Vertrauen und Verrat von Seira-sempai ================================================================================ Kapitel 11: Geständnis ---------------------- Plötzlich gab Olivia einen überraschten Lauf von sich und packte mich an den Schultern. „Das kann nicht sein! Sag, dass das nicht wahr ist. Das kann unmöglich wahr sein! Du bist sein Sohn? Du bist Jack Stones Sohn?“ Zuerst antwortete ich nicht auf die Frage. Die Antwort war zu offensichtlich. Mein Vater hieß Jack Stone. Der Name meiner Mutter war Jessica Stone gewesen. Erst nach einigen Minuten, nachdem Olivia meine Schultern immer noch nicht losgelassen hatte - im Gegenteil, sie drückte nur noch fester zu - konnte ich mich dazu durchringen, endlich etwas zu sagen. „Das stimmt. Er ist mein Vater. Aber ich habe keinen Kontakt mehr zu ihm.“ „W- Wie meinst du das?“, fragte sie mich. „Ich bin letztes Jahr ausgezogen, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe. Seit dem Tod meiner Mutter hat sich vieles verändert. Er ist zu einem Säufer mutiert.“ Endlich ließ Olivia meine Schultern wieder los. Sie schaute mich entschuldigend an. „Tut mir leid. Ich wollte nicht so ausrasten. Es ist nur, dass ich diesen Mann und seine Familie hasse.“ „Mich dann wohl auch...“, murmelte ich leise. Das war keine Absicht gewesen. Mein Mund hatte sich ohne das Zutun meines Willens geöffnet. Diese Worte waren mir einfach so herausgerutscht, ohne dass ich es irgendwie hätte verhindern können. Kians Cousine schüttelte nur ihren Kopf. „N- Nein, ich... Das habe ich nicht so gemeint. Ich habe zwar geglaubt, ihn und seinen Sohn zu hassen, aber nachdem ich dich jetzt getroffen habe, bin ich mir nicht mehr so sicher. Du bist nicht wie er. Du bist ganz anders. Ich mag dich.“ Sie schaute kurz ängstlich in Kian Richtung, aber er reagierte nicht darauf. Im Gegensatz zu meinem Freund hatte mich diese Worte schwer erwischt. Mein Herz fing plötzlich an, zu rasen, wie nach einem Marathonlauf und mir wurde ganz warm. Ich verstand meinen Körper nicht mehr. Wieso reagierte ich so auf dieses Mädchen, das genau genommen nicht mal ein Mädchen war. „Ich finde dich nett. Vielleicht können wir ja Freunde werden.“ Diese Worte rissen mich aus meinen Gedanken. Ich fühlte plötzlich Trauer und Enttäuschung. Auch jetzt verstand ich noch nicht, was gerade in mir vorging. Meine plötzlichen Gefühlsschwankungen aufgrund dieser Worte waren mir ein Rätsel. Ich zwang mich, nicht mehr daran zu denken und schob diesen Gedanken zur Seite. Sicher war es nur Einbildung. Freundlich lächelte ich Olivia an und hielt ihr meine Hand hin. Das Mädchen starrte mich irritiert an, wie als wüsste sie nichts mit meiner Geste anzufangen. Seufzend erklärte ich es ihr: „Ich denke, du willst mit mir befreundet sein… Also: Freunde?“ Jetzt schlug Olivia ein. „Freunde…“ Dann schaute sie mich ernst an. „Pass gut auf meinen idiotischen Cousin auf. Wenn ihm irgendetwas passiert, ziehe ich dich zur Rechenschaft.“ Kian lachte. „Als ob ich nicht auf mich selbst aufpassen könnte.“ Ich griff mir n den Kopf. „Um Kian brauch ich mir keine Sorgen zu machen. Er kommt schon klar. Ich bin nur besorgt um meine Wohnungseinrichtung, besonders wenn er wieder Kochversuche startet. Das letzte Mal hat es ausgesehen, als hätte eine Bombe eingeschlagen!“ Entschuldigend sah mein bester Freund mich an. „Das war keine Absicht gewesen.“ „Trotzdem!“, widersprach ich, „Ich komme nichts ahnend von der Schule und finde meine Wohnung in so einem Zustand vor! Was glaubst du, wie geschockt ich war!