Vertrauen und Verrat von Seira-sempai ================================================================================ Kapitel 20: Informationsbeschaffung ----------------------------------- Seit dem erzwungenen Date zwischen Kian und Alice waren einige Wochen vergangen. Langsam vertrugen die beiden sich wieder, aber Anzeichen für eine romantische Beziehung konnte man nicht finden. Es schien, als seien sie jetzt nur gute Freunde. Mir genügte das, aber Olivia wollte unbedingt, dass mehr aus ihnen wurde. Doch bis jetzt waren trotz großer Anstrengungen ihrerseits alle Versuche für ein weiteres Date gescheitert. Aber es gab auch erfreulichere Ereignisse. Es hielten sich jetzt deutlich weniger Wölfe in der Stadt auf und Dean, Alice und ich konnten wieder ohne Schutz die Wohnungen verlassen. Ich seufzte, als ich meine Wohnung verließ und mich auf den Weg zu der meines Vaters machte. Heute Abend war er mit Ryans Vater unterwegs. Das bedeutete, ich konnte unbemerkt in die Wohnung und mir ein paar seiner Akten und Aufzeichnungen ausleihen, angenommen er nahm sie nicht mit. Als ich einen Blick auf mein Handy warf, verriet mir die Uhr darin, dass ich noch etwa eine Stunde Zeit hatte, bis er abgeholt werden würde. Hoffentlich waren die Informationen, die ich von Ryan hatte, richtig. Ich hatte meinen Klassenkameraden gestern ziemlich lange ausgefragt unter der dämlichen Begründung, ich wolle ihm eine Nachricht auf den Schreibtisch legen und mich nach weit über einem Jahr endlich wieder mit ihn treffen. Die Nachricht würde ich auch hinterlassen. Auch wenn ich das eigentlich nicht wollte, aber Kian hatte so lange auf mich eingeredet, bis ich am Ende nachgegeben hatte unter der Bedingung, dass er mitkam. Wir hatten uns darauf geeinigt, dass wir meinem Vater einige Fragen bezüglich der Mannaro beantworten würden, aber nicht alle Ich hoffte, dass wir ihn von seinen Plänen bezüglich der Mannaro abbringen konnten. Aber es war sehr unwahrscheinlich, dass er mir zuhörte und auf Kian könnte er, wenn es schlecht kam, ohne Vorwarnung losgehen. Ich hatte die Wohnung erreicht. Es brannte noch Licht, also war mein Vater noch da. Leise versteckte ich mich hinter einer Hecke und wartete ab, bis er endlich ging. Nach etwa zehn Minuten wurde mein Vater von Ryans abgeholt und sie fuhren mit dem Auto die Straße entlang. Ich schlich vorsichtig, damit ich nicht entdeckt wurde, zur Tür. Irgendwie kam ich mir gerade vor wie ein Einbrecher. Hoffentlich beobachtete mich keiner der Nachbarn oder rief gar die Polizei. Das wäre sehr unpraktisch. Zumal das ja nicht wirklich ein Einbruch war, immerhin wohnte ich hier, so mehr oder weniger, und hatte auch den Schlüssel. Leise schloss ich die Haustür auf und betrat die Wohnung, ohne das Licht einzuschalten. Wo sich die einzelnen Sachen befanden, wusste ich auch noch so, immerhin hatte ich fünf Jahre lang hier gelebt. Und so fand ich auch schnell den Weg in das Arbeitszimmer meines Vaters. Erst als ich vor dem Regal mit seinen Akten stand , schaltete ich meine Taschenlampe, die ich extra für diesen Zweck mitgebracht hatte, ein und suchte nach den Aufzeichnungen über Kians Eltern. Nach ungefähr einer Viertelstunde hatte ich diese dann auf dem Boden liegend unter einem Stapel anderer Ordner gefunden. Kurz blätterte ich den einen Ordner durch, um zu sehen, ob das alles war oder es noch ein weiteren Teil geben