Schneefee von Gary (A fairytale~) ================================================================================ Kapitel 1: Die Einteilung ------------------------- Kapitel 1: Die Einteilung „Sehr geehrter Aurel Valdez, Wir möchten Ihnen hiermit herzlich zu Ihrem Abschluss an der Tropajanischen Feenhochschule und dem somitigen Eintritt in unsere Feengesellschaft gratulieren. Wie Sie bestimmt wissen, wird jedes neu beigetretene Mitglied einer Feenkategorie zugeteilt und erhält somit eine Aufgabe, die es bis zu seinem Abdanken auszuführen gilt. Die Gruppierung erfolgt durch die Große Fee, die jeden Fall einzeln durchdenkt und jede Fee gemäß ihrer Stärken, Schwächen, physischen und psychischen Entwicklungen einteilt. Ihr Beschluss ist endgültig und unwiderruflich.[...]“ „Aurel!“ Eine Stimme. Sie klang aus dem Nirgendwo, aus den Tiefen der Dunkelheit, aus den Weiten des Nichts. „Hey, Aurel!“ Aurel. War das sein Name? Er kam ihm ungemein vertraut vor. „Jetzt wach endlich auf!!“ Diese Stimme. Er würde sie immer erkennen, selbst wenn er eines Tages taub werden würde. „Jen...ah...“, murmelte er leise. „Ja, ich bin's Jenah. Und jetzt steh endlich auf! Du kannst dich nicht den ganzen Tag sonnen lassen!“, gab die Stimme forsch zurück. Aurel drehte sich auf die andere Seite. „Nur noch fünf Minuten...“ „Fünf Minuten..? Fünf Minuten?! Wir kommen zu spät zur Zeremonie, du Idiot!“ Jenah gab ihm einen unsanften Stoß gegen die Rippen, woraufhin er vor Schmerzen aufkeuchte und die Augen auf riss. Gleißendes Sonnenlicht strahlte ihm ins Gesicht und er hob schützend die Hand um dem blendenden Licht zu entgehen. „Au, verdammt! Was sollte das, Je-“ Er unterbrach sich selbst und sein gebräuntes Gesicht versteinerte. „Die Zeremonie!“ Er hatte unter der warmen Mittagssonne bloß ein kurzes Nickerchen machen wollen, hatte jedoch die Zeit vergessen und war nun drauf und dran zu spät zu seiner eigenen Abschlusszeremonie zu kommen. Sofort sprang der Jüngling auf, strich sich seine Kleidung glatt und versuchte seine schwarzen Locken zu bändigen. „Wie spät ist es?!“ Seine beste Freundin rollte die Augen. „Fünfzehn Minuten vor der Zeremonie.“ Sie kannte ihren besten Freund nur zu gut und hätte sie ihn nicht aus dem Schlaf gerissen, hätte er garantiert die ganze Feier verschlafen. So sehr sie ihn auch mochte, sein Mangel an Pünktlichkeit hatte sie beide schon öfters in Schwierigkeiten gebracht. Sie beobachtete, wie er sich zu der Palme hetzte vor der er gedöst hatte und in seine Wohnung rannte, die sich im Baum befand. Dabei rief sie ihm vorwurfsvolle Kommentare nach. „Ausgerechnet heute musstest du verschlafen! Hättest du nicht wenigstens am wichtigsten Tag deines Feendaseins pünktlich sein können? Immerhin bekommen wir heute unsere Aufgabe zugeteilt! Also wirklich, Aurel!“ Die gleichaltrige Feendame, die des Öfteren eher wie seine Mutter agierte, wollte nur sein bestes - was sie jedoch nicht davon abhielt ihm stets ihre Meinung zu sagen, wenn ihr etwas nicht passte. Und gerade seine Unpünktlichkeit war etwas, worüber sie sich immer wieder ärgerte. Etwas genervt folgte sie ihm in die Wohnung. „Es tut mir ja Leid“, murmelte Aurel schmollend. „Man kann sowieso nichts mehr dagegen machen...“, antwortete Jenah seufzend. „Außer sich beeilen. Also los! Wird’s bald!