Das Haus der Türen von abgemeldet (oder: Warum die Menschen Alpträume haben) ================================================================================ Kapitel 1: Warum die Menschen Alpträume kennen ---------------------------------------------- Die Abendsonne versank wie ein glutroter Ball hinter den schiefen Dächern der Stadt, und es schien mir, als würde ich sie heute zum letzten Mal sinken sehen. Die Kutsche, aus der ich gerade gestiegen war, setzte sich hinter mir wieder klappernd in Bewegung. Vor mir lag Schwarzfurt, wie ein Zerrbild aus meinen düstersten Alpträumen. Alles an dieser Stadt war verzerrt und schief, kein Winkel schien zu stimmen. Die wenigen Leute, die sich um diese Zeit noch auf der Straße herumtrieben, wirkten mürrisch und auch ein wenig… verängstigt? Irgendetwas ging hier vor sich, das wusste ich. Ich spürte es in der Luft, die sich wie eine kalte, düstere Hand auf die Stadt herabgesenkt hatte. Die Gassen waren dunkler, als sie es sein sollten und die Häuser schienen sich furchtsam zusammenzukauern und vor einer unsichtbaren Bedrohung zu ducken. Das war der Grund, aus dem ich hier war. Etwas geschah. Ich wusste nicht, warum sie mich gerufen hatten, doch eine unheilvolle Ahnung beschlich mich, während ich mich auf dem spärlich erleuchteten Platz nach dem Haus umsah, welches mich seit zwölf Jahren fast jede Nacht in meinen Alpträumen heimsuchte. Ich entdeckte es sofort. Von außen unterschied es sich nicht von den anderen Häusern, doch es schien eine finstere Drohung von diesem Haus auszugehen, ein Pesthauch, der mich gleichsam abstieß, wie auch lockte. Falls in dieser Stadt etwas Schlimmes geschah, so kam es von diesem Haus, das wusste ich. Und doch musste ich fort hinein, so schrecklich der Gedanke auch schien. Ich ging mit zögernden Schritten darauf zu, obwohl sich alles in mir dagegen sträubte. Mir kam der skurrile Gedanke, dass ich von diesem Ort nie mehr zurückkehren würde. Trotzdem ging ich weiter, weil ich dachte, dass ich keine andere Wahl hatte. Nun wünsche ich mir, ich hätte ein einziges Mal in meinem Leben auf meine Eingebung gehört… Als ich eintrat, empfing mich ein düsteres Zwielicht. Was hatte ich anderes erwartet? Niemand war da, erst recht keiner von denen, die mich hierher gerufen hatten. Die Einrichtung sah verstaubt, aber ordentlich aus, und machte nicht den Eindruck, dass hier seit zwölf Jahren niemand mehr gewesen war. Doch das Haus war groß, und über mir lagen noch weitere drei Stockwerke und Türen, so viele Türen. Das Haus der Türen, das war es. So nannte ich es, wenn es mich in meiner Erinnerung heimsuchte. Doch das Grauen, was in diesen Mauern verborgen lag, hatte keinen Namen. Vielleicht würde es ein wenig von seinem Schrecken verlieren, wenn ihm jemand einen Namen gab, doch mir selbst fiel keiner ein, der dem gerecht wurde, was es verbarg. Und niemand würde je einen Namen dafür finden, denn im selben Moment, in dem man an es dachte, öffnete sich eine ganz eigene Welt des Schreckens, die alles, was man liebte, ins Gegenteil verkehrte. Also zwang ich mich, an etwas anderes zu denken, starrte in den düsteren Flur vor mir, auf die beiden Türen, die sich rechts und links von mir befanden, auf die Treppe, die mir gegenüber lag und steil nach oben führte. Nach oben. Dorthin musste ich. Die Schatten beobachteten mich aus