Papierherz von Ur (Bleistiftspuren bleiben) ================================================================================ Epilog: Jannis -------------- So! Hier haben wir also den Epilog und damit das endgültige Ende von Papierherz. Die Geschichte hat mir bis zum letzten Satz sehr viel Spaß gemacht und vielleicht lesen wir uns ja bei einer anderen Geschichte wieder :) Viel Spaß hiermit (diesmal aus Koljas Sicht) und einen schönen Sonntag wünsche ich euch! Liebe Grüße :) ____________________________ Aus dem Autoradio erklang Queen. Er hatte nicht darauf bestanden, aber niemand hatte etwas dagegen gehabt, also hatte er eine CD gesponsert. Marek saß vorne und summte leise mit, seine Augen waren auf die Landschaft draußen gerichtet, die an ihnen vorbei flog. Kolja und Jannis saßen auf dem Rücksitz. Er musterte seinen Freund von der Seite. Seine Brillengläser reflektierten die Sonne ein wenig. »Leihst du mir die CD mal?«, fragte Marek gut gelaunt von vorne und wandte sich verschwommen lächelnd zu ihm um. Marek war ein Alien, aber Kolja hatte sich daran gewöhnt. Er mochte Marek und er mochte dessen Freund. Sebastian war so vernarrt in Marek, dass es unglaublich niedlich anzusehen war. »Klar. Ich hab noch ein paar andere Alben, wenn du willst«, entgegnete er grinsend. Er sah, wie Mareks Finger den Takt des Liedes auf seiner Jeans mittrommelten. »Sag mal… werden wir da überhaupt rein gelassen?«, fragte Sebastian zweifelnd. Jannis wandte das Gesicht vom Autofenster ab und Kolja betrachtete sein Profil. Jannis sah viel zu gut aus. Und er fand seine Brille sexy. Jedes Mal, wenn er ihm das sagte, wurde Jannis rot und wenn er rot wurde, dann fand Kolja ihn noch hinreißender – sofern das überhaupt möglich war. »Wird schon klappen. Es würde mir nur halb so viel Spaß machen, wenn ihr nicht dabei wärt«, gab Jannis zurück und in seiner Stimme lag etwas Grimmiges, das Kolja von Jannis nur kannte, wenn es um seine Familie ging. Kolja hatte mittlerweile eine Menge Geschichten von Familie Hofstetter gehört, auch wenn Jannis nicht gern darüber sprach. Er war schon gespannt darauf, Jannis’ Eltern kennen zu lernen, auch wenn er sich die Umstände normalerweise etwas anders vorstellen würde. Aber bei solchen Eltern war ein stinknormales Mittagessen mit Standardfragen natürlich nicht möglich. »Jess ist schon da. Sie hat mir vorhin eine SMS geschrieben, dass meine Eltern unglaublich triumphierend ausgesehen hätten, als sie erzählt hat, dass ich zum Geburtstag meiner Mutter komme, um etwas bekannt zu geben. Die denken tatsächlich, dass Jess und ich doch noch heiraten wollen. Und man könnte meinen, für ein Jura- Studium braucht man Grips«, sagte Jannis. Er hatte schlechte Laune, soviel stand fest. Und Kolja mochte es nicht, wenn Jannis schlechte Laune hatte. Also streckte er eine Hand aus und zog Jannis an seinem Hemdkragen zu sich herüber – in Hemden war Jannis viel zu umwerfend. Ohne Hemd sogar noch mehr. Konnte man so verliebt in jemanden sein? Kolja hätte es nicht für möglich gehalten, aber er hatte bisher auch nicht an ein Umgehauen- werden auf den ersten Blick geglaubt. Jannis’ Lippen waren weich und sein Seufzen war Musik in Koljas Ohren. Seine Fingerspitzen kraulten den Nacken seines Freundes, ehe er sich von Jannis löste. »Schau nicht so böse«, nuschelte er und strich Jannis durchs Haar. Jannis grummelte. Kolja liebte es, wenn er grummelte. »Du würdest auch böse gucken wenn… nein, würdest du nicht«, sagte er seufzend und Kolja musste lachen. »Ich glaube, ich kann gar nicht böse gucken«, antwortete er amüsiert und verschränkte seine Finger mit denen von Jannis. Sie waren bereits eine halbe Stunde unterwegs und es würde nicht