Endlich mal eine Liebesgeschichte von meseta (mit gaaanz viel schmalz) ================================================================================ Kapitel 1: Unvermeidlich: eine Begegnung ---------------------------------------- Es hätte ein schöner Sommertag sein können. Der helle Sonnenschein ließ die Blätter der Bäume in satten Tönen erstrahlen, ohne dass die Farben den sommerlichen Eindruck minderten. Es war sogar warm genug, die dicken Jacken noch mal im Schrank zu lassen. Einzig ein dünner Schleier, der in der Luft hing, verriet die fortgeschrittene Jahreszeit. Ein seltsamer Tag war das, zumindest witterungstechnisch betrachtet. Für Leah, die sich nichts aus dem Wetter machte, war es nicht einmal ein normaler Tag. Nein, er lag in ihrer Wertung im negativen Bereich. Vor zwei Wochen hatte das neue Schuljahr angefangen, was schon anstrengend genug war. Doch an diesem Morgen tauchte aus unerfindlichen Gründen ein eindeutiger Störfaktor auf. Wie immer ein wenig zu spät um tatsächlich pünktlich zum Unterricht zu erscheinen, rannte sie in Richtung Schultor. Leider lief sie dermaßen schnell, dass sie die scharfe Linkskurve nicht ganz einhielt. Der unplanmäßige Kurs endete prompt im Zusammenstoß mit irgendeinem Kerl und schon lagen beide auf dem zum Glück nicht allzu matschigen Schulhof. “Mensch pass doch auf!” fuhr sie ihn an, während sie wieder aufstand. “Entschuldige bitte, ab morgen komme ich mit Leuchtsignalen, damit du das Tor nicht verpasst...” Auch er stand auf, blickte kurz zur Uhr und grinste Leah an: “Ich würde sagen, du kommst zu spät.” Und schon brach ein ohrenbetäubendes Klingeln los. Der Grund warum sie immer noch nicht weiter rannte, lag in seinem Gesicht. Er war groß, fast ein-ein halb Köpfe größer als Leah. Schwarze Haare hingen frisurlos auf seinem Kopf herum, was die blauen Augen noch hervorhob. Insgesamt sah er tatsächlich attraktiv aus, was Leah etwa so sehr interessierte wie der Sonnenschein am Himmel. Was sie fesselte war der Ausdruck, der auf seinem Gesicht lag. Sicher, da war das Grinsen, aber es reichte nicht ganz aus um den Unwillen zu überdecken, der aus seinen Augen sprach. Unwille traf es nicht richtig, es sah nach tiefgründigem Abscheu aus. “Genau, das ist es.” Abscheu. Das letzte Wort sprach sie nicht aus. Die lange Pause, in der Leah ihn angestarrt hatte und die Weise, wie sie die Worte flüsterte, gaben dem jungen Mann genug Anlass den falschen Schluss zu ziehen, sie sei vollkommen von seiner Erscheinung hingerissen. Das geschah auch aus Gewohnheit, bis jetzt war ihm das häufiger unter gekommen. Sein Lächeln erlosch endgültig und er sah sie nur noch an, wartete dass etwas geschah. Nach nur einem Augenblick erwachte Leah wieder zum Leben, als der Zeiger der Uhr über dem Schulportal mit einem lauten Ticken eine weitere Minute hinter sich brachte. Und da erwachte auch wieder der Wunsch nicht zu spät zu kommen, was ja eigentlich seit genau drei Minuten nicht mehr im Rahmen ihrer Möglichkeiten lag. Trotzdem rannte Leah ohne weiteres Wort ihrem Unterricht entgegen. Sie überlegte schnell, welche Ausrede sie nutzen konnte, bis ihr klar wurde, dass diese Mühe bei Physiklehrer Korsig vergebens war. Stattdessen versuchte sie sich die letzte Stunde noch mal in Erinnerung zu rufen, da Korsig Spätkommer am liebsten gleich an der Tafel behielt, um Exempel zu statuieren. Zur allgemeinen Verblüffung stand die geistige Exekution heute nicht im Sinn des sonst nicht sehr friedliebenden Lehrers. Unbehelligt schaffte Leah es also ihren Platz zu erreichen. Das Thema der Induktion hätte fast spannend sein können, aber es gab etwas Wichtigeres zu überdenken. ´Wer war das eben eigentlich? In der Schule hab ich den noch nicht gesehen...´ Da klopfte es an der Tür. Unter dem gespannten Blick der ganzen Klasse, abgesehen von Leahs entgleisten Zügen, betrat der Unbekannte das Zimmer und wandte sich an Korsig: “Ich komme gerade vom Sekretariat. Ich bin Vince, der neue Schüler” “Ja, ja, ich hab mich schon gewundert wo du bleibst Vincent” - die Finte ging nach hinten los, viele Münder verzogen sich zum Schmunzeln, wegen des Namens- “Setz dich einfach dazu, wir klären deinen Wissensstand nachher ab.” Damit war der Neuankömmling für Korsig abgehakt. Das führte dazu dass der Großteil der Klasse nicht viel über Induktion mitbekam. Leah war absolut erleichtert, dass Vince sich nicht die Mühe machte zu dem freien Platz neben ihr vor zu stoßen. Er nahm dezent am äußeren Ende der letzten Reihe platz, die bis auf Leah und ihre Freundin Marianne leer war. Leah sah ihn an, konnte aber von der Ablehnung von vorhin nichts mehr erkennen. Im Gegenteil, als Vince ihren Blick auffing entrang sich seiner coolen Miene ein leicht sadistisches Lächeln. Warum sollte er nicht zum Zeitvertreib ein wenig mit dem Wildfang spielen... Was er nicht wusste war, dass Leah eine geringe Meinung von männlichen Wesen ihres Alters hatte und ihnen noch weniger Vertrauen entgegen brachte. Ihrer Ansicht nach, taugten Jungs lediglich als Trainingspartner in der Sportschule ihres Vaters. Das Lächeln, das sie eigentlich schmelzen lassen sollte, verursachte in ihr das unbehagliche Gefühl, als Püppchen eingestuft zu werden. Mit aller Kraft setzte sie die Macht ihrer Aura frei und funkelte Vince mit so viel Verachtung an, dass ihm das Lächeln verging. “Wenn du ihn noch mal anguckst läuft er sicher vor dir davon” stichelte Marianne und versuchte dann Leahs Stimmung zu besänftigen. “Egal, was er getan hat, er sieht aus wie jemand, den Ignoranz mehr ausmacht als alles andere.” Leah schaute ihre Freundin unsicher an. Angriff war die beste Verteidigung, und dass ein Kampf aufkam spürte das ganze Klassenzimmer, allerdings hatte Marianne in solchen Dingen wesentlich häufiger recht als Leahs Gefühle. Also beschloss sie dem Rat zu folgen und Auseinandersetzungen nicht zu provozieren. Ein Plan, der an diesem Schultag, an dem Vince auf Schritt und Tritt verfolgt und umschwärmt war, ohne weiteres umzusetzen war. Das wurde am nächsten Tag um Längen schwieriger. Irgendwie schaffte er es nach Leah den Unterrichtsraum zu betreten ohne zu spät zu sein und setzte sich diesmal neben sie. Leah hatte in den letzten drei Schuljahren den einen freien Platz immer vehement verteidigt, zumindest im ersten Jahr, danach war das nicht mehr nötig gewesen. Der Neuling wusste das ja noch nicht, weswegen ein ritterlicher Klassenkamerad sich zu ihm umdrehte “Ähm, Leah hat ganz gerne einen freien Stuhl neben sich, sonst fühlt sie sich zu” - “ Hab ich schon gehört.” Leah hatte dem Ritter dankende Blicke zugeworfen, der sich unsicher nach ihr umgesehen hatte. Jetzt konnte sie Vince nur böse angucken, versuchte das gleiche wie am Vortag, doch das Grinsen in seinem Gesicht wurde nur noch breiter. Positiv, er sah sie nicht mehr als Püppchen- negativ, jetzt sah er in ihr das Wildtier, das es zu bezähmen galt. Das hatten schon ganz andere versucht. Der Kampfgeist regte sich in Leah und sie begann sich eine Strategie zu recht zu legen. Vince war allerdings nicht von der Art, die Leah ihm andachte. Das Interesse an dem Mädchen neben ihm wäre mehr als natürlich. Die erste, verunglückte Begegnung, ihre bezaubernde Erscheinung und die Herausforderung, die sie darstellte, waren genügend Ansporn. Vince beabsichtigte mit der eindeutigen Kampfansage lediglich, dass die Jungs der Schule ihn bei sich, im Kreis der gescheiterten Freier, aufnahmen und die Mädels ihn in Ruhe ließen. Es war die sechste Schule, allmählich hatte er das Vorgehen intus. Das Zanken mit ihr würde Spaß machen und ein wenig Spaß konnte er gebrauchen. Weitere Absichten hatte er nicht. Zu Leahs Erleichterung lagen am Freitag die Sportkurse, was bedeutete, dass sie nur zwei Stunden mit ihm aushalten musste. Obwohl das schon schwer genug war. “Hast du heute Morgen den Kleiderschrank deines Bruders erwischt? So geschmackloses Styling habe ich lange nicht gesehen.” flüsterte Vince kopfschüttelnd während der Stunde. Die Bemerkung verfehlte ihre Wirkung nicht. “Solange kann es noch gar nicht her sein, dass du einem Spiegel gegenüber standest.” “Ich habe wenigstens die richtige Abteilung im Laden gefunden.” “Schade, dass du beim Bügeleisen nicht das gleiche Glück hattest.” “Und die Haare, willst du die nicht mal frei lassen? Auf jedem Jahrgangsfoto hast du die gleiche Frisur. Lara-Croft- Zöpfe sind nicht mehr in Mode.” “Beim Thema Frisuren auf dich zu hören ist augenscheinlich nicht ratsam.” “Aber es schadet meiner Ausstrahlung nicht, dir würde ein wenig Sex-Appeal gut tun.” sagte er so leise, dass nur Leah es verstehen konnte. Zuerst errötete sie nur leicht, da sie ihrem Ärger keine Luft machen konnte verfärbte sich ihr Gesicht aber zunehmend dunkler. Die weißen Lippen ließen keine weiteren Argumente hindurch. Janna tätschelte ihren Arm beruhigend. Gut nur, dass Leah Vince anstarrte, sonst hätte sie gesehen, dass ihre Freundin sich kaum das Lachen verkneifen konnte. Es war schon zu lange her, dass jemand sich mit Leah anlegt hatte. Janna selbst hatte es im ersten Jahr getan und war schließlich in Leahs Fänge geraten. Bei Leah gab es zwei Möglichkeiten. Entweder man mochte sie so sehr, dass man gerne tat, was sie wollte, oder man hatte solche Angst vor ihr, dass man schnellstmöglich das Weite suchte wenn sie kam. Erschreckenderweise war das ihr selbst nicht gerade bewusst, sie sah lediglich ihre Janna als Freundin und alle anderen waren der “Rest”, unterschieden in Raufkumpel und Memmen, die Mädchen waren nicht interessant. “Janna, hast du ein Taschentuch für mich?” presste Leah hervor. Marianne hatte bereits seit gestern ein Papiertuch bereitgehalten, was sie eilig übergab. Leah zerfetzte in kürzester Zeit das ganze Tuch zu 1-cm Schnipseln und nahm nach und nach wieder eine natürliche Farbe an. Vince hatte schon in diesem Schlagabtausch genug Freude gefunden um die nächsten Stunden friedlich zu bleiben. Unerklärlicher Weise war er im Schwimmkurs gelandet, der gemeinhin als überfüllt galt. Mit einiger Freude stellte er fest, dass auch Leah diesen Kurs besuchte, was ihr nun gar keine Freude bereitete. Die totale Katastrophe brach herein, als klar wurde, dass an diesem Tag in Paaren gearbeitet werden sollte. “Sucht euch bitte alle einen Partner, heute möchte ich einen Probetest fürs Tauchen machen. Der eine stoppt die Zeit des anderen, immer im Wechsel! Wir fangen mit dem Ausdauertest an...” Die Schüler teilten sich schnell einander zu. Vince stand etwas abseits, beglückt keinen weiteren alleine stehen zu sehen. Da bemerkte der Lehrer scheinbar etwas hinter Vince. “Das trifft sich, Leah! Du kannst mit eurem neuen Mitschüler arbeiten.” Mit leichter Verspätung kam Leah aus den Umkleiden geschlendert. Sie trug, im Gegensatz zu den anderen Mädchen, nicht den eigentlich vorgeschriebenen Badeanzug (die meisten Lehrer hatten