Dear Diary, I'm awesome von monophobie (Ivan x Gilbert) ================================================================================ Kapitel 9: But I’ll be fine --------------------------- Teil: 9/10 A/N: Ich hab den ersten Teil dieses Kapitels wohl schon zwanzig Mal umgeändert und er gefällt mir immer noch nicht richtig... è_e Ich hoffe dennoch ihr seid für den vorletzten Part eingestimmt und ich wünsche, ohne viel Vorblabla, viel Vergnügen mit: But I’ll be fine Ich konnte bald wieder zurückkehren. Gesagt oder nachgeforscht hatte niemand mehr. Dieses Thema schien ihnen allen wohl zu heikel, als dass sie es aussprechen, anbringen und erläutern wollten. In Ivans Haus wurde ich neugierig beäugt, doch keiner wusste, wieso ich im Krankenhaus gewesen war. Diese Sache spielte nur zwischen ihm und mir Ich hatte keine anschließenden Probleme und alles war gut verheilt, dennoch, zwischen Ivan und mir hatte sich etwas geändert. Seit der Nacht wagte er es nicht mehr mich anrühren. Ich hatte keine Anstalten gemacht es darauf anlegen zu lassen. Ich befürchtete, dass nur ein Waffenstillstand herrschte, der von kurzer Dauer wäre. Doch er hielt sich, einen Monat, den zweiten. Die Tage und Wochen vergingen mit einer Ruhe und Trägheit, als wären wir unter einer Lawine begraben in der alles vergessen, alles weiß, alles lautlos war. Wir schliefen unbewegt in seinem Bett und nur wenn der kalte Wind an den Fenster rüttelte, rutschen wir zusammen. Ich, um mich zu wärmen und er, um etwas Unvergängliches in seinen Armen zu wissen. Wir aßen zusammen. Nicht aus Fürsorglichkeit oder dem Anstand halber, sondern, weil es kein Anderer tat. Ihn fürchtete jeder, mir misstrauten alle. Wir aßen, das, was ich kochte und das, was er sich wünschte. Es war ein Wunder, dass er bis hierhin überlebt hatte, obwohl er nicht einmal wusste, wie man den Herd bediente. Beinah schon belohnend nahm er mich immer öfter mit, in die Stadt oder zum spazieren. Mit ruhigen, gleichmäßigen Schritten immer weiter, immer tiefer. Wohin auch immer. Ich lernte seine Sprache und mit ihr zusammen schleichend, tiefer bohrend, eindringend und ausfüllend sein Leben, seine Gewohnheiten. Ich lernte ihn nicht nur kennen, ich lernte ihn lesen, zu verstehen. Schon bald hatte ich das Gefühl, als Einziger seine wahren Neigungen interpretieren zu können. In diesen Momenten, wenn er nach Hause kam und lächelte und ich erkannte, wie falsch es war, denn ich wusste, dass er nachts meine Hand umklammern würde. Der Winter war ihm egal, die Wärme irrelevant. Wieso konnte es keiner sehen? Dass auf ihm soviel Schnee ruhte, eine untragbare Last und er gäbe alles auf, könnte er nur gehen. Es gab diese Momente. Diesen einen Augenblick, als nach fast zwei Monaten, in denen unsere einzigen Berührungen die unserer Hände war, er mich in die Arme zog und ich mein Gesicht an ihm verbarg. Es war reglos wie die Zeit zuvor, ruhig, still und doch mit einer inneren Unruhe verbunden, die ich bei Ivan selten gesehen habe. Ich wusste, dass es falsch war und er wusste, dass er es bereuen würde, als wir uns küssten und nicht mehr losließen. Am Anfang gab es nichts zwischen uns. Nur eine dicke Schneedecke, durch die wir nicht hindurch kamen, nichts sehen konnten, uns nicht erreichten. Wir hatten sie durch unseren Krieg zerstört, unwissend, wie schützend sie gewesen war und nun, da wir uns näher standen, als je zuvor, mussten wir fortfahren. Am Anfang gab es nichts zwischen uns und nun spürte ich Zärtlichkeit in Ivans Berührungen. Von einen Tag auf den anderen war der Schnee geschmolzen. Es war Frühling. Ich