musste. Als ersteres der Fall war, steckte ich ihn in meinen Rucksack und arbeitete mich zum Schreibtisch durch. Wegen der ganzen herumliegenden Arbeitsutensilien stellte es sich als etwas kompliziert heraus, da ich die Berge nicht einfach zur Seite schieben konnte. Das wäre meinem Vater sicher aufgefallen. So dauerte es, bis ich mein Ziel endlich erreichte. Ich riss von dem Notizblock meines Vaters eine Seite ab und suchte mir einen Stift, bevor ich ihm schrieb, was mir gerade einfiel und veränderte das eine oder andere ein wenig. Eigentlich hatte ich erwartet, dass du zu dieser Zeit zu Hause sein würdest und wollte es dir persönlich sagen. Aber dem war nicht so. Ich habe mich einfach selbst in die Wohnung gelassen. Hoffentlich bist du deswegen nicht wütend. Um ehrlich zu sein, war ich auch ein wenig erleichtert, dich nicht anzutreffen. Ich wusste nicht, wie ich dir hätte gegenübertreten sollen und hatte auch ein wenig Angst davor. Immerhin habe ich dich seit fast sechzehn Monaten nicht mehr gesehen und die letzte Erinnerungen an dich sind keine besonders schönen. Ich wünschte, ich wüsste, dass du dich nicht in irgendwelchen Kneipen herumtreibst und dich besäufst. Das tut weder dir noch deiner Wohnungseinrichtung gut. Und das weißt du auch. Ich hoffe, du hast dich geändert und damit aufgehört. Aber das ist nicht der Grund, weswegen ich hier bin. Ich muss mit dir reden. Es ist sehr wichtig und ich kann es nicht länger vor mich herschieben. Wenn ich noch einige Tage damit warte, könnte es bereits zu spät sein... Was Mutters Tod betrifft, habe ich dich damals angelogen. Du hattest mit deinen Vermutungen Recht. Es war einer der Mannaro. Ich kann mich noch an jedes noch so kleine Detail erinnern. Aber damals hatte ich keine andere Wahl. Hätte ich nicht gelogen, hätten sie mich umgebracht. Ich weiß nicht, wie lange ich noch zu leben habe, bevor sie mich aus dem Weg räumen. In letzter Zeit begegne ich ihnen immer häufiger und einige Male hat dazu nicht mehr viel gefehlt. Für mich gibt es kein zurück mehr. Sie sehen mich als Bedrohung, weil ihr zukünftiger Anführer und ich beste Freunde sind und er meinetwegen gegen sämtliche Regeln verstößt und ihnen sogar den Krieg erklärt hat, nur um mich zu schützen. Ich seufzte und betrachtete den inzwischen zur Hälfte beschriebenen Zettel. Wenn ich nicht langsam zur Sache kam, bräuchte ich noch einen zweiten. Als ich mir mein bisher geschriebenes durchlas, schlich sich ein schwaches Lächeln auf mein Gesicht. Hoffentlich würde mein Vater nicht zu geschockt reagieren. Ich schrieb weiter: Ich schreibe dir das alles, damit du vorher Bescheid weißt und keinen zu großen Schock bekommst, wenn du ihn triffst. Er wird auch da sein. Ich habe mit ihm gesprochen. Er ist bereit, einige deiner Fragen zu beantworten, unter der Bedingung, dass du deine Forschungen aufgibst. Ich weiß, das ist viel verlangt, aber eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Die Details erfährst du bei unserem Treffen. Komm nächste Woche Samstag Abend in meine Wohnung, allein. Wir werden auf dich warten. Alec Als ich die Nachricht noch einmal überflog, um sicherzugehen dass ich nichts vergessen hatte, musste ich grinsen. Wie ich es geschrieben hatte, glaubte er sicher, dass ich bald sterben würde. Nun, ich wusste nicht, ob das nicht doch der Fall war. Aber ich plante, zu leben. Und Kian half mir dabei, auch wenn es das manchmal abstritt. Vorsichtig befestigte ich den Zettel am Monitor des Computers meines Vaters, damit er ihn auf keinen Fall übersah und griff nach meinem Rucksack, als ich plötzlich etwas an meinen Beinen spürte. Erschrocken leuchtete ich mit der Taschenlampe nach unten und staunte nicht schlecht, als ich eine halb ausgewachsene, orange gemusterte Katze entdeckte. „Wer bist du denn?