gegen ihre ausdauernden Rebellionen verloren), sondern ein Bikini-Oberteil und eine Boxershorts, beides passte gut zu einander und vor allem zu ihr. Vince nahm die Möglichkeiten, die dieses Oberteil mit sich brachte, in vollem Ausmaß wahr. Leahs Begeisterung über ihren Partner hielt sich in Grenzen. Bei ihm angekommen giftete sie ihn an: “Untersteh dich, auch nur einen krummen Gedanken weiter als bis zu deiner Schädeldecke vor zu lassen!” Mit Unschuldsmiene folgte er ihr zu einem noch freien Platz am Beckenrand. “Du fängst an!” Ohne Skrupel stieß sie ihn ins Wasser. “Das ist doch in Ordnung?” “Du hättest auch fragen können...” Er langte nach dem Rand, schaute aber lieber noch mal zu ihr auf, um sicher zu gehen, dass sie ihm nicht auf die Finger treten würde. Die Übung bestand lediglich darin, solange wie möglich unter Wasser zu bleiben. `Was für ein beschränkter Unterricht ist das denn hier? ´ Vince fehlte dafür definitiv die Motivation. Er machte keine Anstalten zu tauchen. “Hast du Angst, du könntest ertrinken, weil du vergisst wieder hoch zu kommen?” Eine passende Erklärung. “Du hast mich durchschaut.” Vince grinste zu Leah hoch, die ihn nur irritiert anstarrte. Für sie war es unbegreiflich, dass jemand in einer Sportdisziplin nicht sein Bestes gab. Nachdem die anderen nach und nach aufgetaucht waren, brach ob des Wechsels ein kleiner Tumult los. Vince blieb mit den Beinen im Wasser am Rand sitzen und angelte sich die Stoppuhr, die Leah etwas zu weit entfernt hatte liegen lassen. Die zweite Runde begann. Leah ging bis an ihre Grenzen, nicht die äußersten, es war ja nur der Unterricht. “Und? Wie lange?” fragte sie leicht außer Atem nach dem Auftauchen. “Ich bin mir nicht ganz sicher...Ich hab vergessen den Knopf zu drücken, du weißt ja, ich bin vergesslich (^.^°).” Leah versuchte den Schwall an nicht Salonfähigen Ausdrücken zurück zu halten. Mit einem gezwungenen Lächeln “Weißt du jetzt wieder wo du drauf drücken musst? Dann probieren wir das doch gleich noch mal.” Das war so mies! Beim zweiten Anlauf war man zwangsläufig schlechter als zuvor. Nur weil er keine Lust hatte traf das ja nicht auf alle zu. Etwas misstrauisch tauchte sie auf und schaute erwartungsvoll auf die Stoppuhr in seiner Hand. “Und?” “Also ich habe 1:20 gestoppt.” “ Was? Das kann nicht sein!” Leah entriss ihm die Uhr. Sie zeigte tatsächlich keine eineinhalb Minuten an. “Ich habe den Start wohl etwas verpasst....” Leah packte ein unglaublich starker Drang, Vince irgendwie zu verletzten. Sie krallte sich an seinen rechten Arm und stieß sich mit der vollen Kraft ihrer Beine vom Beckenrand ab. Unvorbereitet auf den Angriff fand sich Vince plötzlich vollkommen im Wasser, über ihm eine Furie, die nicht daran dachte ihn wieder an die Oberfläche zu lassen und ihn zusätzlich mit einer Salve an Schlägen und Tritten versorgte. Die anderen Schüler nahmen das nicht so wahr, aber Vince musste ernsthaft kämpfen um an die lebensrettende Oberfläche zu kommen. Noch immer konfus und fern des Beckenrandes begann auch die zweite Schlacht nicht gut für ihn. Er hatte unheimliches Glück, dass dieser Test nur eine Probe war, und noch mehr Glück, dass Leah das gerade klar wurde. Sie ließ also von ihm ab, er hatte sich vermutlich genügend erschrocken. Als sie aber auftauchte und sich Richtung Beckenrand bewegte, tauchte Vince vor ihr auf, schlang seine Arme um sie und drückte sie schließlich an die Wand. “Was soll das nun wieder? Lass gefälligst los!” “Ganz sicher?” flüsterte er in ihr Ohr, so weit hatte er sie in die Arme genommen. Auch wenn er gerade Todesangst vor ihr gehabt hatte, dieser Moment war zu herrlich. Er konnte es fast neben sich rattern hören, und als der Groschen gefallen war wurde der zarte Körper in seinem Griff spürbar Wärmer. `Das darf einfach nicht wahr sein...´ Leah hätte heulen können. Nicht nur dass dieser Elende ihr die Zeiten vermiest hatte, nicht nur dass sie sich dann auch noch zu einem Übergriff hatte hinreißen lassen, nein, natürlich mussten in genau dieser Situation die Knoten ihres Oberteils nachgeben, um Vince die besten Waffen zu liefern. Ihm fiel auf das Leah allmählich anfing zu Hyperventilieren und er schlug sich all die Gemeinheiten aus dem Kopf die ihm gerade vor Augen geschwebt hatten. So viel Boshaftigkeit hatte sie dann doch nicht verdient, noch nicht. “Keine Panik. Du drehst dich jetzt langsam um und bleibst ganz dicht am Beckenrand und ich suche das Oberteil, verstanden?” Als Antwort kam nur ein schwaches Nicken. Nachdem sie halbwegs in Sicherheit war vor den Blicken der anderen, die durch den Kampf natürlich alle Aufmerksamkeit auf die beiden gerichtet hatte, entdeckte Vince das verräterische Stoffteil und überbrachte es schnellstmöglich an die Wartende. Leah tauchte unter, zog sich an und versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. `Okay...das wird mir ewig nachhängen. Wie soll ich damit weiterleben? Ich frag am besten mal ob ich die Schule eigentlich auch während des laufenden Jahres wechseln kann, muss ja, er ist ja auch erst jetzt hier...´ Als sie an die Oberfläche kam hatte der Lehrer die anderen zum Weitermachen gebracht und wartete schon auf Leah. “Ich denke wir müssen kurz über dein Verhalten reden...” Die Zehen klopften schon ganz ungeduldig auf die Fliesen. Nach der Standpauke verhielt sich Leah etwas zurückhaltender. Nicht wegen der Schelte, sondern wegen der Hilfe die Vince geleistet hatte. Freilich hatte er keinen Ton gesagt um sie vor dem Lehrer zu verteidigen, aber der kurze Moment davor... ´Jetzt bin ich in der Klemme...warum musste es auch soweit kommen? Wenn ich weitermache wie zuvor wird sie mich nicht mehr ernst nehmen. Aber zum Nettsein hab ich nicht richtig Lust...´ Vince hatte höflich die Zeiten genommen und wartete auf das Ende der Stunde, da er immer noch keinen Sinn in all dem fand. ´Nicht das sie was Falsches von mir denkt...´ Mit allerlei Grübelei verbrachte Vince das Wochenende. Leah war nach dem Schlusspfiff davon gesaust und war auch später nicht mehr zu sehen. Tatsächlich hatte sie sich nicht einmal richtig umgezogen, nur etwas übergeworfen und war erst wieder ansprechbar nachdem sie in der Trainingshalle einen Sandsack ziemlich eingedellt hatte. Jetzt war sie diesem furchtbaren Störenfried auch noch zu Dankbarkeit verpflichtet. Am Montag machten beide ohne Absprache weiter wo sie aufgehört hatten, nur hatte Leah nicht mehr die Idee von Ignoranz gegenüber Vince, während dieser nach allen Regeln der Kunst stichelte wo es ging. Die zwei gingen so weit, dass in jeder Stunde einer von beiden vor der Tür landete um etwas Ruhe im Unterricht zu schaffen. Von den Pausen ganz zu schweigen. „Und du bist dir ganz sicher, dass ich dir nicht helfen soll beim Lernen?“ „Lieber falle ich durch, als mir von SO jemandem helfen zu lassen!“ „Aber du scheinst es bitter nötig zu haben… (^^) “ „Und dir fehlen wohl Schläge wie es aussieht! Hör endlich auf mir nachzulaufen!“ „Ich glaube der Flur ist immer noch öffentlich (^^)“ „HÖR AUF SO DÄMLICH ZU GRINSEN!!!“ „Was denn? Da will man mal freundlich sein und so dankst du es einem.“ ´Wenn ich den nach der Schule in die Finger kriege…` „Sei froh, dass du-“ „Hey, Vince!“ Ein sommersprossiger Junge klopfte ihm auf die Schulter. „Peter hat erzählt du hast am Freitag Leah den Arsch gerettet…beziehungsweise etwas anderes hübsches ; ) “ Leah griff ihn am Kragen des Pullovers und warf ihn an die Flurwand. „Wer. Sagt. Das.?“ Der Ärmste schluckte erst einmal, als ihm klar wurde was er da über Peter gebracht hatte. „Ähm, also…ich…“ „Mach dir keine Mühe, ich find ihn auch so.“ Mit einem Mörderblick machte sie sich in die Richtung auf aus der Sommersprosse gekommen war. Vince warf ihm einen mitleidigen Blick zu und entschloss sich, nachdem er sich an seine Situation unter Wasser erinnert hatte, dem Peter eine Gnadenfrist einzuräumen bevor er ihn sich selbst zur Brust nehmen würde. „Hey, warte doch mal!“ Er holte Leah schnell ein. Natürlich war sie nicht geneigt ihm zuzuhören. Vince ergriff sie an der Schulter. “Warte doch…AAAHRG!!!“ Mit geübter Technik hatte Leah ihm den Arm auf den Rücken gedreht und ihr Griff wurde unerbittlich immer fester. „Ganz ruhig, das können wir doch sicher anders klären…“ Er zog scharf Luft ein. ´Verdammt. Boah…hat die eine Kraft…wenn sie nicht gleich loslässt könnte es schlecht für sie enden…´ „ Du gehst mir … total auf die Nerven.“ Schließlich ließ sie ihn stehen und ging. In ihren Klassenraum. Er rieb sich den ergriffenen Arm und betrachtete die momentan gerötete Haut, die zweifellos bald eine dunklere Farbe annehmen würde. ´Das ging auf den Ellbogen…naja, wird schon. Und jetzt-´ „Wo also finde ich Peter?“ wandte er sich an die Sommersprosse, der sich noch nicht fort getraut hatte. „Raum 9, zweite Reihe am Fenster…“ Vince probierte es in dieser Woche immer wieder Leah in ein Gespräch zu verwickeln. Da sich diese aber nun, aus Angst ihm gegenüber wieder handgreiflich zu werden, absolut zum Schweigen entschlossen hatte, blieb er damit recht erfolglos. In diesen Tagen fand er im Allgemeinen Anschluss, bekam die ihm fehlenden Mitschriften geborgt, wurde in der Mittagspause gleich an mehrere Tische eingeladen (seine jeweiligen Tischnachbarn empfanden sich regelrecht als Tagessieger…) Er hatte soviel Kontakt, dass keinem richtig bewusst wurde wie oberflächlich die Gespräche mit ihm abliefen. Natürlich konnte er die Gerüchteküche nicht unter Kontrolle bringen. Nachdem er sich mit Peter beschäftigt hatte und vor allem nachdem die halbe Schule Leahs Übergriff beobachtet hatte, erschien das interessanteste Mysterium was genau am letzten Freitag geschehen war, das lenkte immerhin von den üblichen Fragen ab. Bisher wusste man so ziemlich gar nichts über Vince, was ihm ganz gelegen kam. Nicht so gelegen kam ihm die Nachricht, dass sein Jahrgang fürs Wochenende die erste Fete angesetzt hatte. Nach den Berichten der anderen waren das wohl monatlich stattfindende Orgien bei denen der ganze rebellische Geist der Jugend auflebte. Bei den glänzenden Augen konnte er die Einladung aber nicht ausschlagen. „Hätte ich geahnt, dass das so anstrengend ist, ich hätte die Klasse gewechselt.“ „Wegen einer Woche rumzicken?“ „Papa…“ Leahs Vater, Jonas, liebte es sie zu ärgern, auch wenn er sich die letzten Tage verständnisvoller Weise zurückgehalten hatte. „Bitte keinen Zank am frühen Morgen.“ Auf das gemeinsame Sonntagsfrühstück bestand die Dame des Hauses mit Nachdruck, dazu gehörte aber auch ein gewisses Maß an Frieden. „Was ist denn eigentlich los? Ich hatte noch kein Update.“ Da der Vater seine Sportschule gleich nebenan hatte, war er beinahe zum Hausmann geworden als seine Frau eine Arbeit begann die viele Reisetage mit sich brachte. „Leah hat einen neuen Spielkameraden mit dem sie sich nicht gut versteht.