Papierherz von Ur (Bleistiftspuren bleiben) ================================================================================ Kapitel 8: Dreist, dreister, Kolja ---------------------------------- Entschuldigt bitte, dass ihr so lange auf das nächste Kapitel warten musstet. Ich hoffe, dass es euch gefällt :) Viel Spaß beim Lesen! Liebe Grüße :) _______________________ Die Pizza war sehr lecker. Aber leider Gottes hielt sie Kolja nicht davon ab, munter mit ihm zu reden, ihm unmögliche Informationen mitzuteilen und immer wieder breit zu grinsen, wenn er gerade ein Stück seiner Pizza herunter geschluckt hatte. »Hörst du eigentlich irgendwann mal auf zu grinsen?«, erkundigte sich Jannis entnervt, während er mit dem Zeigefinger den Glasrand seines Orangensafts entlangfuhr. Kolja lachte leise. »Nur selten. Du schaust immer so ernst. Ein Lächeln würde dir sicherlich gut stehen«, erklärte Kolja unerschütterlich und schob sich sein letztes Stück Pizza in den Mund. Jannis hatte für diese Vermutung nur ein Schnauben übrig. Dann widmete er sich wieder seiner Pizza. Als er schließlich aufgegessen hatte, schob er den Teller ein wenig beiseite und sah hinüber zu der Kellnerin hinter der Theke, die einige Gläser polierte und ab und an zu ihnen herüber schaute. »Wieso guckt die immer so?«, fragte Jannis murrend und nahm einen Schluck Orangensaft. Kolja zuckte mit den Schultern. »Sie hat mich mal nach einem Abendessen gefragt, aber ich hab ihr gesagt, dass ich schwul bin. Vielleicht denkt sie, du seiest mein Freund«, erklärte Kolja freiweg und Jannis verschluckte sich prompt an seinem Saft. Er hustete kläglich und sah Kolja mit tränenden Augen an. »Du würdest das der ganzen Welt erzählen, oder?«, fragte er schließlich leicht krächzend. Das konnte doch alles nicht wahr sein. Koljas Vater betitelte ihn als Koljas Date und eine Kellnerin dachte, sie seien ein Paar. Sah man denn nicht, dass er und Kolja so wenig ein Liebespaar waren, wie… sie waren jedenfalls so wenig ein Liebespaar wie nur möglich! »Wieso auch nicht? Stört es dich, dass ich schwul bin?«, wollte Kolja gespannt wissen. Jannis sah ihn ungehalten an. »Darum geht’s gar nicht. Ist das nicht was Privates? Ich würde das nicht jedem erzählen«, meinte er und verschränkte die Arme vor der Brust. Kolja lächelte ihn an, als fände er diesen Umstand ziemlich… gut. »Du hast meine Frage nicht beantwortet«, entgegnete Kolja, ohne auf Jannis’ Bemerkung einzugehen. Jannis grummelte. »Mein bester Freund ist schwul. Das reicht jawohl als Antwort«, murmelte er und trank seinen Orangensaft aus. Der kleine dicke Kellner kam zu ihnen herüber und räumte ihre Teller mit einem freundlichen Lächeln ab. Jannis warf einen Blick auf die Uhr. Es war kurz nach sechs. »Du willst wohl weg von mir, was?«, erkundigte sich Kolja schmunzelnd. Jannis sah ihn kurz und streng durch seine Brille an. »Was dachtest du denn?«, giftete er über den Tisch hinweg. Kolja legte den Kopf schief. »Ich dachte, dass du mich vielleicht ein bisschen leiden kannst«, gab er zurück. Jannis verdrehte die Augen und winkte dem Kellner. »Wir würden gern zahlen«, sagte er verbissen und kramte nach seinem Portemonnaie. Wieso musste eigentlich ausgerechnet ihm das passieren? Wieso um alles in der Welt hatte gerade er Kolja als persönlichen Stalker abbekommen? Er konnte Menschen nicht leiden, nicht mit ihnen umgehen und schon gar nicht hatte er irgendetwas mit Dates am Hut! Und hier saß er nun in einem italienischen Restaurant bei