Moonblood von Skeru_Seven (Mondkinder Teil 1) ================================================================================ Kapitel 2: ☽☾ ------------- Zwei Stunden und dreißig Minuten später war es soweit: Alles Lichter gingen aus, die Schüler sollten in ihren Betten sein und ich war vor Aufregung total nervös. Wenn uns heute jemand bei unserem Fluchtversuch erwischte, standen die Chancen, noch einmal so leicht davon zu kommen, sehr schlecht. Hier hielt man nämlich nichts davon, Schüler von der Schule zu werfen, die gegen die Regeln verstießen, da hätte man einige nämlich sogar belohnt. Stattdessen wurde man so lange hier festgehalten und umerzogen, bis man gar nicht mehr wegwollte. Wie die das hier anstellte, wusste ich nicht und ich wollte es auch gar nicht erfahren. Ich wollte nur so bald wie möglich weg. „Hannes? Ben? Schlaft ihr schon?“ Zwar bezweifelte ich das, weil die beiden sich noch nicht von mir verabschiedet hatten, aber ich wollte mich noch einmal vergewissern. „Natürlich nicht“, flüsterte Hannes mir zu, dessen Bett sich gegenüber von meinem befand. „Für wie dumm hältst du uns?“ Leise stand er auf, schlich sich zu mir und hockte sich neben mich auf die Bettdecke. „Ich will echt nicht, dass ihr geht. Dann ist es hier noch schrecklicher als vorher.“ „Du hast doch Ben“, versuchte ich ihn von der Tatsache abzulenken, dass es ohne Zoe und mich wirklich totlangweilig werden könnte, da dann niemand mehr da war, der freiwillig einen Skandal nach dem anderen produzierte. „Na toll, als ob ich den nicht schon seit wir sieben sind hätte“, murrte Hannes leise vor ich hin. „He, das hab ich gehört“, beteiligte sich nun auch Ben an unserer letzten, nicht besonders geistreichen Konversation. Keine zehn Sekunden später saß auch Ben bei uns und versuchte mich mit allen Mitteln der Überredungskunst davon abzuhalten, nicht das Weite zu suchen. Leider ohne Erfolg, mein Entschluss stand seit Ewigkeiten fest. Das Quietschen der Tür verriet mir, dass sich Zoe endlich eingefunden hatte, was Ben und Hannes hoffentlich die Endgültigkeit unseres Vorhabens signalisierte. „Roman, bist du bereit?“, erkundigte sich Zoe und ging auf Zehenspitzen auf uns drei zu. „Jetzt ist es gerade günstig, kein dummer Lehrer rennt auf dem Flur herum und kann uns in die Quere kommen.“ „Okay, dann nichts wie los.“ Angezogen war ich, mein Rucksack lehnte neben mir an der Wand, nichts hielt uns noch auf. Höchstens Ben und Hannes, die uns am liebsten gar nicht hätten gehen gelassen, allerdings einsahen, dass es nichts brachte, uns zu zwingen, hier im Zentrum der Dummheit zu bleiben und zu verblöden. Hannes umarmte mich zum Abschied so stürmisch, dass ich glaubte, ersticken zu müssen und Ben hielt sich ebenfalls kein Stück zurück, nur dass er es sich nicht nehmen ließ, mir noch einen Kuss auf die Wange zu drücken. Da er der erste Typ gewesen war, mit dem ich geschlafen hatte, und ich ihn zum Kreis meiner besten Freunde zählte, hatte ich nichts dagegen einzuwenden. Bei Zoe verlief die ganze Sache etwas schneller; nicht weil Ben, Hannes und sie sich nicht leiden konnten, sondern weil Zoe kein Mensch war, der lange Verabschiedungsrituale mochte, und das hatten die Jungs schon früh genug gemerkt, irgendwann in der siebten Klasse, als ich noch gar nicht ahnte, dass es solche unzumutbaren Orte wie diesen hier gab und meinen Eltern zuhause auf den geist gegangen war. Beinahe lautlos verließen Zoe und ich mit unserem Gepäck den Raum, eilten den Flur entlang und eine Treppe hinunter, bis wir vor der Tür des Mädchenklos standen. Von dort aus konnte man fast ohne Schwierigkeiten nach draußen auf die Umgrenzungsmauer gelangen, das hatte Zoe schon einige Male vorher extra für heute Nacht getestet. „Pass auf, dass du nicht ausrutscht und da runterfällst, dann