“ „Und ich bin seit einem Jahrzehnt aus dem Kindergarten raus, falls es dir entgangen ist…“ „Und warum zankst du mit ihm?“ „Ich? Ich zanke gar nicht, er fängt doch immer an, obwohl ich versuche ihm aus dem Weg zu gehen, ständig kommt er hinterher, tut so als wäre ich total beschränkt und dann hat er auch noch im Sport-“ Da konnte sie schlecht weiter erzählen... „Sag ich s nicht? Ein neuer Spielkamerad.“ „Ach, je. Und das schon eine Woche? Eigentlich hat das noch keiner unbehelligt überlebt… Gibt’s noch irgendwelche Klinikaufenthalte die mir verschwiegen wurden?“ „Nein, irgendwie hab ich das Gefühl, ich kann das nicht immer auf diese Art regeln. Er scheint auf einer anderen Ebene zu stehen- Was?“ Die erstaunten Gesichter ihrer Eltern hatten sich einander zugewandt und waren im stillen Gespräch gewesen. „Mein Gott, sie ist wirklich nicht mehr im Kindergarten? Wieso habt ihr mir das solange verheimlicht?“ Jonas versank in gespielter Verzweiflung. „Reichst du mir bitte die Milch?“ wandte sich Leah an ihre Mutter. Katharina kam ihrer Bitte nach. „Und, welche Taktik hast du denn angewendet, wenn dein Widersacher tatsächlich noch keine Prügel bezogen hat?“ „Tja, Janna hätte es wohl ´einfach Ignorieren´ genannt, aber ich finde das alles andere als einfach, ich bin am Ende. Wenn der am Montag mit neuer Energie und neuen Ideen auffährt, weiß ich wahrlich nicht was ich tun soll…“ Leah sank auf dem Tisch zusammen. Im gleichen Moment kam Jonas zurück aus seinem Theater. Dem Vater war die Tochter alles und er sah sie nicht gerne unglücklich. Katharina tätschelte ihm die Hand und schenkte ihm ein zuversichtliches Lächeln. ´Jemand der Leah auf eine andere Ebene bringen kann…wollen wir doch mal sehen wie das ausgeht´ „Wie auch immer, ich geh dann…“ langsam trottete Leah von Dannen. „Ob das gut geht?“ „Keine Angst, deine Tochter ist nicht aus Zucker, dafür hast du ja gesorgt…“ „Hi, schön, dass du kommen konntest!“ Und schon wurde Vince von Gast zu Gast gereicht. Das arme Gebäude, das als Location diente, war bereits kaum mehr zu durchblicken vor lauter Zigarettenrauch oder Dämpfen aus anderen Quellen. Das Angebot an Alkohol war tatsächlich reichhaltig, nach der ersten Runde durchs Erdgeschoss hatte Vince zwölf verschiedene Getränke zum probieren eingeflößt bekommen. Er hatte sich gerade eine sichere Ecke erobert, die den Überblick über das Treiben zuließ, als aus dem Garten Leah herein spaziert kam. ´War ja klar, keine Feier ohne Meier…´ Sie hatte erstaunlicher Weise etwas Weibliches an. Eine enge Jeans formte an den richtigen Stellen angenehme Rundungen, das Oberteil entblößte ein Blickfangendes Dekolleté, aber vor allem hatte sich (wahrscheinlich) Janna mit Schminke über sie hergemacht. ´Gut, dass sie nicht immer so aussieht, der könnte man ja glatt verfallen´ „Siehst du? Neben der Küche… mein Plan funktioniert tadellos ^^“ Vince´ Gesichtausdruck verriet sogar Leah, dass er von ihrem Auftritt beeindruckt war. Nun kam aber auch sie in Verlegenheit. So, wie er da in schwarzem Outfit an der Wand lehnte fand sie einen ganz und gar neuartigen Gefallen an ihm. ´Angriff ist die beste Verteidigung´ Mutig bahnte sie sich einen Weg zu ihm. Die Planung besagte, erst nett sein, dann abspeisen. Das konnte ja nicht zu schwer sein, ein wenig konnte sie ihn mittlerweile einschätzen. „Ich würde dir ja was zu trinken anbieten, aber du bist ja versorgt…“ Ein misstrauischer Seitenblick traf sie. „Bitte? Was habt ihr denn ausgeheckt, dass du mit mir sprichst?“ „Eigentlich wollte ich dir ein gut geschütteltes Bier geben, damit du dich bekleckerst, aber das wird ja nun nichts, also versuche ich dich durchs Nettsein so zu verwirren, dass du von allein in die Knie gehst ^^“ ´Da ist sie auf dem besten Wege…´“Da hab ich ja Glück gehabt, dass ich mich nicht gegen die anderen wehren konnte. Der Wodka-Mix hat es echt in sich.“ „Du bist doch sicher abgehärtet, oder? Ich schätze, Partys die du besuchst gehen normalerweise richtig ab. Es sei denn du bist tatsächlich ein Mof der nur selten ausgeht… Wie hast du deine Wochenenden denn früher um die Ecke gebracht?“ „Öhm, naja, was man halt so macht an Wochenenden, nicht wahr? Mit Freunden abgehangen und so…“ „Und so?“ Leah zeigte eine hochgezogene Augenbraue: „Hast du denn keine Hobbys? Insgesamt hast du ja herzlich wenig über dich erzählt.“ „Woher willst du denn das wissen, hast du dich etwa erkundigt?“ „Sicher. Man muss über seine Feinde immer gut informiert sein. Nein, im ernst, was machst du wenn die Schule vorbei ist?“ Mit interessierter Miene sah sie ihm direkt in die Augen, ohne eine Spur der Unsicherheit darin. ´Dieses Weib will mich eindeutig in Bedrängnis bringen…´ „Tja, ich- schätzungsweise, im Allgemeinen- mache ich zuhause meine Hausaufgaben und kümmere mich ums Haus…“ Unbehagen regte sich in ihm, er spürte regelrecht wie die normalerweise feste Maske ins Rutschen kam. „Wenn du schon bei so einem Thema dem Gegenüber nicht mehr ins Gesicht schauen kannst wenn du lügst, musst du wirklich noch üben.“ „Ich wüsste nicht was dich das überhaupt angeht – jemandem wie dir muss ich ja nun wirklich nicht alles auf die Nase binden!“ „Jemandem wie mir?“ „ ...das, das war nicht- Warte!“ Leah war einfach los gerannt und schob sich durch die Menge in die ungefähre Richtung des Ausgangs. Vince folgte ihr so gut es ging, allerdings hatte die Masse sich schon wieder entschieden ihn nicht einfach so davonkommen zulassen. Mit einiger Mühe erreichte er die Ausfahrt um am Straßenende gerade noch eine Person nach links abbiegen zu sehen. ´Nicht links! Nicht um diese Zeit- Nicht ALLEIN!!´ Hastig stürzte er ihr hinterher. Kapitel 2: Möge die Jagd beginnen... ------------------------------------ „Super, das war ja so was von erwachsen, einfach wegzulaufen… wieso kommt mir das hier so unbekannt vor? Wenn ich mich rechts halte müsste ich ja wieder auf die Hauptstraße kommen…“ Leah war gradewegs in die übelste Parkanlage der Gegend spaziert. Hier kannte man sich natürlich nicht aus, wenn man den Anschluss zu den richtigen Kreisen vermied. Und wie das die Zwielichtige Bevölkerung meistens bevorzugte, war der Großteil der Beleuchtung nicht mehr funktionsfähig. Am Wochenende war hier einiges los. Das Wesen, das so sehr versuchte von einer Lichtquelle zur anderen zu gelangen, zog einiges an Aufmerksamkeit auf sich. Schnell hatte sich eine Gruppe gefunden die Leah nach stellte. „Okay, ich schaff das, ich werde einfach weiter mit mir selbst reden, auch wenn die Idioten mir weiter folgen, die können mir gar nichts, ich kann mich wehren, ich bin schließlich kein kleines Dummchen, oder vielleicht doch, sonst wäre ich den bekannten Weg gegangen, oder hätte mein Handy vielleicht doch noch mal aufgeladen…“ Aufgrund der schlechten Umgebungskenntnis kam Leah der erhofften Hauptstraße nicht gerade näher, sie würde noch eine Weile parallel dazu laufen. „Was wollen wir denn mit ihr machen?“ – „Mir würde da schon was einfallen (hehehe)“ – „Zu elft? Das könnte eng werden…“ „Beziehungsweise grade nicht“ „Das könnte auch für sie etwas viel werden…“ „Elender Gutmensch, okay, Lose ziehen oder Schere-Stein-Papier?“ „Haben wir Lose?“ „Gilt Brunnen auch?“ ´Also langsam krieg ich doch Angst. Warum müssen die in so großen Haufen durch die Gegend rennen? ´ Währenddessen wurden sich die Jungs nach und nach einig wer was machen durfte. Vince überlegte verzweifelt wie er die Jäger von ihrer Beute abbringen konnte. Mit einem einfachen Ablenkungsmanöver wäre es wohl nicht getan. Dazu zwingen konnte er sie auch nicht, dafür waren es dann doch zu viele. Leah einholen und ins beleuchtete Stadtrevier zurückbringen würde er nicht mehr schaffen. Der Abstand zwischen ihr und den anderen schmolz viel zu schnell dahin. Er hatte nicht die Zeit noch länger zu Grübeln, wenn er nicht rechtzeitig etwas unternahm, würde es ihr nicht mehr helfen. ´Okay, das wird vermutlich unbequem…´ Ein paar aufgelesene Steine lagen in seiner Hand. Nach etwa einer halben Stunde hatte Leah den Park verlassen, überaus erleichtert, dass die Verfolger zwischendurch abgelenkt gewesen waren. Vermutlich mussten sie sich gegenseitig verprügeln. So rasch wie möglich schlich sie durch die Straßen der Stadt. In der Sicherheit des Elternhauses ging es ihr etwas besser. Der Schreck saß doch tiefer als sie zugeben wollte. Es war ein unruhiger Schlaf in den Leah fiel, nach dem sie viel Zeit unter der Dusche verbracht hatte um sich etwas aufzuwärmen. „So was, ist Vincent heute nicht da?“ Die Abwesenheit des beliebten Neulings schien unerklärlich. Also gingen die meisten davon aus, dass er einfach keine Lust hatte und schwänzte. Als Vince auch am nächsten Morgen nicht erschien wurde die Klasse etwas unruhig. Niemand hatte etwas gehört oder wenigstens eine Telefonnummer. Am Mittwoch wurde es Leah zuviel. Sie hatte von Janna erfahren, dass Vince ihr am Samstag gefolgt war. Leah hatte es dann doch nicht für nötig gehalten Janna von dem nicht ganz ungefährlichen Heimweg zu berichten. Nun konnte sie sich lebhaft vorstellen was ihre Verfolger abgelenkt hatte. In der letzten Stunde fasste sie schließlich einen Entschluss. Die Belegschaft des Sekretariats erlebte zum allerersten Mal einen freiwilligen Besuch von Leah. Und Leah war nicht selten zu Gast gewesen. „Guten Tag, ich würde gerne die Adresse von Vincent erfahren. Sie haben ja sicher Zugang dazu.“ „Schon, aber eigentlich sollten wir keine Daten weiter geben.“ „Das dachte ich mir schon, ich möchte Sie trotzdem darum bitten. Vincent fehlte ja die letzten Tage und ich würde ihm gerne den Schulstoff vorbei bringen.“ Aus den bisherigen Begegnungen hatte die Sekretärin den Schluss gezogen, dass Leah nicht die Musterschülerin war die sich um ihre Mitschüler übermäßige Sorgen machte. Andrerseits wollte sie sich nicht vorstellen was Leah mit ihr anstellte wenn sie nicht nachgab. Da es ohnehin darauf hinauslief machte sie dem lieber schnell ein Ende. „Das ist aber nett von dir, warte ich gucke mal kurz…ja, Vincent wohnt im Goldanger 2, weißt du wo das ist?“ „Ich werd´s schon finden, danke.“ Schon war Leah zur Tür hinaus. Der Goldanger gehörte eigentlich zu den besseren Wohngegenden. Leah war etwas verwirrt als sie vor dem fünfstöckigen Block ankam. Er schien aus einer älteren Bauperiode zu stammen und wirkte leicht herunter gekommen. Sie drückte die Klingel bei der so etwas Ähnliches wie Vince´ Name stand, der durch eingedrungenes Regenwasser kaum zu erkennen war. Natürlich ging niemand an die Gegensprechanlage. Nachdem Leah noch einmal geläutet hatte, wandte sie sich der Tür direkt zu. Einfach unverrichteter Dinge wieder zu gehen kam nicht in Frage. Als sie das Schloss unter die Lupe nehmen wollte öffnete sich die Tür ohne Widerstand. Jemand hatte vergessen abzuschließen. Leah brauchte nur zwanzig Minuten um allen Türen einen Namen zuordnen zu können. Sie klopfte an Vince´ Tür, dreimal, viermal mit mehr Nachdruck. Entweder stellte er sich hervorragend gut tot oder er war wirklich nicht da. Eine andere Tür wurde geöffnet und ein faltiges Gesicht in geblümtem Haushaltskittel zeigte sich. „Der Junge ist schon eine Weile nicht mehr nach Hause gekommen. Sie sind bestimmt seine Freundin, nicht? Ich mach mir ja ein bisschen Sorgen. Er meinte zwar es könnte vorkommen dass er ein paar Tage verschwindet, aber man macht sich ja doch seine Gedanken, nicht? Wenn selbst seine Freundin hier steht und nicht weiß wo er ist, dann ist dass doch wirklich ein Grund sich zu sorgen. Er ist ja so ein guter Junge, immer hilft er mir, wenn ich ihn drum bitte, und fragt auch immer so nett nach. Den sollten Sie sich beibehalten, junge Dame.