“, fragte ich leide. Die Katze lief mir schnurrend um die Beine. „Wohnst du hier?“, fragte ich leise und kraulte das kleine Tier hinter dem Ohr, als ich im Augenwinkel ein weiteres mit schwarz weiß geflecktem Fell auf mich zukommen sah. „Wie ich sehe, hat mein Vater sich ziemlich einsam hier gefühlt, ohne mich. Er hat sich sogar einen Ersatz für besorgt.“ Mit diesen geflüsterten Worten schob ich die beiden schnurrenden Katzen zur Seite und verließ das Arbeitszimmer meines Vaters Darauf achtend, dass ich nicht verfolgt wurde, öffnete ich leise die Haustür und trat nach draußen, die Tür hinter mir schließend. Unauffällig schlich ich vom Grundstück und machte mich auf den Heimweg. Kian wartete bereits auf mich. Er öffnete sofort die Wohnungstür und ließ mich eintreten. Gemeinsam gingen wir in meine Küche, wo ich die Unterlagen auf dem Küchentisch platzierte und durchblätterte, bis ich an der richtigen Stelle angekommen war. Zuerst hatte er nur jede Auffälligkeit von Kians Familie aufgeschrieben. Ob er sie beschattet hatte? Immer öfter fand ich Merkmale, nach denen er suchen musste und ob er sie bei der Familie gefunden hatte. Ab und zu war auch ein Foto eingeheftet, auf dem man einen Mannaro erkennen konnte. Jedoch waren diese immer sehr unscharf und einige Male musste ich zweimal hinsehen. Dann, so ziemlich am Ende, war ein Brief zwischen die Akten geheftet. Ich las ihn Kian vor. „Sie fragen sich sicher, wer ich bin und woher ich ihre Adresse habe. Ich beobachte Sie und Ihre Familie schon länger. Ihre Forschungen bezüglich der Mannaro interessieren mich sehr und ich könnte mir gut eine Zusammenarbeit mit Ihnen vorstellen. Ich weiß, dass sie schon länger eine Familie diesbezüglich beobachten und ich kann Ihnen sagen, Ihre Vermutungen sind richtig. Bei dem Vater und dem Sohn handelt es sich um Mannaro, jedoch ist die Mutter ein einfacher Mensch. Ich bin bereit, Ihnen Informationen zu geben, unter der Bedingung, dass Sie die Familie aus dem Weg räumen. Ich erwarte Ihre Antwort in zwei Wochen.“ Kian riss mir den Ordner aus den Händen. „Eindeutig! Das ist Großvaters Schrift!“ Er blätterte weiter. Dem einen Brief folgten weitere. Aber alle von einem anderen Absender. Meist ging es um Treffen mit anderen Forschern. Aber einer von ihnen weckte beim Überfliegen mein Interesse. Ich las ihn meinem besten Freund vor: „Sie baten mich in Ihrem letzten Brief um Hilfe. Die Mannaro seien hinter Ihnen und Ihrer Familie her. Um ehrlich zu sein, ist es nicht so einfach, das zu glauben. Würde ich nicht selbst auf diesem Gebiet forschen, hätte ich Ihnen sicher nicht geglaubt. Sie sagten, einer der Wölfe würde Sie erpressen. Entweder Sie töten eine Familie oder er tötet Ihre Familie. Wenn sie möchten, können Sie ein paar Wochen bei mir und meiner Familie wohnen. Mein Sohn würde sich sicher darüber freuen. Er heißt Ryan ist im selben Alter wie ihrer. An Ihrer Stelle würde ich die Drohungen nicht auf die leichte Schulter nehmen. Am besten Sie setzen sich sofort in ihr Auto und fahren zu mir.