spürte die Sonne, sah die Blumen, das satte Grün. Es war Frühling. Das durfte nicht sein. Das hätte niemals sein dürfen. Es musste doch Winter bleiben. Diese Veränderung hatte schleichend begonnen. Unser Hass hatte sie geschürt und schließlich in eine vollkommen andere Richtung gedrängt. Wir wussten beide, dass sie nicht gut war. Nicht gut für die Zukunft, aber heilend für die Vergangenheit, betäubend für die Gegenwart. Denn egal, wie wir es drehten und wanden, dass wir am Tag Zeit zusammen verbrachten, lenkte uns von jeglichen Problemen ab. Es ließ uns beinah normal erscheinen, freundlich vielleicht sogar; Herzlich. Natürlich stritten wir uns auch, beschimpften uns ab und an, doch es war nie wirklich beleidigend, nie hasserfüllt. Ich kannte ihn zu gut um ihn noch hassen zu können. Fremden gegenüber versuchten wir es nicht zu zeigen, doch man sah, dass wir einander zugeneigt waren. Es mussten die Blicke gewesen sein oder unsere Gesten. Wenn wir gemeinsam einkaufen gingen und er versuchte, meine Wünsche zu erfüllen. Das Ringen um eine Person, die ihn nicht fürchtete. Wir lasen gemeinsam Zeitung, so blieb ich über Ludwig informiert und fand auch die Dinge heraus, die Ivans Beziehungen ins Ausland beschrieben. Beunruhigen darüber drangen aber nie zu einander vor. Unsere Beziehung konnte nur auf Schweigen aufgebaut werden. Wir hörten Musik, oftmals deutsche Klassik. Er hob die Hand und dirigierte, schwang im Takt. Ich hab ihn deswegen so oft belächelt und korrigiert. Er ist nicht sonderlich musikalisch gewesen. Es gab diese Tage, wie aus dem Bilderbuch, an denen wir nebeneinander saßen und den Sonnenuntergang beobachteten. Zu dieser Zeit, war es nie kälter oder wärmer als in Deutschland gewesen. Es war diese Zeit im Frühling, diese hellen Tage, die so erfüllt schienen. Doch in unserem Inneren, tief, wussten wir, das wir diese Stunden nicht einfach verstreichen lassen durften, ungeschoren. Zuviel war passiert, als dass wir einen schönen Schleier der Glückseligkeit darüber hätten ausbreiten dürfen. Sobald die Nacht hereinbrach, es dunkel genug war und die Türen hinter uns verschlossen wurden, konnten wir uns bestrafen. Bestrafen dafür, dass wir auch nur einen Augenblick lang annehmen konnten, alles wäre in Ordnung, schön und perfekt. Je näher wir uns am Tag waren, desto weiter versuchten wir uns in der Nacht zu entfernen. Je zärtlicher die Gesten, desto kälter und herzloser unser Umgang. So freundlich, wie wir bei Licht schienen, desto verachtender wollten wir in der Dunkelheit sein. Ich hatte mit Ivan geschlafen, als Zweck, um ihn zu zeigen, dass er mich niemals unterwerfen könnte. Wir hatten den Deckmantel der Freiwilligkeit benutzt, um eine eventuelle Unfreiwilligkeit vorzubeugen. Nun hatte sich dieses Spiel umgekehrt. Es war das Mittel, das im Vordergrund stand. Es war der Zwang, Gewalt, Nötigung, die unsere Maske bildete, um zu verheimlichen, dass wir nichts anderes wollten, als uns nah zu sein. Jeder Biss, jeder Kratzer, jedes verächtliche Wort, dass wir uns an den Kopf warfen, das alles bildete Tarnung. Wir gaben vor anderen und vor unseren eigenen Bedürfnissen nicht zu, dass wir etwas füreinander empfanden. Selbst wenn wir es uns eingestanden hätten, ich befürchte, anders wären wir nie in der Lage gewesen es auszudrücken. Er hielt mich. Hielt mich auf. Ich mich fest. Gewaltvoll, schmerzhaft, stark, damit wir nach all der Zeit in der wir nie Gefühle gebraucht haben, merkten, dass doch noch welche da waren. Tief verborgen und nur mit Härte zu wecken. Mein Körper gab Ivan die Bestätigung hierfür, denn selbst, wenn