lauernden Augen, während ich die Treppe zum nächsten Stockwerk hoch stieg. Mit mir hatte noch etwas anderes das Haus betreten, ein Teil des namenlosen Grauens meiner Vergangenheit, welcher mir stetig folgte und gewartet hatte, bis ich diesen Ort erneut zu betreten wagte. Unten fiel die Tür des Hauses ins Schloss, und das Grauen überschwemmte mich mit einem Mal wie eine dunkle, verzehrende Woge, als das letzte Licht erlosch. Es war da. Die Menschen haben schon immer die Dunkelheit gefürchtet und das, was sich in ihr verbarg. Es ist eine natürliche Urangst, die niemand ganz unterdrücken kann. Wo immer das Grauen zuschlägt, es geschieht immer in der Dunkelheit. In den Umrissen der Möbel sieht man plötzlich schreckliche Kreaturen, und in jedem Schatten verbirgt sich ein lauerndes Etwas. Ich konnte noch halbwegs deutlich die Umrisse der Möbel und Türen erkennen, aus deren Spalten mattes, graues Licht drang, doch das machte alles nur noch schlimmer. Die Schatten griffen nach mir, und hinter mir folgte mir etwas die Treppe hoch, rasend schnell und so schrecklich, dass es mir schwer fällt, diesen Satz zu schreiben. Ich rannte. Stufe für Stufe, Gang für Gang wollte ich nur noch diesem namenlosen Schrecken entfliehen, der mich verfolgte. Ich hastete von einem Stockwerk ins nächste und wusste, dass ich nicht mehr entkommen konnte, denn die Türen waren verschlossen und die Fenster von außen vernagelt. Und unter mir… Mir kam der Gedanke, dass all dies vielleicht eine Falle war. Dass sich keiner der anderen in diesem Haus befand, und sie mich allein den Kreaturen ausgeliefert hatten, welche eigentlich keine waren, da sie keine Gestalt hatten. So abschreckend dieser Gedanke auch war, in diesem Moment war er durchaus real. Trotzdem rannte ich weiter, bis ich im obersten Stockwerk ankam. Unter mir hörte ich etwas, was eigentlich kein Geräusch war und nicht einmal existieren durfte. Dann hinter mir das Knarren einer Tür. Einer Tür, die eigentlich verschlossen war. Es wäre eine Erleichterung gewesen, schreien zu können, doch ich wusste, dass dieses Etwas mich dann sehen würde. Es war wie in einem Alptraum: Sich umzudrehen oder zu schreien, würde bedeuten, dass das Grauen einen einholte. Ich kam an der Tür am Ende des Ganges im obersten Stockwerk an und riss sie auf… Wie musste ich wohl ausgesehen haben, als ich mit panisch aufgerissenen Augen und keuchendem Atem durch diese Tür gestolpert war? “Schließ die Tür!”, war das erste, was ich hörte, sobald ich eintrat, und ich befolgte die Worte augenblicklich. Keinen Moment zu früh, dachte ich, denn ich spürte, wie mit dem schließen dieser Tür etwas ausgesperrt wurde, was nun davor lauerte. Dabei war der Anblick, der sich mir hinter der Tür bot, schon unheimlich genug: Ein halbes dutzend in Kapuzen gehüllte Gestalten, die sich im Halbkreis vor einer zweiten, schwarzen Tür am gegenüberliegenden Ende des Raumes versammelt hatten. Mit mir waren es sieben. Vielleicht war das der Grund, aus dem so viele Menschen diese Zahl fürchteten. Falls ja, dann taten sie es zurecht. Trotzdem überkam mich bei dem Anblick lebendiger Gestalten eine grenzenlose Erleichterung. Das Grauen wiegt nicht mehr so schwer und die Dunkelheit nicht so undurchdringlich, wenn man weiß, dass man nicht mehr alleine ist. Verschwunden war es natürlich trotzdem nicht. “Ihr seid