“ „Ihr zwei benehmt euch wie Kleinkinder!“, kam es plötzlich von Olivia. „Fehlt nur noch, dass ihr euch um Süßigkeiten streitet.“ Diese Bemerkung zauberte ein Grinsen auf Kians Gesicht. „Du weißt, dass ich die nicht mag.“, murmelte er und schaute seine Cousine gespielt beleidigt an. Wir unterhielten uns noch den ganzen Tag, bis es kühl wurde anfing zu dämmern. Erst dann machten wir uns auf den Heimweg. Zu meiner Verwunderung gelang es mir sogar, Kian in ein Transportmittel zu bekommen. Er hatte sich zwar die ganze Fahrt über, also eine ganze halbe Stunde lang, beschwert, aber das war auszuhalten, zumal er mich die meiste Zeit über eh ignorierte. Nur mit ihm unterhalten konnte ich mich nicht. Als wir dann an der Haltestelle, die nur hundert Meter von meiner Mietwohnung entfernt war, ausstiegen, war seine schlechte Laune aber sofort verschwunden. Kian sprang regelrecht aus dem Fahrzeug. „Na endlich! Ich dachte schon, die dumme Busfahrt endet nie.“ Diese Worte brachten mich zum Lachen. „Was? Verträgst du sie nicht?“ Kian schüttelte seinen Kopf. „Ich mag es nur nicht so besonders.“ „Wenn es nur das ist, können wir auch noch öfters Bus fahren.“, ärgerte ich ihn und fing mir ein beleidigtes Schnauben ein. Schweigend setzten wir unseren Heimweg, den wir aufgrund von Kians Abneigung gegen moderne Transportmittel unterbrochen hatten, wieder fort. Als wir das Haus betraten und zur Wohnungstür liefen, staunte ich nicht schlecht, als Alice vor dieser stand. Kian schien ähnlich verwirrt zu sein. „Hallo.“, grüßte uns die Vierzehnjährige, dann starrte sie verlegen auf den Boden. „Ich dachte, ich schaue mal kurz vorbei, Dean hat mir die Adresse verraten. Aber es war niemand da, also habe ich gewartet.“ Seufzend griff ich mir an den Kopf. „Wie lange stehst du schon vor der Tür?“ Alice lächelte entschuldigend. „Etwa eine halbe Stunde. Ich wollte gerade wieder gehen.“ Ohne das Mädchen weiter zu beachten, schloss ich die Tür auf und trat ein. Kian und Alice folgten mir, wenn auch sichtlich unsicher und mit einem leichten Rotschimmer im Gesicht. „Dann lasse ich euch mal allein.“ Mit diesen Worten spazierte ich in das Schlafzimmer, um Kian und Alice nicht weiter zu stören. Ich konnte mir denken, weshalb das Mädchen hier war, genauso wie ich wusste, was als nächstes passieren würde. Trotz dass ich anfangs nicht die Absicht hatte, meinen besten Freund und Alice zu belauschen, verleitete mich meine Neugier nach einigen Minuten dazu, mich mit dem Rücken an die Tür zu setzen und dem Gespräch der beiden zuzuhören. Und ich hatte anscheinend nichts verpasst, außer ein kleinwenig Smalltalk. „Also: weswegen bist du hier?“, hörte ich Kian das Mädchen ernst fragen. Ich stellte mir Deans Schwester vor, wie sie jetzt ,schüchtern wie sie war, einige Schritte zurückwich und danach nur noch stotterte. Kians Ton war nicht gerade freundlich. „I- Ich-“, stotterte Alice, wie ich es vorhergesehen hatte, „Ich wollte mit dir reden.“ „Und worüber?“ Kians Tonfall war noch immer alles andere als freundlich. Jetzt klang er sogar genervt, als würde ihre Anwesenheit ihm nicht gefallen. Wüsste ich nicht, wie er wirklich für sie empfand, hätte ich geglaubt, er würde sie hassen oder hätte eine sehr große Abneigung gegen sie. Aber da ich den Hintergrund hinter seinen Handlungen kannte… „Ich-“, setzte Alice an, sprach aber nicht zu Ende. „Du was?“, fuhr Kian sie nach einigen Minuten, so kam es mir jedenfalls vor, an. „Warum tust du das?“, wimmerte das Mädchen, „Was habe ich dir getan?