Vertrauen und Verrat von Seira-sempai ================================================================================ Kapitel 19: Treffen ------------------- Vor einer Gruppe Jugendlicher und junger Männer blieben wir stehen. Olivias Körperhaltung verriet mir, dass das keine Menschen waren. „Scheiße!“, murmelte ich, „Nicht schon wieder!“ Ich hörte, wie Olivia seufzte. „Das kannst du laut sagen.“ Dann verfinsterte sich ihr Gesichtsausdruck noch mehr. „Immer wenn man Kian braucht, ist dieser Idiot nicht da.“ Von den Leuten der Gruppe schaute einer nach dem anderen in unsere Richtung. Jetzt sah ich auch den Grund für ihre Beschimpfungen vorhin. In der Mitte der Gruppe stand braunhaariges Mädchen, was ich auf Grundschulalter schätzte, und schien vergebens nach einer Lücke zwischen den Leuten zu suchen, um fliehen zu können. Auch Olivia schien das aufgefallen zu sein. Sie blickte ihre Artgenossen abwartend an. „Was ist hier los? Wieso brüllt ihr hier durch die halbe Stadt. Ich will eine Erklärung, und zwar eine ordentliche. Habt ihr die nicht, dann-“ Sie wurde von einem aus der Gruppe unterbrochen. „Jaja, schon gut.“ Er packte das Mädchen an seinem langen Haar und zog sie direkt vor sich. „Wir wollten der Schlampe hier nur eine kleine Lektion erteilen, wie es im Rudel abläuft, was wir mit Abschaum wie ihr tun.“ Olivias Blick wurde todernst. Könnten Blicke töten, wäre mit Sicherheit die Hälfte der Gruppe augenblicklich tot umgefallen und die andere Hälfte ein bis zwei Sekunden später, doch so wichen sie nur einige Schritte zurück, alle außer einer. Der, der ihr die erste Frage beantwortet hatte, blieb stehen. „Und jetzt du: Seit wann gibst du dich mit Menschen ab? Und ausgerechnet noch mit dem Sohn von Jack Stone? Du weißt, was passiert, wenn der Anführer das herausfindet. Da rettet dich auch nicht die Tatsache, dass du mit ihm verwandt bist!“ Zu meiner Überraschung grinste Olivia nur. „Da wäre ich mir an deiner Stelle nicht so sicher. Großvater hat nichts mehr zu melden, weil er sich nicht an die Regeln gehalten hat. Die Beweise haben wir bereits. Den Rest kannst du dir denken. Kian wird in absehbarer Zeit wieder auftauchen und seinen rechtmäßigen Platz verlangen. Und er wird es mit den Regeln dann ganz anders handhaben! Nicht wahr, Karl?“ Die Gruppe starrte sie geschockt an. Die Leute schienen ihren Ohren nicht mehr zu trauen. Der, den Kians Cousine Karl genannt hatte, war nicht minder geschockt. „K- Kian hast du gesagt? A- Aber das ist unmöglich! Er ist tot!“ „Er lebt noch!“, sagte Olivia gelassen, „Und du wirst ihn wahrscheinlich sehr bald antreffen, wahrscheinlich sogar eher als dir lieb ist.“ Dann packte sie das verschüchterte Mädchen am Arm und wandte sich von der Gruppe ab. „Alec, wir gehen!“ „Kommandiere mich nicht herum!“, zischte ich leise, meinte es aber nicht so. Ich wusste, dass das nie ihre Absicht gewesen war. Sie hatte sich nur im Tonfall vergriffen. „’tschuldige.“, kam auch sofort die Bestätigung dafür. Im Augenwinkel sah ich, wie die Gruppe uns immer noch hinterherstarrte. Karl hatte sich etwas von ihr entfernt und rannte uns hinterher. Er sah wütend aus. „Bist du noch ganz bei Trost?! Du kannst dich doch nicht einfach von diesem Kerl“, er deutete auf mich, „herumkommandieren lassen. Warum lässt du dir das gefallen?“ Olivia grinste überlegen. „Unsere Rangordnung gilt bei den Menschen nicht, und wenn sie das doch würde, dann hätte Alec einen viel höheren Status als ich! Stell dich nicht blöder als du ohnehin schon bist. Kian ist rechtlich gesehen der neue Anführer und er hat Alec die Kette gegeben. Was glaubst du, wird das wohl bedeuten?