mehr lang dauern, bis sie das Haus von Jannis’ Eltern erreichten. Aus unerfindlichen Gründen war Kolja beinahe ein wenig aufgeregt. Er würde das Haus sehen, in dem Jannis aufgewachsen war. Das Haus, in dem Jannis fast sein ganzes bisheriges Leben verbracht hatte. Kolja würde seine Eltern zum ersten Mal sehen, er würde all die Familienmitglieder sehen, die Jannis so verabscheute. Zehn Minuten später fuhren sie eine schmale Straße entlang, die von riesigen Häusern gesäumt war. Hier und da sah Kolja eine perfekt gestutzte Hecke. Sebastians klappriger Golf wirkte zwischen all den großen, teuren Autos wie ein Fremdkörper. »Da vorne links. Du kannst in der Einfahrt parken, wir bleiben ja nicht lange«, sagte Jannis und deutete auf ein Haus mit dunklen Dachziegeln, weiß verputzten Außenwänden und einem scheinbar riesigen Garten voller Rosenbüsche. »Willkommen im Garten der Herzkönigin«, sagte Marek scheinbar bestens gelaunt und stieg aus, nachdem Sebastian den blauen Golf in der Einfahrt der Hofstetters geparkt hatte. Kolja schaute das Haus hinauf. Jannis stand neben ihm und seufzte leise. »Das da oben ist mein Zimmerfenster. Das mit dem Balkon«, sagte er und zeigte hinauf auf die Stelle, wo ein großer Balkon zum Garten hinaus ging. »Toller Garten«, sagte er beeindruckt. Jannis schnaubte. »Ja, das ist auch das einzig Tolle an diesem Haus. So, bringen wir es hinter uns«, meinte er und wählte Jess’ Nummer mit seinem Handy. Kolja versuchte sich vorzustellen, wie ein junger Jannis draußen in diesem Garten spielte. Aber er wusste auch, dass Jannis nie ein geselliges Kind gewesen war und die Vorstellung von einem achtjährigen Jannis, der allein im Garten saß und in einem Buch blätterte, erschien ihm irgendwie traurig zu sein. »Hey Jess. Kommst du die Tür aufmachen? Wir sind da«, hörte Kolja Jannis’ Stimme und er blinzelte, um sich aus den Vorstellungen um Jannis’ Kindheit zurückzuholen. »Auf geht’s«, murmelte Jannis und Kolja, Marek und Sebastian folgten ihm zur Haustür, die sich in diesem Moment öffnete. Da stand Jess und sie war immer noch verdammt hübsch. Ihr langes Haar trug sie offen und heute steckte sie in einem gelben Kleid. »Anita hat schon wieder zu viel Sekt getrunken«, wisperte sie Jannis zu und ließ sie herein, ehe sie die Tür schloss, »haltet euch von einer rothaarigen Frau mit riesiger Perlenkette fern, sonst bekommt ihr garantiert Tinitus.« Marek kicherte leise und sie zogen ihre Schuhe aus. Kolja klappte der Mund auf. Sie standen in einem großen Eingangsbereich. Alles hier wirkte akkurat und absolut unpersönlich. Es war so kalt und berechnend, als stünden sie in einem Möbelkatalog. Welches Kind wuchs gerne in solch einer Umgebung auf? Kolja fühlte sich einigermaßen befangen, während er den anderen hinterher humpelte. Seine Beine schmerzten immer noch, wenn er zu lange stand oder zu viel am Stück ohne Krücken ging. Aber das war nun egal. Das Stimmengewirr drang aus einem Zimmer weiter hinten und Jannis ging zielstrebig darauf zu. »Als ich das erste Mal hier war, habe ich mir vorgestellt, wie es wäre, wenn man den Boden einfrieren könnte, um darauf Schlittschuh zu laufen«, meinte Marek und blickte sich mäßig interessiert um. Klar, er hatte dieses riesige Haus schon oft gesehen. Kolja hätte zu gern einen Blick in Jannis’ Zimmer geworfen, aber leider Gottes würde es dazu wohl nie kommen. »Ich würd so gern dein Zimmer sehen«, seufzte er leise. Jannis warf ihm einen Blick zu. »Zwei Minuten, ok? Ich will ungern länger als nötig hier bleiben«, sagte er und schob Marek zu Kolja hinüber. »Wir verstecken uns solang im Bad«, murmelte Jannis und Kolja verkniff sich ein Lachen, als er sah, wie Jannis Sebastian tatsächlich