ich protestierte, nahmen meine Handlungen ihn an. Nach diesen Monaten, nach all der Zeit bei ihm, allem, was passiert war zwischen uns, war es das erste Mal, als wir miteinander schliefen und ich es mit meinem ganzen Körper wollte. Es war Frühling. Etwas war grundlegend falsch gelaufen. Zwischen ihm und mir. Doch ich bereute nichts. Schnell merkte ich, dass dieser neue Status, der mir zufiel, Vorteile brachte. Es war zur Selbstverständlichkeit geworden, dass ich in Ivans Bett schlief. Er schützte mich vor der Verachtung anderer und bemühte sich darum, mein Leben angenehm zu machen. Etwas hatte sich grundlegend geändert, war falsch gelaufen. Doch ich bereue nicht, dass ich diese Bevorzugung ausgenutzt habe. Sie hat mir in so manchen Situationen geholfen, die Umstände erträglich gemacht. Es schien ein unerschöpflicher Vorrat an positiven Auswirkungen bis mir dadurch schließlich meine Grenzen gezeigt wurden. Ivans Fürsorge engte mich schlussendlich ein. Ich war nicht in der Lage zu protestieren, als es nicht nur um die Trennung von meinem Bruder, sondern die vollständige Abkapselung ging. Eine Mauer, die unüberwindlich schien und die jeden Kontakt, den wir bis dahin erhalten hatten, problematisch werden ließ, gar unmöglich machte. Er hatte es gerechtfertigt durch die Umstände, in seinem Land, das Problem Amerika. Ich durfte nicht protestieren durch die Umstände, die zwischen ihm und mir herrschten. Die Ruhe war wie der Schnee der Lawine weggeschmolzen, die Trägheit aufgehoben. Man merkte schon bald die Angespanntheit in seinem Haus. Nicht nur ich, der unzufrieden war, beinah alle seine Mitbewohner schienen ihn anzuzweifeln. Im Frühling werden die neuen Gedanken geboren und die Lebensgeister erwachen. Es war eine turbulente Zeit, in der Ivan und ich es dennoch irgendwie geschafft haben zu überleben. Miteinander zu leben. Füreinander zu sein. Es gab diese lauen Sommernächte. Der Wind war zu schwach um durch die Gardinen zu dringen und die Luft in Ivans Zimmer fiebrig. In diesen lauen Sommernächten war es viel zu warm um zu schlafen. Ivan lag auf mir, der dunkle Atem, der sich an meinem Bauch abrollte und seine müde Hand, die an meiner Seite ruhte. Er strich mir über die nackte Hüfte und ich über die frischen Kratzspuren an seinem Rücken. In diesen dösigen Sommernächten redeten wir wie im Fieberwahn, dunkel und leise, alles Wahre und alles, was die Fantasie uns einbläute. Ich redete, wie mir der Mund gewachsen war. Beschwerte mich, ohne beschwerlich zu klingen, über das Essen oder die Methoden. Am meisten aber über diese Mauer, diesen Schutzwall. Vor was soll er schützen?, hab ich ihn gefragt, doch er hat mir nichts geantwortet. Die Medien antworteten mir, doch wenn Ivan auf meiner Haut gebettet lag, die Finger schläfrig, aber erkundend wandern ließ, antwortete er nichts. Es waren diese lauen Sommernächte, in denen wir an uns festklebten. Seine Hände tänzelten und er hielt mich fest und er sprach, leise, schläfrig. Er sagte mir, die Welt ändert sich so schnell. Alle um ihn herum verändern sich so unheimlich schnell. Nach dem Winter kommt der Frühling und nach dem Frühling der Sommer. Die Sonne scheint heiß und der Wettlauf beginnt. Und Ivan sagte mir, er hätte das Gefühl, nicht mehr mitmachen zu können. Als wären seine Beine im Schnee festgefroren. Ich hatte keine tröstenden Worte für ihn, keine aufmunternden Gesten. Das war nie meine Art gewesen. Ich hob nur seinen Arm, ließ ihn plump auf meine Haut fallen und seufzte. „Du schwitzt genug um wieder aufzutauen.