“ „Verschwinde einfach.“, zischte Kian, „Und halte Abstand zu mir.“ Ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinunter und ich fror am ganzen Körper. Zu mir war Kian genauso kalt gewesen, als wir und damals, es kam mir vor als seien seitdem schon Jahre vergangen, in der Stadt zufällig über den Weg gelaufen waren. In mir wuchs der Drang, die beiden zu unterbrechen, damit Alice nicht irgendwann heulend aus dem Haus rannte, doch ich wusste, dass ich genau das nicht durfte. Ich kannte die Risiken. Ich wusste, was passieren würde, kam sie hinter Kians Geheimnis. „Aber ich-“ Erneut versuchte Alice, ein Gespräch aufzubauen, aber vergebens. „Dann sag es halt, aber danach verschwindest du!“ Kian klang sehr wütend, aber ich konnte einen traurigen Unterton aus seiner Stimme heraushören. Lange hielt er dieses falsche Spiel und diese vorgetäuschte Abneigung nicht mehr durch. „Ich-“, setzte Alice an, „Ich glaube, ich habe mich in dich verliebt.“ Ich schluckte. Jetzt würde es kommen. Kian würde sie so lange fertig machen und anschreien, bis sie ihn auf ewig hasste und genau diesen Augenblick fürchtete ich. Er würde sich sein ganzes Leben damit zerstören. Zumindest war das möglich, theoretisch. Aber er konnte auch nicht einfach seinen Gefühlen nachgeben. Das wäre falsch und die Folgen wären fatal. Ich hörte, wie Kian seufzte. Gab er etwa nach? „Warum sagst du mir das?“, fragte er schwach, fast so als stünde er kurz vor dem Zusammenbruch. Für Alice musste das sicher sehr verwirrend sein. „Ich wollte nur, dass du es weißt. Dann kann ich besser damit leben. Würde ich es nie sagen, wüsste ich nicht, ob du meine Gefühle erwidern würdest, so weiß ich wenigstens, dass du das nicht tust.“, sagte die Vierzehnjährige mit geknickter Stimme. Leise öffnete ich die Tür und lugte in das Zimmer. Ich wusste, Kian hatte längst bemerkt, dass ich das Gespräch mithörte, aber er tat so, als bekäme er nichts davon mit. Alice wandte sich zum Gehen, schleppte sich langsam in Richtung Tür. Tränen liefen ihr über das Gesicht und sie hatte ihre Arme um ihren Oberkörper geschlungen, umarmte sich selbst. Kian machte einen nicht weniger erbärmlichen Eindruck. Hinter seiner kalten Maske sah ich deutlich die Spuren, die dieses Gespräch hinterlassen hatte. Er kämpfte mit den Tränen. „Was macht dich so sicher, dass ich deine Gefühle nicht erwidere?“, fragte er mit trauriger Stimme. Alice zuckte zusammen, blieb einen Schritt später stehen. „W- was hast du gerade gesagt?“ Mein bester Freund seufzte. Sämtlicher vorgetäuschter Hass war verschwunden. Er wirkte einfach nur noch schwach und verletzt. „Geh jetzt einfach, okay?“ Alice nickte zögerlich und verließ langsam die Wohnung. Leise schloss sie die Tür hinter sich und rannte den Gang entlang. Sie tat mir leid, wegen dem, was sie gerade mitmachen musste, aber er ging nicht anders. Sonst hätte mein Mitbewohner so etwas nie getan. Kian sank auf die Knie, stützte sich mit den Händen am Boden ab. Er schaute nicht auf, fixierte den Boden mit seinen Augen. Tränen liefen über sein Gesicht. Langsam ging ich auf ihn zu und kniete mich neben ihn auf den Boden, bevor ich ihm meine Hände auf die Schultern. „Kopf hoch, das wird schon wieder.“ Etwas besseres fiel mir nicht ein. Doch es schien zu helfen. Kian schaute auf und wischte sich die Tränen mit dem Ärmel seinen Pullovers, eigentlich war es meiner, aus dem Gesicht. „Alec?