Papierherz von Ur (Bleistiftspuren bleiben) ================================================================================ Kapitel 29: Der Name im Papierherz ---------------------------------- Ok, hier haben wir also das letzte Kapitel von Papierherz. Wahnsinn. Nur noch der Epilog und ich habe schon wieder ein Monsterding mit 31 Kapiteln abgeschlossen. Danke mal wieder für all die Unterstützung, den Berg Favoritenleser und all die tollen Kommentare! Ich hoffe, dass euch das Kapitel gefällt! Viel Spaß beim Lesen und ein schönes Wochenende wünsche ich euch :) ______________________________ Vielleicht war das zu direkt. Vielleicht würde Kolja jetzt sauer auf ihn sein und nie wieder mit ihm reden wollen. Wenn Jannis daran dachte, wie er damals reagiert hatte, nachdem er Koljas Exfreund kennen gelernt hatte… und das hier war immerhin seine Verlobte. Eine dröhnende Stille trat nach seinen Worten ein und er beobachtete nervös, wie Koljas Gesicht ein wenig blasser wurde. Jessika sah aus, als hätte sie gerade eine Ohrfeige bekommen. Jannis malte sich eine Sekunde lang die schlimmsten Szenarien aus, die ihm einfielen, dann kam Bewegung in Kolja. Er lehnte seine rechte Krücke gegen die Wand und streckte seine freie Hand aus. »Freut mich«, sagte er und lächelte. Jannis blinzelte. Er hatte alles erwartet. Aber nicht so etwas. Jessikas Gesichtszüge entgleisten und sie blickte hinunter auf Koljas Hand. »Dein… dein Freund?«, fragte sie mit erstickter Stimme und schaute zu Jannis auf. Er seufzte. Sein Herz wummerte wie verrückt, aber jetzt war der Moment. Er musste es tun. »Ja. Mein fester Freund«, entgegnete er mit so sicherer Stimme wie möglich. Ein zärtlicher Ausdruck huschte über Koljas Gesicht, doch er verschwand sofort wieder. Dann griff er nach seiner Krücke, da Jessika keine Anstalten machte, seine Hand zu nehmen. »Ich steh nicht auf Frauen… Und das… war auch noch nie anders«, fügte er leise hinzu und spürte, wie er rot anlief. Koljas Blick ruhte auf ihm, Jessika starrte Kolja an. »Das… wieso hast du es nicht…«, flüsterte Jessika und Jannis schloss einen Moment die Augen, als er sah, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. »Tu doch bitte nicht so, als hätte ich je etwas gemacht, was das Gegenteil gezeigt hätte«, meinte er leise. Jessika wischte sich über die Augen, dann straffte sie die Schultern und im nächsten Moment war sie die Treppen hinunter verschwunden und die Haustür unten schlug zu. Jannis seufzte leise und wagte einen Blick hoch in Koljas Gesicht. »Wow…«, nuschelte Kolja und blickte ihr nach. »Ich wollte es dir eigentlich heute sagen. Jetzt. Um genau zu sein. Aber… ich wusste ja nicht, dass sie hier aufkreuzt. Tut mir Leid, dass ich es nicht eher gesagt habe…« Jannis hörte, dass seine Stimme ein wenig flehentlich klang. Er war einfach nie besonders mutig gewesen, geschweige denn, dass er an ernste Gespräche über Beziehungen und Gefühle gewöhnt war. »Vielleicht können wir drinnen drüber reden? Ich klapp dir hier sonst gleich zusammen«, sagte Kolja schief lächelnd und Jannis nickte hastig. Er ließ Kolja in die Wohnung, folgte ihm dann und schloss die Tür hinter ihnen. Er zog seine Schuhe aus und huschte ins Wohnzimmer, wo Kolja aufs Sofa gesunken war und die Krücken vor sich auf den Boden legte. »Die wollen noch nicht ganz so wie ich«, stöhnte er und strich mit den Händen über seine Oberschenkel. Jannis schälte sich aus seiner Jacke und ließ sich nervös neben Kolja nieder. Der lehnte sich zurück, atmete einmal tief durch und wandte Jannis dann sein Gesicht zu. »Deine Verlobte ist verflucht hübsch«, sagte Kolja und musterte ihn mit wachsamen Augen. Jannis verknotete unangenehm berührt seine Hände im Schoß. »Ja, ich weiß. War sie schon immer. Aber… sie interessiert mich trotzdem nicht. Nicht… auf diese Weise…« Koljas Mundwinkel zuckten. »Die Bombe hättest du ruhig schon früher platzen lassen können«, meinte Kolja nachdenklich. Jannis ließ den Kopf sinken. »Ich hatte jahrelang gar keinen Kontakt zu ihr und dann hat sie den einen Tag angerufen… ich hab gehofft, dass sie es vielleicht mittlerweile aufgegeben hat–« »Was aufgegeben? Dich?