also doch hier.”, seufzte ich und trat in die Lücke, die sie für mich freigelassen hatten. Sie lag direkt gegenüber der Tür, mit der alles angefangen hatte. Natürlich. Das war der Platz, der mir zustand und der vor zwölf Jahren mein Verhängnis wurde. “Wir haben auf dich gewartet.”, sagte die Gestalt rechts von der schwarzen Tür. “Du hast es mitgebracht.”, sagte die Gestalt links von der Tür. Ich schwieg. Ich wusste, was sie meinten. “Es ist draußen.”, sagte ich schließlich. “Es wartet. Es wird Zeit, dass wir dem nun ein Ende bereiten. Ich will wieder ruhig schlafen können und ihr wollt es auch, sonst hättet ihr mich nicht gerufen. Es wird Zeit, dieses Ding dort hin zurück zu schicken, wo es herkommt.” Alle Blicke ruhten auf mir. Ich wusste, was sie nun dachten. Du warst es doch, der dieses Ding erst gerufen hat. Wolltest du nicht damit alle Menschen in Angst und Schrecken versetzen, weil du sie so sehr hasst? Doch niemand sprach es aus. Stattdessen sagte der Verhüllte rechts von der Tür - ich konnte nur ahnen, wer es war, denn all ihre Stimmen waren leise und verängstigt: “Aye, jemand muss es aufhalten. Und ich weiß auch schon, wer.” Der Ton darin ließ keinen Zweifel mehr zu. Ich riss entsetzt die Augen auf und brachte vor Schreck keinen Ton mehr heraus. Keiner von ihnen war sich dem Schrecken dieses Dinges so sehr bewusst, wie ich. Keiner von ihnen wurde von diesem Ding auf Schritt und Tritt verfolgt, wie der Teufel von seinem Höllenhund. Und niemand von uns sieben war sich des Fehlers, den wir gemacht hatten, mehr bewusst, als ich. Ich war es, der die Tür beschworen hatte. Es war meine Idee. Denn die Geister, die ich rief, werd’ ich nicht mehr los… “Aber ich war jung…”, stammelte ich. “Wir waren es auch.”, sagte die Gestalt unbewegt. “Und ich… nun, eigentlich habt ihr Recht. Ich habe es angefangen, also muss ich es auch beenden. Doch ich bin die Person unter uns, die für dieses Ding am anfälligsten ist. Und wenn ich scheitere, werdet ihr keine Chance mehr haben, das Geschehene rückgängig zu machen.” “Du gehst nicht allein.”, sagte die Kapuzengestalt, “Ich werde mit dir gehen. Und mich hat diese Entscheidung genau so viel Kraft gekostet. Ich weiß, wovon ich spreche.” Es war seltsam, aber diese Worte nahmen mir einen Teil der Furcht. Ich wusste nicht, was diese Person, die mich eigentlich aus tiefstem Herzen hassen sollte, dazu bewegte, mir zu helfen, doch es gab mir Hoffnung. Ich selbst war nie so selbstlos gewesen und kannte solche Gefühle nicht. “Gut.”, sagte ich, nun mit festerer Stimme, “Wir werden gehen und den Lauf der Geschichte ändern, Geschehenes ungeschehen machen und uns von diesem Fluch befreien.” “Ich wusste, dass du kein Feigling bist,”, sagte die Gestalt ernst, “doch bevor wir gehen, musst du noch schwören, dass du bereit bist, bis zum Äußersten zu gehen, um das Vergangene ungeschehen zu machen. Sogar bis zur Selbstopferung. Schwöre es nun, beim namenlosen Schrecken, den du über uns gebracht hast!” Mein Atem stockte. Wut überkam mich. Tief in meinem Herzen hasste ich sie noch immer und fand tiefe Genugtuung an dem, was ich ihnen und allen anderen Menschen angetan hatte. Doch ich hatte den Schrecken auch auf mich selbst herabgerufen, und das war der einzige Grund, aus dem ich es bereute. Trotzdem wusste ich, dass ich alleine gehen musste, wenn ich