“ Der Feenjunge rannte von einem Ende der Wohnung zum anderen und zog sich schnell um, während seine Freundin ungeduldig auf und ab ging. „Wir kommen zu spät... Wir kommen definitiv zu spät!“, jammerte Jenah und fing an ihre Fingernägel zu kauen - etwas was sie vergebens versuchte hatte sich abzugewöhnen. Dennoch wurde sie jedes Mal, wenn sie wegen Aurel in Stress geriet, rückfällig. „Das wird er mir büßen“, seufzte sie unglücklich und betrachtete ihre zerkauten Nägel. Sie versuchte sich abzulenken und sah sich in der kleinen Wohnung um. Sie war einfach gestaltet, neben einem schlichten Bett aus Blättern und weicher Baumwolle stand ein kleines Regal auf dem Aurels Kleidung neben ein paar Alltagsutensilien und Schulmaterial gestapelt lag. Er besaß einen Wasserflaschenverschluss, in dem er Regenwasser fest hielt um sich morgens zu waschen, daneben lag ein Spiegel, den er einmal gefunden hatte. Jenah betrachtete sich im Spiegel. Ein elegantes schwarzes Kleid aus Rabenfedern umhüllte ihren schönen, gebräunten Körper, ihr langes, schwarzes Haar lag schimmernd auf ihren Schultern und ihre honigbraunen Augen glänzten wie zwei Bernsteine in ihrem Gesicht. Sie war wahrhaftig schön und das wusste sie auch. Dennoch schien sich keine Fee für sie zu interessieren und hin und wieder überkam sie schlagartig die Einsamkeit. Was brachte ihr Schönheit, wenn sie doch alleine blieb? Sie fragte sich, ob sie zu dominant und extrovertiert war um von den Jungs gemocht zu werden, doch sie hatte doch schon immer frei heraus das gesagt, was sie dachte. Traurig und etwas vorwurfsvoll sahen sie die Augen aus dem Spiegel an. Gedankenverloren hatte sie nicht bemerkt, dass Aurel inzwischen aufbruchsbereit war und sie beobachtete. Er kannte sie lange genug um zu wissen, was sie dachte und obwohl er ihr schon tausende Male versichert hatte, dass es nicht an ihr lag, dass sie keinen Freund abbekam, sondern, dass alle Männer Idioten seien, schien es sie immer mehr zu belasten. „Hör auf so was zu denken“, bat er sie sanft und stupste sie liebevoll an der Schulter. Sie sah ihn erschrocken an und bemerkte erst jetzt, dass er bereits fertig war. Verwirrt stammelte sie einige Worte, bevor sie wieder gänzlich geistig präsent war und sich wieder an ihren Zeitdruck erinnerte. „Wir müssen los!“ Eine Weile flogen die beiden Freunde stillschweigend nebeneinander her, bevor Jenah das Schweigen brach. „Was glaubst du, in welche Kategorie sie dich stecken?“, fragte sie. „Ich weiß nicht... Ich nehme an, in eine handwerkliche... Oder in eine für Faulenzer“, fügte er grinsend hinzu. Der Junge hatte seine Wohnungseinrichtung selbst zusammengebaut und war, auch wenn er immer wieder gerne in der Sonne vor sich hin döste, handwerklich recht begabt. „Ja, da würdest du gut hinein passen! Also zu den Faulenzern, meine ich“, kicherte Jenah und auch Aurel freute sich, seine Freundin ein wenig aufgemuntert zu sehen. Er wusste, dass, auch wenn Jenah oft streng und dominant wirkte, sie in Wirklichkeit sehr sensibel war. „Und du?“, gab er ihre Frage an sie zurück. „Hmm...“ Sie überlegte eine Weile. „Ich würde gerne als Modefee oder als Tierfee arbeiten. Aber Medizinfee wäre auch okay. Ich habe gehört, da reist man viel herum um die verschiedenen Kräuter und Pflanzen kennen zu lernen!“ „Also ich weiß nicht“, antwortete Aurel zweifelnd. „Wozu reisen, wenn man hier doch alles hat, was man zum Leben braucht?