«, fragte Kolja. »Wir sind verlobt, seit ich neunzehn bin. Das war der letzte klägliche Versuch meine Eltern stolz zu machen. Hat nicht wirklich funktioniert. Dummerweise hatte ich nie damit gerechnet, dass sich ein Mädchen… dass ein Mädchen mich mögen könnte. Aber Jess war ganz außer sich, sie hat sich unglaublich gefreut. Wir hatten vorher so ein… Ding. Keine Ahnung. Ich war damit beschäftigt mir einzureden, dass ich nicht auf Jungs… also… dass ich nicht auf Marek stehe und… wir haben uns nur zwei Mal oder so geküsst. Und dann…« Er brach ab. Das alles war ihm verflucht peinlich, auch wenn Kolja nicht aussah, als würde er lachen, oder als wäre er sauer. »Wir haben…ähm… einen Versuch gestartet miteinander… aber ich musste an Marek denken und das… hat alles nicht wirklich funktioniert und… nun ja. Ich hab einfach gehofft, dass sie es merkt, damit ich es nicht aussprechen muss. Und ich hatte immer zu viel Bammel davor, es meinen Eltern zu sagen. Und als ich dann den Studiumsplatz hier bekommen habe, bin ich einfach Hals über Kopf abgehauen. Ich hab Jess nicht gesagt, wo ich hingehe. Sie wusste nicht, wo ich wohne, wie meine Nummer ist… Unsere Eltern hatten sich zerstritten, aber letztens hat meine Mutter beschlossen, dass Jess wohl die einzige Möglichkeit ist, mich zu bekehren. Deswegen hat sie ihr meine Nummer gegeben und ich hab Jess gefragt, ob sie die Sache mit der Verlobung endlich aufgegeben hat, aber das hat sie nicht. Und jetzt weiß sie es und wird… keine Ahnung. Ich versteh nicht, wieso ich immer so einen Terz darum gemacht habe, diese Sache mit dem… Schwulsein… geheim zu halten. Wenn ich darüber nachdenke, scheint es mir doch ziemlich lächerlich zu sein«, murmelte er und schloss die Augen, ehe er sich ebenfalls auf der Couch zurücklehnte und sich die Brille vom Gesicht zog. »Du hast mich als deinen Freund vorgestellt«, sagte Kolja, während Jannis seine Brille auf den Couchtisch legte. Sein Kopf flog zu Kolja herum und er starrte ihn entsetzt an. »Willst du nicht mehr? Also… mit mir zusammen sein? Ich kann echt verstehen, wenn du sauer bist, aber ich… es tut mir ehrlich Leid!« Er blinzelte, als Kolja ein Lachen entschlüpfte. »Hör schon auf damit. Ich bin nicht sauer, ok? Du hättest es mir zwar eher sagen können, aber ich hab mich ja schließlich nicht in dich verliebt, weil du so ein offener, unkomplizierter Mensch bist, oder?« Jannis hielt die Luft an. Verliebt. Ja, verflucht, verdammt und in Dreiteufelsnamen, sein Herz hämmerte so heftig. Kolja war nicht sauer. Er war einfach nur Kolja. Er hatte Jess die Hand hingehalten und war nicht abgehauen und er schmollte nicht und er wollte ihn immer noch als Freund haben… »Aber ich… hab mich in dich verliebt, weil du so ein offener und unkomplizierter Mensch bist«, murmelte er leise und spürte die Hitze in seinen Wangen. Eine Stille senkte sich über sie, während Jannis seine verschränkten Finger anstarrte. Er war sich ziemlich sicher, dass Kolja wiederum ihn anstarrte. »Du… hast gerade das erste Mal gesagt, dass du…« Koljas Stimme war heiser, als würde er sich gerade von einer wochenlangen Erkältung erholen. Jannis