Shin no yuri von ChiisaiYume (Todeslilie) ================================================================================ Kapitel 6: Fear --------------- Es fiel mir schwer mit Sayuri zu sprechen, nachdem sie mir von ihrem 'Fluch' erzählt hatte. Automatisch versuchte ich, ihr nicht zu oft über den Weg zu laufen. Und wenn ich einmal mit ihr zusammen war, dann suchte ich immer nach einem Weg, dass Yukio auch dabei war. Zuerst hatte ich auch ihn gemieden, aber dann hatte er mich gefragt, warum ich Sayuri aus dem Weg ging. Und ich hatte ihm erzählt, dass ich Angst vor ihr hatte. Angst vor dem, was sie war, was sie tat. Aber es war noch mehr. Seit ich von ihrem Geheimnis wusste, schien mein Körper irgendwie abstossend auf sie zu reagieren. Ich spürte ganz genau, wie ich panisch wurde in ihrer Nähe, einfach nur weg wollte. Weg von ihr. Ich wollte das nicht. Ich wollte keine Angst vor ihr haben. Ich wollte in ihrer Nähe sein. Ich wollte, dass ich bei ihr sein konnte, ohne das Gefühl zu haben, vor einem Monster zu stehen. In dieser Zeit weinte ich oft. Immer dann, wenn ich allen war. Wenn meine Familie nicht da war. Wenn Sayuri und Yukio nicht da waren. Einmal erwischte mich Yukio. Ich sass auf dem Boden zusammen gekauert, das Gesicht in die Hände gelegt. Ich hörte nicht, wie er eintrat. „Hisa?“, fragte er sanft. Doch ich erschrak trotzdem. Ich zuckte zusammen, versuchte mir hektisch die Tränen von den Wangen zu wischen. Aber da kniete er schon neben mir, nahm mich in den Arm. Ich war verwirrt, zuerst. Und ich dachte mir noch, dass mir so was eigentlich peinlich sein müsste. Aber das war es nicht. Im Gegenteil. Es half mir. Meine Arme bewegten sich von alleine als sie sich um Yukio schlangen und meine Finger sich in seinem Pulli verkrallten. Ich konnte nicht sagen, wie lange wir da am Boden zusammen sassen, als ich ihn los liess und flüsterte: „Ist in Ordnung, es geht wieder.“ „Sicher?“ Er sah mir besorgt in die Augen. Ich nickte. Er liess mich auch los, rückte aber nicht von mir weg. Und irgendwann begann ich zu erzählen. „Ich glaube dir nicht.“, sagte er ruhig, als er sich alles angehört hatte, oftmals unterbrochen durch weitere Tränenausbrüche und Schluchzern. Unten öffnete und schloss sich eine Tür. Man hörte eine fluchende Stimme. Mein Bruder war wieder zu Hause. „Du glaubst mir nicht?“ Ich verstand nicht. „Nein. Du hast keine Angst vor Sayuri.“ „Doch.“ Natürlich hatte ich Angst. Schreckliche Angst. „Ich habe Angst vor dem, was sie tut. Ich habe Angst davor, zu sterben.“ „Nein.“ Er schüttelte den Kopf, „Du hast weder Angst davor zu sterben, noch vor Sayuri.“ Ich war schon wieder den Tränen nahe. Warum wollte er nur nicht verstehen? Warum nicht? „Was ist es dann? Sag es mir! Was ist es, vor dem ich Angst habe? Bitte, ich...“ Jetzt weinte ich wieder. Ich war so schwach. So schrecklich schwach. „Du hast Angst vor der Tatsache, dass du eben nicht stirbst.“ Es war still, eine kurze Ewigkeit lang. Es war, als hallten seine Worte im Raum nach. Ich hörte sie, wie ein Echo, immer wieder. Und ich verstand, dass er Recht hatte. Ich begann wieder zu zittern. Und er nahm mich wieder in den Arm. Meine Augen waren weit offen, als ich die Wahrheit erkannte. Ich hatte nicht Angst vor Sayuri. Ich hatte Angst vor mir selbst. Am selben Abend ging ich raus um einen Spaziergang zu machen. Um nach zu denken. Ich hatte Sayuri seit dem Gespräch mit Yukio nicht gesehen. Und ich war auch in gewisser Weise beinahe froh darüber. Ich hätte es nicht ertragen, ihr in die Augen sehen zu müssen. Ich ekelte mich vor mir selbst. Ich hasste mich dafür, dass ich sie als Monster gesehen hatte, obwohl ich diejenige war, die ihre eigenen Freundin verstossen hatte. Es war kalt draussen. Viel zu kalt für mich. Eigentlich. Aber das mir in Moment so ziemlich egal. Ich hatte in Sayuris Augen gesehen, wie sie gelitten hatte, die Zeit in der ich sie mied. Sie hatte sich schuldig gefühlt. Verantwortlich für dieses ganze Chaos. Dabei war ich diejenige gewesen, die alles falsch gemacht hatte. Von Anfang an. An dem Abend, an dem sie mir alles erzählt hatte, war ich aus dem Zimmer gerannt. Ich war einfach