Kerzenlicht und furchtbarer Musik und musste zusehen, wie Kolja ihm beim Zahlen zuvor kamen. Er wurde eingeladen. Von einem Kerl. Noch schlimmer: Von Kolja! Sie verließen das Lokal mit einem letzten Blick der starrenden Kellnerin und traten hinaus in die kühle Abendluft. »Ich wollte das selber bezahlen«, sagte er säuerlich und hörte selbst, dass er sich wie ein kleines Kind anhörte. Kolja lachte. Und zu Jannis’ Entsetzen streckte er die Hand aus und wuschelte ihm durch die Haare! Blut schoss ihm in die Wangen und er schlug Koljas Hand weg, doch der andere schien sich davon nicht beirren zu lassen. Er schlenderte bestens gelaunt die Straße entlang und Jannis wollte ihm am liebsten den Hals umdrehen. »Aber ich wollte nicht, dass du es bezahlst«, sagte Kolja grinsend und schob seine Hände in die Hosentaschen. Wenigstens konnte er ihn dann nicht mehr begrabbeln, dachte Jannis wütend. Am liebsten wäre er irgendwo heimlich abgebogen, aber Koljas Blick ruhte die meiste Zeit auf ihm. Es war kalt, feucht und dunkel und das bleiche Licht der Straßenlaternen schimmerte auf dem feuchten Asphalt. Es musste in der Zwischenzeit geregnet haben. »Und wieso nicht?«, fragte Jannis entnervt und schob seine Hände nun ebenfalls in seine Hosentaschen. Koljas Grinsen verblasste ein wenig. »Na ja, du hattest doch eigentlich gar keine Lust, mit mir auszugehen. Ich dachte, es wäre unhöflich, wenn du für etwas, was dir keine Freude macht, auch noch Geld bezahlen musst.« Da war er. Der Satz, der Jannis zu seinem Missfallen ein dermaßen schlechtes Gewissen bereitete, dass er sich selbst am liebsten in den Hintern getreten hätte. Kolja hatte Recht! Er hatte keine Lust auf dieses Treffen gehabt. Wieso also fühlte er sich plötzlich so mies? Weil Kolja nicht mehr grinste, sondern ihn nur ernst von der Seite musterte? Er sollte besser wieder dümmlich grinsen, dann konnte Jannis in Ruhe wütend auf ihn sein. »Pf«, war alles, was ihm dazu einfiel. Ja, im Museum war es eigentlich ganz interessant gewesen. Und die Pizza hatte geschmeckt. Aber Koljas Gebrassel und sein anhaltendes Grinsen und einfach alles an ihm machte Jannis irgendwie sauer. Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander her, Jannis war ganz und gar mit dem schlechten Gewissen beschäftigt, das in ihm tobte wie ein Herbststurm. Es war zum Kotzen. Wenn die Menschen ihn nur in Frieden lassen könnten, dann müsste er sich nicht mit solchen lästigen Emotionen herumschlagen. Gefühle hatte er noch nie sonderlich gemocht. Sie machten alles so viel schwerer. Am liebsten waren sie ihm auf Papier, wenn sie erfundenen und fremden Leuten gehörten, wenn er sich nicht näher mit ihnen beschäftigen musste. Denn, Gott verdammt noch mal, er hatte einfach keine Ahnung, wie man mit Gefühlen umging! Weder mit denen anderer Menschen, noch mit seinen eigenen. Aber das interessierte Kolja vermutlich nicht. Zu seinem Missfallen bemerkte er, dass Kolja ihn offensichtlich nach Hause bringen wollte. Er war kein Mädchen, zur Hölle noch mal! »Du musst mich nicht bringen«, sagte er frostig. Kolja antwortete nicht, sondern lächelte kaum merklich. Dieses Schweigen war merkwürdig. Er war Koljas Geplapper gewöhnt. »Wieso redest du nicht mehr?