bekam eine Gänsehaut und schaute auf. Koljas Augen waren viel zu blau, soviel stand fest. Jannis schluckte schwer. Ja, er hatte es gesagt. Er hätte es schon viel eher sagen müssen. Aber er war nun mal einfach schlecht in diesen Dingen und das würde sich garantiert nicht allzu schnell ändern. »Ich weiß, dass ich kompliziert bin… aber wenn du… wenn du das aushalten könntest… ich…« Er brach ab. Kolja hatte seine Hände links und rechts an seine Wangen gelegt und nun beugte er sich vor, sodass Jannis’ Stirn an seiner lehnte. »Ich kann dich nicht nur aushalten, du Dummkopf. Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, wie es wäre, dein Grummeln nicht zu hören und nicht mehr zu sehen, wie du rot wirst und nicht mehr zu beobachten, wie du deine Brille hochschiebst, wenn du nervös bist. Und ich bin dir nicht monatelang nachgerannt, um jetzt zwei Zentimeter vorm Ziel umzudrehen, nur weil da ein hübsches Mädchen steht, für das du dich kein bisschen interessierst.« Jannis schluckte schwer und schlang seine Arme um Koljas Nacken. »Ich versuch noch mal mit ihr zu reden, damit ich dieses Verlobungsding endlich loswerde. Ich bin ja lang genug einfach nur davor weggerannt«, sagte er seufzend. Kolja lächelte und seine Daumen strichen sachte über Jannis’ Wangen. »Darf ich mir einbilden, dass ich einen ganz guten Einfluss auf dich habe?«, fragte er neckend. Jannis musste einfach lächeln. »Das ist keine Einbildung«, nuschelte er, ehe er sich vorbeugte und Kolja küsste. * »Warum hast du es mir nicht gesagt?« »Ich dachte, es wäre vielleicht offensichtlich.« »Oder du bist einfach nur feige.« »Oder das. Wahrscheinlich eher das.« Jess starrte ihn an. Ihre Augen waren braun. Heller als die von Marek. Fast so wie Karamell. Sie war wirklich sehr hübsch, aber sie würde niemals hübsch genug sein. Er hätte es damals so einfach haben können. Wer hatte schon als verkorkste Brillenschlange das Glück, von so einem Mädchen gewollt zu werden? Aber nein. Er stand auf Männer. Zuerst verliebte er sich in ein verträumtes Mathegenie und danach in einen hyperaktiven… »Und… liebst du ihn? So richtig?«, fragte Jess mit leicht erstickter Stimme. Sie saß in Jannis’ Wohnung auf dem Sessel und strich immer wieder unnötig ihren knielangen Rock glatt. »Lieben ist so ein großes Wort. Frag mich in zwei Jahren noch mal«, murmelte Jannis leise und blickte aus dem Fenster. Es war der erste Mai und draußen war wunderbares Wetter. »Ich liebe dich«, sagte sie störrisch. Jannis wandte ihr das Gesicht zu. »Und du hast all die Jahre, die ich verschwunden war, nicht einmal mit einem anderen Mann irgendwas gemacht?«, fragte er. Sie seufzte leise. »Siehst du.« »Magst du mich kein bisschen?« Jannis fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. »Jess, darum geht es nicht. Ich kann nicht mit einem Mädchen verlobt sein, das ich mag. Ich steh auf Männer. Schon seit ich dreizehn bin. Immer. Es war nie anders und es wird nie anders sein. Du willst Kinder haben, heiraten. Ich will nur meine Bücher, meine Katzen, meinen besten Freund und Kolja. Und sonst nichts. Es gibt da draußen garantiert einen Mann, der sich ein Bein ausreißen würde, damit du ihn beachtest«, sagte Jannis. Es kostete ihn alle Überwindung, so direkt mit Jess zu sprechen, aber all das Drumherumgerede hatte bisher nichts gebracht. Also nahm er sich ein Beispiel an Kolja – und der war Experte für solche Dinge. »Ich mag dich. Du bist genau genommen das einzige Mädchen, das ich mag«, meinte er und sah, wie ihre Mundwinkel sich zu einem Lächeln bogen. Wenigstens weinte sie nicht mehr – denn das hatte sie am Telefon getan und die erste Viertelstunde, in