“ Stille. Karl starrte Olivia geschockt an. Er öffnete seinen Mund, sagte aber nichts, sondern schloss ihn einen Augenblick später wieder, nur um ihn dann erneut zu öffnen. „Das ist gelogen. Das kann nicht sein. Kian würde so etwas nie tun. Das ist gegen die Regeln. Er hat sich bis jetzt immer an sie gehalten. Und dann sagst du hier das Gegenteil?! Nicht nur das, er soll auch noch einen Menschen als ebenbürtig betrachten? Und als wäre das noch nicht genug, muss es auch noch ausgerechnet der Sohn von Jack Stone sein?! Das glaube ich nicht! Nicht, bevor er es mir mit eigenen Worten gesagt hat.“ „Dann frag ihn.“, meinte Olivia gelassen. Karl schluckte. „Das werde ich. Wo ist er?“ „Besser du störst ihn jetzt nicht. Er könnte es dir übel nehmen, wenn du ihm seinen Tag ruinierst. Früher oder später taucht er wieder beim Rudel auf und dann hast du alle Zeit der Welt, deine blöden Fragen zu stellen.“ Mit diesen Worten wendete sich Olivia erneut von ihm ab und verließ, das immer noch eingeschüchterte Mädchen hinter sich herziehend, gemeinsam mit mir den Park. „Was für Idioten!“, hörte ich sie über ihre Artgenossen schimpfen, „Wenn Kian mir nicht verboten hätte, einen Kampf anzufangen, dann hätte ich sie so was von fertig gemacht!“ Ich lachte. „Vielleicht hat er es dir gerade deswegen verboten.“ „Das weiß ich!“, kam es gereizt von Olivia, „Er hat es mir unmissverständlich gesagt!“ Sie schaute zu dem Mädchen. „Und was machen wir jetzt mit ihr?“ „Was fragst du mich?!“, antwortete ich, „Du hast sie doch hier her geschleppt.“ „Hätte ich sie etwa bei den Idioten lassen sollen? Die hätten sie krankenhausreif geprügelt, wenn nicht sogar noch schlimmer!“ Endlich ließ Olivia die Kleine los. Sie hockte sich vor sie. „Wie heißt du?“ Das Mädchen zuckte zusammen. „Christine.“, murmelte es und wich einige Schritte vor Olivia zurück. Anscheinend hatte es Angst vor ihr. „Und wo wohnst du, Christine?“, fragte ich und bemühte mich, freundlich zu klingen. Das Mädchen schaute in meine Richtung. „Du bist doch ein Mensch…“ Sichtlich verwirrt nickte ich. „Ja, eh… und…?“ „Gar nichts.“, nuschelte Christine, „Es tut mir Leid.“ Ich seufzte. „Also, wo wohnst du jetzt? Wir bringen dich nach Hause.“ Im Augenwinkel sah ich, wie Olivia mich wütend anschaute, aber ich ignorierte es, da ich sie nicht noch mehr provozieren wollte und so kam es, dass wir wenige Minuten später in die Richtung liefen, wo das Mädchen wohnte. Vor einem weißen Zweifamilienhaus blieben wir stehen. Dann traten wir vor die Haustür und Olivia klingelte. Wenig später wurde die Tür von einem Mann mittleren Alters geöffnet. Zuerst sah er uns mit einem fragenden Gesichtsausdruck an, dann wechselte dieser zu einem geschockten. Er wich einige Schritte zurück und verbeugte sich vor der immer noch leicht gereizten Olivia. „Wie kann ich ihnen weiterhelfen?“ Kians Cousine schnaubte. „Pass besser auf deine Tochter auf, sonst hast du sie nicht mehr lange.“ Dann schob sie das Mädchen unsanft in das Haus und der Mann, der anscheinend der Vater von ihm war, fing es auf, aber sagte nichts. Wären da nicht diese Wolfsaugen gewesen, hätte ich ihn sicher für einen normalen Menschen gehalten. Ich seufzte und griff mir an den Kopf. Dann sah ich leicht genervt zu Olivia. „Du führst dich gerade auf wie eine verzogene Göre, die eben Ärger von ihren Eltern bekommen hat.“ Kians Cousine entglitten sämtliche Gesichtszüge, bevor sie mich mit einem wuterfüllten Gesichtsausdruck ansah. Ihre Augen blitzten nur so vor Zorn. „Was hast du gerade gesagt?“ „Du hast mich schon verstanden.“, meinte ich davon ungerührt. Olivia schnaubte. „Kannst du mich auch mal nicht ärgern?! So langsam nervt das gewaltig.“ Dann schaute sie zurück zu dem Mann. „Willst du uns nicht langsam mal ins Haus bitten?“ Der Mann wich einen Schritt zurück, bevor er sich noch einmal verbeugte und uns eintreten ließ. Erst nachdem wir eingetreten waren, schloss er die Tür wieder und folgte uns in eine Art Wohnküche. Eine Frau stand darin und bereitete gerade das Mittagessen vor. Sie begrüßte uns freundlich. Ich erkannte sofort, das sie ein Mensch war. Und ich brauchte auch nicht lange, um mir den Rest zusammenzureimen. Der Vater war ein Wolf, die Mutter ein Mensch. Das Mädchen schien zur Hälfte das eine und zur Hälfte das andere zu sein. Das erklärte auch die Beschimpfungen der Gruppe. Warum war mir das nicht gleich aufgefallen? Ich hätte es bemerken müssen, als ich die Wortwahl der Gruppe hörte. Olivia sah sich in der Wohnung der Familie um. Es hatte sogar fast den Anschein, als sei sie nicht nur neugierig, sondern suche etwas. Doch ich sprach sie nicht darauf an. „Und was willst du jetzt hier?