Papierherz von Ur (Bleistiftspuren bleiben) ================================================================================ Kapitel 3: Schlechtes Gedächtnis -------------------------------- Ich hoffe, ihr nehmt mir die Länge Kürze der Kapitel nicht allzu übel. Ich muss erstmal ein wenig in Fahrt kommen. Man kennt das ja von mir *hust* Danke für die lieben Kommentare und die Favoriteneinträge bisher, ich versuche mich immer für alle Kommentare zu bedanken, aber manchmal mangelt's an Zeit. Ich hoffe, das seht ihr mir nach. Viel Spaß beim Lesen und einen schönen Abend wünsche ich! Liebe Grüße :) _____________________________ »…Hermann Brochs Schlafwandler…« »…Nietzsches Zarathustra…« Jannis massierte sich die Schläfen. Wenn er gewusst hätte, dass diese Liste dermaßen einschlagen würde, dann hätte er es sich mit dem Tutorium vermutlich anders überlegt. Drei Viertel aller ‚organisatorischen’ Fragen am Anfang des Tutoriums drehten sich um die Bücherliste. »Wie ich schon sagte, verbindlich von den deutschen Titeln aus dem Mittelalter bis 1945 sind nur 30…« »Aber wir müssen zwischendurch doch sicher auch noch mal englische Bücher lesen, oder nicht?« Wenn dieses blonde Küken ihm noch eine Frage zu der Bücherliste stellen würde, dann musste er sie womöglich erwürgen. Er atmete zweimal tief durch und räusperte sich, um möglichst ruhig zu antworten, aber… »Wenn du die ganze Zeit nur am Rumheulen bist, weil du zu viel zu lesen hast, dann solltest du dir vielleicht einen anderen Studiengang suchen.« Jannis starrte K. an. Er hatte den Namen immer noch nicht in den Tiefen seines Gedächtnisses entdeckt. Die junge Frau schien einigermaßen entrüstet darüber zu sein, dass K. sie dermaßen offen kritisierte, gleichzeitig war sie aber offensichtlich zu perplex, um etwas antworten zu können. Jannis beschloss, dass dies genau der richtige Moment war, um einfach mit dem Stoff zu beginnen und die elende Diskussion über all die zu lesenden Werke abzuhaken. »Hat denn jemand Fragen zur letzten Vorlesung?«, erkundigte er sich und augenblicklich schossen fünf Hände in die Höhe. Er nahm sich einen Schluck Orangensaft, dann rief er den ersten auf und begann Frage um Frage zu beantworten. Er freute sich schon nach einer Viertelstunde auf das Ende des Tutoriums. Zu Hause konnte er sich mit einem guten Buch und seinen beiden flauschigen Mitbewohnern ins Wohnzimmer setzen und die Stille genießen. K. hob die Hand, um eine Frage zur Vorlesung zu stellen. Jannis fragte sich, ob er zu Hause wirklich die Ruhe haben würde, um zu lesen. Es fehlte nur noch, dass K. jetzt wieder mit diesen nervigen Fragen zu seinem Privatleben aufwaten würde. »Bei dem vorletzten Punkt von seiner Powerpoint- Präsentation stand ich irgendwie ziemlich auf dem Schlauch. Kannst du das noch mal erklären?« Wahnsinn. Keine Fragen zu seinem Privatleben. Vielleicht würde der Tag doch noch besser werden. Also erklärte er. Er schrieb an die Tafel, zeigte seine eigene Powerpoint- Präsentation, die er gestern Abend zu Hause angefertigt hatte und teilte Handouts aus. Er stellte sich vor, wie Marek ihm verkündete, dass er sich zu viel Arbeit für dieses Tutorium machte. Aber das war Jannis’ Art. Wenn er etwas anpackte, dann gab er sich auch alle Mühe dabei. Marek war da anders. Er fing eine seiner Matheaufgaben an, hatte dann auf der