“ In diesen Sommernächten klebten wir aneinander, teilten unsere Sorgen, dachten sie zu halbieren und ahnten nicht, dass wir sie so nur mehr häufen würden. Die Wärme hielt an. Die Sonne schien unermüdlich. Doch egal, wie schön die Bäume sich wogen und die Blumen nickten, dies alles konnte nicht verschleiern, dass die Unruhen wuchsen. Sowohl Ivan als auch ich merkten, dass die Rastlosigkeit uns ergriffen hatte und dass ich ihr drohte zu verfallen. Jeden Brief, den ich an meinen Bruder schrieb und der erst viel zu spät beantwortet wurde, verschlimmerte es. Ich hatte ihn seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen - oder kam es mir nur so vor? Jede Nachricht wurde kürzer, jedes „Es geht mir gut“ ein Schritt in Richtung Verzweiflung. Ivan wusste davon, er sah es mir an. Noch war Sommer. Noch schien die Sonne. Aber wir beide wussten, dass die Blätter schon bald welk werden würden. Es war nach einem offiziellen Treffen. Ich hatte Ivan begleitet. Es war förmlich gewesen und wir beide in Uniform gekleidet, unter der wir in der Abendhitze schwitzten. Das Haus war dunkel, als wir eintraten, nur die Dämmerung tauchte die erleuchteten Flecken vor den Fenstern in ein tiefes Rot. Ivans Gesicht stand in Flammen, als die Tür hinter uns zufiel und er mich ansah. Die Alliierten, mein Bruder, hatten verkündet, dass eine deutsche Wiedervereinigung angestrebt wurde. Ich sah Ivans Augen nicht, nur ein dunkles Leuchten, das sich in dem Schatten des Flures zurückzog. Ich erinnere mich genau an diesen Abend. Er fasste mein Handgelenk. Es war der Griff. Dieser Griff. Er zog mich mit sich, die Treppen hinauf und immer tiefer, immer weiter vom Sonnenuntergang weg. Er warf die Tür zu seinem Zimmer auf und mich auf das Bett. Ich war überrascht, schockiert und ein wenig ängstlich, da soviel Härte, soviel uneinstimmige Härte, rar geworden war. Er kniete sich vor mich und hektisch, beinah panisch, öffnete er Knopf für Knopf meiner Uniform. Ich sagte nichts, ich tat nichts. Seine Finger, seine Hände haben gebebt, als er mich entkleidet hat. Erst als ich nackt vor ihm lag und er meine Haut berühren konnte, war er zufrieden, hörte auf zu hektisch zu sein. Er strich mit einer sentimentalen Zärtlichkeit vom Bauch hinauf, die Brust entlang zum Hals und als drohe er Gefahr sich zu verbrennen, berührte er das eiserne Kreuz. Ivan richtete den Blick langsam auf, sah mich an, bevor er den Mund stumm öffnete. Er schien Worte zu suchen, greifen zu wollen, die in diesem Raum leer und hohl standen und doch niemals hätten ausdrücken können, was er sagen wollte. Schließlich beugte er sich hinab, küsste den Anhänger, meinen Hals, das Ohr und schien sich endlich für eine Aussage entschieden zu haben: „Preußen“. Ich erinnere mich genau an diesen Abend. An dieses Wort. Wie er es gesprochen hat. Das leicht gerollte R, das leise Zischen im Nachklang. Es schien das einzige deutsche Wort zu sein, das er kannte. Es war das Beste, was er mir hätte sagen können. Wir wussten beide, was es bedeutete. Ich repräsentierte ein Land, dessen Name mir nicht über die Lippen kommen wollte. Ich war ein Teil, ein Bruchstück, das unter Ivans Einfluss stand, seine Bestimmungen. Aber in meinem Herzen würde ich immer der sein, als der ich groß geworden bin, gelebt habe und starb. Damit, dass er es ausgesprochen hatte, dass er mich anerkannte, belebte er mich an diesem Abend neu. Wir waren innig und ich ihm ergeben, solang er nur diesen Namen wieder und wieder flüsterte. Immer und immer wieder hallte es in meinem Kopf, Wer bin ich? Und er antwortete mir. Wieder und wieder. Es war der Abend, an dem ich mich ihm hingab, vollständig