“ „Na, um die Welt kennen zu lernen!“, meinte sie verwundert. „Willst du denn nicht wissen, was es da draußen noch so alles gibt?“ Jenah verstand nicht, wie es ihren Freund so wenig interessieren konnte. Dieser zuckte bloß mit den Schultern und meinte gleichgültig: „Alles was ich will sind die Sonne, der Strand und das Meer.“ Das Feenmädchen zog eine beleidigte Schnute. „Und natürlich dich, Jenah“, fügte er lachend hinzu. „Das will ich auch hoffen!“, mahnte sie gespielt böse, während sie beim Festsaal ankamen. „Und jetzt sei still! Wenn wir schon zu spät sind, müssen wir nicht auch noch die ganze Aufmerksamkeit auf uns ziehen!“ Aurel nickte und die beiden schlichen sich leise in den Saal, wo der Schuldirektor gerade am Ende seiner Rede angelangt war. „Ich wünsche euch nochmals alles Gute zur Vollmündigkeit und einen guten Einstieg ins Berufsleben“, endete der Direktor. „Ich werde euch nun in alphabetischer Reihenfolge aufrufen und euch euer Diplom und euren Brief vom Feenkomitee mit der Einteilung überreichen. Fangen wir an. Gaja Albra-“ „Puh, wir haben es gerade noch rechtzeitig hierher geschafft“, lachte Aurel. Jenah strafte ihn mit einem bösen Blick. „Rate mal dank wem“, gab sie giftig zurück, er lächelte bloß verlegen. Sie sahen sich um. Die jährliche Abschlusszeremonie war der wichtigste Moment im Leben einer jeden Fee, denn danach wurde sie zu vollmündig erklärt und einer Arbeit zugeteilt, die sie den Rest ihres Lebens ausüben würde. Außerdem war die Einteilung auch bei der Partnerwahl ausschlaggebend, da man die meiste Zeit bei der Arbeit verbrachte. Wählte man einen Partner, der die selbe Arbeit ausübte, konnte man sich öfter sehen und gegenseitig unterstützen, was in einer Partnerschaft sehr von Vorteil war. Aus diesen Gründen war sie die wichtigste Zeremonie in diesem Land und jedes Jahr fanden sich Hunderte von Gästen ein um an diesem Schauspiel teilzuhaben. Der große Festsaal, in dem alle wichtigeren Veranstaltungen des Kontinents Solaria statt fanden und der normalerweise mehr als genug Platz bot, war zu diesem Anlass so überfüllt, dass einige Leute draußen vor den Türen standen und versuchten sich hinein zu drängen. Schüler, froh endlich die Schule hinter sich gebracht zu haben, wurden von Eltern begleitet, die – fast aufgeregter als die Schüler selbst – jede Gelegenheit nutzten um den Lehrern, die ebenfalls zur Zeremonie erschienen waren, ihr Lob auszusprechen und sie über die Schulzeit ihrer Kinder auszufragen. Aurels Eltern waren sehr beschäftigte und angesehene Feen, die selten im Lande waren und, so Leid es ihnen auch tat, auch zu diesem Anlass nicht anwesend sein konnten. Ihre Aufgabe bestand darin den Baum des Lebens, die Mutter aller Bäume, zu beschützen und zu pflegen. Es hieß dass, wenn dieser Baum stürbe, alle anderen Bäume ebenfalls eingehen würden. Somit hatte es für die Feenwelt höchste Priorität, den Baum am Leben zu erhalten. Damit Aurel jedoch normal zur Schule und anschließend bei der Abschlusszeremonie sein Diplom und seine Aufgabe erhalten konnte, hatten seine Eltern ihn nach Tropaja, der Hauptstadt von Solaria, gebracht. Dort war er alleine unter Aufsicht des Stadtrates, der seine Eltern sehr schätzte und sich auf ihre Bitte hin um ihn kümmerte, aufgewachsen und vor zwei Jahren beim Bürgermeister aus- und in seine eigene Wohnung eingezogen, nachdem er meinte, erwachsen genug