zu einer Tür bugsierte und mit ihm dahinter verschwand. Marek griff nach Koljas Arm und zog ihn die Treppen hinauf. Jannis wollte sein altes Zimmer also nicht noch einmal betreten. Kolja fiel es schwer, sich in ihn hineinzufühlen. Seine Familie war toll. Er hatte nicht einmal ansatzweise eine Ahnung, wie es sich anfühlte, wenn man so eine Kindheit gehabt hatte. »Mal sehen, ob da überhaupt noch was drin steht«, murmelte Marek und steuerte auf eine Tür zu. Kolja ertappte sich dabei, wie er den Atem anhielt, als sie eintraten. Das Zimmer war leer. Regale, Schreibtisch, ein großer Kleiderschrank. Aber die Möbel ließen nur erahnen, wie das Zimmer früher einmal gewesen sein musste, als Jannis seine Regale mit Büchern gefüllt hatte. Der Dielenboden wirkte kalt, über einem großen Spiegel hing ein Tuch. Marek sah sich um und schüttelte den Kopf. »Auf dem Balkon haben wir uns geküsst«, sagte er. Kolja warf Marek einen Seitenblick zu. Er wusste ja, dass das vergangen war. Trotzdem war er ein wenig eifersüchtig. Marek kicherte. »Eifersüchtig?«, stichelte er und zog Kolja hinüber zur Balkontür. »Wir haben immer den Gärtner beobachtet. Frank. Der Garten ist echt schön…« Sie schauten einen Augenblick hinunter in den säuberlich gepflegten Garten mit den vielen Rosen, den Blumenbeeten und den Hecken drum herum. »Das Zimmer ist so riesig«, sagte Kolja leise. »Jannis hat es gehasst. Das alles hier. Ich freu mich schon auf das Gesicht seiner Eltern. Komm, wir gehen wieder runter.« Kolja blickte sich noch einmal über die Schulter um. Beinahe hatte er das Gefühl, einen zwölfjährigen Jannis dort am Fenster stehen zu sehen, der einsam nach draußen schaute. Dann schloss sich die Tür und Kolja seufzte leise. »Ich werd ihn heute noch möglichst hundert Mal zum Lächeln bringen«, sagte er missmutig. Marek kicherte. »Du bist süß«, sagte er und sie stiegen die Treppe hinunter, klopften an die Badezimmertür und warteten, bis Sebastian und Jannis heraus kamen. »Jess ist schon drinnen«, sagte Jannis. Kolja konnte sehen, dass er nervös war. Trotz seiner Entschlossenheit. Kolja hätte ihn gern umarmt, aber im nächsten Moment traten sie schon in das große Wohnzimmer und viele Blicke wandten sich ihnen zu. Die meisten hier trugen Anzüge und Röcke. Kolja sah strenge Frisuren und Lippenstift und hochhackige Schuhe. Er sah ein sorgfältig aufgebautes Buffet und eine große Sahnetorte und er sah Jannis’ Gesichtsausdruck, als er sich durch die Menge schob. »Das sind seine Eltern«, flüsterte Marek. Sie wurden angestarrt wie Aliens. Marek mit seinen ausgeleierten, viel zu weiten Klamotten, Sebastian, groß und schlaksig und in Jeans und T- Shirt. Er selbst mit seinem Undercut und den ausgelatschten Chucks… Nur Jannis trug ein kurzärmeliges Hemd und Schuhe, die halbwegs hier herein passten. Kolja hatte keine Ahnung, was er zu seinen Eltern sagte. Sie sahen nicht so aus, wie Kolja sich Eltern vorstellen würde. Seine Eltern und Jannis’ Eltern trennten Welten. Soviel stand fest. Ein Klingen riss ihn aus seinen Gedanken. Er blinzelte ein wenig verwirrt, dann schaute er zu Jannis auf, der auf einen Stuhl gestiegen war und mit einem Löffel gegen ein Glas geschlagen hatte. Jess stand direkt neben ihm und sah aus, als müsste sie sich heftig zusammen reißen, um nicht laut loszulachen. Kolja hatte es unglaublich nett von ihr gefunden, Jannis bei seinem Vorhaben zu helfen. »Ich will nur kurz eure Aufmerksamkeit, um etwas zu sagen, was ich schon länger loswerden will…« Jannis’ Eltern sahen ziemlich zufrieden aus. Kolja presste die Lippen zusammen, um nicht zu grinsen. »Ich habe in der Vergangenheit viele Fehler gemacht und es hat lange gedauert, bis mir das klar geworden ist.