Mirror Images von feuerregen (Nur Spiegelbilder) ================================================================================ Was sehe ich? ------------- Eigentlich will ich das hier gar nicht schreiben. Immerhin geht es um Liebe! Jaja, lacht ruhig. Sagt ruhig, dass das Thema ausgelutscht ist. Dass es nichts mehr Neues darüber gibt. Aber es geht hier nicht um irgendeine Schnulzenliebe. Es geht um mich! Um meine Liebe. Also lest diese Geschichte mit Respekt oder lest sie gar nicht. Ich selber bin nicht sonderlich auffällig. Braune Haare, braune Augen mit einem Schuss grün, der bislang nur meiner Mutter und meiner besten Freundin aufgefallen ist. Ich kleide mich normal - vielleicht ein wenig alternativ, doch das fällt nicht auf, davon laufen zu viele auf unserer Schule rum - habe eine Figur, die weder positiv noch negativ auffällt, und steche auch nicht durch herausragende Leistung in Sport und Schule heraus. Gerne wäre ich etwas aus der Menge herausgestochen... Sie tat es. Ohne sich stören zu lassen. Das Geläster, wenn Sie vorbeiging, die Rufe und Beleidigungen, sie glitten an ihr ab wie an geöltem Glas. Oder sie lachte darüber. So fiel sie mir zum ersten Mal wirklich auf: Ich durchquerte gerade die Pausenhalle mit meinen Freundinnen, als es seitlich von mir „Emo!“ quietschte. Zwei Kleine hatten gemeinsam gerufen. Kurz war absolute Stille, nachdem Sie abrupt stehen geblieben war, dann warf Sie den Kopf in den Nacken, dass die immer wirr und ungekämmt wirkenden schwarzen Haare in einem weiten Bogen mit flogen, und lachte. Ohne die Umstehenden eines Blickes zu würdigen setzte Sie ihren Weg fort, immer noch kichernd. Seitdem beobachtete ich sie immer wieder. Unbewusst, zufällig, ungewollt. Groß, immer in schwarz, mit dem offen wehenden Ledermantel und den wilden, langen Haaren fiel sie einem einfach sofort auf. Sie war so, wie ich mich nie traute zu sein. Nicht, dass ich mich gerne komplett in schwarz kleiden würde! Aber es erschien mir immer, als würde sie nichts geben auf die Meinung anderer. Dass sie ihre Meinung und ihren Weg hatte und diese lebte. Ich hatte Angst vor der Meinung anderer. Angst, dass sie mich ablehnen könnten. Sie kannte eine meiner Freundinnen und kam in einer der Pausen einmal kurz zu uns, weil sie ein ausgeliehenes Buch wiederhaben wollte. Ich traute mich nicht einmal, sie anzusprechen. Ich wurde nervös. Hastig entschuldigte ich mich und wollte flüchten, aber die Schultaschen verbauten mir den Weg. Nervös, wie ich war, achtete ich natürlich nicht auf solche Kleinigkeiten und registrierte sie erst, als ich schon am Fallen war. Den Schmerz des Aufpralls erwartend hatte ich die Augen zusammengekniffen, doch der Schmerz kam nicht. Stattdessen landeten meine schützend vor den Oberkörper gepressten Unterarme auf etwas kaltem, weichen. „Na, noch heil?“, klang es halb amüsiert, halb besorgt an meine Ohren. Eine rauhe, mir neue Stimme mit einem leichten Sprachfehler, deren Worte trotzdem weich und sanft klangen. Sie? Hatte sie mich tatsächlich aufgefangen und angesprochen? Vorsichtig öffnete ich ein Auge, blickte erst vor mich – sie hatte einen Arm ausgestreckt und meinen Fall aufgehalten, indem sie mich an ihren Körper gezogen hatte – und blickte mit einem etwa schiefen, spöttischen Lächeln auf mich hinab. Ich wollte sterben. Am besten sofort im Erdboden versinken! Sie derweil richtete sich wieder auf, da sie um mich abzufangen stark in die Knie gegangen war, und stellte mich gerade hin. „Naja, jedenfalls danke für das Buch. Hat auch lange genug gedauert.“, verabschiedetes sie sich, noch bevor ich mich hatte sammeln können oder aufzublicken wagte, zu meiner Freundin und war auch schon wieder in der Menge verschwunden. So gut, wie sie halt verschwinden konnte... Die große schwarze Gestalt stach auch in größerer Entfernung immer noch unübersehbar aus der Menge heraus, der Pfad, der ihr gemacht wurde noch eine Sekunde gut erkennbar. Diese Nacht schlief ich unruhig, wachte immer wieder auf, doch konnte ich mich nicht erinnern, von was ich geträumt hatte. Morgens fühlte ich mich wie zerschlagen und eine schnelle Kontrolle im Badezimmer sagte mir nichts anderes... Meine Haare standen in alle Richtungen, meine Augen waren kaum geöffnet und meine Mundwinkel griesgrämig nach unten gezogen. Oh ja, so würde ich jeden aufreißen, die Männer würden mir geradezu nachfliegen, kommentierte ich mein eigenes Aussehen gehässig. Ich würde mein Bad wohl etwas länger mit meiner Anwesenheit begrüßen. Wie sie wohl aussah am Morgen, schoss es mir durch den Kopf. Ob sie ebenso zerknirscht und vom Wecker viel zu früh geweckt wie ich aus dem Bett kroch und