Der Prozess von Liniath (Bekennst du dich der Maskerade als schuldig?) ================================================================================ Kapitel 1: Maskerade -------------------- Der Angeklagte wurde in den Saal hereingeführt. Es war ein großer Raum, dessen Boden aus Marmor bestand und ein Säulengang zog sich vom einen Ende zum Anderen. Die Decke war dunkelblau gestrichen und von abertausenden, silbernen Sternen übersäht, in der Mitte prangte silbern der Vollmond. Die hohen Fenster mit den bunten Glaseinsätzen waren geschlossen. Zwei junge Frauen, die beide schwarze Samtmasken trugen, führten den Angeklagten durch den Raum. Sie waren sehr zierlich und auch kleiner als der Angeklagte, höchstens sechzehn Jahre alt waren die beiden Mädchen. Aber beide hatten einen Dolch bei sich, die gefährlich im Licht funkelten. An den Seiten der Halle stand das nach Aufregung lechzende Publikum. Sie jubelten und schrieen, beschimpften den Angeklagten wüst. Doch keiner von ihnen wagte es den Raum zwischen den Säulen zu betreten. Jeder von den Schaulustigen trug auch eine Maske. Schließlich gelangte der Angeklagte an das andere Ende des Saales. Er war noch ein junger Mann, aber eine ausladende, graue Maske bedeckte fast sein ganzes Gesicht. Man konnte nur noch den Mund sehen, der ernst verkniffen war. Langsam blickte er nun auf, um zu sehen, wer sein Richter sein sollte und erschrak. Auf einem Podest steht eine Frau. Aber keine gewöhnliche. Es war wohl die schönste Frau, die er jemals gesehen hatte. Sie war von großer und schlanker Statur. Ein blaues Samtkleid lag eng um ihren Körper und ihr Gesicht wurde von einer ebenfalls blauen Maske verdeckt, die mit Saphiren besetzt war. Ihr langes schwarzes Haar trug sie offen und sie blickte dem Mann vor sich neugierig entgegen. Aber der Angeklagte blickte noch immer fassungslos zu der Frau hoch. Er konnte es einfach nicht fassen, wer ihn richten sollte. Doch plötzlich spürte er, wie man ihm mit der bloßen Hand auf beiden Schultern nach unten drückte und er gab diesem Druck nach, bis er auf dem Boden kniete. „Du wirst der Maskerade beschuldigt. Man bezichtigt dich dein wahres Wesen zu verbergen. Bekennst du dich als schuldig?“, erklärte die Richterin leise, doch zugleich schien ihre Stimme in dem Kopf des Angeklagten wiederzuhallen, so dass er völlig benommen wurde. Wie jemand der so eben aus einem wirren Traum erwacht war, blinzelte er und blickte zu der Frau hoch. „Bekennst du dich als schuldig?“ Doch er antwortete nicht, sondern starrte sie weiter an. „Bekennst du dich als schuldig?“ Plötzlich war ihre Stimme laut geworden und wurde vielfach von den Wänden des Saales zurückgeworfen. Während das Echo ihrer Stimme noch den Raum erfüllte, begann das Publikum wild zu diskutieren. Sie wurden lauter und richteten ihren Blick wütend auf den Angeklagten. „Ruhe!“ Urplötzlich herrschte Ruhe im Saal. Niemand hustete, keiner schien mehr zu atmen. Nur noch das Echo erfüllte die Luft und ließ sie förmlich vibrieren. Zufrieden nickte die Richterin und wandte sich wieder dem Angeklagten zu. Noch immer wie im Traum starrte er sie an. Aber die Richterin verzog deswegen keine Miene. Ihr Gesicht war noch unbewegt, wie zu Anfang der Verhandlung an. Wie als wäre es keine menschlichen Züge, sondern die aufgemalten Züge einer Porzellanpuppe. Emotionslos stieg sie von ihrem Podest herab zu dem Angeklagten. Langsam kniete sie sich zu ihm herunter, wobei ihr Kleid leise raschelte. „Bekennst du dich deiner Tat schuldig?“, fragte die Richterin leise und schlüpfte mit ihrer Hand unter seine Maske und legte sie an die Wange des Angeklagten. Ihre Hand war kalt, kalt wie Porzellan und sie wirkte mehr denn je wie eine leblose Puppe. Unter der Kälte ihrer Hand erschauderte er und die Haare in seinem Nacken stellten sich langsam auf. Fast schon willenlos nickte er und blickte dabei in die Augen seiner Richterin. Sie waren hellblau und völlig ohne Emotion. Nicht einmal eine Reflexion des Tageslichts schienen sie zu haben, sondern waren starr und leblos. Aber schöner als alles, was er jemals gesehen hatte. Jetzt zogen sich ihre Mundwinkel minimal nach oben. Ein Lächeln? Für ihn war es auf jeden Fall eines. Das schönste Lächeln was er in seinem ganzen Leben gesehen hatte. „Gut… Eingeständnis ist der erste Schritt zur Besserung. Nun sag mir, willst du dich bessern?