Hälfte der Strecke keine Lust mehr und widmete sich der nächsten spannenden Aufgabe. Wenn alle Mathematikstundenten so arbeiten würden, dann wäre dieser Berufszweig sicherlich auf dem absteigenden Ast. Es war nicht so, dass Marek diese Aufgaben, die er nicht zu Ende machte, nicht hätte lösen können. Marek konnte jede Matheaufgabe lösen. Er konnte Pi auf 34 Stellen hinter dem Komma aufsagen und die Quadratwurzeln von allen möglichen fünfstelligen Zahlen im Kopf ausrechnen. Jannis fragte sich dunkel, ob die Freundschaft zwischen einem Germanisten und einem Mathematiker wirklich so eine gute Idee war. Andererseits war genau dieser Mathematiker der einzige Mensch, den Jannis länger aushalten konnte. Es war schon ein merkwürdiger Wink des Schicksals. Seine Gedanken schweiften ab, während die Erstemester- Studenten fleißig die Handouts abhefteten und die Notizen von der Tafel abschrieben. Als er sich aus seiner Gedankenwelt zurück zwang, bemerkte er, dass K. ihn anstarrte. Na toll. »Auf dem Handout unten stehen ein paar Fragen zur Wiederholung. Wenn ihr die bis nächstes Mal machen könntet, damit wir damit arbeiten können… und ich habe ein paar vertiefende Texte in den Vorlesungsordner in der Bibliothek gepackt, die ihr euch kopieren könnt…« Jannis ignorierte die teils panischen und teils unwilligen Blicke angesichts mehrerer Texte und Aufgaben zum nächsten Mal, dann stand er auf, um die Tafel zu wischen. Er hörte, wie hinter ihm alle den Raum verließen. Gerade wollte er den Schwamm sinken lassen, als ihn eine Stimme zusammen zucken ließ. »Wusstest du, dass die Milch, die Kühe geben, rosa wird, wenn die Kuh zu viele Karotten gegessen hat?« Jannis ließ vor Schreck den Schwamm fallen und starrte K. an. Was genau wollte er ihm damit sagen? »Und das sagst du mir… wieso noch mal?«, gab er zurück und bückte sich nach dem Schwamm, doch K. war schneller. Er legte den staubigen Schwamm in die dafür vorgesehene Ablage und grinste. »Ich versuche ein Gespräch mit dir anzufangen«, erklärte er schlicht. Jannis starrte den Kuhmilchexperten vollkommen perplex an. »Und wie kommst du auf den Gedanken, dass mich Kuhmilch interessiert?«, wollte er wissen, wandte sich ab und begann seine Sachen zu packen. Denk an das Buch und deine Katzen, ermahnte er sich. »Weiß nicht. Ich dachte, ich fang mit irgendwas Belanglosem an und frage dich dann, ob du nicht Lust hast, mit mir was Essen zu gehen«, erklärte K. Jannis war sich ziemlich sicher, dass er jetzt aussah wie Mareks geliebter Erdbeermilchshake. »Nein, habe ich nicht«, erwiderte er ungehalten, stopfte seine halbleere Flasche Orangensaft in die Tasche und klappte den Deckel zu. »Aber warum nicht? Du siehst aus, als hättest du Hunger. Ich lad dich auch ein«, fuhr K. fort. Jannis widerstand der Versuchung, wieder seine Schläfen zu massieren. »Sieh mal, K.«, meinte er dann und bemühte sich möglichst sachlich zu klingen, »ich habe wirklich kein-« »K.?«, wiederholte sein Gegenüber und begann zu lachen. Jannis genehmigte sich ein kurzes Streichen über die Schläfen. »Ich habe ein schlechtes Namensgedächtnis«, sagte entnervt. K. lachte immer noch. »Kolja. Mein Name ist Kolja«, erklärte er dann und schien sich kein Stück darüber zu ärgern, dass Jannis ihn mit einem Buchstaben betitelt hatte. »Dann eben Kolja«, gab Jannis ungehalten zurück und schob sich den Träger seiner Tasche über die Schultern, »ich habe keinen Hunger und selbst wenn ich Hunger hätte, dann würde ich nicht mit dir Essen gehen.