dafür zu sein. Jenahs Vergangenheit war weniger erfreulich. Ihre Eltern waren Wetterfeen gewesen, wichtige Feen, die in Wolken reisten und das Wetter regelten. Die Arbeit einer Wetterfee war jedoch höchst gefährlich, denn war ein Sturm erst mal außer Kontrolle geraten, waren die Wetterfeen die ersten, die die Konsequenzen zu spüren bekamen. Meistens schafften sie es den Sturm wieder zu bändigen bevor es zu Schlimmerem kam, doch manchmal, wie es auch bei Jenahs Eltern der Fall war, eskalierte die Situation und die Wetterfeen befanden sich in Lebensgefahr. So hatte auch Jenah ihre Eltern verloren und war kurz vor ihrem zwölften Geburtstag eine Waise geworden. Auch sie war daraufhin vom Bürgermeister aufgezogen worden, was die beiden Freunde noch mehr verbunden hatte, doch im Gegensatz zu Aurel war sie noch nicht ausgezogen. Somit waren die Beiden ohne erwachsene Begleitung zur Zeremonie erschienen, betrachteten die anderen Familien und munterten sich gegenseitig auf, während sie darauf warteten an der Reihe zu sein. Eine Fee nach der anderen wurde in alphabetischer Reihenfolge aufgerufen und auf die Bühne zum Schuldirektor geholt, der ihnen ihr Diplom und einen Brief überreichte, in dem man ihnen ihre künftige Arbeit mitteilte. Aurel und Jenah beobachteten wie immer mehr neu diplomierte Feen aufgeregt ihre Briefe öffneten und versuchten Anhand der Gesichter, die sie zogen, zu erraten was für einer Kategorie sie wohl zugeteilt worden waren. „Zent ist sicher als Müllfee eingeteilt worden!“, lachte Aurel und deutete auf einen blonden Feenjungen, dessen totenbleiches, verschwitztes Gesicht hasserfüllt seinen Brief anstarrte. Er sah aus, als würde er das Stück Papier am liebsten auf der Stelle zerreißen, während seine über-fürsorgliche Mutter flehend auf ihn einredete. Doch als sein großer, breitschultriger Vater ihm einen drohenden Blick zu warf, blickte er nur mehr verbissen zu Boden und schien seine Wuttränen zu unterdrücken. Aurel und seine Freundin wussten, dass Zents Vater ein furchteinflößender und sehr strenger Mann war und Zent selbst auch Angst einjagte, dennoch konnten sie es sich nicht verkneifen etwas Schadenfreude zu empfinden. Immerhin hatte Zent mit seiner Feenbande den Beiden schon oft genug Ärger bereitet und Aurel würde es ihm wahrscheinlich nie verzeihen können, dass der blonde Junge einst mit Jenahs Gefühlen gespielt und sie schwer verletzt hatte. Allein die Erinnerung daran ließ Aurel die Fäuste ballen, die er Zent damals mehrfach in sein bleiches Gesicht geschlagen hatte, und sein Gesichtsausdruck verdüsterte sich. Jenah, die seine Gemütsschwankung mitbekommen hatte, legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Lass dir von so einem nicht den Tag verderben, hm?“, versuchte sie ihn aufzumuntern. Aurel nickte und stimmte ihr zu. „Du hast recht.“ Sie beobachteten noch eine Weile die anderen Schüler, bis Jenah endlich aufgerufen wurde. „Jenah Rileth!“, rief der Direktor in sein Mikrofon. „Wünsch' mir Glück!“, zischte Jenah ihrem Freund zu, bevor sie auf die Bühne huschte. „Jenah Rileth!“, begann der Schuldirektor feierlich, als das Mädchen endlich vor ihm stand. „Es ist mir eine Ehre dir dein Diplom zu übergeben und dich in unserer Feengesellschaft zu begrüßen!