten dieses Ding dort gerufen, nicht wahr? Sie hatten es beschworen. Und dieser See, um den die Bäume und Büsche wuchsen, als wollten sie fremde Blicke abhalten? War das ebenso ihr Werk? Wussten sie von den grausamen Taten dieses Monsters? Hatten… sie es vielleicht sogar auf Ilmwacht gehetzt? Einen kurzen Moment lang bedauerte Mara regelrecht, diese Kreatur getötet zu haben. Was, wenn sie nur ein Werkzeug umgebracht hatte? Ein Wesen, das zwar raffiniert genug für Fallen und Taktiken war, aber nicht begriff, wie man es hintergangen und benutzt hatte? Doch vielleicht war diese Bestie auch gar nicht so unschuldig gewesen… jetzt ließe sich das nicht mehr sagen. Nur warum griffen Elben Ilmwacht an? Esgaroth war weit vom Dorf entfernt und beide hatten nie zuvor in Streit gelebt. Man ließ einander in Ruhe, so war es seit alters her gewesen. „Eure Gegenwart hier beschmutzt diesen Grund und Boden, unseren Boden.“, erwiderte der Elb voll der Inbrunst eines überzeugten und überaus rassistischen Geistes. „Ilmwacht gehörte seit jeher uns!“ wagte Mara einen Moment selbst erzürnt zu widersprechen. Die Miene ihres Gegenübers verfinsterte sich schlagartig - etwas, das sie trotz der schlechten Sichtverhältnisse in tiefster Nacht kaum für möglich gehalten hätte. „Wie kann euch etwas gehören, das nur sich selbst gehört, dummes Kind?! Dieses Lebewesen, das ihr so achtlos getötet habt, hat nur sein Heim verteidigt!“ „So wie ich!“ plärrte Mara außer sich über diese Arroganz dem Elben entgegen. Die Bögen um sie herum strafften sich weiter, doch Mara hatte keine Aufmerksamkeit mehr für die drohende Gefahr oder die Gebärden selbst übrig, zu sehr hatte dieses verdammte Spitzohr ihr Temperament aufgestachelt, „Dieses Ding hat ein Kind getötet, ein wehrloses, unschuldiges Kind!“ brüllte sie und schritt auf den Elb zu. „Ihr Kurzatmigen seid alle Kinder, aber keines von euch ist unschuldig oder wehrlos! Wer nicht weichen will, hat den Tod verdient!“ erwiderte der Fanatiker ebenso erbost und beging den schweren Fehler, seinerseits näher zu treten. Ohne große, weitere Worte packte Mara diesen offenkundig Wahnsinnigen bei der Kehle und hob ihn ohne Mühe vom Boden. Er wog kaum etwas, selbst fast wie… ein Kind. Die Pfeile bohrten sich in ihren Körper. Holzstifte mit einem Schwanz aus Federn, die aus ihren Oberarmen lugten, aus ihrer Flanke, ihrer Schulter. Die Elben verwandelten sie fast in ein Nadelkissen. Als der Beschuss nichts half, stürzten sie sich auf sie, warfen Mara zu Boden, die drauf und dran war, ihren Anführer mit bloßen Händen zu erwürgen. Ganz gleich, wie sehr sie sich bemühten, sie konnten die kraftvollen Pranken nicht lösen, die sich wie ein Schraubstock um die Kehle des Ihren gelegt hatten. Sie wich nicht, sie zögerte nicht. All der Zorn, all die Wut, all das Adrenalin, Mara konnte keinen einzigen, klaren Gedanken fassen, nur dieser Elb vor Augen, er musste einfach sterben, er musste Rechenschaft ablegen vor den Göttern selbst für das, was er einem friedliebenden Dorf angetan hatte, für die Verluste, die Angst, den Tod, für den Terror, den er gebracht hatte! Das regelrecht archaische Geschrei der Halbwaisen trug Furcht in die Geister der Elben. Sie kannten die Menschen als kräftig, aber das… das war einfach nicht natürlich! Als das Weib sich erhob und den reglosen Körper ihres Anführers gegen einen Baum schleuderte wie das Kind eine Puppe von sich warf, ihr brennender Blick über sie hinweg fuhr, da jagten sie davon, verschwanden wieder und zerstreuten sich rasch in aller Herren Winde. In Esgaroth würde