Office Mein von elfogadunk (Im Büro) ================================================================================ Kapitel 28: Rahuls Wandel ------------------------- Am nächsten Tag schaffte Anjali es erfolgreich, Rahul größtenteils aus dem Weg zu gehen. Sie wollte nicht mehr Zeit mit ihm verbringen als unbedingt nötig, denn es behagte ihr ganz und gar nicht, mit ihm Pärchen spielen zu müssen. Das gab ihm zu viele Möglichkeiten, sie zu berühren und sie damit aus dem Konzept zu bringen. Es war schließlich nicht nur die Tatsache, dass sie die Ernsthaftigkeit seiner Bemühungen anzweifelte, er war auch nach wie vor ihr Chef. Doch je mehr sie versuchte, sich das einzubläuen, desto öfter erwischte sie sich dabei, wie sie ihn heimlich beobachtete, wenn er in der Nähe war. Ihre Augen suchten beinahe schon automatisch nach ihm und jedes Mal, wenn ihr das bewusst wurde, verfluchte sie sich dafür, denn eigentlich hatte sie die perfekte Ablenkung, indem sie ihrer Mutter mit dem Haushalt half und sich mit ihr gemeinsam um das Essen kümmerte. Rahul machte unterdessen Gebrauch von seinen Kenntnissen als Manager, indem er Anjalis Vater ein effizienteres System zur Verwaltung seiner Einnahmen und Ausgaben zeigte. „... Ich habe mir jahrelang viel zu viel Mühe gemacht. Dank Rahul lässt sich jetzt alles in gerade einmal einer Stunde in der Woche ausrechnen!“, schwärmte Anjalis Vater seiner Tochter und seiner Frau beim Abendessen vor und klopfte seinem angeblichen Schwiegersohn anerkennend auf die Schulter. Dieser winkte allerdings nur kopfschüttelnd ab. „Das System stammt nicht von mir. Das habe ich während meines Studiums in Oxford gelernt, als...“, erklärte er, doch Anjali hörte ihm gar nicht weiter zu. Sie war viel zu erstaunt darüber, dass Rahul in Oxford studiert haben sollte. Beinahe wäre sie mit ihrer Verwunderung auch herausgeplatzt, doch sie konnte sich gerade noch zurückhalten, da ihr auffiel, dass es merkwürdig ausgesehen hätte, wenn sie nicht einmal wusste, wo ihr vermeintlicher Verlobter studiert hatte. Als sie dem Gespräch wieder ihre Aufmerksamkeit schenkte, ging es ohnehin bereits wieder um ein anderes Thema. Anjalis Mutter bestand darauf, vor der Verlobungsfeier in der nächsten Woche unbedingt noch einmal nach Amritsar zu fahren, um einzukaufen, da sie der Meinung war, dass Rahul unbedingt noch traditionelle Festkleidung und Anjali einen neuen Sari brauchte. Anjali war von der Idee wenig begeistert, denn sie hasste es, einkaufen zu gehen, und die Tatsache, dass Rahul auch noch dabei sein würde, machte sie Sache nicht unbedingt erträglicher. Um ihre Mutter glücklich zu machen, erklärte sie sich allerdings einverstanden und machte gute Miene zum bösen Spiel. Nach dem Essen half Anjali ihrer Mutter noch beim Aufräumen und verzog sich anschließend mit einem Buch auf die Dachterrasse. Die Sonne ging gerade unter und tauchte die gesamte Umgebung in ein warmes, goldenes Licht. Anjali ließ ihren Blick für ein paar Augenblicke über die Landschaft und die Felder schweifen, sog tief die Luft ihrer Heimat ein und schloss anschließend für einen Moment die Augen, bevor sie es sich auf dem Boden, an einen der Pfeiler des Terrassengeländers gelehnt, niederließ. Sie hatte jedoch kaum angefangen zu lesen, als sie Schritte hörte und Rahul plötzlich vor ihr stand. Ohne ein Wort zu ihr, kam er auf sie zu und setzte sich mit nach vorn ausgestreckten Beinen neben sie. Sie schaute ihn mit einer Mischung aus Erwartung und Erstaunen an, doch er lehnte sich nur mit vor der Brust verschränkten Armen zurück und schloss die Augen. „Lies dein Buch. Ich will dich nicht stören.“, meinte er. „Ich hatte nur das Bedürfnis, ein bisschen Zeit mit dir zu verbringen, da wir uns heute kaum gesehen haben.“ Anjali wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, vor allem da sie den vorwurfsvollen Unterton nicht überhört hatte, der ihr verriet, dass Rahul genau wusste, dass sie ihn den ganzen Tag über gemieden hatte. Sie seufzte kurz, um den in ihr aufsteigenden kleinen Funken eines schlechten Gewissens im Keim zu ersticken und meinte dann: „... Sie haben also in Oxford studiert?“ „... Wieso? Erstaunt dich das?“, antwortete er mit einer Gegenfrage. „Ich hatte immer angenommen, Sie wären ein Idiot. Aber anscheinend sind Sie zumindest ein intelligenter Idiot.“, gab sie zurück, woraufhin er seine Augen öffnete und ihm ein kurzes Lachen entwich. „Vielen Dank für das Kompliment!