« Kolja befand, dass Jannis großartig darin war, so zu tun, als wollte er sich für alles entschuldigen, was er in den Augen seiner Eltern jemals falsch gemacht hatte. »Ich habe nie ein Jurastudium angefangen, sondern mich für ein Germanistikstudium entschieden. Ich habe Jess aufgegeben und den Kontakt zu meinen Eltern abgebrochen…« Alle starrten Jannis an und auch Kolja sah ihm gebannt zu. Obwohl er wusste, dass Jannis sehr aufgeregt war, wirkte er äußerlich vollkommen ruhig. Marek neben ihm lächelte amüsiert. Aus dem Augenwinkel erkannte er, wie Jannis’ Mutter beinahe stolz lächelte. Dieser Gesichtsausdruck fiel jedoch im nächsten Augenblick in sich zusammen. »Das alles waren die besten Entscheidungen, die ich jemals getroffen habe. Ich wollte nie Jura studieren, ich wollte nie so werden wie meine Eltern. Allein der Gedanke, dass ich unbedingt ihren Erwartungen entsprechen wollte, war der größte Fehler, den ich gemacht habe. Ich werde Jess nicht heiraten. Niemals. Ich werde auch jetzt nicht von meinem Studium abweichen und ich bin heute nur hier, um zu sagen, was ich all die Jahre verschwiegen habe. Ich hasse diese Feiern, ich hasse den Weihnachtspunsch und die förmlichen Anzüge. Ich hab es gehasst, dass ich meine Brille jedes Mal gegen Kontaktlinsen tauschen musste. All das hier habe ich gehasst. Und ich bin hier, um das endlich zu beenden. Ganz offiziell. Der junge Mann da drüben…« Kolja grinste verlegen und hob eine Hand, als Jannis auf ihn deutete. »Das ist mein Freund. Mein fester Freund. Und das einzig Gute, was meine Eltern jemals für mich getan haben, war, mir Marek als Nachhilfelehrer zu besorgen, weil ich durch ihn gemerkt habe, dass ich auf Männer stehe und weil ich einen Menschen in ihm gefunden habe, der keinerlei Erwartungen an mich stellt.« Jannis stieg von seinem Stuhl und stellte das Glas auf einem Tisch ab. »Ich hab meine Telefonnummer geändert. Wenn ich jetzt gehe, dann komme ich nie wieder. Ich wünsche euch noch ein schönes Leben.« Alle sahen Jannis nach, als er zu ihnen herüber kam und Kolja kurz einen Kuss auf den Mund drückte. »Wie fühlst du dich?«, fragte Kolja, als sie wieder auf Sebastians Rücksitz kletterten. Jannis streckte sich leicht, sah ihn an und grinste noch ein wenig breiter. »Ganz wunderbar. Das hätte ich schon viel früher machen sollen!« Sie lachten alle vier auf einmal los, während Sebastian den Wagen startete. Kolja mochte es, wenn Jannis lachte. Er lachte viel zu selten. Aber heute war Jannis der mutigste Mensch der Welt gewesen und Kolja beschloss, dass er Jannis noch sehr viel öfter zum Lachen bringen wollte. Jannis’ Handy piepte. Er kramte es hervor und las die SMS laut vor. »Ist von Jess… ›Dein Onkel Rainer hat gerade lauthals erzählt, dass er sich mit neunzehn den Namen seiner Exfreundin auf den Oberarm hat tätowieren lassen. Ich glaube, deine Mutter fällt gleich in Ohnmacht. Mama, Papa und ich machen uns jetzt auch besser auf den Weg nach Hause. Noch mehr Beichten verträgt mein Vater nicht. Er erstickt fast vor Lachen. Bis bald!‹« »Unbezahlbar«, sagte Sebastian grinsend und startete die Queen- CD. Marek kicherte heftig. Jannis lehnte sich zufrieden zurück. »Und das Beste ist… sie können mich nicht verklagen, wie sie es sonst immer mit Menschen machen, die ihnen nicht in den Kram passen«, sagte er amüsiert. Kolja lächelte und beugte sich zu ihm hinüber, um ihn zu küssen. Er war stolz auf seinen Freund. Verdammt stolz und verdammt glücklich. »Mir passt du ganz hervorragend in den Kram«, nuschelte er gegen Jannis’ Lippen. »Hm, trifft sich gut«, kam es nuschelnd zurück, »geht mir nämlich ganz genau so.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)