“ Er reichte der nervösen Feendame ein eingerolltes Papier und die Menge brach in Jubeln aus, wie jedes Mal nachdem der Direktor einer Fee ihr Diplom übergeben hatte. „Du bist nun ein vollmündiges Mitglied unserer Gesellschaft und ich übergebe dir feierlich deinen Komitee-Brief. Möge das Licht der Großen Fee über dir scheinen und deinen Weg erhellen!“ Der Schuldirektor drückte ihr einen Brief in die Hand, die Menge jubelte erneut. Jenah verbeugte sich vor dem Direktor, der ihr nach Tradition einen Kuss auf die Stirn gab, und verließ schnell die Bühne. Ihr Herz raste vor Aufregung und alles schien sich rasend schnell abgespielt zu haben. Sie war auf Bühnen schon immer nervös geworden und sogar an diesem wichtigen Tag konnte sie sich die Angst nicht verkneifen. Ihr war etwas schwindelig und sie wollte nur mehr zu ihrem Platz, zu Aurel zurück. Jenah versuchte sich einen Weg durch die Menge zu bahnen, die ihr mit Schulterklopfen und Lob gut zusprach, reagierte mit schwachen, abwesenden Handwinken und versuchte gegen die drückende Hitze, die sie umgab, anzukämpfen. Als sie schließlich bei Aurel angelangt war, war ihr gebräuntes Gesicht unnatürlich bleich. Schweißperlen glänzten auf ihrer Stirn und sie schien jeden Moment zusammenzubrechen. Erschrocken lief Aurel ihr entgegen, um sie zu stützen. „Es geht schon“, murmelte Jenah abwinkend. „Ich werde auf Bühnen bloß immer etwas nervös…“ „Etwas? Jenah, du siehst aus wie eine Leiche!“, entgegnete ihr Freund, nahm ihr Diplom und Brief aus der Hand und fächerte ihr mit letzterem frische Luft zu. Dankbar ruhte sie sich eine Weile aus, bis sie auf einmal aufhorchte. „Aurel, gerade ist Thom Vagol dran gekommen! Du bist der nächste!“, rief sie erschrocken und nahm dem Feenjungen ihr Diplom und ihren Brief ab. Er nickte und machte sich schon auf den Weg zur Bühne. Als er noch einmal zurück sah, um sich zu vergewissern, dass Jenah nicht während seiner Abwesenheit zusammenbrechen würde, hob sie ihre Hände und deutete, dass sie ihm die Daumen drückte. Er musste lachen und ging beruhigt weiter. Kaum war er bei der Bühne angelangt, wurde er auch schon aufgerufen. „Aurel Valdez!“ „Bin schon da!“, grinste er den Direktor an, während er auf die Bühne stieg. „Unser Weltrekordhalter im Verschlafen und Zu-Spät-Kommen! Schön, dass auch du einmal pünktlich bist!“, scherzte der Direktor und Aurel musste unwillkürlich in Richtung Publikum blicken, in dem er Jenahs zustimmendes Nicken vermutete. „Nun denn… Ich möchte auch dir zu deinem Schulabschluss und dem Eintritt in unsere Gesellschaft gratulieren und dir dein Diplom überreichen!“ Er streckte dem Feenjungen ebenfalls sein Diplom entgegen und die Menge jubelte ein weiteres Mal. „Und hier dein Brief! Ich hoffe du wirst deine Arbeit genauso motiviert angehen, wie du die Schule hinter dich gebracht hast“, fügte er zwinkernd hinzu, als er Aurel den Brief überreichte und seine Hand schüttelte. „Möge das Licht der Großen Fee über dir scheinen und deinen Weg erhellen!“ „Auf jeden Fall!“, lachte Aurel bevor er sich verbeugte, einen Kuss auf die Stirn bekam, von der Bühne hopste und sich wieder in Richtung Jenah begab. Auch er wurde auf dem Weg von allen Seiten belobt und beglückwünscht und dankte allen grinsend. „Aurel!“ Das schwarzhaarige Mädchen winkte ihn zu sich. „Ich bin so aufgeregt! Ich traue mich nicht mal meinen Brief zu öffnen… Was, wenn ich als Müllfee oder als Putzfee ende?