gegangen. Ich hätte bleiben müssen. Mir alles anhören. Sie anlächeln. Ihr sagen, es würde mir nichts ausmachen. Ich hätte sie beschützen müssen. Und obwohl es alles gelogen gewesen wäre, ich hätte es tun müssen. Und hätte es nur dazu gedient, ihr ein besseres Gefühl zu geben. Ich spürte, wie die Kälte mich langsam schwach machte. Ich zitterte. Und meine Hände spürte ich schon fast nicht mehr. Ich musste zurück. Sofort. Von weitem sah ich vor dem Haus zwei Leute stehen. Und ich bemerkte, dass es anfing zu regnen. Zuerst nur ganz fein und dann, innerhalb von noch nicht mal einer Minute, regnete es so stark, dass ich kaum vier Meter weit sehen konnte. Es war schwarz um mich herum. Mich fröstelte, als ich begriff, was das bedeutete. Meine Schritte wurden schneller, dann rannte ich. Bald sah ich den ersten Rücken. „Yukio!“, rief ich. Ich klammerte mich an seinen Arm, sah zu ihm auf. Und ich schrie. Ich wollte mich von Yuudai los reissen, doch es war schon zu spät. Er packte meine Schultern, hielt mich fest. „Yukio!“, schrie ich. Diesmal in Panik. Ich sah hinüber, wo er stehen musste. Ich sah nur schlecht auf die Distanz, doch ich erkannte ganz sicher, dass das nicht Yukio war. „Shin! Lauf!“, schrie ich. Ich wusste, er würde nicht weg laufen, aber ich konnte nicht einfach nichts tun. Ich schrie weiter. Aber meine Stimme wurde so stark von dem prasselnden Regen gedämpft, dass ich bezweifelte, dass er mich hören konnte. Ich sah, wie er näher kam, langsam. Seine Schritte waren sicher. „Yuudai.“, sagte er langsam, aber deutlich, „Lass sie los.“ Yuudai lachte nur. Und ich fragte mich, woher Shin Yuudais Namen kannte. „Komm nicht näher, Shin.“, lachte Yuudai und würgte mich mit seine Unterarm. Ich keuchte, bekam fast keine Luft mehr. Shin kam noch zwei Schritte näher, blieb dann stehen. Jetzt konnte ich ihn besser sehen. Und ich sah, dass auch er keinen Tropfen Regen ab bekam. Er war vollkommen trocken, wie Yuudai. „Shi...in.“, krächzte ich. „Lass sie los!“, wiederholte er nur. Yuudai lachte wieder. „Hättest du mir nicht eher sagen können, dass sie eine von uns ist? Es hätte einiges so viel einfacher gemacht.“ Eine von uns? Was sollte das bedeuten. Ich sei eine von ihnen? „Ich wusste immer, dass du es warst. Niemand sonst hat die Phönixe so gehasst wie du. Du warst schon immer der einzige, der davon überzeugt war, menschlich zu sein wäre etwas besseres.“ Yuudai sprach in einem abschätzigen Ton. Und er sagte Dinge, die ich noch nicht mal im Ansatz verstand. „Hättest du sie nicht versteckt, wären der Professor und die anderen vielleicht schon viel weiter gekommen. Aber nein, du musstest wieder einmal deinen Willen haben, du … M-mm. Das tust du nicht. Bleib schön da stehen.“, fügte er schaden freudig hinzu, als mein Bruder dabei war, einen Schritt auf uns zu zu machen. Und gleichzeitig drückte er mir seinen Unterarm noch fester um in den Hals. Meine Hände flogen zu seinem Arm, versuchten, ihn weg zu ziehen. Aber ich hatte schon keine Kraft mehr. Wegen der Kälte, vor allen Dingen. „Weisst du, Shin, vielleicht sollte ich sie einfach zuerst privat verhören. Übergebe ich sie jetzt gleich dem Professor, sehe ich sie nie wieder. Und das wäre doch eine Schande. Sie ist doch ein so schönes Kind.“ Er sah kurz zu mir runter, leckte sich die Lippen. „Yuudai. Du lässt sie jetzt los oder ich mach ernst!“ Der Zorn in Shins Stimme erschreckte mich. Es war nicht wie der Ärger, wenn ich ihn nervte. Shin meinte das ernst. Yuudai schien das überhaupt nicht zu bemerken. „Du? Ernst machen?“, spottete er, „Hast du's überhaupt noch drauf? Wie lang hast du es nicht mehr getan? 6 Jahre? 8? was willst du mir schon anhaben!“ Shin ballte die Fäuste. Er hatte Zornesfalten auf der Stirn. „Also Shin, es war schön, dich wieder gesehen zu haben. Aber ich habe noch wichtige Dinge zu erledigen. Wir sehen uns!“ Ich spürte einen Schmerz im Genick und hörte noch Shins Stimme hilflos „Nein!“ schreien. Dann war alles schwarz und ich lag in den Armen das Mannes, den ich am meisten hasste, für den Zorn, den er in die Stimme meines Bruders gemischt hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)