« Kolja gab sich nicht einmal die Mühe, irgendwie enttäuscht auszusehen. »Hast du was gegen mich, oder gegen Menschen im Allgemeinen?«, erkundigte er sich und schlenderte neben Jannis aus dem Seminarraum. »Ich muss mich vor dir sicherlich nicht rechtfertigen«, brummte Jannis ungnädig, schob seine Brille auf der Nasenwurzel ein Stück nach oben und stieg die Treppen hinunter. In diesem Augenblick fand er die lindgrün gestrichenen Wände noch schrecklicher als sonst. »Musst du auch nicht. Aber der Mensch lügt an die 200 Mal am Tag, wusstest du das? Das bedeutet, dass du keinen Hunger hast, war sicher auch eine Lüge«, argumentierte Kolja. Jannis hatte nicht übel Lust, ihn kopfüber die Treppe hinunter zu schubsen. »Ich lüge so gut wie nie«, brummte er. »Nur weil du so gut wie nie mit jemandem redest«, gab Kolja zu bedenken. Jannis schob die Tür auf und trat hinaus in die angenehm frische Luft eines Herbstnachmittags. »Es geht dich nichts an, mit wem ich rede und mit wem nicht«, sagte er unfreundlich, schob erneut seine Brille ein Stück nach oben und stapfte in Richtung Innenstadt über den Campus davon. Kolja schien von seiner unfreundlichen Art nicht sonderlich beeindruckt zu sein. Er ging weiterhin neben ihm her, zog eine Flasche Cola aus seiner Umhängetasche und nahm sich einen Schluck. Jannis hasste Cola. Er vertrug kein Koffein und wurde immer ganz hibbelig davon. Alkohol vertrug er auch nicht. Allgemein trank er eigentlich gar nichts anderes als Orangensaft und Milch. »Also redest du nur mit deinem Freund von neulich?«, erkundigte sich Kolja schmunzelnd und schob die Cola wieder zurück in seine Tasche. »Er ist nicht mein Freund, sondern ein Freund. Der Freund, um genau zu sein«, sagte er ungehalten. Er beschloss, Umwege zu gehen, nur für den Fall, dass Kolja vorhatte, ihm bis nach Hause zu folgen. Jannis fand die Idee von einem Stalker, der seinen Wohnort kannte, nicht sonderlich verlockend. »Der war nett. Aber er hatte eine ziemlich spleenige Ausstrahlung«, erklärte Kolja. Jannis fragte sich, wieso ihn der andere die ganze Zeit von der Seite ansah. Als wäre sein Gesicht so spannend, dass man es pausenlos ansehen musste. »Sag mal, musst du hier nicht irgendwo dringend abbiegen?« »Gehst du gern ins Kino?« »Kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?« »Wenn du mal was mit mir trinken gehst…« »Nein, verdammt!« Jannis stapfte um eine Ecke. Er war kaum mehr zweihundert Meter von seiner Wohnung entfernt, aber Kolja schien nicht geneigt zu sein, ihn in Frieden zu lassen. Dann hörte Jannis ein Klingeln und im nächsten Moment zog Kolja ein Handy hervor, um den Anruf entgegen zu nehmen. Jannis wartete nicht, bis der andere fertig mit Telefonieren war. Stattdessen wandte er sich um und hastete die Straße entlang zurück, bog in seine Straße ein und ertappte sich dabei, wie er die letzten zwanzig Meter zu seiner Haustür rannte, um es auch ja nicht zu riskieren, dass K… Er runzelte die Stirn, während er die Tür aufschloss. Eilig drückte er sie hinter sich zu und als er die Treppe bis ins vierte Geschoss hinauf stieg, hatte er den Namen schon wieder vergessen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)