“ Große, goldene Augen, von langen, schwarzen Wimpern umringt, blickten Aurel besogt an. Er überlegte. „Sollen wir gegenseitig unsere Briefe öffnen?“, fragte er schließlich. Jenah nickte. „So kann der eine sehen, ob es für den anderen gut oder schlecht ausgefallen ist und es ihm schonend beibringen. Aber nicht hier. Lass uns irgendwo hin fliegen, wo weniger los ist.“ Aurel stimmte ihr zu und sie machen sich auf den Weg. Aurel und Jenah waren auf einen naheliegenden Ast geflogen, auf dem sie sich unbeobachtet fühlten und atmeten auf. Nun würde sich alles für sie entscheiden. Diese Briefe würden den Rest ihres Lebens beeinflussen. Vorsichtig tauschten sie die Briefe und blickten sich noch einmal unsicher an. Nachdem sie einander ermutigend zugenickt hatten, fingen sie an langsam die Umschläge zu öffnen. Jenahs Hände zitterten vor Nervosität und auch Aurel war aufgeregt, selbst wenn er es nicht zeigte. Er hatte sein Herz schon seit sie den Festsaal betreten hatten hart gegen seinen Brustkorb schlagen gespürt und nun hatte er das Gefühl, dass es zu zerspringen drohte, so schnell hämmerte es. Sie hatten die Briefe aus ihren Umschlägen geschält und hielten die gefalteten Papiere in der Hand, während sie einen letzten aufgeregten Blick wechselten. „Bei drei?“, fragte Jenah unsicher. „Bei drei!“, antwortete Aurel entschlossen und sie zählten gemeinsam. „Eins… zwei… DREI!“ Schnell entfalteten die Freunde die Briefe, überflogen den Inhalt, auf der Suche nach einer einzigen Information, einer Information, die ihr Leben grundlegend verändern würde, über ihre Zukunft entschied, ein Satz, ein Wort – und da war es. Die Gesichter der beiden Feen erstarrten, eine Blässe färbte ihre gebräunten Gesichter weiß und ein Ausdruck des Entsetzens machte sich darauf breit. Langsam erhoben die Freunde ihre Blicke, starrten den jeweils anderen, dessen Schicksal ihnen nun bekannt war, an und eine Mischung aus Angst und Sorge stieg in ihnen hoch. Sie sahen den Gesichtsausdruck des Anderen, der nichts Gutes verheißen konnte und wussten, dass der andere mit dem Inhalt seines Briefes genauso wenig zufrieden sein würde. Sie schwiegen eine Weile bis Aurel endlich die Stille brach. „Jenah… Willst du deine Kategorie wirklich wissen…?“, fragte er leise. Das Mädchen nickte ängstlich. Wenn Aurel so ein Theater machte, konnte es nichts Gutes bedeuten. Er schaute seine Freundin eine Weile traurig an, senkte den Kopf und murmelte kleinlaut: „Du bist eine Wetterfee.“ Jenah wurde noch bleicher und sah aus, als hätte ihr jemand einen Schlag ins Gesicht verpasst, in dem nun pure Panik geschrieben stand. Sie begann am ganzen Körper zu zittern, sackte auf die Knie und versuchte Aurels Worte zu wiederholen. „W… Wetter…“ Weiter kam Jenah nicht. Tränen strömten ihr aus den aufgerissenen Augen, liefen ihr übers erstarrte Gesicht, befeuchteten Aurels Hosenbeine, an denen sie sich in Verzweiflung festgehalten hatte, als ob er sie vor dem Unglück bewahren konnte. „Jenah...“ Mehr brachte der Junge nicht heraus. Er wollte seiner Freundin helfen, wollte irgendwas tun, damit sie aufhörte zu weinen, irgendwas um ihr ihre Verzweiflung zu nehmen. Er wollte ihr – wie immer, wenn es ihr schlecht gegangen war – sagen, dass es nicht schlimm sei, dass alles Schlechte vorübergehen würde. Doch er konnte es nicht, nicht heute, nicht in dieser Situation, nicht unter diesen Umständen, aber vor allem nicht mit dieser Ursache. Er wusste, dass er nichts an ihrer Situation ändern konnte und das alles, was er ihr zur Aufmunterung sagen könnte, nichts als Lügen waren. Also ging auch er in die Knie und nahm Jenah in den Arm. Er schlang seine Arme um ihren Körper und drückte sie fest an sich. „Nicht weinen, Jenah...