«, erkundigte sich Jannis widerwillig. Kolja lachte leise. »Ich warte drauf, dass du vielleicht mal redest«, entgegnete er gerade heraus. Jannis wollte ihm den Hals umdrehen! Auf der Stelle! »Ich will aber nicht reden«, gab er zurück und klang schon wieder wie ein trotziger Junge, der sein Zimmer nicht aufräumen wollte. Kolja zuckte die Schultern und schwieg weiterhin. Jannis hasste dieses Schweigen noch mehr als Koljas Gerede. Als sie um eine weitere Ecke bogen, hielt er es schließlich nicht mehr aus. »Also schön, worüber soll ich reden?«, herrschte er Kolja von der Seite an und Kolja verkniff sich ein Schmunzeln, ehe er antwortete. »Über dich vielleicht?«, schlug er scheinheilig vor und Jannis schnaubte. »Über mich gibt es nichts zu wissen. Ich bin zweiundzwanzig, was ich studiere, weißt du schon und dass ich nicht gern rede, weißt du auch!« Kolja gluckste heiter. »Du hast ja doch Humor«, sagte er leise und seine Stimme klang merkwürdig. Es war Jannis schon oftmals aufgefallen, dass Menschen sich im Dunkeln veränderten. Im Dunkeln veränderten sich die Menschen mitsamt ihren Gedanken. »Nein, habe ich nicht. Ich bin humorlos, verstockt, menschenscheu, ein Bücherwurm und durch und durch langweilig!«, entgegnete Jannis entnervt. Wann begriff Kolja endlich, dass es zu nichts führte, sich mit ihm zu beschäftigen? Kolja ging darauf nicht ein. Stattdessen fing er mit etwas anderem an. »Hattest du mal was mit deinem besten Freund? Weil du gesagt hast, dass er schwul ist«, wollte er plötzlich wissen. Jannis starrte ihn entgeistert an und wäre beinahe gegen einen Laternenpfahl gelaufen. »Was geht dich das an?«, fragte er und unweigerlich spürte er, wie sein Herzschlag sich beschleunigte. Kolja zuckte schon wieder mit den Schultern. »Ich wollte es nur wissen. Einfach so. Du weißt schon, weil ich dich interessant finde«, gab er zurück und kickte eine Bierdose vor sich her, die auf dem Fußweg lag. Der Lärm, den sie machte, ließ Jannis entnervt aufstöhnen. »Reite nicht ständig auf Marek rum«, brummte Jannis schließlich und bog in die Straße ein, in der seine Wohnung lag. Endlich war er zu Hause, bei seinen Katzen, die ihn nicht von der Seite anlaberten und bei seinen Büchern, die ihn in Ruhe ließen, wenn er es wollte und die ihm Gesellschaft leisteten, wenn er welche brauchte. »Du magst ihn«, sagte Kolja unverblümt. Jannis starrte ihn an. »Wie kommst du darauf?«, entgegnete er und hätte sich selbst am liebsten auf die Zunge gebissen, weil die Frage so hastig kam, dass sie eindeutig verräterisch wirkte. »Du kannst Menschen nicht leiden und er ist offenbar der einzige Mensch, den du in deiner Nähe duldest. Und du hast ihn so angesehen...«, sagte Kolja schlicht. Jannis kramte fahrig nach seinem Schlüssel und blieb vor seiner Haustür stehen. »Wir sind nur befreundet. Er hat einen Freund. Und wenn er keinen hat, dann hat er… anderes. Und das alles geht dich einen Scheißdreck an«, sagte Jannis abweisend und wollte gerade den Schlüssel ins Schlüsselloch rammen, als Kolja sich plötzlich zu ihm vorbeugte und ihn schlicht und ergreifend auf den Mund küsste. Jannis war so perplex, dass er für einen Wimpernschlag nichts sagen, tun, oder denken konnte. Sein Körper brannte vor Scham. Dann stieß er Kolja von sich weg und schloss mit zittrigen Fingern die Tür auf. »Noch einmal… und… ich bring dich um!«, zischte er und drehte sich im Hausflur zu Kolja um. Der hatte den Kopf schief gelegt. »Danke für den schönen Tag. Ich mag dich wirklich, weißt du?«, sagte Kolja. Jannis schäumte vor Wut. »Du kennst mich überhaupt nicht! Lass mich endlich in Ruhe!«, fauchte er und schlug die Tür hinter sich zu. Seine Lippen brannten immer noch. Hosted by Animexx e.V. 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