“ „Haben Sie vielleicht eine Idee, wo Vincent stecken könnte?“ Ein besorgtes Kopfschütteln kam als Antwort. „Wissen Sie wo seine Eltern sind?“ „Der Junge wohnt allein hier, er hat mir sogar einen seiner Schlüssel gegeben, für Notfälle…“ „Aha. Gut, dann danke ich für Ihre Hilfe, einen schönen Tag noch.“ „Keine Ursache, geben Sie gut auf ihn Acht!“ Leah machte sich mit einem sehr schlechten Gefühl auf den Heimweg. Offensichtlich war ihr bisher der Großteil von Vince entgangen, dafür hatte er mit aller Macht gesorgt. ´Der Mistkerl wohnt ganz allein. Der Mistkerl ist nett zu alten Omas. Und der Mistkerl ist spurlos verschwunden. Und er sagt das kann vorkommen…gehen wir mal davon aus, dass die Idioten vom Samstag tatsächlich von ihm aufgehalten worden sind, und gehen wir auch davon aus dass er das überlebt hat. Dann bleibt eigentlich nur noch eine Möglichkeit auf die ich zurückgreifen kann…´ Noch war der Tag jung und es gab nur vier Krankenhäuser in der Stadt. Es ging schon auf sieben zu, als im dritten Klinikum die Worte „Ja, der liegt hier, auf Station 4. Da fahren Sie in die zweite Etage und dann nach links.“ ausgesprochen wurden. ´Toll, jetzt bist du hier und hast nicht die geringste Ahnung was du sagen sollst…´ Vorsichtig klopfte Leah an der Zimmertür. Ein energiegeladenes Herein ertönte auf der anderen Seite. Zaghaft öffnete sie die Tür und schob sich ins Zimmer. „Oh, so was, und ich dachte meine Frau käme. Naja ich werd mal meine Runde drehen. Siehste, kriegst doch noch Besuch. Und dann so hübschen. Bis später.“ Der Herr mittleren Alters hatte einen Arm in einer Schlinge und ließ eine sehr angespannte Situation hinter sich zurück. Leah erkannte im schummrigen Abendlicht nicht allzu viel, aber was sie sah war schon aussagekräftig genug. Vince wirkte wie erstarrt. Sein rechtes Bein war bis zum Knie eingegipst, mit der linken Hand hing er an einem Tropf, das rechte Handgelenk war mit viel Mull stabilisiert und an den frei sichtbaren Körperstellen war auch sonst einiges an Schürfwunden und blauen Flecken zu sehen. Das Gesicht wirkte so zerschunden, dass auch jemand anderes hätte da liegen können. „Was willst du?“ Es kostete Vince viel Mühe ruhig zu reden. Er hatte in den letzten Tagen kaum etwas gesagt und sein Zwerchfell beschwerte sich bei jedem Wort. „Ich habe vermutet, dass der Grund für dein Fehlen am Samstagabend zustande gekommen ist. Ich wollte sehen wie es dir geht. Wenn du hilflos zuhause gelegen hättest-“ „Tu ich nicht. Und selbst wenn…was dann?“ „Dann hätte ich dir helfen können.“ „…Danke. Fürs Bemühen. Bitte geh jetzt.“ „Aber dir geht es offensichtlich sehr bescheiden. Soll ich dir nicht ein paar Sachen von zuhause holen? Vielleicht etwas zum Anziehen, oder etwas zum Zeitvertreiben.“ „Bitte geh jetzt wieder.“ Leah musste erstmal tief Lust holen: “Naja- sicher, wie du möchtest…“ Nachdem sie es aus dem Gebäude geschafft hatte kamen ihr tatsächlich die Tränen. ´Das kann doch nicht sein. Ich heule wegen einem Typen den ich nicht mal leiden kann…bitte, wenn er meint er braucht keine Hilfe, dann eben nicht...´ „Ach, hallo! Da sind Sie ja wieder.“ „Ja, einen schönen guten Tag. Ich hätte eine Frage. Vince liegt im Krankenhaus und bräuchte einige Sachen. Leider hat er vergessen mir seinen Schlüssel mitzugeben. Könnten Sie mir kurz aufschließen?“ „Aber sicher. Nein, so was. Im Krankenhaus? Ist´s denn was Ernstes?“ „Nein, nein. Er wird schon wieder.“ Der Haushaltskittel öffnete ohne zu zögern. Leah trat in die Zwei-Zimmer- Wohnung. Es war dunkel. Schwarze, schwere Vorhänge verdeckten die Fenster. Der Lichtschalter entblößte eine spartanische Einrichtung. Die Küche bestand nur in einer Ecke des ersten Zimmers. Ein Schreibtisch, ein Sessel, ein Fernseher auf einer Kommode. Ein kleines Bild stand zwischen dem Gerät und ein paar aufgereihten Büchern. Es zeigte Vince, ein paar Jahre jünger, neben einer nett wirkenden Frau. Es war erstaunlich wie glücklich er aussehen konnte. Leah hatte eine Tasche mitgebracht. Sie verstaute drei der Bücher darin und ging in den zweiten Raum, den Vince zum Schlafen nutzte. Hier gab es ein breites Bett und einen Kleiderschrank. Daraus zauberte Leah Kleidung hervor die für vier Tage reichte. Das war keine einfache Aufgabe, weil bei Vince etwa so viel Ordnung herrschte, wie sich das für einen jungen Mann der allein lebte gehörte. Im Bad sackte sie Zahnbürste und Zahnpasta, ein Duschbad und Rasierutensilien ein, die nur mitkamen, weil sie so offensichtlich im Weg standen. Zum Schluss blickte sich Leah noch mal um, aber es gab keine Pflanze die man hätte gießen können oder Tiere die zu versorgen waren. Das Faltengesicht verabschiedete Leah mit viel Wohlwollen. Offensichtlich war die Dame erleichtert zu wissen was mit ihrem Nachbarn geschehen war. Der spannendere Teil wartete natürlich im Klinikum. Leah hatte es sich schon nach einem Tag in den Kopf gesetzt, diesem störrischen Esel bestmöglich zu helfen. Das beinhaltete erstmal die Nervensäge vom Dienst zu spielen. Vince Zimmernachbar öffnete diesmal persönlich die Tür. „Ach, hallo.“ flüsterte er Leah zu während sie eintrat. „Dacht´ ich mir dass du noch mal vorbei kommst. Er schläft gerade. Ich empfehle dir, ihn nicht zu wecken. Der hat seit gestern Abend gar keine gute Laune…nicht dass er vorher welche hatte, aber irgendwie ist’s jetzt noch schlimmer.“ Sein Name war Hajo, ursprünglich Hans-Joachim, aber es war schon solange sein Rufname dass er sich immer damit vorstellte. Hajo war Lehrer auf Abwegen, er unterstützte zurzeit eine Kommission, die grob gesagt im Auftrag des Landes Maßnahmen für Grundschulen festlegen sollte. Und Hajo war ein Wasserfall. Seine Lebensgeschichte dauerte nur wenig länger als das Einräumen von Vince´ Sachen, wobei er durchgehend die Stimme gesenkt hielt. Leah machte es sich bei ihm bequem, sie wollte Vince noch erklären wie sie an seine Sachen gekommen war und noch mal fragen ob er nicht doch noch etwas Bestimmtes brauchte. Hajo erzählte weiter, er sei wegen seiner Schulter hier, seine letzten Mitbewohner waren wesentlich unterhaltsamer gewesen als Vince. Vince war erst Dienstag hierher gekommen, vorher war er wohl auf der Intensivstation gewesen. Die Visite hatte von gut heilenden inneren Verletzungen gesprochen, die eine angeknackste Rippe machte auch keinen Ärger. Das gebrochene Bein war angeblich eins der kleineren Probleme. Aber insgesamt hörte es sich an als bestünde die Möglichkeit auf vollständige Genesung. Während Hajo redete beobachtete Leah ihren Mitschüler. Vince wirkte im Schlaf nicht sonderlich friedlich. Nachdem er tagelang hier war, hatte sich ein Flaum an Bartwuchs über sein Kinn gelegt. Die Schwellungen waren schon etwas weiter abgeklungen. Ein blaues Auge wie aus dem Lehrbuch zierte sein Gesicht. Die Lippen waren gleich mehrfach aufgeplatzt. Er hatte die Augenbrauen zusammengezogen, was ihn insgesamt wie einen Verbrecher aussehen ließ. Seine Mundwinkel zuckten ganz leicht. Scheinbar träumte er. „Er wacht bestimmt gleich auf. Wenn er seine Finger bewegt ist dass ein sicheres Zeichen dafür.“ „Sie haben seine Körpersprache ja richtig gut studiert, was?“ „Was bleibt einem anderes übrig, wenn man sich nicht verbal unterhalten kann? Ich geh jetzt für einen Moment. Sorg bitte dafür dass er bessere Laune bekommt, ich muss noch drei Tage mit ihm aushalten.“ Vince erwachte als Hajo die Tür etwas zu laut schloss. Es wirkte als würde er Leah gar nicht wahrnehmen als er sich umblickte. Dann blieb sein Blick doch an ihr haften. Das einzige was sich änderte war der Ausdruck von Erkenntnis in seinem Blick. „Ich hab dir einige Sachen von Zuhause mitgebracht. Deine Nachbarin war so nett mich rein zulassen. Ich hoffe die Bücher sind okay…Fällt dir noch was Spezielles ein, was du haben möchtest?“ Es dauerte einen Moment bevor Vince antwortete: „Ist das die Rache für die letzten Wochen?“ „Du weißt, dass ich stur bin, also finde dich damit ab. Besser wird’s sicher nicht mehr.“ „Super.“ Leah stand auf, nahm sich Jacke und Tasche und blieb vor Vince´ Bett stehen. „Ich weiß nicht genau was passiert ist, aber ich bin nicht total blöd. Ich weiß dass du das für mich getan hast und ich kann mir vorstellen was mir ohne dich zugestoßen wäre. Ich möchte mich bei dir bedanken. Denn du liegst jetzt an meiner statt hier. Danke.“ Sie blickte ihn noch einen Moment unsicher an, schickte sich dann aber an zu gehen. An der Tür drehte sie sich noch einmal zu ihm um. „Glaub nicht, dass du mich loswirst. Ich stehe tief in deiner Schuld, nicht nur wegen dem Samstagabend. Bevor ich mich nicht wieder wohl fühle werde ich dir keine Ruhe gönnen.