“, hauchte er leise und sanft. „Nicht weinen...“ Jenah schluchzte und noch mehr Tränen liefen ihre Wangen herab, doch war sie für den Halt, den Aurel ihr gab, sehr dankbar. Also verharrten sie eine Weile so, bis Jenah sich etwas beruhigt hatte, sich langsam aus Aurels Umarmung löste, um sich die Tränen, die immer noch aus ihren goldenen Augen geronnen kamen, mit ihrem Ärmel weg zu wischen. „Aurel“, flüsterte sie nach einer Weile mit erdrückter Stimme. „Danke, dass du dich immer um mich sorgst... Du bist wirklich immer für mich da, wenn ich dich brauche...“ Sie lächelte schwach und unterdrückte wieder ein paar Tränen. „Aber du hast im Moment eigene Sorgen-“ Ihre Stimme brach ab, sie wischte sich wieder Tränen aus dem Gesicht. Danach hob sie zitternd Aurels Brief hoch und reichte ihn ihrem Freund, den Blick auf den Boden gerichtet, unfähig ihm in die Augen zu blicken. Aurel nahm den Brief unsicher entgegen und überflog ihn. „Sehr geehrter Aurel Valdez... möchten Ihnen hiermit herzlich zu Ihrem Abschluss... Kategorien...“ Er murmelte weiter, bis er auf einmal stockte und den Brief ungläubig anstarrte. Er hatte seine Kategorie erfahren, die Aufgabe, die er bis an den Rest seines Lebens ausführen würde. Seine Gedanken schweiften ab. Das konnte nicht ihr ernst sein. Wie konnte das passieren? Wie konnte ihm das passieren? Er überlegte, was für Konsequenzen das für sein Leben haben würde, wie sehr sich alles verändern würde und immer mehr verlor er sich in diesen Gedanken, hatte das Gefühl immer tiefer in ein endloses Loch zu fallen. „Aurel? Aurel!“ Jenah schüttelte ihn leicht an den Schultern und riss ihn wieder aus seiner Trance. „Sag doch etwas!“ Er musste schrecklich ausgesehen haben, so besorgt wie sie ihn auf einmal anstarrte. Er schüttelte bloß den Kopf. „Ich bin okay... Ich brauch nur etwas Zeit um darüber nachzudenken...“, antwortete er schnell. „Ist es okay, wenn wir uns morgen wieder treffen? Bei mir? Heute bin ich nicht mehr zu gebrauchen...“ Jenah nickte schwach. „Ja, ist okay. Bis morgen“, sagte sie leise. Sie wusste, wie er sich fühlen musste. Ihr ging es auch nicht besser. Der Einstieg in das Berufsleben bedeutete für Feen eine radikale Veränderung ihrer bisherigen Lebensweise, was oft nicht einfach war. Man verlor schnell den Kontakt zu Familie und Freunden, wenn man nicht aufpasste und war ganz neuen Aufgaben ausgesetzt. „Bis morgen...“, murmelte Aurel und flog nachdenklich davon. In seinen Gedanken tauchten immer wieder die Worte aus dem Brief auf, Worte, die sein Leben verändern würden, Worte, die ihn wie ein Peitschenschlag ins Gesicht getroffen hatten, Worte, die er sich wünschte nie gelesen zu haben. Sie geisterten ihm den restlichen Tag still, aber unüberhörbar durch die Gedanken, zwangen sich ihm auf und in der folgenden Nacht erschienen sie ihm selbst in seinen Träumen. „Sie wurden der Kategorie der Schneefeen zugeteilt. Ihr Aufbruch nach Zanchio, Stadt des Eises und Hauptstadt des Kontinentes Arris, findet in einer Woche statt.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)