“ Ich seufzte. „Das geht wieder vorbei. In ein paar Wochen ist alles wieder beim Alten. Du wirst schon sehen…“ Ich versuchte, ihn irgendwie zu trösten, scheiterte aber kläglich. „Alec!“ Kian schluchzte und fiel mir um den Hals. Völlig perplex erstarrte ich in dieser etwas unfreiwilligen Umarmung. Ich wusste nicht, wie ich mich in so einer Situation zu verhalten hatte und es war mir auch ein kleinwenig peinlich. Wenn man uns so sehen würde, die Leute würden doch sonst was denken. Doch das war jetzt egal. Die Tür zur zu meiner Wohnung war geschlossen und durch ein Fenster im fünften Stock konnte man nicht ohne weiteres hereinschauen. Zögerlich legte ich meine Arme um meinen besten Freund und fuhr ihm beruhigend über den rücken. „Shhh… Alles wird gut.“, flüsterte ich in einem beruhigenden Ton, hoffend, dass es helfen würde. Kian schluchzte noch immer. „Alec, ich- “ Er brach ab und krallte sich geradezu verzweifelt in meinem Pullover fest. „Ich will das nicht. Warum muss ich so etwas tun? Warum darf ich nicht glücklich sein? Warum können sie mich nicht einfach in Ruhe lassen?“ Ich war immer noch völlig überfordert mit dieser Situation. Gerade als ich meinem besten Freund antworten wollte, sprach dieser plötzlich weiter: „Ich liebe sie! Warum darf ich nicht mit ihr zusammen sein? Ist es, weil ich kein Mensch bin? Ist es, weil ich zur Hälfte ein Wolf bin? Hasst Alice mich jetzt für das, was ich getan habe?“ Langsam schüttelte ich meinen Kopf, wissend, dass Kian es nicht sah. „Ich kann dir da auch nicht weiterhelfen. Wenn du so viel für Alice empfindest, solltest du vielleicht mit ihr reden. Ich will mich wirklich nicht in deine Angelegenheiten einmischen und es geht mich auch absolut nichts an, aber vielleicht würde sie es verstehen.“ Kian riss sich los und starrte mich fassungslos an. „Das ist nicht dein Ernst! Das kann ich nicht. Sie würden sie umbringen! Früher oder später...“ „Vielleicht…“, murmelte ich, „Vielleicht aber auch nicht. Deiner Mutter haben sie doch auch nichts getan. Vielleicht läuft es bei Alice ähnlich…“ Ich wusste, wie erbärmlich meine Aufmunterungsversuche klangen, aber etwas besseres fiel mir nicht ein. Außerdem bestand wirklich eine Chance, dass es nicht damit endete, dass sie Alice töteten, für mich jedenfalls. Kian schien das anders zu sehen. „Mein Vater war der Anführer des Rudels. Sein Wille war Befehl. Natürlich hat sich keiner getraut, ihn in irgendeiner Weise zu provozieren.“ Ich seufzte. „Bist du sicher, dass es keinen Weg gibt? Was würdest du tun, wenn sie dein Geheimnis herausfinden würde?“, fragte ich meinen besten Freund. Kian zuckte zusammen. „Ich-“ Er schien zu überlegen. Als er auch nach einer Weile nicht auf meine Frage antwortete, konkretisierte ich diese: „Dann hättest du kein Problem mehr damit! Im Gegenteil: Du würdest sie nicht mehr aus den Augen lassen.“ „Aber nur, weil ihr sonst etwas passieren könnte!“, kam es ernst von Kian. Erneut seufzte ich. „Was du tust ist deine Sache, aber ich persönlich glaube, du solltest mit ihr reden. Du musst ihr ja nicht gleich alles erzählen. Es reicht ja eine Kurzfassung und die gefährlichen Stellen lässt du eben weg oder veränderst sie. Wenn du das nicht willst, musst du damit leben, dass sie dich ab jetzt wahrscheinlich hasst. Nach deiner Aktion eben würde das wahrscheinlich jeder...“, ich machte eine kurze Pause, um meine Gedanken zu sortieren, bevor ich weitersprach, „Eine Zwischenteil gibt es nicht. Du musst dich für einen der beiden Wege entscheiden und mit den Konsequenzen leben.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)