haben wir nämlich ein ziemliches Problem“; schärfte Zoe mir zum dritten Mal ein, während sie auf dem Fenstersims balancierte und nach der Regenrinne an der Außenwand griff. Hoffentlich hielt das verrostete Ding, sonst stürzte Zoe und brach sich ein Bein. Wenn sie Pech hatte sogar beide. Sie hielt; mit einem gewagten Sprung landete Zoe auf der Mauer und winkte mir zu. Entweder um mich zu ärgern oder mich zu ermuntern, in der Dunkelheit erkannte ich ihren Gesichtsausdruck nicht besonders gut. Das störte mich auch nicht besonders, solange ich die Umrisse der Mauer sah, auf denen ich am besten ohne viel Lärm aufkommen sollte. Dank meiner intensiven Betätigung in Sport jeder Art – außer im Schulsport, der gehörte verboten – schaffte ich es tatsächlich, direkt neben Zoe auf dem kalten Stein eine punktgenaue Landung hinzulegen. Allerdings musste sie mich am Arm packen, damit ich nicht von meinem eigenen Schwung auf der anderen Seite hinunterfiel. Dieser Teil des Ausbruchs war wirklich der schwierigste, der Rest bestand so weit ich wusste nur noch aus Laufen, Rennen und sich Zurechtfinden. Das erste Stück rannten wir wirklich, um uns ganz sicher zu sein, dass uns auf dem schmalen Asphaltweg, der vom Haupttor des Internats bis ins nächste Dorf führte, niemand verfolgte. Das zusätzliche Gewicht des Rucksacks und das nicht vorhanden sein von Licht – Taschenlampen hatten wir dummerwiese vergessen zu besorgen – machte es nicht einfacher, aber wir erreichten den winzigen Ort ohne nennenswerte Komplikationen. „Hier muss irgendwo eine Haltestelle sein, da nehmen wir dann den Bus bis in die nächste größere Stadt und von da aus den Zug“, erklärte Zoe mir endlich unsere Reiseroute. Klang nicht gerade billig, aber auf einem anderen Weg kam man nicht von hier weg, man saß sozusagen am Arsch der Welt fest, wenn man keine öffentlichen Verkehrswege benutzte. Tatsächlich entdeckten wir gut versteckt bei einem kleinen Laden die Haltstelle, an deren Plan stand, dass in absehbarer Zeit noch ein Bus vorbeikommen würde, der uns bis an den nächsten Bahnhof bringen konnte. Die Wartezeit verkürzte Zoe mir, indem sie in den höchsten Tönen von unserer bevorstehenden Zukunft schwärmte und sich fragte, wie morgen die Schulleitung reagierte, wenn sie feststellte, dass wir uns davon gemacht hatten, ohne dass jemand wusste, wohin überhaupt. Als der Bus nach gefühlten zwei Stunden vor uns anhielt und wir als einzige im Inneren Plätze suchten, war ich ziemlich erleichtert, dass wir es bis hier her geschafft hatten. Noch ein paar Stunden und unsere Spur würde kein noch so schlauer Lehrer ausfindig machen. Am Anfang versuchte Zoe noch mit mir das Gespräch weiterzuführen, doch da ich ihr nicht mehr antwortete, weil ich langsam aber sicher müde wurde und dann nur noch ungern redete, ließ sie es bleiben, sah stattdessen aus dem Fenster und wartete, dass wir umsteigen konnten. Die Fahrt zog sich, weshalb ich ziemlich froh war, als wir endlich den Bus verlassen und uns auf den Weg zu den Gleisen machen konnten. Außer uns standen nur ein oder zwei Leute hier herum, man merkte einfach, dass man immer noch irgendwo in der Pampa hockte. Zwar nicht mehr am Arsch der Welt, aber bis zum Nabel fehlte doch noch ein ganzes Stück. Den Rest der Reise bekam ich gar nicht mehr mit, da ich sofort einpennte, als Zoe und ich uns zwei Plätze erkämpft hatten. Hoffentlich blieb wenigstens sie wach, sonst wachten wir Stunden später auf und wussten gar nicht, wo wir waren und wie wir dort wieder wegkommen sollten. „Roman, wir sind gleich da!