aufgab, da endlich jemand bestätigte, dass ich nicht tot war. Ivan war der erste und einzige, der mich wieder zum leben brachte. Es war spät. Die Sterne standen am Himmel und der Mond erhellte die Fassaden des Hauses. Erschöpft lag ich in den Kissen und Ivan auf meiner Brust. Ich war dösig. In meinem Kopf vermischte sich bereits Realität mit Traum, doch Ivans dunkle, gebrummte Stimme holte mich zurück. Ich blinzelte zu ihm, fragte, was er gesagt hatte. „Es ist kein Schutzwall“, sagte er leise. Seine Augen waren geschlossen und sein Atem schwer. „Es ist eine Mauer. Ich wollte dich und deinen Bruder nie trennen, euch nie entzweireißen.“ Ich spürte, wie seine Arme sich fester um mich schlangen und er schwer atmete. „Doch du darfst nicht gehen. Ich werde dich nicht gehen lassen.“ Langsam sah ich hinab, doch er erwiderte meinen Blick nicht. Er hatte das Gesicht stur an meine Brust geheftet, murmelte nunmehr leise dagegen: „Verlass mich nicht, Gilbert. Verlass mich nicht.“ Als ich an die Decke sah und der Wind durch das offene Fenster wehte, glaubte ich, den Herbst zu schmecken, Regen zu spüren. Es tut mir so leid. Du hättest es doch ahnen müssen. Der Sommer ging vorüber. Das Blattwerk wurde bunt und farbenfroh, man hätte nicht ahnen können, dass dieses verräterische Rot ein Vorbote war. Der Regen tränkte das ausgedörrte Gras und die hängenden Blumen. Er wusch den Staub des Sommers weg, den Dunst und die Hitze. Ich lief schnell durch die sich bildenden Pfützen, hatte meine Schuhe in der Hand. Das Hemd war durchtränkt, doch ich fror kein Stück. Ab und an sah ich über die Schulter zurück, rief Ivan zu, er solle sich beeilen. Es hatte sowieso nichts geholfen. Wir waren pitschnass, als wir in den Flur polterten. Ich warf einen letzten Blick hinaus an den Himmel. Schwere Wolken zogen näher und in der Ferne sah man Lichter aufzucken. Ivan nahm meine Hand, als er mich nach oben führte. Das kleine Zimmer im unteren Geschoss hatte ich seit einer Ewigkeit nicht mehr betreten. Mir fiel auf, dass ich nun vollkommen bei Ivan lebte, in seinem Haus, seinem Zimmer. Doch ich habe niemals mit ihm hier gewohnt. Die Handtücher lagen uns im Nacken, abwesend hatte Ivan eine Hand auf meinen Kopf gelegt und die nassen Haare verstrubbelt. Wir saßen vor dem offenen Fenster. Vor unseren Gesichtern erschlug sich warme und kalte Luft und das Gewitter zog mit schweren Trommeln heran. Mit jedem Blitz leuchtete mein Gesicht auf. „Ist es nicht wunderbar?“, fragte ich ihn, „Die Erhabenheit der Natur?“ Er brummte dunkel, weder ablehnend noch zustimmend. Sein Blick glitt träge zu der zuckenden Wolkendecke. „Es beginnt ganz klein“, fuhr ich fort, hatte die Knie angezogen, „Man spürt einen einzelnen Tropfen, die schwüle, schwere Luft, bevor sich mit einem Schlag alles zusammenzieht, das Gewitter sich mehr und mehr zusammenbraut und schließlich entlädt, als wäre es zu nichts anderem geboren“. Ivan hatte sich zurückgelehnt. „Es ist zu nichts anderem geboren. Es kommt daher und stirbt im nächsten Moment.“ Langsam wanderte mein Blick zu ihm. „Bist du dir sicher, Ivan? Was ist, wenn es in Wirklichkeit auf der Suche war? Die kalte Luft, die warme finden wollte und ihr Finale großartig und grandios ist, bevor sie sich trennen?