diesen Schwur nicht leistete. Also trat ich in die Mitte des Halbkreises und sprach meinem ehemaligen Anhänger die Worte nach: “Hiermit schwöre ich, der Urheber dieses Schreckens, dass ich bereit bin, bis zum Äußersten zu gehen, um Vergangenes ungeschehen zu machen und Falsches wieder gerade zu rücken. Sollte dies nicht geschehen, rufe ich den namenlosen Schrecken selbst auf mich herab, auf dass er meine Seele verschlinge.” Beim letzten Satz stockte ich. Wieder einmal schnürte das Entsetzen mir die Kehle zu. Das sind nur Worte. Nur leeres Gerede. Du musst sie nicht halten. Nichts wird deine Seele verschlingen. Doch ich wusste, dass es nicht so war und dass alles, was ich sagte, wahr werden würde, wenn ich diesen Schwur nicht einhielt. Das Ding vor der Tür und meine sechs ehemaligen Anhänger waren meine Zeugen. Und da begriff ich, dass die Gestalt, welche immer noch rechts neben der Tür stand und mich unter der Kapuze schweigend beobachtete, mir niemals hatte helfen wollen und soeben auf die furchtbarste Art Rache genommen hatte. Das wirst du bereuen… Die Kapuzengestalt nickte mir stumm zu, während die anderen sich weiterhin nicht rührten. Dann trat sie bis zur Tür vor, legte die Hand auf den schwarzen Knauf und öffnete sie. Dahinter lag nichts, nur undurchdringliche Dunkelheit. Ich wusste, was sich in dieser Dunkelheit verbarg und dass sie nichts war, was man in dieser Welt kannte. Zu meiner Überraschung trat mein Gegenüber vor und blieb vor dem dunklen Eingang stehen. “Worauf wartest du?”, fragte die Gestalt, “Dir gebührt die Ehre, als Erster das zu sehen, was du geschaffen hast.” Ich ging langsam an ihm vorbei und wusste, dass es nun kein Zurück mehr gab. Ich hätte niemals herkommen dürfen, hätte weiter mit dem namenlosen Grauen leben müssen, ihm nur nicht gegenüber treten… Dann tat ich den Schritt in das Reich meiner Alpträume, das ich selbst geschaffen hatte. Hinter mir fiel die Tür ins Schloss, mit einem Laut, der etwas Endgültiges an sich hatte. Ich war allein, keiner der anderen war mir gefolgt. Vor mir lag ein düsterer, großer Raum, der eng mit riesigen Möbeln bestellt war, die allesamt viel größer waren, als ich selbst. Das spärliche Licht war rötlich und flackerte, doch ich sah keine Kerzen. Und in der Mitte des Raumes stand eine Gestalt… Sie war tot. Der Schädel eines Toten grinste mir entgegen und starrte mich aus leeren Augenhöhlen an. Trotzdem spürte ich den Blick des Toten auf mir ruhen, als würde er mich beobachten, mich erwarten. Die Knochenhände des Skeletts hielten eine Geige und einen Violinstock umklammert, und ich erwartete fast, dass sie im nächsten Moment die Hände heben würde, um ihr grässliches Stück zu Ende zu spielen. Er regte sich. Die Knochen knackten, als er seinen Schädel hob und seinen verfaulten Kiefer öffnete, um mich zu verfluchen, während in seinen Augen ein düsteres Totenlicht aufglomm… Im nächsten Moment war die Illusion verflogen. Der Tote war wieder das, was er sein sollte, nämlich tot. Ich schloss die Augen und atmete tief ein, während ich versuchte, mein rasendes Herz zu beruhigen. Als ich sie wieder öffnete, stand ich direkt vor dem Skelett. Oder das Skelett vor mir… “Was willst du von mir?”, flüsterte ich, “Wer bist du? Warum verfolgst du mich? Das Grauen hat kein Gesicht. Du bist nicht es. Du bist nur eine arme, tote