“, ihre Stimme klang schmeichelhaft beinahe verführerisch. Noch immer zogen sich ihre Mundwinkel leicht nach oben und sie begann langsam über seine Wange zu streichen. „Ja, das will ich“, hauchte er leise und seine Stimme war von Ehrfurcht erfüllt. Die Richterin nickte nur zufrieden und ihre Hand ruhte wieder auf seiner Wange. Einige Momente blickte sie schweigend in seine Augen, ehe sie sich langsam wieder erhob, bis sie mit gestrafften Schultern da stand. „So soll es sein. Erhebe dich!“ Ihre Stimme hallte wieder laut durch den Saal, so dass der Angeklagte erschrocken zusammen zuckte und zuerst nur entsetzt aufblickte. Doch dann erhob er sich langsam mit steifen Gliedern, bis auch er wieder aufrecht stand. Seine Richterin war größer als er. „Versprich, dass du dich nicht mehr maskieren wirst. Versprich, dass du von nun an dein wahres Wesen zeigst. Und versprich, dass du nie wieder deinen Liebenden etwas vorspielst“, verkündete die Richterin, doch nun war ihre Stimme nur noch ein Flüstern. Doch der Angeklagte verstand jedes Wort, wie als wäre ihre Stimme wieder in seinem Kopf und nickte. Doch als er sah, dass seine Richterin nun richtig lächelte, hielt er die Luft an. Dieses Mal war es ein richtiges Lächeln, nicht mehr dieser Ansatz eines Lächelns. Sie wirkte nicht mehr, wie eine leblose Puppe. Zum ersten Mal hatte der Angeklagte das Gefühl, dass tatsächlich Leben durch ihre Adern pulsierte. Langsam fast wie in Zeitlupe streckte sie ihre Hände nach ihm aus. Eigentlich wollte er erschrocken zurückweichen, doch er rührte sich nicht. Er konnte spüren, dass sie etwas an seinem Hinterkopf tat. Sie löste die Bänder, die die Maske vor seinem Gesicht hielten. Plötzlich löste sich die Maske von seinem Gesicht und fiel langsam zu Boden. Geradezu wie als wäre er geblendet, begann der Angeklagte zu blinzeln und sah sich vorsichtig um. Irgendwie schien sich etwas verändert zu haben. Er fühlte sich wehrlos und ausgeliefert ohne seine Maske. Fast schon Hilfe suchend blickte er zu seiner Richterin, doch sie lächelte ihn nur weiterhin an. Aber er konnte die Angst kaum unterdrücken. Sie alle konnten ihn jetzt sehen, er war ihnen schutzlos ausgeliefert. „Fürchte dich nicht… Du bist nicht wehrlos… Merke dir, niemand hat Macht über dich außer dir selbst…“, erklärte die Richterin und ihre Stimme war nur noch ein Wispern. Sie beugte sich langsam zu seinem Gesicht herunter und blickte wieder in seine Augen. „Die Zeit wird deine Wunden heilen… Sie wird dir helfen, zu lernen, dass du nicht schutzlos bist, wenn jeder dich sehen kann… Du musst geduldig sein… Es wird sich lohnen“, wisperte sie und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Ihre Lippen waren kalt. Vielleicht war sie doch nur eine Puppe. „Und wer bist du?“, fragte der Angeklagte leise und blickte in das Gesicht der Frau. Seine Richterin lächelte und entgegnete leise: „Du willst wissen, wer ich bin?“ „Ja, das möchte ich auf alle Fälle.“ Noch immer lächelte sie und legte ihre Hände an die Bänder ihrer Maske. Verwundert beobachtete der Angeklagte, wie sie die Fäden langsam öffnete und schließlich eine Hand an ihre Maske legte. Sie schloss die Augen und nahm die Maske von ihrem Gesicht. Ihre Wangen waren blass und makellos. Die Gesichtszüge gleichmäßig, aufgemalt wie bei einer Porzellanpuppe. Langsam öffnete sie wieder ihre Augen und sie fixierte den Angeklagten wieder mit ihrem Blick. „Kannst du dir denken, wer ich bin?“, fragte sie leise und bedächtig. Er schüttelte nur den Kopf. „Ich bin die Wahrheit.“ Im Saal herrschte Totenstille und diese Worte wurden vielfach von den Wänden abgestoßen, hallten über den Köpfen der Menge. Völlig entsetzt blickte der Angeklagte seine Richterin an. „Was?!“ „Ich bin die Wahrheit und die Ehrlichkeit“, wiederholte sie leise und wieder lag ein Lächeln auf ihrem Gesicht. Doch dieses Mal spiegelte sich auch ein Hauch von Gefühl in ihren Augen wieder. Auf der blauen Iris wurde das Licht im Saal reflektiert und ihre Augen wirkten nicht mehr starr. Doch gerade als der Angeklagte wieder etwas sagen wollte, sprach seine Richterin wieder: „Du musst gehen… Die Arbeit ist getan… Und du gehörst nicht hierher… Vielleicht… Vielleicht sehen wir uns wieder… Du musst dich nur an die Wahrheit halten…“ Noch während sie dies sagte, verschwamm die Szene vor den Augen des Angeklagten. Die Masse der maskierten Menschen schien sich geradezu vermischen, gab eine unförmige Masse, bis sie schließlich ganz verschwunden waren. Die Wände schienen zu schmelzen und liefen in Strömen zu Boden. Die Fließen des Bodens fielen nacheinander nach unten. Zuletzt löste sich seine Richterin in silbernen Staub auf, der verweht wurde. Dann war alles schwarz. Bis zur nächsten Verhandlung... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)