“ Damit verschwand sie. Vince brauchte lange, bis er darauf kam, dass Leah die Sportstunde meinte. Dieser amüsante Moment schien Ewigkeiten zurück zu liegen. Auch wenn Vince es nicht wahrhaben wollte, die Vorstellung demnächst viel Zeit mit Leah zu verbringen war ziemlich verlockend. Andererseits konnte er das nicht gebrauchen. Sie würde ihn dazu bringen sich noch viel mehr mit ihr einzulassen und dann hätte er vermutlich einiges zu erklären. ´Solange ich hier bin kann ich mich ja etwas umgarnen lassen. Aber danach ist Schluss damit´ Am Freitag musste sich Leah doch einmal mit ihren eigenen Pflichten aus einander setzen. Die Hausaufgaben, von denen sie ohne Jana nicht einmal gewusst hätte, machten sich leider nicht von selbst. Nach zwei Stunden starrte Leah auf die leere Seite, die vor ihr lag. ´Irgendwie habe ich den leisen Verdacht, dass das hier mal gar nichts wird…´ Kurz entschlossen packte sie ihre Aufgaben zusammen und rüstete sich gegen das Wetter, das in den letzten Tagen doch merklich zum Herbst tendierte. Der Weg zu Vince war ernsthaft ungemütlich. ´Was mach ich hier eigentlich? Er will keine Hilfe, und eigentlich hätte ich schon Besseres zu tun, oder? Aber nein, ich laufe gerne durch den Sturm, damit ich mir mal wieder eine Abfuhr abholen kann…hoffentlich hat der heute mal bessere Laune, sonst stauch ich den so was von zusammen´ Aber er hatte bessere Laune. Sehr viel besser. Vince war sich sicher dass Leah kommen würde. So hatte er sie kennen gelernt, stur und unfähig sich auf mehr als eine Sache zu konzentrieren. Dass er heute so gut aufgelegt war lag an zwei Kleinigkeiten. Zum einen konnte er wieder ohne allzu große Anstrengung Atmen und zum anderen hatte er sich in der letzten Nacht vorgenommen die Aufmerksamkeit von Leah zu genießen. Er würde das bereuen, aber das kümmerte ihn grade nicht. Die Erkenntnis, dass er sie mehr mochte als alle anderen bisher, wirkte auf ihn regelrecht befreiend. Es änderte nicht das Geringste an der Situation, nur wusste Vince jetzt, dass er Leah wollte. Sei es auch nur für die kurze Zeit des elenden Krankenhausaufenthalts, denn danach würde er sie wirklich nicht mehr in seinem Leben dulden dürfen. Der Gedanke daran warf einen leichten Schatten auf sein Gemüt. Er hatte seine Freizeitbeschäftigungen seit dem Schulwechsel eindeutig zu sehr vernachlässigt. Dadurch war ihm scheinbar die Dringlichkeit, andere fern zuhalten ein wenig entfallen. Vielleicht war es aber auch gar nicht so schlecht, einmal, nur einmal, jemanden zu finden den man mitnehmen könnte. Vince versuchte diese Gedanken zu verscheuchen. Darüber gab es gar nichts zu denken. Sollte sie je mitbekommen was seine „Hobbys“ bedeuteten, würde sie wohl von ganz allein auf Abstand gehen. Stattdessen beschäftigte er sich lieber mit der Frage womit er Leah heute wohl ärgern könnte. Diesmal klopfte Leah nicht sonderlich zögerlich. Sie war verärgert, weil die Witterung so unbarmherzig gewesen war. Sie wartete auch nicht auf Antwort, sondern ging gleich ins Zimmer, weil sie sich schnellstmöglich die nasse Jacke aus ziehen wollte. Vince beobachtete Leah wie sie ihren regennassen Mantel auszog und auf hing, um dann mit ihrem Rucksack im Arm zu einem der Stühle zu stapfen. Dort packte sie einige Hefter und Stifte aus und setzte sich. Nach ein paar Minuten merkte Vince, dass Leah sich dezent über eine Aufgabe ärgern musste. „Hallo.“ Begann er vorsichtig. Leah drehte sich zu ihm um und schaute ihn einen Augenblick lang an und sah dann wieder auf ihr Blatt. „Hi“ „Bist du nur gekommen um Hausaufgaben zu machen?“ Ein genervter Seufzer erklang. Dann rückte Leah ihren Stuhl so herum, dass sie Vince genau ansehen konnte. „Ich bin nur hergekommen weil ich zu Hause nicht weiter gekommen bin.“ „Brauchst du doch Nachhilfe?“ Leah lief rot an während sie zur Antwort wütend guckte. Vince kicherte bei dem Gedanken an das letzte Angebot dieser Art, was ihm sein Bauch übel nahm. „Naja, ich hab’s nicht so mit Aufsätzen.“ Gestand Leah kleinlaut. „Aufsätze sind ja auch doof.“ „Vor allem total sinnfrei. Als würde es die Schulz interessieren was meine Meinung zu Faust ist.“ „Sehr richtig, ich hab das letztes Schuljahr schon mal gemacht. War sterbenslangweilig…“ Leahs Augen wurden auf einmal riesengroß. Ihr Gesichtsausdruck erinnerte Vince so sehr an ein Kind vorm Süßigkeitenladen, dass er loslachen musste. Nachdem er sich erholt hatte diskutierten die beiden über das Thema und Leah konnte ihre Aufgabe etwas vorantreiben. Immer wieder mussten sie dabei pausieren, weil Vince das Lachen nicht immer unterdrücken konnte und sich teilweise wirklich zusammenreißen musste, damit Leah nicht mitbekam wie sehr es schmerzte. Aber es gefiel ihm ganz gut so. Ihre Lebenskraft und übersprudelnde Energie waren eine Wohltat. Irgendwann zwischendurch kam auch Hajo ins Zimmer zurück. Die drei hatten gemeinsam ihren Spaß. Es dauerte nicht lange bis es für Leah schließlich Zeit war heim zu gehen. „Wirst du morgen wieder kommen?“ Hajo fragte, voller Hoffnung auf einen netten Abend mit seinem Bettnachbarn. „Naja, die Hausaufgaben kann ich ja wieder mitbringen. Dann werden sie vermutlich sogar besser…“ „Ich würde mich freuen, deine Mathefähigkeiten zu unterstützen. Ich wollte mich noch bedanken, für die mitgebrachten Sachen.“ „Kein Problem, ich hab das ja auf eigene Faust gemacht…Ach, ich wollte mal fragen wer das auf dem Foto neben dem Fernseher war? Der Junge sah so glücklich aus, dass du es eigentlich nicht sein kannst.“ Die Bemerkung war als Scherz gedacht. Vince lachte, aber es war von ein wenig Schwermut begleitet. „Das ist lange her. Es ist ein Bild von meiner Mutter und mir. Wir waren im Urlaub. Es war eine wirklich schöne Woche.“ Das Lächeln wirkte auf seinem Gesicht furchtbar traurig. Leah überkam das Gefühl ihn in den Arm nehmen und trösten zu müssen. Eigentlich wäre ihr das viel zu peinlich gewesen, aber sie hatte sich heute zu wohl gefühlt. Also fasste sie sich ein Herz, ging zu ihm und schlang ihre Arme um seine Mitte. Die Umarmung brachte Vince ein kleines bisschen aus dem Konzept. Prompt in diesem Moment platzte die Stippvisite herein. Eine Schwester, die sich in den letzten Tagen häufig mit dem übellaunigen Vince auseinandersetzen durfte, blickte voll erstaunen auf Leah und dann zu Vince: „Mensch, Sie können ja Lächeln! Wer hätte dass gedacht…“ In einem Rekordtempo hatte Leah das Zimmer verlassen und war an der Schwester vorbei gerauscht. Vince war an diesem Abend nicht mehr wirklich geistig anwesend. Leah brachte eine schlaflose Nacht hinter sich, die ganze Zeit mit der Frage beschäftigt, was sie da nur geritten hatte. Am nächsten Morgen kroch sie erschöpft und viel zu spät aus dem Bett. Vince war es ähnlich ergangen. Den Großteil der Nacht hatte er die Zimmerdecke beobachtet. Es wunderte ihn ziemlich als es wieder hell wurde. Er war sich zwischendurch bewusst, dass im Raum einige Bewegung herrschte. Allerdings war Vince zu diesem Zeitpunkt vor Müdigkeit einigermaßen weggetreten. Dadurch verpasste er Hajos Abreise, deren Verkündung er am letzten Abend ebenfalls versäumt hatte und auch die Visite bemerkte er gar nicht. Leah war auf sehr leisen Sohlen unterwegs. Sie hatte sich stark zusammen nehmen müssen, dass sie überhaupt hierher gekommen war. Und da lag er nun schlafend in dem sonst leeren Zimmer. Leah setzte sich an sein Bett und schaute in das immer noch farbenprächtige Gesicht. Verstohlen sah sie sich um. ´Wenn ich mich kurz dazu lege stört das sicher keinen…´ und schon positionierte sich Leah neben Vince. Die Müdigkeit benebelte sie ziemlich, es gab ja noch zwei ungenutzte Betten im Raum, die in ihren Gedanken nicht einmal zur Wahl standen. Nach wenigen Augenblicken war auch sie wieder eingeschlafen. Und schlief, anders als in der Nacht, tief und fest. Als drei Stunden später die Schwester vorbeischaute, die auch schon am letzten Abend Leah gesehen hatte, lagen Leah und Vince ziemlich verknäult da. Ohne das geringste Zeichen wach zu werden. Eigentlich war das ja nicht erlaubt…andererseits hatte der junge Mann noch nie so friedlich ausgesehen. Soziale Unterstützung half ja angeblich beim Heilprozess… Also ließ sie die beiden wo sie waren und freute sich ein wenig für den Griesgram, der die letzten Tage so anstrengend gewesen war. Vince merkte wie er langsam aus dem Schlaf auftauchte. Irgendwas fühlte sich anders an als sonst. ´Es ist ziemlich warm auf einmal. Und da liegt etwas Schweres auf mir. Dessen Form mich eindeutig an etwas erinnert. Das kann eigentlich nicht-´ Er schlug die Augen auf, um sich zu vergewissern, dass er doch nur träumte. Aber da lag sie. Leah hatte auf wundersame Weise den Weg zu ihm wieder auf sich genommen und nun lag sie in seinem Bett und hatte Arm und Bein wie Enterhaken um ihn geschlungen, damit sie nicht herunter fiel. Vince machte große Augen, als ihm dämmerte was da alles an seinen Körper geschmiegt war. Vor lauter Verlegenheit versuchte er sie ein wenig von sich weg zu schieben, was natürlich zur Folge hatte, dass Leah sich noch mehr an ihn klammerte. Verzweifelt überlegte Vince wie man ein schlafendes Mädchen am besten wecken sollte. Ganz von selbst erschienen unschuldige Gedanken an Dornröschen und Schneewittchen vor seinem geistigen Auge. Während er noch das Für und Wider dieser Methode abwägte, rührte sich die Schlafende bereits. Leah ließ ein leises Murmeln hören. Vince spitzte die Ohren. Wie oft hatte in solchen Momenten im Fernsehen und Buch ein dahin gehauchter Name eine Liebesgeschichte begonnen. Was würde er dafür geben seinen Namen einmal so zu hören. Und tatsächlich wurden Leahs Laute immer deutlicher bis schließlich- „Frühstück…“ Vince prustete los. Er war sich nicht sicher warum. Ob der Thematik von Leahs Unterbewusstsein oder weil er sich Hoffnungen auf etwas so Abwegiges gemacht hatte. Davon erwachte dann auch Leah. Sie sah etwas verwirrt zu Vince auf bis das Hirn in Schwung kam und meldete, dass sie gerade an ihn gekuschelt in seinem Bett lag. Schnell ging sie ihre Möglichkeiten durch und schaute Vince dabei weiterhin an. Der wartete gespannt darauf, was als nächstes passierte. Leah blieb bei zwei Möglichkeiten hängen. Erstens Amnesie vortäuschen und zweitens eine Es-tut-mir-wirklich-Leid-ich-wollte-nur-mal-gucken-wie-das-ist-Tour. Die erste Taktik hob sie sich lieber für später auf. „Entschuldige, ich wollte nur mal probieren, wie sich das anfühlt…“ „Da gibt’s noch was zum Ausprobieren.“ Vince zog über einem anzüglichen Grinsen eine Augenbraue hoch. Er hob seine Kanülenfreie verbundene Hand an ihr Gesicht. Leah war sich nicht sicher was hier gerade geschah. Sie hatte die letzten Tage mitbekommen, dass Vince sie so geärgert hatte, weil er sie eigentlich gut leiden konnte. Und plötzlich so etwas?!? Leah hatte mit Jungs nicht viel am Hut, nicht in dem Sinne „Jungs“ wie es ihre Mutter aussprach. Aber die Situation war eindeutig verfänglich. In einem Bett, allein im Zimmer und dann dieser filmreife Ansatz zu einem- Ach, was soll’s… Sanft legte sie die Lippen auf seine. Ein wenig erschreckt über das was sie da machte wich Leah wieder etwas zurück. Vince ließ sie aber nicht weit. Etwas kraftvoller zog er sie an sich und setzte einen Kuss seiner Art hinterher. Mit solcher Leidenschaft hatte Leah alle geistigen Hände voll zu tun. Erst als sie Blut schmeckte endete dieser seltsam lange Moment. Sie befreite sich vollkommen aus Vince Umarmung und stand auf, um sich in sicherer Entfernung auf den Stuhl zu setzen. Vince verfluchte alle Götter von denen er wusste, dass er ihr nicht nach konnte. Hilflos an sein Bett gefesselt sah er sie aufmerksam an. „War das zu stürmisch? Hätte ich besser nicht…?“ „Nein, nein, ich muss nur eben denken. Außerdem sind deine Lippen wieder aufgeplatzt. Ich glaub, ich geh jetzt besser wieder heim.“ „Nein, bitte, bleib noch hier. Ich will auch ganz artig sein.“ Leah lachte verlegen „Ja, ja, sagte der Wolf…“ „Hey, du hast auch mitgemacht…“ Vince schaute wie ein trotziges Kind und intonierte seinen Einwurf passend dazu. „Hab ich gar-“ setzte Leah in gleicher Art an, „Naja, also…ja, stimmt. Ich mochte es.