Seele.” Die Kiefern des Toten zitterten, doch es drang kein Ton daraus hervor. Sein Kopf schoss ruckartig nach oben, bis sein leerer Blick die Decke traf, und mir war, als würde ich einen grässlichen Schrei voller unendlicher Verzweiflung hören. Dann begann er, zu spielen… Ich kannte das Stück. Ein Komponist namens Mozart hatte es ersonnen, als ich noch ein Kind war. Meine Mutter hatte es selbst oft auf ihrer Geige gespielt, und ich hatte immer geweint, so traurig hatte sie es gespielt. Das Stück hieß Lacrimosa. Ich erinnerte mich, wie ich sie damals gebeten hatte, es mir beizubringen, nur dieses Stück, damit ich die anderen Kinder zum Weinen bringen konnte. Nichts im Leben hat mir jemals mehr Spaß gemacht, als andere zum Weinen zu bringen. Doch was der Tote spielte, hatte kaum noch etwas von dem Lied an sich, was ich in meiner Kindheit so geliebt hatte. Es war eine verzerrte Perversion, eine Symphonie des Grauens, und alle Töne wirkten schrecklich falsch und schrill. Ich ertrug es nicht länger. “Halt!”, schrie ich den Toten an, “Das ist alles verkehrt! Hör endlich auf, zu spielen!” Ich hatte nicht damit gerechnet, doch das Skelett ließ seine Hand sinken und wandte sich unendlich langsam zu mir um, während sein Knochenmund halb offen stand. Die abgehackte Bewegung ließ etwas in mir zu Eis erstarren, und ich wollte mich plötzlich nur noch umdrehen und weglaufen, weit weg… Doch der Raum hatte keine Tür, und dies hier war nicht einmal die Welt, die ich kannte. Der Tote machte einen wankenden Schritt auf mich zu und streckte mir mit einer gebieterischen Geste wortlos die Geige entgegen. “Du willst… du willst, dass ich es für dich spiele?”, fragte ich atemlos, doch mein Gegenüber antwortete nicht. Der Tod hat keine Stimme, der Tod kommt lautlos und stumm. Ich zögerte, doch dann nahm ich die Geige entgegen. Das Skelett schien auf etwas zu warten, und ich wusste schon, auf was. Ich entsann mich der Stimme meiner Mutter, wie sie mir die richtigen Griffe zeigte und begann langsam, zu spielen. Es war nicht perfekt, doch kein Ton lag falsch. Der Tote lauschte den Tönen des Lacrimosa, bis ich das Stück zu Ende gespielt hatte und mir Tränen über das Gesicht liefen. Es war seltsam, doch ich dachte, mein Gegenüber würde auch weinen, so traurig wirkte er. Meine Angst war verflogen, und ich reichte ihm wortlos seine Geige zurück. Als er sie nahm, nickte er mir zu, dann begann der Raum um mich zu verblassen. Ich stand in einem Gang aus dunklem, schmierigen Gemäuer. Zu beiden Seiten von mir lag nichts als Dunkelheit. Das einzige Licht in diesem unheimlichen Gang schien von mir selbst auszugehen, denn als ich mich bewegte, bewegte sich das Licht mit mir. Ich machte noch einen Schritt. Und dann noch einen. Meine Schuhsolen schabten leise über den Boden, doch in der undurchdringlichen Stille des Gemäuers schien mir dieser Laut verräterisch Laut. Zu laut. Ich konnte das Gefühl nicht begründen, doch ich wusste, dass ich etwas geweckt hatte. Etwas war hier bei mir, in diesem finsteren Gang, und es hatte keine Gestalt und keine Stimme. Es war einfach von einem Moment zum anderen da. Und ich spürte seine Anwesenheit ebenso, wie es meine spürte. Es nützte mir nichts, dass ich meinen Feind kannte. Es war mein Feind, und es hatte mich gefunden, denn es war die Angst selbst. Würde man mich fragen, was