der sie hier gewesen war. »Aber wir können nicht zusammen sein. Und wir können schon gar nicht verlobt sein. Deswegen bitte ich dich… einfach davon abzusehen. Nicht, dass es irgendwas Offizielles wäre. Aber ich möchte, dass du es einsiehst. Dass wir beide sagen, dass wir nicht miteinander verlobt sind. Ich will nicht, dass nur ich das sage, während du dich immer noch als meine Verlobte bezeichnest«, erklärte er und nahm einen Schluck von seinem Orangensaft. Sie seufzte erneut und fuhr mit ihrem Zeigefinger den Rand von ihrem Glas nach. »Was hat dein Freund gesagt, als du es ihm erzählt hast?« »Er hat nur gesagt, ich hätte es ihm früher erzählen sollen. Ansonsten… war er nicht sauer oder so«, meinte Jannis und konnte sich ein leicht versonnenes Lächeln nicht verkneifen. »Er muss ziemlich toll sein.« »Das ist er.« »Er ist echt ein Glückspilz…« »Danke, dass du das sagst. Aber ich finde eher, dass ich ein Glückspilz bin«, gab Jannis zurück. Sie sahen sich einen Moment lang schweigend an, dann leerte Jess ihr Glas und erhob sich aus ihrem Sessel. »Ich möchte mit dir befreundet sein«, sagte sie geradeheraus. Jannis blinzelte, dann lächelte er erneut. Sie musterte ihn eingehend. »Er ist ein toller Kerl. Soviel hab ich dich in all den Jahren nicht lächeln gesehen«, meinte sie und kam zu ihm herüber. Zögerlich blieb sie vor ihm stehen, dann umarmte sie Jannis. Er hob die Arme und erwiderte die Umarmung behutsam. Sie roch nach Apfelshampoo. »Freunde?«, murmelte sie gegen seine Schulter. »Freunde.« Als sie sich von ihm löste, wischte sie sich mit der Hand über die Augen. Dann griff sie mit ihrer rechten Hand an den linken Ringfinger und zog den Verlobungsring herunter, den Jannis ihr damals geschenkt hatte. Einen Augenblick lang betrachtete sie ihn, dann hielt sie ihn Jannis vor die Nase, doch er schüttelte den Kopf. »Behalt ihn. Ich brauch ihn nicht«, sagte er abwehrend. Sie lachte. »Aber was soll ich damit? Wenn ich irgendwann mal einen aufrichtigen Antrag bekomme, kann ich ihn nicht tragen«, gab sie zurück und drückte ihn Jannis in die Hand. »Verkauf ihn, vergrab ihn, behalt ihn… ist mir egal. Ich kann ihn nicht mehr tragen, ok? Nimm ihn. Vielleicht willst du ja Kolja mal einen Antrag machen«, sagte sie und ihre letzten Worte klangen ein wenig stichelnd. Jannis verkniff sich ein Lachen. »Ich glaube nicht, dass ich allgemein der Typ fürs Heiraten bin«, antwortete er amüsiert und nahm den schmalen Ring mit dem kleinen Stein behutsam entgegen. »Ruf mich an, ja?«, meinte Jess, als sie nach ihrer Jacke griff und sie sich überzog. »Mach ich«, versprach er und er meinte es auch so. Er war Jess dankbar, dass sie es nun hingenommen hatte und ihm nicht böse war. Oder zumindest nicht so sehr, dass sie ihn verfluchte und bis in alle Ewigkeit hassen würde. »Mit wem sollte ich sonst über all die schrecklichen Juristen lästern?« Jess kicherte leise. »Hast du heute noch was vor?«, fragte sie, während sie sich im Flur ihre Stiefel anzog. »Heute ist Koljas ›Willkommen zurück‹- Party. Marek und Sebastian holen mich in einer Stunde ab«, erklärte er. Jess lächelte. Jannis hielt ihr die Tür auf und sie winkte noch einmal, ehe sie mit einem letzten Blick zurück die Treppen hinunter verschwand. Jannis schloss die Tür hinter ihr und atmete einmal tief ein und aus. Er war froh, dass es so gut gelaufen war. Jetzt gab es nur noch diese eine Sache, die er tun wollte. Aber das hatte noch Zeit bis Mitte Juni. * »Kolja hat viele niedliche Freunde«, sagte Marek interessiert, während sie sich auf Klappstühle um einen Tisch im Garten der Reichenaus niederließen. Sebastian sah aus wie vom Donner gerührt. »Welchen davon findest du niedlich?