“, fragte ich sie statt dessen leise. Kians Cousine sah mich zuerst leicht verwundert an, dann grinste sie wissend. „Ich wollte hier nur mal kurz vorbeischauen. Außerdem glaube ich, es interessiert sie, was ich zu sagen habe.“, antwortete sie und setzte sich auf den Küchenschrank. Ich seufzte. Das konnte ja heiter werden. Vielleicht sollte ich Kian vor meinem nächsten Treffen mit ihr fragen, wo man sie ausschalten konnte. Die Frau bot uns etwas zu Essen an, was wir aber dankend ablehnten, da wir erst vor wenigen Minuten Pizza gegessen hatten und demzufolge nicht hungrig waren. Olivias Blick schweifte erneut durch die Wohnung, bis sie nach einigen Sekunden seufzte und sich an die Bewohner wandte. „Ich habe einige Fragen an euch.“ Die Familie schien verwirrt zu sein. Jedenfalls schaute der Vater Kians Cousine mehr als nur ein wenig verwundert an und reagierte erst nach einer Weile. „W- was möchten Sie den wissen?“, fragte er unsicher. Olivia deutete auf seine Frau. „Wie schafft ihr es, problemlos zusammenzuleben? Ist das nicht anstrengend, sich immer kontrollieren zu müssen? Aus Erfahrung weiß ich, wie schwer das ist. Also: Wie schaffst du es, deine Jagdinstinkte zu unterdrücken?“ Jetzt war der Mann völlig verwirrt. Er starrte auf den Boden und stammelte wirres Zeug, bevor er endlich antwortete. „Es ist anstrengend, aber mit der Zeit gewöhnt man sich daran und dann wird es ein wenig einfacher. Darf ich fragen, wozu sie das wissen möchten?“ Kians Cousine sah kurz in meine Richtung. „Wenn ich nicht schleunigst lerne, mich vollständig zu beherrschen und ein Missgeschick passiert, bringt Kian mich um.“, murmelte sie, „Ein Kratzer und er würde es mir nie wieder verzeihen.“ Der Mann nickte verstehend. Dann sah er in meine Richtung. „Gehört der Mensch zu Ihnen?“ Olivia sprang auf. Wütend schlug sie mit ihrer Faust auf den Küchenschrank, bevor sie den Mann anschrie. „Nicht in diesem Ton! Und wage es ja nicht, Alec auch nur noch einmal so zu nennen! Der Mensch?! Was fällt dir eigentlich ein?! Hast du auch nur den Hauch einer Ahnung, wer Alec ist und an welcher Stelle er in unserer Rangordnung steht?!“ Schon wieder Rangordnung. Hatte die Stellung des einzelnen Tieres bei den Wölfen so eine wichtige Bedeutung? Der Mann wich zurück, bis er mit dem Rücken gegen einen der Schränke stieß. „Es tut mir Leid. Ich wollte Sie nicht erzürnen.“ „Nur damit du es weißt: Kian, der rechtmäßige Anführer des Rudels, betrachtet Alec als gleichberechtigt. Den Rest kannst du dir denken.“ Mit diesen Worten zerrte mich Olivia aus der Wohnung der jungen Familie, zurück in den Park und von dort aus direkt vor meine Wohnungstür, welche ich seufzend aufschloss. Wir verbrachten den Rest des Tages damit, fernzusehen oder uns zu unterhalten, jedenfalls gegen etwa zehn Uhr ein wütender Kian die Wohnung betrat und uns gereizt anstarrte. „Ich glaube, ihr beiden schuldet mir eine Erklärung. Was genau wolltet ihr mit meinem Date mit Alice bezwecken?!“ „Dass ihn euch wieder vertragt...“, antwortete Olivia monoton und lief in Richtung Wohnungstür. Sie umarmte mich einmal kurz, zu kurz als dass ich hätte darauf reagieren können, bevor die meine Wohnung verließ meine Wohnung. Zurück blieben mein wütender bester Freund und ich. Eine Weile starrte ich noch auf die inzwischen geschlossene Tür, bis ich meine Sprache wiederfand. „Was war denn das jetzt.“ Kian zuckte mit den Schultern. „Das wüsste ich auch gern...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)