ich im Leben am meisten fürchtete, so würde ich antworten, dass nichts schlimmer sei, als die Angst an sich. Das Grauen, das einen grundlos überfiel, in den Wahnsinn trieb und jagte. Wer kennt es nicht? Nun, ich hatte es in diese Welt geholt. Ich war der Schöpfer des Grauens selbst, der Ursprung allen Übels, welches mich von allen Menschen am meisten plagte, weil es mein eigenes Werk war. Und nun war mir mein treuer Höllenhund bis an diesen Ort gefolgt und hatte mich wieder gefunden. “Verschwinde!”, schrie ich mit hysterischer Stimme, doch als Antwort erhielt ich nur Schweigen. Die Stille schien von allen Seiten auf mich zuzustürmen und meine eigene Stimme zu verschlucken. Wenn es wenigstens eine Stimme hätte oder über meine Worte lachen würde! Doch meine Worte kümmerten es nicht, denn es war ein Teil von mir und existierte lediglich, um mich und alle anderen Lebewesen in den Wahnsinn zu treiben, wenn es sie einholte. Ich konnte nicht mehr sprechen, denn etwas schnürte meine Kehle zu, wie immer. Wie immer war ich nur ein wehrloses Opfer meiner Selbst -ohne Mut, ohne Vernunft. Und wieder einmal rannte ich, obwohl im ersten Moment alles in mir dagegen sprach, mich zu rühren. Ich floh, in irgendeine Richtung des Ganges, nur weg von diesem Ding. Es war mir egal, was ich tat, wichtig war nur, dass ich etwas tat, denn das allein würde den Wahnsinn aufhalten. Es folgte mir. Natürlich tat es das. Das ist es schließlich, was seit zwölf Jahren der klassische Alptraum aller Menschen ist, nur, dass er bei mir die Wirklichkeit war. Es war vollkommen lautlos und verbarg sich ebenso in der Dunkelheit, die vor mir lag, als auch in der Dunkelheit, die mir folgte. Ich spürte, wie meine Kräfte nachließen und wusste, dass ich es nicht schaffen würde. Dieser Gang war kein irdischer Gang. Es war der endlose Gang aus den Alpträumen, aus dem es kein Entrinnen gab… Mutlos blieb ich stehen. Und die Dunkelheit holte mich ein… “Nach sieh mal einer an, du bist es!”, dröhnte es vor mir. Ich öffnete die Augen. Wo war sie, die altbekannte Angst? Ich spürte nichts. Wieder einmal stierten mich zwei leere, dunkle Höhlen an, doch dieses Skelett war in prächtige Kleider gehüllt, und aus seinem Schädel sprossen die kläglichen Reste eines langen, roten Bartes. Ich erkannte ihn sofort, obwohl er tot war. “Was… was tust du an diesem Ort?”, fragte ich ihn beunruhigt. Ich hatte keine Angst vor ihm. Vielleicht lag es daran, dass er eine Stimme hatte und selbst im Tode noch seinen Humor bewahrt hatte. Doch wann war er gestorben? Er lachte. “Was tust du an diesem Ort? Das hier ist meine zerrüttete Seele, und du hast eigentlich nicht mehr Platz darin, als dir zusteht.” “Du bist tot.”, sagte ich. Oder nicht? “Nicht ich, nur meine Seele,”, sagte er nach einer kurzen Pause, “Aber du sahst auch schon besser aus. Du siehst aus, als wärest du um ein dutzend Jahre gealtert.” Ein Dutzend. Ich schauderte. War das nur ein Zufall? Nein, nichts hier geschah aus Zufall. Die Tür war eine Tür zur Vergangenheit gewesen, die mich in die Seele meiner alten Kameraden führte, damit ich dort die Dinge wieder “gerade rückte” und so verhinderte, dass sie mir in der Zukunft helfen würden, dass Tor zu öffnen. Ich dachte an das Skelett mit der Geige und schauderte. War das etwa ich? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)