“ Zoe rüttelte mich unsanft am Arm, weswegen es nicht lange dauerte, bis ich mich wieder in einem Zustand befand, den man als einigermaßen wach bezeichnen konnte. Hoffentlich kamen wir bald dort an, wo Zoe uns hinbringen wollte. Wir liefen eindeutig durch eine Großstadt, das konnte man gar nicht übersehen. Obwohl es schon ziemlich spät war, hingen überall irgendwelche Leute herum, tranken sich zu oder schwafelten so laut vor sich hin, dass man fast gezwungen wurde, zuzuhören. So etwas war man gar nicht gewöhnt, wenn man kaum aus diesem ätzenden Internat herausgekommen war. Gut, dass diese Zeiten vorbei waren und ich mich frei bewegen konnte. Das einzige, auf das ich im Moment nur gar keine Lust hatte, war, von einer wildfremden Person angequatscht zu werden. Egal ob einfach nur, um nach dem Weg zu fragen oder um sich cool zu fühlen, ich brauchte das nicht, das verzögerte nur unsere Ankunft bei wem auch immer, Zoe hatte mich immer noch nicht eingeweiht. Langsam nervte es mich, vor allem weil sie nicht besonders sicher schien, wo wir genau hinlaufen mussten. Eigentlich ziemlich untypisch für Zoe, die sich sicher vorher schon die Wegbeschreibung im Internet ausgedruckt und auswendig gelernt hatte, um mich quer durch die Gegend zu scheuchen. „Braucht ihr Hilfe?“ Vor uns blieb eine junge Frau, sicher nicht älter als Anfang zwanzig, stehen und lächelte uns an. Fast automatisch strahlte Zoe zurück, weswegen ich mir nur knapp ein genervtes Seufzen verkneifen konnte. Es war ungefähr Mitternacht, ich war müde, wollte nur noch in ein Bett – meins stand ja leider nicht zur Verfügung – und Zoe hatte wieder diesen Gesichtsausdruck aufgelegt, den sie nur bekam, wenn irgendein Mädchen in ihr Beuteschema fiel. Und das schien bei Miss Unbekannt der Fall zu sein, das konnte ja noch lustig werden. „Ja, gerne“, nahm Zoe die angebotene Hilfe auch sofort an – wer hätte es gedacht? „Wie kommen wir in die Innenstadt?“ „Ich kann euch hinbringen, wenn ihr wollt“, erklärte sich die Frau ohne Namen bereit, setzte sich in Bewegung und deutete uns an, ihr zu folgen. „Ich bin übrigens Paige.“ Wenigstens etwas wussten wir jetzt über sie. „Ich bin Zoe und das ist mein bester Freund Roman.“ Natürlich hielt sich Zoe nicht zurück. Sie war nicht dumm, aber manchmal fragte ich mich, ob sie sich genau überlegt hatte, was die Konsequenzen davon bedeuteten. Besonders wenn irgendwelche Mädchen im Spiel waren. Wenn Paige sie noch mehr zum Reden brachte, erfuhr sie zum Beispiel von unserem kleinen Abenteuer. Zwar vermutete ich nicht, dass sie ein getarnter Spion war und für unsere Schule arbeitete, um entlaufene Schüler schnell wieder einzufangen, trotzdem musste sie nicht erfahren, was wir wann und wo taten. Sie brachte uns in die Innenstadt und fertig. Während ich hinter den beiden her trottete und mir die Umgebung soweit es bei den wenigen Lichtern und Laternen hier möglich war ansah, hatte Paige Zoe in ein Gespräch verwickelt, aus dem sie nicht so schnell herauskam und in dem sie einiges von sich und uns preisgeben musste. Natürlich hätte ich dazwischen gehen können, nur gab es das Problem, dass Paige vielleicht beleidigt gewesen wäre, uns allein stehen gelassen hätte und wir uns eine neue Person hätten suchen müssten, die uns in die richtige Richtung führte. Und eigentlich hatte ich keine Lust, die seltsamen Gestalten um uns herum anzusprechen, da bevorzugte ich doch lieber Paige. Sie wirkte wenigstens nicht so, als würde sie uns etwas tun. Das klang so, als wäre ich Loser Nummer eins, der sich nicht wehren konnte, falls mir einer dumm kam, aber im Moment fühlte ich mich nicht in der Verfassung, mich mit jemandem zu schlagen, außer wenn es nicht vermeidbar wäre. Die Straße, durch wie wir gingen, wurde immer dunkler, weil mindestens die Hälfte der Lampen hier den Geist aufgegeben hatten, was mich nicht unbedingt freute. Angst im Dunkeln hatte ich nicht, nur hörte ich schon seit einigen Minuten Schritte hinter uns, das mich zusätzlich nervös machte. Scheiß Großstadt, langsam merkte ich, wieso