“ Ivans Arme verschränkten sich und er sah dem Gewitter entgegen. Der Blitz erhellte kurz sein Gesicht. Ich spürte seine Gedanken, doch er sprach keine davon aus. Er mochte nicht an ein Finale denken. Doch es würde kommen und sich mit einem gewaltigem Donner, einem grellen Blitz verabschieden. Erst dann würde die Ruhe nach dem Sturm Einzug erhalten. Es kam mir so vor, als wäre es ewig Herbst und als wäre er der eigentliche April. Die Tage waren lichtdurchflutet und man konnte unter den Bäumen gehen und sich kaum satt sehen. Die vielen Farben, der Tanz im Wind von roten Blättern und roten Gesichtern. Es gab die Tage, an denen es nur regnete, die Welt von einem grauen Schleier verhüllt war und man zum Fenster hinaus sah und sich den Sommer zurückwünschte. Es war die Zeit, in der ich oft an meinen Bruder dachte. An die Apfelernte oder die Pflaumen. So oft ich auch die Augen schloss und mir die Ohren zuhielt, ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, wie es roch, wenn der Apfelkuchen im Ofen wartete. Es war die Zeit, es waren diese Momente, in denen ich die Augen wieder öffnete und so etwas wie Angst spürte. Ich schrieb ihm viele Briefe, sagte Lieber Ludwig, Mein Lieber Ludwig, Mein Bruder. Ich schrieb die banalsten Dinge, fragte, verlangte und hoffte doch, dass keines der Worte so verzweifelt klang, wie ich es war. Ich wusste, dass die Hälfte meiner Briefe niemals ihr Ziel erreichen sollten. Und wenn es nur einer war, nur einer, den er las. Wenn er nur nicht vergessen würde, dass ich hier bin. Ivan war immer öfter nicht Zuhause. Ich lag oft bis spät in die Nacht wach und schlief dennoch ein, bevor er kam. Es ging ihm nicht gut. Seinem Land ging es nicht gut. Wir versuchten krampfhaft aufrecht zu erhalten, was wir bis dahin aufgebaut hatten. Doch wenn wir uns berührten, waren wir abwesend. Wir schliefen in den Armen des anderen ein, doch waren nicht erschöpft von der Nacht, sondern von den Alpträumen des Tages. In seinen Küssen schmeckte ich keinen Frühling mehr. Die Blätter fielen vom Baum und legten sich schwer auf mein Gemüt. Jede Nacht, die ich allein zu Bett ging, war ein Überfall auf meine Gedanken. Ich hatte hier nichts außer Ivan. Was wäre, wenn er weg ist? Ich fragte mich, ob ich einfach so zu meinem Bruder zurückkehren könnte. Ich war mir nicht mehr sicher, ob er mich nach all der Zeit noch erkennen könnte, selbst wenn mein Gesicht das gleiche war. Ich war mir nicht mehr sicher, ob er mich noch brauchte. In diesen Augenblicken wusste ich manchmal nicht, ob es draußen kälter war, als in mir drin. Ich schrieb Ludwig. Es war der letzte Brief, den ich ihm schrieb. Er war kurz. Doch ich steckte all meine Verzweiflung in ihn. Mein lieber Bruder, erwarte mich. Ich hatte einen Entschluss gefasst, der mir im ersten Moment so einfach schien, doch als Ivan Heim kehrte und ich ihn umarmte, wurde die Last hundertmal schwerer und ich begriff, was ich im Stande war, zu tun. Es tut mir so leid. Du hättest es doch ahnen müssen. Ich wusste nicht, war es noch Herbst? Vielleicht Frühling oder Sommer? Wer hätte es sagen können, wo doch in dieser einen Nacht soviel Schnee in mir fiel? Ich gab mich ihm hin und ich flüsterte, verführte, lockte. Ich fragte ihn, ob er wisse, dass die Preußen gute Reiter gewesen sind? Er wusste es nicht. Ich zeigte es ihm. Und seine Hände haben sich an meiner Hüfte festgebrannt, er streichelte, hielt mich, wie keine Abende zuvor. Ich sah seinen Blick genau vor mir. Ich wusste, was er dachte, was er für mich fühlte. Wir waren zu weit gegangen und nun trugen wir die Konsequenzen dafür. Seine Umarmung lastete auf mir, sie zerdrückte mir mein Herz und sein Geschmack war bittersüß. Ich konnte nicht an mir halten, ich konnte mich nicht mehr aufhalten. Ich hab mich fest an ihn gekrallt und gezittert. Mir war kalt, obwohl es so warm zwischen uns war. Ivan ließ mich mein Gesicht an seine Schulter vergraben. Er wusste, dass