“ Sie begannen daraufhin eine angeregte Diskussion darüber, wer von ihnen beiden intelligenter war und woran das festgemacht werden konnte. Sie vergaßen darüber völlig die Zeit und bemerkten nicht einmal, dass es Stück für Stück dunkler wurde. Erst als es stockfinster war, beschlossen sie, wieder ins Haus zu gehen und sich nach einer kurzen Verabschiedung bei Anjalis Eltern in ihre Betten zu begeben. Während Anjali sich umzog, stellte sie fest, dass sie das Gespräch mit Rahul durchaus genossen und sich sehr wohl amüsiert hatte. Vor allem da er nicht ein einziges Mal eine mehrdeutige Anspielung oder eine billige Anmache gebracht hatte. Er hatte noch nicht einmal versucht, ihr in ihr Zimmer zu folgen. Was war los mit ihm? Um ihrem Vater bei der Arbeit zu helfen, begleitete Anjali ihn am nächsten Tag gleich nach dem Frühstück auf die Felder – und auch Rahul bot seine Unterstützung an. Anjali fand es erstaunlich, wie gut die beiden Männer sich verstanden und lauschte interessiert ihren Gesprächen. Rahul erzählte, dass bereits sein Großvater nach Großbritannien ausgewandert und sein Vater in London geboren wurden war. Dadurch hatte Rahul selbst schon keinen Bezug mehr zu Indien und daher auch nie das Bedürfnis gehabt, die Heimat seines Großvaters kennenzulernen und das Land zu besuchen. Das von seinem Vater gegründete Hotel leitete er seit dessen Tod vor sechs Jahren. Seine Mutter war bereits an Krebs gestorben als er noch Teenager war. Auch wenn Anjali das vor ihrem Vater nicht zugeben konnte, waren all diese Dinge neu für sie und zum ersten Mal wurde ihr bewusst, dass Rahul auch nur ein Mensch mit einer durchaus bewegten Geschichte war. Sie wollte gar nicht daran denken, ohne ihre Eltern leben zu müssen, denn wie Anjalis Vater Rahul auch berichtete, wohnte ihre Familie nicht wie sonst in Indien üblich zusammen in einem Haus, sondern war im ganzen Land verstreut. Die Geschwister ihres Vaters lebten in Lucknow und die Schwester ihrer Mutter in Mumbai. Es war also selten, dass sich die gesamte Familie traf – doch wenn, dann war es jedes Mal ein riesiges Fest. Etwas versunken in ihre Gedanken wurde Anjali erst wieder in die Realität zurückgeholt, als sie aus dem Augenwinkel heraus bemerkte, wie Rahul aufgrund der Wärme sein T-Shirt auszog. Verstohlen beobachtete sie das Spiel seiner Arm- und Rückenmuskel, als er ihrem Vater dabei half, einen Pflug in die Erde zu stoßen. Sie war fasziniert von dem, was sie sah und ertappte sich dabei, wie sie sich vorstellte, ganz langsam mit den Fingerkuppen über seine nackte und leicht verschwitzte Haut zu streichen und dabei zu beobachten, wie sich durch ihre Berührung eine leise Gänsehaut bildete... Widerwillig schüttelte sie den Kopf, um ihre Gedanken zu verscheuchen und widmete sich stattdessen wieder dem Abstecken der Beete. Dadurch bemerkte sie auch nicht, dass Rahul sie seinerseits ebenfalls eingehend musterte. Er empfand es als beinahe hypnotisch schön, wie sie dort in ihrem pastellgelben Salwar Kameez und mit ihrem zum Zopf gebundenen, langen Haar auf dem rohen Ackerboden hockte und ihrer Arbeit nachging. Die winzigen Schweißperlen auf ihrer Haut glänzten durch das brennende Sonnenlicht und in ihm kam das Bedürfnis auf, jede einzelne von ihnen wegzuküssen. In Hinblick auf die Anwesenheit von Anjalis Vater verwarf er diesen Gedanken allerdings wieder und konzentrierte sich auf seine Arbeit. Als die drei am späten Nachmittag wieder nach Hause kamen, waren Anjali und Rahul aufgrund der ungewohnt schweren Arbeit vollkommen erledigt. Nach einer ausgiebigen Dusche schlugen sie kräftig beim Abendessen zu und setzten sich anschließend noch mit Anjalis Eltern vor den Fernseher. Anjali hielt allerdings nicht besonders lange durch und nickte bald ein. Dabei rutschte ihr Kopf langsam von der Rückenlehne der Couch auf Rahuls Schulter. Mit den liebevoll-amüsierten Blicken ihrer Eltern im Rücken, hob er sie daraufhin vorsichtig in seine Arme und brachte sie in ihr Zimmer, wo er sie sanft auf ihrem Bett ablegte und anschließend zudeckte. Für einen Augenblick stand er einfach nur da und musterte ihr schlafendes, vom fahlen Mondlicht beleuchtetes Gesicht und war versucht, ihre so unendlich weich wirkenden Lippen zu küssen, doch er riss sich zusammen. Ihm war bewusst, dass Anjali nicht begeistert gewesen wäre, wenn er sie mit einer solchen Geste geweckt hätte, also ließ er es schweren Herzens bleiben. Er wollte sich durch so unüberlegtes Verhalten nicht alles kaputt machen und begnügte sich damit, noch einmal leicht ihre Hand zu streicheln, bevor er ihr Zimmer wieder verließ, um zurück zu ihren Eltern ins Wohnzimmer zu gehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)