die Schule verdammte? Ob sie beim ersten Klingeln wach aus den Federn hüpfte? Oder lag sie bis zur letzten Minute im Bett, um dann in kürzester Zeit fertig zu sein und sich auf den Weg zur Schule zu machen? Ich wusste es nicht. Zumindest bezweckten meine Grübeleien vor dem Spiegel, dass ich zu spät zu Mathe kam. Und in der Pause war sie wieder da. Ich wollte verschwinden, unsichtbar sein, mich in Luft auflösen! Aber da ich all das nicht konnte, schaute ich nur peinlich gerührt zur Seite und versuchte, möglichst unauffällig auszusehen, als sie an meine Freundin herantrat und ihr ein anderes Buch gab. Und ich hatte doch hingeguckt. Ich hatte mich nicht beherrschen können und so zuckten meine Augen immer wieder zu ihr, auf ihre Hände, die das Buch übergaben, auf das volle, mit schwarzer Spitze dekorierten Dekoltée, auf den weißen, von silbernen Ketten und einem schwarzen Spitzenhalsband geschmückten Hals, zu den von schwarzem Kajal umrahmten, kühl-grau-blauen Augen, die, auch wenn sie ein wenig lächelte, kalt zu bleiben schienen. Da, verdammt! Sie hatte meinen Blick bemerkt und grinste mich kurz, aber fies an. Für einen kurzen Moment zog sie die Mundwinkel so hoch, dass man selbst ihre Backenzähne und das Zahnfleisch sehen konnte, und mir lief ein Schauer die Wirbelsäule hinab. Schnell wandte ich meinen Blick wieder ab, meine Wangen wurden heiß, als mir das Blut in den Kopf schoss, und mein Körper unnatürlich steif. Nur schwach bekam ich zwischen meinen Selbstbeschimpfungen mit, wie sie sich verabschiedete, erst als ich eine große, schwere Hand auf meinem Kopf fühlte, die mir durch die Haare wuschelte, blickte ich auf und mich um, bis ich sie oder vielmehr ihren sich entfernenden Rücken, ausgemacht hatte. „Sie mag dich!“, lachte meine Freundin, das ausgeliehene Buch vor der Brust haltend. Kurz blickte ich zu ihr, die grinsend zu mir blickte, doch wollten meine Augen nicht auf ihr ruhen bleiben. Irgendwie hatte ich die Schule überlebt, saß mit einem Block auf meinem Bett, mit der festen Absicht, Sie zu malen. Irgendwie musste ich ja meinen Kopf klären. Wieder riss ich das Blatt ab. Ich schaffte es nicht. Ich schaffte es einfach nicht, das Bild in meinem Kopf aufs Papier zu bringen. Immer war etwas anders, das Gesicht zu rund, das Gesicht zu schmal, die Augen zu klein, die Augen zu groß, die Nase zu dick, die Nase zu dünn, die Lippen im Allgemeinen vollkommen falsch... Seufzend riss ich auch das nächste Blatt aus dem Block und schmiss es zur Seite. Ich würde heimlich ein Foto von ihr machen und das als Vorlage nutzen, so einfach. Thema Ende! Stattdessen beschloss ich, lieber mich selbst mal zu zeichnen. Hmm... es gelang immerhin schonmal besser, ich erkannte mich wieder. Für die Details würde ich trotzdem einen Spiegel nehmen. Rasch legte ich alles beiseite, rannte ins Badezimmer, in dem der Schminkspiegel stand, griff mir diesen und war schon auf dem Weg zurück. Sorgfältig drapierte ich mich selbst wieder auf dem Bett, stellte den Spiegel so, dass ich meine Gesichtszüge gut erkennen konnte. „Das bin ich.“, kam es kaum hörbar über meine Lippen, als ich mich im Spiegel betrachtete. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich meine Hand ausgestreckt hatte und nun mit den Fingerspitzen die Spiegelfläche berührte, meine Gesichtskonturen nachzog. Das war ich. Rein optisch ja, aber was verbarg sich hinter der Spiegelung? So kam ich mir vor, wenn ich Ihr gegenüber stand. Sie war mein Spiegel. Ein Spiegel, der mein genaues Gegenteil zeigte. Es fühlte sich an, als wäre Sie einmal ich gewesen, doch dass das wahrlich lange her war. Sie konnte mich sehen, in mich hineinsehen, aber ich nicht in Sie. Wie in einem Verhörraum... Ich war der im Raum und Sie war der Beamte davor. Sie sah mich, beobachtete mich, analysiere mich, aber ich sah nur mein Spiegelbild. Meine Sicht verschwamm. Was...? Ich wischte mir mit dem Handrücken über die Augen. Warum weinte ich? Warum tat meine Brust umso mehr weh, je mehr ich an Sie dachte, je mehr ich über Sie nachdachte? Ja, ich war damals verliebt gewesen, ohne es selbst zu merken, bis mir die Tränen kamen, weil es so wehtat. Doch ich habe es Ihr nicht gesagt. Ich war zu feige, traute mich nicht, aufzustehen. Noch heute ist mir unwohl in ihrer Nähe, die Hingezogenheit zu ihr reißt immer noch so sehr an mir wie meine Furcht. Ich werde diese Gefühle wohl mit in mein Grab nehmen, denn ich bin ein Feigling, der auf ewig seinem Spiegelbild hinterherjagen wird. ------------------------------------------------------------------------------------- Lyrisches Ich ungleich Autor Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)