ich nicht wollte, dass er mich so sah. Ich habe hundert, vielleicht tausendmal gesagt, es tut mir leid, es tut mir leid, es tue mir so schrecklich leid. Ich kann nicht mehr. Ich sagte ihm, mit jedem Tag, der verstreicht, werde ich unsicherer. Mit jedem Tag, steigt die Angst, die pure Angst, dass mein Bruder mich vergessen könnte. Ich wiederholte, immer wieder, ich will nicht, dass er erkennt, dass er ohne mich leben kann. Ich will nicht, dass er bemerkt, dass ich nutzlos für ihn bin. Ich habe doch nur ihn. Mir ist nichts geblieben. Es war das erste Mal, in den Jahren, die ich bei Ivan verbracht habe, dass ich ihn um etwas bat. Ich flehte, ich flehte ihn an: Ich will zu meinem Bruder. Ich war der Richter und der Henker und dies unser Todesurteil. Ich erinnerte mich an seine vorherigen Worte. „Verlass mich nicht“. Ich hatte tausend Dinge in Gedanken, die er hätte sagen können um mich zum bleiben zu bewegen. Da waren tausend Gründe und tausend Belege, die ihm geholfen hätten. Er nannte keinen einzigen, er hatte nichts geantwortet. Es war zu spät. Ivan wusste das. Und ich weiß bis heute, dass, wenn er nicht gesagt hätte, die Grenzen sind frei, diese Mauer nie gefallen wäre. Ludwig hatte auf mich gewartet und er hat mich in die Arme genommen. Ich habe ihn nicht losgelassen. Ich weinte. Nicht vor Freude. Nicht nur. Ich weinte, weil es ein Abschied war. Für immer. Doch das hat mein Bruder nie erfahren. Das hat keiner je erfahren. Ich habe damals zu Ivan gesagt, wir sehen uns wieder. Doch ich habe mich nicht daran gehalten. In der darauffolgenden Zeit bin ich nie zu ihm zurückgegangen. Und sei es nur für ein paar Minuten gewesen um meine verbliebenen Sachen zu holen. Ich konnte ihm nicht mehr in das Gesicht schauen. Ich gab mir die Schuld, für die harte Zeit, die er anschließend hatte. Ich gab mir die Schuld daran, dass sein Haus leerer und leerer wurde und er schließlich allein zurückblieb. Ich wusste, wäre ich zurückgegangen und hätte er nur ein Wort gesagt, wäre ich schwach geworden, hätte versucht ihm zu helfen und es wahrscheinlich noch schlimmer gemacht. Ich war der Ansicht, so, wie es war, die vollständige Trennung voneinander, sei der einzige Weg um loszukommen. Loszulassen. Loslassen, Loslassen. Ich erzählte allen die Geschichte von der DDR, die nichts hatte und dem Russland, das nicht fähig war. Ich erzählte nichts, über Gilbert oder Ivan. Vom Todgeglaubtem und dem Winter. Ich ließ sie in dem Glauben, ich hasse den Menschen, der hinter den Taten steckte. Der Mensch, der mich zu Arbeiten zwang, die ich nicht tun wollte. Doch ich erzählte nichts, über den Menschen, der hinter meiner Wiederbelebung stand. Der Mensch, dem ich freiwillig das gab, was ich noch besaß. Ich spielte meine Maskerade perfekt und belog mich selbst. Bis ich nicht mehr wusste, ob ich mir glauben konnte, oder nicht. Doch eines wurde mir über die Zeit hin klar; Egal, wie mich entschieden hätte. Verloren wäre immer etwas gewesen. Nur nachts, wenn ich allein in meinem Bett liege, überkommt mich das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben. Ein gravierender Fehler. Denn egal, wie viel Sonnenschein mein Bruder in mir weckt; In mir drin fällt noch immer Schnee. A/N: Ich hoffe es ist deutlich geworden, dass mit dem „Russland erlaubt Gilbert zu gehen“ der Fall der Mauer gemeint ist, der Dank Gorbatschow auch wirklich stattfinden konnte. Und ja: Es gibt auch heiße Sommer in Russland. ° A ° Bin gespannt auf eure Reaktion. :D Wir sehen uns zum Endspurt! > 3< Hosted by Animexx e.V. 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