«, fragte er mit deutlicher Panik in der Stimme. Marek kicherte. »Ich mag die bunten Haare von Koljas bestem Freund«, entgegnete Marek vollkommen unbeeindruckt. Sebastian sah aus, als wollte er am liebsten sofort zum Friseur rennen und sich ebenfalls einen grünen Irokesenschnitt machen lassen. »Keiner davon ist so niedlich wie du«, ergänzte Marek beiläufig und griff in eine Schüssel Chips, die auf dem Tisch stand. Penny tollte begeistert mit dem Schwanz wedelnd durch den Garten, der von vielen Leuten bevölkert war. Jannis sah aus dem Augenwinkel, wie Sebastian knallrot anlief. Auf der Terrasse stand ein großer Kohlegrill, vor dem Koljas Vater im Rollstuhl saß und Bratwürste, Hähnchenfleisch und Gemüsespieße – extra für Jannis angefertigt – wendete. »Alles ok bei euch? Hier, Sekt und Bowle!« Kolja wuselte herbei, drückte Jannis einen Kuss auf die Wange und stellte eine Flasche Sekt und eine Schale mit Bowle auf den Tisch. In der Bowle schwammen Kiwis und Äpfel und sie sah ziemlich verlockend aus. Jannis berührte die Stelle in seinem Gesicht, die Kolja gerade geküsst hatte. »Alles bestens«, sagte Marek strahlend. »Marek findet deinen besten Freund niedlich«, klagte Sebastian. Kolja lachte. Er humpelte ziemlich und eigentlich sollte er nicht zu viel ohne Krücken gehen, aber natürlich hielt er sich nicht daran und musste auf seiner Party unbedingt demonstrieren, wie gut er wieder gehen konnte. »Henning ist hetero und die hübsche Kleine da drüben ist sein Mädchen seit Sandkastenzeiten. Ich versichere dir, Marek hat keine Chance«, sagte er und tätschelte Sebastian die Schulter, ehe er wieder davon wuselte. Marek grinste breit. »Ich will doch gar niemanden außer dir«, schnurrte er Sebastian zu. Jannis sah dezent woanders hin, während die beiden sich ausgiebig küssten. Vielleicht sollte er doch ein Glas Bowle nehmen. Also griff er nach einem der Plastikbecher auf dem Tisch und schöpfte mit der Kelle aus der Schale etwas Flüssigkeit und Obst hinein. »Hey, dürfen wir uns zu euch setzen?«, fragte Sylvies Stimme hinter ihm. »Klar«, meinte Jannis und schaffte ein Lächeln. Er übte. Ja, er bemühte sich wirklich darum, von jetzt an geselliger und weniger menschenscheu zu sein. Das hier war Koljas Party. Und es waren Menschen hier, die Kolja sehr wichtig waren. Jannis wollte das nicht vermasseln. Marek und Sebastian schafften es endlich, sich voneinander zu lösen und schauten gespannt in die Runde. Jannis räusperte sich. »Ähm… das ist mein bester Freund Marek und sein Freund Sebastian«, meinte er und griff nach seiner Bowle. »Und das sind Henning, Sylvie, Rike und Jan«, fügte er hinzu und deutete nacheinander auf sie. Er würde diese Party schon überleben. Auch wenn da Arbeitskollegen von Kolja herumliefen, Teresa und Silke mitsamt ihrer Tochter, eine alte Dame, die wohl Koljas Oma sein musste, eine Horde Kommilitonen und selbst Robert war da. Der stand abseits neben einem Rosenbusch und kraulte Penny am Kopf. Jannis zögerte, dann erhob er sich. »Robert«, rief er zu ihm herüber. Robert sah auf und blinzelte erstaunt, als er ihn erkannte. »Wir haben noch einen Platz frei…« Marek lächelte verschwommen, Henning grinste, Rike strahlte. Robert kam zögerlich zu ihnen herüber und setzte sich auf den Platz neben Jannis, der noch frei war. »Bowle?