die Kunde ankommen, dass Ilmwacht ein Schandfleck sei, den man zu dulden habe - die Götter selbst würden den Ort und seine Bewohner beschützen! Mara jedoch wusste, was es bedeutete, so von Pfeilen durchsiebt zu werden. Sie machte sich wenig Hoffnung, jemals lebend zu ihresgleichen zurückzukehren. Nein, sie würde sterben. Hier draußen, im Sumpf, verlassen von allen, für die sie gekämpft hatte… Unsicher hob sie sich auf ihre Beine. Bis zum letzten Atemzug würde sie der närrischen Hoffnung nachhängen. Selbst den Hammer nahm sie mit, war er doch nur eine Leihgabe gewesen. Verklebt von Blut und Resten zersplitterter Schalentiere, warf sie ihn sich wieder über die Schulter und wankte in die Nacht hinein. Viele Tage lang bangte Ilmwacht um eine seiner Töchter. Die Oberin rief die Einwohner zu Geduld und Ruhe auf, doch die Hoffnungen schwanden mit jeder Stunde. Die Nächte waren sicher, vorerst. Doch was hatte das schon zu heißen? Die Schande war nur noch größer geworden. Eine junge Frau hatte sich für ihren Frieden geopfert, wo ein Dutzend Männer hätte stehen sollen. Es war tief in der Nacht, als Nebel durch die Straßen Ilmwachts kroch. Die Bewohner, erbost über den offenkundig nutzlosen Versuch, das Biest zur Strecke zu bringen, verließen ihre Häuser, bewaffnet mit allem, was als Waffe herhalten konnte. Ein Ungetüm kam aus dem Moor gewankt, von gewaltiger Größe, breit wie ein Bär. Träge, behäbige Schritte setzte es… und brach knapp außerhalb des Dorfes zusammen. Verwunderte Blicke wurden ausgetauscht, ehe man ein paar Männer schickte, nachzusehen. Das Licht ihrer Fackeln fiel auf ein vertrautes Gesicht, einen blutüberströmten Leib und einen gewaltigen, verkrusteten Hammer. Viele Tage lang lag Mara in einem der Betten des Klosters. Die Schwestern bangten um ihr Leben, beteten täglich zu ihrer Göttin, diese junge Frau zu verschonen. Hin und wieder gewährten die Götter den Sterblichen ihre Gunst… wenngleich das für diese auch nicht immer ersichtlich wurde. Als Mara wieder zu sich kam, erwacht aus Fieberträumen und Erschöpfung, fragte sie im Halbbewusstsein nach dem Tag. Die Stimme, die ihr antwortete, war ihr fremd. Vorsichtig bemühte sie sich, die Lider zu öffnen. Ein junger Mann saß an ihrem Bett, wechselte soeben einen der zahllosen Verbände. Sie versuchte sich aufzurichten, vergeblich. Die Zähne zusammengebissen, ließ sie sich wieder sinken. Sie lebte… bei den Göttern, sie lebte noch immer! „Ich habe Geburtstag.“, warf sie leise krähend in den Raum, als würde es erklären, warum sie kurz darauf den Arm hob, die Hand im Nacken des jungen Burschen, und ihn herab zog. Ihr erster Kuss… mehr gestohlen als erbeten. Und doch genoss sie ihn über alle Maßen. Denn sie lebte noch… Zwei weitere Wochen zogen ins Land, in denen der junge Heiler sich bemühte, Maras Genesung zu beschleunigen. Viele machten ihr in jener Zeit ihre Aufwartung, lauschten gespannt ihrer Geschichte, staunten über die Beschreibung der Kreatur, empörten sich über die Stelle mit den Elben, dankten für ihren Mut, wo ihr eigener versagte. Auch ihr Vater kehrte fast täglich zu ihr ein, verzweifelt über das, was er hören musste. Sie würde ihren Weg gehen. Die Grube war nicht mehr das Ihre. So viele gab es noch. Dörfer, die die Nacht fürchteten. Menschen, die verzagten wie ganz Ilmwacht es getan hatte. Jene, die hofften, beteten, um Hilfe riefen. Der Hammer, nunmehr ein Geschenk, und jener schüchterne kleine Heiler sollten ihre ersten Begleiter sein, wenn sie hinaus in die Welt zog… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)