“ Ich las nicht weiter. Der Brief war von Ryans Vater. Also hatte mein Vater ihn schon damals gekannt. Mein Vater hatte ihn um Hilfe gebeten. Hieß das, er hatte nicht vorgehabt, Kians Familie umzubringen oder war gar nicht daran beteiligt gewesen? Kian gab mir den Ordner zurück. „Du liest ja eh vor...“ Ich nickte und blätterte weiter. Es folgten zwei Fotos. Als ich diese sah, erstarrte ich. Mein bester Freund sah mich erschrocken an. „Alec, was ist?“ „Diese beiden Bilder. Sie wurden in unserer alten Wohnung aufgenommen. Das erste in unserem Wohnzimmer. An der Wand steht mit schwarzer Farbe: 'Noch vierundzwanzig Stunden und Ihre Familie ist Geschichte!' Das andere ist in meinem Zimmer. Da steht: 'Sie haben sich also gegen unsere Zusammenarbeit entschieden. Die Überreste Ihrer Frau und Ihres Sohnes können Sie hinter ihrem Haus einsammeln.' Deshalb hat mein Vater also die Wände neu gestrichen...-“ Meine Hände zitterten, als ich mit den Fingern über die Fotos fuhr. „Aber wenn das hier der Wahrheit entspricht, dann hat Vater gar nichts mit dem Tod deiner Eltern zu tun...“ Unsicher sah ich zu Kian, da ich ihn nicht verletzen wollte. Mein bester Freund nickte. „Es sieht so aus, als wäre mein Großvater dafür allein zuständig gewesen. Ich kann es noch immer nicht glauben. Wieso hat er so etwas getan?“ Ich senkte meinen Blick, unfähig Kian weiter anzusehen. Zum ersten Mal seit über sechs Jahren verspürte ich wieder diese Angst. Die Wölfe waren in der Wohnung gewesen und in meinem Zimmer. Und das sicher nicht nur einmal. Ich zitterte am ganzen Körper, aus Angst. Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Kian war vom Tisch aufgestanden und auf mich zugegangen. „Keine Angst.“, flüsterte er, „Ich werde dich vor ihnen beschützen. Das verspreche ich. Keiner wird dir auch nur ein Haar krümmen.“ „Kian...“ Dankbar sah ich meinen besten Freund an, bevor ich nach einigen Sekunden nickte. „Ich weiß und ich vertraue dir. Aber wenn ich daran denke, dass sie es unbemerkt in unsere alte Wohnung geschafft haben, dann...“ „Hier waren sie noch nicht.“, Kian schaute mich aufmunternd, „Ich könnte es riechen.“ „Danke...“,murmelte ich, bevor ich ihn kurz umarmte und vorsichtig auf den Rücken klopfte, „Du bist der beste Freund, den ich je haben könnte...“ Als ich die Umarmung wieder löste, sah ich, dass Kian mich mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. „Meinst du das ehrlich?“, fragte er unsicher und gegen Ende auch verzweifelt, „Ich bin immer noch dein bester Freund, nach allem, was ich dir angetan habe? Du bist so oft wegen mir gejagt und verletzt worden. Warum verzeihst du mir meine Fehler einfach so, obwohl sie dich hätten umbringen können?“ Ich schüttelte meinen Kopf. „Da gibt es nichts zu verzeihen. Du bist und bleibst mein bester Freund, egal was deine Freunde und deine Familie tun.“ „Nein, Alec!“, flüsterte Kian und ich sah, dass ihm Tränen in den Augen standen, „Selbst wenn du mir diese Fehler vergibst, habe ich etwas Unverzeihliches getan.“ „W- wie meinst du das?“ Meine Stimme klang unsicher und ich war es auch. Kian schien mit sich zu ringen. Irgendetwas wollte mir er sagen und ich wusste, es war nichts erfreuliches. „Ich-“, eine Träne lief meinem besten Freund über das Gesicht, „Ich habe versucht, dich umzubringen!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)