«, fragte Jannis. Robert sah ihn einen Moment lang schweigend an, dann lächelte er. »Du bist doch nicht so übel, wie ich dachte«, meinte er freiweg. Jannis räusperte sich. »Ich… ähm… arbeite an mir«, gab er zu. Henning lachte laut. »Alter, ihr zwei seid vielleicht steif. Sprecht nach drei Gläsern Bowle noch mal miteinander. Ich hol Bratwürste. Wer will noch? Jannis, du bist Pflanzenfresser, oder? Ich bring dir ’nen Gemüsespieß mit…« Jannis nahm einen großen Schluck Bowle. Der Abend würde sicher gut werden. Auch, wenn es ungewohnt war. Er würde das schon hinkriegen. Für Kolja. Vier Gläser Bowle, zwei Gemüsespieße und einen Berg Nudelsalat weiter fühlte Jannis sich kugelrund und leicht schwummrig im Kopf. Mit Alkohol voll gesaugtes Obst setzte ihm scheinbar ziemlich zu. Vor allem, da er normalerweise nie Alkohol trank. Marek war in eine theologische Grundsatzdiskussion mit Jan und Rike verstrickt, Sebastian unterhielt sich mit Sylvie über Fotographie und Henning rauchte genüsslich eine Zigarette und summte leise ein Lied, das Jannis nicht kannte. Er hörte Kolja lachen und das Geräusch brachte seinen Körper dazu, warm zu werden. Jannis stand auf. »Ich geh mal Kolja suchen«, meinte er und verschwand vom Tisch. Tatsächlich hatte er einige Probleme gerade zu gehen. Er hätte doch keine Bowle trinken sollen. Aber der Alkohol hatte es wirklich leichter gemacht. Er entdeckte Kolja bei seiner Oma und Marit. »Ah, Kolja, dein Junge«, sagte Koljas Oma freudestrahlend und tätschelte Jannis’ Arm. Kolja strahlte, Jannis schaffte ein Lächeln, Marit kicherte stumm. Kolja hatte ihm erklärt, dass es ihr bei ihrer Familie meistens leichter fiel, die Worte von den Lippen zu lesen. »Du hast dir wirklich einen gut aussehenden Freund ausgesucht, mein Junge«, sagte Frau Reichenau mit zittriger Stimme und Jannis räusperte sich verlegen, ehe er sich die Brille auf der Nase nach oben schob. »Ich weiß. Und ich werde ihn jetzt kurz nach drinnen entführen. Muss mich sowieso mal hinsetzen«, sagte Kolja, drückte seiner Oma einen Kuss auf die Wange, wuschelte Marit durchs Haar und zog Jannis dann humpelnd hinter sich her. Es ging durch die Terrassentür, durchs Wohnzimmer, den Flur bis in Koljas Zimmer, wo Kolja die Tür hinter ihnen schloss und sich mit einem Ächzen auf sein quietschgrünes Sofa sinken ließ. Jannis setzte sich neben ihn und fuhr sich durch die Haare. So viel menschliche Interaktion, die sich nicht nur auf ihn und einen anderen Menschen – vorzugsweise Marek oder Kolja – beschränkte, strengte ihn jedes Mal unglaublich an. Er zuckte leicht zusammen, als er Koljas Fingerspitzen an seiner Wange fühlte. »Wärst du… wärst du sauer, wenn ich hier drin bleibe und warte, bis die Feier vorbei ist?«, fragte er und hörte, dass seine Stimme ein wenig undeutlich klang. Jannis wandte den Kopf und blickte seinen Freund an. Auf dessen Gesicht lag ein sachtes Lächeln. »Du warst ganze fünf Stunden da draußen, hast mit meinen besten Freunden und mit meinem Exfreund geredet, du hast dich mit meiner Oma über Shakespeare unterhalten und mit Raquel ›Ich sehe was, was du nicht siehst‹ gespielt… ich schäume gerade fast über vor so viel Liebe für dich, das kannst du dir sicherlich nicht vorstellen. Und ich wäre nicht sauer, wenn du hier drin bleibst. Solange du noch hier bist, wenn die Feier vorbei ist und dann über Nacht bleibst…« Jannis schluckte trocken, als Kolja sich vorbeugte und ihn sachte küsste. Er war wirklich nicht an Alkohol gewöhnt. Nein, kein bisschen. Garantiert wurde ihm deswegen plötzlich extrem heiß. Das hier war kaum mehr als der Hauch einer Berührung von Lippen und trotzdem hatte Jannis das Gefühl, er würde gleich schmelzen. Seine Hand schob sich wie von selbst in Koljas Nacken und zog ihn näher. Kolja gab ein überraschtes Keuchen von sich, als Jannis ihn heftig küsste und mit sich nach hinten zog. »Wie viel Bowle hattest du?