“ Hätte sie schon wieder einen klaren Gedanken fassen können, hätte sie so etwas vermutlich nicht gesagt, aber da war es auch schon heraus gewesen. Vince Miene hellte sich auf. „Wenn das so ist, ich kann dir auf jeden Fall Nachschub beschaffen…“ Das hier war eine ganz andere Ebene auf der Leah plötzlich Mut aufbringen musste. Aber alle anderen konnten das auch, und machten es sogar gerne. Da war also vermutlich eine gute Motivation zu finden, wenn man weiter ging. Sie lächelte Vince unsicher an. „Und was machen wir jetzt?“ „Was du möchtest.“ Vince wollte vor allem seine Arme wieder um sie legen und die ihre um ihn spüren, aber er hatte gelernt, dass man scheue Mädchen nicht zwingen durfte. Zu seiner Verwunderung trat sie wieder zu ihm heran und, nach kurzem Zögern, küsste sie seine Stirn, berührte, mit möglichst wenig Berührung, seine mittlerweile violett-gelbe Wange und landete schließlich beim Mund. Nach kurzer Zeit saß Leah mehr auf ihm, als auf dem Bett und es schien ihr als wollte er sie nie mehr gehen lassen. Dagegen hatte die Schwester, die später zu Besuch kam, allerdings doch etwas. „Also wirklich. Was denken sich die jungen Leute heut zu Tage nur. Erst lässt man sich ins Krankenhaus befördern und dann versucht man mit größtem Einfallsreichtum die Genesung hinaus zu zögern. Ich bin ja erfreut, dass dieser Nörgelkopf tatsächlich eine Gefühlswelt zu haben scheint, aber so sehr muss man es doch nicht übertreiben. Ich muss Sie jetzt auffordern zu gehen. Dieser Patient braucht unbedingte Bettruhe.“ „Die Ärztin sagte, dass ich in vier Tagen gehen darf. Noch mit Krankschreibung nach Hause, aber wenn ich mich gut fühle, soll ich auch schon mal in die Schule.“ Leah strahlte Vince an. „Wunderbar, dann kannst du endlich wieder selbst entscheiden was du tust ^^“ „Ja, ich bin auch erleichtert. Das Bein braucht wohl noch etwas Zeit. Sie sagen der zweite Bruch ist noch nicht ganz heile, aber es wird gehen.“ „Keine Sorge. Ich kümmere mich dann um dich“ Mittlerweile war das Zimmer wieder belebter. Ein gebrochener Arm, ein kaputtes Hüftgelenk und ein Wangenknochen belegten die Betten ringsum. Es war ein stetiger Wechsel gewesen. Da Samstag war, hatten auch die anderen Besuch. Leah war in den letzten zwei Wochen ständig hier gewesen. Die Schwestern kannten sie alle und auch die Cafeteria-Damen konnte Leah beim Namen nennen. Ihr Vater und Janna vermissten sie ein wenig, da jede freie Zeit plötzlich nicht mehr vorhanden war. Aber Leah hatte sich schon vorher dafür entschuldigt und die beiden wussten, dass sie ohnehin nicht erpresster maßen kommen würde, also beschäftigten sie sich mit Sachen, die normalerweise nie erledigt werden. Jonas räumte unter anderem den Dachboden auf und Janna konnte auf einmal mit Geschichte etwas anfangen, weil sie erstmals ihr Buch in Augenschein genommen hatte. „Ich fürchte ich werde die nächsten Tage nicht vorbei kommen. Mein Vater hat einen neuen Anfängerkurs und da braucht er immer mal etwas Hilfe, die Knirpse zu verprügeln.“ „Autsch, na, denen mein herzliches Beileid, wenn du da mit machst.“ „Soll ich für dich schon mal alles zu Hause vorbereiten? Wenn du wieder daheim bist, darf es dir doch an Nichts mangeln.“ „Sehr liebreizend von dir, aber ich - naja, andererseits gibt es da vielleicht doch ein paar Dinge die gemacht werden müssen…also, wenn du das einrichten könntest…wäre sicher nicht schlecht...“ „Na dann, werd ich das mal lieber gleich machen, bevor ich es wieder vergesse.“ „Ja, das kann helfen. :P“ Nachdem Leah gegangen war, hatte Vince nichts mehr zutun, was ihn halbwegs ablenken konnte. Er versuchte sich auszumalen wie es sein würde nachdem er wieder Herr seiner selbst wäre. Jetzt würde seine Nachbarin vermutlich ihm helfen müssen. Und Leah, sie würde häufig nach ihm sehen, da war er sich sicher. Und doch gab es einige Probleme, die da auf ihn warteten. Der Schulstoff machte ihm keine Sorgen. Einen ernsthaften Abschluss wollte er ohnehin nicht. Nach und nach verzogen sich auch die anderen Gäste, der Tagesablauf folgte seinem festen Plan und der Abend zog herauf. Als es schon dunkel geworden war betrachtete Vince immer noch die Lichter, die zu dem Fenster herauf strahlten. Er konnte sich einfach nicht von diesem Anblick losreißen. Er dachte nicht einmal über etwas Bestimmtes nach, er sah einfach nur hinaus. Plötzlich stand am Fußende seines Bettes eine Person. „Diesmal hast du dir wirklich Mühe gegeben. Aber wie konntest du so dumm sein in einem Krankenhaus zu landen?“ Vince zuckte zusammen als der Besucher ihn ansprach und erwiderte dessen abfälligen Blick mit versteinerter Miene. „Als deine Aktivitäten letzten Monat plötzlich ganz abbrachen haben wir uns richtig sorgen gemacht. Nicht das du einem der Kunden deines Vaters über den weg gelaufen wärest.“ Vince regte sich nicht im Mindesten. „Aber warum musstest du dich denn so verkriechen? Wir wollen dir doch gar nichts Böses, wir sind nur an deiner Hilfe interessiert. Aber was rede ich, das weißt du ja alles schon.“ Nach einer Pause setzte er hinzu: „Was ist dir eigentlich zugestoßen?“ Vince antwortete mit einem Tonfall, der genauso klang, als wolle er sein Unbehagen über diese Situation verbergen und daher lieber auf Zynismus zurückgriff. „Ich bin gestolpert. Was führt dich hierher? Sicher nicht nur ein Krankenbesuch, oder?“ „Ich wollte sicher gehen, dass du es bist. Und dir mitteilen, dass wir dich jetzt wieder orten können. Die Ärzte hier werden nicht sonderlich gut bezahlt. Außerdem lässt Ska ausrichten, dass du dich beeilen sollst mit dem Wiederkommen, Italien hat Arbeit für dich.“ Er warf einen Umschlag auf das Bett und sah Vince noch einmal direkt ins Gesicht. „Werd gesund, und denk lieber nach bevor du dir irgendwen ans Bein bindest.“ Er ging hinaus und nachdem er die Tür geschlossen hatte, war sich Vince nicht sicher, ob er gerade nur geträumt hatte. Aber da kam ihm der Umschlag wieder ins Bewusstsein getrudelt. Er angelte danach und verstaute ihn ungeöffnet im untersten Teil seiner Schublade. Wieder musste er an lange Haare denken, die in letzter Zeit ab und an offen getragen wurden. Seine Hände ballten sich von allein trotz Verband und Anschluss. Ohne dass er es verhindern konnte liefen ihm siedendheiß Tränen übers Gesicht. Das von ihm erwartete Ende kam zu unerwartet. Er wollte in dieser Nacht so vieles und nichts davon war ihm vergönnt, keine Hand die ihn halten konnte, keine Erlösung durch lautes Toben. Er konnte nur existieren und der Dunkelheit seine Angst anvertrauen. Er hatte Leah bereits ins Schussfeld geschoben und wusste, dass er das nur schwer wieder rückgängig machen konnte. Kapitel 3: Bratpfannen und andere Zärtlichkeiten ------------------------------------------------ „Es geht nicht. Ich erwarte nicht, dass du es verstehst, oder mir jemals vergibst. Wir können nicht weiter machen.“ Leah sah aus als hätte er ihr mit der Bratpfanne eins übergezogen. So fühlte er sich auch. Mit ihren großen braunen Augen starrte sie irgendwo hinter ihn. „Aber…warum? Warum jetzt? Warum überhaupt? Und warum hast du- was war dann- die ganze Zeit- Hast du- es- etwa überhaupt nicht ernst gemeint?“ In Vince zog sich alles zusammen. Er drehte ihr den Rücken zu, damit sie sein Gesicht nicht mehr sehen konnte und er nicht das ihre sehen musste. Gott sei Dank stand genau da seine Reisetasche. „Gut erkannt. Es war recht amüsant deine Gesellschaft zu genießen. Damit will ich mich jetzt nicht mehr plagen, ich muss mich eh mit dem Schulstoff beschäftigen. Außerdem mag ich es nicht von den anderen umlagert zu werden, besser sie wissen nicht, dass es etwas zwischen uns gab. Wir sehen uns dann vermutlich in der Schule.“ Damit verließ er das Zimmer und schleppte sich Richtung Taxi. So ekelhaft hatte er sich schon ewig nicht mehr gefühlt. Leah war sich nicht ganz sicher was gerade passiert war. Völlig unbeeindruckt von Vince’ Gerede machte sie sich auf den Weg nach Hause, lediglich unschlüssig wie sie den Tag herumbekommen sollte. Das Gefühl, das Leah am nächsten Morgen erfüllte, war für sie unbeschreiblich. Es wirkte so als hätte Vince ihr gestern eine Pfanne übergezogen und das Scheppern kam erst jetzt an. Natürlich kam er nicht zur Schule. Leah war sich nicht mehr sicher, ob sie nicht die ganze Geschichte nur geträumt hatte. Aus lauter Verzweiflung und um sicher zu gehen, dass sie noch zurechnungsfähig war, entschied sich Leah letzten Endes doch dazu, ihn noch einmal aufzusuchen. „Nanu? Was machst du denn hier, Kindchen? Vincent ist doch neulich ausgezogen. Ganz schön überraschend…plötzlich war er weg, die Möbelpacker haben keine halbe Stunde gebraucht. Hat er etwas vergessen?“ Leah sah in das runzlige Gesicht, das voller Neugier aus der Tür heraus schaute. Ja, mich – hätte sie gerne gesagt. „Nein. Danke. Auf Wiedersehen“ konnte sie sich gerade noch abverlangen bevor sie davon stürmte. Sie bog vor dem Haus in die bewaldete Richtung ab und ließ den elenden Tränen, die seit dem Schlusswort von Vince an ihr fraßen, freien Lauf. Sie kam erst spät am Abend Heim und ließ die Schimpftirade ihres Vaters ohne besondere Aufmerksamkeit über sich ergehen. Tatsächlich brach Jonas seinen Vortrag mitten im Satz ab, als ihm klar wurde, was für ein Häufchen Elend da vor ihm saß. Leah ging, in der Annahme er sei fertig und verkroch sich unter dem stärksten Schutz den jeder kennt, ihrer Bettdecke. Als Vince erwachte brauchte er einen Moment bis er wusste wo er war. Der Umzug letzte Woche war so schnell von statten gegangen, dass er ihn kaum wahrgenommen hatte. Außerdem hatte er den Großteil der Einrichtung gewechselt. Die neue Wohnung lag in einem der schicken Neubauten, die versuchten der Stadt einen Hauch von Globalisierung zu geben. Im siebten Stock hatte man schon eine gute Sicht über die Umgebung. Auch hier gab es nur zwei Zimmer. Ein großer Raum beherbergte das Wohnzimmer, einen großzügigen Übergang zur Terrasse und die grandios ausgestattete Küchenzeile. Für Partys und repräsentative Zwecke absolut geeignet, was vermutlich nie von Interesse sein würde. Nachdem sich Vince irgendwie aus seinem Bett herausgekämpft hatte, was mit dem immer noch eingegipsten Bein nicht gerade einfach war, humpelte er zu seiner Kaffeemaschine um sich etwas Vertrautheit zu besorgen. Das Designer-Sofa wirkte nicht sehr einladend. Der ungewohnte Blick aus dem breiten Fenster half auch nicht. Warum musste der Tag so viele Stunden haben, in denen man seinen eigenen Gedanken so schutzlos ausgeliefert war? Dass Vince wegen des Beines immer noch nicht zur Schule gehen konnte machte es ihm nicht leichter. Er beschloss sich abzulenken indem er ein paar Logistikfragen für seine Italienreise klärte. Und dann war da noch etwas, das seit langem überfällig war. Die Einrichtung lag etwa zweieinhalb Stunden entfernt. Sie war Vince fester Punkt um den er in den letzten vier Jahren immer herum gewandert war, damit die Entfernung nicht zu groß wurde. Das Personal an der Rezeption grüßte freundlich aber reserviert. Wer hier zu Besuch kam, dem war meist nicht nach einem leichten Plausch zumute. Eine Schwester lief ihm auf dem Korridor über den Weg und erkannte ihn wieder. „Hallo auch, schön dich mal wieder hier zu sehen. Was hast du denn mit dem Bein gemacht? Sie ist heute richtig gut aufgelegt. Schau doch nachher im Schwesternzimmer vorbei, dann bring ich dich auf den neusten Stand^^“ Vince nickte nur als Zustimmung. Immer wenn er hier war, schnürte ihm irgendwas den Hals zu. Nach ein paar Mal durchatmen klopfte er an und ging in das Zimmer seiner Mutter. Ein hübscher Raum mit großen Fenstern und hellen Vorhängen. In der einen Ecke stand ein beinahe gemütlicher Sessel, daneben ein kleines Tischchen mit allem Möglichen, an der Gegenseite stand das Bett. Sie saß auf dem Bett und wirkte zweifelsohne vergnügt. Als sie Vince sah erhellte sich ihr Gesicht noch mehr. „Wie schön Sie noch einmal zu sehen. Haben Sie etwas vergessen?