wir schon jahrelang in einem Kaff am Arsch der Welt gewohnt hatten, bevor ich ins Internat umgesiedelt worden war. Hier konnte es gefährlich werden oder zumindest wehte ein Hauch von Gruselstimmung durch die Gegend, wie in einem schlechten Horrorfilm. Auch Zoe schien es langsam unbehaglich zu werden, denn sie schaute sich immer wieder nach hinten um und vergrub ihre Hände tief in ihren Hosentaschen. Der Stoß, der mich trat, kam völlig unerwartet, sodass ich nach vorne fiel und schmerzhaft auf dem harten Pflaster landete. Im ersten Augenblick realisierte ich gar nicht, was eigentlich los war, bis ich Paige sah, die Zoe gegen die nächste Hauswand drückte und auf sie einredete, allerdings verstand ich kein Wort davon. Zoe versuchte sich zu befreien und trat einige Male nach Paiges Schienbeinen, doch diese wich geschickt aus. Was weiter zwischen den beiden geschah, bekam ich nicht mehr mit, da ich nun selbst gegen meinen Willen gepackt und umgedreht wurde. Wütend wollte ich demjenigen für diesen hinterhältigen Angriff eine reinhauen, aber er umklammerte meine Handgelenke so fest, dass ich sie nicht bewegen konnte. „Lass mich los, du Wichser, sonst mach ich dich fertig“, fuhr ich ihn an, was sich in meiner Lage ziemlich bescheuert anhörte, immerhin konnte ich ihn nicht einmal mit dem kleinen Finger berühren. „Ja, das sehe ich“, meinte er lässig und musterte mich eingehend. „Komm, fang an oder auf was wartest du?“ Was dachte sich der Typ dabei? Wollte er mich provozieren, um sich über mich lustig zu machen? Und was verdammt noch mal wollten er und Paige von mir und Zoe? Geld? Unsere Sachen? Hatten sie einfach Bock, fremde Menschen zu verprügeln, weil ihnen Langweilig war? Aus Zoes Richtung ertönte ein lauter Schrei, was mich noch einmal anstachelte, diesem Vollidioten zu zeigen, dass sie sich nicht alles erlauben konnten, nur weil sie hier lebten. Am liebsten hätte ich mich außerdem umgedreht, um zu sehen, was Paige mit Zoe anstellte, aber mein Gegenüber hielt mich immer noch so auf den Boden gedrückt, dass ich außer ihm gar nichts sah. Kam es mir nur so vor oder kam er mir immer näher? Scheiße, wenn das jetzt irgendwelche kranken Perversen waren, die ihre gestörten Fantasien an uns auslassen wollten... „Mads, Paige, seid ihr bescheuert?“, hörte ich von gar nicht so weit weg eine Stimme rufen, die sich uns deutlich näherte. „Lasst sie sofort los!“ Wollte uns da tatsächlich jemand helfen? „Verdammt, Janina, mach die Fliege“, knurrte der Typ – Mads hieß er wohl, was für ein schräger Name –, der mir inzwischen so auf die Pelle gerückt war, dass er mit seiner Nasenspitze fast meine Hals berührte. „Du störst.“ „Und ihr habt einen Dachschaden.“ Die unbekannte Person schien sich wirklich nicht abwimmeln zu lassen, denn keine zehn Sekunden später fegte etwas Dunkles an uns vorbei, ich hörte Paige fluchen und etwas – oder jemanden – zu Boden fallen. „Muss die sich immer einmischen?“ Mads hatte sich wieder gefasst, warf noch einen kurzen Blick zu Paige und versuchte mich ohne Vorwarnung in den Hals zu beißen. Erschrocken zuckte ich zurück, der Typ hatte doch wirklich nicht mehr alle Tassen im Schrank, so wie der sich aufführte. Auf meine Kohle hatte er es echt nicht abgesehen, sonst hätte er mich einfach niedergeschlagen, mein Geldbeutel geklaut und wäre längst über alle Berge. Zu einem weiteren Versuch, mich mit seinen Zähnen zu verunstalten kam Mads nicht, denn etwas sprang ihn an; er knallte mit der Stirn auf meinen Unterkiefer, sodass sich mein Hinterkopf und der Betonboden trafen. Es tat höllisch weh, aber anscheinend nicht nur mir, denn Mads machte keine Anstalten, sich gegen Janina oder wer auch immer ihn von mir herunterzog, zu wehren. Mir konnte es nur recht sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)