«, flüsterte er heiser. Jannis musste verdruckst lachen. »Vier Gläser«, nuschelte er gegen Koljas Lippen, »aber weil ich sonst nie Alkohol trinke, ist es ein bisschen so, als hätte ich die ganze Schale allein getrunken.« Kolja küsste ihn erneut und Jannis drückte unweigerlich seinen Unterkörper gegen den seines Freundes. Koljas Stöhnen verursachte ein heftiges Kribbeln in seiner Schrittgegend. »Jannis… lass das…« »Wieso?« »Weil du angetrunken bist, ich da draußen zwanzig Gäste habe und extrem scharf auf dich bin. Das alles lässt sich nicht wirklich miteinander vereinba–« Jannis’ Finger stahlen sich unter Koljas langärmliges Shirt, tasteten nach der nackten Haut, die sich immer viel zu gut anfühlte und strichen hinunter zu Koljas Hosenbund. »Jannis…« »Ok, ok… ich hör ja schon auf«, murmelte er und zog seine Hände zurück. Koljas Gesicht schwebte Zentimeter über seinem und es sah tatsächlich so aus, als würde er jeden Moment all seine Beherrschung über Bord werfen und sich auf ihn stürzen. Jannis beschloss, dass er diesen Gesichtsausdruck ziemlich gut fand. So gut, dass er Kolja gleich noch mal küssen musste. Als er sich von ihm löste, hatte er ein verdammtes Problem in seiner Jeans und sein Freund hatte immer noch zwanzig Gäste, die sich garantiert fragten, wo er geblieben war. Das Leben war ungerecht. »Ich könnte versuchen, die Party schnellstmöglich zu beenden«, sagte Kolja kläglich und blickte ihn sehnsüchtig an, während er sich aufrappelte. Jannis grinste. »Ich warte hier drin«, sagte er beiläufig. Kolja starrte ihn an. »Seit wann bist du so… ähm… so, wie du gerade bist?«, fragte er. »Bowle«, gab Jannis zurück und Kolja nickte. Er lachte leise. »Mal sehen, wie viel von der Bowle noch da ist, wenn die Party vorbei ist…« »Willst du mich etwa abfüllen?« »Nein. Ich würde lieber ganz andere Sachen mit dir machen.« Jannis räusperte sich. »Dann… dann werd die Gäste schnell los und… dann könnten wir…« Koljas Gesichtszüge entgleisten, doch er fasste sich wieder und schaffte ein verlegenes Lächeln. »Nicht, dass ich nicht wollen würde… also… ich wollte schon, als ich dich das erste Mal gesehen habe. Aber noch besser fände ich es, wenn du nüchtern wärst«, sagte er und umarmte Jannis, der mittlerweile auch aufgestanden war. »Hab ich mir gedacht. Ich darf es mir nicht zu leicht machen, was?«, erkundigte er sich und löste sich von Kolja, um nach den Krücken neben Koljas Sofa zu greifen. Er hielt sie Kolja hin. »Den Rest der Party auf Krücken, ok?« Kolja seufzte ergeben, dann nickte er und nahm Jannis die Krücken ab. Jannis zögerte einen Moment, dann griff er in seine Hosentasche und holte den Ring hervor, den Jess ihm vorhin gegeben hatte. »Sie hat ihn mir zurückgegeben… jetzt bin ich auch von ihrer Seite nicht mehr verlobt und… na ja…« Kolja betrachtete den Ring in Jannis’ Hand und lächelte. »Dann gehörst du jetzt ganz und gar mir«, scherzte er lächelnd und hob den Blick zu Jannis’ Gesicht. Jannis musterte den jungen Mann vor sich einen Augenblick lang schweigend. Was für ein Glückspilz er war. Eigentlich konnte er es immer noch kaum fassen, dass er sich so gegen Kolja gewehrt hatte. Jetzt hatte er mit dicken Bleistiftbuchstaben Koljas Namen in seinem Papierherz stehen und es fühlte sich so gut an, dass er es nicht mehr missen wollte. »Das tu ich schon länger, du Idiot. Und jetzt ab nach draußen… sonst sperr ich dich hier drin ein«, drohte er ihm. Kolja lachte, küsste ihn und öffnete die Tür. »Ich beeil mich. Versprochen.« Jannis schob ihn nach draußen und schloss die Tür. Allzu lange konnte es also nicht mehr dauern. Kolja hielt seine Versprechen schließlich immer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)