“ Ja, genau da war er wieder, dieser miese, widerhakige Schmerz, der einen immer und immer mehr auseinander nimmt. Und doch stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht. Er war eindeutig zu lange nicht hier gewesen. „Du siehst heute wundervoll aus, Liebe. Bist du glücklich?“ „Ja, mein Kanarienvogel ist heute fort geflogen. Ich kann ihm nicht folgen, aber er kann meine Freiheit jetzt mit leben…Ah! Vorsicht mit den Stecknadeln, ja?“ Vermutlich gab es in dem Zimmer nicht eine einzige Nadel. Als sich Vince in den Sessel fallen ließ sagte er: „Natürlich, ich bin immer vorsichtig“ - naja, zumindest fast immer- ein tiefer Seufzer entschwand Vince Kehle. Hier hatte er immer alles erzählen können. Wieso hatte er das nur vergessen? „ Ich habe meine Freundin in Gefahr gebracht. Ich weiß nicht was ich jetzt tun soll -.-“ „Ach, mein armer Junge. Das ist doch ganz klar. Dann musst du sie beschützen…“ Vince Mutter lächelte ihn eben direkt genug an, dass er sich einreden konnte es war für ihn gedacht. Das passierte manchmal. Vince vermutete, dass sie teilweise noch anwesend war, aber fragen konnte man sie nicht, beziehungsweise: es gab kaum eine Antwort. Sie war hier, seit Vince Ska kannte. In den Tagen, die er bei ihm gewesen war, angeblich um seinen Vater zur Vernunft zu bringen, hatte sich etwas bei ihr zugetragen, was keiner mehr rekonstruieren konnte. Das Haus war verwüstet gewesen. Irgendwo drinnen hatte man sie dann nach vier Tagen gefunden und herausgeholt. Es schien ein recht eindeutiger Fall zu sein, mit dem winzigen Detail, dass nur minimale Überreste von Spuren entdeckt werden konnten. Danach wurde sie in kürzester Zeit als Unzurechnungsfähig erklärt, Vince Vater als Vermisst zu den Akten gelegt und Vince selbst stand alleine da, mit der einzigen Chance, zurück zu Ska zu gehen. Was Vince im Allgemeinen noch nicht so schlimm fand, abgesehen davon, dass das alles so offensichtlich abgekartet war. Aber welche Wahl hatte er schon gehabt? Mit 12 ist die Selbstständigkeit nicht ganz einfach, wenn dann auch noch zerrüttete Familienverhältnisse dazu kommen. Sein Großvater warf ihn zur Tür hinaus als er erfuhr, dass da sein Enkel stand. Das Jugendamt hatte das bis heute nicht mitbekommen. Zuerst war er halbwegs regelmäßig bei seiner Mutter gewesen. Genau solange, wie er gebraucht hatte um seine neue Situation und den Zustand seiner Mutter zu akzeptieren. Die ärztliche Diagnose lautete zunächst „schwerer Fall von dissoziativer Amnesie“. Zwei Wochen später hörte Vince einen der Doktoren „Die ist hinüber, das wird nix mehr. Vermutlich ist es gut, dass sie sich nicht erinnert. Wenn es solche Folgen hatte, kann es nichts Ertragbares gewesen sein…“ Erst wollte Vince es nicht wahrhaben, aber wenig später musste er selbst erkennen, dass sein Hoffen keinen Sinn hatte. Nach einer halben Stunde klopfte Vince beim Schwesternzimmer. Claudia öffnete die Tür, „Ach, du sahst vorhin gar nicht so aus als würdest du wirklich kommen. Komm, komm. Willst du einen Kaffee? Oder eine Zigarette?“ „Dürft ihr hier rauchen?“ Sie grinste Vince an, während sie eine Tasse mit dem schwarzen Getränk füllte, „Wir nicht, du schon…was also hast du mit dem Bein gemacht?“ Vince nahm die Tasse entgegen. Mit überzeugend beschämten Gesichtsausdruck sagte er: „Ein Missgeschick mit dem Motorrad. Das werde ich vorerst nicht mehr fahren.“ Die nächsten zwei Monate waren stets von Anspannung erfüllt. Vince kam zunächst ganze drei Wochen nicht zur Schule. Leah hatte das Gefühl, dass sich niemand außer ihr dafür interessierte, was mit ihm war. Sie selbst zermarterte sich den Kopf darüber und verlor dabei immer mehr Dinge aus den Augen. Als er dann endlich auftauchte begann eine sehr anstrengende Zeit, da Leah ihn keineswegs einfach so davon kommen lassen wollte. Bei der ersten Gelegenheit nahm sie ihn sich zur Seite: „Hast du Bindungsangst, oder was? Sag mir endlich was dein Problem ist! Wenn du dir von mir nicht helfen lassen willst, bitte! Aber ich habe wenigstens ein Recht darauf zu erfahren warum ich so unfreundlich abserviert werde!!“ Vince war absolut erfreut sie wieder zusehen. „Ich sagte doch, du sollst nicht darüber sprechen.“ Leah hob eine Augenbraue: „Als ob mich das interessierte.“ Damit sie ihn nicht ständig ansprach und löcherte, entschied Vince sich dafür immer ein paar Schutzschilde mitzunehmen. So weit wie möglich bewegte er sich also mit Schulkameraden übers Gelände. Mit keinem Gedanken ans Aufgeben verfolgte Leah hartnäckig ihren Plan. Wann immer Vince nicht in Begleitung anderer war, trat sie ihm in den Weg und versuchte ihm wenigstens einen ernsthaften Grund zu entlocken. Was ihr freilich nicht gelang, denn zu Vince Unbehagen hatte er noch immer keine triftige Ausrede gefunden, die er ihr vorsetzten konnte. Das Katz- und Mausspiel hielten sie ein paar Wochen beide gut durch. In Woche vier wurde Vince Bein endlich vom Gips befreit und er konnte sich mit der Wiederbelebung dieser Gliedmaße beschäftigen. Allerdings bekam ihm diese gesamte Angelegenheit nicht sonderlich. Selbst die wenigen mit denen er immerhin oberflächlichen Kontakt hatte bemerkten dass er zunehmend gereizter wurde. In gleichem Maße überkam Leah der Verdruss. Stalken ohne Ergebnisse war eindeutig nicht ihr Ding. Vince strapazierte ihre Geduld schon seit Wochen über. Janna hatte gleichgültig gemeint, dass Leah das durchhalten müsse, wenn sie es denn wirklich möchte. Zu Leahs eigener Überraschung musste sie eingestehen, dass sie ihn viel mehr vermisste als sie es je für möglich gehalten hätte. Ihre tiefen Seufzer erschütterten das Elternhaus rund um die Uhr. Nicht einmal die Sporthalle lockte sie. An einem Tag erwischte Leah Vince als letzen im Klassenzimmer. Eine gute Gelegenheit für sie. Als Vince sie sah, verfinsterte sich seine Miene sprunghaft. Er versuchte schnell an ihr vorbei zu kommen. Natürlich verstellte sie ihm den Weg. „Lass es endlich sein. Bist du wirklich so beschränkt, dass du es nicht begreifst?“ fuhr er sie an. „Kann schon sein. Du weißt doch noch was ich gesagt habe. Ich bin stur.“ „Leah.“ Er griff mit beiden Händen nach ihrem Gesicht und plötzlich war er sich nicht mehr sicher, was er sagen wollte. Und warum wollte er das eigentlich sagen? Beide sahen sich in die Augen und erkannten darin ganz unterschiedliche Dinge. Während Vince sich klar wurde, dass er nie die Kraft haben würde Leah endgültig aufzugeben, keimte in Leah die Erkenntnis, dass es sich hier tatsächlich um eine Farce handelte und Vince sie nicht aufgeben wollte, aber genau dies aus irgendeinem Grund für nötig hielt. Dieser Moment dauerte fast so lange wie ihr erster Kuss, Vince verfluchte sich selbst, dass er ausgerechnet jetzt daran denken musste. Aber da waren diese Gedanken, die man nicht loswird, nur weil man 30.000 Mal darüber nachgedacht hat und immer zu dem Schluss gekommen ist, dass man keine andere Möglichkeit hat. Und noch schlimmer war, dass seine Willenskraft gerade verschwand, wie eine Hausfrau im Sommerschlussverkauf. Und tatsächlich bemerkte er, dass er dazu ansetzte. Das erste was er wahrnahm war das Geräusch ihrer Handfläche auf seiner Wange, aber nur wenig später breitete sich der Schmerz bis in den hinteren Teil seines Kopfes aus. Erstmals war ihr Blick hart wie Stein als sie ihn anstarrte. „Wenn du dich schon nicht selbst entscheiden kannst, hör wenigstens auf mit mir zu spielen.“ Damit befreite sie sich aus seinem Griff und ging aus dem Zimmer. Vince lehnte seinen pochenden Kopf an die kalte Wand. ‚Prima. Das war es doch, was du wolltest, oder nicht? Und das hast du nun in den letzten zwei Monaten nicht geschafft?’ Wenn da nicht so ein blödes Gefühl wäre, was da in seinem Bauch rumorte… Völlig bedröppelt trottete er aus der Schule und hatte seine Gedanken nicht ganz beieinander. Ein Wagen folgte ihm, was er nicht wirklich mitbekam. In einer mehr oder minder leeren Seitenstraße hielt er neben Vince an. „He, steig ein! Du hast eine Verabredung.“ Vince schaute den Menschen verwirrt an: „Was willst du denn?“ „Ich sagte, du sollst einsteigen!“ Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen ergriff der Fremde Vince Schulter, was wiederum zur Folge hatte, dass die seine zwei Sekunden später ausgekugelt war. Er wurde zwar blass, blieb aber tapfer und schrie nicht. Stattdessen versuchte er es diplomatischer: „Wenn du nicht sofort einsteigst…“ Er konnte Vince Miene entnehmen, dass das die falsche Aussage war. Vince packte den Kragen seiner Jacke und schlug mehrmals ins Gesicht: Schläfe, Wangenknochen und Unterkiefer. An und für sich wäre Vince in diesem Moment also davon gekommen, wenn da nicht der zweite Mann aus dem Wagen gewesen wäre. Vince bekam einen harten Schlag auf den Hinterkopf und die Gelegenheit ausgiebig im Dunkel zu baden. Stimmen schlugen wie Wogen an Vince Bewusstsein. „Wie geht es Gordon?“ „Er wird Probleme mit dem Zahnersatz bekommen…“ „Hat er sich ihm allein entgegen gestellt? *seufz* Ein Idiot ist er eben schon immer gewesen. Was ist mit dem Mädchen…?“ Allmählich dämmerte es Vince, was geschehen war und wo er sich befand. Dass man ihm die Hände gebunden hatte war ein eindeutiger Hinweis. Er saß auf einem Stuhl, der dem Schall der Geräusche um ihn herum, scheinbar einzeln im Raum stand. „Ihr wolltet sie in Ruhe lassen…“ Einer der Anwesenden horchte auf und näherte sich Vince. Der hatte das Gefühl er hätte die gesamte letzte Nacht damit verbracht seinen Kopf ausdauernd an eine Wand zu schlagen. „Hat das irgendwer gesagt? Einen Trotzkopf wie dich an der Leine zu haben ist ein viel zu amüsanter Anblick, als dass ich an ihre Unschuld denken könnte…Du lernst es nicht, oder? Erst deine Mutter, jetzt die hier. Wie viele Menschen willst du noch ins Unglück stürzen bevor du ´s endlich einsiehst?“ Er trat auf Vince zu und beugte sich zu ihm nieder und flüsterte: „Beziehungen machen alles viel zu kompliziert. Plötzlich bist du angreifbar und du kannst diesen wunden Punkt durch nichts ausmerzen. Glaubst du, es hat ihr geholfen, dass du sie die letzten zwei Monate so ignoriert hast? Das war wirklich unhöflich. Vielleicht sollte ich sie trösten gehen…“-„Das wagst du nicht!! Du schmieriger Dreckskerl-“ WHAM!!! - Diese Ohrfeige brachte selbst Vince zum schweigen. Benommen hing er auf seinem Stuhl. „Törichter Welpe.“ Ska erhob sich und winkte seinen Mantel heran. „Sagt ihm, wenn er nachher aufwacht, dass ich ihr nichts tue wenn er endlich brav ist.“ Vince sammelte alles an Willenskraft und Hirn, das nicht in seinem Schädel zermatscht an der Außenwand hing, zusammen und knurrte in Skas Richtung: „Solange es dabei bleibt, will ich hören…“ Das schiefe Grinsen in seinem Gesicht jagte Ska einen kleinen Schrecken ein. In diesem Moment sah er seinem Vater unglaublich ähnlich kurz bevor er ihn getötet hatte. Vince Vater war nicht gerade eine freundliche Person gewesen. Er hatte Ska viele Unannehmlichkeiten bereitet. Ohne Rücksicht auf Verluste war er damals in einen privaten Kreuzzug aufgebrochen und hatte sabotiert und gestört was das Zeug hielt. Das konnte Ska ihm nicht lange durchgehen lassen. Kapitel 4: Nur ein Nachmittag ----------------------------- Vince war schon wieder verschwunden, ohne ersichtlichen Grund und natürlich wieder ohne Entschuldigung. Leah brodelte immer noch. Warum hatte sie ihn nicht einfach geküsst, es wäre so leicht gewesen ihn wieder umzustimmen, aber nein, stattdessen hatte sie es jetzt endlich richtig auseinander gebrochen. Der Tag schleppte sich endlos dahin und nahm einfach kein Ende. Es war erstaunlich, dass die Klingel tatsächlich nach all der Zeit doch noch wusste wie man ein Geräusch erzeugte. „Du siehst aber gar nicht gut aus. Hast du die letzte Zeit auch mal irgendwann geschlafen?“ Janna begleitete Leah nach Hause, eine Tätigkeit, die sie seit Jahren ausübte. Nicht allzu weit von Leahs Heim entfernt stand auf dem Gehweg eine Person, die eindeutig zu elegant wirkte um da einfach herum zustehen. Abgesehen davon wirkte er auf Janna eindeutig heiß und es freute sie, dass er ihnen Aufmerksamkeit schenkte. Zugegeben das Lächeln ähnelte einem Raubtier, dessen Opfer endlich in die vorbereitete Falle hinein lief. Und dann sprach er sie tatsächlich an! „Einen schönen Guten Tag, meine Damen. Ich hoffe es kommt nicht Ungelegen, aber ich wäre sehr erfreut wenn ich dich kurzzeitig entführen dürfte.“ Er wandte sich an Leah, die sehr irritiert zurück starrte. „Es dauert auch nicht lange und ich werde dir sicher nichts tun. Ich weiß ja nicht, was genau Vince dir von mir erzählt hat, aber ich möchte gerne, dass du dir ein eigenes Bild machst.“ „Vince? Was sollte er mir erzählt haben? Und wer sind Sie eigentlich?“ Das Lächeln wurde irgendwie…anders. „Entschuldige bitte, mein Name ist Alexander. Ich bin, oder war viel mehr, Vince Vormund. Es würde mich sehr freuen, wenn du mich spontan zu einem Kaffee begleiten würdest.“ Leah wechselte einen Blick mit Janna, die keine großen Bedenken zum Ausdruck brachte. „Nun ja, ich bin mir nicht sicher, aber was wäre das Leben ohne Risiko, nicht wahr? Wohin soll es denn gehen?“ Sie war entschlossen einen guten Eindruck zu machen, er war immerhin Vince Vormund, und das bedeutete bei Leah möglichst selbstbewusst auftreten. Bis der Cappuccino auf dem Tisch in der Cafeteria stand hatte dieser ominöse Alexander Leah mehr oder weniger über ihr bisheriges Leben ausgefragt. Zumindest hatte sie das Gefühl auf Fragen zu antworten, aber laut aussprechen musste er sie irgendwie nicht. Schließlich ging Leah zum Angriff über: „Und du bist der Vormund?“ „Ja, genau. Als er zwölf war kam er zu mir, nachdem seine Eltern nicht mehr für ihn sorgen konnten. Ich war ein Freund von ihnen.“ Ein recht trauriges Lächeln erschien auf seinem Gesicht, „Ich dachte eigentlich, er wäre bei mir ganz zufrieden gewesen. Da hab ich mich aber leider etwas getäuscht…“ „Warum ist er weggelaufen? Er wohnt ja sicher nicht aus Langeweile alleine…“ „Ich weiß es nicht genau um ehrlich zu sein. Er hat sich schon vor langer Zeit zurückgezogen…“ Und dann begann er ein Geschwafel ohnegleichen. Es war Leah ein Rätsel wie es dieser Mann schaffte dauerhaft zu reden ohne wirklich etwas zu sagen. Er hätte sicher eine große Karriere als Lehrer hinlegen können, eine noch größere als Politiker. Zum Ende des Redeschwalls versuchte Leah so etwas wie ein Fazit aus dem Ganzen zu ziehen: `Ich übersetz das mal; du sagst du weißt generell nichts, und möchtest jetzt dass ich dir helfe ihn milde zu stimmen. Interessant…aber noch interessanter fände ich, wo Vince gerade steckt? Du tauchst vermutlich nicht zufällig jetzt auf, wo er gerade verschwunden ist. Also?` Vince stieg aus dem Auto aus, voller Erleichterung, kein wortwörtliches Halsband tragen zu müssen. „Bis dann“ rief er dem Fahrer nach und winkte energisch. Mit dem Wagen verschwand auch seine Kraft sich richtig aufrecht zu halten. Eigentlich hatte er grad gar keine Lust sich jetzt in diese Wohnung zu begeben. „Vince!“ Erschrocken drehte er sich nach der Stimme. Da war tatsächlich Leah zu sehen, gänzlich ohne ersichtliche Hinweise darauf, eine Halluzination zu sein. Und sie wirkte unversehrt. Sie kam auf ihn zu, blieb aber ein Stück von ihm entfernt stehen. „Vince, was war denn nur los? Wo warst du die letzten Tage und wer, um Himmelswillen, ist dieser Typ gewesen, der hier war?“ „Hat er dich in Ruhe gelassen?“ „Ja, wir haben nur geredet. Auch wenn ich ein paar Kleinigkeiten nicht ganz verstanden habe…“ Man sah ihr die Verwirrung deutlich an. Vince wusste, dass er es jetzt tun musste, eine solche Chance würde er nie wieder bekommen. Jetzt war es schon so schlimm um ihn bestellt, da kam man aus drei Tagen Gefangenschaft gerade nach Hause und schon stürzte man sich, freiwillig!, in Herzensangelegenheiten. „Leah, es tut mir Leid. Wirklich Leid. Ich will dich nicht mehr verletzen müssen. Ich will einfach, dass du in meiner Nähe bist…“ Die Wörter sprangen regelrecht aus seinem Mund, zunehmend leiser werdend. Das überraschte sie dann doch ein wenig. Leah hatte das ja schon vermutet, aber mit einer so plötzlichen Wende hatte sie nicht gerechnet. „Ähm…“ Vince überwand den bestehenden Abstand zwischen ihnen so schnell, als wäre die Distanz nicht vorhanden. Er hoffte auf ein Zeichen der Versöhnlichkeit. Zögernd hielt er eine Hand in die Nähe von ihrer. Sie sollte entscheiden. Ein Grinsen ging in Leahs Gesicht auf und sie sprang ihn einfach an. „Ah, nicht so stürmisch, bitte. Sonst komm ich noch auf Ideen.“ „Mit denen muss ich dann eben leben. Es ist viel zu lange her, dass ich dich umarmen konnte.“ Sie drückte ihr Gesicht noch etwas näher an ihn. „Dir ist klar, dass das eine Einladung war, oder?“ Leah wurde sich seiner Hände und dem Rest des Körpers überraschenderweise doch noch bewusst. Die nächste Erkenntnis war damit verbunden, dass sie jetzt vermutlich nicht mehr davon kommen würde. „Moment, bitte nicht so- jetzt –halt, das-“ Sie versuchte ein paar Zentimeter zwischen sie beide zu bringen. Tatsächlich ließ sich Vince zu einem kurzen Einhalten bewegen. „Denkst du ich ließe dich jetzt noch gehen? Ich will dass du bei mir bleibst und ich werde dafür sorgen, dass du nicht mehr fliehen kannst. Ich liebe dich. Bleib bei mir, ich bitte dich.“ Es war weniger eine Bitte als ein Befehl. Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen machte er natürlich gleich damit weiter Leah mit Zärtlichkeiten einzudecken. Was ohne Probleme zum Entkleiden von ihr überging. „Vince! Warte, das…“- Er brachte sie mit einem langen Kuss zum Schweigen, wobei er sie nebenher weiter auszog. Seine Hände schienen auf Leahs Haut eine Spur von Gänsehaut nach sich zu ziehen. Unter der Kleidung fand er ihre Brustwarzen und streichelte sanft darüber. Ohne ihr Zutun entfuhr Leah ein Seufzer. Derlei ungewohnte Berührungen und ihre eigenen unerwarteten Reaktionen verunsicherten sie sehr. Doch bei all dem war es nicht unangenehm. Vielmehr brannte Leah darauf zu erfahren was als Nächstes geschehen würde. Leider wusste sie nicht was sie tun sollte, oder konnte. Aber Vince war sich scheinbar sehr sicher mit dem was er vorhatte. Um ein wenig mehr Gerechtigkeit zu schaffen, versuchte sie ihm das T-Shirt vom Leib zu zerren. Der Anblick seines nackten Oberkörpers machte Leah bewusst wie schön er war. Andächtig fuhr sie mit ihren vor Aufregung kalten Fingern seine Konturen nach. Zumindest versuchte sie es. Weit kam sie damit freilich nicht. Nach kürzester Zeit hatte Vince sie mehr oder minder in den Armen und schob sie Richtung Sofa. Das kalte Leder, auf dem sie sich niederließen, verursachte eine Gänsehaut bei ihr, aber das war gerade so uninteressant, dass Leah es gar nicht merkte. Das alles war so neu, fremd und aufregend. Aber vor allem hatte sie das Gefühl, dass Vince in diesem Moment mehr als eindeutig ihr allein gehörte und sicher nicht mehr gehen würde. Dem anderen vertrauen und sich mit nichts auf dieser Welt noch sicher zu sein ist alles andere als einfach. Aber es lohnt sich. Als Leah aufwachte blickte sie auf einen Brustkorb, der damit beschäftigt war sie noch ein bisschen näher an sich zu drücken. ‚Meine Güte. Sind wir wirklich eingeschlafen?’ Und offensichtlich hatten sie es irgendwie sogar ins Schlafzimmer geschafft. Unter der Bettdecke war ihr eindeutig zu warm. Leah gelang es sich aus Vince Armen zu befreien und aus dem Bett zu krabbeln, das ihr ein klein wenig zu groß erschien. Als sie vorhin in diese Wohnung gekommen war, hatte sie nicht viel davon wahrgenommen. Die untergehende Sonne tönte die Wände orange und spiegelte sich auf den glatten Oberflächen. Leah hatte sich ein T-Shirt stibitzt und streifte nun durch die beeindruckende Wohnstatt. Obwohl es eine ganz andere Wohnung war, machte sie auf Leah den gleichen Eindruck wie die letzte. Nur, dass hier noch nicht genug Zeit gewesen war um ernsthafte Unordnung entstehen zu lassen. Genau dadurch schien es unbewohnt zu sein. In der Küche fand Leah etwas zu trinken und während sie den Sonnenuntergang beobachtete, begann sie allmählich nachzudenken. Was war denn bitte gerade passiert? Vor einer Minute war sie Single und schon war die Jungfräulichkeit Geschichte. Warum lief die Beziehung mit Vince immer so schubweise ab? Hoffentlich änderte sich das jetzt. Obwohl…diese Stopp- and- Go Sache musste sich eindeutig ändern, ansonsten würde Leah vermutlich bald graue Haare bekommen. Hände umfassten ihren Körper. Leahs Herz wollte dem Gehirn kurz einen Besuch abstatten. Bis sich die beiden wieder verabschiedet hatten, saß Leah auf dem Sofa mit Kaffee und (er hatte tatsächlich irgendwo noch was gefunden) Knabberkram unter einer Decke. „Ich schätze, ich bin dir ein paar Erklärungen schuldig.“ Er lächelte sie auf diese elend traurige Weise an und ließ sich auf dem Sofa nieder. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)